Oliver Müller
Altern. Sterben. Tod.
Die Vergänglichkeit des Menschen aus
der Sicht der Naturwissenschaften
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Copyright © 2019 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Covergestaltung: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See
Covermotive: © Maksim Shmeljov / shutterstock.com
Tabellen und Abbildungen: © Oliver Müller
ISBN 978-3-641-24067-7
V003
www.gtvh.de
Die Erwähnung und Beschreibung von Substanzen und Vorgehensweisen zur Therapie und Prävention von Krankheiten oder zur Lebensverlängerung garantieren nicht die genannten Wirkungen, stellen keine medizinischen Ratschläge dar und ersetzen auch nicht die von einer Ärztin oder einem Arzt empfohlenen oder angeordneten Maßnahmen.
Für Xenia und Tim, die mich meine eigene Vergänglichkeit vergessen lassen
INHALT
Vorwort
Einleitung
1. LEBEN UND VERGÄNGLICHKEIT
1. Was ist Leben?
Die Besonderheiten des Lebens als Zustand
Der Aufbau des menschlichen Körpers
Weitere Bedingungen des Lebens
Der Nachweis des individuellen Lebens
2. Wann beginnt und wann endet das menschliche Leben?
Die Bedingungen des Lebens am Lebensende
3. Die Phasen des Lebens: Entwicklung, Altern und Sterben
Entwicklung, Zellteilung und Wachstum
2. ALTERN
1. Was ist Altern?
Altern im Alltag
Der Begriff Altern
Wann beginnt und wann endet Altern?
Altern und Krankheit
2. Alterungsprozesse
Die Unumkehrbarkeit der Alterungsprozesse
Das übergeordnete physikalische Prinzip des Alterns
Ordnung ist nicht nur das halbe Leben
Stoffwechsel und Unordnung
Altern im Alter
3. Altern auf mehreren Ebenen
Alterungsprozesse und deren Folgen
Biochemisches Altern
Altern auf Molekülebene I: Anhäufung von molekularem Abfall
Altern auf Molekülebene II: Schädigung wichtiger Moleküle
Alterung auf Molekülebene III: Verkürzung der Chromosomen
Embryonale Stammzellen
Zelluläres Altern
Der Ersatz von toten Organzellen
Zelluläre Seneszenz
Zelluläre Seneszenz und Krebs
Seneszente Zellen als Ursache für die Organalterung
4. Individuelles Altern
Die Geschwindigkeit des Alterns
Beeinflussung der Geschwindigkeit des Alterns
Beschleunigung des Alterns
Verzögerung des Alterns
Alterung der Organe und des Körpers
Merkmale typischer Alterskrankheiten
5. Demenz, Arteriosklerose und Krebs
Demenz
Kleine Gehirne alter und dementer Menschen
Gehirnverkleinerung und Demenz
Häufigkeit der Demenz
Demenz als lebenszeitverkürzender Faktor
Die Alzheimer-Krankheit
Moleküle und Zellen in Gehirnen von Alzheimer-Patienten
Ursachen der Alzheimer-Krankheit
Prävention der Alzheimer-Krankheit und der Demenz
Mehr denken gegen die Alzheimer-Krankheit?
Ginkgo
Arteriosklerose
Entwicklung und Verlauf der Arteriosklerose
Häufigkeit der Arteriosklerose
Faktoren, die das Fortschreiten der Arteriosklerose begünstigen
Folgeerkrankungen der Arteriosklerose
Prävention der Arteriosklerose
Omega-3-Fettsäuren
Krebs
Entstehung einer Tumorzelle und eines Tumors
Ursache der Tumorentstehung
Ursachen für Mutationen
Externe Mutationsursachen
Anzahl von Mutationen
Krebsrisiko und Lebensalter
Häufigkeit der Krankheit Krebs
Krebsprävention
Die 12 Regeln gegen den Krebs
6. Sinn und Vorteile des Alterns und eines hohen Alters
Zunehmende Fähigkeiten im Alter
Leistungsfähigkeit im Alter
Altersweisheit
Kristalline Intelligenz
Altersweisheit: Eine Folge von Alterungsprozessen oder von Lebenserfahrung?
3. STERBEN
1. Die Topthemen Sterben und Tod
Das Sterblichkeitsparadoxon
Relevanz der Sterblichkeit
2. Konsequenzen der beobachtbaren und allgemeinen Sterblichkeit
Sterblichkeit als Voraussetzung für die Weiterentwicklung einer Art
Sterblichkeit als Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Menschen?
Die Weiterentwicklung des Menschen
Sterblichkeit zur Begrenzung der Anzahl »biologisch sinnloser« Jahre
Die Unbewertbarkeit menschlicher Lebensjahre
Der Vorteil älterer Menschen für die Weiterentwicklung des Menschen
Sterblichkeit und Anzahl der Menschen
Die maximal mögliche Anzahl von Menschen
3. Die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit und deren Auswirkungen
Entwicklung der Sterblichkeitserkenntnis
Tabuisierung von Sterben und Tod
4. Die komplexe Angst vor Sterben und Tod
Angst vor dem Ende der Lebenszeit und vor deren Begrenztheit
Angst vor Leiden während des Sterbeprozesses
Angst vor dem Tod als Zustand und vor der Situation nach dem Leben
Argumente gegen Angst vor Sterben und Tod
Thanatophobie: Die krankhafte Angst vor Sterben und Tod
5. Beeinflusst die Sterblichkeitserkenntnis unsere Handlungen?
Die Sterblichkeitserkenntnis als Antrieb
Die Sterblichkeitserkenntnis als Faktor, der unsere Handlungen beeinflusst
Der Einfluss der Sterblichkeitserkenntnis auf die menschliche Zivilisation
Erkenntnis der Sterblichkeit als Voraussetzung für Lebensqualität
Der Wert der Sterblichkeitserkenntnis
6. Der Sterbeprozess
Der Beginn des Sterbens
Die Phasen des Sterbeprozesses
Das Ende des Sterbeprozesses und der Beginn des Todes
7. Sterblichkeit in Zahlen
Sterblichkeit und Mortalität
Wo sterben wir?
Woran sterben wir?
Die rechtsmedizinische Einteilung der Todesarten
Die gerichtsmedizinische Sektion
Die klinische Sektion
Die medizinische Einteilung der Todesursachen
Die häufigsten Todesursachen
Wann sterben wir?
Mortalität in verschiedenen Lebensaltern
Die mittlere Lebenserwartung
Statistische Einflüsse auf die mittlere Lebenserwartung
Die fernere Lebenserwartung
Entwicklungen der mittleren und der ferneren Lebenserwartung
Die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Frauen und Männern
Die unterschiedlichen Lebenserwartungen in verschiedenen Ländern
Ursachen der unterschiedlichen Lebenserwartungen in verschiedenen Ländern
Zusammenhang zwischen Reichtum eines Landes und Lebenserwartung
Abnahme der Lebenserwartung in manchen reichen Ländern
8. Künftige Entwicklung der Lebenserwartung
Entwicklung der Kinder- und Säuglingssterblichkeit
Die künftige Entwicklung der mittleren Lebenserwartung in Deutschland
Wie alt können wir werden?
Wie können wir unsere Lebenserwartung erhöhen?
Warum leben Japaner in Japan so lang?
Medizinische Ratschläge zur Prävention der häufigsten Krankheiten
Populäre Ratschläge zur Lebensverlängerung
Die Pille, die längeres Leben garantiert
Verlängerung des Lebens von Tieren in Gefangenschaft
Verlängert Hungern die Lebenserwartung?
9. Das Sterben der einzelnen Zelle
Nekrose und Apoptose
Unterschiede zwischen Nekrose und Apoptose
4. TOD
1. Was ist der Tod?
Die Prinzipien des Todes
2. Die Stufen bis zum endgültigen Tod
Der klinische Tod
Der Hirntod
Der Hirntod als endgültiger Tod
Hirntod ohne vorherigen klinischen Tod
Funktionierender Körper trotz Hirntod
Unterschiede zwischen Tod und Wachkoma
Die Feststellung des Hirntods
Kritik am Hirntodkonzept
Argumente für die Definition des Hirntodes als endgültigen Tod
Ende aller Organfunktionen und der biologische Tod
Der genaue Zeitpunkt des Todesbeginns
3. Todeszeichen
Herzstillstand
Die todbringende Verletzung
Die Nulllinie im Elektroenzephalogramm
Atemstillstand
Fehlen des Pupillenreflexes und anderer Reflexe
Totenkälte
Totenflecken
Totenstarre
Verwesung und Fäulnis
4. Der Umgang mit dem eigenen nahenden Tod
Die stufenartige Reaktion auf die Nachricht des nahenden Todes
Kritik am Phasenmodell
5. Nahtoderfahrungen
Inhalte der Nahtoderfahrungen
Nahtoderfahrungen als Indizien für eine Weiterexistenz nach dem Tod
Argumente gegen Nahtoderfahrungen als Beweise für eine postmortale Weiterexistenz
6. Die alte Menschheitsfrage: Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Die Seelenlehre im Alltag
Eigenschaften der Seele
Die Seelenlehre in den fünf Weltreligionen
Die Attraktivität der Seelenlehre
Die Seele aus Sicht der Wissenschaft
Nachweis von Aktivitäten der Seele am lebenden Gehirn und an Nervenzellen
Die Körperabhängigkeit der Seele
Körperlosigkeit und Unsterblichkeit der Seele
Unsterblichkeit und Körperlosigkeit der Seele provozieren viele Fragen
Schlussfolgerungen
Möglichkeiten der postmortalen Weiterexistenz
Kryonik
Mind uploading
Reproduktion
Klonen
Konservierung
Werke und Erinnerung
Das Leben nach dem eigenen Tod
7. Auswege aus der Sackgasse
Fokussierung auf das laufende Leben
Kann man die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit dauerhaft ausblenden?
Wissenschaftlicher Nachweis der unsterblichen Seele
Unsterblichkeit durch Medizin und Wissenschaft
Wissen oder Glauben?
Verwendete und weiterführende Literatur
VORWORT
Wer über Sterben und Tod nachdenkt, thematisiert letztendlich das Leben.
Margot Käßmann, deutsche Theologin
Warum muss jeder Mensch sterben? Was passiert beim Sterben? Geht das Leben nach dem Tod weiter? Diese Fragen beschäftigen mich seit meiner Kindheit. Meine Antworten darauf variierten von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt. Als kleiner Junge war für mich klar, dass mein Vater nach seinem frühen Tod nur kurz weg war und sehr bald zurückkommen würde. Ein paar Jahre später fragte ich als Jugendlicher nach dem Sinn unseres Daseins. In der kurzen Zeit zwischen Geburt und Tod konnte ich schon aufgrund der zeitlichen Begrenztheit keinen Sinn erkennen. Daher muss das Leben im Tod irgendwie weitergehen, um wenigstens posthum Sinn zu machen. Ist das Leben vor dem Tod vielleicht nur eine Art Vorbereitung auf die viel wichtigere Existenz nach dem Tod? Diese Idee passte zu den christlichen Vorstellungen, die ich im Religions- und Konfirmandenunterricht kennenlernte. Während meines Theologiestudiums hoffte ich, noch mehr darüber zu erfahren, um die für mich wichtigen Fragen beantworten zu können. Doch je mehr ich mich in das Studium der christlichen Ideen vertiefte, desto mehr erkannte ich, dass man als religiöser Mensch viele teilweise widersprüchliche Prämissen im wahrsten Wortsinne glauben, also unbewiesen übernehmen muss. Dazu sah ich mich nicht in der Lage und suchte meine persönliche und berufliche Zukunft in Naturwissenschaft und Medizin. Während meines naturwissenschaftlichen Studiums lernte ich die Moleküle, Zellen und Strukturen sowie die molekularen und zellulären Vorgänge kennen, die einen lebenden Körper ausmachen. Ich erfuhr, dass diese Vorgänge nur in einem lebenden Organismus geordnet ablaufen können und mit dem Tod des Organismus enden. Nach dieser Vorstellung ist der lebende Mensch »nur« ein hochkomplexes System aus Molekülen, Zellen und Organen, in denen ständig unzählige Vorgänge und Reaktionen ablaufen. Mit dem Lebensende enden diese Abläufe. Mehr lernte ich im Studium nicht über die Themen Altern, Sterben und Tod. Das lag vor allem daran, dass man damals, in den 1980er-Jahren noch nicht viel darüber wusste. Methoden zur Analyse der Aktivität von Nervenzellen und von ganzen Hirnregionen waren gerade erst entwickelt und noch zu kompliziert und zu teuer, um sie zur Klärung von Fragen rund um Altern, Sterben und Tod einzusetzen. Außerdem kümmerten sich die Lebenswissenschaftler schon aufgrund ihres Selbstverständnisses vor allem um die Vorgänge während des Lebens. Altern, Sterben und Tod lagen für die meisten von ihnen nicht nur am zeitlichen Rand des Lebens, sondern auch am thematischen Rand ihrer Wissenschaft.
Das hat sich unterdessen sehr gewandelt. In den letzten Jahren konnte die moderne Naturwissenschaft viele Fragen rund um Altern, Sterben und Tod beantworten. Mediziner und Naturwissenschaftler haben das spannende Thema der menschlichen Vergänglichkeit als Forschungsthema entdeckt. An vielen Universitäten wurden Lehrstühle und Institute für die Erforschung der Prozesse und der Folgen des Alterns eingerichtet. Zahlreiche internationale Fachzeitschriften haben sich auf die Veröffentlichung von Studien spezialisiert, in denen die Vorgänge während des Alterns, des Sterbens und nach dem Lebensende näher untersucht werden.
Leider sind die dabei gewonnenen Erkenntnisse noch nicht bei vielen Menschen angekommen. Genau das will ich mit diesem Buch ändern. Leserinnen und Leser sollen nach der Lektüre die aktuelle Sicht der Naturwissenschaft auf Altern, Sterben und Tod kennen und verstehen. Die in diesem Buch gebotenen Informationen können vielleicht dabei helfen das eigene Lebensende als weniger bedrohlich zu empfinden, und die persönlichen Vorstellungen der menschlichen Vergänglichkeit mit Hilfe wissenschaftlicher Fakten zu modifizieren und zu ergänzen. Wenn ich manche Hemmungen abbauen kann, über das eigene Altern, das eigene Sterben und den eigenen Tod vorurteilsfrei und sachlich nachzudenken, dann habe ich mein Ziel erreicht. Wenn dieses Buch außerdem die eine Leserin und den anderen Leser dazu anregen kann, mit ihren und seinen Mitmenschen über diese Themen zu diskutieren, würde ich mich freuen.
Eine Abhandlung über so ein umfangreiches und vielschichtiges Thema wie die menschliche Vergänglichkeit kann nur einen Bruchteil des vorhandenen Wissens darstellen. Die Auswahl der dargestellten Themen erfolgte nach rein subjektiven Kriterien. Wenn ich ein Thema nur am Rande oder gar nicht erwähne, bedeutet das nicht, dass dieses Gebiet unwichtig ist. Weitere und vertiefende Informationen finden sich in den zitierten Quellen und auf der buchbegleitenden Internetseite http://www.altern-sterben-tod.de.
Auch wenn ich versucht habe, alle Aspekte korrekt und unmissverständlich darzustellen, kann ein Buch wie dieses nicht frei von Unvollständigkeiten und missverständlichen Formulierungen sein. Ich freue mich deshalb über jeden sachlichen Kommentar und alle konstruktiven Verbesserungsvorschläge.
Ein solches Buch kann nicht von einem Menschen alleine geschrieben und veröffentlicht werden. Ich danke allen, die zum Entstehen und zur Veröffentlichung des Buches beigetragen haben. Professor Dr. Hermann Herbst danke ich für seine Erlaubnis, Fotos seiner mikroskopischen und makroskopischen Präparate zu verwenden. Dr. Martina Wesselhöft und Martin Iwanski danke ich für die Vermittlung wichtiger Kontakte und die Unterstützung während der Erstellung des Manuskripts. Meinem Literaturagenten Günter Berg danke ich dafür, dass er von Anfang an vom Gelingen des Projekts überzeugt war und mich auf vielfältige Weise unterstützt hat. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gütersloher Verlagshauses danke ich für die fruchtbare Zusammenarbeit. Allen voran gilt mein Dank Diedrich Steen für die guten Gespräche, für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für seine zahlreichen Ideen und Verbesserungsvorschläge. Gudrun Krieger und Beate Nottbrock danke ich für ihre sorgfältige Arbeit bei der Formatierung und Zusammenstellung des Manuskripts. Meiner Familie danke ich dafür, dass sie mir die Zeit, die Ruhe und das Vertrauen gab, um mich diesem Projekt widmen zu können.
Zweibrücken, Herbst 2018
Oliver Müller
EINLEITUNG
Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit.
Bibel, Altes Testament, Prediger 3, Vers 1
Vergänglichkeit ist das Phänomen der zeitlich begrenzten Existenz. Alles, was aus Materie besteht, ist vergänglich. Da unser Körper aus Materie besteht, ist auch er vergänglich. Daraus folgt, dass unsere Zeit als eine Kombination aus körperlichen und nicht körperlichen Anteilen irgendwann vorbei sein wird. Wir werden vergehen und dann irgendwann vergangen und Vergangenheit sein. Unser Weg in die Vergangenheit beginnt bereits während unseres Lebens und führt über Altern und Sterben in den Tod.
Mit diesen simplen Tatsachen werden wir täglich konfrontiert. Ältere Menschen berichten uns über ihre nachlassenden Fähigkeiten und Alterskrankheiten. Immer wieder erfahren wir vom Tod eines nahestehenden Menschen oder müssen das Sterben eines Mitmenschen miterleben. Und manch einer der gestorbenen Menschen fehlt uns noch lange nach seinem Tod. Aber nicht nur die Vergänglichkeit anderer Menschen ist uns ständig präsent. Altern, Sterben und Tod bedrohen uns auch selbst und kommen uns selbst unweigerlich immer näher. Spätestens wenn wir die Folgen des Alterns im eigenen Körper spüren, wird uns bewusst, dass auch wir altern und dass auch unsere eigene Lebenszeit begrenzt ist.
Trotz ihrer unmittelbaren Nähe werden die vielen Fragen und Probleme, die unsere Vergänglichkeit verursacht, in unserer Gesellschaft, die auf Jugend und moderne Technik setzt, verdrängt und tabuisiert. Denn unsere sicher eintretende Nichtexistenz wirkt bedrohlich, macht Angst und provoziert unzählige Fragen. Viele von uns haben Angst vor den Antworten auf diese Fragen und trauen sich darum nicht, sie zu stellen. Und wer doch einmal mehr wissen will, wird mit jahrhundertealten Hypothesen, persönlichen Wunschvorstellungen oder vorgefertigten Ideologien konfrontiert, die oft noch mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.
Eine Ursache für die Unsicherheit und die Angst vor unserer unausweichlichen Vergänglichkeit ist unser mangelndes Wissen. Die meisten von uns kennen weder die genauen Vorgänge in einem alternden Körper, noch kennen sie die typischen Phasen des Sterbens oder die Unterschiede zwischen einem lebenden und einem endgültig toten Menschen.
Mein Ziel ist es, Unsicherheit und Angst beim Umgang mit unserer Vergänglichkeit durch Wissen und Sachlichkeit zu mildern. Denn in den letzten Jahren konnten Wissenschaftler und Ärzte viele Rätsel rund um die Themen Altern, Sterben und Tod lösen. Auf Fragen wie: »Warum altern wir überhaupt?«, »Warum führt Altern immer irgendwann zum Tod?«, »Was passiert beim Sterben?« und »Gibt es ein Leben nach dem Tod?« konnten in zahlreichen wissenschaftlichen Studien Antworten gefunden werden. Dieses Buch stellt die Ergebnisse einiger dieser Studien vor.
Die Frage dabei ist, welche Voraussetzungen eine Studie erfüllen muss, um als wissenschaftlich bezeichnet zu werden. Immerhin sind sich alle Wissenschaftler darüber einig, dass eine Studie, die wissenschaftlich genannt werden kann, vier Bedingungen erfüllen sollte, nämlich:
Was das bedeutet, kann an folgendem Beispiel deutlich werden: Ein multinationales Wissenschaftler-Team unter der Leitung von Rafael de Cabo von den amerikanischen Gesundheitsinstituten in Baltimore (USA) analysierte den Effekt des Diabetes-Medikaments Metformin. Konkret wollten die Forscher wissen, ob Metformin die Lebensdauer von Mäusen beeinflusst. Dazu gaben sie einer Gruppe von Mäusen täglich eine Dosis Metformin, während eine zweite Gruppe kein Metformin erhielt. Bis auf die Metformin-Gabe wurden alle Mäuse unter identischen Bedingungen gehalten. Jeden Tag wurden die lebenden Mäuse in beiden Gruppen gezählt, so lange, bis alle Mäuse tot waren. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die Anzahl der lebenden Mäuse in der Metformin-Gruppe langsamer abnahm als in der Gruppe der Kontrollmäuse. Mit anderen Worten: Die Mäuse mit Metformin lebten länger als die Mäuse ohne Metformin.
Zuallererst müssen die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie zuverlässig sein und dürfen nicht einfach nur auf Zufall beruhen. In der genannten Studie zeigte die statistische Auswertung der Überlebenszeiten der Mäuse, dass sich die Lebenszeiten zwischen behandelten und unbehandelten Tieren signifikant unterschieden. Und auch in einer anderen ähnlichen Studie sollten sich die Lebenszeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit in ähnlichem Ausmaß unterscheiden. Das heißt, die Ergebnisse sind mit Hilfe einer ähnlichen Studie reproduzierbar (wiederholbar). Damit sind die Studie und die erhaltenen Ergebnisse zuverlässig, sie erfüllen das Kriterium der Reliabilität.
Wichtig ist auch, dass die Ergebnisse einer Studie unbeeinflusst und unabhängig von äußeren Faktoren und auch von den Personen sind, die die Analysen durchführen. Wenn man davon ausgeht, dass die Wissenschaftler bei der Haltung, Zählung und Dokumentation der lebenden Mäuse keine Fehler gemacht haben und dass auch andere Wissenschaftler unter den gegebenen Versuchsbedingungen dieselben Ergebnisse erhalten hätten, ist das Kriterium der Objektivität erfüllt.
Natürlich können in keiner Studie die Auswirkungen eines Parameters auf alle Lebewesen einer bestimmten Art untersucht werden. Im Fall der erwähnten Studie wäre es unmöglich gewesen, die Wirkung von Metformin auf alle zurzeit lebenden Mäuse zu testen. Um aus beispielhaften Ergebnissen mit einer begrenzten Anzahl von Tieren auf viele Organismen, am besten auf alle Organismen einer Art schließen zu können, muss das Kriterium der Repräsentativität erfüllt sein. In der genannten Studie wirkte sich Metformin auf die Lebenszeiten von Mäusen unterschiedlicher Mäusestämme sehr ähnlich aus. Daraus kann man schließen, dass Metformin sehr wahrscheinlich auch auf nicht getestete Mäuse ganz ähnliche Effekte hat. Damit sind die beispielhaften Ergebnisse repräsentativ für alle Mäuse.
Schließlich müssen die Ergebnisse die zu Beginn gestellte Frage beantworten. Im Fall dieser Studie lautete die Ausgangsfrage: »Wirkt sich Metformin auf die Lebensdauer von Mäusen aus?« Diese Frage wurde durch Vergleich der Lebenszeiten Metformin-behandelter mit den Lebenszeiten unbehandelter Mäuse und durch die dabei erhaltenen Ergebnisse beantwortet. Damit sind die Studie und die erhaltenen Ergebnisse zur Beantwortung der gestellten Frage geeignet (gültig), sie erfüllen das Kriterium der Validität.
Nicht alle Fragen rund um Altern, Sterben und Tod können durch experimentelle Studien beantwortet werden, die die Bedingungen der Naturwissenschaft erfüllen. Beispielsweise ist es schwierig, den Einfluss der Sterblichkeitserkenntnis, also unseres Wissens, dass wir sterben müssen, auf unser Leben nach strengen wissenschaftlichen Kriterien endgültig zu untersuchen. Dies liegt daran, dass wir uns und unser Leben nicht mit Menschen und deren Leben vergleichen können, bei denen diese Erkenntnis keine Rolle spielt. Denn es gibt weder unsterbliche Menschen noch Menschen, denen die eigene Sterblichkeit nicht bewusst ist. Deshalb werde ich die Rolle der Sterblichkeitserkenntnis und auch einzelne andere Themen anhand ausgewählter vorurteilsfreier Denkmodelle und Konzepte der modernen Philosophie darstellen.
Das Buch gliedert sich in vier unabhängige Kapitel. Auch wenn es viele Querverweise zwischen den Kapiteln gibt, stehen die einzelnen Kapitel für sich und können auch unabhängig voneinander gelesen und verstanden werden. Bevor ich die vielschichtigen Prozesse der Vergänglichkeit und des Alterns vorstelle, erläutere ich die allgemeinen Grundlagen des Lebens. Die Besonderheiten eines lebenden Systems, der Aufbau unseres Körpers und die Antworten auf die Fragen, wann individuelles Leben beginnt und wann es endet, werden im ersten Kapitel zusammenfassend beschrieben.
Die Moleküle, Zellen und Strukturen, die den Körper formen, beginnen sich bereits während der Alterung und dann vor allem ab dem Zeitpunkt des Lebensendes zu verändern und in der Atmosphäre zu verteilen. Dieser Zusammenhang und das übergeordnete physikalische Prinzip der Vergänglichkeit werden im zweiten Kapitel »Altern« erläutert. Weitere Themen dieses Kapitels sind die molekularen, zellulären und organischen Alterungsprozesse sowie die Alterskrankheiten, die aus der Vergänglichkeit der körperlichen Materie resultieren. Mit Demenz, Arteriosklerose und Krebs werden drei typische Alterskrankheiten näher beschrieben.
Letzte Konsequenz des Alterns ist das Sterben. Im dritten Kapitel werden die Phasen des Sterbeprozesses beschrieben. Der Einfluss der Sterblichkeit auf unser Leben wird vorgestellt. Außerdem werden die menschliche Lebenserwartung und die Ursachen für die unterschiedlichen Lebenserwartungen beleuchtet. Verschiedene Möglichkeiten zur Beeinflussung unserer Lebenserwartung werden vorgestellt.
Jedes individuelle Leben endet mit dem Beginn eines besonderen Zustands, der Tod genannt wird. Im vierten Kapitel wird dieser Zustand anhand von acht Prinzipien näher beschrieben. Definitionen des genauen Zeitpunkts des Todesbeginns werden vorgestellt und miteinander verglichen. Die Entstehung und die Bedeutung von Nahtoderfahrungen werden erklärt. Schließlich werden Möglichkeiten der postmortalen Weiterexistenz vorgestellt, um die Frage nach einer möglichen Weiterexistenz nach dem Lebensende zu beantworten.