Das Buch
Lina Ben Mhenni ist die mutige Stimme der tunesischen Revolution. Erstmals in der Geschichte haben Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter ein diktatorisches Regime zu Fall gebracht. Die 27-jährige Lina Ben Mhenni war eine der Internetaktivisten, die den tunesischen Diktator Ben Ali vertrieben haben. Sie ist auf die Straße gegangen, hat mit anderen Demonstranten die Freiheit gefordert. Sie hat fotografiert, gefilmt und berichtet, dort, wo keine Presse erlaubt war. Ihr Blog »A Tunisian Girl« ist zu einem wichtigen Nachrichtenforum der arabischen Oppositionsbewegung geworden. In ihrer Streitschrift fordert Ben Mhenni die Leser auf, sich politisch zu engagieren und zu vernetzen. Ein Aufruf, der uns alle betrifft.
Die Autorin
Lina Ben Mhenni, Tunesierin, 27 Jahre, arbeitet als Dozentin für Linguistik und Übersetzerin an der Universität Tunis. Sie wurde mit dem Blog-Award der Deutschen Welle ausgezeichnet.
Die Übersetzerin
Patricia Klobusiczky studierte Literaturübersetzen und arbeitete lange als Lektorin. Seit 2006 ist sie Übersetzerin, u. a. von Lorrie Moore, Vincent Delecroix und Louise de Vilmorin.
LINA BEN MHENNI
VERNETZT
EUCH!
Aus dem Französischen
von Patricia Klobusiczky
Ullstein
Die französische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Tunisian Girl – Blogueuse pour un printemps arabe bei Indigène éditions, Montpellier
Quellenangabe zu Seite 25:
http://www.anonnews.org/?p=press&a=item&i=115
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie
etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder
Übertragung können zivil- oder strafrechtlich
verfolgt werden.
ISBN 978-3-8437-0137-2
© Indigène éditions, Juni 2011
© der deutschsprachigen Ausgabe
2011 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin
Satz und eBook: LVD GmbH, Berlin
Den Märtyrern
Den Freiheitsliebenden
Meinem Vater, dem Mann meines Lebens
Meiner Mutter, die mich zweimal zur Welt gebracht hat
Meinem Bruder, weil er zu meinem Leben gehört
Leila und Abdennaceur, die während der Revolution
meine Verzweiflung geteilt haben
Den Bloggern und Cyber-Aktivisten, die an uns geglaubt
und gehandelt haben
Meinen Freunden
Den politischen Häftlingen, die in den Gefängniszellen wahnsinniger Diktatoren vermodern
Den arabischen Völkern, die für einen arabischen Frühling kämpfen
Den unterdrückten Völkern weltweit
Dem Frieden, der Freiheit, dem freien Wort
Meiner Krankheit, der ich so viele Einsichten verdanke …
Ich bin Bloggerin und werde es bleiben. Die Ereignisse der letzten Monate, von denen hier die Rede sein soll, haben mich in dieser Überzeugung bestärkt.
Ich beobachte, was in Tunesien passiert, insbesondere seit dem 14. Januar 2011, jenem Tag, an dem wir uns von der Last, dem Alptraum namens ZABA befreit haben – gemeint ist Zine el-Abidine Ben Ali, seit dem 7. November 1987 tunesischer Präsident mit dem Gebaren eines Diktators. Jetzt hat er seinen Platz zwar geräumt, aber er hat vieles hinterlassen, Gefährten, Gewohnheiten, eine Menge Gewalt.
Ich bin ein freies Elektron und möchte es bleiben. Seit ich im Internet aktiv bin, stoße ich oft auf Unverständnis, weil ich mich keiner politischen Partei anschließe: »Allein kannst du gar nichts bewirken.« Die Erfahrung hat mich das Gegenteil gelehrt. Ich hatte Gelegenheit, diverse politische Parteien hautnah zu erleben, ich bin führenden Parteivertretern begegnet und konnte dabei feststellen, dass ihre Methoden nicht zielführend sind, dass ihre ganze Arbeit sich darin erschöpft, andere kleinzureden sowie Tagungen und Versammlungen zu organisieren. Sie vergeuden ungeheuer viel Zeit damit, sich untereinander zu befehden und um wichtige Posten zu streiten. Jetzt wollen sie über die jungen Leute Macht erlangen. Und ich will mir weiterhin die Unabhängigkeit bewahren. Wir, die Blogger, sind frei, wir haben es immer abgelehnt, uns zu einer wie auch immer gearteten Organisation zusammenzuschließen, obwohl andere uns dazu bewegen wollten. Hin und wieder versammeln wir uns, wie 2008 und 2009 in Beirut beim BarCamp der arabischen Blogger, aber nur, um Erfahrungen auszutauschen. Bei der Parteiarbeit wird die Zeit streng eingeteilt, man ist eingespannt, gefesselt, an die politische Agenda gekettet und kann nicht sofort reagieren. Die Unmittelbarkeit geht verloren. Es gibt lauter Vorschriften, Protokolle, Grenzen. Ein freies Elektron kennt keine Grenzen. Ein Blogger oder eine Bloggerin ist tausend Mal schlagkräftiger, schneller. Es gibt keine Hierarchie. Alle können sich am Entscheidungsprozess beteiligen. Im Bereich des Cyber-Aktivismus leistet jeder, was er kann, und ein jeder trägt zum Ganzen bei – wie es bei der tunesischen Revolution der Fall war. Alle Tunesier haben die Revolution mitgetragen, keiner war der Anführer, aber alle haben sie auf die eine oder andere Weise angeführt.
»Fehler 404«
Auf Facebook und Twitter, den beiden großen sozialen Netzwerken, führten wir schon seit einigen Jahren umfangreiche und wirkungsvolle Aktionen gegen Zensur und Folter durch. Ich erinnere mich noch genau an meine erste eigene Zensurerfahrung. Es war im Jahr 2008, als ich im Rahmen eines Fulbright-Stipendiums in den USA Arabisch unterrichtete. Der Blog, den ich mit meinem damaligen Freund – einem regimekritischen Journalisten, den ich von Facebook her kannte – gegründet hatte, war von der Regierung Ben Ali gesperrt worden, weil wir es wagten, dort politische Tabu-Themen zu behandeln. Wutentbrannt haute ich in die Tasten – eine halbe Stunde später erschien mein erster Beitrag gegen Zensur auf dem Bildschirm. Sami Ben Gharbia, ein bekannter Cyber-Aktivist, bot mir an, ihn auf Global Voices Online zu veröffentlichen, der Website einer internationalen, gemeinnützigen Vereinigung von Bloggern, die sich gegenseitig über die Ereignisse in ihrer jeweiligen Blogosphäre informieren. Ich habe sofort zugesagt. In meinem Beitrag schrieb ich: »Tunesische Internetnutzer sind inzwischen so vertraut mit der Fehlermeldung ›404 not found‹, dass sie eine virtuelle Gestalt namens Ammar