Dietlof Reiche
Freddy. Ein wildes Hamsterleben
Mit Kapitelvignetten von Wolf Erlbruch
Gulliver 613
www.gulliver-welten.de
© 2004 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz • Weinheim Basel
Alle Rechte vorbehalten
Erstmals erschienen 1998 bei Anrich
Neue Rechtschreibung
Markenkonzept: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg
Einband und Vignetten: Wolf Erlbruch
ebook: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74151-6
Alle Freddy-Abenteuer auf einen Blick:
Band 1: Freddy. Ein wildes Hamsterleben
Band 2: Freddy. Ein Hamster lebt gefährlich
Band 3: Freddy. Ein Hamster greift ein
Band 4: Freddy und die Frettchen des Schreckens
Band 5: Freddy. Ein Hamster ist verliebt
Weitere Informationen auf der Freddy-Homepage des Autors:
www.dreiche.de/freddysseite/fs4stell.htm
Ebenfalls lieferbar: »Freddy – Ein wildes Hamsterleben« im Unterricht
Kostenloser Download: www.beltz.de/lehrer
Dietlof Reiche, geboren 1941 in Dresden, ist in Nördlingen und im Taunus aufgewachsen. Er studierte Maschinenbau und lebt heute als freier Schriftsteller und Grafiker in Hamburg. Bei Beltz & Gelberg erschienen neben den Freddy-Büchern auch seine Romane Der Bleisiegelfälscher (Deutscher Jugendliteraturpreis, Oldenburger Jugendbuchpreis), Der verlorene Frühling und Zeit der Freiheit.
Dies ist meine Stunde.
Enrico und Caruso, die beiden Meerschweine, haben endlich Ruhe gegeben, der alte William hat sich auf seine Katzendecke zurückgezogen, und Master John ist ausgegangen.
Dies ist die Stunde, in der ich anfange, meine Geschichte aufzuschreiben.
Klar, dass ich mich wie jeder halbwegs gescheite Schriftsteller frage: Interessiert überhaupt jemanden, was ich erzählen will? Ist diese Geschichte es wert, aufgeschrieben zu werden?
Ich finde, sie ist es: Ein ziemlich ausgeschlafener Typ wächst in einer Art Gefängnis auf, wird verkauft, dann mehrfach verschoben, kann schließlich fliehen und kommt durch eigene Cleverness frei. – Also, wenn das keine Story ist.
Klar, dass ich wie jeder halbwegs gescheite Schriftsteller einen Computer benutze. Master John hat mich das Kennwort für den Schutz seiner Textdateien wissen lassen. Nett von ihm, aber überflüssig. Das Kennwort habe ich nämlich längst geknackt.
Ich knacke alles.
Kennworte, Sonnenblumenkerne und Mehlwürmer. Schon gut, Mehlwürmer knackt man nicht. Aber sie sind eine Köstlichkeit, die unsereiner viel zu selten bekommt. Deshalb erwähne ich sie hier.
Vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass ich ein Hamster bin.
Genauer gesagt: ein Goldhamster, lateinisch: Mesocricetus auratus. Mit dem gemeinen Feldhamster (Cricetus Cricetus) hat unsereins so viel gemein wie, sagen wir mal, ein Computer mit einer handgekurbelten Rechenmaschine. Tatsächlich sind wir Goldhamster ziemlich einzigartig. Ich komme darauf noch zurück.
Es wird wohl niemand vor Überraschung einen Purzelbaum schlagen, wenn ich verrate, dass sich mein Geburtsnest in einem Käfig befand. Bis heute hat der Goldhamster (wie es scheint!) keine andere Chance, als in Gefangenschaft geboren zu werden, in Gefangenschaft sein Lebensrädchen abzustrampeln und dort in den Ewigen Winterschlaf zu fallen.
Der Käfig mit meinem Geburtsnest stand in einer Zoohandlung. Urgroßmutter sagte oft, dass wir dafür dem Hamstergott pfotenfällig dankbar sein konnten. „Kinder“, sagte sie zu uns Junghamstern, „Kinder, hier habt ihr regelmäßig Futter und geputzt wird auch.“ Urgroßmutter hatte eine Zeit lang in einem Käfig leben müssen, der einem Mädchen gehörte, das, Urgroßmutter zufolge, liederlich wie ein Meerschwein und faul wie ein kastrierter Kater war. Kein regelmäßiges Futter und geputzt wurde auch nicht. Urgroßmutter wäre um ein Haar vor der Zeit in den Ewigen Winterschlaf gefallen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit mal unmissverständlich klarstellen: Die drei größten Feinde von uns Hamstern sind erstens kein Fressen, zweitens Dreck und drittens kein Fressen. Deshalb lässt ein Goldhamster niemals einen Mehlwurm liegen (es sei denn, der müffelte schon). Und er richtet seine Pissecke (für Bio-Lehrer, falls sie zufällig mitlesen: die Ecke zum Harnen) nie in der Nähe des Platzes ein, wo es Fressen gibt. Bekanntlich sind andere Tiere, Meerschweine etwa, in dieser Hinsicht weniger pingelig.
Ich kam als Sechster in einem Zehner-Wurf auf die Welt. Kein Wort über die ersten dunklen Tage, die nichts anderes waren als ein blindes, nacktes Gedrängel und Geschubse, um an eine der Nahrungsquellen zu kommen. Acht waren es, wenn ich mich recht erinnere. Zum richtigen Goldhamster wurde ich jedenfalls erst, als mir die Augen aufgingen. Leider taten das auch die Augen meiner Wurfgenossen und schon war wieder die Balgerei im Gange.
Ich weiß. Bio-Lehrer nennen das „spielerisches Kräftemessen“ und angeblich ist es genetisch programmiert. Mag sein. Ich fand es trotzdem nervig. Nicht, dass ich nicht meinen Hamster gestanden hätte! Ich machte mir nur lieber in Ruhe meine Gedanken. Man mag es glauben oder nicht: Schon damals dachte ich darüber nach, warum wir Goldhamster in Käfigen leben. Umwerfend viel kam dabei allerdings nicht heraus.
Bis sich Urgroßmutter um mich kümmerte.
Tja. Und eigentlich wollte ich jetzt die Sache mit der Goldhamster-Saga erzählen. Aber als Schriftsteller (na gut: als angehender Schriftsteller) kann ich mir denken, dass der Leser erst mal ein bisschen Action sehen will.
Also erzähle ich als Nächstes, wie ich verkauft wurde.
Einige Zeit, bevor ich verkauft wurde, war Urgroßmutter steinalt in den Ewigen Winterschlaf gefallen. Erst dachte ich noch, sie ließe sich nur ungewöhnlich viel Zeit, um munter zu werden. Aber der dicke Mann, der den Verkauf in der Zoohandlung machte, wusste gleich, was los war. Und ehe ich Quiek machen konnte, war Urgroßmutter verschwunden.
Mir ging die Sache nahe. Der Rest unserer Sippe aber nahm kaum Notiz davon. Goldhamster sind eben Einzelgänger, das hatte mir Urgroßmutter oft genug erklärt.
Sie fehlte mir. Mit ihr hatte ich über alle Fragen der Goldhamsterheit diskutieren können. Ich probierte es bei den Mithamstern und der Erfolg war überwältigend: „Diskutieren? Nä. Ich treib Sport. Solltest du auch tun.“
Mich im Laufrädchen um den Verstand strampeln?
Danke, Kollege, kein Bedarf. Außerdem gab es nur ein einziges im Käfig. Und vor dem standen die Rädchen- Freaks Schlange, besser gesagt: Sie drängelten und bissen sich weg.
Denn inzwischen war Beißen angesagt bei den Junghamstern. „Spielerisches Kräftemessen“ – das war einmal gewesen. Jetzt waren alle scharf auf echte „Revierkämpfe“, wie die Bio-Lehrer sagen. Bloß: Es gab bei uns gar keine Reviere. Dazu war der Käfig viel zu klein. Pech für die Revier-Rambos, Glück für den Rest von uns. Sonst hätte es noch Tote gegeben.
Die Stimmung im Käfig wurde immer schlechter. Wir versuchten, uns aus dem Weg zu gehen, was, wie wir schnell merkten, nur dadurch zu bewerkstelligen war, dass jeder an seinem Platz hocken blieb.
Der große Stumpfsinn zog ein.
Auch bei mir.
Ich lernte, dass manchmal nicht mal mehr das Denken hilft. Ich dachte und dachte, nur kamen keine Antworten mehr. Ich dachte im Kreis und im Kreis und im Kreis … Bis eines Tages in der Mitte des Kreises etwas wuchs. Das Etwas wurde immer größer und deutlicher, bis es mir endlich kristallklar vor Augen stand: Ich musste weg.
Ich musste raus aus dem Käfig.
Ich musste verkauft werden.
Das war es, Teufel ja. Wieso war ich eigentlich nicht schon eher darauf gekommen? Wahrscheinlich, weil verkauft werden so etwas Ähnliches war wie in den Ewigen Winterschlaf fallen. Jemand verschwand und keiner regte sich groß darüber auf.
Jedenfalls war klar: Der nächste Goldhamster, der aus diesem Käfig verkauft werden würde, war ich. Das ging aber nicht von selbst, das musste vorbereitet werden. Denn eines wusste ich genau: Stand erst der nächste Käufer vor dem Käfig, fiel auch den lieben Kollegen ein, dass es hier drinnen mächtig öde war. Und dass es eine hübsche Abwechslung sein könnte, verkauft zu werden. „Ich, ich, ich“, würden sie quieken, Purzelbäume schlagen, Luftsprünge machen und im Rädchen strampeln, alles nur, um auf sich aufmerksam zu machen. Und dann wäre da noch dieser eine ganz besondere Hamster, der auffiel, weil er ganz etwas anderes tat. Fragte sich nur: was?
Zum ersten Mal beachtete ich den Fernseher, der in einer Ecke des Ladens oben an der Wand befestigt war. Dort lief ein Tiervideo und wurde endlos wiederholt. Es war ein jämmerliches Stück Film: Zierfische, die sterbenslangweilig durchs Wasser paddelten, bunte Vögel, die auf Bäumen krakeelten, und Steinböcke, die wie die Bekloppten gegeneinander anrannten. Aber es gab auch Szenen im Zoo: Affen etwa in ihrem Käfig – sehr lehrreich, was das Verhältnis zwischen Mensch und Tier anging. Und Bären. Die bettelten in ihrem Gehege höchst würdelos, aber erfolgreich um Futter. Diesen Teil des Films sah ich mir mehrfach an. – Danach war ich bereit. Der nächste Hamsterkäufer konnte kommen.
Er kam nicht.
Es war wie verhext. Auf dem Markt für Goldhamster schien null Nachfrage zu herrschen. Jede Menge pfeifende Meerschweine, grölende Papageien und stumme Schildkröten gingen über den Tresen (was machen die Leute eigentlich mit Schildkröten?), ja, sogar die Siamkatze, von der jeder im Laden wusste, dass sie total verwurmt war, fand einen Käufer. Aber niemand wollte einen Hamster.
Ich hielt mich trotzdem bereit. Nur nicht die Geduld verlieren, sagte ich mir. Rein statistisch gesehen, wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass einer kam, der einen Hamster suchte, von Stunde zu Stunde.
Und dann hätte ich es um ein Haar verschlafen.
Es war später Vormittag, nicht gerade die Tageszeit, in der unsereins Bäume ausreißt, und ich hatte mich zu einem Nickerchen zurückgezogen. Geweckt wurde ich durch lautes Quieken, dumpfe Hopsgeräusche und das Rasseln des rasend schnell gedrehten Rädchens. Ich fuhr auf und erkannte mit einem Blick: Die Situation war da. Oder etwa schon vorbei?
Der dicke Verkäufer sah von oben in den Käfig, neben ihm ein junger Mann mit Schnauzbart. Ich machte einen sympathischen Geruch nach Muskatnüssen aus. Und die Mithamster führten sich exakt so auf, wie ich es vorausgesehen hatte. Ich atmete auf. Es war noch keine Entscheidung gefallen. Gerade wollte ich loslegen, als ich den dicken Verkäufer fragen hörte: „Wie alt ist Ihre Tochter denn?“
Ich hielt inne.
„Knapp sechs“, sagte der Schnauzbartmann.
Zu jung, viel zu jung!
„Gerade das richtige Alter“, sagte der Dicke.
„Ich möchte, dass sie lernt, Verantwortung zu übernehmen“, sagte der Schnauzbart.
Aha. Wahrscheinlich liederlich wie ein Meerschwein und faul wie ein kastrierter Kater.
„Wissen Sie, das Mädchen ist oft allein.“
Schon besser. Dann wird sie sich um mich kümmern.
„Prima“, sagte der Dicke. „Da kriegt sie einen Spielkameraden.“
Schlecht. Sie wird mich durch die Gegend schleppen.
„Sie heißt Sofie“, sagte der Schnauzbart.
Mann, das tut doch jetzt nichts zur Sache!
„Und wissen Sie was?“, fuhr der Schnauzbart fort. „Obwohl sie gerade erst lesen lernt, hat sie sich ein Buch über Goldhamsterpflege gewünscht.“
Das gab den Ausschlag.
Ich startete mein Programm. Während die Käfig-Kollegen quiekten, purzelbaumten, hopsten und im Rädchen strampelten, huschte ich in die Mitte des Käfigs und richtete mich auf. Ich machte ein Männchen – wie die Bären.
Mach Männchen und die Menschen sind futsch und weg! Weiß der Kuckuck, was dabei in ihnen vorgeht. Ob sie im Hamster auf den Hinterbeinen einen kleinen, niedlichen Menschen sehen? Egal, ich stand wie eine Eins. Und nicht nur das: Ich riss dabei die Augen so weit auf, bis sie mir bald aus den Höhlen sprangen. Große schwarze Knopfaugen – süß! Dazu den Mund leicht öffnen – lieb! Mit den Mundwinkeln und den Schnauzhaaren zucken – verschmitzt! Und mit den Pfötchen übers Köpfchen wischen – obersüß!
Na also: Der Schnauzbart deutete auf mich. „Der da ist nett. Aber vielleicht ein bisschen ruhig, verglichen mit den anderen.“
Ich machte einen steilen Luftsprung. Und dann noch einen mit Überschlag, das hatte ich trainiert.
Der Dicke lachte. „Zu ruhig? Das ist der Lebhafteste, den wir am Lager haben.“
Der Idiot verdirbt noch alles!
Na bitte: Der Schnauzbart wurde misstrauisch. „Sie wollen ihn wohl loswerden, wie?“
Da hatten wir’s. Jetzt rasch die Nummer, an der ich besonders hart gearbeitet hatte; ich glaube nicht, dass sie vor mir schon mal einem Goldhamster gelungen war:
Immer noch in Männchenhaltung hob ich die rechte Vorderpfote. Ich reckte sie empor, so hoch ich konnte, und dann winkte ich. Ich winkte wie die würdelosen Bären.
Und der Schnauzbart lachte. „Okay“, sagte er. „Der ist es.“
Was folgte, war die schlimmste Stunde meines Lebens. Dabei fing sie ganz harmlos an, ja, sogar angenehm. Ich wurde in einen nicht zu großen Kasten gesperrt, und solche Höhlen liebt unsereiner ja. Dann aber bewegte sich die Höhle. Zuerst nur wenig, bald aber so vertrackt, dass mein Gleichgewichtssinn total überfordert war. Ich wurde durchgeschüttelt, dass mir hundeelend wurde. Heute weiß ich, dass ich in einem Auto transportiert wurde. Damals hörte ich nur ein hässliches Brummen und war krank vor Angst und Elend.
Irgendwann, mir kam es vor wie eine Ewigkeit, hörte erst das Brummen auf und dann das Schütteln. Meine Höhle wurde hochgehoben, schaukelte ein Weilchen und wurde wieder abgesetzt. Dann hörte ich den Schnauzbart rufen: „Sofie! Ich hab was für dich!“
„Was denn, Papi?“
Das war sie, die Stimme meiner zukünftigen Herrin. Aber, Mann, es war mir so was von egal. Ich hatte genug damit zu tun, nicht doch noch in die Höhle zu kotzen.
„Hier“, hörte ich den Schnauzbart. „Sieh selber nach. Aber sei vorsichtig.“
„Oh Papi! Ist das vielleicht …?“ Sofie verstummte und der Deckel meiner Höhle wurde aufgeklappt.
Da saß ich. Flach vor Elend wie ein Kakerlak und ins Helle blinzelnd wie ein schwachsinniges Frettchen.
„Ein Goldhamster! Oh Papi! Ist der aber süß!“
Gib dir keine Mühe, Mädel. Ich weiß, wie ich im Moment aussehe.
„Mami, komm! Sieh doch mal!“
Ich war noch immer geblendet, aber allmählich erkannte ich Einzelheiten. Da war der Schnauzbart. Und neben ihm stand Sofie. Sah nett aus. Blond war sie und roch nach frischen Sonnenblumenkernen, irgendwie gesund.
Und mir war so was von schlecht!
Dann tauchte jemand Neues auf. Auch blond, aber viel größer als Sofie. Und kein Geruch nach frischen Sonnenblumenkernen, eher nach zartem Lavendel mit einer Spur von herbem Kerbel.
„Mami, schau! Mein Hamster.“
Mami beugte sich über mich und der herbe Kerbel überwog. „Hm“, machte sie. „Der sieht mir aber nicht sehr munter aus. Eher, als wäre er krank.“
Bingo, Mami.
„Gregor, bist du sicher, dass du dich nicht hast übers Ohr hauen lassen?“
„Bin ich“, sagte der Schnauzbart, der also Gregor hieß. „Im Laden war der Bursche topfit.“
„Der hier ist es nicht“, sagte Mami. „Ihr wisst, dass ich sowieso meine Bedenken hatte. Aber auf keinen Fall möchte ich riskieren, dass so ein Tier Krankheiten hier einschleppt. Du solltest ihn zurückbringen, Gregor.“
„Nein, Mami!“, rief Sofie.
„Krankheiten einschleppen – Luise, ich bitte dich“, sagte Gregor. „Der wird schon wieder. Den hat die Autofahrt ein bisschen mitgenommen. Dafür müsstest doch gerade du Verständnis haben. Dir wird im Auto ja auch immer schlecht.“
Bravo, Gregor, gib’s ihr!
„Das ist ja wohl was anderes – aber bitte, tut, was ihr nicht lassen könnt. Nur eines sage ich euch: Wenn das Tier nicht spätestens morgen gesund und munter ist, bestehe ich darauf, dass es zurückgebracht wird.“
„Das wird sich finden“, sagte Gregor nur.
Sofie sagte nichts. Sie hob mich mit zur Röhre geformten Hand behutsam auf (genau richtig machte sie das), trug mich zu einem Käfig und setzte mich ab. „Jetzt schlaf erst mal“, sagte sie. Mehr nicht. Sie plapperte nicht, wollte nicht mit mir spielen, sondern ließ mich in Ruhe.
Ein außergewöhnliches Mädchen.
Schlapp und elend, wie ich mich fühlte, verzichtete ich vorerst darauf, den Käfig einer Inspektion zu unterziehen. Ich fand eine Höhle und rollte mich darin zusammen.
Ich wollte erst mal gründlich über alles nachdenken. Doch mir ging immer nur der eine Gedanke im Kopf herum: Gregor und Sofie okay, aber die Mami – o weh! Es war ein schlichter, aber zutreffender Gedanke, das sollte ich bald erfahren. Jetzt schlief ich ein.
Wenn ich nun von Urgroßmutter erzähle, könnte ich behaupten, das tue ich, weil ich von ihr geträumt hätte oder so was. Aber das wäre gelogen. Ich tu’s, weil es hier meiner Meinung nach am besten herpasst.
Urgroßmutter sagte oft zu mir: „Bub, mach keine Faxen.“ Was so viel hieß wie: „Junge, mache keine Faxen.“ Das sagte Urgroßmutter zu jedem Junghamster, der im Käfig herumturnte, aber sie meinte damit bei jedem etwas anderes. Zu mir sagte sie es besonders oft. Und meinte mit „Faxen“ meine ewige Fragerei. Denn ich war – ich erwähnte es schon – von Anfang an ein ziemlich ausgeschlafener Typ. Und so einer hat Fragen. Und kriegt für seinen Geschmack viel zu wenig Antworten.
Aber zu meinem Glück nahm mich dann Urgroßmutter unter ihre Fittiche, wenn ich das als Hamster mal so sagen darf.
Zum ersten Mal hatte ich mit ihr in der Saga-Stunde zu tun. Saga-Stunden gibt es in allen Käfigen, wo Junghamster leben. Eine alte Hamsterin erzählt ihnen die Saga. Das ist so was wie die Bibel der Goldhamster. Die wird von Generation zu Generation weitererzählt und in unserem Käfig machte das Urgroßmutter.