Herausgegeben von
Peter Müller
Sabine Pemsel-Maier
1. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Satz: Andrea Siebert, Neuendettelsau
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-023260-0
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-023476-5
epub: ISBN 978-3-17-029039-6
mobi: ISBN 978-3-17-029040-2
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Mit dem vorliegenden Band beginnt die Buchreihe „Theologie elementar“. Sie soll Studierende der Theologie und Religionspädagogik sowie Lehrkräfte aller Schularten in zentrale Themen der Theologie einführen, ihnen grundlegende Kenntnisse vermitteln und Kompetenzen im Umgang mit ihnen anbahnen. Im Mittelpunkt steht Gott als „Hauptwort der Theologie“, das in den einzelnen Bänden der Reihe aufgeschlüsselt wird. Die Frage nach Gott wird dabei in ihren jeweiligen Bezügen zur Sprache gebracht: Gott und Welt, Gott und Mensch, Gott und das Leben, Gott und Jesus Christus, Gott und die Bibel, Gott und die Kirche(n), Gott und die Religion(en). „Gott und die Bibel“ ist dementsprechend eine Einführung in die Bibel mit der Frage nach ihren Gottesvorstellungen als thematischem Schwerpunkt.
Alle Bände gehen ihrer jeweiligen Thematik anhand grundlegender Erkenntnisse des jeweiligen theologischen Fachgebiets nach. Sie sind in didaktischer Perspektive geschrieben und verbinden theologische Inhalte mit aktuellen Fragestellungen und einigen Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung. Dass dies angesichts der Fülle des jeweils zu behandelnden Stoffs nicht ausführlich, sondern nur schlaglichtartig geschehen kann, liegt auf der Hand.
Die Reihe ist ökumenisch ausgerichtet; wo konfessionelle Unterschiede vorhanden sind, werden sie beleuchtet. Dies ist in den einzelnen Bänden in unterschiedlicher Intensität der Fall. In der alt- und neutestamentlichen Exegese sind die konfessionellen Unterschiede erfreulich gering. Natürlich gibt es zu vielen Einzelfragen unterschiedliche Auffassungen; sie sind aber ganz überwiegend inhaltlicher Art und nicht in erster Linie konfessionsbezogen. Die konfessionelle Problematik spielt deshalb im vorliegenden Band nur eine geringe Rolle.1
Die didaktische Ausrichtung zeigt sich zum einen an den die Kapitel jeweils einleitenden Hinweisen und Fragen, die gegenwärtige Diskurse widerspiegeln, zum anderen an den Anregungen für den Unterricht. Bei „Gott und die Bibel“ legt sich natürlich der Gottesbezug nahe, der nicht nur für alle biblischen Schriften charakteristisch ist, sondern auch das Zentrum des Religionsunterrichts bildet.2 Angesichts der Vorgabe, möglichst knapp zu informieren, können die Anregungen nur Anstöße sein, die weiter gedacht werden müssen. Die Kombination von exegetischen und religionspädagogischen Fragestellungen soll aber die Erkenntnis vermitteln, dass die einzelnen theologischen Disziplinen zwar jeweils eigene Schwerpunkte setzen, gleichwohl aber aufeinander bezogen und angewiesen sind.
Mein Karlsruher Kollege aus der Katholischen Theologie, Prof. Dr. Alexander Weihs, hat das ganze Manuskript gelesen und kommentiert. Mein Freund und alttestamentlicher Kollege, Prof. Dr. Martin Rose, Neuchâtel, hat mit vielen Anfragen und Hinweisen zur Verbesserung des Manuskripts beigetragen. Beiden Kollegen danke ich herzlich für die Zeit und Mühe, die sie aufgewandt haben.
Dank gebührt auch meiner studentischen Mitarbeiterin Meike Fischer. Sie hat viele Tippfehler entdeckt und mit etlichen Formulierungsvorschlägen zur besseren Lesbarkeit des Buches beigetragen. Schließlich seien auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kohlhammer-Verlags erwähnt, die die Entstehung des Buches und der ganzen Reihe freundlich und kompetent begleiten.
Karlsruhe, Oktober 2014 | Peter Müller |
1 Vgl. vor allem die Bemerkungen zur Unsterblichkeit der Seele, unten 151, und zum Verhältnis von Glaube und Werken, unten 193.
2 Vgl. Schweitzer, Gott im Religionsunterricht; Baumann, Schwierigkeiten, 185.
Liest man das Alte Testament (AT) im heutigen kanonischen Zusammenhang, treten bestimmte Aussagen über Gott besonders hervor. Das erste Gebot lautet: „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ (Ex 20,2f.). Dass Gott Israel aus der ägyptischen Sklaverei befreit hat, ist ein grundlegendes und vielfach wiederholtes Bekenntnis (Dtn 1,27; 5,6; Jos 24,17; Ps 81,11 u. ö.), in dem verschiedene Gedanken gebündelt sind: Gott steht in einer besonderen Beziehung zu Israel, er handelt in der menschlichen Geschichte und führt das Volk in die Freiheit. Und Jes 45,5 hält fest: „Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, kein Gott ist außer mir“ (vgl. Dtn 4,39).
Vergleicht man beide Aussagen ergibt sich eine Frage: Wieso wird Israel geboten, keine anderen Götter neben Jahwe1 zu haben, wenn es nur den einen Gott gibt? Die Frage macht auf Entwicklungslinien im alttestamentlichen Denken über Gott aufmerksam. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass sich das Gottesbild Israels im Lauf der Zeit gewandelt hat. Die grundlegende Einsicht von der Einzigkeit Gottes ist erst nach und nach entstanden und in den Vordergrund getreten.
Liest man die at.lichen Schriften im Zusammenhang des Kanons, kann man die Unterschiede als Aspekte eines einheitlichen Gottesbildes verstehen: Gott erscheint in Gen 1–11 als Schöpfer der Welt, bindet sich ab Gen 15,18 durch einen Bund* an Abraham und seine Nachkommen und tritt ab Ex 1,9; 2,25 als Gott des Volkes Israel auf. Im Neuen Testament (NT) sehen sich die Christen als Erben dieser Geschichte, ob sie aus dem Judentum kommen oder nicht. Das kanonische Verständnis geht also von der Endgestalt der Bibel aus und hebt die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Vorstellungen von Gott hervor: Es ist ein und derselbe Gott, der die Welt geschaffen, Abraham erwählt, sich des Volkes Israel erbarmt und sich schließlich in Jesus Christus offenbart hat. Liest man die biblischen Schriften dagegen als Werke aus ihrer je eigenen Zeit und mit ihren literarischen Eigenheiten, wird man auf Entwicklungen im Gottesbild aufmerksam. Dabei zeigt sich, dass die Vorstellungen Israels von Gott über einen langen Zeitraum hinweg und in Auseinandersetzung mit Erfahrungen Israels und seinen Nachbarvölkern entstanden sind. Beide Sichtweisen haben ihre Vorzüge: Der Blick auf die einzelnen Schriften zeigt, wie sich der Glaube an den Gott Israels mit den Erfahrungen und der Geschichte des Volkes verbindet und z. T. erheblich wandelt. Der Blick auf die Endgestalt des Kanons nimmt ernst, dass die Redaktoren des AT und NT in der Vielfalt der Gottesvorstellungen eine Einheit gesehen und die Erkenntnis formuliert haben, dass Gott größer ist als das jeweils zeitbedingte Sprechen von ihm.
Buchstäblich von der ersten Seite bis zur letzten Seite der Bibel ist von Gott die Rede. Deshalb bilden die Vorstellungen von Gott die thematische Leitlinie für die folgende Einführung. Bibelkundliche Erkenntnisse, geschichtliche Entwicklungen und theologische Positionen werden aufgegriffen, um diese Leitlinie mit ihren verschiedenen Aspekten näher zu beleuchten.
Die Einzelkapitel folgen einem bestimmten Schema. Auf eine knappe, von aktuellen Fragen ausgehende Einführung folgt zunächst ein für das jeweilige Gottesverständnis charakteristischer Bibeltext; er wird auf seine Aussageabsicht und theologischen Implikationen hin befragt und anschließend in seine literarischen und geschichtlichen Kontexte eingeordnet. Danach werden die in diesem Text angesprochenen Gottesvorstellungen in einem größeren Zusammenhang dargelegt. Jedes Kapitel enthält weiterhin einen Exkurs, in dem ein wichtiger Aspekt des Ausgangstextes aufgegriffen und in gesamtbiblischer Perspektive behandelt wird. Abgeschlossen werden die Kapitel mit Anregungen für den Unterricht und Literaturhinweisen zum Weiterlesen.
Einige Fragen (z. B. historischer oder literaturgeschichtlicher Art oder die Frage nach dem Verhältnis der beiden Testamente zueinander) lassen sich in diesem Schema nur schwer unterbringen. Sie werden zu Beginn, in einem Zwischen und einem Schlusskapitel behandelt.
Die Reihenfolge der behandelten Texte orientiert sich an ihrer kanonischen Ordnung, für das AT allerdings nicht an der Fassung der Lutherbibel, sondern der „hebräischen Bibel“, des Tanach*. Dessen Anordnung spiegelt die Entwicklung der Gottesvorstellungen deutlicher wider als die der Septuaginta*2 oder der Lutherübersetzung (die aber als Text zugrunde gelegt wird). Man könnte sich mit guten Gründen auch an der Entstehungszeit der biblischen Bücher orientieren. Die Mehrzahl der at.lichen Schriften ist in oder nach dem babylonischen Exil entstanden oder redigiert worden. Das bedeutet: Die Vorstellung vom „Schöpfer des Himmels und der Erden“ ist zwar die erste Aussage über Gott in der Bibel, aber nicht die älteste; der „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ ist älter als der Glaube an den Schöpfergott. Eine chronologische Anordnung hat deshalb viel für sich.3 Ich wähle zur leichteren Orientierung gleichwohl die kanonische Abfolge des Tanach. Das macht allerdings an manchen Stellen Rückgriffe und an anderen Stellen Hinweise auf Folgendes notwendig.
Das Buch arbeitet mit einem Verweissystem. Wichtige Begriffe (mit * gekennzeichnet) werden am Ende in einem Glossar erklärt. Querverweise innerhalb des Buches werden in den Anmerkungen gegeben. Ebenfalls in den Anmerkungen finden sich einige Hinweise auf theologische Themen, die in folgenden Bänden der Reihe behandelt werden.
Literatur zum Weiterlesen
Bormann: Bibelkunde
Köhlmoos: Altes Testament
1 Vgl. hierzu unten, 43–45.
2 Vgl. zum Tanach und zur Septuaginta das Zwischenkapitel 135–139.
3 Z. B. die literaturhistorische Vertiefung bei Köhlmoos, Altes Testament, 146–259.
Das „Land der Bibel“ hat relativ klare Grenzen: Im Westen die Mittelmeerküste, im Norden die Gebirge des Libanon und des Antilibanon, im Ostjordanland und im Süden geht das Kulturland in Steppe und dann in Wüste über. Die Angabe „von Dan bis Beerscheba“ (Ri 20,1; 1Sam 3,20; 2Sam 3,10) beschreibt die Nord-Süd-Ausdehnung recht genau. Für dieses Land gibt es jedoch mehrere Begriffe mit verschiedenen Konnotationen.1
Kanaan bezeichnet eine ägyptische Provinz im 14.–12. Jh., dann ein Gebiet, in dem verschiedene Stadtstaaten mit einem mehr oder weniger großen Umfeld nebeneinander existieren. Ein Land Kanaan im Sinne einer staatlichen Größe hat es nie gegeben. Für das AT ist Kanaan das von Gott verheißene Land, in dem das Volk Israel sich niederlässt, von dessen Bewohnern es sich aber abgrenzt.
Israel bezeichnet zunächst einen Stammesverband im zentralen Bergland, in der frühen Königszeit das gemeinsame Gebiet der Nord- und der Südstämme, nach deren Trennung nur noch das Nordreich, während das Südreich Juda* heißt. Nach dem Untergang des Nordreichs 722 v. Chr. kann sich auch das Südreich als „Israel“ bezeichnen (Jer 17,13) und damit einen religiösen Anspruch zum Ausdruck bringen. Als Volksbezeichnung wird Israel über den Untergang Judas hinaus und bis in die neutestamentliche Zeit hinein verwendet (z. B. Mt 8,10). Das Südreich Juda wird in persischer Zeit Jehud* genannt, unter den Griechen und Römern Judäa *.
Samaria ist die Hauptstadt des Nordreichs Israel, kann aber auch die assyrische, babylonische und persische Provinz Samaria bezeichnen. Syrien ist erst im 5. Jh. v. Chr. als Name belegt. Es handelt sich um das nordöstlich an das Nordreich Israel anschließende Gebiet. In der Zeit des Nordreichs Israel ist dies das Siedlungsgebiet der Aramäer und wird als Aram bezeichnet. Von den Philistern, die sich ab dem 12. Jh. in der südlichen Küstenebene ansiedeln (Gen 21,32–34), leitet sich der Name Palästina* ab. Zu einem klar abgrenzbaren Gebiet wird Palästina erst unter den Römern. Nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands (135 n. Chr.) wird die römische Provinz Ioudaea in „Syria-Palaestina“ umbenannt. In diesem Buch wird Palästina als geographische Bezeichnung verwendet. Levante* ist schließlich eine Sammelbezeichnung für die Länder an der östlichen Mittelmeerküste.
Das Land „zwischen Dan und Beerscheba“ ist nicht groß, aber vielgestaltig. Man kann – auf der Höhe von Jerusalem, von Westen nach Osten – die Küstenebene, das fruchtbare Hügelland (Schefala), das Bergland, den Jordangraben mit dem Toten Meer und das transjordanische Bergland unterscheiden. Westlich des Jordangrabens liegt im Norden Galiläa. Die Niederschlagsmengen schaffen hier gute Voraussetzungen für den Ackerbau. Nach Süden schließt das palästinische Bergland an, zunächst das samarische (auch Gebirge Efraim genannt) und etwa ab der Höhe Jerusalems das judäische Bergland. Zur Küste hin befindet sich im Süden Galiläas die fruchtbare Jesreel-Ebene, gefolgt vom Karmel-Gebirge. Südlich des Karmel folgt die Scharon-Ebene, die in das „Land der Philister“ übergeht. Der Nordteil des Landes (von Galiläa bis nördlich von Jerusalem) ist fruchtbarer und wirtschaftlich potenter.
Das östlich des Jordans gelegene Plateau wird durch kleinere Flüsse gegliedert: Nördlich des Jarmuk liegt Basan, zwischen Jarmuk und Jabbok Gilead, zwischen Jabbok und Arnon das Reich der Ammoniter, südlich des Arnon liegt Moab und weiter im Süden Edom (im AT auch Seir genannt).
Palästina* ist Teil einer Region, die man als „Fruchtbaren Halbmond“ bezeichnet. Damit beschreibt man ein Gebiet, das sich vom Überschwemmungsbereich des Nils in Ägypten über Palästina und nördlich angrenzende Länder nach Osten bis zu den großen Flüssen Euphrat und Tigris erstreckt. Sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien (dem „Land zwischen den Flüssen“) bilden sich in vorbiblischer und biblischer Zeit große Machtzentren aus. Von Mesopotamien aus beherrschen zwischen 850 und 605 die Assyrer, von 605–539 die Babylonier und danach die Perser große Teile des Alten Orients. In Ägypten bilden sich mehrere Großreiche heraus, die ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. immer wieder Einfluss auf Palästina nehmen. Diese Mittellage ermöglicht in Friedenszeiten ausgedehnten Handel, in Kriegszeiten dagegen ist sie katastrophal. Große Straßen dienen dem Handel oder dem Aufmarsch von Truppen. Die Via Maris (Jes 9,1; Mt 4,15) führt durch die Küstenebene, die königliche Straße über das transjordanische Plateau, beide Straßen verbinden die Großräume im Osten und Süden. Dass das kleine Land politisch und militärisch extrem von den Interessen der mächtigen Nachbarn abhängig ist, ergibt sich aus seiner Lage.
Ab der Spätzeit der persischen Herrschaft ändert sich die politische „Großwetterlage“. In Griechenland entsteht unter Alexander ein neues Weltreich, dem ab 332 v. Chr. auch Palästina* untersteht. Zwar hat es als Großreich keinen Bestand; aber auch die Nachfolgestaaten sind durch und durch griechisch geprägt. Für Palästina sind die Königreiche der Seleukiden (die vom nördlichen Syrien aus herrschen) und der Ptolemäer (Ägypten) wichtig; mehrfach wechselt die Vorherrschaft über Palästina zwischen ihnen. Der Befreiungskampf der Makkabäer* und die sich anschließende Hasmonäer-Herrschaft* führt noch einmal zu einer Eigenstaatlichkeit, bevor im Jahr 63 v. Chr. die Römer die Herrschaft über Palästina antreten. Aufstände führen zum Jüdisch-Römischen Krieg (66–70), in dessen Verlauf Jerusalem zerstört wird. Ein Aufstand unter Bar Kochba (132–135) führt zu einer erneuten Militärintervention Roms und einer Umgestaltung Jerusalems in eine römische Stadt (Aelia Capitolina).
Sowohl in at.licher als auch nt.licher Zeit ist die Geschichte Israels nur im Zusammenhang mit der politischen „Großwetterlage“ verstehbar. Da die Großmächte militärisch, wirtschaftlich und kulturell, aber auch durch ihre jeweiligen Religionen großen Einfluss ausüben, ist die Einordnung der Geschichte Israels in den größeren Rahmen der Geschichte der Region gleichermaßen aus historischer und theologischer Perspektive wichtig. Die folgende Übersicht dient zur groben Orientierung.2
Die fünf Bücher Mose (Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium) werden als Pentateuch bezeichnet. Im Anschluss an die Urgeschichte Gen 1–11 stellen sie die Anfänge des Volkes Israel dar. Ab dem Buch Exodus ist Mose die beherrschende Gestalt, nach Ex 17,14; 24,4; Num 33,2 auch der Verfasser der Bücher.
Verschiedene Beobachtungen stellen dies jedoch in Frage. Es gibt zwei verschiedene Schöpfungserzählungen und zwei Fassungen des Dekalogs (Ex 20; Dtn 5), die Gefährdung Sarahs findet sich gleich dreimal (Gen 12.20.26). Obwohl Gott sich Abraham nach Ex 6,3 noch nicht mit seinem Namen Jahwe offenbart hat, baut dieser bereits für Jahwe Altäre (12,7f. u. ö.). Gen 36,31 setzt die Königszeit voraus, obwohl sich der Pentateuch auf eine frühere Zeit bezieht. Auch Dtn 26,5ff. kann erst in einer Zeit geschrieben sein, in der Israel in Kanaan bereits sesshaft geworden ist. Diese und ähnliche Beobachtungen zeigen, dass der Pentateuch nicht aus einer Hand stammen kann. Die Bücher sind Traditionsliteratur, in denen verschiedene Überlieferungen in einem langen Prozess zusammengestellt wurden. Nahtstellen lassen erkennen, wo Erzählstränge verknüpft sind, ganz deutlich z. B. in Ex 6,3, wo die Erinnerungen an Abraham, Isaak und Jakob und ihrem Gott mit Mose in Verbindung gebracht werden.3
Lange hat man die Unausgewogenheiten mit verschiedenen Quellenschriften erklärt. Der Jahwist* (J) verwende durchgängig den Gottesnamen Jahwe und habe im 9. Jh. die Geschichte des Volkes von der Erschaffung des Menschen bis zur Landnahme beschrieben; der Elohist* (E) verwende die Gottesbezeichnung El bzw. Elohim und habe im 8. Jh. gewirkt; der Deuteronomist (D) habe im 6. Jh. zur Zeit des babylonischen Exils die Bücher Deuteronomium, Josua, Richter sowie die Samuel und Chronikbücher als Gesamtwerk verfasst; die Priesterschrift* (P) sei vor allem an kultischen und rituellen Fragen interessiert und ins 6. Jh. zu datieren. Verschiedene Schwierigkeiten lassen sich mit dieser Erklärung aber nicht lösen.4 Die Texte, die der elohistischen* Quelle zugeordnet wurden, sind sehr unterschiedlich, stammen vermutlich aus verschiedenen Zeiten und lassen keinen zusammenhängenden Erzählfaden erkennen. Auch beim Jahwisten* sind Alter, innerer Zusammenhang und theologische Konzeption umstritten. Größere Übereinstimmung besteht darin, dass die Priesterschrift als eigenständige Quelle anzusehen ist. Deshalb unterscheidet man heute im Wesentlichen zwischen priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Texten. Bei den nicht-priesterschriftlichen Texten rechnet man mit einzelnen Traditionsblöcken (z. B. die Abraham- oder die Jakoberzählungen), die eine eigene Überlieferungsgeschichte hatten, bevor sie in den Pentateuch integriert wurden.
Das Deuteronomium hat eine Sonderstellung, die sich auf die anderen Mosebücher und die nachfolgenden Schriften auswirkt. Das Werk ist als Moserede unmittelbar vor der „Landnahme“ gestaltet. Im Zentrum steht eine Sammlung von Gesetzen (12–26), die gerahmt wird von einer ausführlichen Einleitung (1–11) und einem Schlussteil (27–34). Die Einleitung greift auf die Ereignisse am Sinai (bzw. Horeb) zurück. Die Tora gilt als Auszeichnung, die dem Volk von Gott zuteil geworden ist (4,8). Durch die Gottesbeziehung und die Tora unterscheidet sich Israel von allen anderen Völkern. Der legitime Ort der Jahweverehrung ist nach Dtn 12 Jerusalem. Diesen Ort hat Jahwe erwählt, um dort „seinen Namen wohnen zu lassen“. Die Zentralisation des Kultes auf den Tempel gehört geschichtlich in die Zeit Josias (639–609, 1Kön 22f.), in die auch die Urfassung des Deuteronomiums datiert wird. Die Gesamtkomposition und -redaktion erfolgt erst nach dem Untergang Judas und dem babylonischen Exil. In dieser Zeit ist es wichtig sich der religiösen Tradition bewusst zu werden und sie für die eigene Zeit zu aktualisieren (vgl. das „heute“ in Dtn 5,2f. u. ö.).
Die Bücher Josua, Richter, 1–2 Samuel und 1–2 Könige fasst man mit dem Deuteronomium als das „deuteronomistische Geschichtswerk“ zusammen; ihre Verfasser bzw. Redaktoren bezeichnet man als Deuteronomisten, weil sie in Sprache und Theologie eng mit dem Deuteronomium verwandt sind. Sie sind darauf bedacht, den Untergang des Landes und den Verlust der Eigenstaatlichkeit zu bewältigen und mit ihrem Glauben in Einklang zu bringen. Ihre Grundeinsicht lautet, dass Jahwe Israel mit Nachkommen, einem Land und Frieden segnet, wenn es allein Jahwe verehrt und seine Gebote hält; dass er es umgekehrt aber bestraft, wenn es sich von ihm abwendet. Der Untergang wird damit zwar als schlimme Strafe für die Abwendung des Volkes von Gott gedeutet, ist damit aber zugleich verstehbar und kann, wenn das Volk sich Gott wieder zuwendet, in Hoffnung umgesetzt werden.
Die Propheten sind für die Deutung der Geschichte und die theologischen Einsichten Israels von entscheidender Bedeutung. Auf ihre Initiative geht die Konzentration auf Jahwe als dem allein zu verehrenden Gott zurück, die sich im Exil zum Monotheismus entwickelt. Ihre Kritik am Verhalten Israels, an seinen Königen, der Oberschicht, aber auch des Volkes, orientiert sich am Willen Gottes, der in die Freiheit führt. Die Zuwendung Jahwes zu seinem Volk wird bei ihnen zur theologischen und zur ethischen Leitvorstellung, an der das Verhalten Israels gemessen wird. Zu den Propheten gehören im Tanach* nicht nur die sogenannten Schriftpropheten*, unter deren Namen eigene Bücher überliefert sind, sondern auch die prophetischen Gestalten, von denen in den Büchern Josua, Richter, Samuel und Könige erzählt wird. Deshalb gehören diese Bücher im Tanach* zu den „vorderen Propheten“. Die Aussprüche der Schriftpropheten* sind gesammelt, aktualisiert und allmählich zu Prophetenbüchern zusammengestellt worden. Dass sie den für den Pentateuch grundlegenden Text der „Zehn Gebote“ trotz einer inhaltlichen Nähe nicht kennen, liegt daran, dass der Pentateuch zur Zeit ihrer Wirksamkeit in seiner heutigen Form noch nicht existierte. Bei der späteren Zusammenstellung der Schriften zum Tanach* rangiert gleichwohl die Tora, nunmehr als grundlegende Offenbarung Gottes für ein Volk verstanden, vor den Propheten, die sich auf sie beziehen.
Auch die übrigen Bücher legen die Tora aus. Sie werden als „Schriften“ (Ketubim) bezeichnet. Zu ihnen gehören die Psalmen, Hiob, die Sprüche, dazu die fünf Megillot (Buchrollen), nämlich Rut, Hohelied, Kohelet (Prediger), Klagelieder und Ester5, und schließlich Daniel, Esra, Nehemia und die Chronik (die im Tanach* ein Buch ist).
Literatur zum Weiterlesen
Köhlmoos: Altes Testament, 146–259
Zwickel: Einführung in die biblische Landes- und Altertumskunde
1 Vgl. Zwickel, Einführung, 16–22.
2 In Anlehnung an Zenger, Einleitung, 36f.
3 Vgl. unten 34.
4 Vgl. zur Forschungsgeschichte Gertz, Grundinformation, 195–210, zum aktuellen Stand 205.
5 In der späteren Tradition sind sie den fünf jüdischen Hauptfesten zugeordnet worden. Vgl. zur Anordnung der Bücher im Tanach und der Septuaginta das Zwischenkapitel.
Wo kommen wir her? Wo ist der Anfang von allem? Hat sich alles „von selbst“ entwickelt? Gab es einen Big Bang, mit dem alles angefangen hat? Aber was war davor? Alles durcheinander, chaotisch? Oder hat (ein) Gott alles genau ausgemessen und geschaffen? Zu allen Zeiten haben Menschen über den Ursprung der Welt und ihren eigenen Ursprung nachgedacht. In diesem Kapitel geht es darum,
− die Schöpfungstexte in Gen 1–3 und ihre Bedeutung für die biblische Botschaft kennenzulernen;
− die Rede von der Schöpfung und Gott als Schöpfer nachzuvollziehen;
− in diesem Zusammenhang auch das Menschenbild der Bibel zu bedenken
− und Hinweise auf die Umsetzung des Schöpfungsgedankens im Unterricht zu geben.
Es liegt auf der Hand, dass es vom Beginn der Welt keine Berichte gibt. Die „Schöpfungsberichte“ sind keine Dokumentationen, sondern Vorstellungen vom Anfang. Die Menschen, die sie aufgeschrieben haben, waren davon überzeugt, dass der urzeitliche Anfang zugleich Hinweise darauf gibt, wie die eigene Gegenwart verstanden werden kann. Texte, die solche Beziehungen herstellen, nennt man Ätiologien*.
Die ersten 11 Kapitel des Buches Genesis bezeichnet man als Urgeschichte. Was hier erzählt wird, liegt aller datierbaren Geschichte voraus. Die eigentlichen Schöpfungsgeschichten stehen in Gen 1–3. Der erste Text (Gen 1,1–2,4a, im Folgenden Gen 1) erzählt von der Erschaffung der Welt in sechs Tagen und von einem anschließenden Ruhetag; die zweite (Gen 2,4b–3,24, im Folgenden Gen 2f.) ist eine Erzählung vom Menschen im Garten Eden und von der Vertreibung daraus. Wenn man die beiden Geschichten miteinander vergleicht, sind Unterschiede und sogar Widersprüche unübersehbar:
Gen 1,1–2,4a Gen 2,4b–3,24
Die Unterschiede beziehen sich auf die Vorstellung von der Welt (vor und nach der Schöpfung), vom Menschen und von Gott; Die beiden Schöpfungstexte können nicht zusammen konzipiert worden sein. Es sind ursprünglich selbständige Texte, sie stammen aus verschiedenen Milieus und setzen unterschiedliche Akzente. Der erste Bericht ist durch das Tagesschema klar gegliedert.
Gen 1,1–5 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis 5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
Am Anfang steht nicht nichts, sondern Unordnung: Nach Gen 1,2 ist die Welt „wüst und leer“ (tohu wa-bohu). Die Vorstellung vom urzeitlichen Chaos, das durch Götter oder einen Gott geordnet wird, ist im Alten Orient mehrfach anzutreffen. Die Urflut (tehom V. 2) hat bedrohlichen Charakter, was sich später in der großen Flut Gen 6–9 zeigt; aber Gott setzt dem Wasser eine Grenze (vgl. Hi 38,8–11; Ps 104,6f.). Im Anschluss werden sechs Schöpfungstage beschrieben, an denen Licht (1,3–5), Himmel (1,6–8), Land und Meer sowie Pflanzen (1,9–13), Sonne, Mond und Sterne (1,14–19), Vögel und Wassertiere (1,20–23) und schließlich Landtiere und Menschen (1,24–31) geschaffen werden. Das ursprüngliche Chaos muss nach und nach einer lebensdienlichen Ordnung weichen. Die Bewertungen „und Gott sah, dass es gut war“ laufen auf die Bestätigung V. 31 hinaus: „Und siehe, es war sehr gut.“
Die einzelnen Tage sind gleich aufgebaut: Auf eine Spruchformel („und Gott sprach“), ein Wort Gottes („es werde“) und das Konstatieren des Vollzugs („und es geschah so“) folgen eine Handlung/Benennung („Gott machte bzw. nannte“), eine Bewertung („dass es gut war“) und die Tageformel („aus Abend und Morgen der … Tag“). Abweichungen von diesem Schema finden sich besonders in V. 22 und 28. In V. 22 werden die (Wasser-)Tiere und Vögel gesegnet, in V. 28 die Menschen. Sie sollen fruchtbar sein und ihren Lebensraum füllen; die Menschen sollen zudem über die Tiere und die ganze Erde herrschen. Dass dieser Herrschaftsauftrag als Segen formuliert wird, zeigt, dass nicht an schrankenlose Herrschaft gedacht ist, sondern an ein segensreiches Wirken der Menschen als Statthalter Gottes.
Der siebte Tag trägt besonderes Gewicht (2,2f.): An ihm ruht Gott von all seinen Werken. Das wird in zwei fast gleich lautenden Sätzen hervorgehoben; dazwischen findet sich ein Segen des Ruhetags selbst: „Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn.“ Die Schöpfung ist erst vollständig mit diesem Tag. Das Substantiv Sabbat findet sich im hebräischen Text nicht, wohl aber das ähnlich klingende Verb šabat, das „aufhören“ bedeutet. So wird eine Beziehung zum Sabbat angedeutet. Überhaupt tritt der Aspekt der Zeit hervor: Am Anfang, sieben Tage, Abend und Morgen – die Zeit und ihre Rhythmisierung ist ein wesentliches Element des ersten Schöpfungsberichts.
Der zweite Schöpfungstext (Gen 2f.) erzählt von den Anfängen.
Gen 2,7–9 Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. 8 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9 Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
Bereits der Urzustand wird anders gedacht als in Gen 1. Hier ist nicht von einer Urflut die Rede, sondern von trockenem Land. Zuerst wird aus Erde der Mensch gemacht. Im Hebräischen liegt ein Wortspiel vor: Der Mensch (adam, kein Name, sondern Gattungsbezeichnung) ist von der Erde (adama) genommen, er ist ein „Erdling“. Er wird in den Garten hineingesetzt, der ihm als Lebensraum dient und den er nach 2,15 bebauen und bewahren soll.1 Danach erschafft Gott die (Land-)Tiere, denen der Mensch die Namen zuweist. Da sie kein wirkliches Gegenüber sind, wird – erst jetzt – die Frau geschaffen (ischa – Männin, vom isch – dem Mann genommen). Die Gefährtin wird von ihm willkommen geheißen (V. 23). V. 24 folgert daraus die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau, und so wird deutlich, dass die Erzählung diese allgemein menschliche Erfahrung begründet (Ätiologie*).
Nun greift die Erzählung auf das Motiv der beiden Bäume zurück (2,9), von denen in 3,1ff. zunächst nur der Baum der Erkenntnis aufgenommen wird. Die folgende Szene wird meist als „Sündenfall“ bezeichnet. Der Begriff Sünde kommt aber noch nicht vor. Die Menschen verstecken sich nicht vor Gott, weil sie gegen sein Gebot verstoßen haben, sondern weil sie erkennen, dass sie nackt sind. Es ist diese neue Erkenntnis, die die Menschen von Gott entfernt. Sie erkennen sich gegenseitig in ihrer Körperlichkeit, gewinnen die Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse und merken, dass sie zum Bösen fähig sind. Diese Erkenntnis bringt ihnen einen Zuwachs an Leben, aber auch Verantwortung und die Möglichkeit des Scheiterns. Sünde im moralischen Sinn ist nicht im Blick. Die mythologischen Motive der Erzählung (z. B. Gott als Töpfer; die Schlange kann sprechen; das Essen einer Frucht bewirkt Erkenntnis) zeigen, dass es nicht um datierbare Geschichte geht, sondern um eine alle Menschen betreffende Zeit, in der das Wesen des Menschen zutage tritt.
Mit ihrem Streben nach und dem Gewinn von Erkenntnis können die Menschen nicht in dem Garten bleiben, den Gott für sie gepflanzt hat. 3,22 begründet dies mit der Befürchtung Gottes, dass die Menschen auch noch vom Baum des Lebens essen und unsterblich werden könnten. Diese Erklärung ist nachgetragen. Die „paradiesische“ Existenz ist bereits mit der Erkenntnis von Gut und Böse aufgehoben. Zwar sorgt Gott auch weiterhin für die Menschen (V. 21), aber die unmittelbare Nähe Gottes ist ihnen nun verschlossen.
Die beiden Texte stehen nicht für sich. Die sogenannte Toledot-Formel (toledot – „dies ist die Abfolge der Himmel und der Erde“) schließt in Gen 2,4 den ersten Schöpfungstext ab; sie findet sich auch in 5,1ff. (Genealogie von Adam bis Noah), 6,9f. (Genealogie Noahs) und 10,1ff. (Söhne Noahs); ab 11,10 wird das Geschlecht Sems beschrieben, das auf Abraham hinausläuft, von dem ab Gen 12 die Rede ist. Diese Texte gehören offenbar zusammen. Auch die zweite Schöpfungserzählung hat eine Fortsetzung: An die Vertreibung aus dem Garten schließen sich in Gen 4 der Bruderkonflikt zwischen Kain und Abel, eigene Akzente der Flutgeschichte in Kapitel 6–9 und die Erzählung vom Turmbau in Kapitel 11 an. Auch von Gott ist auf verschiedene Weise die Rede: In Gen 1 und den daran anschließenden Texten ist von Elohim die Rede, in Gen 2 und den dazu gehörenden Abschnitten von Jahwe. Die beiden Schöpfungsberichte mit ihren Fortsetzungen bilden jeweils einen Textzusammenhang, sind aber in Gen 1–11 ineinander gearbeitet.
Die klare Sprache und Struktur in Gen 1–2,4a sind Elemente der Priesterschrift*. Sie ist in Priesterkreisen entstanden und hat großes Interesse am Kult und am Tempel, lässt (wie in Gen 1) einen monotheistischen Grundzug erkennen und propagiert den Sabbat als Feiertag. Dies verweist auf die babylonische Zeit2, in der die Auseinandersetzung mit den religiösen Vorstellungen Babylons besondere Relevanz bekommt. Das Alter der Überlieferungen in Gen 2f. ist schwerer zu bestimmen. Die Verknüpfung verschiedener Aspekte im Gottesbild (Schöpfergott, strafender und zugleich fürsorglicher Gott, der sein Handeln angesichts der menschlichen Bosheit selbst einschränkt), im Menschenbild (Aussagen zum Wesen des Menschen und zu seinen Verfehlungen) und die Verknüpfung beider Linien in der von Gott gewährten Beständigkeit der Lebensordnungen verweisen auf ein theologisches Nachdenken, das eher in die Zeit der Propheten gehört.
Die beiden Texttraditionen verweisen nicht nur aufeinander, sondern auch auf die folgende, mit Abraham einsetzende Geschichte und die Zeit ihrer Verfasser. Sie schreiben ihre eigenen Erfahrungen in den Anfang ein. Vor diesem Hintergrund wird auch die Vorstellung von Gott entfaltet. Sie stammt nicht aus den Anfängen Israels. Gott als Schöpfer der ganzen Welt und aller Menschen rückt erst relativ spät in der Glaubensgeschichte Israels in den Vordergrund. Der Schöpfer aller Welt steht zwar am Anfang der erzählten Geschichte Gottes mit der Welt und den Menschen, literaturgeschichtlich steht er aber nicht am Anfang, sondern wird im Nachhinein, bei der Redaktion der Mosebücher, programmatisch an den Anfang gestellt.
In biblischer Perspektive kann die Welt ohne Gott nicht gedacht werden; indem sie ist, ist sie geschaffen. Gottes Schöpfungshandeln zeigt sich in den Verben, die in Gen 1 verwendet werden: Gott „scheidet“ das Licht von der Finsternis (1,4), das Wasser über und unter der Feste (1,7) sowie Wasser und Land unter dem Himmel (1,9); im Hintergrund stehen Vorstellungen aus der Umwelt, in denen die Welt durch eine „Scheidung“ von Himmel und Erde entsteht.3 Gott „benennt“, d.h. er gibt dem, was als Lebenswelt für die Tiere und Menschen vorhanden ist, Namen (1,5.8.10); auch hier bedient sich der Text der Vorstellungen aus der Umwelt. Gott „bringt hervor“, bzw. begabt die Erde mit Kraft, um Gras und Kraut, Bäume und Früchte hervorzubringen (1,11); er legt kreatürliche Kraft in seine Geschöpfe hinein.
Gott „macht“ (asah) und „schafft“ (bara) – und zwar das Firmament, die Gestirne, die Tiere und Menschen. bara kommt im biblischen Hebräisch nur mit Gott als Subjekt vor; das Verb betont die Andersartigkeit seines Schaffens im Gegenüber zum menschlichen Tun. In einem Text aus der Exilszeit, Jes 40–45, wird mit Hilfe von bara bzw. dem Partizip (bore) ein interessanter Zusammenhang hergestellt (40,28; 42,5; 45,7f.18): So wie Gott am Anfang die Chaosmächte begrenzte und Ordnung schuf, so wird er auch dem „Chaos“ des babylonischen Exils eine Grenze setzen und eine neue Ordnung schaffen.
Gott „segnet“, er gibt den Tieren und Menschen die schöpferische Kraft der Fortpflanzung. Dass die Menschen als Stellvertreter Gottes herrschen sollen, ist nur im Zusammenspiel mit Gott denkbar. Nach Gen 2,7 formt Gott den Menschen und bläst ihm Lebenshauch in die Nase. Darin ist eine ältere Vorstellung von Gott als Töpfer zu erkennen, der den Menschen formt und ihm dann Leben einhaucht. In Gen 1 schafft er dagegen durch sein Wort.
Gott wird in Gen 1 Elohim genannt. Das Wort ist eine Pluralbildung von El (Gott). Elohim kann dementsprechend auch „der Gott“ oder „Götter“ bedeuten. El ist nicht nur der Gott Israels, sondern wird auch im kanaanäischen Umfeld verehrt; dort bezeichnet El den höchsten Gott. Israel hat diesen Gottesnamen aus seiner Umwelt übernommen. Die Bezeichnung El spielt im Glauben Israels eine besondere Rolle, wie z. B. die Namen Immanu-el (Jes 7,14; 8,8) und Isra-el (El streitet) zeigen. Mit El ist die Vorstellung der Weltschöpfung verbunden, wie Gen 14,19 noch erkennen lässt (El-äljon, der sehr mächtige Gott).4
Gen 1 spiegelt aber nicht die Zeit der Erzeltern oder der Einwanderung in das kanaanäische Kulturland, sondern die Zeit im und nach dem Exil wider: Elohim ist in Gen 1 der eine Gott, er ist der Herr über Himmel und Erde und sonst keiner – und dies muss nicht mehr begründet werden: Gott hat Himmel und Erde und alle Menschen geschaffen, nicht nur Israel. Die Schöpfungserzählung in Gen 1 setzt die Entwicklung hin zum Monotheismus* bereits voraus.
In Gen 2–3 ist von Gott als Jahwe die Rede.5 Ursprünglich war dies der Gott einer Gruppe, die – aus Ägypten kommend – in Kanaan* eingewandert ist und dort sesshaft wurde. Nach und nach wurden Aufgaben und Wesenszüge anderer Götter (vor allem von El und Baal*) auf ihn übertragen und Jahwe wurde zum Gott ganz Israels. Dementsprechend ist in Gen 2f. von Jahwe Elohim die Rede. Es handelt sich um die Zusammenführung zweier Gottesbezeichnungen: Elohim und Jahwe sind ein und derselbe, einzige Gott. Diese Identifizierung ist nicht bruchlos verlaufen. Nach Gen 4,25 fing man zur Zeit der Enkel Adams an „den Namen des HERRN“ anzurufen6. Obwohl in den Erzelterngeschichten vielfach von Jahwe die Rede ist, hat sich Gott (Elohim) nach Ex 6,2f. dem Abraham noch nicht mit seinem Namen Jahwe offenbart. Hier sind offensichtlich Unausgewogenheiten in den zugrunde liegenden Quellen vorhanden. Die frühe Erwähnung Jahwes in Gen 4 ist erst erklärlich in einer Zeit, in der Jahwe zum Gott ganz Israels geworden ist. Dann aber ist klar: Jahwe ist der Schöpfer, Himmel und Erde hat er geschaffen mit allem, was darin ist.
Schöpfungstexte gibt es auch an anderen Stellen des AT. Häufig sprechen kurze Formeln das Schöpfungshandeln Gottes an: Jahwe hat Himmel und Erde geschaffen (Gen 14,19.22; Ps 89,13; 148,5; Jer 10,16). Psalmen singen das Lob der Schöpfung und des Schöpfers. Ps 8,4f. fragt erstaunt: „Wenn ich sehe den Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast – was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ In Ps 104 sind die Schöpfung, ihre gute Ordnung, aber auch ihre Bedrohungen eingebettet in ein Lob der Herrlichkeit Gottes: Hallelu-ja – lobt Jahwe. Auch Ps 33,6–9 besingt die Treue und Zuverlässigkeit Gottes, durch dessen Wort alles gemacht ist. Ps 121 erwartet Hilfe „von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Deuterojesaja* begründet nach dem Untergang des Königtums seine Heilsprophetie mit einem Rückgriff auf die Schöpfung (Jes 40,12ff.; 43,1 u. ö.). In Hi 38–40 bezeugt die Schöpfung Gottes Macht und Recht gegenüber der Ohnmacht und dem Unrecht der Menschen. Pred 3,11 hält an Gottes schöpferischer Macht fest, auch wenn der Mensch sie nicht ergründen kann. Viele Schöpfungstexte weisen demnach in die exilische und nachexilische Zeit: Mit der Erfahrung der Zerstörung Jerusalems gewinnt der Rückgriff auf die gute Schöpfung und die Erwählung des Volkes ganz neue Bedeutung, die zugleich Zukunft eröffnet. Wenn die Schöpfung gut ist (Gen 1) und das Unheil in der Welt nicht Gottes Schöpfung entspricht, kann daraus in der Prophetie der Exilszeit die Hoffnung auf eine Welt ohne Leid und Gefahr für Mensch und Tier entstehen; gewissermaßen eine Rückkehr zum Ursprung (Jes 11,6–8; 65,17).
Das NT nimmt die Schöpfungsaussagen des AT weitgehend auf. Eine eigenständige Kosmologie kennt das NT ebenso wenig wie das AT. Über die Welt und den Menschen in ihr wird nachgedacht, weil und insofern Welt und Mensch in einem Verhältnis zu Gott stehen. An einigen Stellen ist das Schöpfungshandeln Gottes ausdrücklich thematisiert (Mk 6,25–34; 10,6–8; Apg 14,15–17; 17,22–30 u. ö.), Gott wird auch vielfach in formelhaften Wendungen als Schöpfer bezeichnet (z. B. 1Petr 4,19; Röm 1,25; Eph 3,9; Kol 3,10). Er hat Himmel und Erde geschaffen und alles, was darinnen ist (Apg 4,24; 14,15; Hebr 1,10; Offb 10,6; 4,11b; 14,17). Aus Gott, durch ihn und auf ihn hin sind alle Dinge erschaffen (Röm 11,36). Hierin liegt eine Spitze gegenüber polytheistischen Anschauungen der Umwelt (Apg 14,15).
In Röm 4,17 ist – singulär im NT – von einer Schöpfung aus dem Nichts die Rede. Dieser Gedanke greift auf at.liche Aussagen zurück (vor allem Gen 1), interpretiert sie aber vor dem Hintergrund der griechischen Unterscheidung von Seiendem und Nichtseiendem die bereits in 2Makk 7,28 begegnet („Schau an den Himmel und die Erde …, um zu erkennen, dass Gott sie nicht aus Seiendem erschaffen hat“). Die Vorstellung vom Schöpferhandeln Gottes aus dem Nichts ist in frühchristlicher Zeit von Bedeutung, weil damit auch der Gedanke einer Neuschöpfung aus dem Tod begründet werden kann.
Daneben gibt es im NT einige Veränderungen in der Vorstellung von Gott als Schöpfer, die mit Christus zu tun haben. Eine wichtige Neuakzentuierung liegt vor, wenn von der Beteiligung Christi an der Schöpfung die Rede ist (Joh 1,3.10; 1Kor 8,6b; Kol 1,15–17; Hebr 1,2; 1Petr 1,20; Offb 3,14). Voraussetzung ist dabei, das Christus bereits vor seiner irdischen Existenz bei Gott war (Präexistenzchristologie*). Hier wird der Schöpfungsgedanke christologisch zugespitzt. Christus steht aber nicht nur am Anfang der Schöpfung, sie hat in ihm Bestand und zielt auf ihn hin (Kol 1,15–20). Wer sich an Christus orientiert, hat an der durch Christus neu gewordenen Schöpfung bereits Anteil (2Kor 5,17; vgl. Mk 7,37), zwar noch nicht endgültig, aber doch im Vorgriff.
Der Aussage von Gott als Schöpfer korrespondiert diejenige vom Menschen als Geschöpf. Die Frage „Was ist der Mensch?“ lässt sich nur beantworten, wenn seine Beziehung zu Gott berücksichtigt wird. Ps 8 zeigt diesen Zusammenhang in typischer Weise an. Eine „Lehre vom Menschen“ sucht man in der Bibel vergebens, aber grundlegende Erfahrungen menschlicher Existenz sind oft angesprochen. Der Mensch muss essen, schlafen, wohnen, arbeiten. Er lebt in der Welt und hat die Aufgabe, sie zu gestalten. Diese Aufgabe kommt ihm als demjenigen zu, der „wenig niedriger ist als Gott“, wie Ps 8,5f. erstaunt festhält. Gen 1,26–28 bringt dies mit der Vorstellung von der Ebenbildlichkeit zum Ausdruck.
Gen 1,26–28: Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. 27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. 28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
Diese Verse haben das Nachdenken über den Menschen immer wieder angeregt. Verschiedene Aspekte lassen sich erkennen. Geschaffen ist der Mensch „in unserem Bilde nach unserer Ähnlichkeit.“ Die hebräischen Begriffe zelem und demut (V. 27) rücken den Menschen nah an Gott heran, ohne aber die Grenze zu verwischen. Der Mensch ist „männlich und weiblich“ erschaffen (1,27). Die Spannung zwischen dem Gattungsbegriff adam und der Näherbestimmung als Mann und Frau im Plural zeigt, dass erst in Beziehung zum Ausdruck kommt, was Menschsein heißt. beauftragtsegnet