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in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

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1. Auflage 2019

© Copyright, 2., erweiterte Auflage 2021 by Roland Weber

Titelfoto: Waltraud Jung

Satz, Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7534-7028-3

Inhalt

Einleitung

Aus Zufall bin ich auf ein Buch gestoßen, dass eine vollkommen neue Interpretation des Nibelungenlieds anbietet. Man meint zwar, dessen Gestalt, dessen Inhalt und seine Bedeutung im Großen und Ganzen zu kennen, aber dies dürfte nur bei den wenigsten Menschen tatsächlich zutreffen. Dabei unterliegt man immer wieder Irrtümern, da man den Inhalt des Nibelungenlieds mit anderen Sagen gleichsetzt bzw. sich der Unterschiede gar nicht bewusst ist. Dies gilt sogar für die wissenschaftliche Forschung. Dies gilt erst recht für das Geheimnis, das es für uns heutige Menschen birgt.

Der Aufgabe, dieses Geheimnis zu lüften und für heutige Leser*innen nahe zu bringen, ist dieses Buch gewidmet. Das Geheimnis liegt nicht in seiner Historizität, sondern in dem zugrundeliegenden Motiv.

So wie ich durch den Autor Atwill mit seinem Buch »Das Messias-Rätsel« darauf aufmerksam gemacht und überzeugt wurde, dass die Evangelien (die drei Synoptiker) allein im Interesse Roms geschrieben worden waren, so bietet jetzt der Autor Rudolf Kreis mit seinem Buch »Wer schrieb das Nibelungenlied? – Ein Täterprofil« eine geradezu sensationelle Neusicht an, die unbedingt der Nachwelt erhalten werden sollte. Die Argumentationen und Schlussfolgerungen, die Kreis zieht, stellen die zahllosen unterschiedlichen Betrachtungen und Bewertungen, die dieses Epos bislang gefunden hat, geradezu auf den Kopf. Sein Ansatz sollte nicht in Vergessenheit geraten. Zum einen, weil Wahrheiten immer erhaltenswert sind und zum anderen, weil sie ein neues Licht auf die Geschichte und insbesondere die Geschichte des Antisemitismus werfen. So wie ich aufgrund des Kerngedankens bei den Evangelien selbst viele neue Aspekte und Schlussfolgerungen mit meinen beiden Büchern »Denken statt glauben« und »Jesus, Römer, Christentum« entwickeln konnte, die einerseits die These des Autors Atwills stützen, sich andererseits aber noch Ansätze finden lassen, die weit darüber hinausgehen, so sehe ich meine Aufgabe hier nun darin, die Kernaussage des Autors Kreis auszuweiten und dabei noch schärfer zu fassen. Wo er Hagen Tronjer nennt, gehe ich – so wie Kreis selbst an einigen Stellen und eher stellvertretend – gleich dazu über, ihn als Juden einzuordnen. Kriemhild steht desgleichen nicht nur an einigen Stellen allegorisch für die (christliche) Ecclesia (Kirche), sondern sie ist dies durchgängig. Ihre Rivalin Brunhild ist nicht nur an einigen Stellen allegorisch die (jüdische) Synagoge, sondern steht stattdessen auch für die allegorische Moschee und selbst für das durch die Kreuzzüge heimgesuchte Konstantinopel. Diese Deutungen werden von Kreis selbst nie so weitgehend gesehen. Meine Erweiterungen stützen sich jedoch auf seinen Ansatz. Die Übereinstimmung besteht im Kern darin, dass ich ihm folge und ebenfalls in diesem Epos die literarische Reaktion auf die Pogrome im Zusammenhang mit den ausgerufenen Kreuzzügen ab 1095 sehe. Dies ist die neue Sicht.

Es geht hier also nicht darum, den anonymen Autor des Nibelungenlieds ausfindig machen zu wollen. Dies haben schon andere vergeblich versucht. Mir geht es ausschließlich darum, den Inhalt und sein Motiv deutlich werden zu lassen. Der Text an sich gibt die Antworten und nicht die Quellen, die der Dichter bearbeitet hat. Um einen tieferen Einblick zu gewinnen, ist es jedoch angebracht, auch andere Autoren zu Wort kommen zu lassen.

Da die hier zitierten Autoren mit unterschiedlichen Schreibweisen von Namen und Orten auftreten, habe ich diese jeweils so übernommen. Der Leser mag sich also nicht daran stören, dass z.B. von Siegfried, Sivrit Sigfrid oder Siefrit bzw. Sigurd die Rede ist. Das gilt auch für andere Namen wie Brünhild, Brunhild oder Kriemhild, Krimhilt, Griemhild. Doch dabei ist Vorsicht vor allzu leichtfertigen Gleichsetzungen geboten. Ein anders geschriebener Namen steht in der Regel sogar für einen anderen Charakter. Erst durch die vermeintlichen Ähnlichkeiten und daraus resultierende Harmonisierung der Schreibweisen entsteht dann ein schier undurchdringliches Wirrwarr. – Kein leichtes Unterfangen für einen Leser.

Um das Ungewöhnliche deutlich zu machen, zitiere ich hier die Schlussworte aus Rudolfs Kreis Buch – Wer schrieb das Nibelungenlied – Ein Täterprofil (S. 113):

»Ich stelle mich sogar dem größtmöglichen Einwand gegen mich und frage: »Wieso haben Generationen von Fachleuten nicht gesehen, was Sie, mein Herr, gesehen haben wollen?«

Die Antwort, die ich mit meiner Studie darauf zu geben versucht habe, will ich noch einmal in fünf Punkten zusammenfassen:

  1. Erstens konnte das die Forschung nicht sehen, weil sie fixiert blieb auf den »Stammbaum« des Epos in den altnordischen (also heidnischen) Sagen.
  2. Zweitens begnügte sie sich aufgrund dieser germanisierenden Tendenz mit einer textimmanenten Auslegung des Epos bis ins Dritte Reich und darüber hinaus.
  3. Drittens blieben damit die historischen Hintergründe (Politik, Recht, Wirtschaft, Kirche und Synagoge), auf die das Epos so deutlich reagiert, im blinden Fleck.
  4. Viertens konnte eine nationalistisch säkularisierte und fast durchweg antisemitische eingefärbte Germanistik gar nicht erst auf die Idee kommen, dass ihre kaiserlichen Vorbilder und mit ihnen unsere Vorfahren einmal Judenfreunde gewesen sein könnten.
  5. Fünftens blieb die Geschichtsschreibung auf den Schock der Shoah (Anm.: Holocaust) fixiert, statt sich der tausendjährigen Verunmenschlichung des jüdischen Volkes zuzuwenden, ohne die sie nicht möglich gewesen wäre.

Die Provokation aber, die das Täterprofil birgt, zielt sehr wohl darauf ab, in die Gedächtnislücken unserer Geschichte einzudringen, dass die einsame Größe des Nibelungenlieds nicht länger in ihnen verdämmert.«

Mit der Suche nach dem Täterprofil sind noch nicht alle Aspekte um die Nibelungen deutlich geworden. Dazu bedarf es wohl noch einer umfassenderen Betrachtung. Dem soll dieses Buch abhelfen.

Die bisherige Literatur zum Nibelungenlied weist unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte auf:

Was jedoch durchgehend fehlt, ist:

Nützlich sind einzig grobe Kenntnisse mittelalterlicher Geschichte und rudimentären theologischen Aussagen und Praktiken, sowie die Bereitschaft, sich auf ein allegorisches und interpretierendes Denken einzulassen. Die dazu gegebenen Hinweise und Übersichten soll lediglich einer Plausibilitätskontrolle bzw. Gedächtnisauffrischung dienen. Der Autor Kreis stellt die historischen und theologischen Bezüge auf deutliche Weise her. Dies ist schließlich gerade sein Anliegen, den Zusammenhang von Text, Geschehen, Zeit und Motiv herzustellen. Seine Schlussfolgerungen bedeuten nicht weniger, als dass man alle bislang gelesenen Interpretationen als erledigt ansehen kann. Brauchbar ist diese Literatur jedoch immer noch für die Frage nach den Ursprüngen und Quellen des Nibelungenlieds. Aber dies wird nebensächlich, wenn man es als originär eigenständige und bewusst gestaltete Sagen-Darbietung versteht. Das Nibelungenlied trägt seine Bedeutung in sich und nicht in der Aufwärmung und Abänderung althergebrachter Sagen und Geschichten.

Das Nibelungenlied hat in seiner Wertschätzung eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich. Die einen sehen darin ein großes deutsch-nationales Epos, die anderen eine mehr wirre und unstrukturierte Geschichten- bzw Sagensammlung, ja nur eine Zusammenfassung umlaufender germanischer Sagen und Märchen. Manche Forscher sehen in diesem Epos gar keinen Sinn. Aber das liegt nicht am Epos, wie noch deutlich werden wird, sondern eben an der beschränkten Sicht der Historiker und Philologen. Schon mit der Schilderung der Nibelungensage bei Friedrich Hebbel und Richard Wagners Oper, Der Ring der Nibelungen, wird jeweils auf unterschiedliche Quellen und zudem eine völlig andere Darstellung gewählt.

Der deutlichste Unterschied ist die Bedeutung des Ringes. Bei Wagner findet sich diese sogar im Titel seines Werkes, bei Hebbel oder erst recht im Nibelungenlied kommt dem Ring dagegen keinerlei Bedeutung zu. Ein Ring wird nur im Zusammenhang mit dem Diebstahl in der Brautnacht und im Zusammenhang mit dem Gürtel erwähnt. Einen Fluch sucht man im Nibelungenlied vergebens. Man könnte lediglich vermuten, dass dieser ein magischer Ring der Nibelungen sein soll, da er im Unterschied zur Tarnkappe nirgends seine Zauberkraft offenbart. Doch während der Gürtel Brunhild noch gewaltige Stärke verleiht, dient er Kriemhild nur noch als Schmuck- und Beweisstück. Der Kampf um den Ring gerät im Nibelungenlied zum Kampf um den Hort. Aus zwei Richtungen dringen magische Kräfte in das Nibelungenlied ein: Die Tarnkappe aus der Siegfriedsage und die Kraft des Gürtels, die jedoch nur der Dichter des Nibelungenlieds einführt.

Es ist und bleibt insgesamt verwirrend, was uns als Sagen, gar als Nibelungenlied bzw. Nibelungennot überliefert wurde. Vor allem sind die unterschiedlichen Ursprünge in umlaufenden germanischen und nordischen Sagen sicher von gewissem Interesse, wie die Edda mit ihren Sagen (Atlilied, Sigurdsage) oder die Thirekssaga (sogenannte Dietrichsage). Es gibt verschiedene Fassungen und diese sind schon deshalb interessant, wenn man den Gründen für die erkennbaren Abweichungen im Nibelungenlied innerhalb seiner Varianten B und C nachgeht. Die drei Hauptexemplare des aus den Vorlagen geformten Nibelungenlieds hat man mit den Buchstabenzuordnungen A, B und C bedacht. B endet mit den Worten »der Nibelungen not« (sogenannte Not-Fassung), die christlich eingefärbte, aber als erste 1755 wieder entdeckte Fassung endet dagegen mit »der Nibelungen liet« (sogenannte Lied-Fassung). Inzwischen ist – entgegen dem Inhalt und der ursprünglichsten Fassung jedoch überwiegend die Bezeichnung Nibelungenlied üblich geworden. Schon damit wird der falsche Akzent gesetzt. Das Epos gestaltet der Nibelungen Not. Das Wort Not sollte man dabei im Sinne von Schicksal verstehen. Das Original zu diesen Abschriften bzw. Dichtungen ist leider verlorengegangen.

Einen guten Überblick über den »Mythos Nibelungen« gibt das so betitelte und von Joachim Heinzle herausgegebene Buch (s.u.). Sowohl die Ursprünge als auch die Nachfolgedichtungen werden mit ausführlichen Leseproben dargestellt. Eine noch deutlich tiefer gehende und im wahrsten Sinne farbige Darstellung (zahlreiche Gemälde bzw. Dokumente) und Untersuchung steuert Oberste mit seinem Buch »Der Schatz der Nibelungen« bei, in dem er zahlreiche Verästlungen der Sagenwelt mit kurzen Inhaltsangaben und damit in ihren Variationen darstellt. Stichwort: Nibelungen – der Schatz ganz breit gestreut, sozusagen. Anhand dieser Zusammenstellung wird z.B. deutlich, wie sehr sich einzelne Sagen unterscheiden. Vollkommen klar wird auch, dass von diesen das Werk Hebbels und das Werk Wagners Welten trennen (S. 48). Ich erspare mir und dem Leser nähere Darlegungen und Ausführungen, da nicht diesen Interpretationen, sondern allein dem aufgefundenen mittelalterlichen deutschen Text die geschuldete Aufmerksamkeit gilt. In all den Varianten wird man jedoch nichts finden, was die hier vertretene These in Frage stellt. Zum einen wurden diese Argumente noch nie gesehen und zum anderen sollte man immer fragen, geht man fehl, wenn man dem Text auch einen ganz konkreten Sinn gibt? Der Dichter hat bewusst sein Werk gestaltet, damit das, was er (!) sagen will, erkennbar wird (Heinzle, S. 27).

Interessant für unsere Untersuchung ist diese Stelle:

Die Hortorientierung ist das handlungskonstituierende Motiv der Sage vom Burgundenuntergang. Sie musste erzählt werden, aber im Rahmen der neuen Konzeption ist nicht zu begreifen, warum Kriemhild auf einmal bereit sein soll, Siegfrieds Mörder gegen Herausgabe des Schatzes freizulassen, nachdem sie das Äußerste getan hatte, um ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Es ist dem Dichter eindrucksvoll gelungen, die beklemmende Atmosphäre der Szene für seine Darstellung zu nutzen, aber er konnte nicht verhindern, dass sie in seiner Version ein Fremdkörper blieb. Dem Manko der narrativen Inkonsistenz des Nibelungenlieds wirkt die Nibelungenklage entgegen. Es spricht viel dafür, dass sie von Anfang an an einem Werkkomplex, ein Nibelungen-Buch, gebildet hat. In ihr wird das Geschehen dezidiert im Sinne der Konzeption des Nibelungendichters kommentiert. Hagen wird als Urheber allen Übels verurteilt, während Kriemhild, die aus unverbrüchlicher Treue zu einem geliebten Menschen gehandelt habe, geradezu als Märtyrerin erscheint: »Weil sie wegen ihrer Treue starb«, versichert der Erzähler, »wird sie noch lange Zeit (d.h. ewig) in Gottes Gnade im Himmel leben.« Die Nibelungenklage fungiert als Leseanleitung für das Nibelungenlied. Wie die Überlieferung zeigt, hat man sie für unentbehrlich gehalten.

Krasser kann man sich eine Fehldeutung dieses Werkes kaum vorstellen: Dass der Nibelungendichter sich einige Freiheiten bei der Übernahme von überlieferten Sagenteilen erlaubte, ist weitgehend unstrittig. Wie absurd werden dann jedoch immer die Schlussfolgerungen gezogen, dass er dies oder das so habe übernehmen müssen. Offenbar glaubt man, ein Literatur-Polizist mit entsicherter Waffe hätte hinter ihm gestanden und mit Erschießung gedroht, wenn der Text nicht so abgefasst würde, wie er ihn aufgrund vorhandener Sagen dem Dichter diktiert. Dies ist kompletter Unsinn als Folge des grundlegenden Unverständnisses! Hier hat Heinzle durchaus recht: Der Hort ist die bewusste Klammer, wie wir noch sehen werden – und vorgreifend: den Schritten von Christus zu einer Kirche und den daraus resultierenden Folgen für Juden. Der von ihm kritisierte Fremdkörper ist geradezu der Hauptkörper – wenn man es so ausdrücken will.

Das Epos ist ein politisches Werk aus der Zeit um 1200. Geradezu abenteuerlich ist die o.a. Schlussfolgerung, dass man sich irgendwie als Gemeinschaftswerk gleichzeitig eine Nibelungenklage als Lesehilfe zusammen geschrieben hätte. Man verdrängt und/oder übersieht offenbar vollständig, dass die beliebte Fassung C des Nibelungenlieds und eben die dieser Fassung angehängten Klage geschrieben worden sind, um vom heidnischen Inhalt der möglichen Urfassung abrücken zu können. Das ist keine Erweiterung oder Vertiefung, sondern das ist lediglich die christlich eingefärbte Um-Schreibung des Originals. Nicht um den Inhalt deutlicher werden zu lassen, sondern um den Inhalt abzuändern. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Gerade mit diesen Umschreibungen (Änderungen, Hinzufügungen, Auslassungen) wird deutlich, wo man die eigentliche Brisanz der ur-dichterischen Botschaft suchen muss. Der Text der Fassung B dürfte nach überwiegender Auffassung derjenige sein, der einer verlorengegangenen Urschrift am nächsten kommt und ist damit der maßgebliche. Die Fassung B ist zwangsläufig die untersuchungswürdige – und nicht die geschönten Ableger, Um- und Nachdichtungen.

Auch Heusler gibt in seinem Buch (s.u.) eine aufschlussreiche Übersicht über umlaufende Sagen, die dann im Nibelungenlied verarbeitet wurden. Entscheidend ist zunächst, dass es sich ursprünglich vor allem um zwei selbstständige Sagen handelte. Eine Brunhilde-Sage von einer Brautwerbung und eine Burgunden-Sage von deren Untergang. In der Brunhilden-Sage wird Sigurd/Siegfried zum Bräutigam Brunhilds und dies erklärt dann auch die Irritationen, die der Dichter im Nibelungenlied anklingen lässt.

Der Autor Hansen verweist auf die historischen Ursprünge zur Zeit der Merowinger als sich eine Fredegunde und eine Brynhildis mit zahlreichen Mordanschlägen auf Anhänger und Verwandte der jeweiligen Gegnerin zu überbieten trachteten. Hier finden sich auch Hinweise auf Worms. Doch diese Spur verweist auf Merowinger und Franken, aber nicht auf Burgunder. Vom Ergebnis her sicherlich eine historisch nachvollziehbare Sicht, aus der sich jedoch keine interpretatorischen Schlüsse auf das Epos ableiten lassen.

Als weitere Autoren sind Dieter und Jürgen Breuer zu nennen, die das Epos als Darstellung der konkreten Geschichte vor 1200 in altgermanischen Mustern darstellen. Sie sehen im Hintergrund die historische Vorgänge, die im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Staufer-Könige bzw. Staufer-Kaiser stehen und eine Kritik genau an deren Politik.

Den eigentlichen und getarnten Schwerpunkt des Nibelungenlieds, wie es Kreis herausgearbeitet hat, – die Kreuzzüge und die Pogrome; den Kampf zwischen Kirche und Kaisern, – hat keiner dieser und augenscheinlich auch kein anderer Autor im Visier.

Bei allem, was da vom Nibelungendichter verarbeitet wurde, darf man sich deshalb nicht durch gänzlich andere Schilderungen und Ereignisse in anderen Sagen ablenken lassen. Es geht in seiner Dichtung nur dem Scheine nach um historische Wahrheiten. Einzig, wie diese möglichen, denkbaren, tatsächlichen und/oder überlieferten Bausteine allegorisch zu einer vollkommen neuen Geschichte verarbeitet und kombiniert wurden, ist von Interesse und lässt dann auf das Motiv des Schreibers schließen. Gerade hier ist nicht alles Sein, was es scheint. Wo man Schein zu erkennen glaubt, steckt womöglich ein anderes Sein dahinter. Ich beschränke mich deshalb auf die Wiedergabe einiger weniger Episoden aus Sagen, die dann in einem wesentlichen Unterschied zum späteren Nibelungenlied stehen. Bei Oberste werden in höchst anzuerkennender Weise alle Quellen genannt und ihre Inhalte vorgestellt. Dabei ist vor allem bemerkenswert und verwirrend, dass nicht nur die Namen jeweils mit anderer Schreibweise daherkommen (Kriemhild/Griemhild – auch als Gudrun; Hagen/Högni etc), sondern deren Träger oft andere, gar gegensätzliche Charaktere verkörpern. Doch genau das sollte nicht stören, da hier nicht die »Welt der Nibelungen in allen ihren Varianten« vorgestellt werden soll, sondern ganz explizit das, was der Epos-Dichter aus allen diesen Vorlagen gemacht hat. So sind zum Beispiel viele Aussagen deshalb schon falsch, weil Autoren die Sageninhalte vermischen und dann z.B. zu Aussagen gelangen (Oberste S. 217):

Seine (Hagens) Rolle als Verwandter tritt im Nibelungenlied deutlich hinter diejenigen des Beraters, Funktionsträgers und Lehnsmann zurück.

Dies ist aus meiner Sicht deshalb grundlegend falsch, da der Dichter im Nibelungenlied nirgends (!) ein Verwandtschaftsverhältnis übernimmt. Im Gegenteil: Er betont ausdrücklich immer wieder, dass Hagen, sein Bruder Dankwart und sein Neffe Ortwin eigene Leute mit eigenen Regel seien. Die Verwandtschaft stammt aus einer anderen Sage. So weigert sich Hagen im Nibelungenlied konsequent, Kriemhild nach Xanten zu folgen. Er ist auch anders gekleidet (Strophe 402) oder weigert sich unbeanstandet als Bote aufzutreten, was dann Siegfried von Island aus erledigt. Auf die Gründe hierfür gilt es später einzugehen.

Hier steht nur das Nibelungenlied als solches zur Untersuchung an. Festzuhalten gilt, dass sich der Dichter die Freiheit nahm, auf geschichtliche Ereignisse, auf geschichtliche Personen und auf vorhandene Sagen anzuspielen oder aus deren Aspekten und Inhalten zu schöpfen. Von Bedeutung ist nur, was er sagt, und wie er es sagt. Absurd ist es, ihm Übergangenes, Widersprüchliches oder Unlogisches aus anderen Sagen anrechnen zu wollen. Er greift auch nicht in einen konkreten Zeitraum ein, sondern bringt Personen scheinbar zusammen, die überhaupt nicht zu gleichen Zeit gelebt haben (Attila/Theoderich) oder dass ein Ereignis historisch wesentlich anders abgelaufen ist. Nie zogen die Burgunder in Richtung Ungarn. Deshalb ist nur der vom Dichter geschaffene Text ist für die Interpretation maßgeblich. Niemand misst die Bedeutung eines von Goethe gedichteten Faustes, eines von Schiller gedichteten Tells oder eines von Karl May überlieferten Winnetous daran, inwieweit sie historisch nachweisbar oder authentisch sind.

Eine weitere Bemerkung erscheint unerlässlich: Nirgends in der von mir genutzten Literatur wird überhaupt auf die Namensproblematik eingegangen. Aus der sagenhaften Gudrun wird im Nibelungenlied unkommentiert eine Kriemhild, aus einem sagenhaften Högni wird ein Hagen, aus einer sagenhaften Brünhild wird eine Brunhilde, aus einem sagenhaften Atli bzw. Attala wird ein Etzel. Der Dichter ändert nicht nur die Namen, er ändert gegenüber den Vorlagen auch den Charakter der Personen. Gerade darin liegt seine Stärke. Brünhilde heißt so, weil Siegfried sie nach seinem sagenhaften Ritt durch den Feuerring (Waberlohe) aus ihrer Brünne (Rüstung) schneiden muss. Lässt der sagenhafte Name Högni auf Schutz und Schild schließen wie bei Hagen? Wird die Braut Siegfrieds nicht zu einer Maskenträgerin (Grima – Maske – und deshalb zu Kriemhild, aber nicht zu Griemhild) oder nannte man denn überhaupt früher einen Attila tatsächlich Etzel? Oder sind das nicht vielmehr naheliegende, aber völlig verdrehte Annahmen und vermeintliche Zusammenhänge, denen Interpreten aufgrund scheinbarer Nähe unterliegen? Sind nicht erst das die Ursachen einer nicht enden wollenden Verwirrung?

Es ist eben falsch, wenn Philologen oder Autoren dem Dichter Widersprüche oder Fehler nachweisen wollen. Es ist seine Dichtung und in seiner Zusammenstellung durchgehend Erfindung bzw. Komposition – und wenn man nicht weiß, was der Dichter überhaupt sagen will, sollte man sich deshalb mit derartigen Kommentierungen eben zurückhalten. Oberste stört sich immerhin nicht an den Zahlen, die für Krieger und Kriegsvolk genannt werden. Das ist eben die dichterische Freiheit, die die Bedeutung des jeweiligen Ereignisses herausstellen soll. Das ist sogar im originär historischen Bereich beste Tradition. Punkt – und Schluss. Ebenso abwegig wäre es, logistische Fragen aufzuwerfen und Wahrheitsfragen thematisieren zu wollen. Nirgends ermordete ein Hagen einen Siegfried und nirgends heiratete eine Kriemhild einen Attila oder ließ diese eine Königshalle anzünden. Wir untersuchen eine Dichtung.

Die nordischen Sagen bieten vielfältige Varianten, von denen einiges wenigstens beachtet werden sollte, damit nicht nur Abhängigkeiten untersucht werden, sondern der Sinn. Welchen Sinn die Sagen hatten, kann ich nicht beurteilen. Wer die Ausgangssagen liest, wird eher geneigt sein, diese als geradezu sinnfrei zu bewerten. Eroberungen um der Eroberung Willen, Kampf um des Kampfes Willen, Verrat um des Verrates Willen – warum, wieso und weiteres fragt man besser erst gar nicht. Das war eben nur mittelalterliche Unterhaltung, so wie heute Krimis das Fernsehbild prägen. Wer einen hintergründigen Sinn in diesen Sagen sieht, mag diesen vorstellen. Dagegen hebt sich das Nibelungenlied wohltuend ab, da zumindest ein logischer Ablauf eingehalten wird. Der Sinn, der gleichzeitig mit dem Nibelungenlied entstandenen höfischen Dichtung um 1200 war, Vorbilder zu schaffen, der Minne Bedeutung zu geben und Abenteuer zur Unterhaltung zu bieten. Doch derartige Sinnzuordnungen versagen kläglich beim Nibelungenlied. Keine Person kann als Vorbild dienen – und sollte es auch nicht. Die Not, das Schicksal, drücken dem Epos den Stempel auf und nicht die Darstellung wohlfeiler Charaktere. Und da nicht nur in der Natur, sondern auch in der Literatur alles eine Sinn hat, kann dies nur als Aufforderung verstanden werden, diesen verborgenen Sinn zu suchen und im Ergebnis festzuhalten.

Beispiele dafür, wie sich die verschiedenen Sagen darstellen:

Siegfried ist ein Waisenkind, wird von einer Hirschkuh aufgezogen und geht dann bei einem Schmied in die Lehre; der Schmied heißt einmal Mime, ein andermal Regin. Siegfried gewinnt Brunhilde, in dem er durch einen Feuerring in ihre Burg reitet, ihr die Ehe verspricht oder auch einmal drei Nächte lang neben ihr ruht, jedoch zwischen ihnen ein scharfes Schwert liegt, dass das an sich Naheliegende erfolgreich verhindert. In der Sigurdsage schläft er mit ihr oder verspricht ihr, wie in der Völsungensaga zumindest, die Ehe. Zu recht kann man jetzt verstehen, wie irritiert sie im Nibelungenlied geschildert wird, als Siegfried/Sigurd im Namen Gunthers um sie wirbt. Sie glaubt sich als Walküre dem Stärksten versprochen. Man hatte in diesen Vorläufern der Geschichte Siegfried/Sigurd auch einmal einen Zaubertrank verpasst, der ihn seine Liebe zu Brunhild vergessen und auf Kriemhild übergehen ließ; Etzel/Atli ist seinerseits der goldgierige Tyrann und lockt die Burgunden in seine Burg, um in den Besitz des Horts zu gelangen; Gudrun/Kriemhild kann sie nicht rechtzeitig warnen und ist entsetzt, als sie nur wenige Mann und dann noch ohne Rüstung einreiten sieht. Im Nibelungenlied sehen wir den Rollentausch und Kriemhild ist entsetzt als sie erkennt, dass die Nibelungen mit großem Heer, gewarnt und bewaffnet erscheinen. Atli/Etzel lässt Hagen das Herz herausreißen und Gunther in eine Schlangengrube werfen; Kriemhild hat mit Atli/ Etzel zwei Kinder, die sie tötet, um Atli deren Herzen als Speise vorzusetzen; Hagen ist mal Kriemhilds, mal Bruder Siegfrieds, mal Bruder oder Halbbruder Gunnars bzw. weiterer Brüder oder auch der Spross eines Alben; er ist auch mal der Sohn Odins; die Königinnen streiten nicht öffentlich vor dem Dom, sondern untereinander im Fluss, wobei die ranghöhere Anspruch auf die obere Stelle geltend macht. Der Hort ist Entschädigung der Götter für einen Mord. Der letzte, einem Zwerg abgepressten Ring, veranlasst diesen den Fluch über den Hort und alle seine Besitzer auszusprechen. – Doch von alledem steht im Nibelungenlied und mit der vollen Absicht des Dichters eben nichts. Aus all diesem Sammelsurium darf man nicht einfach in das Nibelungenlied hinein phantasieren. So weit meine Hinweise zu diesen verwirrenden Sagen und dem daraus resultierenden Unverständnis. Der Dichter spielt zwar ständig mit der Kenntnis seiner Zuhörer von diesen Sagen, doch der Faden im Nibelungenlied ist ein ganz anderer. Der Dichter regt damit zum Überdenken und Nachspüren sowie zum Nachdenken an. Doch damit lockt er vor allem heutige Interpreten immer wieder ins sagenhafte Unterholz und die Spuren werden zertrampelt.

Bei Wagner wird der Ring zum Mittelpunkt und er steht für die Weltherrschaft. Walküren dürfen sich gesanglich austoben und die germanische Götterwelt feiert Auferstehung und Untergang. Brunhild wird tatsächlich die Geliebte Siegfrieds. Seine Frau Gudrun (Rolle Kriemhild) konnte Siegfried nur aufgrund eines Zaubertranks ihrer Mutter Griemhild gewinnen, der ihn Brunhilde vergessen ließ. Das alles mag auf sich beruhen und Opernfreunde weiterhin erfreuen – mit den Intentionen des Dichters des Nibelungenlieds hat dies alles nichts zu tun. Diese Doppelgleisigkeit lässt auch die Beuscher des Nibelungen-Museums in Worms mehr oder weniger ratlos zurück. Bei Wagner steht der Ring im Mittelpunkt, im Nibelungenlied kommt ein Ring lediglich als Raubgut und im Zusammenhang mit einem Gürtel und einer Skandalisierung im Rahmen des Königinnenstreits Bedeutung zu. Nicht einmal klar ist, ob dieser überhaupt als Nibelungenring anzusehen wäre, da er nicht aus dem Schatz, sondern vom Finger Brunhildes stammt. Magische Kraft entfaltet er jedenfalls nicht.

Auch bei dem Dramatiker Hebbel erlebt man noch einige Überraschungen, was die Bearbeitung des Stoffes betrifft. Vor allem ist dabei festzustellen, dass das Epos deutlich christlicher eingefärbt wird. Volker mischt von Anfang an mit und auch der Kaplan, der in der Vorlage nur als Prüfstein für den Wahrheitsbeweis dient, indem er glücklich und lebend das andere Ufer der Donau erreicht, spielt auf einmal mit.

Hebbel wartet mit einem überraschenden Begleitbrief »An die geneigten Leser« zu seinem Werk »Die Nibelungen« auf (abgedruckt in der Reclam-Ausgabe):

»Der geneigte Leser aber wird gebeten, auch in dem Trauerspiel hinter der »Nibelungen Not« nichts zu suchen, als eben »der Nibelungen Not« selbst, und diese Bitte freundlichst mit den Umständen zu entschuldigen.«

Merkwürdig ist allein, dass Hebbel hier die »Not« (Fassung B; heute in St.Gallen aufbewahrt) erwähnt, wo er sich doch am »Liet/d« (C) orientiert. Dieser Bitte kann man als denkender Mensch gerade nicht entsprechen – jedenfalls soweit es die mittelalterliche B-Fassung betrifft. Möchte Hebbel damit andeuten, dass auch er sich so gar nichts bei der Bearbeitung und Umgestaltung gedacht hat? Wohl kaum. Niemand sitzt gar sieben Jahre an einem Werk, wie Hebbel über sich selbst schreibt, bei dem er dann aber einräumt, es habe keinen Sinn, Motiv oder Zusammenhänge zu suchen. Vor allem dann, wenn auch bei ihm abweichende christliche Propaganda Einzug halten darf. So lesen wir u.a. die predigenden Worte des Kaplans (Vers 2090):

»Der heilige Stephanus

sah, als ihn das grimmentbrannte Volk der Juden

ihn steinigte, des Paradieses Tore

schon offenstehen und jubelte und sang.

Sie warfen ihm den armen Leib zusammen,

ihm aber war’s, als rissen all die Mörder,

die ihn in blinder Wut zu treffen dachten,

nur Löcher in sein abgeworfenes Kleid.«

Vollkommen unbeabsichtigt gelangt damit er zum Kern des Epos. Wer sich mit den Worten einer seiner Figuren dermaßen glaubensfixiert äußert und auch nicht versäumt darauf hinzuweisen, dass entgegen aller Verantwortlichkeit in der Mär um Jesu Hinrichtung die Juden Jesus umgebracht hätten, sollte mit seinen Belehrungsversuchen und Denkverboten nicht gehört werden. Genau um diese Grundeinstellungen ging es dem Dichter des Nibelungenlieds und die diversen Aufarbeitungen seiner Vorlage beweisen letztlich nur, wie recht er damit hat und wie berechtigt sein Anliegen sogar noch bis heute ist – und wahrgenommen werden sollte. »Grimmentbrannt« waren stets nur die christlichen Fanatiker.

Kurz: Es gibt eine Fülle von Varianten, die aber so, wie sie jeweils konzipiert sind, nicht in Einklang miteinander gebracht werden können und auch keinen übergreifenden Sinn ergeben. Hebbel und Wagner finden zwangsläufig die bekanntesten und gänzlich unterschiedlichen Deutungen der Sagenvorlagen. In der Fachliteratur sieht es nicht besser aus. Ein Plural ist bei diesen Deutungen allemal angebracht und Harmonien sind nicht zu erreichen. Es gibt somit eine Fülle von Unterschieden und Anleihen in Inhalt und Gestalt. Selbst die drei bekannten Verfilmungen weisen vollkommen unterschiedliche Sichtweisen und Schwerpunktsetzungen auf. In einer moderneren Fassung ist z.B. Hagen der Sohn Alberichs; Hagen ersticht am Ende Gunther; Siegfried wächst bei einem Schmied auf; Siegfried liebt Brunhild und wird durch einen Zaubertrank seines Gedächtnisses beraubt und verfällt dann Kriemhild. Doch diese Stichworte mögen genügen. Das sind Teile aus den verwendeten Sagen, aber eben nicht Inhalte des Nibelungenlieds und damit auch nicht Gegenstand unserer Betrachtung.

Im Kern sind es unstrittig unterschiedliche Sagen, die der Nibelungendichter zusammenbringt. So wird dabei das altenglische Beowulf, das lateinische Waltharius-, das Hildebrandlied, die Lieder- und Prosa-Edda mit ihrer Sigurdgeschichte, das Atlilied und die Thirekssaga erwähnt. Dabei ist oft noch unklar, wer von wem was übernommen hat, da schließlich nur schriftliche Zeugnisse vorliegen, aber nicht bekannt ist, wann diese Geschichten mündlich entstanden sind. Aber das ist für die hier vorliegende Untersuchung schließlich auch unmaßgeblich, genau wie die Tatsache, dass dabei Rollen und Aspekte vertauscht und gar umgekehrt werden. Hier geht es weder um eine Untersuchung, inwieweit tatsächliche geschichtliche Ereignisse mit allem übereinstimmen, was aufgegriffen wird, noch darum, irgendwelche Motive anderer Autoren, Erfinder oder Dichter weiter zu untersuchen. Ausgangspunkt ist hier allein das Motiv, das der komponierende Nibelungendichter zu seiner Niederschrift bewegte und was in der Fassung B auf uns überliefert wurde.

Eine bedeutende Rolle spielt allerdings die Thirekssaga, da sie einige Episoden mit dem Nibelungenlied gemeinsam hat – allerdings mit oft geradezu gegensätzlicher Akzentuierung. Das Bedeutendste, was man jedoch inzwischen über diese Sagensammlung sagen kann, ist wohl, dass es sich bei ihrem Helden nicht um den historischen Ostgotenkönig Theoderich den Großen handelt, sondern dass hier offensichtlich ein Namensvetter aus dem Westfälischen als Held geschildert wird. Diese These vertreten Heinz Ritter-Schaumburg und Hans-Jürgen Hube (s.u.). Indizien sehen sie u.a. darin, dass in der Thirekssaga nur von Nifelungen, aber nicht von Burgunden gesprochen wird. Atli/Attala halten sich auch nicht für den hunnischen Heerführer, sondern einen friesischen Fürsten. Aus den westfälischen Hunen wurden asiatische Hunnen. Das lag nach Hube an den norwegischen Schreibern, die wohl im Auftrag des norwegischen Königs dieses überlieferte Heldenepos niederschreiben und dabei das Geschehen aus einem unbedeutenden Gebiet mit unbedeutenden Regionalfürsten in ein großes europäisches Geschehen einbauen wollten und dabei an Italien (u.A. Verona), große Herrscher, Kaiser, Attila und Theoderich (Ravenna) anknüpfen wollten.

»Die Thirdeks Saga liegt in Pergament-Handschriften in altnordischer und isländlischer Sprache vor, dazu gibt es eine jünger datierte, knappere altschwedische Fassung in zwei ähnlichen Handschriften. Gern wird vermutet, dass sie zuerst in Bergen nach Aussagen deutscher Männer verfasst wurde.« (Hube, S. 397)

»Fest steht, die norwegischen Bearbeiter der Thidreks Saga haben zweifellos eine Menge Zusätzliches in den Text einfließen lassen, aber gerade beim Niflungentext dürften sie eine weitgehend vorlagengetreue Übersetzungsarbeit aus einem niederdeutschen verschollenen Werk über die Zeit Dietrichs geleistet haben! So viele Detailkenntnisse über fränkische und niedersächsische Orte konnte kein Norweger haben! Die Sagenredaktuere des Königs Hakon ließen die ihnen so fremden Gewässer und Orte einfach stehen.« (S. 404)

Diese Hinweise sind deshalb von entscheidender Bedeutung, weil damit auf einen ursprünglichen Kern geschlossen werden kann – dass die gesamte Sage mit einem Ostgotenkönig Theoderich gar nichts zu tun hat – und sich daraus dann erkennen lässt, wie der Nibelungendichter die Szenen neu gestaltet. Dabei ist eine scheinbare Kleinigkeit von besonderer Bedeutung: Während die in der Thirekssaga auftretende Person als Griemhild bezeichnet wird, wird im Nibelungenlied daraus eine Kriemhild. Wenn der Nibelungendichter daneben ihre Brüder Gunther, Gernot und Giselher nennt, wird man stutzig, wenn der Name ihrer Schwester nicht in damaliger Tradition und Sippenzugehörigkeit nicht auch mit gleichen Buchstaben begonnen haben sollte. Mit einem »K« löst der Nibelungendichter jedoch durchaus zielführend diese Griemhild aus ihrem Sippenverband heraus. Dass diese Griemhild in dieser Sage die Mutter Gudruns (mit G!) ist, war dem Dichter wohl eine grundlegende Überlegung wert.

Es ist gerade die große Kunst und der Verdienst des unbekannten Dichters, die beiden Hauptsagen mit ihren Nebensagen zu einem ganz neuen Werk ausgestaltet und ausgeschmückt zu haben. Dies schließt auch nach der Forschung aus, dass mehrere Dichter für das Zustandekommen der Urfassung verantwortlich gewesen sein könnten. Es reicht zum Verständnis des Nibelungenlieds vollständig aus, das Nibelungenlied, so wie es uns überliefert wurde als ein Werk zu würdigen und – das vor allem – zu deuten. Vor allem dann, wenn sich so ein Sinn erkennen lässt, wo es sonst nur sinnfrei gedeutet wird. Nicht vergessen sollte man aber, dass der Dichter durchaus mit dem Wissen seiner Zuhörer spielt, z.B. warum Volker oder Hagen den Donauraum kennen; warum Dietrich von Bern ein bedeutender Anführer ist; warum Hagen Etzel kennt; warum Brunhild durch die Werbung Gunthers und nicht die Siegfrieds irritiert ist, etc. Das alles mag von Interesse sein, aber es ergibt keinen weiterführenden Sinn. Für damalige Zeitgenossen dürfte dies keine Schwierigkeiten für das Verständnis mitgebracht haben. Erst unser heutiges Unverständnis schafft die Schwierigkeiten. Durch ein Ausweiten des Blicks kann kein Sinn gewonnen oder gesteigert, sondern sein originärer Sinn nur gänzlich verloren werden. Die Nibelungen müssen deshalb getreulich so gelesen werden, wie es der Text vorgibt. Das Epos schafft seinen eigenen Sinn.

Einige Aspekte sind jedoch unabhängig vom Text in die Betrachtung einzubeziehen. So gewiss der Zeitpunkt der Entstehung. Dieser wird auf 1200 datiert. Und dabei ist grundsätzlich in die tatsächliche Geschichte zu blicken. Diese Zeitgeschichte ist kein Zufall, der das Werk kennzeichnet, sondern Voraussetzung für die Entstehung. Wie alt die heute vorliegenden Abschriften sind oder wo sie bekannt waren, ist aufgrund der Eigenständigkeit und Zuordnung der Hauptquelle nachrangig. Der Forscher Falk (s.u.) gibt in seinem Buch den Stand der Forschung wieder und beteiligt sich selbst an der Datierungsfrage, d.h. welche Fassung wohl dem ursprünglichen Text am nächsten komme. Die Handschrift B als die Not-Fassung (nach dem letzten Wort im Epos) gilt als älter und damit authentischer als die damit im Streit liegende C-Fassung als Liet-Fassung. Die interessanten Untersuchungen können hier nicht wiedergegeben werden. Aber als markantestes Datum ist zu vermelden, dass es neben formalen Gesichtspunkten wenig dafür spricht, dass man in dieser Zeit ein mehr christlich geprägtes Werk in ein heidnisch geprägtes Werk umgedichtet habe. Das widerspräche jeglichem Zeitgeist. Vor allem weisen alle Untersuchungen einen gravierenden Mangel auf: Nirgends wird der Inhalt überhaupt richtig interpretiert! Die einzige und deshalb markante Ausnahme ist eben der Autor Kreis, der als Erster erkannte, dass der Dichter entweder ein Jude, ein Humanist oder sympathisierender Zeitgenosse gewesen sein müsste. Diese Sichtweise ist die entscheidende. Einen schreibwütigen Kleriker schließt er zu recht vollkommen aus. Die Texte enthalten nichts, was als wirklich christliches Gedankengut anerkannt werden müsste. Die Kirchgänge sind Auftritte und Kolorit, aber keine Bekenntnisse.

Das Nibelungenlied unterscheidet sich deutlich von anderer Literatur und Dichtung um 1200. Es handelt sich entgegen dem damaligen Zeittrend auch nicht um eine Minne-Dichtung oder etwas, was man mit höfischer Kultur in Verbindung bringen könnte. Mit welcher Figur sollte sich hier ein Leser oder Hörer identifizieren sollen oder wollen? Der Dichter berichtet stets neutral distanziert. Trotz Erwähnung von Gottesdiensten und Festen gibt es nichts, was dem Agieren der Protagonisten in irgendeiner Form christliche Werte zuordnet. Im Gegenteil: Siegfried mordet, wird ermordet, Kriemhild will Morde und es wird mehrfach gemordet und am Ende sogar hingeschlachtet. Kein Sterbender wendet seinen Blick zum Himmel. Der rote Faden ist nicht Erhöhung, Barmherzigkeit, Mitleid oder Erlösung, sondern die schicksalhafte Verstrickung. Kirchgang und Feste sind lediglich die ablenkenden Fassaden. Auch die von der Forschung als überflüssige »Kleider-« oder als »Schneiderstrophen« bezeichneten Stellen, sind beabsichtigte und gezielte Ausschmückungen, dahinter stehen aber unerkannte Hinweise auf den Dichter, seine Herkunft, seine Zugehörigkeit, zum Thema und zur Tragik.

Sicher ist richtig, dass bereits vorhandene Sagen-Bausteine für diese Geschichte geliefert haben, aber die dichterische und intellektuelle Leistung seines Autors gibt dem Ganzen erst die heutige (und eben leider von vielen Philologen vollständig verkannte) Bedeutung. Ich fasse hier nur kurz zusammen, was ich an Informationen und Darlegungen anderer Forscher und Interpreten (vgl. Literaturliste) verarbeiten konnte. Ein begründeter Anstoß sollte genügen. Falsches sollte man zur Klärung ansprechen, aber es macht keinen Sinn Falsches endlos aufzutürmen. Das Wichtige ist nicht das Falsche, sondern das Richtige. Zwar besteht weitgehend Einigkeit, dass dieses Epos nichts Christliches enthält,doch das stimmt eben nur in theologischer Hinsicht. In geschichtlicher Hinsicht ist es genau das, was das Nibelungenlied ausmacht. Es hat seine Erhöhung, aber keine christliche, sondern ein schicksalhafte, und wie wir sehen werden jüdische Erhöhung.

Der Kern wird bis heute nicht erkannt, weil die Grundströmung nicht erkannt wird – siehe dazu die eingangs wiedergegebenen Erläuterungen des Autors Kreis. Unstrittig ist, dass es keinen überlieferten Namen des Autoren gibt. Auch dies ist eine Tatsache, die wohl kaum dem Zufall, sondern den historischen Gegebenheiten zuzuschreiben ist. Immer wenn ein Autor unter einem Pseudonym oder gar anonym schreibt, muss das Anlass sein, sein Werk sorgfältig gerade im Hinblick auf seinen Hintergrund zu begutachten. Es wird deutlich, dass es einen guten Grund haben muss, seine Identität nicht preis zu geben. Bei einer harmlosen Geschichte, bei der der Autor sogar vielfach darauf hinweist, dass er nur das schreibt, was ihm zugetragen worden sei, macht dieses Versteckspiel keinen Sinn. Es ist auch nicht so, dass dem Schreiber gar nicht bewusst gewesen wäre, dass er etwas grundlegend Neues schafft. Dafür sind die Abweichungen und die Auswahl zu markant. Ihm war durchaus bewusst, dass er ein neues Werk gestaltet. Auch bei einem Auftragswerk besteht keine Veranlassung, den Namen eines Dichters oder des Auftraggebers nicht zu nennen. Das ist somit ungewöhnlich und erklärungs- bzw. deutungsbedürftig. Andere Autoren, die wie er ihre Werke um das Jahr 1200 verfassten, wie Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide u.a. hinterließen ihre Namen. Die Sagensammlungen dagegen wurden von verschiedenen Schreibern und Ergänzern zusammengestellt, so dass diese auch gar nicht auf den Gedanken verfielen, diese Werke als als eigene Werke ausgeben zu wollen und wurden deshalb nur anonym überliefert.

Erkannt wird oft auch, dass der Autor des Nibelungenlieds, der für die Gestaltung dieses Werkes verantwortlich zeichnet, wohl aus Österreich oder konkret sogar aus Passau stammen müsste. Dies wird deutlich, wenn man die verarbeiteten Ortskenntnisse zugrunde legt. Von Xanten (Siegfrieds Heimat und Reich) weiß der Autor nichts Genaues. Auch von Worms weiß er nichts Genaues. Dies sind auch gar keine geographische Daten, sondern vielmehr historisch-theologische. Inzwischen ist auch manchem aufgefallen, dass es keinerlei Nachweise gibt, ob oder dass die Burgunder jemals in Worms geherrscht oder dort gar ihre Residenz gehabt hätten. Man nimmt dies allein deswegen an, weil es in einem Nibelungenlied eben so steht. Bekannt ist dagegen nur, dass Merowinger und Franken das Gebiet um Worms von den Römern übernommen hatten. Mit der wahren Historie, den Kämpfen zwischen Hunnen, Burgundern, Franken und vor allem auch Römern im 4. und 5. Jahrhundert hat das Epos eben nichts zu tun. Die historische Daten sind auch sonst ganz andere, z.B. dass die Franken gegen die Burgunder kämpften und auch, dass Hunnen zusammen mit Römern gegen die Burgunder kämpften und deren Niedergang herbeiführten. Dass die Personen weder zeitgleich lebten und auch schon deswegen nie an gleichen Orten zusammengetroffen sein können, ist nur zur Klarstellung erinnerungswert. Wer sich mit dem Nibelungenlied befasst, sollte davon Abstand nehmen, in ihm einen realen historischen Kern zu suchen. Vieles um das Nibelungenlied ist grundsätzliches und gegenüber der Geschichte und den Vorlagen nachträglich zu Vorhandenem zusätzlich Erfundenes, Ersonnenes und Versponnenes.

Auch wenn oft gemutmaßt wird, dass das Nibelungenlied durch einen Kleriker geschrieben worden sein müsste, so zeigt sich doch am Inhalt, dass sich diese These nicht stützen lässt. Es ergibt auch keine Hinweise, dass das Nibelungenlied etwas mit Theoderich dem Großen oder Attila zu tun hätte. Inzwischen sprechen erdrückende Argumente dafür, dass es sich in den Ursprüngen um Sagen aus dem fränkisch-westfälischen Bereich handelt (vor allem Ritter, sowie Hube), die über Norwegen, Island bzw. Schweden wieder den Weg zurück nach Deutschland gefunden haben. Der überragende Wert des Epos liegt nicht in der Entstehung und seiner Geschichtstreue, sondern in seinem Motiv.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg geriet das Nibelungenlied in die Argumentationsschiene der Politik. Reichskanzler von Bülow sah Deutschland in der sich abzeichnenden Balkankrise in Nibelungentreue zum Verbündeten Österreich-Ungarns stehen. Ob dieses Berufen im Hinblick auf den Niedergang und die Vernichtung der Burgunden in der Sage sinnstiftend war, sei dahingestellt. Nachdem sich dann gar die Nazis – und im Nachhinein mit heutigem Wissen betrachtet in absurdester Weise – des Nibelungenlieds mit seiner Nibelungentreue bedienten (u.a. Rede Görings am 30.1.1943 angesichts der drohenden Vernichtung der 6. Armee in Stalingrad), war es dann nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt eine große Image-Kampagne der Stadt Worms, die den Nibelungen und ihrem Epos neuen touristischen Aufschwung (u.a. durch eigenes Museum; Nibelungenfestspiele) verschaffte. Ein markantes Hagen-Denkmal und auch ein Siegfried-Brunnen gehörten schon seit Jahrzehnten bereits zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die Stadt Worms machte sich sogar mit dem Erhalt eines der ältesten Judenfriedhöfe Europas und dem Wiederaufbau der Synagoge um die Erinnerung an das einstige Judentum vor Ort verdient. Dieses kulturelle Erbe wurde nach dem Krieg durchaus wieder gepflegt – nicht nur in Worms. Aber einen Zusammenhang zwischen dem Nibelungenlied und Juden – das sieht erst der Autor Kreis, dessen Kernthese ich mich angeschlossen habe. Somit wird auch nicht einmal das noch viel größere Denkmal, das ein Dichter mit seinem Epos und der Verortung in Worms geschaffen hat, erkannt.

Was würde passieren, wenn man erst erkennen würde, dass das Nibelungenlied tatsächlich mit deutscher Geschichte und dabei sogar unauflöslich mit dem Judentum verbunden ist? Eine sogar noch größere Wertschätzung des Epos, eine religiöse Läuterung, eine realistische Geschichtskenntnis und ein Schritt in ein umfassend tiefer gehendes Verständnis? Das könnte zu erwarten und zu erhoffen sein. Diesem Gedanken ist mein Buch geschuldet.