Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert
Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.
Internet: https://ebooks.kelter.de/
E-mail: info@keltermedia.de
Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74095-251-8
Wie ein Pfeil schoß das Motorboot über das tiefblaue Meer, und Vanessa Korten genoß die rasante Fahrt. Der Wind riß an ihren dichten schwarzen Haaren und streichelte ihre braungebrannte Haut. Noch nie zuvor war sie mit einem Motorboot gefahren, doch sie verspürte nicht die geringste Angst. Mauricio de Alvarez, den sie hier auf Ibiza kennengelernt hatte, lenkte das Boot so sicher, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan.
Immer wieder wanderte ein bewundernder Blick von Vanessa zu dem jungen Spanier. In Shorts und mit bloßem Oberkörper saß er neben ihr, seine ganze Konzentration gehörte dem rasenden Motor-
boot.
Mit einem Mal hatte Vanessa das Bedürfnis, den Mann neben sich zu berühren. Noch ein wenig zögernd legte sie eine Hand auf den muskulösen Arm Mauricios.
»Wie weit ist es noch?« fragte sie, doch der Fahrtwind riß ihr die Worte vom Mund.
Augenblicklich nahm Mauricio die Geschwindigkeit zurück.
»Fahre ich zu schnell?« erkundigte er sich besorgt, und dabei bewunderte Vanessa wieder einmal sein fast akzentfreies Deutsch. Dabei war es im Grunde gar nicht so erstaunlich, denn seine deutsche Mutter hatte dafür gesorgt, daß Mauricio zweisprachig erzogen worden war.
Jetzt schüttelte Vanessa lächelnd den Kopf. »Nein, es ist wunderbar. Ich wollte nur wissen, wie weit es noch ist.«
»Du kannst die Insel gleich sehen«, versprach er, und kurz darauf tauchten tatsächlich Sanddünen aus dem Meer auf, und ein Leuchtturm ragte in den wolkenlosen Himmel.
Minuten später bog Mauricio in eine große Bucht, manövrierte das Boot durch etliche Jachten und ankerte schließlich an einer Stelle, die genügend Platz zum Schwimmen bot.
»Espalmador ist zwar noch immer unbewohnt, aber leider merkt man nicht viel davon«, erklärte Mauricio mit einem Bick auf die Ausflugsschiffe, die an der anderen Seite der Bucht angelegt hatten. »Hier haben wir allerdings unsere Ruhe. Die meisten Urlauber halten sich in der Nähe der Schiffe auf.«
Und dann zog Mauricio seine Shorts aus, unter denen er bereits eine Badehose trug. Mit einem kraftvollen Kopfsprung hechtete er in das glasklare Wasser und tauchte etliche Meter weit.
»Komm schon, Vanessa!« rief er, als er mit dem Kopf endlich wieder über Wasser kam. Vanessa ließ sich nicht zweimal bitten. Und dann kraulten sie nebeneinander her.
»Das ist ja wunderbar, Mauricio!« rief Vanessa begeistert aus. »So herrlich klares Wasser habe ich noch nie gesehen.«
Mauricio lächelte nur. Er wußte, daß er sein Ziel bald erreichen würde. Die achtzehnjährige Vanessa war unerfahren und ein wenig schüchtern, doch Mauricio hatte mit seinen zweiundzwanzig Jahren schon viel Erfahrung mit Mädchen sammeln können. Schließlich lebte er nicht umsonst die meiste Zeit auf Ibiza. Hier bot sich ihm genügend Gelegenheit für flüchtige Abenteuer, und das war alles, worauf er es anlegte.
Vanessa war allerdings eine sprichwörtlich harte Nuß gewesen. Anscheinend glaubte sie an die Liebe, wie sie in Romanen stand, doch Mauricio hatte auch diese Masche drauf. Er konnte sogar sehr romantisch sein, wenn er wollte. Und die zierliche Vanessa war es allemal wert, daß man sich um sie bemühte.
»Wollen wir zum Strand schwimmen?« fragte er jetzt, und Vanessa stimmte erfreut zu.
Wenig später ließen sie sich in den warmen, weichen Sand fallen. So lagen sie da, während ihre Beine von den sanften Wellen umspült wurden. Langsam wandte Vanessa den Kopf zur Seite und betrachtete den neben ihr liegenden Mauricio. Er hatte die Augen geschlossen, und auf seiner bronzefarbenen Haut glitzerten helle Wassertropfen. In diesem Augenblick wurde Vanessa bewußt, wie sehr sie den jungen Spanier liebte.
»Mauricio«, flüsterte sie.
Er wandte ihr sein Gesicht zu und erkannte im selben Moment, daß er jetzt eine Chance bekam, die er nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte.
Mit einem Ruck richtete er sich auf, dann beugte er sich über sie und wollte ihr Gesicht gerade mit leidenschaftlichen Küssen bedecken, als ihm der Gedanke kam, daß das vielleicht nicht der richtige Weg sei. In ein paar Tagen vielleicht, aber noch nicht jetzt. Und so bremste er seine Leidenschaft und ließ sich zu einem Kuß hinreißen, der nicht zärtlicher hätte sein können.
Vanessa schlang ihre Arme um seinen Nacken und ließ sich von ihren Gefühlen treiben – Gefühle, die voller Ehrlichkeit und Reinheit waren. Sie liebte Mauricio und wußte, daß das niemals anders werden würde.
*
In der Villa von Dr. Robert Daniel war ein großes Fest im Gange, denn sein Sohn Stefan hatte promoviert und war damit der zweite Dr. Daniel im Hause. Natürlich war auch Stefans jüngere Schwester Karina aus Freiburg angereist und hatte ihren Freund, den Schweizer Pianisten Jean Jacques, der mit bürgerlichem Namen Jean Veltli hieß, mitgebracht.
»Herzlichen Glückwunsch, Bruderherz«, erklärte Karina mit einem strahlenden Lächeln und umarmte Stefan. »Mensch, ich bin stolz auf dich!« Dann huschte leise Melancholie über ihre zarten Züge. »Schade, daß Mutti das nicht mehr erlebt hat.«
»Hör bloß auf«, raunte Stefan ihr zu. »Papa ist den ganzen Tag schon ein bißchen deprimiert. Anscheinend denkt er dasselbe.«
Karina nickte. »Kann ich mir vorstellen.« Dann lächelte sie wieder. »Also, Dr. Daniel, ich werde mich jetzt ein bißchen um unseren Vater kümmern.«
Mit nahezu besitzergreifender Geste nahm sie Jean bei der Hand und zog ihn quer durch die Wohnung. »Komm, ich stelle dir meinen Vater vor.«
Der junge Schweizer schluckte ein bißchen nervös. Er hatte bei dieser Familienfeier eigentlich gar nicht stören wollen, aber Karina hatte ihn so inständig gebeten, mit ihr nach Steinhausen zu fahren, daß er nicht hatte nein sagen können. Und die Aussicht, nach der kurzen Zeit, die er Karina jetzt kannte, schon ihrem Vater vorgestellt zu werden, war für ihn nicht eben verlockend, zumal Karina ihm immer in den höchsten Tönen von ihrem Vater vorgeschwärmt hatte. Nach allem, was Jean von Dr. Daniel gehört hatte, mußte er ein sagenhafter Mensch sein, und obwohl der junge Schweizer normalerweise nicht gerade schüchtern war, fühlte er sich jetzt nicht ganz wohl in seiner Haut.
»Papa, das ist Jean«, erklärte Karina und riß ihren Freund damit aus seinen Gedanken.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, erklärte Dr. Daniel mit einem freundlichen Lächeln.
Im selben Moment wußte Jean, daß er sich umsonst Sorgen gemacht hatte.
»Ich freue mich auch«, erwiderte er, und man merkte ihm an, daß er das ehrlich meinte.
»Ich habe schon viel über Sie gehört«, fuhr Dr. Daniel fort. »Nicht nur von Karina.«
Jean wußte, daß Dr. Daniel von seinen Erfolgen als Konzertpianist sprach, und wurde tatsächlich ein bißchen verlegen.
»Das Klavier war bisher mein Leben«, erkärte er bescheiden, dann lächelte er. »Jetzt nimmt Karina den größten Teil davon in Anspruch.«
Dr. Daniel schmunzelte. »Ich weiß schon, meine Tochter hat ein sehr einnehmendes Wesen.« Dann wurde er ernst. »Heißt das, Sie werden nie mehr öffentlich spielen? Das wäre ein großer Verlust für die Freunde der klassischen Musik.«
Wieder errötete Jean. »Danke für das Kompliment, Herr Dr. Daniel. Und um Ihre Frage zu beantworten: Natürlich werde ich wieder spielen, allerdings nicht mehr in dem Maß wie früher. Ich habe gemerkt, daß ich auch ein Privatleben brauche.« Dabei lächelte er Karina so zärtlich an, daß man nicht fragen mußte, wie sehr er sie liebte.
»Hallo, Karina! Auch mal wieder im Lande?«
Karina drehte sich bei diesen Worten um und sah sich Stefans Freundin Rabea Gessner gegenüber.
»Grüß dich, Rabea.« Karina grinste. »Wenn mein Brüderlein Doktor wird, dann gehört es sich für eine liebende Schwester, an seine Seite zu eilen.«
Rabea lachte. »Da hast du wohl recht.« Dann sah sie sich suchend um. »Weißt du, wo mein Herzblatt steckt?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich fachsimpelt er mit Onkel Schorsch über die Mikrochirurgie.«
»Falsch! Der liebe Onkel Schorsch ist hier.« Mit einem breiten Grinsen trat Dr. Georg Sommer, seit vielen Jahren Dr. Daniels bester Freund, zu den beiden Mädchen, dann zog er Karina ein wenig an den Haaren. »Du untreue Seele. Wie kannst du so hartherzig sein und bis nach Freiburg gehen?«
Karine seufzte theatralisch. »Die Liebe, Onkel Schorsch!«
»Das ist natürlich ein Argument«, entgegnete Dr. Sommer. »Darf ich den Romeo kennenlernen, der dein Herz so im Sturm erobert hat?«
»Natürlich«, bekräftigte Karine. »Er unterhält sich gerade mit Papa. Warte, ich hole ihn her.«
Mit wenigen Schritten war sie bei Jean und berührte seinen Arm. »Liebling, ich muß dich dem zweitliebsten Menschen der Welt vorstellen.«
Dr. Daniel lachte. »Und wer ist dann der liebste Mensch der Welt?«
Karina umarmte ihn. »Du natürlich, Papa.« Dann nahm sie Jean bei der Hand und zog ihn zu Dr. Sommer.
Dr. Danial war allein, und das kam ihm im Augenblick gar nicht so ungelegen, denn er hatte gerade gesehen, wie Stefan das Wohnzimmer verlassen hatte. Jetzt folgte er ihm.
»Hast du einen Augenblick Zeit für mich, mein Junge?« fragte er, als er Stefan auf dem Flur begegnete.
Der junge Mann lächelte. »Natürlich, Papa, für dich doch immer.«
Dr. Daniel legte einen Arm um die Schulter seines Sohnes. »Ich wollte dir sagen, wie stolz ich auf dich bin. Ich habe deine Doktorarbeit gelesen, und… sie ist erstklassig, Stefan.«
Ein wenig verlegen senkte Stefan den Kopf. »Danke, Papa. Es tut gut, daß du das sagst.« Dann lächelte er. »Aber ich habe dir ja immer versprochen, daß du einmal stolz auf mich würdest sein können.«
»Das bin ich schon lange«, meinte Dr. Daniel. »Wolfgang hat mir erst kürzlich wieder gesagt, wie tüchtig du bist und daß er froh ist, dich als Assistenzarzt in der Waldsee-Klinik eingestellt zu haben. Und anscheinend hast du es jetzt auch endlich geschafft, deine ständigen Querelen mit Gerrit beizulegen.«
»Na ja, ich bemühe mich jedenfalls«, erwiderte Stefan. »Dr. Scheibler und ich werden niemals Freunde werden, aber innerhalb der Klinik müssen wir irgendwie miteinander zurechtkommen.«
»Dieser Meinung bin ich auch«, stimmte Dr. Daniel zu, dann lächelte er. »Aber das alles war nicht der einzige Grund, weshalb ich mich einen Augenblick mit dir allein unterhalten wollte. Wolfgang hat mir gesagt, daß du im September Urlaub machen möchtest. Hast du da schon etwas vor?«
»Nichts Konkretes«, meinte Stefan. »Rabea und ich wollten einfach mal so drauflosfahren. Keine großen Buchungen, sondern bleiben, wo es uns gefällt.«
»Da habe ich eine bessere Idee«, erklärte Dr. Daniel, und dann zauberte er scheinbar aus dem Nichts ein schmales längliches Päckchen hervor.
»Was ist denn das?« fragte Stefan erstaunt.
»Schau hinein, dann weißt du es«, riet Dr. Daniel ihm.
In gespannter Erwartung öffnete Stefan die Verpackung und hielt gleich darauf ein Buch in der Hand.
Rio de Janeiro – sehen, erleben, genießen, las er, dann sah er seinen Vater an. »Mensch, Papa, woher wußtest du, daß ich mich für Rio interessiere?«
»Na, erlaube mal, ich werde doch wohl noch meinen Sohn kennen«, entgegnete Dr. Daniel mit gespielter Entrüstung, dann lächelte er. »Erinnerst du dich nicht mehr, daß du mir noch vor zwei, drei Jahren ständig von dieser Stadt vorgeschwärmt hast? Du wolltest immer dorthin reisen, aber das Studium hat dich davon abgehalten. Jetzt hast du Zeit, Stefan, und deshalb ist dieses Buch auch nicht alles, was du von mir bekommst.« Er nahm seinem Sohn das Buch aus der Hand und schlug es auf, bevor er es ihm zurückgab.
»Eine Schiffspassage«, stellte Stefan erstaunt fest. »Nein… sogar zwei. Heißt das…«
Dr. Daniel nickte. »Ja, mein Junge, ich schenke dir und Rabea eine Kreuzfahrt mit einwöchigem Aufenthalt in Rio de Janeiro.«
Sekundenlang war Stefan sprachlos, dann fiel er seinem Vater spontan um den Hals.
»Mensch, Papa«, stammelte er. »Ich… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ein schlichtes Danke ist dafür viel zu wenig.« Er schwieg kurz. »Du ahnst gar nicht, welche Freude du mir mit diesem Geschenk gemacht hast.«
*
Vanessa Korten lag in der kleinen abgeschiedenen Bucht im warmen Sand und blickte verträumt aufs Meer hinaus, während vor ihrem geistigen Auge ein ganz anderes Bild stand – das Bild des Mannes, den sie mehr als alles andere liebte.
»Mauricio de Alvarez«, flüsterte sie und dachte dabei schon Vanessa de Alvarez.
»Cariña!«
Vanessa fuhr hoch, als sie das spanische Kosewort hörte, dann glitt ein glückliches Leuchten über ihr Gesicht.
»Mauricio!«
Und schon lag sie in seinen starken Armen, und ihr Körper vibrierte unter Mauricios leidenschaftlichen Küssen. Sie wußte mittlerweile, welch ein Draufgänger er war, und anfangs hatte sie das ein wenig erschreckt. Immerhin erlebte sie mit Mauricio ihre erste Liebe. Doch in den vergangenen Tagen hatte sie gespürt, daß es für sie nie wieder einen anderen Mann als ihn geben würde. Und so hatte sie seinem leidenschaftlichen Drängen schließlich nachgegeben. Nun schien es ihr, als könne die Liebe, die in ihr loderte, nicht mehr größer werden. Mauricio war ihr Leben, und er würde es immer sein.
»Cariña, ich muß dich verlassen«, erklärte Mauricio jetzt leise.
Abrupt löste sich Vanessa von ihm und starrte ihn voller Entsetzen an.
»Verlassen?« wiederholte sie fassungslos. »Aber… Mauricio… warum denn?«