Wunibald Müller
Verbrechen und kein Ende?
Wunibald Müller
Verbrechen
und kein Ende?
Notwendige Konsequenzen
aus der Missbrauchskrise
echter
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1. Auflage 2020
© 2020 Echter Verlag GmbH, Würzburg
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Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: Shutterstock)
Satz: Crossmediabureau, Gerolzhofen
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
ISBN
978-3-429-05468-7
978-3-429-05082-5 (PDF)
978-3-429-06481-5 (ePub)
Inhalt
Vorwort
TEIL I
Rückblick und Bestandsaufnahme – was ist bisher geschehen?
Es ist wie ein Déjà-vu
Ein Segen, dass der Skandal ans Licht gebracht worden ist
Sexueller Missbrauch im kirchlichen Kontext findet weiterhin statt
Die Kirche hat längst noch nicht genug getan
Was nicht angenommen ist, kann nicht geheilt werden
Die Finger in die Wunde legen
Wenn die Kirche nicht handelt, läuft sie Gefahr, sich wieder schuldig zu machen
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten
„Die Wahrheit wird euch frei machen“
TEIL II
Zölibat, Homosexualität, Sexuallehre und sexualisierte Gewalt
Sexueller Missbrauch und der Zölibat
Keine direkte Verbindung zwischen Zölibat und sexuellem Missbrauch
Pädophile Priester
Therapeutisches Ziel bei pädophilen Personen, ihre Neigung kontrollieren zu können
Ausschluss von pädophilen Männern vom Priesterberuf
Priester, die psychosexuell unreif sind
Fehlende Auseinandersetzung mit der eignen Sexualität
Eine noch sorgfältigere Auswahl der Kandidaten für das Priesteramt
Viele haben den Zölibat geschluckt, aber nicht verdaut
Plädoyer für eine Aufhebung des Pflichtzölibats
Die frohe Botschaft: Der Pflichtzölibat befindet sich in Auflösung
Sexueller Missbrauch und Homosexualität
Homosexualität und Pädophilie werden oft in einem Atemzug genannt
Die Mehrheit der Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester besteht aus männlichen Kindern und Jugendlichen
Homosexuelle neigen nicht mehr als Heterosexuelle dazu, Minderjährige zu missbrauchen
Mangelnde Auseinandersetzung mit der Sexualität und der Homosexualität
Überdurchschnittlich hoher Anteil an unreifen homosexuellen Priestern unter homosexuellen Priestern
Risikofaktor für sexuellen Missbrauch: psychosexuell unreife homosexuelle Priester
Die negativen Folgen der Tabuisierung von Homosexualität
Notwendiger Perspektivenwechsel in der Einstellung der Kirche zu Homosexualität
Warum ist der Priesterberuf für schwule Männer so attraktiv?
Ein klares Ja zur Weihe homosexueller Männer
Die Notwendigkeit einer offenen und toleranzfördernden Atmosphäre
Sexueller Missbrauch und die kirchliche Sexuallehre
Die Kirche sollte endlich mit der Sexualität ihren Frieden schließen
Die sexuelle Lust darf nach kirchlicher Lehre ausschließlich in der Ehe genossen werden
Die kirchliche Sexuallehre hat den Boden für sexualisierte Gewalt mitbereitet
Eine Sexualität, die im Dunkeln gelebt wird, ist besonders anfällig für missbräuchliches Verhalten
Hinter der Sexualität steht die Schöpfermacht Gottes und nicht der lüsterne Satan
Ernstnehmen des Verlangens nach der Erfahrung von Lust
Körperliche Lust und der Verzicht auf erotische Erfüllung
TEIL III
Was kann helfen, sexualisierte Gewalt von Klerikern zu verhindern?
Die Auseinandersetzung mit der Sexualität und die Befähigung zur Intimität
Priester, die erst viele Jahre nach ihrer Priesterweihe zum ersten Mal Minderjährige missbrauchen
„Wer ehelos lebt, setzt sich auf sehr reale Weise dem Risiko aus, niemals einer echten Intimität fähig zu werden“
Worin zeigt sich die Fähigkeit zur Intimität?
Die Erfahrung von Intimität
Unterschiedliche Dichte in der Erfahrung von Intimität
Die Bedeutung inniger, verbindlicher, tiefer Beziehungen
„Ein Mensch ist der Priester. Er ist also aus keinem anderen Holze gemacht als wir alle“
Der Priester muss seine menschliche, bedürftige Seite kennen
Ernstnehmen des Verlangens nach sexueller Erfahrung und Lust
Hingabe, Selbsttranszendenz, Generativität
Die Bedeutung der Selbstfürsorge für die Prävention sexualisierter Gewalt
Eine angemessene Sorge um mich selbst
„Hast du dich selbst lieb, so hast du alle Menschen lieb“
Den Blick nach innen wenden
Den körperlichen und seelischen Bedürfnissen und Wünschen gerecht werden
Die notwendige Fürsorge der Vorgesetzten für die kirchlichen Mitarbeiter
Die Bedeutung guter Beziehungen zu den Mitbrüdern, dem Bischof und Gott
Heiligkeit und priesterliche Lebenskultur
TEIL IV
Klerikales System und sexualisierte Gewalt
Die frühere Praxis im Umgang mit Tätern
Der üble Geruch kommt aus dem Innersten der Kirche selbst
Das klerikale System hat die Ausübung sexualisierter Gewalt in der Kirche begünstigt und verharmlost
Die negativen Auswirkungen der herausgehobenen Position des Klerikers
Der Klerikalismus der Laien
Die frühere Praxis im Umgang mit Tätern
Späte Erkenntnis und Einsicht: Hier geht es um eine Krankheit und ein Verbrechen
Die Macht und Verantwortung des Vatikans
Das „secretum pontificium“
Mauer des Schweigens
Die Rolle von Joseph Ratzinger
Die frühere Praxis im Umgang mit Opfern
Wo war der Anwalt der Opfer?
Das fehlende „Mea culpa“
Sich nicht hinter Floskeln wie „wir haben uns gemeinsam so verhalten“ verstecken
Ist das Leid der Opfer wirklich bei den Bischöfen angekommen?
Die verheerenden Auswirkungen eines herzlosen Klerikalismus
Mangelndes Gespür für die verheerenden Folgen, die von sexueller Gewalt ausgehen
Sexualisierte Gewalt und Frauen in der Kirche
Auch die Frauen sind Opfer des klerikalen Systems in der Kirche
Vom Reichtum, den Frauen in die Kirche einbringen könnten
Im Mann und in der Frau schuf er sein Ebenbild
Immer wieder die Kirche kritisch von außen her betrachten
Alle sind gleich würdig und gleichberechtigt
Ein Traum
Umkehr oder Entmachtung
„Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“
Die Aussperrung vom Volk Gottes ist ein Skandal
Umkehren und sich den Opfern zuwenden
Umkehr als Verzicht auf die Macht
Die Bischöfe sind nicht bereit und in der Lage, die Macht abzugeben
Der Geist weht, wo er will
Die Abschaffung der Monarchie in der Kirche
Das System einer absoluten Monarchie in der Kirche ist unakzeptabel
Die Salbung des Heiligen
TEIL V
Ausblick – Wie geht es weiter?
„Mit Kirche darf ich nicht scheiße aussehen“
Zusammen aus dieser unheilvollen Situation herauskommen
Keine Beschwichtigungen
Vom Missbrauch des Missbrauchs
Die Verharmlosung von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Kontext
Die Gefahr, den eigentlichen Missbrauch nicht ernst zu nehmen
Miteinander den Karren aus dem Dreck ziehen
Im Kreis miteinander sitzen, ein Netzwerk bilden
Eine Kirche, die wieder mehr „Biss“ bekommt
Der synodale Weg
Der eigentliche Skandal – die Abwesenheit Gottes in der Kirche
Der wunde Punkt: Gott hat letztlich keine Rolle gespielt
Literatur
Die Kirche ist nicht in der Lage gewesen,
die Taten als das zu benennen,
was es war: als Verbrechen.
(Erzbischof Robert Zollitsch,
ehemaliger Vorsitzender
der Deutschen Bischofskonferenz)
Vorwort
Die Missbrauchskrise ist da. Wir begegnen ihr fast täglich. Und jetzt? Wie geht es weiter? Was muss geschehen? Welchen Beitrag können, müssen wir leisten, wir, die Mitglieder der Kirche, die Verantwortlichen in der Kirche, die Bischöfe, damit das nicht länger geschieht? Damit keine Priester mehr zu Tätern werden, keine potentiellen Täter mehr zum Priesteramt zugelassen werden? Keine Bischöfe mehr zu Tätern werden? Denn wenn heute von der „Täterinstitution Kirche“ gesprochen wird – manche sprechen inzwischen gar von der „Verbrecherorganisation Kirche“ –, meint man damit nicht mehr nur die Täter, die sexuelle Gewalt an Minderjährigen ausgeübt haben, sondern auch die Bischöfe, die nicht angemessen mit den Tätern umgegangen sind und damit ermöglicht haben, dass die Täter weiterhin im Kontext der Kirche ihr missbräuchliches Verhalten ausüben konnten.
Dazu kommt: Die Opfer wurden systematisch übersehen. Das Wohl und Ansehen der Kirche standen über allem und rechtfertigten offensichtlich jede Maßnahme, die anscheinend dazu beitrug, das zu gewährleisten. Die betroffenen Opfer, ihr Leid wurden nicht gehört. Es mangelte offensichtlich an der Sensibilität, der Empathie, dem Mitleiden.
Das ist und bleibt entsetzlich und unfassbar. Es offenbart, ein welch schreckliches und menschenverachtendes System die Kirche sein kann. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu relativieren. Daher auch der Buchtitel. Weil es sich tatsächlich um Verbrechen handelte und um Verbrechen handelt, was im Kontext von Kirche in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist und bis heute immer noch geschieht. Da gibt es immer noch diese Scheu und inzwischen auch schon wieder eine gewisse Zurückhaltung, das verbrecherische Verhalten von Priestern und derer, die das deckten, nicht als ein Verbrechen zu benennen, weil es sich um Priester und Bischöfe handelt. Aber genau darum geht es ja: sich nicht länger von Personen blenden zu lassen mit dem Ergebnis, dass wir ihr Verhalten verharmlosen, die, wie es im Titelbild so treffend zum Ausdruck gebracht wird, fromm daherkommen, hinter dieser Tarnung sich aber Verbrecher befinden.
Wie unheimlich schwer das sein kann, haben wir in der Vergangenheit erlebt und erleben wir auch heute noch. Können wir es doch auch heute noch kaum fassen, wenn da plötzlich ein Kardinal in Handschellen vorgeführt wird. Auf der anderen Seite kann, wenn man als Verbrechen bezeichnet, was ein Verbrechen ist, Verbrecher nennt, wer etwas verbrochen hat, vermieden werden, in jedem Priester, in jedem Bischof gleich einen Täter zu sehen. Darunter leiden ja mit Recht viele Priester und Bischöfe und damit wird man den meisten Priestern und Bischöfen nicht gerecht.
Ich möchte mit diesem Buch aufrütteln, weitergehende Konsequenzen aufzeigen, die sich aus der gegenwärtigen Krise ergeben. Ich möchte Mut machen, angesichts der dramatischen Situation, in der sich gegenwärtig die katholische Kirche befindet, entschiedener konkrete, auch radikale Schritte zu unternehmen, die wirklich zu einer Wende führen. Das aber wird nur im Miteinander auf Augenhöhe möglich sein, nicht im Gegeneinander, bei dem man sich gegenseitig Missbrauch des Missbrauchs vorwirft.
Wenn es überhaupt noch möglich ist und es nicht längst zu spät ist. Denn, Tatsache ist: Was wir augenblicklich erleben, ist der Zusammenbruch eines kirchlichen Systems, das sich überlebt hat. Ein Zusammenbruch, der offensichtlich nicht mehr aufzuhalten ist, mag man sich auch noch so vehement dagegenstemmen. Dass es mit der Kirche weitergeht, ist nicht selbstverständlich und gottgegeben. Auch Dinosaurier sterben aus.
Was jetzt ansteht, ist ein Reinigungsprozess, dem die Kirche sich ohne Wenn und Aber stellen muss, soll es weitergehen mit ihr. Mit all den Schmerzen, aber auch Chancen, die damit verbunden sind. Dieser Reinigungsprozess betrifft alle, denen die Kirche weiterhin etwas bedeutet, die sogenannten Kleriker nicht weniger als die sogenannten Laien. Bei diesem Reinigungsprozess wird und muss noch vieles von der Kirche abfallen, was sich bei ihr als ein falsches Licht erwiesen hat. Sie wird sich auf einen Weg machen müssen, auf dem weiterhin viele Menschen irgendwann entscheiden werden, dass sie aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht länger bereit sind, diesen Weg mitzugehen, und deshalb die Kirche verlassen. Der Schrumpfungsprozess, in dem wir uns befinden, wird weitergehen und sich sogar noch intensivieren. Dabei geht es nicht darum, wie Kardinal Marx befürchtet, dass am Ende eine kleine Schar der Reinen übrigbleibe. Vielmehr geht es darum, dass die Kirche endlich wieder, so Papst Franziskus, „Biss“ bekommt. In ihr, das ist meine Erwartung an den Reinigungsprozess, endlich wieder das wahre Licht leuchtet, der in der Kirche das Sagen hat, von dem es im Neuen Testament heißt, dass er die Liebe ist. Dahin ist es ein langer Weg, an dessen Ende hoffentlich die Glaubwürdigkeit der Kirche wiederhergestellt ist.
Heribert Handwerk danke ich für die gute Zusammenarbeit bei diesem Projekt.
Ich widme dieses Buch den Frauen und Männern, die bis heute unter den Folgen sexualisierter Gewalt durch Priester leiden, und den Journalisten, die sich in den vergangenen Jahren in besonderer Weise für die Opfer starkgemacht haben, unter ihnen Christine Jeske von der Main-Post, Matthias Drobinski von der Süddeutschen Zeitung und Heike Vowinkel von der Zeitung Die Welt. Ohne sie wäre die Mauer des Schweigens, hinter der sich die Kirche lange versteckt hat, nicht geschleift worden.
Wunibald Müller