Entdecke auf 9 Wegen deine verborgenen
Ressourcen und Potenziale
Sophie Grapengeter
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum den Menschen kaum etwas mehr fasziniert als die eigene Persönlichkeit? Nicht nur die Frage danach, wie ihre Persönlichkeit aussieht, treibt die Menschen an. Eine damit verbundene und sehr wichtige Frage ist: Wie bringen Sie Ihre Persönlichkeit in die Gesellschaft ein? Wie entscheidend sind Sie mit Ihren persönlichen Eigenschaften für Ihre Mitmenschen? Der Kulturpolitiker und Schriftsteller Berthold Auerbach hat herausgestellt, worauf es Menschen innerhalb der Gesellschaft oft ankommt und welche Wechselwirkung die individuelle Persönlichkeit und die Gesellschaft zueinander haben:
„Eine große Frage der Lebenskunst ist, inwieweit wir unsere Persönlichkeit, unsere Eigentümlichkeit mit in die Gesellschaft nehmen und an sie hinausgeben dürfen. Zu viel Persönlichkeit atomisiert die Gesellschaft, zu wenig Persönlichkeit verflacht sie und macht sie farblos, fade und vag.“ (Auerbach, o. J.).
Damit ist nicht nur Ihre Weiterentwicklung von Ihrer Persönlichkeit beeinflusst. Nein, vielmehr bestimmen Sie mit Ihrer Persönlichkeit auch Bereiche, die die Gesellschaft prägen.
Entscheidend sind dafür Lernprozesse. Und Lernprozesse sind konstruiert. Welche Mittel, welche Umgebung und welche Mitmenschen Sie für das Entwickeln Ihrer Persönlichkeit und das lebenslange Lernen benötigen, ist von Ihren individuellen Charaktereigenschaften abhängig. Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther macht im Rahmen der Diskussion über Lernprozesse immer wieder darauf aufmerksam, dass das Lernen immer auch an die Persönlichkeit gekoppelt ist. Denn nur „durch die Aktivierung emotionaler Zentren werden bestimmte Botenstoffe freigesetzt, dadurch werde das Gelernte in Form von neuaufgebauten Netzwerken verankert.“ (Hüther, 2015). Dies ist ein entscheidender Grund für den Boom zahlreicher Persönlichkeitsratgeber, für Selbsttests und für die Beratung über einen Life Coach. Denn wenn Sie es schaffen, zu erfahren, wie Sie Ihre persönlichen Eigenschaften einsetzen, können Sie ein besseres und in Ihrem Sinne zufriedeneres Leben führen. Statt sich zwanghaft anzupassen und um seine Persönlichkeit herum zu arbeiten, lieber die eigene Persönlichkeit verstehen und schätzen lernen.
So beginnen Sie nach und nach in Ihrem Berufsleben, in Ihrem Familienleben, in Ihrem Freundeskreis und in Ihrer Partnerschaft Ihre persönlichen Grenzen und Bedürfnisse besser einzuschätzen. Mithilfe des Enneagramms und weiteren Persönlichkeitsmodellen soll bei Ihnen der Anreiz zur stetigen Selbstreflexion geschaffen werden. Ihnen wird ein Werkzeug an die Hand gegeben, welches Sie nach Ihrem Gefühl und Verständnis nutzen können. Denn das Wichtigste ist, dass es Sie anspricht und einen Lernprozess in Ihnen in Gang setzt. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, sich nicht mehr im Nachhinein zu fragen, warum eine Fehlentscheidung getroffen wurde, warum Sie Entscheidungen getroffen haben, die Ihnen eigentlich zuwider sind und nicht mit Ihrer Persönlichkeit vereinbar sind.
Sie lernen mit den Persönlichkeitsmodellen nicht nur Ihre Stärken, sondern auch Ihre Schwächen ratsamer einzuschätzen. Sie lernen, wie Sie im Umgang mit anderen diese besser abwägen. Damit lernen Sie auch, wie Sie von anderen Persönlichkeitstypen profitieren, anstatt mit diesen in Konflikt zu geraten. Gerade im Berufsleben kann so die ein oder andere Konfliktsituation vermieden werden. An dieser Stelle soll es eine kleine Entwarnung geben. Ihnen begegnet in diesem Buch nicht nur Theorie. Sie werden durch alltägliche Praxisbeispiele und Anekdoten aus dem Leben geführt. Diese werden Ihnen helfen, darin vielleicht auch sich selbst, einen Bekannten, den Nachbarn von nebenan oder eine nahestehende Person wieder zu erkennen. Tauchen Sie nun ein in die Suche nach Ihren ganz individuellen Persönlichkeitseigenschaften.
Sollten Sie sich die Frage gestellt haben, was das Enneagramm so besonders macht, wird Ihnen diese nun beantwortet. Das Enneagramm verbindet als Werkzeug Persönlichkeitspsychologie, Spiritualität und auch wesentliche Erkenntnisse der Neuropsychologie. Der Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm versteht dieses auch als wegweisendes Werkzeug und als „Spiegel der Seele“ (Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm, 2019). Das Konzept und die Methodik des Enneagramms sind mittlerweile so ausgereift, dass Kurse dafür angeboten werden (Näheres dazu erfahren Sie im Kapitel „Blick in die Mythologie“).
Das Enneagramm kann auch als Hilfe zur Selbsthilfe gesehen werden. Der Autor und Pastor Andreas Ebert schreibt dazu in seinem Buch „Enneagramm“ folgendes: „Wegweiser zeigen den Weg; gehen aber müssen wir selbst.“ (Ebert, 2013).
Das Wort Enneagramm entstammt dem griechischen Wort „ennea“, was wörtlich übersetzt „neun“ bedeutet. Dabei geht es um eine Unterscheidung von 9 Charaktermustern. Diese Unterscheidung obliegt der Vorstellung, dass jeder Mensch einem dieser Charaktermuster zugeordnet werden kann. Dabei kann der Mensch aber auch Anzeichen der anderen Charaktermuster vorweisen. Diese zugeschriebenen Eigenschaften sind darauf begründet, dass sie als Antworten auf frühe Lebenserfahrungen gelten und das Verhalten langfristig bestimmen. Die individuelle Weiterentwicklung kann als Synthese innerhalb eines Typs gesehen werden.
Jeder Punkt, jede Linie im Enneagramm ist nicht rein zufällig vorhanden. Alles hat eine Bedeutung und einen tieferen Zusammenhang, der in das gesamte Enneagramm eingebettet ist. Das Enneagramm beinhaltet ein im Kreis eingearbeitetes Symbol mit neun Ecken. Dieses Symbol wiederum ist zusammengesetzt aus einem gleichseitigen Dreieck und einer aus sechs Ecken bestehenden Figur. Von der rechten oberen Ecke aus werden die neun Ecken im Uhrzeigersinn nummeriert.
Sie möchten nun sicher wissen, was es mit der gesamten Symbolik auf sich hat. Es gibt Interpretationen, die die Symbolik etwas unterschiedlich auslegen. Dies liegt unter anderem daran, dass der spirituell-religiöse Kontext des Enneagramms weit zurückliegt (Näheres dazu im Kapitel „Blick in die Mythologie“).
Hier wird eine Definition umschrieben, die der Enneagrammblog und die Community /„The-Enneagram-depot.com“ beschrieben hat.
Der Kreis symbolisiert nicht nur die umfassende göttliche Natur, sondern auch die Einheit des Lebens. Er stellt den Behälter dar, in dem wir als Menschen den Kontext unseres Lebens ausleben. Er repräsentiert die Ganzheit eines Menschen, bevor wir scheinbar vom Ego zersplittert wurden und nachdem wir uns bewusst geworden sind, dass wir diese Ganzheit nie verloren haben.
Es gibt mehrere Erklärungen für das Dreieck. Das Dreieck stellt das sogenannte Dreiergesetz dar. Dies besagt, dass sich jedes Phänomen aus drei verschiedenen Quellen zusammensetzt: der aktiven, der passiven und der neutralen Quelle. Und ein Gesetz der Drei findet sich im Christentum wieder: die Dreifaltigkeit. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind eins. Ein weiteres Konzept ist das Konzept des Wahrnehmenden, des Aktes des Wahrnehmens und des Wahrgenommenen.
In seinen Lehren über den vierten Weg wandte George Gurdjieff das Gesetz der Drei in einem Transformationsprozess an, der, wie er es sah,
Bestätigung, Verweigerung und Versöhnung erforderte. Dieser Transformationsprozess soll im täglichen Leben ablaufen und eine stetige Weiterentwicklung und Selbstsynthese darstellen.
Das fünfeckige Symbol wird mit den fünf Elementen in Verbindung gebracht. Eine interessante Assoziation ist der Abstand zwischen dem vierten und dem fünften Punkt. Dieser Abstand soll den Abstand zwischen dem (männlichen) Kopfbereich und dem (weiblichen) Herzbereich ausdrücken. Das Sechseck soll für das Nicht-Vollkommene stehen.
Oft wird dies jedoch anders interpretiert, nämlich als Hexad. Das Hexad stellt ein sechseckiges Symbol dar, welches sieben Punkte beinhaltet. Diese folgen einer Symbolik, die letztlich wieder zum Ursprung zurückführt, wo der siebte Punkt zu verorten ist. Die Bedeutung des Hexad besteht in dem sogenannten Gesetz der Sieben. Es betrachtet den Weg der Bewegung zu und von etwas in dieser Welt als keine gerade Linie. Auf diesem Weg befinden sich folgende Perioden: das Streben, das Versagen und das erneute Streben. Es ist ein Auf und Ab.
Das Enneagramm-Symbol als Ganzes betrachtet beinhaltet drei wesentliche Element der menschlichen Psyche. Es besteht dabei immer ein Dualismus.
Das Enneagramm überlagert diese drei Elemente auf eine Weise, die einen Weg zu einem volleren, reicheren Leben für jeden symbolisiert, der bereit ist, von den Auslösern der Persönlichkeit zurückzutreten und sich selbst zu beobachten. Die Linien auf dem Enneagramm-Symbol zeigen diesen Pfad dazu auf.
In diesem Kapitel erfahren Sie, was es mit der Logik und der Beschaffenheit des Enneagramms eigentlich auf sich hat. Das Besondere am Enneagramm ist sein Aufbau und die damit verbundene Logik. Das Enneagramm ist geometrisch ganz einfach gesehen ein Kreis. In diesem Kreis sind in gleichen Abständen neun Punkte platziert. Diese Punkte markieren die Persönlichkeitsgrundtypen. Dort hört das Enneagramm jedoch nicht auf, denn die einzelnen Grundtypen der Persönlichkeit stehen miteinander in Verbindung. Es gibt auch keine Auf- oder Abwertung eines Typs.
Die Persönlichkeitsgrundtypen stehen alle in einem Wechselverhältnis zueinander. Dies macht es möglich, dass Sie Ihren persönlichen Platz im Enneagramm finden können. Sie können aus einer großen Variationsbreite wählen, wo Sie sich selbst verorten würden. Wenn Sie Ihre Persönlichkeit weiter weg vom Zentrum des Persönlichkeitstyps verorten, haben Sie auch Eigenschaften des anliegenden benachbarten Persönlichkeitstyps. Die Entwicklung innerhalb Ihres Lebens bestimmt, wo Sie sich letztlich befinden und ob Sie die Eigenschaften ausbalancieren oder mehr Attribute und Eigenschaften des anderen Persönlichkeitstyps aufweisen.
Stellen Sie es sich so vor: Das Enneagramm ist bestimmt durch Flügel und Entwicklungslinien. Diese scheinen vielleicht auf den ersten Blick verwirrend, doch sie weisen auf eine entscheidende Erkenntnis hin: Jeder Mensch unterscheidet sich von anderen durch eine Vielzahl kleinster Unterschiede in der Persönlichkeit. Die Typologisierung erfolgt zwar nur über neun Typen, aber die Querschnitte und Verbindungen dieser zeigen eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten auf. So ist die Frage nach der Persönlichkeit nicht mit einem Blick beantwortet. Sie lernen vielmehr, die Verbindung zu anderen Persönlichkeitstypen einzuschätzen. Je mehr Sie sich vom zentralen Punkt eines Grundtyps weg verorten, desto mehr charakterliche Prägungen eines anderen Typs weisen Sie auf. Und die Verbindung mit den anliegenden Persönlichkeitstypen wird als Flügel bezeichnet (Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm, 2019). Dies kommt auch am ehesten der Realität nahe, denn niemand kann vollkommen in einem Persönlichkeitsgrundtyp aufgehen. Dies erklärt aber auch, weshalb Sie mit Menschen etwas gemein haben können, die Sie an sich zunächst nicht Ihrem eigenen Persönlichkeitstypen zuordnen würden. Sie können sogar nach außen hin exakt dasselbe Verhalten aufweisen, wie ein Mensch mit einem völlig anderen Typ. Erst beim genaueren Hinsehen und Nachfragen werden Sie feststellen, dass Sie sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden. Manchmal führen zwei völlig unterschiedliche Charaktere zu ein und derselben Entscheidung oder auch zu gleichen Verhaltensmustern.
Wenn Sie auf die Überschneidungen zu anderen Persönlichkeitsgrundtypen achten, lernen Sie, Ihre Persönlichkeit als ein Ganzes zu betrachten. Es ist die Bedingung zur Wahrnehmung Ihrer vollen Persönlichkeit. Bei den meisten Menschen wird in der ersten Hälfte ihres Lebens zunächst einmal ein Flügel stärker ausgeprägt sein als ein anderer.
Dabei kommt es darauf an, wie sie aufwachsen, welche Erfahrungen sie im Leben machen und was sie prägt. Die zweite Hälfte des Lebens ist oft davon geprägt, diesen Flügel auszubauen, darin aufzugehen und Schwächen wie auch Stärken genauer zu kennen. Dieser Prozess läuft, auch ohne das Handwerkzeug eines Enneagramms zu haben, automatisch ab.
Das Enneagramm hilft jedoch, früher und effektiver zu erkennen, an welchen Stellen gearbeitet werden kann. Deshalb sollten Sie, wie auch schon der Hinweis weiter oben lautete, nicht verwundert sein, dass Sie sich in verschiedenen Typen wiederfinden.
In diesem Kapitel lernen Sie, wie die neun Persönlichkeitstypen aussehen. Seien Sie besonders hier aufmerksam und notieren Sie sich gegebenenfalls auch Eigenschaften und Assoziationen, die Ihnen beim Lesen in den Sinn kommen. Hier gilt es, vom passiven Leser zum aktiven Mitdenker zu werden.
Sie haben nun einiges über das Enneagramm im Allgemeinen erfahren. Um das Enneagramm jedoch wirklich zu verstehen, ist die genaue Definition der einzelnen Persönlichkeitstypen entscheidend. Im Folgenden werden Ihnen die neun Persönlichkeitstypen vorgestellt. Horchen Sie tief in sich hinein. Welches Attribut, welche Charaktereigenschaft würden Sie im ersten Moment für sich zutreffend finden? Beachten Sie dabei, dass es Persönlichkeitstypen gibt, die sich treffen und ähneln. Meistens sind es Persönlichkeitstypen, die beieinanderliegen, sogenannte „Flügel“ (Vgl. Eclecticenergies, o. J.). Wenn Sie sich beispielsweise dem Persönlichkeitstypen 2 zuordnen, könnten Sie auch Verbindungen zum Persönlichkeitstypen 1 und 3 haben. Wenn Sie keine Verbindung zu den anderen beiden Persönlichkeitstypen sehen, ist Ihr Flügel „ausbalanciert“ (Vgl. Eclecticenergies, o. J.). Sollten Sie an eine Ihnen nahestehende Person mit demselben Typ, aber mit etwas anderen Eigenschaften, denken, ist dies kein Grund zur Verwirrung. Oft haben Menschen, die sich denselben Typ teilen, sowohl einige Eigenschaften, die im Einklang stehen, als aber auch Charaktereigenschaften, die in ihrer Ausprägung variieren. Das Enneagramm schafft fließende Verbindungen zu anderen Typen. Das ist es, was es so besonders macht.
An dieser Stelle erhalten Sie zunächst einmal eine Auflistung der Persönlichkeitstypen. Anschließend erfahren Sie zu jedem Persönlichkeitstypen, welche Eigenschaften wesentlich sind und diesem zugeordnet werden. Die Benennung der Typen erfolgt nach der möglichst besten Umschreibung des Typs. In den Klammern dahinter können Sie die Typenbenennung nach Riso und Hudson finden. Beide sind internationale und namhafte Vertreter des Enneagramms. Hudson ist der Gründer des Enneagramm-Instituts. Sie können frei wählen, welche Benennung Ihnen genehmer ist. Erfahren Sie nun, welche Persönlichkeitstypen das Enneagramm für Sie bereithält.
1. Der kontinuierliche Umgestalter (Der Reformer)
Optimierung, Professionalisierung, Perfektion.
Sind sie vielleicht der/die kontinuierliche Umgestalter/in? Dann geht es Ihnen nicht nur darum, Dinge in Ordnung zu bringen, sondern mehr noch, Sie wollen sie optimieren, am besten auch eine Höchstleistung erreichen. Das Weltbild ist oft von der Sicht begleitet, dass nichts optimal genug ist. Das macht Sie zu einem/r Perfektionisten/in. Wenn Sie Chaos sehen, sind Sie die Person, die als Erstes beginnt, Ordnung zu schaffen. Eines wissen Sie genau: Das Chaos lauert überall.
2. Der umsorgende Weggefährte (Der Helfer)
Hilfsbereitschaft, Aufopferung, Hingabe.
Sind Sie vielleicht der/die umsorgende Weggefährte/in? Dann fühlen Sie tief im Innern, dass Ihr Wert sich danach bemisst, wie hilfsbereit und wertvoll Sie für andere sind. Sie verpflichten sich Ihrem höchsten Ideal: der bedingungslosen Liebe. Sie sehen Ihre eigene Hingabe für andere als eine Pflicht und als Zweck Ihres Lebens. Dem gehen Sie mit voller Leidenschaft und Tatendrang nach. Offen, in der Gemeinschaft gut eingegliedert und mit vollem Herzen bei der Sache, sind Sie oft gesellschaftlich und familiär engagiert. Sie sind der Ratgeber für Ratsuchende. Sie vergessen niemanden und Ihnen fällt auf, was anderen längst verborgen bleibt.
3. Der allseits Strebsame (Der Leistungsmensch)
Erfolg, Leistung, Bestreben.
Sind Sie vielleicht der/die allseits Strebsame? Dann wissen Sie tief in Ihrem Inneren, dass Sie die Bestätigung anderer brauchen, um sich wertvoll zu fühlen. Erfolg und Bewunderung sind Ihnen wichtige Werte. Dafür arbeiten Sie hart und fokussieren die Erreichung Ihrer Ziele stringent. Sie wissen, dass Sie den nötigen Fleiß und die Entschlossenheit mitbringen, die vielen fehlt, um zu erreichen, wonach jeder strebt: Erfolg. Konkurrenz jagt Ihnen keine Angst ein. Im Gegenteil: Es bereitet Ihnen Freude, mit anderen konkurrieren zu können. Ihren Erfolg tragen Sie mit Stolz und Ihr Umfeld darf auch gerne daran teilhaben und davon erfahren. Was Sie sich auch vornehmen, Sie sind wild entschlossen, es zu erreichen.
4. Der selbstfühlende Einzigartige (Der Individualist)
Kreativität, Individualismus, Einzigartigkeit.
Sind Sie der/die selbstfühlende Einzigartige? Dann sind Sie immer auf der Suche nach Ihrer eigenen Identität. Sie wissen, dass Sie einzigartig sind und sich von den anderen unterscheiden und dies wollen Sie auch der Außenwelt zu verstehen geben. Sie stützen Ihr gesamtes Verhalten und den Umgang mit anderen darauf, dass Sie sich anders fühlen, ob Sie dies nun manchmal als Segen oder auch als Fluch sehen. Es begleitet Sie immer das Gefühl, nicht wie die anderen zu sein. Deshalb entschließen Sie sich dazu, es selbstbewusst der Welt zu zeigen und damit auszudrücken: Hier bin ich! Dadurch verlieren Sie nie den Bezug zu sich selbst. Es kommt Ihnen jedoch oft auch so vor, dass Sie durch Ihre Ecken und Kanten schwieriger in Positionen kommen und nicht die Möglichkeiten haben, die andere weitaus weniger individualistische Menschen haben. So wird Ihnen oft der Zugang zu einfachen Wegen des Glücks verwehrt bleiben.
5. Der beobachtende Wissbegierige (Der Forscher)
Beobachtung, Rückzug, Denker.
Sind Sie der/die beobachtende Wissbegierige? Dann begleitet Sie oft die Angst, nicht stark genug für die Geschehnisse um Sie herum zu sein. Sie sind kein rein ängstlicher Mensch, sie mögen es nur nicht, wenn Sie Entscheidungen nicht vorher gründlich durchdenken konnten. Sie ziehen sich daher in Ihr eigenes Bewusstsein zurück und begeben sich auf Gedankenreisen, durchdenken komplizierte Gedächtnisrätsel und lösen ungelöste Geheimnisse. Sie haben ein geistiges und abstraktes Level an Verständnis erreicht, wovon viele Menschen nur träumen. Daher sind Sie sehr intelligent, belesen und sehr nachdenklich. Sie sind bestens geeignet, um Experte in einem Fachgebiet zu werden oder Sie sind es schon, denn das nötige Know-how bringen Sie mit.
6. Der instinktive Gerechtigkeitsliebhaber (Der Loyale)
Loyalität, Gerechtigkeit, Zuverlässigkeit.
Sind Sie der/die instinktive Gerechtigkeitsliebhaber/in? Dann fühlen Sie sich tief in Ihrem Innern unsicher. Sie wissen nicht genau, was es ist, aber es begleitet Sie eine permanente Unsicherheit darüber, Entscheidungen zu treffen und von Menschen hintergangen zu werden. Sie werden das Gefühl nicht los, als gäbe es nichts von Beständigkeit. Daher kann sich derjenige sehr glücklich schätzen, dem Sie vertrauen, denn Ihr Vertrauen verschenken Sie nicht, im Gegenteil, man muss es sich hart verdienen. Sie sind bereit, bedingungslos zu einem Menschen zu halten. Es gibt nicht viele Menschen, die so loyal sind wie Sie. Deshalb müssen Sie auch darauf achten, nicht ausgenutzt zu werden. Hat sich jemand als verlässlich und vertrauensvoll bewiesen, kann er damit rechnen, dass Sie in jeder Lebenslage zu ihm halten werden.
7. Der unstillbare Vergnügungssuchende (Der Enthusiast)
Vergnügen, Abenteuer, Glück.
Sind Sie der/die unstillbare Vergnügungssuchende? Dann wissen Sie, wie das Leben auch Spaß machen kann und Freude bereitet. Sie lieben es, Pläne zu schmieden, viel zu lachen und das Leben auszukosten. Bedenken Sie dabei nur, dass Sie oft auch auf der Suche nach Ablenkung vor dem Ernst des Lebens sind. Sie sehen Ihr Leben wie eine spannende Achterbahnfahrt, daher führt Ihr Blick Sie geradewegs in die Zukunft, jedoch können Sie deshalb selten einmal eine Pause einlegen und zur Ruhe kommen. Ständig sind Sie von der Vorstellung begleitet, dass etwas auf Sie wartet und Sie keine Zeit verschwenden sollten. Ihre Mitmenschen sind oft darüber erstaunt, wie viel Energie Sie im Alltag so mit sich bringen. Daher suchen viele Ihre Nähe und beschreiben Sie als „Muntermacher“ oder „Gute-Laune-Mensch“. Sie sind laut, haben durch Ihr permanentes Ausprobieren viele Talente und sind immer aufgeschlossen für etwas Neues. Man kann sagen, dass Sie der Freund sind, mit dem sich Pferde stehlen lassen.
8. Der entschlossene Selbstbestimmer (Der Herausfordernde)
Selbstbestimmung, Entschlossenheit, Kontrolle.
Sind Sie der/die entschlossene Selbstbestimmer/in? Dann mögen Sie es überhaupt nicht, wenn Ihnen andere sagen, wo es lang geht. Sie scheuen sich daher aber auch nicht davor, Verantwortung zu übernehmen. Kontrolle? Die möchten Sie ausüben und Sie möchten möglichst vermeiden, dass diese über Sie hinweg ausgeübt wird. Mit diesem Bedürfnis geht die Weltsicht einher, das eigene Schicksal selbst und in vollem Ausmaß bestimmen zu können. Sie sind wild entschlossen, scheuen keine Konfrontation und gehen nur selten Kompromisse ein. Meistens kommen Sie damit weit, es gibt aber auch Situationen, in denen Sie damit Probleme erzeugen. Ihre Mitmenschen beschreiben Sie als einen dominanten, praktischen Menschen, der weiß, was er will. Wenn Sie doch einmal in der Situation sind, kontrolliert zu werden, wollen Sie dies damit kompensieren, dass Sie wiederum Kontrolle auf einen anderen Menschen ausüben.
9. Der harmoniestiftende Konfliktvermeider (Der Friedliebende)
Frieden, Harmonie, Ruhe.
Sind Sie der/die harmoniestiftende Konfliktvermeider/in? Dann streben Sie unstillbar nach Frieden und Harmonie. Selbst versuchen Sie, unter allen Umständen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Sollten Sie Zeuge eines Konfliktes sein, versuchen Sie, die Streitparteien zur Ruhe zu bringen und die hitzige Diskussion zu harmonisieren. Daher werden Sie auch in Ihrem Umfeld vielseitig als Ruhepol geschätzt. Auch in Ihrem Inneren streben Sie nach Harmonie und Seelenruhe. Unruhe und Negatives passen nicht in Ihr Lebenskonzept hinein. Da das Leben jedoch ständig unruhig ist, Konflikte bereithält und Sie die vielen negativen Ereignisse erschüttern würden, ziehen Sie sich zurück. Als introvertierte Person kümmern Sie sich um Ihre Liebsten und Ihr eigenes Wohlbefinden. Es kann auch sein, dass Sie sich auf ein aktives Sozialleben einlassen. Sie vermeiden jedoch, dass etwas Ihre innere Ruhe und Ihren Frieden durcheinanderbringen könnte.
In den folgenden Kapiteln erhalten Sie einen Einblick in die weitreichende Geschichte des Enneagramms. Dabei wird klar, dass es besonders dadurch einen unverkennbaren Wert in vielen Teilen der Welt bekommen hat.
Wie Sie bereits erfahren haben, wird der Ursprung des Enneagramms auf verschiedene Entstehungsgeschichten zurückgeführt. Ursprung und Entstehungsgeschichte sind damit nicht eindeutig bestimmbar. Die Spuren des Enneagramms reichen bis in die Philosophie der Antike und in die frühchristliche Theologie.
Andere Meinungen besagen, dass sich das Enneagramm auf den Sufismus zurückführen lässt.
Der Sufismus ist eine islamische Bruderschaft, die sich während der Zeit des Propheten Mohammed gegründet hat. Sie setzt den Fokus auf die Liebe des Gläubigen zu Gott. Das Leben eines Sufis beinhaltet vier wesentliche Prozesse.
Wie steht dies nun mit dem Enneagramm in Verbindung? Das Enneagramm hilft dabei, zu erkennen, wie Sie sich aus einer versperrten Ich-Perspektive lösen und das Ganze sehen können. Diese versperrte Ich-Perspektive stellt dem Sufismus nach 40 Grad der 360 Grad des Enneagramms dar. Nur, wer das Ganze erkennt, kann auch Gott erkennen (Sufi-Zentrum Braunschweig, o. J.). Eine bekannte Geschichte des verehrten Mullahs (Gelehrter im Sufismus) Nasruddin macht die Engstirnigkeit des Menschen deutlich:
„Nasruddin segelt mit einem Gelehrten über eine stürmische See. Als er etwas sagt, das grammatisch nicht ganz richtig ist, fragt der Gelehrte: Haben Sie denn nie Grammatik studiert? – Nein. – Dann war ja die Hälfte Ihres Lebens verschwendet! – Kurz darauf dreht sich Nasruddin zu seinem Passagier um: Haben Sie je Schwimmen gelernt? – Nein. Warum? – Dann war Ihr ganzes Leben verschwendet, wir sinken nämlich!“ (Sufi-Zentrum Braunschweig, o. J.).
Auch heute noch hat das Enneagramm in der sufistischen Lehre eine Bedeutung. Wie bereits weiter oben erwähnt, drückt das Enneagramm das Dilemma um den Verlust der Verbindung zu Gott aus und schafft ein Bewusstsein zur Selbstfindung und letztlich zur Gottesfindung. Die Muster werden jedoch auch als lebensnotwendige Antworten für Kindheitsprobleme definiert.
Der Begriff Ur-Vertrauen, den Sie sicherlich im Zusammenhang mit Freud kennen, wird an dieser Stelle wesentlich. In der spirituell sufistischen Lehre besteht das Ur-Vertrauen darin, dass Raum und Zeit, das Universum und der Mensch als solches, in seiner Essenz gut ist. Schlechte Erfahrungen im Frühkindesalter im Sinne von zu wenig Zuneigung oder auch „Nicht-Gehalten-Sein“ erschüttern dieses tiefsitzende Vertrauen (Vgl. Frahling, 2016).
Die Folgen bestehen in dem Verlust des echten Selbst. Daraus sind die weiter oben beschriebenen Probleme der Ego-Fixierung und des Selbstverlustes zu entnehmen. Dies hat Auswirkungen auf das gesamte Leben. Es entsteht eine Fehlwahrnehmung und störende Verhaltensmuster werden zur Tagesordnung. So symbolisieren die neun Typen im Sufismus neun „verschiedene Wahrnehmungen Gottes“ oder der eigenen individuellen Persönlichkeit. Sie stellen den Naturzustand dar und darin wird ihr essenzieller Beitrag zur Selbstfindung begründet (Almaas, o. J.).
Jede dieser Ideen stellt eine grundlegende Wahrheit über die Realität dar. Diese Wahrheiten führen zur tatsächlichen Wahrnehmung der Wirklichkeit. Diese Wahrnehmung führt dazu, dass der Mensch eine direkte Verbindung zu Gott aufbaut. Diese Wahrheit und diese Erkenntnis erfüllen den Menschen mit einer vollständigen Liebe. Das Enneagramm im Kontext des Sufismus ermöglicht demnach eine Sensibilisierung für eine solche Verbundenheit mit Gott.
Info: Almaas ist ein bekannter Autor und spiritueller Lehrer. Was Almaas so bekannt gemacht hat, ist die Verbindung von spirituellen Themen und Wissenschaft. Sein Fokus liegt auf der Suche nach der Wahrheit der menschlichen Natur und dem Realitätsverständnis. Daraus entstand der Diamond Approach. Diese Lehre ist eine mystische Lehre, die sich sowohl der alten Weisheitslehre als auch der modernen Psychologie und Psychotherapie bedient. Im Rahmen dessen entstand auch die Ridhwan School, in der diese Praxen gelehrt werden.
Eine ähnliche Grundhaltung findet sich auch im Christentum. Auch hier geht es um eine ursprüngliche Einheit. Einer der wichtigsten Vertreter des Enneagramms in der Neuzeit, Richard Rohr, beschreibt das Enneagramm im Zusammenhang mit dem Christentum wie folgt.
„Wenn wir das Enneagramm als Ikone des Angesichts Christi darstellen, interpretieren wir es als „Angesicht Gottes“ und zugleich als „Angesicht des (wahren) Menschen“ (Rohr & Ebert, 1989).
Der weiter oben schon erwähnte Schriftsteller, Komponist und Coach Georg Iwanowitsch Gurdjieff etablierte auch den Begriff als solchen und brachte ihn zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner bis heute gültigen Form nach Europa. Er lehrte es in Frankreich, Deutschland, Russland und in weiteren Ländern. Die Erkenntnisse dazu schnappte er auf seinen zahlreichen Reisen und durch die Begegnung mit verschiedensten Menschen auf der ganzen Welt auf. Viele seiner Studenten publizierten über das Enneagramm zahlreiche Bücher.
Bekannt wurde das Enneagramm in Deutschland durch den Pastor Andreas Ebert. Er war Gründungsmitglied und der erste Vorsitzende des "Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm“. Wichtig war die Begegnung mit dem Franziskanerpater Richard Rohr. Das Buch „Das Enneagramm“ wurde zum meistverkauften Enneagramm-Buch Deutschlands. Beide Männer gelten als Vertreter eines gesellschaftskritisch gelebten Glaubens und haben die spirituelle Männerbefreiung maßgeblich mitgeprägt (Claudius Verlag, o. J.).
Sowohl Georg Iwanowitsch Gurdjieff als auch Andreas Ebert und Richard Rohr haben das Konzept des Enneagramms als Coaching-Inhalt und Therapiemöglichkeit vorangebracht. Der „Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm“ bietet zahlreiche Kurse zum Enneagramm bei professionellen Trainern und Trainerinnen an. Von Einführungsseminaren über die Mustersuche bis hin zur Nutzung des Enneagramms zur Stärkung des Selbstbewusstseins ist alles dabei (Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm, 2019).
In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Sie auch innerhalb einer Gruppendynamik viel für Ihre Persönlichkeitsentwicklung und für den Bewusstseinsprozess mitnehmen können.
Sicher fragen Sie sich, wie so ein Seminar konkret aussieht und um welche Inhalte es dabei geht? Sehen Sie sich beispielsweise die ungefähre Beschreibung des Seminars „Gelebtes Enneagramm - Schwerpunkt Mustersuche“ an.
Die Idee des Enneagramms trägt an Sie die Gewohnheiten Ihres Lebens heran. Es lehrt Sie, zu verstehen, welche Stärken und Schwächen Sie in Ihrem Leben in exakter Weise begleiten. Sie können durch ein Lesestudium sicherlich das Wissen um die Lehren aufsammeln, aber wie übersetzen Sie das Ganze in Ihr Leben? Genau darum soll es in dem Kurs gehen. Wie können Sie die Interpretation in Ihren Alltag hinein vornehmen? Durch den dynamischen und echten Austausch lernen Sie nachvollziehbar, wie Sie die Lehren in Ihren Alltag integrieren.
Wenn Sie erst einmal verstanden haben, was Ihnen dabei wichtig ist, können Sie im Austausch mit vertrauensvollen und kompetenten Menschen über Ihr Innerstes und das, was Sie zur Nutzung in Ihrem Leben benötigen, sprechen. Dies kann unter Umständen sehr hilfreich sein, um die ersten Schritte zu gehen und die richtige Richtung einzuschlagen oder die Selbsterkenntnis zu verstehen.
Einige der Möglichkeiten und Fragen, mit denen sich das Seminar befasst, werden hier aufgeführt:
Die Seminare finden in Form von offenen Großgruppenprozessen statt. Antworten werden in Teamwork ermittelt und alle Teilnehmer gehen jeweils auf die einzelnen Ennea-Muster ein (Ökumenischer Arbeitskreis, 2019).
Anekdote: An einem Gruppenseminar nahm eine ältere Dame teil. Diese sprach darüber, wie schwer es ihr fällt, im Alltag überhaupt noch mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ihr wird wohl oft nachgesagt, dass Sie dem Gegenüber zu viel von sich erzähle und somit Informationen derart überlade, dass es den anderen schlichtweg überfordere und erschöpfe. Als junge Frau hatte sie bereits einen schmerzlichen Verlust erfahren. Ihr Sohn war jung an einer Erbkrankheit verstorben. Sie hatte sich dafür immer die Schuld gegeben. Als ihr Mann nun vor wenigen Jahren verstarb, brach ihre Welt zusammen.
Eine Weile hatten sie Familie, Freunde und Bekannte getröstet, aber irgendwann hatten sich die meisten von ihr abgewendet. Die Gruppe stellte der Frau noch einige Nachfragen darüber, wie sie sich selbst sah. Sie war verunsichert über diese Frage. Sie beschrieb sich als einen Menschen, der gerne über sich redete. Sie mochte es, ihr eigenes Leben mit anderen Zusammenhängen zu verknüpfen.
Deshalb ging sie auch gerne in einen Strickclub und sprach mit den Frauen dort über ihre Art der Trauerbewältigung. Nach einigem Hin und Her besprachen die Gruppenmitglieder ihre Vermutung. Sie deuteten auf den Typ 4 hin. Die Frau schien ihren eigenen Wert in Frage zu stellen. Sie liebte die Menschen um sie herum mehr, als sie sich selbst liebte. Die Überbetonung ihrer eigenen Persönlichkeit zeigte kein Selbstbewusstsein, sondern das Bedürfnis, sich selbst mitteilen zu können.
Dahinter verbargen sich die tiefen Bedürfnisse nach Anerkennung, Wertschätzung und Liebe. Im Rahmen einer Aufgabe stellten die Teilnehmer der Frau die Frage, was sie an sich selbst am meisten schätzen würde. Sie stellte fast exakt die genannten Eigenschaften heraus.
Dass sie selbstlos wäre und sich gern um andere kümmere und schnell ein Gefühl dafür hätte, was im anderen vorging. Schließlich wurde die Frage weiter präzisiert. Was gefällt der Frau an sich selbst, was nichts mit anderen zu tun hat. Die Betonung ihrer Persönlichkeit kam an diesem Punkt plötzlich ins Straucheln. Es fiel ihr sichtlich schwer, sich selbst so zu beschreiben. Lange Zeit sei sie das auch nicht mehr gefragt worden. Immer wenn sie ansetzte, verneinte sie ihren eigenen Gedanken.
Also entschied der Gruppenleiter, eine Übung durchzuführen, um der Frau ihre Stärken und Schwächen bewusst zu machen. Sie setzten sich alle in einem Kreis auf den Boden. Die Frau saß in der Mitte des Kreises. Die Teilnehmenden gingen der Reihe nach nach vorn, tippten auf ihre Schulter und nannten eine Eigenschaft. Es fielen Worte wie empathisch, humorvoll, direkt, reflektiert, charismatisch, stilsicher. Aber auch Worte wie unsicher, haltlos, traurig, unglücklich.
Die Frau bekam einen Moment, um alle Ergebnisse sacken zu lassen und darüber nachzudenken. Sah sie sich selbst in den Beschreibungen widergespiegelt oder konnte sie mit den Beschreibungen nichts anfangen? Einiges, verneinte sie selbst, anderes bejahte sie und über einige Eigenschaften musste sie nachdenken. Sie wurde gefragt, wie sie sich gerade fühlte, ob diese Situation ihr angenehm erschien und die Frau sich in dieser Umgebung wohlfühlte. Die Bestätigung und der Raum, der ihr gegeben wurde, hatte sie lange nicht mehr gehabt.
Danach nahm sie regelmäßig an Seminaren teil und lernte nach und nach ihren Persönlichkeitstypen besser kennen. Mit ein paar der Teilnehmenden schloss sie Freundschaft. Es war wichtig für sie gewesen, Menschen kennenzulernen und mit diesen in Kontakt zu treten. Dabei sollte sie jedoch stets auf sich selbst Acht geben. Es geht für sie vor allem um Selbstwirksamkeit und Selbstliebe.
Sie haben nun einige Impressionen erhalten, wie weit das Enneagramm zurückreicht, welche Typen der Persönlichkeit das Enneagramm bereithält und dass es bestens in den eigenen Reflexionsprozess eingebettet werden kann. Doch welches Potenzial hat das Enneagramm eigentlich? Und warum ist es für Sie persönlich nützlich, das Enneagramm zu kennen? Gehen Sie in diesem Kapitel den Antworten auf diese Fragen auf die Spur.
Eine Entwicklung hat immer zwei Richtungen
In diesem Kapitel erfahren Sie insbesondere, wie Sie Ihren Typ stärker mit anderen Typen in Verbindung bringen können und wie dies zu interpretieren ist.
Wie Sie bereits wissen, ist jeder Persönlichkeitstyp im Enneagramm mit zwei Linien verbunden, die zu zwei anderen Persönlichkeitstypen führen. Die erste Linie beschreibt die Richtung einer Entwicklung. Damit ist die Entwicklung gemeint, die ein Mensch innerhalb eines Grundtyps durchlebt, wenn er sich gut entwickelt und über sich hinauswächst. Wie Sie sich sicherlich schon denken, beschreibt die andere Linie die Kehrseite. Wenn sich ein Mensch nicht gut entwickelt, in einer Krise oder in Stress festsitzt, dann kann er seine Persönlichkeit nicht weiterentwickeln. Im ersten Moment wird Ihnen nicht ganz klar sein, welche Linie welche ist. Wichtig ist an dieser Stelle nur, zu verstehen, dass jeder Persönlichkeitstyp eine „optimale“ Seite für einen anderen Persönlichkeitstyp bereithält und dass ebenso jeweils eine „schlechte“ Seite für einen anderen Persönlichkeitstyp besteht.
Daraus sollte klar werden, dass sich alle Persönlichkeitstypen ebenbürtig gegenüberstehen. Egal, welchen der Persönlichkeitstypen Sie für sich ausgemacht haben, jeder dieser Persönlichkeitstypen hat seine guten und schlechten Seiten.
Hier wird deutlich, was das Enneagramm im Vergleich zu anderen Persönlichkeitsmodellen so besonders macht. Es ist nicht ausschließend. Es bleibt nicht bei der Beschreibung Ihres Persönlichkeitstypen. Nein, Sie müssen viel eher erkennen, welche anderen Persönlichkeitstypen Einfluss auf Ihren Typ haben, welche Schwächen und Stärken damit verbunden sind und wie Sie daran arbeiten können. Die Dynamik des Modells
wird dadurch zu einem konkreten Werkzeug. Damit lernen Sie nicht nur den Ist-Zustand, sondern auch den Soll-Zustand kennen. Darin liegt das Potenzial des Enneagramms. Sie sehen damit nicht nur in die Vergangenheit oder Gegenwart, sondern Sie können sich auch einen Einblick in eine potenzielle zukünftige Entwicklung verschaffen. Es hilft nicht nur bei der Lösung partnerschaftlicher Konflikte, bei der Stressvermeidung im Beruf oder bei der eigenen Selbstwahrnehmung, Sie können damit auch Fähigkeiten für das persönliche Wachstum entwickeln, sei es für die Kompetenzen zur Teamleitung oder für die Betreuung anderer Menschen. Wer weiß, am Ende werden Sie selbst zum Enneagramm-Experten.
Durch seine Dynamik ist das Modell auch mit anderen Modellen kombinierbar. Modelle wie innere Antreiber, das Lebensrad oder positive Affirmationen lassen sich beliebig mit dem Enneagramm verbinden (Siehe Unterkapitel „Mit dem Enneagramm Persönlichkeit verändern“). Bisher haben Sie eine oft religiös-spirituelle Perspektive auf das Enneagramm erhalten. Das Enneagramm schafft jedoch auch, wie weiter oben angeführt, den Querschnitt zur Persönlichkeitspsychologie. So kommt es auch zum Einsatz bei der Transpersonalen Persönlichkeitstherapie, denn als Charaktermodell ist es hervorragend in der Charakter- oder Typenlehre einsetzbar. Einen großen Beitrag zum Einsatz in der Transpersonalen Persönlichkeitstherapie leistete der chilenische Psychiater Claudio Naranjo. Dieser hat die psychologische Perspektive der neun Punkte des Enneagramms als Denk-, Fühl, - Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster eingebracht (Vgl. Gallen, o. J.). Sein Lehrer Oscar Ichazo hatte die neun Punkte des Enneagramms in „neun sog. (emotionale) Leidenschaften und neun (kognitive) Fixierungen“ unterteilt (Gallen, o. J.). Eine weitere Unterteilung wurde mithilfe von drei Instinkttypen vorgenommen, die hier kurz aufgelistet werden:
Diese Instinkte braucht der Mensch, um zu überleben. Naranjo hat diese Begriffe noch weiter ausdifferenziert und damit psychotherapeutische Kenntnisse in das System des Enneagramms mit eingebracht (Vgl. Gallen, o. J.). Diese neun Persönlichkeitstypen sind nach einer psychologischen Auslegung Strategien zum Überleben. Im Kleinkindesalter werden diese entwickelt, um die Umwelt, die Reize und die Sinneswahrnehmungen einzuordnen. Es sind die Muster unseres Verhaltens, die für den Umgang mit dem Leben notwendig sind (Vgl. Naranjo, 1992).
Eine Frage wird Sie sicher beschäftigen: Ab wann sind diese Verhaltensmuster problematisch? Die Antwort wird Sie nicht überraschen. Nach psychologischem Verständnis werden diese zum Problem, wenn sie nicht mehr dynamisch sind und so ablaufen, dass Sie mit der persönlichen Weiterentwicklung nicht mehr konform gehen, im Gegenteil, wenn diese gar gegen Ihre Persönlichkeit arbeiten. Dadurch wird jede Möglichkeit für eine Veränderung gehemmt. Und auch bei der nächsten Erkenntnis werden Sie sicher wohlwollend zustimmen können. In der Mitte ihres Lebens bekommen viele Menschen eine Krise, auch bekannt als „Midlife-Crisis“. In dieser Krise wird dem Menschen bewusst, dass er unter enormen Einschränkungen gelebt hatte. Immer stärker wird von da an das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung (Vgl. Naranjo, 1992). Und nun kommt das Potenzial des Enneagramms ins Spiel. Es hilft dabei, ein Bewusstsein für diese sonst unbewusst und routiniert ablaufenden Prozesse zu schaffen. Bevor Sie in diese Konfliktsituation kommen, können Sie bemerken, welche Probleme tief sitzen, welcher Kummer Sie schon lange begleitet und welche Ihrer Eigenschaften Ihnen dabei helfen, diese zu überwinden. In der Psychotherapie wird mit den meisten Modellen alles, was von der Norm abweicht, oft pathologisch aufgenommen (als Krankheit ermittelt). Diese Bedenken müssen Sie beim Enneagramm nicht haben, denn es greift die Entwicklung der Persönlichkeitstypen als normale Entwicklungen innerhalb Ihrer Persönlichkeitsentwicklung auf.
Die psychologische Psychotherapeutin Marianne Gallen hat zahlreiche Konzeptpapiere zur Nutzung des Enneagramms für die Überwindung von Ängsten publiziert. Es kann beispielsweise zur Überwindung von Existenzängsten genutzt werden (Näheres dazu im Unterkapitel: Selbsterkenntnis). Sie greift zudem auf, dass das Modell auch zur Selbstreflexion des Therapeuten/der Therapeutin entscheidend sein kann. Dieser kann durch das Modell das eigene „Therapeuten-Ego“ ablegen (Vgl. Gallen, o. J.). Die Therapeuten können so Ihre eigenen Verhaltensweisen reflektieren und unbewusste, routinierte Entscheidungen verhindern. So können Sie sich mehr auf Ihr Gegenüber einlassen. Gallen benennt dies auch als „Disidentifikation“ (Gallen, o. J.).
Dieses Ego ist der Grund dafür, warum die Weiterentwicklung der Patienten gestört sein kann. Darum ist es sogar unerlässlich, dass der Therapeut einen Selbstreflexionsprozess vollzieht und sich darüber im Klaren wird, an welcher Stelle er den Prozess des Patienten behindern könnte. Damit ist das Enneagramm also auch nützlich für verfestigte Strukturen des eigenen Egos. Besonders für Menschen, die im Beruf eine Verantwortung für andere Menschen tragen, ist es sehr wichtig, diese Aspekte nicht außer Acht zu lassen (Vgl. Gallen, o. J.).
Wofür kann es im Sinne des Patienten noch eingesetzt werden? Es kann dabei helfen, Automatismen und schlechte Gewohnheiten zu erkennen. Es ist wichtig, diese zu erkennen, weil sie oftmals als Strategien des Überstehens und Weiterkommens verstanden werden. Diese hindern in Wirklichkeit jedoch das eigene beständige Wachstum, denn die wichtigste Einsicht ist die, dass Raum zum Lernen geschaffen werden muss.
Einige Experten des Enneagramms unterscheiden die sogenannte „Persönlichkeitsmaske“ von der „Charakterfixierung“ (Vgl. Michael, 2014). Oft sind Menschen auf ihre Persönlichkeit fixiert. Sie wird als Maske beschrieben, weil sie oberflächlich ist und mit Verhaltensmustern und Gewohnheiten zusammenhängt. Dadurch wird der Blick auf den wahren inneren, tiefgreifenderen Charakter behindert. Michael beschreibt dies auch als Ansammlung verschiedener Einflüsse im Laufe des Lebens. Die Persönlichkeit ist sozusagen nur ein kleiner Teil, der von der Charakterfixierung nach außen hin sichtbar wird (Vgl. Michael, 2014). Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Sie tragen im Sommer Ihre nagelneue Sonnenbrille. Sie sind draußen auf einer Wiese und sonnen sich. Nach einiger Zeit eilen Sie zum Bus und lassen die Sonnenbrille an. Es wird merklich dunkler. Als Sie die U-Bahn nehmen, wird das Licht grell und Sie vernehmen eine merkwürdige Farbe durch Ihre Sonnenbrille. Als Sie sie kurz hochschieben, müssen Sie wegen des grellen Lichts blinzeln. Als Sie eine Weile durch die Läden schlendern und schließlich rausgehen, sehen Sie kaum noch etwas. Es ist dunkel geworden. So beschließen Sie, die Brille abzusetzen.
Persönlichkeit ist das, was Ihnen schnell ins Auge fällt, welche Veränderungen, Verhaltensweisen oder Entscheidungen Sie beeinflussen (Vgl. Michael, 2014).
Nun fragen Sie sich, wie genau das Enneagramm damit zusammenhängt? Es hilft dabei, die Persönlichkeitsmaske und die Charakterfixierung in Einklang zu bringen. Eigentlich gehen diese nach Michael sogar „nahtlos“ ineinander über (Vgl. Michael, 2014).