Das Buch
Schauspiel in fünf Akten: Rose Bernds Liebesverhältnis mit dem Erbscholtiseibesitzer Christoph Flamm gehört bereits der Vergangenheit an. Sie hat sich damit abgefunden, den biederfrommen Buchbinder August Keil zu heiraten, den ihr Vater bestimmt hat. Ihre letzte Begegnung mit Flamm wird aber von dem Maschinisten Streckmann, einem prahlerischen und brutalen Weiberhelden, belauscht. Er, der bei Rose abgeblitzt ist, verfolgt sie nun mit erpresserischen Drohungen und beantwortet ihr Flehen mit Vergewaltigung. Noch scheint sie sich aus ihrer Not befreien zu können. Frau Flamm, der Rose anvertraut, daß sie schwanger ist, bietet ihr Trost und Hilfe. Rose drängt nun auf baldige Hochzeit, erhofft dabei von Keil Verzeihung für ihren Fehltritt und glaubt an Streckmanns Stillschweigen. Eine Auseinandersetzung zwischen dem alten Bernd und Keil mit Streckmann, der Rose wieder bedrängt, hat jedoch verhängnisvolle Folgen.
Der Autor
Gerhart Hauptmann, geboren am 15. November 1862. in Ober-Salzbrunn (Schlesien), besuchte nach der Dorfschule in seinem Heimatort die Realschule am Zwinger in Breslau, ging 1878 von der Schule ab und arbeitete für ein Jahr als Landwirtschaftseleve auf dem Gut seines Onkels. 1880 trat Hauptmann in die Bildhauerklasse der Breslauer Kunst- und Gewerbeschule ein, gab 1882 die Ausbildung auf und studierte 1883 in Jena ein Semester Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte. 1883/84 arbeitete er dann sechs Monate lang als Bildhauer in Rom, bis er an Typhus erkrankte. Nach seiner Heirat 1885 und der Übersiedlung nach Erkner bei Berlin entschied er sich endgültig, Schriftsteller zu werden. Nach vielen Ehrungen und Ehrendoktoraten erhielt er 1912 den Nobelpreis. Gerhart Hauptmann starb am 6. Juni 1946 in Agnetendorf.
Hauptmanns Gesamtwerk ist lieferbar im Ullstein Taschenbuchverlag bzw. bei Propyläen.
ROSE BERND
Schauspiel
Geschrieben
im Frühjahr und Sommer 1903 in Agnetendorf.
Erstveröffentlichung: Buchausgabe 1903
BERND |
ROSE BERND |
MARTHEL |
CHRISTOPH FLAMM |
FRAU FLAMM |
ARTHUR STRECKMANN |
AUGUST KEIL |
HAHN | Arbeiter bei Flamm |
HEINZEL | |
GOLISCH | |
KLEINERT |
DIE ALTE GOLISCHEN | in Flamms Diensten |
DIE GROSSMAGD | |
DIE KLEINMAGD |
EIN GENDARM |
Eine ebene, fruchtbare Landschaft. Klarer, sonnig warmer Morgen im Mai. Schräg von links nach rechts und aus dem Mittelgrunde nach vorn verläuft ein Feldweg. Die Felder zur Rechten liegen ein wenig höher als dieser. Am weitesten nach vorn ein kleines Fleckchen Kartoffelland, über dem das grüne Kraut schon sichtbar ist. Ein kleiner blumiger Graben trennt Weg und Feld, links auf der etwa mannshohen Böschung ein alter Kirschbaum, rechts Haselnuß- und Weißdornbüsche; ungefähr parallel mit dem Wege und in ziemlicher Entfernung hinter ihm wird durch Weiden und Erlen der Lauf eines Baches bezeichnet. Vereinzelte Gruppen alter Bäume geben der Landschaft etwas Parkartiges. Links im Hintergrund zeigen sich die Dächer und der Turm eines Kirchdorfes zwischen Büschen und Baumwipfeln. Rechts vorn am Weg Kruzifix. Es ist Sonntag.
Rose Bernd, ein schönes und kräftiges Bauernmädchen von zweiundzwanzig Jahren, kommt erregt und mit geröteten Wangen links hinter Büschen hervor und läßt sich an der Wegböschung nieder, nachdem sie scheue Blicke forschend nach allen Seiten gerichtet hat. Sie geht barfuß; ihr Rock ist geschürzt, Arme und Nacken sind bloß; sie bemüht sich, einen ihrer blonden Zöpfe, der aufgelöst ist, schnell wieder zu flechten. Ganz kurz darauf kommt von der andern Seite aus dem Gebüsch ein Mann geschlichen. Es ist der Erbscholtiseibesitzer Christoph Flamm. Auch Flamm macht einen scheuen, aber auch zugleich belustigten Eindruck. Er ist ein stattlicher, sportlich, aber nicht geckenhaft gekleideter Mann, an Jahren dem vierzigsten nahe. Schnürschuhe, Jagdstrümpfe. Er hat einen Riemen mit Lederflasche umgehängt. Im ganzen ist Flamm eine kernige, frische, lebenslustige, breitschultrig imponierende und durchaus sympathische Erscheinung. Nachdem er sich in gemessener Entfernung von Rose ebenfalls an der Böschung niedergelassen hat, blicken beide sich erst stumm an und brechen dann in ein unaufhaltsames Gelächter aus.
FLAMM, mit steigendem Übermut immer lauter und herzlicher heraussingend und dabei wie ein Kapellmeister Takt schlagend.
Im Wald und auf der Heide
da such’ ich meine Freude!
Ich bin ein Jägersmann!
Ich bin ein Jägersmann!
ROSE hat, durch den Gesang zuerst erschreckt, dann immer mehr belustigt, aus der Verlegenheit heraus mehrmals hineingelacht. Nee, aber Herr Flamm …
FLAMM, forsch. Immer sing mit, Rosine!
ROSE. Ich kann ja nicht singen, Herr Flamm.
FLAMM. Das is ja nich wahr, Rosine! Ich hör’ dich doch oft genug singen im Hofe:
Ein Jäger aus Kurpfalz … Na!? –
der reitet durch den grünen Wald.
ROSE. Das Lied kenn’ ich ja gar nich, Herr Flamm. FLAMM. Du sollst nich immer Herr Flamm sagen! Na?
Mädel, ruck ruck ruck
an meine grüne Seite!
ROSE, ängstlich. Die Kirchleute kommen ja gleich, Herr Flamm.
FLAMM. Laß se kommen! – Er steht auf und nimmt aus dem hohlen Kirschbaum links seine Flinte. Ich wer mir jedenfalls die Knarre wieder umhängen. So. Hut! Piepe! Nu kenn se kommen wegen mir. Er hat das Gewehr umgehängt, den Hut mit Spielhahnfedern zurechtgesetzt, die kurze Tabakspfeife aus der Tasche und in den Mund genommen. Sieh mal: knüppeldick Vogelkirschen. Er hebt eine Hand voll Kirschen auf und weist sie Rose. Mit Kraft von innen heraus: Rosine, ich wünschte du wärst meine Frau
ROSE. O jemersch, Herr Flamm!
FLAMM. Bei Gott, Rosine!
ROSE, mit ängstlicher Abwehr. Aber nee, nee!
FLAMM. Rosine! Reich mir mal deine grundtreue, grundbrave Tatze her! Er hält ihr Hand und läßt sich dabei nieder. Bei Gott, Rosine! Sieh mal, ich bin ein verflucht eigentümlicher Kerl! Ich hab’ meine Mutter ganz verflucht gerne, siehste wohl …
ROSE verbirgt das Gesicht im vorgehaltenen Arm. Ich tät egelganz in de Erde sinken.
FLAMM…. ich hab’ meine Frau ganz verflucht gerne, sag’ ich dir, aber – die Geduld reißt ihm – das geht se gar nichts an!!
ROSE muß wiederum gegen ihren Willen lachen. Nee, ieber Ihn aber o, Herr Flamm!
FLAMM, herzhaft bewundernd. Mädel, du bist ein schönes Frauenzimmer! Ach, Mädel, du bist ein bildschönes Frauenzimmer! Sieh mal an: Mutter … das is so ’ne eigentümliche Geschichte mit Mutter und mir. Das läßt sich gar nich so einfach auseinanderpolken. Hennerjette, weißt du ja doch, is krank. Se liegt seit geschlagenen neun Jahren im Bette oder kriecht vielleicht mal in den Rollstuhl heraus. Na zum Donnerwetter, was soll denn das mir nützen?! Er faßt sie beim Kopf und küßt sie heftig.
ROSE, unter den Küssen erschrocken. Die Kirchleute kommen!
FLAMM. Denkt niemand dran! Warum hast du’s denn heute so mit ’n Kirchleuten?
ROSE. Weil August doch o in der Kirche is.
FLAMM. Die Mucker sind immer in der Kirche! Wo soll’n denn die Mucker anders sein? Rosine, ’s is doch noch nich mal halb elfe; wenn’s aus is, fängt doch ooch’s Lauten an. – Nee, nee! Und um Mutter brauchst du nich Angst haben.
ROSE. Ach Christoph, die sieht een doch manchmal an, ’s is reene zum in de Erde sinken.
FLAMM. Du kennst eben meine Alte nich. Mutter is schlau, die sieht durch drei Bretter! Aber deshalb … sie is ooch so gut wie ’n Schaf. Und wenn die flugs wißte, was zwischen uns is: ’n Kopf würde die uns noch lange nich abreißen.
ROSE. Nee! Nee! Ach, um Gottes wille, Herr Flamm!
FLAMM. Ach was, Rosine! ’ne Prise? Hm? Er schnupft. Ich sage nochmal: Is mir alles ganz gleichgültig! Mit Entrüstung: Wo soll schließlich ’n Kerl wie ich hin damit? Na, was denn? Was is denn nun los, Rosine! Du weißt doch, wie ernst mir die Sache is. Laß mich doch mal ’n bißchen drauflos pulvern.
ROSE. Herr Christoph, Sie sind aso gutt mit mir! Sie küßt, Tränen im Auge, inbrünstig aufwallend Flamms Hand. Aber …
FLAMM, einigermaßen betroffen. Gut? Kunststück! Hol’ mich der Schinder, Rosine! Gut zu dir sein is gar nichts gesagt. Wenn ich frei wäre, würd’ ich dich heiraten. Ich bin ’n verfahrner Kerl, sieh mal an! Von früheren Chosen gar nicht zu reden! Ich passe vielleicht … ja, wer weiß nu, wohin!? Ich könnte jetzt Oberforstrat sein! Und doch, wie der Alte starb: heidi nach Hause! Karriere sofort an ’n Nagel gehängt. Ich bin nu mal nich für den höheren Schwindel. Mir is alles hier noch viel zu kultiviert. Blockhaus! Flinte! Bärenschinken! Und wenn eener kommt: Ladung Schrot in’n Hintern –
ROSE. Aber das geht doch halt nich, Herr Flamm! Und ’s muß doch amal ooch a Ende hab’n.
FLAMM, in sich hinein. Himmel, Kreuz Schockschwerebrett nich nochmal! Hat denn der Schwerenotsmucker nich Zeit? Bleibt für den Kerl denn nich noch zu viel übrig? Nee, Mädel, den führt’ ich gehörig ab.
ROSE. Ich hab’n woll lange genug hingehalten. Über zwee Jahre wart’t a nu schonn. Nu drängt er mich eemal. A wart’t ni mehr! Und’s kann o nu wirklich so ni mehr gehn.
FLAMM, wütend. Das is alles Unsinn, versteht ihr mich! Bis jetzt hast du für deinen Vater geschuftet, hast gar keine Ahnung, was leben heißt, und jetzt willst du dich noch bei dem Buchbinder vorspannen. Das is ’ne Gemeinheit, sag’ ich bloß: einen Menschen so bis auf die Knochen ausnützen! Wenn du weiter nichts willst, dazu is immer noch Zeit.
ROSE. Nee, Christoph … Das sagen Sie so, Herr Flamm! Aber wenn Sie in solchen Umständen wären: Sie möchten wohl auch andrer Meinung sein. Ich weeß, wie wacklig der Vater is! De Herrschaft hat uns die Wohnung gekindigt. ’s soll, gloob ich, ’n neuer Kihschaffer rein! Und dann is das halt o sei Lieblingsgedanke, daß endlich amal nu ane Ordnung wird.
FLAMM. Da soll doch dein Vater den Keil August heiraten! Wenn er so vernarrt in den Menschen is. Er is ja förmlich verbohrt in den Menschen. Das streift ja schon an Besessenheit.
ROSE. Sie sind eben ungerecht, Herr Flamm.
FLAMM. Sag lieber … Na was denn? Was sag’ ich denn gleich? Ich kann die Gebetbuchvisage nich riechen. Er kostet mich Überwindung, der Mensch. Gott verzeih’ mir’s und dir hauptsächlich, Rosine! Weshalb soll ich vor dir denn nich offen sein? Kann sein, daß er seine Meriten hat. Er soll sich ja wohl sechzehn Groschen erspart haben. Deshalb kriecht man doch nich in den Kleisterpott.
ROSE. Nee, Christoph! Reden Se bloß ni aso! Das darf ich wahrhaftigen Gott nich mit anheeren! August hat o ausgestanden genug! Dem seine Krankheit und dem sei Unglicke, das tutt een ja in de Seele leid.
FLAMM. Euch Frauenzimmer begreift einer nich! Eine kluge und resolute Person, und dann plötzlich soll man auf einen Punkt treffen, da staunt man, wie dumm ihr doch eigentlich seid. So stupide, weiß Gott, wie de Gans, wenn’s donnert. In der Seele weh tun: was heißt denn das? Da kannst du ja ooch ’n Zuchthäusler heiraten: aus Mitleid oder aus Blödigkeit. Du sollst deinem Vater geheerig was uffmucken. Was geht denn dem August ab, sag eemal? Er is im Waisenhaus groß gewachsen und hat schließlich doch seinen Weg gemacht. Willst du nich, suchen se dem eene andre. Damit wissen die Brüder im Herrn ja Bescheid.
ROSE, mit Entschluß. Ich will ni! Und ’s muß eemal sein, Herr Flamm! Was de geschehen is, bereu ich nich, wenn ich o hab genug in der Stille mußt leiden. Ich meene, für mich aso in der Zeit. Mag’s doch! Das is o jetz nich mehr zu ändern. Aber ’s muß eemal nu o sei Ende han – und ’s geht und geht nu nimehr asu weiter.
FLAMM. ’s geht ni mehr! Sag mal: was heißt denn das?
ROSE. Halt weil’s eben eemal ni anderscher is. Hinziehen kann ich ’n nu nimehr länger: das leid o der Vater weiter ni. Und a hat o deswegen ganz recht in der Sache. Ach Gott, Maria und Jesus Christ! ’s mag meinethalben ni leichte sein! Aber wenn man’s wird von der Seele hab’n … ich weeß ni – sie faßt an ihre Brust – man heeßt’s, gloob ich, Herzgespann. Ich hab’ ordentlich manchmal richtig Herzschmerzen. Da muß een doch ooch wieder anderscher wern.
FLAMM. Na, dann is jetz weiter nich viel zu machen. ’s is Zeit! Ich muß nu nach Hause gehn. Er steht auf und wirft das Gewehr über die Schulter. Auf Wiedersehn! Adje, Rosine. – Rose starrt, ohne zu antworten, vor sich hin. – Was is denn, Rosine? Auf Wiedersehn! – Rose schüttelt den Kopf verneinend. – Nich? Hab’ ich dich etwa beleidigt, Rosine?
ROSE. Aber nimehr aso – wie jetz – Herr Flamm.
FLAMM, von plötzlicher Liebesraserei hingerissen. Mädel, und wenn ich mich unglücklich mache … Er umarmt und küßt sie leidenschaftlich.
ROSE, nach einigen Augenblicken, jäh erschrocken. Um Gottes wille! ’s kommt eens, Herr Flamm.
FLAMM, bestürzt, springt auf, hinter den Busch und verschwindet.
Rose steht schnell auf, streicht hastig das Haar und die Kleider zurecht, sieht sich angstvoll um, bemerkt niemand, nimmt alsdann die Hacke und beginnt das Kartoffelland zu bearbeiten …
Nach einem Weilchen kommt, von ihr nicht bemerkt, der Lokomobilenmaschinist Arthur Streckmann im Sonntagsstaat. Er ist ein sogenannter schöner Mann, groß, breitschultrig, in seinem Wesen von einer gekkenhaften Gewichtigkeit. Er hat einen langen, bis auf die Brust reichenden blonden Bart. Man sieht an seiner Haltung, seiner Kleidung, die, vom rückwärtssitzenden Försterhütchen an bis zu den spiegelblank geputzten Schaftstiefeln, dem Gehrock und der gestickten Weste, tadellos ist, daß Streckmann außergewöhnlich viel sowohl von sich hält als auch auf sich hält und daß er sich seiner besonderen Schönheit vollkommen bewußt ist.
STRECKMANN als ob er jetzt erst Rose bemerkte, mit geschraubt schönem Organ. Tag, Bernd Rosine!
ROSE wendet sich erschrocken. Tag, Streckmann! Unsicher: Wo kommst’n du d’nn her? Aus der Kirche?
STRECKMANN’