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© 2019, Ulli Tückmantel
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-9096-7
Da die Autobahn in Deutschland erfunden wurde - ist es da nicht naheliegend, dass auch die erste Autobahnkirche in Deutschland errichtet wurde?
Das klingt plausibel, weil die Kirchen und Kapellen am Wegesrand bei uns heute praktisch zur Grundausstattung größerer Autobahnen wie Tankstellen und Parkplätze gehören. Doch anders, als die „Nur-Autostraße“ selbst, deren Prototyp 1921 die „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße“ in Berlin war, welche später unter der Abkürzung AVUS als Rennstrecke berühmt wurde, ist die Autobahnkirche ein deutsches Phänomen geblieben: Sie kommt - im Gegensatz zur übrigen Autobahn-Infrastruktur wie Raststätten und Toilettenanlagen - in anderen europäischen Ländern praktisch nicht vor.
In Italien, dem Land der Kirchen, gibt es nur eine einzige echte Autobahnkirche: San Giovanni Battista bei Florenz im Autobahnkreuz von A1 und A11, ist den Arbeitern gewidmet, die beim Bau der Autobahn ums Leben gekommen sind. In der Schweiz gibt es an der Gotthard-Raststätte einen Andachtsort, eine erste Autobahnkirche wird gerade erst geplant. Ob sie gebaut wird, ist derzeit offen. Im Autobahn-Land Deutschland erleben die „Tankstellen für die Seele“ dagegen seit Jahren einen gefühlten Boom. Während die Zahl der Kirchgänger kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der Autobahnkirchen – und (vermutlich) die ihrer Besucher. Auf mindestens eine Million schätzt die „Konferenz der Autobahnkirchen in Deutschland“ sie, wirklich verlässliche Zahlen gibt es allerdings nicht.
Addiert man jedoch die Meldungen der einzelnen Kirchen, dürfte die Zahl der Besucher insgesamt weit über einer Million liegen. Lediglich am Eingang der katholischen Autobahnkirche Sankt Christophorus Himmelkron (A9, Bad Berneck in Nordbayern) gebe es eine Lichtschranke zur Besucherzählung, berichtete das Kirchen-Magazin der NRW-Lokalradios 2016; demnach ziehe allein diese eine Kirche etwa 100.000 Menschen jährlich an.
Die erste deutsche Autobahnkirche wurde 1958 an der A8 zwischen München und Stuttgart eröffnet. Dort, in der Autobahnkirche „Maria, Schutz der Reisenden“, zählt der Dominikanerpater Wolfram Hoyer 50.000 Besucher jährlich, die Tendenz soll leicht steigend sein. 2005 war die ökumenische Emmauskapelle an der A81 bereits die Nummer 30, inzwischen gibt 44 deutsche Autobahnkirchen und -Kapellen. Die 45. Autobahnkirche Deutschlands soll an der A8 am Rastplatz „Sindelfinger Wald“ bei Stuttgart entstehen, eröffnet werden könnte sie (angeblich) nach einigen Verzögerungen 2020. Von den aktuell 44 als Autobahnkirchen und -Kapellen gewidmeten Sakralbauten sind 19 in evangelischer Trägerschaft, nur acht in katholischer und 17 werden ökumenisch getragen und verwaltet.
Dagegen sind unter den Besuchern männliche Katholiken in der Überzahl, hat 2008 die Studie „Spurwechsel: Gott auf der Autobahn“ im Auftrag der Akademie der „Versicherer im Raum der Kirchen“ (VRK) herausgefunden. „Das Ziel der Studie war es, über die Zusammensetzung der Autobahnkirchen-Besucher in Deutschland, hinsichtlich ihrer soziodemographischen Merkmale, ihrer konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer religiösen Hintergründe, ihrer Motivationen und Anlässe zum Besuch der Autobahnkirchen ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten“, so die VRK. Weitere Ergebnisse der Untersuchung: Die Besucher der Autobahnkirchen sind in der Regel über 50 Jahre alt, sehr gebildet und kirchlich engagiert. Die meisten sind Familienväter, nur zwei von fünf sind nicht in ihrer Heimatgemeinde aktiv. Das bedeutet aber nicht, dass sie in den Gotteshäusern an einer der Autobahnen einen Pfarrer vermissen. Im Gegenteil wünschen sie keinen Anschluss an die Gemeinde, sondern schätzen die Anonymität und den ungestörten Raum.
Viele zünden eine Kerze an, was in praktisch allen Autobahn-Gotteshäusern möglich ist, und nutzen das Angebot, wie die VRK es bewirbt: „Rast für die Seele. Einladung zu Besinnung und Gebet.“ Manchmal hinterlassen die Besucher bewegende Nachrichten in den ausliegenden Fürbitt- und Anliegenbüchern. So berichtete Pater Wolfram Hoyer von Deutschlands ältester Autobahnkirche in Adelsried 2018 in einem Interview mit der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) von einem Reisebus im Jahr 2012, dessen Fahrgäste sich alle (!) in das Buch eingetragen und dafür gedankt hätten, „dass sie noch da sind“. Es waren deutsche Überlebende des untergegangenen Kreuzfahrtschiffs „Costa Concordia“.
Die Vorstellung, eine Autobahnkirche finde ihre Funktion darin, Autofahrern den sonntäglichen Gottesdienstbesuch zu erleichtern (das war 1958 die Grundidee der ersten Autobahnkirche), ist längst von der Realität überholt worden. Besucher bleiben im Schnitt nicht länger als 10 oder 15 Minuten.
„Man kann durchaus geteilter Meinung sein, ob es gut ist, dass sich Christen auf diese Weise eine Glaubenspraxis suchen, die den Gemeindebezug ausklammert und vieles Wesentliche beiseite lässt“, schrieb der katholische Theologe und Seelsorger Gereon Vogler 1998: „Doch sollte man zunächst froh darüber sein, dass hier der Glaube noch nicht erloschen ist, sondern auf anderen Wegen fortbesteht. Und andererseits ist zu bedenken, dass derartige Phänomene sich infolge von Mängeln der bisherigen Gemeindepastoral einstellen.“
Zwei Jahrzehnte später müssen beide Kirchen sich fragen, wen sie mit herkömmlicher Gemeindepastoral in weiteren 20 Jahren überhaupt noch erreichen, wenn ihr Gemeindebegriff sich in einer mobilen und digitalen Gesellschaft nicht erweitert.
Ulli Tückmantel, Mai 2019
Die Raststätte „Dammer Berge“ ist eins von nur zwei sogenannten „Brückenrestaurants“, die in Deutschland über der Autobahn errichtet wurden. Weniger bekannt ist: Auf ihrem Gelände befindet sich die erste ökumenische Autobahnkapelle Deutschlands, die 1970 eingeweiht wurde. Der Architekt des Brückenrestaurants, Paul Wolters (1913-1998), orientierte sich an Kirchenbauten von Le Corbusier und Gottfried Böhm.
Bei ihrer Einweihung war die Kapelle sowohl in Hinsicht auf den ökumenischen Ansatz, als auch die Architektur ein relativ fortschrittliches Gebäude. Ihre runde Form und das über dem Eingang mit einer breiten „Krempe“ aus Kupferblech verkleidete, tief geneigte Flachdach schirmen den Raum nach außen einerseits gegen die ihn umgebende Raststätten-Geschäftigkeit ab, anderseits betont die runde Form im Innern Gemeinschaft rund um den Altar in der Mitte.
Anstelle einer Bestuhlung wurden hölzerne Sitzbänke in die gemauerten Außenwände integriert. Die bunten Glasfenster (wie der Altar von Albert Bocklage, Vechta) erinnern in ihrer Anlage in der Wand entfernt an Ronchamp. Die bodenhohen Glaselemente von Eingangstür und Fensterfront unterstreichen gemeinsam mit dem innen wie außen gleichbleibenden Bodenbelag aus rotem Ziegelstein den barrierefreien Zugang.
Die Kapelle, die auf eine private Initiative zurückgeht und spendenfinanziert errichtet wurde, war bei ihrer Weihe als „Mahnstätte für den Verkehr“ gedacht, die alle Autofahrer erinnern sollte, vorsichtig zu fahren, aber auch „Gott als unseren Mittelpunkt des menschlichen Lebens in unserer hektischen Welt nicht zu verlieren“, wie es laut der betreuenden katholischen Pfarre in der Weihe-Ansprache hieß.
Die Ausstattung der Kapelle wurde 1979 um eine (von einem Privatmann gestiftete) Schutzmantel-Madonna, die den Verkehr und die Autobahn unter ihren Mantel nimmt, und 2000 um einen Christus-Korpus aus Bronze ergänzt (beides von Ferdinand Starmann, Neuenkirchen-Vörden). In den Beschreibungen der katholischen Gemeinde soll sich der Bronze-Korpus an der Stirnwand befinden.
Laut Bericht von nwzonline.de erfolgte 2006 eine Renovierung der Kirche, bei der Albert Bocklage (Fenster und Altar) als ausführender Künstler genannt wird.
Gegenstand und Umfang der Renovierung sind nicht berichtet. Offenbar wurde in jüngerer Vergangenheit der bronzene Christus-Korpus von Starmann (im Zusammenhang der Renovierung?) auf ein zurückhaltend reduziertes T-Kreuz als Träger-Medium montiert, das nun über dem Altar hängt.
Die ökumenische Autobahnkapelle Roxel wurde in den 60er Jahren parallel zur Fertigstellung der Bundesautobahn im Bereich Münster in privater Initiative als klassische „Wegekapelle“ geplant. 1968 begonnen und 1969 eingeweiht, gehörte die Kapelle auf der Rastanlage Münsterland von Beginn an zur infrastrukturellen Grundausstattung der „Hansa-Linie“. Von Anfang an war sie eng an die katholische Gemeinde St. Pantaleon Roxel angebunden, und dort an die örtliche Kolpingsfamilie, die auch die Pflege der Kapelle und ihrer Außenanlagen übernahm.
Zu dem ehrenamtlichen Engagement über inzwischen fünf Jahrzehnte trug sicher auch bei, dass der Architekt der Kapelle, der Münsteraner Hubert Teschlade (1921-2014), selbst Kolping-Mitglied war. Entstehung und Betrieb der Kapelle Roxel sind in vielfacher Hinsicht typisch für Autobahnkapellen, die auf lokale Initiativen mit lokalen Akteuren zurückgehen - mit allen unschätzbaren Vor-, aber auch allen unbestreitbaren Nachteilen, die daraus resultieren. Im Fall der Kapelle Roxel sind diese ganz aktuell: Im April 2018 beschloss die Kolpingsfamilie Roxel aufgrund von Nachwuchsmangel ihre Auflösung. Derzeit kümmert sich ein einzelner Ehrenamtler weiter um die Kapelle, berichteten die „Westfälischen Nachrichten“. Damit ist die Frage nach der Zukunft offen - wie bei vielen anderen Autobahnkirchen und - Kapellen auch. In Hinsicht auf die Durchsichtigkeit folgt Teschlades Entwurf - in sehr viel einfacher Form - dem Modell der ersten Autobahnkirche in Adelsried: Schon die Ei ngangsfassade erlaubt den gläsernen Ein- und Durchblick, die „Altarwand“ selbst ist komplett aus Glas. Anders als in Adelsried, gibt sie jedoch nicht nur den Blick auf die Umgebung frei. Teschlade hat auch das von ihm (sehr beeindruckend) gestaltete Altarkreuz nach außen verlagert. So verbleibt der Außenblick letztlich im Inneren der Wirkungsabsicht.