Dagmar Matten-Gohdes
Goethe ist gut
Ein Lesebuch
Gulliver 539
www.gulliver-welten.de
© 1982, 2006 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz • Weinheim Basel
Alle Rechte vorbehalten
Neue Rechtschreibung
Markenkonzept: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg
Einbandgestaltung: Max Bartholl
Einbandfoto: Milan Horacek – Bilderberg
ebook: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74145-5
Editorische Notiz
Goethe ist gut erscheint bereits seit vielen Jahren. Für die vorliegende Ausgabe wurde der Text durchgesehen und leicht überarbeitet; gegenüber der Originalausgabe entfielen einige Texte.
Autor:
Dagmar Matten-Gohdes, geboren 1939, ist in Duisburg aufgewachsen. Sie arbeitete viele Jahre lang an einer Schule. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Velbert. Sie veröffentlichte journalistische Artikel und Kindertheaterstücke. Bei Beltz & Gelberg erschienen auch die Lesebücher Heine ist gut, Schiller ist gut und Lessing ist gut.
Am 28. August 1749 kam Goethe in Frankfurt zur Welt.
Wie müssen wir uns die Stadt von damals, die noch von einer Stadtmauer umgeben war, vorstellen? Man denke sich die Vororte, die Hochhäuser und all die anderen modernen Gebäude weg und stelle sich die holprigen Pflasterstraßen ohne Autos und Straßenbahnen vor, dafür voller Kutschen und Wagen, von Pferden gezogen oder von Ochsen, wenn die Bauern ihre Waren in die Stadt brachten. Auf den schmutzigen Straßen mussten die Frauen ihre langen, weiten Röcke hochraffen, die kleinen Mädchen ebenfalls, denn damals steckte man die Kinder ja noch in unbequeme Erwachsenenkleidung – sogar Perücken trugen sie, wie die Erwachsenen, zu besonderen Anlässen. Wie kleine Erwachsene sahen sie aus. Johann Wolfgang genau wie alle anderen.
Das Schlittschuhlaufen im Winter wurde zu der Zeit große Mode, Goethe soll es besonders gut gekonnt haben, aber Radfahren konnte man noch nicht, das war noch nicht erfunden. Die Buchdruckkunst gab es aber schon, sonst wäre uns von Goethe ja nicht so viel erhalten geblieben.
In seinen Lebenserinnerungen, die den Titel »Dichtung und Wahrheit« tragen, erzählt er auch aus seiner Kindheit:
Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt … Durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für tot auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen brachte man es dahin, dass ich das Licht erblickte.
Dieser Umstand, welcher die Meinigen in große Not versetzt hatte, gereichte jedoch meinen Mitbürgern zum Vorteil, indem mein Großvater, der Schultheiß Johann Wolfgang Textor, daher Anlass nahm, dass ein Geburtshelfer angestellt und der Hebammen-Unterricht eingeführt oder erneuert wurde, welches denn manchem der Nachgeborenen mag zugute gekommen sein.
Leider starben früher sehr viele Kinder bei der Geburt oder in den ersten Kinderjahren; auch Goethe verlor mehrere Geschwister.
Wenn man sich erinnern will, was uns in der frühesten Zeit der Jugend begegnet ist, so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wir von andern gehört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigner anschauender Erfahrung besitzen. Ohne also hierüber eine genaue Untersuchung anzustellen, welche ohnehin zu nichts führen kann, bin ich mir bewusst, dass wir in einem alten Hause wohnten, welches eigentlich aus zwei durchgebrochenen Häusern bestand. Eine turmartige Treppe führte zu unzusammenhangenden Zimmern und die Ungleichheit der Stockwerke war durch Stufen ausgeglichen.
Für uns Kinder, eine jüngere Schwester und mich, war die untere weitläufige Hausflur der liebste Raum, welche neben der Türe ein großes hölzernes Gitterwerk hatte, wodurch man unmittelbar mit der Straße und der freien Luft in Verbindung kam. Einen solchen Vogelbauer, mit dem viele Häuser versehen waren, nannte man ein Geräms. Die Frauen saßen darin, um zu nähen und zu stricken; die Köchin las ihren Salat; die Nachbarinnen besprachen sich von daher miteinander und die Straßen gewannen dadurch in der guten Jahreszeit ein südliches Aussehen. Man fühlte sich frei, indem man mit der Öffentlichkeit vertraut war. So kamen auch durch diese Geräms die Kinder mit den Nachbarn in Verbindung, und mich gewannen drei gegenüber wohnende Brüder von Ochsenstein, hinterlassene Söhne der verstorbenen Schultheißen, gar lieb, und beschäftigten und neckten sich mit mir auf mancherlei Weise.
Die Meinigen erzählten gern allerlei Eulenspiegeleien, zu denen mich jene sonst ernsten und einsamen Männer angereizt. Ich führe nur einen von diesen Streichen an. Es war eben Topfmarkt gewesen, und man hatte nicht allein die Küche für die nächste Zeit mit solchen Waren versorgt, sondern auch uns Kindern dergleichen Geschirr im Kleinen zu spielender Beschäftigung eingekauft. An einem schönen Nachmittag, da alles ruhig im Hause war, trieb ich im Geräms mit meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen, und da weiter nichts dabei herauskommen wollte, warf ich ein Geschirr auf die Straße und freute mich, dass es so lustig zerbrach. Die von Ochsenstein, welche sahen, wie ich mich daran ergetzte, dass ich so gar fröhlich in die Händchen patschte, riefen: »Noch mehr!« Ich säumte nicht, sogleich einen Topf, und auf immer fortwährendes Rufen: »Noch mehr!« nach und nach sämtliche Schüsselchen, Tiegelchen, Kännchen gegen das Pflaster zu schleudern. Meine Nachbarn fuhren fort, ihren Beifall zu bezeigen, und ich war höchlich froh, ihnen Vergnügen zu machen. Mein Vorrat aber war aufgezehrt und sie riefen immer: »Noch mehr!« Ich eilte daher stracks in die Küche und holte die irdenen Teller, welche nun freilich im Zerbrechen noch ein lustigeres Schauspiel gaben; und so lief ich hin und wider, brachte einen Teller nach dem andern, wie ich sie auf dem Topfbrett der Reihe nach erreichen konnte, und weil sich jene gar nicht zufrieden gaben, so stürzte ich alles, was ich von Geschirr erschleppen konnte, in gleiches Verderben. Nur später erschien jemand, zu hindern und zu wehren. Das Unglück war geschehen, und man hatte für so viel zerbrochene Töpferware wenigstens eine lustige Geschichte, an der sich besonders die schalkischen Urheber bis an ihr Lebensende ergetzten.
Die alte, winkelhafte, an vielen Stellen düstere Beschaffenheit des Hauses war übrigens geeignet, Schauer und Furcht in kindlichen Gemütern zu erwecken. Unglücklicherweise hatte man noch die Erziehungsmaxime, den Kindern frühzeitig alle Furcht vor dem Ahndungsvollen und Unsichtbaren zu benehmen und sie an das Schauderhafte zu gewöhnen.
Wir Kinder sollten daher allein schlafen, und wenn uns dieses unmöglich fiel, und wir uns sacht aus den Betten hervormachten und die Gesellschaft der Bedienten und Mägde suchten, so stellte sich, in umgewandtem Schlafrock und also für uns verkleidet genug, der Vater in den Weg und schreckte uns in unsere Ruhestätte zurück. Die daraus entspringende üble Wirkung denkt sich jedermann. Wie soll derjenige die Furcht loswerden, den man zwischen ein doppeltes Furchtbare einklemmt? Meine Mutter, stets heiter und froh und andern das Gleiche gönnend, erfand eine bessere pädagogische Auskunft. Sie wusste ihren Zweck durch Belohnungen zu erreichen. Es war die Zeit der Pfirsichen, deren reichlichen Genuss sie uns jeden Morgen versprach, wenn wir nachts die Furcht überwunden hätten. Es gelang und beide Teile waren zufrieden.
Gewöhnlich hielten wir uns in allen unsern Freistunden zur Großmutter, in deren geräumigen Wohnzimmer wir hinlänglich Platz zu unsern Spielen fanden. Sie wusste uns mit allerlei Kleinigkeiten zu beschäftigen und mit allerlei guten Bissen zu erquicken. An einem Weihnachtsabende jedoch setzte sie allen ihren Wohltaten die Krone auf, indem sie uns ein Puppenspiel vorstellen ließ, und so in dem alten Hause eine neue Welt erschuf. Dieses unerwartete Schauspiel zog die jungen Gemüter mit Gewalt an sich; besonders auf den Knaben machte es einen sehr starken Eindruck, der in eine große lang dauernde Wirkung nachklang.
Wir hatten die Straße, in welcher unser Haus lag, den Hirschgraben nennen hören; da wir aber weder Graben noch Hirsche sahen, so wollten wir diesen Ausdruck erklärt wissen. Man erzählte sodann, unser Haus stehe auf einem Raum, der sonst außerhalb der Stadt gelegen, und da, wo jetzt die Straße sich befinde, sei ehmals ein Graben gewesen, in welchem eine Anzahl Hirsche unterhalten worden. Man habe diese Tiere hier bewahrt und genährt, weil nach einem alten Herkommen der Senat alle Jahre einen Hirsch öffentlich verspeiset, den man denn für einen solchen Festtag hier im Graben immer zur Hand gehabt, wenn auch auswärts Fürsten und Ritter der Stadt ihre Jagdbefugnis verkümmerten und störten, oder wohl gar Feinde die Stadt eingeschlossen oder belagert hielten. Dies gefiel uns sehr, und wir wünschten, eine solche zahme Wildbahn wäre auch bei unseren Zeiten zu sehen gewesen …
Solange die Großmutter lebte, hatte mein Vater sich gehütet, nur das Mindeste im Hause zu verändern oder zu erneuern; aber man wusste wohl, dass er sich zu einem Hauptbau vorbereitete, der nunmehr auch sogleich vorgenommen wurde …
Da nun also das Einreißen und Aufrichten allmählich geschah, so hatte mein Vater sich vorgenommen, nicht aus dem Hause zu weichen, um desto besser die Aufsicht zu führen und die Anleitung geben zu können: denn aufs Technische des Baues verstand er sich ganz gut; dabei wollte er aber auch seine Familie nicht von sich lassen. Diese neue Epoche war den Kindern sehr überraschend und sonderbar. Die Zimmer, in denen man sie oft enge genug gehalten und mit wenig erfreulichem Lernen und Arbeiten geängstigt, die Gänge, auf denen sie gespielt, die Wände, für deren Reinlichkeit und Erhaltung man sonst so sehr gesorgt, alles das vor der Hacke des Maurers, vor dem Beile des Zimmermanns fallen zu sehen, und zwar von unten herauf, und indessen oben auf unterstützten Balken gleichsam in der Luft zu schweben, und dabei immer noch zu einer gewissen Lektion, zu einer bestimmten Arbeit angehalten zu werden – dieses alles brachte eine Verwirrung in den jungen Köpfen hervor, die sich so leicht nicht wieder ins Gleiche setzen ließ. Doch wurde die Unbequemlichkeit von der Jugend weniger empfunden, weil ihr etwas mehr Spielraum als bisher und manche Gelegenheit, sich auf Balken zu schaukeln und auf Brettern zu schwingen, gelassen ward.
Hartnäckig setzte der Vater in der ersten Zeit seinen Plan durch; doch als zuletzt auch das Dach teilweise abgetragen wurde, und ungeachtet alles übergespannten Wachstuches von abgenommenen Tapeten, der Regen bis zu unsern Betten gelangte: so entschloss er sich, obgleich ungern, die Kinder wohlwollenden Freunden, welche sich schon früher dazu erboten hatten, auf eine Zeit lang zu überlassen und sie in eine öffentliche Schule zu schicken.
Johann Wolfgang und seine Schwester Cornelia hatten fast ausschließlich Unterricht bei Privatlehrern. In den ersten Schuljahren war es sogar der Vater, der sie unterrichtete. Goethe erzählt:
Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das, was ihnen selbst abgegangen, an den Söhnen realisiert zu sehen, so ungefähr, als wenn man zum zweiten Mal lebte und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte. Im Gefühl seiner Kenntnisse, in Gewissheit einer treuen Ausdauer und im Misstrauen gegen die damaligen Lehrer nahm der Vater sich vor, seine Kinder selbst zu unterrichten, und nur so viel, als nötig schien, einzelne Stunden durch eigentliche Lehrmeister zu besetzen …
Privatstunden, welche sich nach und nach vermehrten, teilte ich mit Nachbarskindern. Dieser gemeinsame Unterricht förderte mich nicht; die Lehrer gingen ihren Schlendrian, und die Unarten, ja manchmal die Bösartigkeiten meiner Gesellen brachten Unruh, Verdruss und Störung in die kärglichen Lehrstunden …
Der Lehrer war eine Stunde nicht gekommen; solange wir Kinder alle beisammen waren, unterhielten wir uns recht artig; als aber die mir wohlwollenden, nachdem sie lange genug gewartet, hinweggingen, und ich mit drei misswollenden allein blieb, so dachten diese mich zu quälen, zu beschämen und zu vertreiben.
Sie hatten mich einen Augenblick im Zimmer verlassen und kamen mit Ruten zurück, die sie sich aus einem geschwind zerschnittenen Besen verschafft hatten. Ich merkte ihre Absicht, und weil ich das Ende der Stunde nahe glaubte, so setzte ich aus dem Stegreife bei mir fest, mich bis zum Glockenschlage nicht zu wehren. Sie fingen darauf unbarmherzig an, mir die Beine und Waden auf das Grausamste zu peitschen. Ich rührte mich nicht, fühlte aber bald, dass ich mich verrechnet hatte und dass ein solcher Schmerz die Minuten sehr verlängert. Mit der Duldung wuchs meine Wut, und mit dem ersten Stundenschlag fuhr ich dem einen, der sich’s am wenigsten versah, mit der Hand in die Nackenhaare und stürzte ihn augenblicklich zu Boden, indem ich mit dem Knie seinen Rücken drückte; den andern, einen jüngeren und schwächeren, der mich von hinten anfiel, zog ich bei dem Kopfe durch den Arm und erdrosselte ihn fast, indem ich ihn an mich presste. Nun war der Letzte noch übrig und nicht der Schwächste, und mir blieb nur die linke Hand zu meiner Verteidigung. Allein ich ergriff ihn beim Kleide, und durch eine geschickte Wendung von meiner Seite, durch eine übereilte von seiner, brachte ich ihn nieder und stieß ihn mit dem Gesicht gegen den Boden. Sie ließen es nicht an Beißen, Kratzen und Treten fehlen; aber ich hatte nur meine Rache im Sinn und in den Gliedern. In dem Vorteil, in dem ich mich befand, stieß ich sie wiederholt mit den Köpfen zusammen. Sie erhuben zuletzt ein entsetzliches Zetergeschrei und wir sahen uns bald von allen Hausgenossen umgeben. Die umhergestreunten Ruten und meine Beine, die ich von den Strümpfen entblößte, zeugten bald für mich. Man behielt sich die Strafe vor und ließ mich aus dem Hause; ich erklärte aber, dass ich künftig, bei der geringsten Beleidigung, einem oder dem andern die Augen auskratzen, die Ohren abreißen, wo nicht gar ihn erdrosseln würde.
Die gemeinsamen Unterrichtsstunden wurden wieder seltener und hörten zuletzt ganz auf. Ich war also wie vorher mehr ins Haus gebannt, wo ich an meiner Schwester Cornelia, die nur ein Jahr weniger zählte als ich, eine an Annehmlichkeit immer wachsende Gesellschafterin fand.
Cornelia las er auch als Erster seine Gedichte vor. Die beiden folgenden schrieb er, als er sieben und zehn Jahre alt war:
Bei dem erfreulichen Anbruche des 1757. Jahres
wollte seinen
hoch geehrtesten und herzlich geliebten
Großeltern
die Gesinnungen kindlicher Hochachtung und
Liebe durch folgende Segenswünsche zu erkennen
geben deroselben treugehorsamster Enkel
Johann Wolfgang Goethe.
Erhabner Großpapa!
Ein neues Jahr erscheint,
Drum muss ich meine Pflicht und Schuldigkeit entrichten,
Die Ehrfurcht heißt mich hier aus reinem Herzen dichten,
So schlecht es aber ist, so gut ist es gemeint.
Gott, der die Zeit erneut, erneure auch Ihr Glück,
Und kröne Sie dies Jahr mit stetem Wohlergehen;
Ihr Wohlsein müsse lang so fest wie Zedern stehen,
Ihr Tun begleite stets ein günstiges Geschick;
Ihr Haus sei wie bisher des Segens Sammelplatz,
Und lasse Sie noch spät Möninens Ruder führen,
Gesundheit müsse Sie bis an Ihr Ende zieren,
Dann diese ist gewiss der allergrößte Schatz.
Erhabne Großmama!
Des Jahres erster Tag
Erweckt in meiner Brust ein zärtliches Empfinden
Und heißt mich ebenfalls Sie jetzo anzubinden
Mit Versen, die vielleicht kein Kenner lesen mag;
Indessen hören Sie die schlechten Zeilen an,
Indem sie wie mein Wunsch aus wahrer Liebe fließen.
Der Segen müsse sich heut über Sie ergießen,
Der Höchste schütze Sie, wie er bisher getan.
Bei diesem neuen Jahres Wechsel
überreichet
Seinen
Verehrungswürdigen
Großeltern
dieses Opfer
aus kindlicher Hochachtung
Johann Wolfgang Goethe
den 1. Jenner 1762
Großeltern, da dies Jahr heut seinen Anfang nimmt,
So nehmt auch dieses an, das ich vor Euch bestimmt,
Und ob Apollo schon mir nicht geneigt gewesen,
So würdiget es doch nur einmal durchzulesen.
Ich wünsch aus kindlichem gehorsamen Gemüte
Euch alles Glück und Heil von Gottes Hand und Güte,
Sein guter Engel sei bei Euch in aller Zeit.
Er geb Euch das Geleit in Widerwärtigkeit
Sowohl als in dem Glück, und lass Euch lang noch leben,
Dass Ihr Urenklen noch den Segen könnet geben;
Dies schreibt der älteste von Eurer Töchter Söhnen,
Um sich auch nach und nach zu denken angewöhnen,
Und zeigt ingleichen hier mit diesen Zeilen an,
Was er dies Jahr hindurch im Schreiben hat getan.
Wenn mich bis übers Jahr die Parzen schonen täten,
Wie gerne wollt’ ich denn mit fremder Zunge reden.
Johann Wolfgang erhielt einen gründlichen Schulunterricht. Er lernte Latein und Griechisch, später kamen Französisch, Italienisch und Englisch dazu. Er bekam Mathematik- und Geometrieunterricht und studierte eifrig die vielen Bilder, Landkarten und Reiseberichte aus der Bibliothek seines Vaters. Er lernte leicht und mit Interesse, aber ein Musterschüler war er nicht. Oft erschien ihm der Vater zu streng, besonders dann, wenn nach Erkrankungen alle versäumten Lektionen nachgeholt werden mussten!
Ein Heft von Schülerarbeiten Goethes ist bis heute erhalten. Darin steht auch dieses vom Vater ausgedachte »Colloquium« (Gespräch), das der neun- oder zehnjährige Johann Wolfgang ins Lateinische übersetzen musste:
Colloquium
Pater. Filius (Vater. Sohn)
Die beiden Geschwister bekamen auch Religionsstunden. Der trockene Unterricht des Pfarrers sagte Johann Wolfgang nicht zu, aber er liebte es, in der Bibel zu lesen. Später sagte er, dass er der Lektüre der Bibel einen großen Teil seiner Bildung verdanke.
Die ersten Zweifel an der Güte Gottes bekam der sechsjährige Goethe, als die Nachricht des schrecklichen Erdbebens von Lissabon auch in Deutschland bekannt wurde: