Ob als Kult-Kolumnist, Kulturkritiker oder Fernsehmoderator: Heinz Sichrovsky ist unberechenbar. Er spricht aus, was uns auf dem Herzen liegt, und ärgert uns gleichzeitig bis zur Weißglut. Verlassen kann man sich nur auf seine Abneigung gegen die Korrektheits-Ayatollahs. Er stärkt uns den Rücken im Protest gegen das Binnen-I und bricht eine Lanze für „Negerkönige“. Er misstraut der amtlichen Regulierung des Geschlechtsverkehrs, verachtet Umweltblockwarte, die Raucher und Autofahrer schikanieren, verehrt Peter Handke, Elfriede Jelinek und Edi Finger senior und verpasst seinem Feind, dem Bobo, einen Tritt in denselben.
Lesen Sie das Buch, amüsieren Sie sich!
WIE ICH EIN UNKORREKTER WURDE
Am Bobo vorbei. Eine Abneigungsbekundung zum Geleit
Supernackt – vom Ende der Satire
Die Laura ist da – ein sanftes Fächeln vor dem Sturm
SPRACHE IN NOT
Nicht nur an Weihnachten. Im Widerstand gegen den Anschluss
Yankee, go home! Ein Aufruf zur Rettung der deutschen Sprache
BILDUNGSFRAGEN ODER DER WEG INS NEANDERTAL
Bleiben Sie Leser. Gegen die amtliche Analphabetisierungskampagne
Schmied, Heinisch-Hosek, Hammerschmid: die schrecklichen Drei
Du meine Goethe, die Zentralmatura!
Hier sprechen die Autoren
Zum Nutzen der Zentralmatura
Finnland, Herz der Finsternis
Ein Aufruf zur Hirnstunde
SCHWEISSFUSS UND TRILLERPFEIFE
Sport muss nicht sein. Einlassungen zu einem Seitenkapitel
Der Narrenkönig Fußball
Edi Finger senior: Die Apotheose eines Unkorrekten
Von Benicalap in die Kunsthalle – ein Exkurs
AUF DER ROTEN LISTE
So starb eine Partei. Das Wahlkampftagebuch eines SP-Stammwählers
KELLERSÄNGER
Germanen gesattelt. Die leidige FPÖ
UNTOTE IN FREILANDHALTUNG
Grün war einmal. Bio- und andere Heuchler
Sigi Maurer, Öko-It-Girl – die grüne Kardashian
Als Realo unter Untoten – Georg Willi und die Tiroler Grünen
SchildbürgerInnen – grüne Momentaufnahmen aus Niederösterreich
Das Menschenrecht auf Komasaufen – Impressionen aus dem rot-grünen Wien
Kampfäußerln – ein Präsident im rotseidenen Käfig
Der rote Glawischnig – ein Exkurs zum Altkanzler Gusenbauer
Daseinsversorgt – eine letzte Würdigung für Renate Brauner
Und jetzt? Fragen zur selbstentsorgenden Opposition
… oder ein Signal der Hoffnung?
DER REST DER WELT
Von Minimundus nach Maximundus. Ein Blick aus Österreich auf Donald Trump
Ehre für Erdoğan
EHRET DIE FRAUEN!
Zum Pinguintag. Frauenfragen, kurz beantwortet
WENIGER LICHT!
Licht ins Dinkel. Unsere Umwelt aus dem Blickwinkel der Korrektheit
EINMAL UM DIE GANZE WELT
Alloh, Kürz! Zum Projekt „Vertrottelung des Erdballs“
TÖCHTER UND SÖHNE
Hymnisches. „Groß im Matschkern, Sudern, Tschentschen“
Überfälliges zu den Landeshymnen
KÖNIG DER NIEMANDSBUCHT
Allein gegen die Welt. Ein Kniefall vor Peter Handke
Handke too small
DIE STAATSFEINDIN
Allein im Olymp. Elfriede Jelinek, lebenslang unkorrekt
Jelinek mal 70
Das Elend mit dem Literaturnobelpreis
RETTET DIE LITERATUR!
Maximalpigmentiert. Die „Neger“-Debatte
Struwwelpeter ohne Mohr
Lauter Rassisten? Verwerfliches für Kinder von Lindgren, Nöstlinger und Dickens
Novalis war kein Nazi
DANK
Ich bin nämlich ein Vorzeige-Grüner, insgesamt einer der korrektesten Menschen, die ich kenne. Ich ehre die Frauen mehr als mich selbst; seit 1974 bin ich nicht mehr am Steuer eines Wagens gesessen; das Rauchen habe ich (nach drei Monaten) im Alter von elf Jahren aufgegeben; die Postwurfsendungen zur Bundespräsidentenwahl – sie wurde zwischen dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer und dem grün grundierten späteren Amtsträger Alexander Van der Bellen entschieden – habe ich gewissenhaft in Sonder- und Biomüll getrennt; und wird mir im Restaurant eine Speisekarte ohne Allergenauszeichnung vorgelegt, laboriere ich gesetzestreu an Erstickungsanfällen und nässenden Ekzemen.
Seit einiger Zeit allerdings beobachte ich an mir Veränderungen wie weiland Dr. Jekyll in der Novelle von Robert Louis Stevenson: Mich reitet der Dämon des Aufstands gegen die Korrektheits-Ayatollahs und ihre lebensvermiesende Reglementierungswut. Beim Anblick der mit affenhafter Bosheit schikanierten Autofahrer drängt es mich (der ich nicht einmal mehr wüsste, wo die Bremse ist) solidarisch zum Erwerb eines dieselgetriebenen 20-Liter-Vans. Mit diesem umwelttechnisch verwerflichen Fahrzeug, so halluziniere ich in Fieberträumen, umrunde ich unter lärmender Missachtung der Stolperschwellen viertelstundenlang das grüne Rest-Büro in Wien-Mariahilf. Der Umweltblockwart, der Raucher mit der Nase am Schlüsselloch bis in die eigenen vier Wände ausschnüffelt, weckt in mir ein Gelüst auf zwei Schachteln Gauloises filterlos, täglich und im öffentlichen Raum. Nicht zu reden von den Perversen, die einem ehrbaren deutschen Substantiv ein großes „I“ in die Leibesmitte rammen: Sie lassen mich mit der Beiziehung des päpstlichen Exorzisten liebäugeln, obwohl ich vor 30 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin.
Speziell die hirnfolternde Gender-Korrektheit treibt mich in Fantasien, die ich mir als Vater und Wehrdienstverweigerer stets untersagt habe: Nur die Tatsache, dass ich gar keinen Sohn habe, hält mich davon ab, ihm aus purem Protest ein Plastikmaschinengewehr mit Automatikfunktion zu schenken. Und nur der Vaterreflex lässt mich davor zurückschrecken, meine Töchter mit rosarot gekleideten Barbie-Puppen zu bemustern und damit das verdiente Scheitern meiner Ehe anzubahnen.
Sollten nun diese Zeilen von einem Bobo gelesen werden, fügte ich vorsorglich den kretinösen Vermerk „Ironie off“ an. Denn um den Bobo ist es mir im folgenden Buch vorrangig zu tun. Nicht, dass er der Adressat wäre (da sei Gott vor). Aber er ist eine der Zielscheiben, und keine zu knapp bemessene. Sollten Sie also einen Bobo sehen, grüßen Sie ihn. Aber nicht von mir, denn der Bobo geht mir an demselben vorbei.
Der Bobo verschärfter österreichischer Abart ist ein Willkommenstheoretiker: Er lümmelt im Designer-Mobiliar seiner innenstadtnahen Bleibe und lässt den Bewohnern der Flächenbezirke ausrichten, sie mögen nicht so hysterisch sein (der pädagogische Effekt ist absehbar). Der Bobo hat sein Kind im Privatgymnasium, kampagnisiert aber für die Gesamtschule, wo der Erste am Letzten Maß nehmen muss statt umgekehrt: Das Resultat sind zwei arbeitslose Zentralmaturanten anstelle eines Nobelpreisträgers und eines Installateurs, die beide gebraucht würden.
Der Bobo gibt den Vater Teresa der Begegnungszonen, den Weihbischof Grätzel, ist aber ein Ökoğan: Er verbietet, kontrolliert und schikaniert, klebt aber auch bei eklatantem politischem Versagen bis zum Ultimo am Fahrradsattel. So treibt er der politischen Gegenseite, die er zu bekämpfen glaubt, verhängnisvoll die Wähler zu.
Der Bobo liest nicht, geht nicht ins Theater und meidet den Musikverein. Seine Generalkompetenz ist der Netflix-Account. Er ist ungebildet, ein selbstbewusster Analphabet auch, wo Lektüre zwischen den Zeilen gefordert wäre, und folglich außerstande, Ironie als solche zu identifizieren. Deshalb zwinkert er sich unter Zuhilfenahme von Doppelpunkten, Klammern und Semikola täppisch durch den Schriftverkehr und hat, um sich selbst das zu ersparen, den debilen Emoji erfunden. Prinzipiell unsicher, was er vom Leben an sich halten soll, flüchtet sich der Bobo unter das Gesetzeswerk einer pathologischen Regulierungswut. Was den Blauen der gegen Kultursubventionen und Sozialleistungen in Geiselhaft genommene „Steuerzahler“, ist dem Bobo die „Zivilgesellschaft“, unter deren wärmenden Kollektivwillen er sich schmiegt. Obwohl ich bis heute nicht weiß, was unter Zivilgesellschaft zu verstehen ist – das semantische Gegenteil wäre die Uniformgesellschaft, träfe nicht gerade dieser Begriff punktgenau auf die verzivilgesellschafteten Meinungs-Klone zu.
Aus der nämlichen Grundunsicherheit weiß der Bobo auch nicht, was er wollen darf. Deshalb konzentriert er seine Anstrengungen darauf, nicht zu wollen, was Strache, Hofer oder Gudenus wollen. Aber abgesehen davon, dass keiner der genannten Herren meine Meinungsbildung in irgendeine Richtung zu dirigieren vermöchte: Populisten haben es an sich, dass sie den von den Ideologen weggelegten gesunden Menschenverstand zwangsadoptieren und zum Stimmenstehlen abrichten. Deshalb können die so genannten Populisten (schon der Gebrauch als Schimpfwort zeugt von Dünkel gegenüber dem so genannten Volk) manchmal auch durchaus Vernünftiges und Erwägenswertes vorbringen. Zum Beispiel fehlt mir jede Bereitschaft, meine Töchter bzw. deren noch unangedachte Kinder von einer sich durch das Kopftuch legitimierenden Muslima in die Lebensbefindlichkeiten einweisen zu lassen, sei es im Kindergarten oder in der Schule (wozu sonst hätte sich meine Generation unter Mühen zweier Jahrtausende christlicher Gehirnwäsche entledigt). Überlässt man diese Felder der FPÖ, positioniert man sich in der Blase der Weltfremdheit und erleidet ein Schicksal wie die deutschen und österreichischen Grünen.
Wie schon einbekannt, habe ich mit elf Jahren geraucht, aber nur drei Monate im aufgeregten Probebetrieb des Erwachsenseinwollens. Denn als meine klugen Eltern die unüberriechbaren Indizien ignorierten, wurde mir die Selbstselchung zu fad. Heute darf man erst mit 18 und in Halbquarantäne, weshalb psychologisch folgerichtig jeder vierte Jugendliche zum Stängel greift. So geht es, wenn der Hausverstand vom Amtsverstand niederreguliert wird: Behördenpädagogik erreicht unfehlbar das Gegenteil des Verordneten.
Meine Mutter – übrigens Ärztin – hatte im Krieg genug Ersatzwurst, Magermilch und Steckrübenkuchen fürs Leben verkostet. Deshalb gab es bei uns Schmalzbrot, Knackwurst und Grießkoch (Letztgenanntes von mir verabscheut), aber in meiner Klasse war nur ein Dicker. Heute ist die Reichsernährungsamts-Cuisine zum Apothekerpreis wieder in Mode, aber jedes fünfte Kind übergewichtig. War man gegen etwas allergisch, hat man es einfach nicht gegessen, auch ohne vor jeder Wirtshaustür an den Tod gemahnt zu werden.
Auch hätte den Mustafa in der privaten evangelischen Volksschule Wien-Währing keiner einen maximalpigmentierten Mitbürger mit Migrationshintergrund genannt. Aber wir haben ihn gern gehabt und sehr getrauert, als er mit seinem Vater, einem Diplomaten, in einem unbekannten Exil verschwand. Und, ja, wir haben für die hungernden, allseits ohne Arg so genannten „Negerkinder“ mit Leidenschaft Stanniolkugeln gesammelt. Aus dieser grenzsurrealen Hilfsaktion eines Schokoladeherstellers erwuchs beim Volksschüler Manfred Deix das märchenhafte Missverständnis, Leichtmetalle seien auf dem afrikanischen Kontinent Grundnahrungsmittel.
Heute wird der Satiriker Axel Hacke verlässlich von Schreiattacken unterbrochen, wenn er aus dem (hiermit zum Erwerb empfohlenen) Buch „Der weiße Neger Wumbaba“ vorträgt. Den Titel bezog er aus einem Missverständnis seiner Kinderzeit, als er die letzte Zeile der ersten Strophe von Matthias Claudius’ „Abendlied“ nicht zu deuten wusste: „Der weiße Nebel wunderbar“. Die Geschichte ist voll Poesie und Herzenswärme. Aber wie sie einem Trottel kommunizieren, der von Matthias Claudius noch nichts gehört hat und darauf noch stolz ist?
Zu unterscheiden sind der Links- und der Rechtsbobo. Der linke ist harmlos. Er vertrödelt sein Leben als freischaffender Fotograf oder Grätzel-Aktivist und verzehrt dabei die Hinterlassenschaft der Eltern, die sich, oft als Soziologieprofessoren oder Kunsttheoretiker, etwas auf die Seite legen konnten. Äußerst selten wirft ihn ein tragikomisches Verhängnis an die Gestade des öffentlichen Bewusstseins. Dann ist er für eineinhalb Wochen jemand, so wie der sozialdemokratische Bezirksrat in Wien-Neubau, Sohn eines mit mir befreundeten namhaften Kulturwissenschafters. Dem Junior, nebenerwerblich freier Fotograf, entwich im Mai 2017 via Facebook in gebrochenem Deutsch das Folgende: „Elisabeth Köstinger als neues Gesicht und neue Generalsekretärin einer neuen Bewegung? Aus autobiografischen und stadthistorischen Motiven möchte ich da schon anmerken, dass die jungen Damen der ÖVP Inneren Stadt aus den frühen 80er Jahren, die mit mir schliefen, weil sie mich wohl für einen talentierten Revolutionär hielten, genauso aussahen, genauso gekleidet waren und genauso sprachen.“
Nun wollte zwar die betroffene Politikerin der Avance auch über dringliche Aufforderung keine Beachtung schenken. Aber die eigene GenossInnenschaft! Man drohte dem armen Teufel mit Parteiausschluss und, schlimmer, dem Entzug des existenzsichernden Bezirksratsmandats. Dabei hatte er bloß unter Wehmutsbekundungen offenbar lang zurückliegender geschlechtsaktiver Zeiten gedacht. Die heutige Umweltministerin mag so auf ungeklärtem Weg in den Einzugsbereich seiner autoerotischen Halluzinationen geraten sein.
Ich vermutete sofort, dass er im Bobo-Reservat Neubau an etwas Unbekömmlichem genippt habe. Andererseits verteidigte ihn ausgerechnet ein namhafter Grün-Funktionär, also einer aus dem Obersten Korrektheits-Sowjet, als „großen Online-Poeten“. Wie sollte der beklagenswerte Spätzölibatär da ein Unrechtsbewusstsein entwickeln? Zu Zeiten, in denen Jan Böhmermann als Satiriker durchgeht und in denen, unbestätigten Gerüchten zufolge, sogar schon über Stermann und Grissemann gelacht worden sein soll? Schließlich hatte der Mann ja nicht, in der Art des womöglich noch prominenteren Kollegen Trump, per Twitter die Invasion des Nachbarbezirks Josefstadt oder Silvesterraketentests gegen Mariahilf angedroht!
Dennoch schrie die halbe SP-Nomenklatura wegen eines Bezirkspolitikers Mordio, um endlich draufzukommen, dass man ihm das Mandat laut Gesetzestext gar nicht entziehen konnte. Worauf man ihn unter Bewährungsauflagen begnadigte.
Soweit die gleichnishafte Geschichte eines Linksbobos. Wesentlich gefährlicher ist der Rechtsbobo. Auch er ist ungebildet und intellektuell unansehnlich. Aber seine art-immanente Mediokrität und Antriebslosigkeit steht in qualvollem Konflikt mit den beruflichen Anforderungen: Sein Vater, prototypisch ein mächtiger Reaktionär aus dem Wirtschafts- oder Medienbereich, hat ihn in Positionen protegiert, denen er nicht gewachsen ist. In dieser Überforderung entwickelt er nach innen uferlose Herrschsucht und Regulierungswut und outriert nach außen das, was man keinen „Gutmenschen“ mehr nennen darf (schade um die ursprüngliche hübsche Kreation linker Selbstironie). Hat er das ihm ausgelieferte Unternehmen ruiniert, kommt das Karussell der Unfähigkeit knirschend zum Stehen, und der – nicht selten weibliche –Rechtsbobo zehrt seine Abfertigung auf.
Satire hat es in diesen Zeiten nicht leicht. Und auch mir erging es, kaum, dass ich meine wöchentliche Kolumne in der „Kronen Zeitung“ in Betrieb genommen hatte, wie den Kabarettisten Florian Scheuba und Thomas Maurer, die unter dem Titel „Supernackt“ den größten Erfolg ihrer Karrieren lukrierten: Sie lasen unkommentiert die telefonischen Abhörprotokolle, mit denen die Staatsanwaltschaft den früheren freiheitlichen Spitzenpolitiker Walter Meischberger der Korruption überführen wollte. Mit der bangen Nachfrage „Wo woar mei Leistung?“ an einen großzügigen Auftraggeber hat er sich schon in die Geschichte der Satire eingeschrieben. Scheuba und Maurer hingegen waren inmitten des Erfolgs an die Grenzen des Berufs gelangt.
Und auch ich entwickelte alsbald die paranoide Zwangsvorstellung, meine Kolumne sei Pflichtlektüre vom Pentagon bis zur päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo. Wie sonst wäre das möglich: dass ich die Korrektheitsgesellschaft ruhelos bis in ihre abartigsten Wucherungen verfolge, sie mir aber stets den Auspuff zeigt?
Kaum gendere ich die Bibel, macht sich der Heilige Vater korrektheitstechnisch am Vaterunser zu schaffen. Ich verspotte die Lehrpläne und lese zwei Wochen später in einer Schularbeit zum Dreißigjährigen Krieg: „Den Offizierinnen und Offizieren folgten Freischärlerinnen und Freischärler, Mörderinnen und Mörder.“ Im Genderungsverweigerungsfall droht Punkteabzug (für die Schulverwaltung beantrage ich hiermit den Berufstitel KretIn mit Binnen-I). Ich glätte Shakespeare – wenig später verabschieden 60 erwachsene Burgtheatermitglieder eine Resolution nach #MeToo, weil der 2014 aus dem Haus geschiedene Direktor Matthias Hartmann vor fünf Jahren auf der Probe einen unanständigen Witz erzählt hat.
Ich erheitere mich über hysterischen Nichtraucherschutz in österreichischen Gaststätten, da geht es bei den Gegenfüßlern rund: Der australische Premier fängt sich via Instagram einen Shitstorm ein, weil er sich, seine Enkelin auf dem Arm, mit einem Glas Bier in der anderen Hand abbilden ließ. Vermutlich ist das die historische Geburtsstunde des Passivatmerschutzes. Es folgt der behördlich verordnete Atemstillstand nach Tabak- und Alkoholgenuss.
Unverdrossen male ich Kunstwerken Windelhosen, da wird in der Manchester Art Gallery das Gemälde „Hylas und die Nymphen“ (1896) aus Korrektheitsgründen von der Wand genommen: Sieben nackte Damen ziehen da einen halb bekleideten Passanten ins Wasser (umgekehrt wäre es spannender: Der nackte Trump nötigt sieben verstörte Pornodarstellerinnen zum Achter in den Whirlpool auf dem Dach des Trump Tower).
Die Situation verschärfte sich noch mit dem Erblühen der „alternativen Fakten“. Als Trumps Beraterin Kellyanne Conway mit diesem Begriff im Jänner 2017 eine dreiste Lüge in präsidiale Wahrheit verwandelte, formulierte sie sich in die Unsterblichkeit: Sie hatte für einen globalen Trend den Namen gefunden. Welche Art Überspitzung war da noch vorstellbar?
Dauerhaft uneinholbar blieb Trumps „Ich bin ein stabiles Genie“. FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer allerdings, dem Zeitgeist mit mindestens 140 km/h auf den Fersen, konterte umgehend mit dem Gegenstück: „Herbert Kickl ist ein Philosoph.“ Da tat sich Alt-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) trotz anerkennenswerter Bemühung schwer: „Ich bin ein gesetzestreuer österreichischer Steuerzahler“ (ob er das redlich bei Diktatoren und Schurkenfirmen Erworbene in Silbersteinen versteuert hat, blieb offen). Oder das? „Kreisky würde heute Strache wählen“ (Strache) samt Replik des SP-Geschäftsführers: „Haider würde heute SPÖ wählen“ (vermutlich, um sich mit den mittlerweile außer Betrieb genommenen Wiener Stadträtinnen Renate Brauner und Sonja Wehsely über geglücktes Schuldenmanagement auszutauschen).
Zumindest einen Nicht-bei-Trostpreis verdient Harvey Weinsteins „Ich respektiere alle Frauen“. Und als junge Hoffnung des alternativen Faktenwesens präsentierte sich der charismatische Musikerzieher Udo Landbauer von der sangesfreudigen niederösterreichischen FPÖ, als in seinem Keller Auschwitz-verharmlosendes Liedgut entdeckt wurde: „Ich werde mir auch nicht nehmen lassen, ‚O Tannenbaum‘ zu singen.“ Da fiel mir gleich der schleimige Antanzversuch des „Herrn Karl“ an einen heimgekehrten Emigranten ein: „Diehre, Herr Tennenbaum!“ Wer weiß, was die gekerbten Herren da wieder gesungen haben.
Zum Höhepunkt ließ schließlich Melanie Griffith, Richard Lugners gewerblicher Opernballgast des Jahres 2018 und eine der renoviertesten Erscheinungen auf internationalem Parkett, die Silikonbombe platzen: „Lugner ist großzügig, fesch und sexy.“
Fraglos wurzeln die Feststellungen Nummer zwei und drei ursächlich in Feststellung Nummer eins. Aber wenn mir nach dem Papst, dem US-Präsidenten und dem österreichischen Verkehrsminister auch noch Hollywood die Pointen zertritt: Da wird die Paranoia zur Lebensperspektive.
Ehe ich mich der Materie nun über strategisch geordnete Themenkreise nähere, würde ich gern ein tendenziell larmoyantes Geständnis ablegen: Meine liebste Kolumne blieb weitgehend unbeachtet. Dabei war mir, auftragsgemäß zum Winterende, das für unmöglich Gehaltene geglückt: Ich hatte das Wort „Frühling“ gegendert, und zwar mit ausnahmslos philologischen Instrumentarien!
Trotz der von ihm verursachten unkorrekten Gefühlslage ist der Frühling nämlich gar nicht so schlimm. Im Gegenteil: Während sich Sommer, Herbst und Winter als unbelehrbare Sexisten jedem Genderungsversuch verweigern, lässt sich der Frühling bereitwillig zum Neutrum entmannen.
Er heißt dann „das Frühjahr“, und noch besser geht es mit der bewährten poetischen Variante: „Lenz“ ist die Kurzform von „Laurentius“, weiblich: „Laurentia“, kurz: „Laura“. Selbst eine nach der Burka schreiende Frivolität wie das Lied „Veronika, der Lenz ist da“ verliert so seine Schrecken: „Veronika, die Laura ist da“ stieße nicht einmal in Teheran oder beim grünen Parlamentsklub auf Bedenken. In weiterer Folge könnten auch Anzüglichkeiten wie „Veronika, der Spargel wächst“ durch die einfache Ergänzung „Bio“ zumindest abgefedert werden.
Da möchte einem vor Dankbarkeit der Bio-Spargel wachsen.
Ohne Ausbildung zum Simultandolmetsch braucht man heute eine Karriere in der Eltern-, Großeltern- oder Wahlonkelbranche gar nicht erst ins Auge zu fassen. Oder kennen Sie das nicht? Sie lesen ein Kinderbuch vor und sortieren panisch Brötchen, Möhrchen und Fritten aus. Nicht zu reden vom Fernsehen, wo der heimische Anteil am neugroßdeutschen Kinderprogramm gefühlt (mein Unwort Nummer zwei) gerade mal (mein Unwort Nummer eins) ein Promille beträgt. Kai läuft zur Schule: Klar steigt die Analphabetenrate, wenn immer mehr Kinder im Höllentempo bis ans Schultor hetzen, das Institut aber nie betreten. Wobei der Bub, der sich jetzt Junge rufen lassen muss, noch Glück hat: Ginge er nämlich in die Schule, müsste er im Stechschritt beim Sportlehrer Herrn Schmidt antreten (wogegen das liebenswerte Paradoxon „Turnprofessor“ die Schrecken der Leibesertüchtigung noch in sanfte Ironie aufgelöst hatte).
Nach Absingen perverser Huldigungen – „die Treppe hoch!“ – würde er das Federmäppchen zücken (dann lieber Analphabet bleiben). Im Pausenhof könnte er zwar den artengefährdeten Hausmeister beobachten. Aber der verdrängt dafür biologisch invasiv den Schulwart! Dabei droht stets Hirnverfettung durch lecker Brathähnchen. Und wenn das arme Kind dann ausrastet, lässt man es nicht etwa in Ruhe schlafen, sondern meldet es dem Direktor.
Mit noch mehr Worten: Der Ranzen der Pandora hat sich aufgetan, und heraus quillt das Übel – Tüten und Zensuren, die auch schon mal eine Fünf sein können, Geburtstagskuchen und, an Weihnachten, leckere Plätzchen. Sie alle haben heimeligere Zeiten gesehen: als Schultasche, Stanitzel bzw. Einkaufssackerl, Noten und Fünfer, Torten und feine Kekse. Letztgenanntes Backwerk hat sich den Fortbestand als Transvestit gesichert, heißt jetzt „der Keks“ und duldet mit anderen Verdammten: Die Socke und das Schlüsselbund sind dabei noch privilegiert gegen den Bonbon, der sich Bongbong höhnen lassen muss.
Von unserer Sprachwelt scheint das noch ein paar hundert Kilometer nordwestlicher Richtung entfernt. Aber in neun von zehn Kinderbüchern, in den weitaus meisten der hier empfangbaren Fernsehprogramme, in DVDs und Computerspielen für Kinder ist es die einzige Realität. Das System ist lückenlos: Was nicht in Deutschland erzeugt wird, wird dort synchronisiert. Lecker und Treppe sind schon Sprachgebrauch, „die Eins“ wird es zusehends, Schultüte, Tomate und Kartoffel sind es bekanntlich längst.
„Die deutsche Sprachmacht schleicht sich ein“, beklagt der nach Österreich zugewanderte deutsche Karikaturist Tex Rubinowitz und macht den Haupttäter namhaft. „Das kommt von Sendern wie RTL, von denen die Jugendlichen ihre Sprache beziehen. Man kann das als fortschrittlich bezeichnen, als Akt der Entprovinzialisierung, aber auch als schleichende Vergiftung des Idioms. Sprache bestimmt ja das Bewusstsein.“
Der Sprachforscher Rudolf Muhr rekonstruiert andere Infektionswege: In den Neunzigerjahren begannen die Lebensmittelkonzerne ihre Produkte aus Kostengründen in Deutschland zu etikettieren. So hub das Tomaten-, Kartoffel- und Pflaumenbombardement an. Vielen ist das leidige Wimmerl nicht einmal mehr als Begriff geläufig. Es verwandelte sich, schon in den Achtzigerjahren, unter dem Einfluss der deutschen Clearasil-Werbung in den um nichts distinguierteren Pickel. Der Dialekt, führt Muhr aus, stand auch für mangelnde Bildung. „Das Nachkriegsösterreich wurde vom Agrarland zum Industrieland. In den Fünfzigerjahren waren noch 50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, in den Achtzigerjahren 34. Heute sind es drei bis vier Prozent. Als die Urbanisierung einsetzte, war sozialer Aufstieg mit Sprachfähigkeit verbunden. Die lokalen Begriffe legte man ab.“ So wuchsen Generationen mit dem Kommando „schön sprechen“ heran.
Dazu kommt die gestiegene Mobilität: „Früher blieb man im Dorf, heute kommen die Jugendlichen früh von zu Hause weg“, erläutert Ingeborg Geyer von der Akademie der Wissenschaften. „Das Kommunikationsnetz ist ein anderes.“
Das Resultat hat mit der deutschen Sprache nur noch die Eckdaten gemein. Niemand würde an „Emil und die Detektive“ das Berliner Idiom bemängeln. Was aber Tex Rubinowitz als „RTL-Deutsch“ bezeichnet, hat mit Berlinerisch, Sächsisch oder Schwäbisch so wenig zu tun wie mit Kärntnerisch oder Oberösterreichisch. Der Reichtum der Begriffe, die Authentizität des geschriebenen und die Melodie des gesprochenen Wortes ersticken unter einer riesigen Müllkippe, gegen die sich der hierorts im Gebrauch befindliche Misthaufen wie ein anheimelnder Ort des Rückzugs ausnimmt. Selbst die große Christine Nöstlinger hat einbekannt, früher dem deutschen Markt zuliebe ihre Texte zugeschliffen zu haben.
Heute werden Autoren dieses Kalibers erklärende Glossare oder Fußnoten zugestanden. Der österreichische Verlag G & G bietet Lehrmaterialien mit Echtheitszertifikat an. Im Wiener Ringelspiel-Verlag findet sich exotisch Anmutendes wie „Ein kleines Henderl will das Meer sehen“ von Christian Jolibois.
Muhr sieht zudem in der zunehmenden Globalisierungsskepsis Hoffnungspotenzial: Die Supermärkte etikettieren wieder um, da das Vertrauen in heimische Produkte steigt. „Die Menschen fühlen sich im Weltgefüge machtlos und ziehen sich auf das Vertraute zurück. Das gilt auch für die Sprache.“ Auch wüssten etwa Kinderärzte, Gynäkologen und Hebammen um die sedierende Wirkung tradierten Wortguts: Mit dem halb versunkenen Begriff „Putzerl“, der sich gegen Monstrositäten wie „Baby Julia“ nicht behaupten konnte, mobilisieren sie bei Müttern Vertrauen und positive Emotionen.
Andererseits ist nichts alberner, als sich provinzlerisch jedem Einfluss zu verweigern. De facto wäre das auch nicht möglich. Neu allerdings ist die Intensität der Gehirnwäsche, die sich nur mit dem ungebahnt wütenden Amerikanisierungsterror vergleichen kann.
Es gab eine französische Welle, die kaum Spuren hinterlassen hat. Dass sich das unvergleichliche Lavur, recte: lavoir, auch als Waschschüssel nicht erhalten konnte, hat mit dem dankenswerten Fortschritt der Sanitärtechnologie zu tun. Das Portemonnaie wurde zur Geldbörse, das Trottoir zum Gehsteig, und die Germanismen „Geldbeutel“ und „Bürgersteig“ machen noch keine Anstalten, sich zu etablieren. Noch früher, zur Zeit der tschechischen Massenzuwanderung Ende des 19. Jahrhunderts, wurde „Bramburi“ ein allgemein bekanntes Synonym für „Erdapfel“. Begriffe aus dem Jiddischen – „Chuzpe“, „Ponem“ – widerstanden selbst den Nazis. Kärntner und Slowenen, Burgenländer und Kroaten bestimmten gegenseitig den Sprachgebrauch. „Der Wiener Basisdialekt ist wegen der Multikulturalität stark im Rückgang“, ergänzt Ingeborg Geyer. „Wir haben uns immer gegenseitig beeinflusst. Dialekte sterben nicht aus, sondern verändern sich.“
Zumal etwas wie ein gemeinsamer österreichischer Dialekt gar nicht existiert, obwohl acht von neun Bundesländern dem bairischen Sprachraum angehören. Das von der Akademie der Wissenschaften herausgegebene „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich“ unterscheidet zwischen Burgenland und Tirol etwa 150 Dialekte. Dazu kommt Vorarlberg mit 15 alemannischen Varianten.
Wir wollen nicht ohne sie auskommen müssen, auch wenn sich bald der letzte Landflüchtling auf den Weg gemacht haben wird. Auch warnt uns das Schicksal des einst im Allgemeingebrauch stehenden Zippverschlusses, heute ein Exotikum wie der Guisaumpa (burgenländisch: Gießkanne) oder der Drümsie (vorarlbergisch: verträumter Mensch). An Resignation sollten wir dabei nicht einmal denken. Nicht, solange man hierzulande noch erkranken kann, wie es sich gehört: 100 Prozent der demoskopisch befragten Österreicher sind lieber verkühlt als erkältet.
Als ich mit der Rohstoffsammlung für das hier zu bereitende Thema begann, langte ich relativ willkürlich in meinen elektronischen Posteingang und fand sofort, wonach ich suchte – zwei Einladungen österreichischer Provenienz in besonders schöner Ausfertigung. Die eine lautete: „Save the date – Late Night Seminar ‚Rulebreaker‘“. Damit war mein Interesse bis zur Begehrlichkeit entfacht. Was kann schließlich verlockender sein als die Aussicht auf ein, ich zitiere weiter, „gemütliches Get Together“ mit „drei renommierten Keynote Speakers“? Die zweite Nachricht betraf die Einladung zu einer Buchpräsentation. Sie lautete: „Reminder – Vom Sponsoring zur Corporate Cultural Responsibility“ – und sie hatte der Überschrift der ersten Nachricht immerhin zwei überlebende deutsche Worte voraus, nämlich „vom“ und „zur“. Absender war der Verein „Kulturkontakte“, womit die Metapher vom Bock und vom Gärtner neue Dimension erreicht hatte. Auch die andere veranstaltende Institution war überraschenderweise österreichischer Herkunft: nämlich eine heimische Bank.
Und nicht etwa die Nationalbank von Papua-Neuguinea, die ich zunächst im Verdacht hatte, weil nämlich Papua-Neuguinea eines der Mutterländer des historischen Pidgin English ist. Das ist jenes Kauderwelsch aus Minimalenglisch und Rudimenten der jeweiligen Nationalsprache, mit dem sich in den Kolonien Besatzer und Eingeborene zwecks Abwicklung primitiver wirtschaftlicher Vorgänge verständigten. Das trifft – weil ja die Sprache immer ein genauer Indikator gesellschaftlicher Vorgänge ist – präzise die Situation: Die Versklavung der Nationalstaaten durch die Märkte hat das Globalisierungs-Pidgin generiert.