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Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: © Thomas Soyer
ISBN 978-3-7117-2084-9
eISBN 978-3-7117-5406-6
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Egyd Gstättner, geboren 1962, lebt als freier Autor in seiner Heimatstadt Klagenfurt. Ständige Publikationen in »Kleine Zeitung«, »Die Presse« und anderen österreichischen und internationalen Medien. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Im Picus Verlag erschienen unter anderem »Das Geisterschiff«, »Am Fuß des Wörthersees«, »Das Freudenhaus«, »Karl Kraus lernt Dummdeutsch«, »Wiener Fenstersturz« sowie »Die Familie des Teufels« (2018).
ES IST VERDAMMT HART,
EGYD GSTÄTTNER ZU SEIN
PICUS VERLAG WIEN
Jedes Einzelne, wenn es nur recht betrachtet wird, vertritt seine Gattung. Unter allen Gegenständen ist keiner so sehr uns zur Betrachtung nahe gelegt, als unser eigner Lebenslauf. Daher ist es wohlgethan, ja ganz nothwendig, sein eignes Leben, soweit es abgethan in der Vergangenheit vorliegt, häufig zu überdenken, jeden Theil desselben von allen Seiten zu betrachten, nicht nur jede Begebenheit, sondern auch jede Stimmung und Ansicht, die man dabei gehabt, zurückzurufen, längst abgethane Vorgänge nun mit ganz anderen Augen wieder zu betrachten, das Urtheil der Vergangenheit mit dem der Gegenwart zu vergleichen, den Vorsatz und das Streben mit dem Erfolg und der Befriedigung. Das ist das Repetiren des Privatissimum’s, als welches jedes individuelle Leben zu betrachten ist. Nur durch solche Rumination seiner Vergangenheit wird man aus seinem Leben allen Gehalt so ganz ausziehn wie die Berghütte den aus den Erz-Stufen zieht, und dann wird uns das eigne Leben das Wesen alles Lebens verstehen lehren, die Gattung vertretend.
ARTHUR SCHOPENHAUER
Die Welt als Wille und Vorstellung
Auf der Heimfahrt, den Kirchturm von St. Egyd im Blick, habe ich gedacht: Sollte ich entgegen meiner ursprünglichen Absicht, diese geheimen Aufzeichnungen mein Leben, mein Werk, mein Land, meine Stadt betreffend nur für mich zu machen, doch eines fernen Tages eine Veröffentlichung anstreben, dann müsste ich der Publikation folgendes Vorwort voranstellen:
Dieser Roman ist ein Roman. Also genau genommen ein Tagebuchroman. Also genau genommen ein Tagebuch. Aber das darf man unter gar keinen Umständen sagen. Schriftwerke über zweihundert Seiten sind Romane, sonst verkaufen sie sich nicht, das ist ein unumstößliches Gesetz. Natürlich sind einige der besten Romane Briefromane oder Tagebuchromane, also Briefsammlungen oder Tagebücher, und ob sie erfunden oder gefunden, das heißt real und echt sind, wenn kümmert das? Wahr müssen sie sein. Ein Beispiel müssen sie geben. Und im Heterogenen spiegelt sich das Authentische. Man darf nicht gleich einen Bauplan erkennen können, wenn es keinen gibt. Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen ist selbstverständlich! Das genaue Gegenteil von »rein zufällig und unbeabsichtigt«. Niemand schreibt ein Tagebuch, in dem die Ähnlichkeit mit den Menschen seiner Umgebung rein zufällig ist! Von Ähnlichkeit kann gar keine Rede sein: Ich bilde sie genau so ab, wie ich sie sehe, wahrnehme, empfinde! Von Identität kann man nur deswegen nicht sprechen, weil Literatur und Leben zwei verschiedene Medien sind. Natürlich könnte jede einzelne dieser Tagebuchromanfiguren, die ich bei ihrem richtigen Namen nenne, auf ihre Persönlichkeitsrechte pochen und Klage gegen mich einbringen. Sollen sie nur! Alle! Jeder Jurist und jeder Germanist weiß, dass das nur mir nützt! Klagen Sie ohne Weiteres, Betroffene! Die interessantesten Romane spielen im Gericht! Work in Prozess! Zwölf Geschworene? Zwölf Millionen hätte ich gern! Nein, nein, wenn diese Figuren, sofern noch am Leben, halbwegs bei Verstand und bei Trost sind, schweigen sie dieses Buch tot, so wie sie alle meine Bücher totgeschwiegen haben – in der irrigen Meinung, bloß weil sie es totschweigen, würde es nicht gelesen; in der irrigen Meinung, bloß weil sie es nicht lesen, existiere es nicht.
Jedenfalls ist dieser Roman ein Roman. Die Frage ist: Will ich mich auf das Politische konzentrieren oder lieber aufs Private? Als ich das abgelaufene Jahr nachgelesen habe, musste ich zu meiner Verwunderung feststellen, dass ich viel weniger politisch geschrieben habe als selbst vermutet: Die meisten Eckdaten des politischen Lebens habe ich nicht nur nicht kommentiert, sondern nicht einmal erwähnt. Ich kann mich nur an Ekel erinnern. Pornografische Stellen werde ich streichen, umbauen oder abmildern: Erstens sind die privat, zweitens hebe ich mir die für postum auf. Außerdem mache ich mich auf diese Weise gleich interessant. Man sollte schließlich auch noch einen Nachlass hinterlassen, der ein letztes Mal alle schockiert und »ein völlig neues Bild« zeichnet. Mal sehen.
So werde ich also starten. So oder so ähnlich.
(1. Jänner 2007) Noch fünf Jahre, vier Monate und vierundzwanzig Tage bis zu meinem fünfzigsten Geburtstag. An diesem fünfzigsten Geburtstag werde ich aus dem Fenster springen. Damit mir das gelingt, muss ich bis dahin aber gut auf mich aufpassen. Jetzt habe ich einmal das Jahr wechseln müssen. War schwer.
Gestern: Silvesterstimmung auf dem Alten Platz: Eine Indianerband macht auf ethno. Die Italiener shoppen, die Slowaken betteln. In den Auslagen der Geschäfte die neuesten technischen Geräte: außerhalb meines Lebens. Nicht weil ich sie mir nicht leisten könnte. Weil ich sie nicht einmal in Betrieb nehmen, bedienen könnte und auch keine Ahnung habe, wozu sie gut sind. Mit vierundvierzig kann man schon ganz schön neben dem Leben stehen. Aber ich bin ja immer schon neben dem Leben gestanden. Das Leben hat sich grundlegend geändert – und ich stehe immer noch daneben. Das ist – wenigstens bis auf Weiteres – der Vorteil von Kleidergeschäften und Boutiquen: Man kann für Kleider – wenigstens bis auf Weiteres – nicht zu dumm sein. Wenn man als Kind einmal gelernt hat, sich anzuziehen, bleibt einem diese Fähigkeit für das ganze weitere Leben.
Der letzte Briefkasten ist weg! Einfach aus der Hausfront herausgerissen. Kein Vandalenakt, ein Update. Nach der öffentlichen Uhr, der öffentlichen Telefonzelle, der öffentlichen Abfallinsel ist auch der letzte Ort öffentlicher Gemeinsamkeit Vergangenheit geworden und verschwunden. Das Abseits weitet sich aus. Mein Abseits jedenfalls.
Silvesterabend und Jahreswechsel bei Wittgensteinwolfi in seinem Landhaus in Kuhdorf. Erster Versuch eines zaghaften Winters. Ist das noch Raureif oder schon Schnee? Endlich wieder einmal den Donauwalzer vermieden: Gleich die erste Regel eines neuen Jahres friedlich gebrochen: Heureka! (Auf Finnisch bedeutet heureka juhu!) Zu Mitternacht sind wir auf die Straße hinaus, haben in den Auto-CD-Player M. A. Numminen eingelegt, der Wittgensteins Tractatus vertont hat und singt, anstelle des Donauwalzers grölen wir »Die Welt ist alles, was der Fall ist« und tanzen den Wovon-man-nicht-sprechen-kann-darüber-muss-man-schweigen-Tango.
Wieder im Haus dreht Wittgensteinwolfi ohne Grund das Radio an, und die erste Meldung des neuen Jahres lautet: In der Silvesternacht ist ganz plötzlich die Innenministerin an den Folgen eines Aorta-Risses gestorben. Auch sie hat also diesmal – anders als ihre Untertanen – keinen Donauwalzer getanzt. Sie ist – wie Unamuno – im Notarztwagen gestorben, als ringsum schon Freudenraketen, Feuerwerke gezündet wurden.
Diese Nachricht habe ich gerade gebraucht! So wie alle anderen Nachrichten. Tags darauf legt die Zeitung (legen alle Zeitungen) ihrer Neujahrsausgabe eine Seite aus dem Medizinlexikon bei: schöne Skizze des Herzens (der Ministerin?) mit allen Arterien und Venenwegen und genauester Beschreibung des ministeriellen Krankheitsverlaufs und ministeriellen Todes. Natürlich soll man von anderen auf sich schließen! Auch ich habe ein Herz! Auch ich habe eine Aorta! Auch meine könnte jederzeit reißen, jederzeit platzen … Wenigstens bin ich schon jetzt auch nicht nur annähernd so gesund, wie die Ministerin bis wenige Stunden vor ihrem Tod war.
Zwei Tage nach ihrem Tod schon das erste große Exklusivinterview mit ihrem Gatten über »sein Leben nach ihrem Tod«: Wie gesund sie war, wie sie an allen Ecken und Enden fehlt.
Sobald ich es mir leisten kann: alle Abos kündigen, alle Zeitungen wegwerfen! Nie wieder in eine hineinschauen! Alle Medien meiden wie die Pest! Aber das wäre eine Art Selbstmord.
Bei meinem Nachbarn Erik Alex Widner getroffen. Der hat mir sein neues Buch in die Hand gedrückt, das noch gar nicht auf dem Markt ist. Alex lebt jetzt seit über einem Jahr in New York in einem Haus mit lauter russischen Juden. Juden können einem auch auf die Nerven gehen, sagt er, wenn das Flugzeug nicht starten kann, bloß weil fünfzehn Juden wegen irgendwelcher religiöser Vorschriften eine Stunde lang keinen geeigneten Sitzplatz finden – und sich immer wieder umsetzen müssen. Seine Sätze: »Menschen sind scheußlich in der Mehrheit.« Und zur Todesstrafe: »Ich habe viel Verständnis für Rache.«
Neue Regierung. Irgendwelche lächerlichen und unerheblichen Figuren, wie gehabt. Außerdem maximal paradox positioniert. Werde sie nicht auswendig lernen. Kein Thema.
Den Carlo Michelstaedter zum Buchbinder getragen. Ist mir also doch noch eine Frucht gewachsen! Aber jetzt dauert es noch einmal zwei Jahre, bis Marmelade daraus geworden ist. Urplötzlich wieder das Gefühl, als stürzte mir bei lebendigem Leib das Gesicht zusammen und fiele in den Kopf hinein.
Mit der Wedekind-Biografie von Günter Seehaus fertig geworden. (Eine schon ziemlich staubige Angelegenheit!) Ein wichtiger Gedanke zum Hofnarrentum: Dem Narren ist nur Detailkritik erlaubt (für die liebt man ihn mitunter), nie aber Grundsatzkritik. (Die kostete ihn die Existenz.)
Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich … Niemand braucht mich, niemand will etwas von mir, und genau genommen will ich auch nichts mehr geben. Ich kann es mir nur nicht leisten. Gähnende Leere im Postfach, gähnende Leere im Outlook Express, Stille rund um das Telefon.
Längst ist die Schlussredaktion für ein neues Buch für heuer verabredet. Aber jetzt schweigt der Verleger über eine Woche. Eigentlich ist er gar nicht der Verleger, sondern der Cheflektor eines Verlags, von dem sich schwer sagen lässt, wer wirklich der Verleger ist, nachdem der alte Verleger Rainer Lendl mit Jahresende in Pension gegangen ist. Auf meine Urgenz hin erklärt David Axmann sein Schweigen mit »wie soll ich es unverfänglich genug sagen? – internen Problemen, die hoffentlich noch in diesem Monat gelöst werden können. Von dieser erhofften Lösung hängt nämlich sehr viel, wo nicht gar alles ab. Deutlicher kann und will ich jetzt nicht werden. Jedenfalls verspreche ich Ihnen, mich nach erfolgter Lösung sofort zu melden.«
Wie oft war ich in meinem Leben schon in einer solchen Situation! Wie oft zwischen Sein und Nichtsein! Wie oft ich solche Worte schon gehört habe! Jetzt bin ich mittelalt – fünfundvierzig Jahre – und es ist noch immer dasselbe. Ich habe es so satt!
Ich war so unvorsichtig, in meinem Frühwerk zu stöbern und bin nun ehrlich schockiert. Nichts als Plattitüden, Nichtigkeiten, Schwachsinn. Kalauerplage, Wortwitzwüste. Vergessen! Verdrängen! Nur weg damit!
In allen Zeitungen wird dieser Tage groß Werner Schneyders siebzigster Geburtstag gefeiert – und auch ich sollte ihm gratulieren – ganz aufrichtig – hätte ich bloß nicht seine Adresse verwurstelt. Bei Gelegenheit also.
In den Zeitungen sieht man den Jubilar mit Prominenten und Mächtigen abgebildet – vom Bundespräsidenten abwärts. Und Peter Turrini ist selbstverständlich mit dabei. Einerlei. Die Zeitungen fragen sich, wie ein so kritischer Mensch doch so viele Freunde haben kann. Also, das frage ich mich auch: Ich fürchte, bei meinem siebzigsten Geburtstag – falls ich den erlebe: eher nicht – werde ich mutterseelenallein sein und mich sehr grämen. Aber in einer Prominentenmasse würde ich mich noch mehr grämen. Und grausen. So oder so schlechte Aussichten.
Die Zeitung stellt Mutmaßungen darüber an, warum Werner Schneyder so wichtig ist und befragt dazu die Prominenten, die irgendwelche Plattitüden und Höflichkeiten vom Stapel lassen, ganz zum Schluss die wunderbare Marion Mitterhammer, mit der Schneyder gerade auf der Bühne steht. (Ach, mit der würde ich auch gern irgendwo stehen, lieber noch hinter als auf der Bühne, und lieber noch heute als in sechsundzwanzig Jahren. Aber ich sitze bloß beim Friseur. Ein prominenter Mächtiger (Banker) setzt sich nebenan und grüßt freundlich, aber das Einzige, was er wissen will, ist, »wo Frau Wegscheider geblieben« ist. Beim Herrenfriseur!!)
Wichtigkeit: Mir fällt aber auch ein, dass ich mit Werner Schneyder vor etwa drei Jahren nach einem gemeinsamen Leseabend in der Wirtschaftskammer beisammengesessen bin und lang geplaudert habe: Da ist er mir sehr verloren vorgekommen. Über Antonio Fian hat er sich geärgert, weil der ihn grundlos und grotesk angeschüttet hat. Über das Klagenfurter Musil-Institut hat er sich geärgert, wo er lesen wollte und sich angetragen hat, aber die längste Zeit nicht einmal eine Antwort bekommen hat. Über seinen Verlag hat er sich geärgert, der seine Bücher kaum noch verkaufte und auch keine neuen Bücher machen wollte. Gar kein Verlag wollte sich finden. »Ich bin am Markt«, sagte Werner damals. Das bedeutete: »Ich bin verlassen und allein.« Aber mit siebenundsechzig ist man eben nicht siebzig. Was wird in drei Jahren sein, wenn er dreiundsiebzig ist?
Abends im Stadttheater Tschechows Onkel Vanja im Turrini-Tonhof-Bühnenbild vom letzten Jahr. Pflegerls letzte Inszenierung, vielleicht überhaupt seine letzte: Er ist schwer krank, vom Krebs gezeichnet. Vor sechs Jahren in seinem Büro antwortete er auf meine Frage, ob ich rauchen dürfe: »Du wirst halt vor mir sterben.«
Der letzte Tschechow wurde in Klagenfurt vor zwölf Jahren gegeben, 1995, Drei Schwestern. Eine der Hauptrollen, wenn auch freilich keine der drei Schwestern, hatte Toni Böhm. Er hat mir Premierenkarten besorgt, und bei der Premierenfeier (im Michelangelo) haben wir über Schopenhauer gesprochen, den er der Emmy Werner ans Herz gelegt hatte. Ein halbes Jahr später fand die Premiere im Volkstheater in Wien statt – auch wenn nicht Toni Böhm selbst, sondern Thomas Stolzeti gespielt hat. Und wie! Ein Glücksfall!
Letztes Jahr im Sommer ist Toni Böhm ganz plötzlich gestorben, in einem Hotelzimmer in Reichenau an der Rax. Tschechow und das ewige Abschiednehmen, das Abschiednehmenmüssen und Nichtabschiednehmenkönnen … Ja, was ich eigentlich sagen wollte: Ich bin heute fast auf den Tag genauso alt, wie Tschechow war, als er starb. Das ist mehr als ein bloßes Zahlenspiel. Das heißt für einen Autor etwas. Was hat man erledigt? Was gäbe es noch zu erledigen …
(29. Jänner) Endlich, endlich hat David Axmann angerufen: Es geht also doch weiter, jedenfalls mit mir, dem »Einser-Autor« des Verlags. Prosaband im Herbst wie ausgemacht. Aber eben sparen, wo es nur geht. Eigentlich wollte man den Verlag zudrehen, gemeinsam mit der Pensionierung von Lendl.
(31. Jänner) In der Nacht hat mein Kind vierzig Grad Fieber. Ira ist neun. Das Fieber lässt sich nicht senken. Besteht Lebensgefahr? Selbsttötungsgedanken. Unangenehm, noch immer keinen Revolver zu haben. Eine Szene schreiben, wie Sándor Márai zur Polizei geht und Schießunterricht nehmen will. Wo genau setze ich an, Herr Inspektor?
Wie viele Tabletten braucht man zum Whisky? Reicht eine Packung Xanor? Würde das funktionieren? Und wie nimmt man den Tod ein? Zuerst den Whisky, dann die Tabletten? Oder zuerst die Tabletten, dann den Whisky? Alles visualisieren! Ich stelle mir den Moment nach der Einnahme vor, den ersten Augenblick der Endgültigkeit: Ich habe mir den Tod gegeben. Jetzt muss ich den Tod nehmen, unwiderruflich. Wie wird es mir da gehen, wenn es kein Zurück mehr gibt? Werde ich vorbereitet sein? Gelassen? Zufrieden? Oder werden Panikattacken kommen? Gut vorbereiten! Alles durchdenken!
(7. Februar) Wieder einmal eine meiner Glossen nicht erschienen, ohne Angabe von Gründen, ohne irgendeine Erklärung. Wahrscheinlich ein Inserat. Erfolglosigkeitsdepression. Niemand ist unersetzbar. Aber selten ist jemand so ersetzbar wie ich.
(8. Februar) Erste Recherchefahrt nach Friesach, Stadtmuseumsbesichtigung und Spaziergang mit Helga Steger. Es gibt florierende und verlierende Städte. Friesach ist eine verlierende Stadt. Eines gibt es in Friesach: Mittelalter. Und in Friesach sagt man zum Mittelalter nicht Retro-Event, sondern wirklich Mittelalter. Es gibt das Domikinanerkloster, die Petersburg, die Burgfestspiele, eine fast gänzlich erhaltene mittelalterliche Stadtmauer, einen Stadtgraben, einen Pranger. Internetzugang gibt es auch in Friesach, und wenn man in die Suchmaschine den Begriff »Pranger« eingibt – aber ich greife vor.
Durch das Internet ist Friesach an jeden anderen Ort auf der ganzen Welt angeschlossen, mit allen Menschen überall auf der Welt verbunden. Aber wenn man den PC ausschaltet, die paar Stufen hinuntersteigt und vors Haus tritt, ist man wieder in Friesach, auf dem Hauptplatz von Friesach, vor dem Metnitztalerhof, dem Friesacherhof, dem Weißen Wolf, dem Goldenen Anker, und wenn man jemanden trifft, dann Friesacherinnen und Friesacher.
Was ich sehe, kann noch nicht alles sein. Es muss ein Dahinter geben. Ich stelle mir vor: Es gibt in dieser Stadt ein großes Geheimnis. Alle Stadtbewohner kennen es, alle wissen Bescheid. Aber niemand sagt auch nur ein Wort, schon gar nicht einem Fremden gegenüber. Wer das Geheimnis der Stadt verrät, hätte mit den allerschlimmsten Folgen zu rechen. Niemand tut es. Niemand denkt auch bloß daran. Ein Fremder prallt gegen eine Mauer des Schweigens.
Ich möchte etwas schreiben, was hier spielt.
(11. Februar) P. H.: Achtzig Seiten Dampf (meinetwegen genauestens beobachteter Dampf), dann immerhin zwei Seiten ein ganz brauchbares Weltgericht, und danach noch einmal achtzig Seiten Dampf. Und wie schon bei einer Lektüre vor Jahren das Gefühl, die Überzeugung: Stammte er von einem unbekannten Autor, einem Noname, einem Debütanten, kein Lektorat der Welt hätte diesen Text angenommen.
(13. Februar) Ein zehnjähriges Mädchen wird auf dem Schulweg entführt und acht Jahre in einem Keller eingesperrt. Sehr unterhaltsam. Seeehr unterhaltsam.
Ein langhaariger Sozialminister geht zum Friseur. Sehr unterhaltsam. Seeehr unterhaltsam. Showmasternder Polizist kritisiert skifahrenden Maurer. Skifahrender Maurer schlägt zurück. Sehr unterhaltsam. Seeehr unterhaltsam.
Psychisch kranke Juristin lässt drei Kinder verwahrlosen. Sehr unterhaltsam. Seeehr unterhaltsam.
Eine Erzählung, in der jedes Kapitel, vielleicht jeder Absatz mit den Worten beginnt: Es hat noch nicht geschneit. Oder: Noch hat es nicht geschneit. Oder: Noch ist kein Schnee gefallen. Noch ist der erste Schnee nicht gefallen.
Eine Erzählung, in der jedes Kapitel, vielleicht jeder Absatz mit den Worten beginnt: Die Sonne scheint. Es ist schön. Der Himmel ist blau. (Sodass der erzählte Alltag dazwischen immer gespenstischer wird.) Die Sonne geht nicht mehr unter (so wie in der Politik, in der Werbung, in den Medien): Sie hat sich irgendwie im Himmel verheddert und kommt nicht mehr weiter.
(16. Februar) Aufgewacht, die Augen gerieben und wieder gerieben und mit dem linken Auge alles nur noch verschwommen gesehen. Schwarze Punkte im Blick. In der Augenambulanz fanden die modernsten Apparate inklusive Augenärztin keine Erklärung. Zwei Tage später war die Sicht ebenso über Nacht wiederhergestellt, drei Tage später wieder behindert. Und alles unerklärt und ohne Zutun und Ursache. Was ist Lebensführung? Was ist Medizin? Mythen …
(17. Februar) Die zwei Tage Winterurlaub im Gitschtal hätte ich mir sparen können. Was nützt die prächtigste Winterlandschaft und das herrlichste Sonnenwetter, wenn Schnee und Eis gatschig weich sind: Auf der Gartnerkofelabfahrt stecken geblieben. Im Weißensee stecken geblieben. Seenot, Bergnot – und dann auch noch die Augennot. Bleiben im positiven Bereich nur das Beef Tatar im Lerchenhof, Wittgensteinwolfis Landhaus in Kuhdorf und ein Blick in die Zeit. Jede Wette, dass dieses Exemplar der Zeit das einzige im ganzen Bauernerholungsdorf ist. Jede Wette, dass Wittgensteinwolfi der einzige Mensch im gesamten Gitschtal ist, der sich mit der Frage beschäftigt, ob Ulrich Greiner recht mit seiner abschätzigen Analyse bezüglich Wilhelm Genazino hat. Eine äußerst sinnlose Beschäftigung, zugegeben.
(20. Februar) Fasching. Endlich aus seiner Rolle ausbrechen, wunderbar! Die Hässlichen mögen doch endlich als Schöne gehen, die Armen als Reiche. Die Kranken mögen endlich als Gesunde gehen, die Toten als Lebende.
(23. Februar) Der Redakteur M. aus Graz hat mit den Worten »Ich habe eine schlechte und eine schlechte Nachricht für Sie. Welche wollen Sie zuerst hören?« angerufen und mich gebeten, ihm für das Wochenende einen anderen »Anpfiff« zu schicken. Den über Stronach, Mateschitz und Assinger, den ich ihm geschickt habe, kann er nämlich leider nicht bringen. Gut finde er ihn schon, aber jetzt, wo sich die Zeitung nach langen Jahren und vielen Querelen mit diesen Herren arrangiert habe und man einander gut verstehe, stehe es nicht dafür … die Herren seien nämlich sehr empfindlich und würden sich solche Kritik merken et cetera …
Außerdem teilte mir M. in diesem Telefonat mit, dass der »Anpfiff« zusammen mit der Sonntagsbeilage Leben extra mit Anfang März eingestellt wird. »Das hat Ihnen noch gar niemand gesagt?« Dass das Unangenehme immer an ihm hängen bleibt! »Also dann …« Es gebe eine neue Sonntagsbeilage, mehr Serviceleisten und so, und da habe Satire keinen Platz mehr und passe irgendwie auch nicht mehr ins Konzept … Vielleicht findet man ja andere Verwendung für mich, der Chefredakteur wird sich melden, ist aber gerade auf Urlaub … Wenn das keine Mordsdepression gibt!
Ein Anruf genügt und ich bin unter dem Existenzminimum. Fünfundvierzig Jahre, fünfzehn Bücher, tausend Publikationen, ein Herzinfarkt, tausend Nebenwirkungen, tausend Leiden – und ich stehe wieder vor dem Nichts! Das habe ich notwendig gehabt.
Wie war das früher? Da hab ich auch keine fixe Kolumne gehabt und mich trotzdem durchgeschlagen. Und gar nicht schlecht. Ja, aber ich war jünger und kräftiger, und ich hatte mir andere Einkommensquellen erschlossen, die alle ohne mein Zutun versiegt sind: Eine Literaturzeitschrift nach der anderen ist eingegangen, ein Verlag nach dem anderen. Das Radio ist ein Flächenradio geworden, macht nur noch »Geräusch« (Zitat: Der Landesdirektor) und hat die Literatur aufgegeben. Der Redakteur der Stuttgarter Zeitung, der mich geholt hat, hat die Stuttgarter Zeitung verlassen. Damit war auch ich weg. Dasselbe mit Achim Zons in der Süddeutschen, in der ich ein Jahrzehnt lang publiziert habe. Sein Nachfolger Alexander Gorkow nimmt noch gelegentlich Texte, aber nur alle zwei Jahre: Das ist kein Leben. Gut, was will einer, der in Klagenfurt lebt! Detto die Furche: Mit Klauhs, Boberski, Krassnitzer konnte man arbeiten. Mit Cornelius Hell ist alles fürchterlich mühsam und das meiste unmöglich. Alles hängt von Personen ab. Und alles zerfällt.
Seit fünfzehn Jahren hatte ich im Schnitt zwanzig Lesungen pro Jahr: Heuer ist nicht eine einzige vereinbart: Wie verhext! Wie abgerissen! Amalthea, ohnehin kein wirklich faszinierender Verlag, eine Kaiserin-Sisi-Verlautbarungsstelle, dessen Verlagsräumlichkeiten auch wie Sisi-Schlafgemächer aussehen, wo ich aber in den letzten zehn Jahren immerhin vier leidlich erfolgreiche Satirebände gemacht habe, habe ich letzten Juli ein neues Manuskript geschickt. Im Dezember hat man zuerst einen Termin mit mir verschwitzt, dann stellte sich heraus, dass das Manuskript verwurstelt war. Ich habe es noch einmal geschickt und bis heute nichts gehört. So behandelt man einen österreichischen Autor …
Auf der Suche nach einem Umschlagmotiv für Meine besten Niederlagen habe ich aus Legosteinen ein Haus gebaut, auf den Dachgiebel eine Playmobilfigur als Selbstmörder gestellt und das Szenario von allen Seiten fotografiert. Aber es schaut nicht gut aus.
(24. Februar) Habe das Legohäuschen mit dem Legoselbstmördermännchen auf dem Dach gestern Abend im Wohnzimmer vergessen. Heute beschwert sich Herta. Sie will nicht, dass die Kinder so etwas sehen.
Gevatter Relaunch schlägt ja seit ein paar Jahren jedes Jahr zu. Am Anfang gab es noch »Zeit für ein Gedicht« (von Rilke und Ringelnatz, Mörike und Morgenstern, Bachmann und Wedekind und Hofmannsthal). Die »Zeit für ein Gedicht« wurde ersetzt durch die Rubrik »Moment Bitte«, eine spontane Telefonanfrage bei Prominenten, was sie gerade machen, sehen, essen et cetera, eine »Hallo wie geht’s«-Geschichte also, die wiederum einem Pro- und Kontraspielchen zweier Hausredakteure weichen musste: Pro und Kontra Faschingskrapfen, Pro und Kontra Vogelhäuschenbasteln, Pro und Kontra lange Unterhosen, Pro und Kontra Ohrenschützer …
Ich habe all das neben mir Stehende überlebt. Einmal bin ich aus Kostengründen auf die Hälfte gekürzt worden, ein anderes Mal wurde mein Porträt durch eine Karikatur von mir ersetzt. Und jetzt bin ich eben an der Opfer-Reihe.
Beim Frühstück sehe ich: Der Kulturchef der Zeitung interviewt zum zweiten Mal binnen einer Woche Armin Assinger. Diesmal rühmt er im Interview dessen »beeindruckende Lockerheit«. Tja, und da kann der Satiriker einen Tag später natürlich keine Satire schreiben, in der er sich über den beeindruckend Lockeren lustig macht. Drei Tage später bewundert der Kulturchef der Zeitung den neuen Handke. Was für ein Begeisterungsspagat! Und genau diese unseligen Philister kommen dann bei jeder Gelegenheit ganz ungeniert mit dem unseligen Bachmannsatz daher. Wie oft sind mir solche Haltungslosigkeiten aufgestoßen in den letzten Jahren! Wie oft habe ich geschwiegen – aus Loyalität, Opportunismus, Ohnmacht. Doch: aus Ohnmacht hauptsächlich. Bezahlte Ohnmacht, zugegeben. Ist Schweigen verwerflich, wenn man weiß, dass einem, noch bevor man etwas sagen kann, der Ton abgedreht wird?
Viele sagen, was ihnen passt – aber eben ohne jede Reichweite. Reden, ohne dass einem irgendwer zuhört: Ist das nicht auch eine Art Schweigen? Die Alternative zu bezahlter Ohnmacht ist unbezahlte Ohnmacht.
(25. Februar) Ohne Xanor geschlafen: kaum und schlecht geschlafen. Zwei Träume: ein Flugzeugabsturz bei St. Veit (mit mir an Bord. Bruchlandung auf einem Sportplatz, dann Traumriss). Und der Sportreporter Peter Elsner beschwert sich über die katastrophalen Zustände bei mir daheim in der Toilette.
(26. Februar) Samo Kobenter hat angerufen und wir haben länger miteinander geplaudert. Hat gutgetan. Er hat mir von einer ganz schlimmen Kritik Michael Scharangs im Spectrum über Ronald Pohl erzählt, der Theaterkritiker beim Standard ist (wir sind vor Jahren einmal im Café Raimund gesessen) und sich jetzt als Romancier bei Droschl versucht hat. Eine Vernichtung. Eine völlige Vernichtung.
Ich hab es nachgelesen: Tatsächlich, das war die vernichtendste Kritik, die ich je gelesen habe, wenn auch – gemessen an den Pohl’schen Originalzitaten – vielleicht nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Aber mit so viel Schaum vorm Mund soll man nicht rezensieren. Und man muss ja wegen eines Buches nicht gleich eine ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen. Ich stelle mir vor:
Die Nachrichten. Graz. Graz existiert nicht mehr. Niedergebombt und bis auf die Grundmauern abgebrannt Literaturhäuser und Verlagsanstalten. Zwischen vereinzelten Glutnestern die Leichenhaufen goutierend reitet im Trab zufrieden schmunzelnd und leise »Ceterum censeo« pfeifend Generaloberst Scharang und denkt sich: Jetzt kennt man mich! Jetzt hat man mich kennengelernt! Schade eigentlich, dass niemand mehr da ist …
(28. Februar) Mein Chefredakteur hat aus dem fernen Graz angerufen, sich für sein langes Schweigen entschuldigt (man sei »Last-minute-Erotiker«; Originalzitat) und mir anstatt des »Anpfiffs« eine Kolumne auf der Medienseite angeboten. Ich habe freie Hand, könne ruhig auch hintergründig sein. Was er nicht gesagt hat (das tut die Sekretärin tags darauf): Ich habe nur noch tausend Zeichen zur Verfügung, knapp die Hälfte des bisherigen. Insgesamt bin ich in den letzten drei Jahren von dreitausend auf tausend Zeichen gekürzt worden – das sind sechsundsechzig Prozent. Tausend Zeichen, das sind bei mir drei Sätze. Welch enormen Hintergrund kann man in drei Sätzen entwickeln?
Fernsehkritiker! Ich Fernsehkritiker! Das mir! Journalist ist bekanntlich einer, der seinen Beruf verfehlt hat. Und wenn er nicht einmal Journalist, sondern bloß Schriftsteller ist, und auch innerhalb des Journalismus mangels brauchbaren Expertentums und mangels hausinterner Lobby für nichts zu verwenden ist, dann heißt das Gnadenbrot: Fernsehkritik. Zugegeben: Ich war die Erfindung des jetzigen Chefredakteurs. Aber ich war und bin ein Fremdkörper: Ich habe das Haus, für das ich schreibe, nie gesehen, ebenso wenig auch nur einen einzigen Mitarbeiter. Ich lebte und lebe hundertfünfzig Kilometer entfernt. Und auch ein Chef wird mürbe gegen hundert Naserümpfer, die tagtäglich die Nase rümpfen.
Was habe ich getan? Gezürnt? Empört abgelehnt? I wo. Devot zugesagt. Dankbar. Denn die Alternative wäre gewesen: gar nichts. Und der Gang in die Donau. In die Mur wäre ich so oder so nicht gegangen. Die Genugtuung hätte ich ihnen nicht verschafft. Was jetzt erscheint, ist also nur noch die lächerliche Wortspende zur Grundsicherung eines jämmerlichen Schriftstellers.
(5. März) Beim Neurologen zwecks Vereinbarung eines Termins angerufen. Die Sprechstundenhilfe fragt, worum es denn gehe. Ich sage, dass würde ich gern dem Doktor sagen. Was mir denn fehle, fragt sie? Das würde ich eben gern vom Doktor erfahren.
Man sei ausgebucht, und man mache keine Gesprächstherapie, sagt sie. Ich will keine Gesprächstherapie, ich will eine einmalige Untersuchung. Worum es denn gehe, man werde mein Anliegen vertraulich behandeln, sagt die Frau am Telefon, deren Stimme ich zum ersten Mal höre, die ich nie gesehen habe, von der ich nicht einmal den Namen kenne.
Es ist unfassbar. Krank darf man nicht sein, wenn man einen Arzt braucht.
Ein Redakteur von den Salzburger Nachrichten hat sich gemeldet. Und was will er? Etwas über Kärnten. Über den Sonderfall Kärnten …
(18. März) Ein Tag in Rovinj, genau genommen bloß ein paar Stunden und eine Übernachtung. Rovinj, das schönere Venedig, mein Venedig, und auch fast doppelt so weit entfernt. Gerade recht für einen Sehnsuchtsort. Im Hotel Park auf der Terrasse sitzen, auf den Ort schauen, auf die schwimmende Inselstadt, nur ja nicht ans Schreiben denken. Nicht an mich, nicht an zu Hause, nicht an die Zeitung, nicht ans Sterben. An gar nichts. Blauer Himmel, blaues Meer, bunte Häuser, die heilige Euphemia auf der Kirchturmspitze, eine Fischplatte, eine Nusspalatschinke, ein Glas Wein, ein Zigarillo.
(16. April) Der Landeshauptmann belehrt unsere Jugend: Du musst nicht gut sein. Du musst nichts leisten. Du musst nichts können. Du musst bloß reich sein und dich mit dem fusionieren, was du gerne hättest. Du musst nicht siegen. Du musst es dir richten. Lieber reich und gesund als arm und krank: Wer könnte dagegen etwas haben?
Ein »Nicht genügend« geschrieben? Fusioniere dich einfach mit einem »Sehr gut« und gib ihm drei Lollis. In der sechsten Klasse durchgefallen? Fusionier dich einfach mit einem Siebentklässler und gib ihm dreihundert Lollis. »Man muss das nüchtern betrachten« (Manfred Mertel): Wenn der Läufer nicht ins Ziel kommt, dann muss das Ziel eben zum Läufer kommen. Warum nicht? Ist doch eine »Rieseng’schicht« (Constantini). Ein »Volltreffer« (Bürgermeister Scheucher). Straffällig geworden? Verurteilt worden? Einfach mit dem Justizminister fusionieren! Bei der Gelegenheit sollte man übrigens den Ablasshandel dringend wieder einführen. Wo kommen wir denn da hin, wenn man sich von seinen Sünden nicht mehr freikaufen kann?
Krank? Kein Problem! Einfach mit einem Gesunden fusionieren (und ihm gegen Bares die Krankheit überlassen). Tot? Einfach mit einem Lebenden fusionieren! »Das würde die Stimmung sofort heben« (Roland Kollmann). Haider macht’s möglich.
Warum sollte es in der Kultur anders sein? Ich fahre jetzt nach Mailand und fusioniere mich mit Umberto Eco. In seinem letzten Buch Im Krebsgang voran erwähnt er den Herrn Landeshauptmann sogar namentlich (wenn auch als abschreckendes Beispiel), und da steht der schöne Satz: »Man kann siegen, auch wenn man unrecht hat.« Ab sofort erscheine ich dadurch aus dem Italienischen übersetzt bei Hanser, ob es dem Verlagschef Michael Krüger passt oder nicht. Josef Winkler fusioniert sich mit dem Nockalm Quintett, nennt sein neues Buch Herzen, die sich nachts begegnen und ist ab sofort bis zum jüngsten Tag Nummer eins der Bestenliste.
(18. Mai/Gegenstimme) Ganz Kärnten jubelt. Wir sind wieder wer! Wir sind oben! Nur ich juble nicht. Hat der FC Kärnten mitreißende Leistungen geboten? Nein. Hat der FC Kärnten viele Spiele gewonnen? Nein. Hat er viele Tore geschossen? Nein. Ist er Tabellenführer und daher Aufsteiger? Nein. Er ist Siebenter, und im Verein geht es seit Jahren bergab und seit Langem drunter und drüber. Aber das ist ja ganz egal. Positionen zählen ebenso wenig wie Leistungen. Der Landeshauptmann hat seinen Nachbarn beauftragt, für viel Geld einen kleinen Ort in Oberösterreich zu schlucken, aus der Fußballlandkarte zu radieren und seinen Platz einzunehmen.
Juhu! Jubel! Was höre ich? Man muss pragmatisch, vernünftig und wirtschaftlich denken? Pragmatisch und wirtschaftsfreundlich wäre es sicher auch, alle vierzehn Tage Weihnachten zu feiern. Dem Bischof müsste man es halt irgendwie schmackhaft machen … Fußball war auch einmal eine Art Religion, jedenfalls für wirkliche Fans. Jetzt nicht mehr.
Interessanterweise schwimmt Kärnten immer dann, wenn sich der omnipräsente Dauerrückzügler Haider etwas in den Kopf setzt, in Geld sagenhafter Herkunft. Wird schon nicht aus Libyen sein oder aus dem Irak oder aus Palermo. Nein, es kommt von »Gönnern«! Wahrscheinlich wieder die »Gönner der Wörtherseebühne«! Kennt man die Gönner des Millionendebakels mittlerweile eigentlich schon? Ach, die »wollen nicht genannt werden«? Na dann …
Wie auch immer: Ein Musterbeispiel sportlicher und gesellschaftsmoralischer Verkommenheit ist dieser »grandiose Coup mit Pasching« auf jeden Fall, außerdem eine Schande, wenn es ein Verein, der ein ganzes Bundesland repräsentieren will, notwendig hat, sich mit einem Dorfclub zusammenzutun, um einen Platz bei Hof zu kaufen, der ihm durch Qualifikation und Leistung nicht zusteht. Als Austria Klagenfurt und Villacher SV sich zum FC Kärnten fusionierten, um gemeinsam stärker zu werden und am selben Strang zu ziehen: Das war eine Fusion! Pasching und Kärnten haben keinen Strang, kein größeres Ganzes, das sie für eine Gemeinschaft qualifizierte, und für eine Verschmelzung liegt zu viel Steiermark zwischen Pasching und Kärnten. Warum fusioniert sich Pasching nicht mit dem LASK? Warum steigt nicht der Zweitplatzierte auf? Das wäre wenigstens nachvollziehbar. Aber der Siebente? Dann kann jeder! Die Wahrheit ist: Pasching verkauft sich (das heißt: Der Alleineigentümer von Pasching verkauft Pasching) und Kärnten bezahlt das Freiergeld.
Wessen Denken sich in bloßem Eigennutz erschöpft, der jubelt heute: Das heißt: das moralisch verkommene Establishment dieses Schurkenbundeslands! Aber wie würden sich dieselben empören, wenn nächstes Jahr Erwin Pröll auf die Idee käme, in Langenlois einen Bundesligaclub zu haben und sich dazu die zwanzigtausend Rückbautribünenplätze aus Klagenfurt für ein neues Stadion und auch gleich den FC Kärnten kauft, welcher nach Langenlois übersiedelt und in Kärnten über Nacht in der Landesliga spielt! Wer bei seiner Meinungsbildung die Dimensionen seiner persönlichen Vorteilswelt nie verlässt, der jubelt heute. Aber wer möchte, dass die Entscheidungsträger auch in diesem Land so handeln, dass die Maxime ihres Handelns zum allgemeinen Gesetz erhoben werden kann, der wird sich angeekelt abwenden und nachvollziehen können, warum man im ganzen restlichen Österreich wieder einmal den Kopf über dieses Land schüttelt, wo man ungeniert Spielregeln bricht und sportliche Werte mit den Füßen tritt, wie es einem gerade passt.
Ab sofort muss niemand mehr um den Aufstieg kämpfen (und die Anhänger müssen weder zittern noch mitfiebern). Den Aufstieg kauft man sich. Und es muss sich auch niemand vor dem Abstieg fürchten. Den Klassenerhalt kauft man sich. Den Meistertitel kauft man. Er geht an den Bestbieter. Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Man muss nur Gönner haben, das ist das ganze Geheimnis. Nur spielen muss man dann nicht mehr, jedenfalls nicht Fußball. Höchstens DKT. Canori, Grad und Haider haben den Rubikon überschritten. Ab sofort ist der Sport sportlich wertlos. Ab sofort ist alles wertlos.
Ich bin einer der ganz wenigen Kärntner, der dem wertezertrümmernden Gruselkabinett nicht zujubelt, das den Fußball als Ganzes ruiniert. Selbst meine Freunde machen es sich bequem. Ich bin allein, und heute weiß ich, wie sich damals das Wörtherseemandl gefühlt haben muss. Nur Fass habe ich keines, bloß einen Kopf und ein Herz und einen Trauerflor, ohne den ich das schöne neue Stadion fortan nicht betreten werde.
(10. Juni) Zum zweiten Mal binnen eines Jahres in Zürich (innert eines Jahres, würden die Schweizer sagen: So schnell lerne ich!), und anders als beim ersten Mal ist es mir diesmal gelungen, einen Parkplatz zu finden, ein Hotel zu finden und Franken zu wechseln. Alle diese Maßnahmen wirkten sich äußerst günstig auf meinen weiteren Aufenthalt aus.
Beim ersten Mal – mittels Stau in die Stadt gelangt – habe ich inferior Reisender Zürich ohne Parkplatz, ohne Franken zwei Stunden nach der Ankunft im Stau völlig frustriert wieder verlassen. Diesmal aber schlenderte ich mitten auf dem Kontinent und doch außerhalb Europas weltmännisch den Limmatquai entlang, umkurvte das Denkmal Zwinglis und die am Central plakatierte Ausschreibung der »Ausserordentlichen Schiesspflicht« des Kantons Zürich mit genauen Bestimmungen bezüglich der Erfüllung der Schiesspflicht, der Dispensierung von der Schiesspflicht sowie der Ankündigung des Nachschiesskurses am 3. November in der Schiessanlage Albisgütli, bezahlte mit einem Zehnfrankenschein, auf dem Le Corbusier seine Augengläser nicht vor den Augen, sondern auf der Stirn trägt, das gute alte Sinalco, dessen Geschmack ich seit meinen Kindertagen nicht mehr am Gaumen hatte, bewunderte die grauen Kirchen mit den grünen Dächern und die hübschen Mosaikfenster von Chagall, ließ mich in der Krypta des großen Münsters für eine Fotografie vom Schwert Karls des Großen abstechen, bestieg forschen Schrittes den dafür vorgesehenen der beiden Türme des Münsters und blickte in alle vier Himmelsrichtungen über die Dächer der Stadt am See, deren Panorama mich an meine Stadt am See erinnerte.
Ich lustwandelte auf der Bahnhofstrasse und fand sogar den Letzigrund. Zusammen mit meinen Kollegen vom Österreichischen Literatennationalteam saß ich am Bellevueplatz im Schanigarten des berühmten Grand Cafés Odeon und schwang sorgenvolle Reden über die Zustände bei uns daheim. Im Exil saßen Karl Kraus oder Stefan Zweig vor nicht ganz hundert Jahren hier (sie konnten einander natürlich nicht ausstehen und hätten nie und nimmer gemeinsam in der Österreichischen Literatennationalmannschaft gespielt. Es gab damals auch noch keine). Später dann waren unter den Gästen des Odeon James Joyce, Alfred Kerr oder Klaus Mann. Im Tagebuch Stefan Zweigs ist über das Café Odeon und seine Kaffeehauspazifisten zu lesen: »Ein bärtiges Durcheinander von Herren vor gedeckten Tischen, dazwischen Wedekind, der vorliest in eine gespannte und doch sumpfige Sphäre. Das Lächerliche hier zu wirken wird mir klar, glücklicherweise kommt auch niemand mir entgegen. Das Hartmäulige, Unverbindliche, Grobe, Taktlose dieser Schweizer ist mir unerträglich: man will doch keine Wärme im voraus, aber doch in einem Gespräch jenen Anfang, der einem Mut macht. Ich verstehe ja genau die feindselige Vorsicht, die hier alle Menschen haben: Sie sind von der deutschen Taktlosigkeit zu oft missbraucht worden (…) Schrecklich hat sich mir das Kleinbürgerliche dieses Landes aufgetan, die Pygmäensphäre, diese mit Bildung und Pflichtbegriffen zu dick durchsetzte Handhabung der Kunst, diese pfennigfuchsende Nationalität, diese Spießervereine (…)! Ich verstehe ja wie in diesem Quengel, wo die biederen Versemacher einander ihr Zeug vorlesen, der Wind Europas wie böse Zugluft erscheint – aber welche Schmach, dass wir in diese Niederungen steigen. Ich freue mich meines Stolzes, der diesen harten Burschen keinen Schritt entgegengeht.«
Glücklicherweise war diesmal aber nicht der Vorabend des Ersten Weltkriegs, sondern der Vorabend der Fußballeuropameisterschaft, die Österreich und die Schweiz gemeinsam zu veranstalten sich anschickten. Ernst ist das Leben, heiter bis wolkig die Kunst. Während die professionellen Fußballer aller Herren Länder Fußball seit Langem arbeiteten, spielten wir Schriftsteller Fußball am Utogrund, der Heimstätte von Juventus Zürich, von dessen Existenz ich hier zum ersten Mal gehört hatte. Vor und nach dem Spiel suhlten sich alle zweiundzwanzig in ihren chronischen Knieproblemen und Meniskusschäden, während des Spiels merkte man aber nichts davon. Nur mein Übergewicht ging auch während des Spiels nicht weg. Aber was sollte da erst Patrick Tschan an der Outlinie sagen? Der Schiedsrichter war ebenfalls ein Schweizer Autor, wenn auch aus der französischen Schweiz, und jedes Mal, wenn seine Landsleute ein Foul begingen, rief er achselzuckend »Jouez! Jouez!«. Ich verstand ja genau die feindselige Vorsicht, das Grobe und Taktlose dieser Schweizer: Schließlich hatten sie das Hinspiel in Wien haushoch verloren. Ich machte es mir also sicherheitshalber in der gegnerischen Hälfte gemütlich. Das Lächerliche, hier zu wirken, war mir klar. Glücklicherweise kam mir auf dem Platz auch niemand entgegen und anders als unser Betreuer, der an der Outlinie eindeutige Gesten machte, dass ich mich mehr bewegen solle, freute ich mich meines Stolzes, diesen harten Burschen keinen Schritt entgegenzugehen, sondern lieber mit dem Schweizer Tormann und Literaturwissenschaftler Paul Knüsel zu plaudern. Vor und nach dem Match lasen wir einander unser Zeug vor. Während die Schweizer – wie gesagt – biedere Versemacher entsandten, handelten sämtliche österreichischen Literaturproben von grantigen Lustmördern, sodass der Schweizer Kapitän Richard Reich seinen Gästen attestierte, die Österreicher sagten andauernd »lachend Gemeinheiten«. Richard Reich sagte das lächelnd, aber er meinte es, wenn ich ihn richtig verstanden habe, nicht ironisch.
Zu diesem Anlass war ich also wieder nach Zürich gekommen. Aber all das, Fußball und Sinalco, Limmatquai und Odeon, war nur Vorgeplänkel. Denn auf gar keinen Fall wollte ich Zürich diesmal verlassen, ohne am Südufer des Sees, wo einander Villen, Rudervereine und Badeanstalten abwechseln, genau wie ich es von mir daheim kenne, den Zürcher Vorort Kilchberg gefunden zu haben, und ich hätte Kilchberg nicht verlassen, ohne am Hang oben die Kirche mit dem Kirchfriedhof gefunden zu haben, wo nicht nur Conrad Ferdinand Meyer, sondern vor allem der vielleicht größte Exildichter deutscher Sprache begraben liegt, der mehr als alle anderen am liebsten zu Hause in Deutschland geblieben wäre, im guten alten Deutschland nämlich mit den schönen Weihnachtsfesten und den guten Obstschnitten, mit den Bürgerhäusern und den Fachwerkbauten, wenn das irgendwie möglich gewesen wäre, und wenn es dieses gute, alte Deutschland noch gegeben hätte: So hat er sich sein Deutschland als alter Mann außerhalb Deutschlands errichten müssen, der »hartnäckige Villenbesitzer«, wie man ihn bezeichnet hat, das »sanfte Arschloch«, wie Kurt Tucholsky ihn genannt hat: Jetzt bleibt er bis in alle Ewigkeit in der Schweiz: Thomas Mann.
Ein Grab kann man sich schwer vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat. So klein ist der Friedhof von Kilchberg nicht und so spektakulär oder solitär ist das Grab von Thomas Mann bei Weitem nicht, dass man danach nicht suchen müsste. Im Gegenteil: Es ist nicht monumental, sondern diskret. Aber man hat von hier einen prächtigen Ausblick über die Zürcher Seenlandschaft: ein weiter Horizont. Der Tote selbst kann das Panorama natürlich nicht mehr genießen, aber er erweist sich noch postum als geschmackvoller Gönner und Friedhofhausherr, als Grandseigneur und steinerner Gastgeber. Die sein Grab aufsuchen, lädt er ganz automatisch auf diesen ästhetischen Benefit der Natur ein. Hier heraufkommt niemand ganz umsonst. Wir danken. Als Grabstein dient ein Kubikmeter Granit, ein schöner Block in Würfelform mit scharfen geraden Kanten. Darauf steht THOMAS MANN, seine Jahreszahlen und sonst nichts. Mehr ist auch nicht nötig. Wer die Buddenbrooks, den Zauberberg oder den Doktor Faustus gelesen hat, der braucht keinen weiteren Hinweis auf ihren Schöpfer. Und wer nichts gelesen hat, dem hilft auch kein Hinweis. Platz auf dem Grabwürfel hat außer Thomas Mann nur noch seine Frau Katia gefunden, die ihm nicht nur alle seine Krankheiten bis zum Schluss entweder verschwiegen oder verharmlost, sondern auch unbedingtes, golden schweigendes Verständnis für alle Neigungen ihres Mannes aufgebracht hat.
Vor den herausragenden Eltern gruppieren sich auf in die Erde gelassenen Steinplatten die Kinder: Monika. Erika. Michael. Zuletzt Elisabeth Mann Borgese 2002. Golo etwas abseits. Nur Klaus ist nach seinem Freitod an der Côte d’Azur geblieben. Fast geschlossen hat die Familie nach langen Leben wieder in Frieden zueinander gefunden, endgültig und für immer. Unterschieden sind die einzelnen Mitglieder nur durch die Jahreszahlen: Thomas Mann, das Oberhaupt, hat lateinische, die Kinder haben arabische Zahlen. Kein besonderer Grabschmuck, keine Schnittblumen. Dafür etliche vielleicht erbsengroße Gedenksteinchen auf dem parentalen Grabstein und den Grabplatten der Filialgeneration. Ein einziges Mal habe ich solche Gedenksteinchen schon gesehen, auf dem Grab Carlo Michelstaedters am jüdischen Friedhof von Nova Gorica nämlich, weshalb ich sie für einen rein jüdischen Brauch gehalten habe.
Als wir die Manns und den Kilchberger Friedhof verlassen, bemerken wir, dass der Friedhofsgärtner ein Stück Rasen notdürftig eingezäunt hat, und als Latten für diesen Zaun hat er die von hölzernen Grabkreuzen genommen, die in frischen Grabhügeln stecken. Denn anders sind die Jahreszahlen auf den Zaunlatten nicht zu erklären. Bei allem, was sie tun, denken die Schweizer ökonomisch. Harte Burschen, manchmal grob und taktlos. Dass Thomas Mann auf einem Billigfriedhof liegt, kann man deshalb aber nicht sagen. Das wäre gemein.
(12. Juni) Fabjan lädt mich zu einer Gipfellesung im Hemmabergkirchlein bei seinem Trivium-Festival ein, »300 Euro für 15 minuten (janez gregorič sagt: es dürfen ruhig auch 20 sein)«, schreibt Fabjan und fragt gleichzeitig bezüglich eines Auftragstextes anlässlich des Zehn-Jahr-Jubiläums des Musil-Instituts am 18. November an – ausgehend von der Fragestellung, was aus Musil geworden wäre, wäre er in Klagenfurt geblieben. »musil blieb in klagenfurt – 18.11., literarisches katerfrühstück (einstweilen nur unverbindl. anfrage – wie viel hättest du denn gern für einen bestellten text?) herzlich dein fabjan (Mag. Dr. Fabjan Hafner/Robert-Musil-Institut für Literaturforschung der Universität Klagenfurt/Kärntner Literaturarchiv)«
Na, das reizt mich natürlich! Ich fange gleich an!
(4. Juli) »lieber egyd, mit schamgebeugtem haupt muss ich dir mitteilen, dass aus deinem ›was wenn musil‹-auftritt nichts wird; das warum wirst du dir denken können. dein zerknirschter fabjan.« Ich denke, ich kann es mir denken.
(17. Juli) »Sehr geehrter Herr Gstättner«, schreibt mir Michael Fleischhacker, Chefredakteur und Geschäftsführer der Presse, »im Rahmen unserer nächsten Runde der Blattgestaltung werden wir ab Herbst auch versuchen, unseren Sportteil neu zu gliedern. Aus inhaltlichen und blattplanerischen Gründen wird die wöchentliche Gastkolumne ›Literatur im Sport‹ dann keinen angemessenen Platz mehr haben, weshalb ich Sie um Verständnis dafür bitte, dass wir unsere Zusammenarbeit mit Ende August 2007 beenden müssen.«
Herr Fleischhacker dankte mir sehr für meine Treue als Presse-Autor und würde sich freuen, wenn sich Gstättner-Texte auch in Zukunft in der Presse fänden, sei es im Spectrum, sei es auf den Meinungsseiten. Damit grüßte er mich freundlich und wünschte mir einen schönen Sommer.
Wie soll dieser Sommer schön sein? Es geht mir an den Kragen! Aus dem Nichts heraus! Das also war das plötzliche Ableben meiner Presse-Glosse »Literatur im Sport Nov. 2001–Aug. 2007«.
Die Untreuen danken den Treuen für die Treue. Merke (1): Der »Rahmen der nächsten Runde der Blattgestaltung« ist etwas Bösartiges und Existenzbedrohendes. Merke (2): Du bist machtlos.