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Onnos kosmischer Basar
Onnos Vorposten zur Unendlichkeit
Moa Graven
SciFi Ostfrieslandkrimi von Andy Rizzo
ONNOs kosmischer Basar-
Ein Ostfriese im Weltall - Band 3
von Andy Rizzo
Alle Rechte am Werk liegen beim Autor
Erschienen im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland
Juli 2018
ISBN 978-3-946868-42-2 (Taschenbuchausgabe)
Umschlaggestaltung: Criminal-kick-Verlag
Mittlerweile hat sich Onno an seine Reisen mit Quirk im Weltraum gewöhnt, da kommen neue Herausforderungen auf die beiden zu. Da Onnos Tee, den er mit auf diese Reisen nimmt, auf das Fell der Feliden Anka ter Dax eine besonders heilende Wirkung zu haben scheint, wittert Onno ein lukratives Geschäft. Und das geschieht auch auf der Erde, denn Berger, der Chef der Energie AG möchte die Energiemodule, die Onno von Goran mitbrachte, für sich nutzen. So entsteht die Idee zu einem kosmischen Basar, einer anfänglichen Kooperation der Erde mit dem Weltraum. Doch natürlich gibt es Widersacher, die dem bunten Treiben von Onno, Quirk und Anka nicht tatenlos zusehen wollen. Schon bald schweben die drei in großer Gefahr.
»Sag, was bringt uns mehr Wissensgewinn? Die Logik oder die Neugierde?«
»Nun, während bei der klassischen Logik jede Aussage zwei Wahrheitswerte, nämlich wahr oder falsch hat, und, die daraus resultierenden Ergebnisse zwingend logisch sind, ist die Neugierde unter anderem auf ein Interesse an Wissen ausgerichtet. Diese lässt Erkenntnissprünge zu. «
»Also bringt uns der Gewinn von Wissen, wie beim im weitesten Sinne deduktiven Aufbau der Mathematik weiter als die Neugierde? «
»Nein, eigentlich bringt uns die Verbindung von Logik, Neugierde und einem kreativen Geist am weitesten. Denn nur wer aus A und B nicht nur C, sondern auch D oder eine neue Welt um C erkennt, bringt uns weiter und geht neue unerforschte Pfade. «
»Na dann wollen wir hoffen, dass nicht zu viele zu schnell neue Pfade entdecken. «
»Ich verstehe, wir müssen nun den nächsten Schritt gehen. «
Der Weltraum mit seiner unendlichen Größe. Er beherbergt viel Bekanntes und noch mehr Unbekanntes. Und doch fragt man sich, ob alles so verläuft, wie man es sich vorstellt, oder ob es sich nicht alles völlig anders darstellt.
Da saß er nun in seiner Kabine und blickte in die Unendlichkeit. Quirk, der Breekianer, oder wie Onno gerne meinte ein galaktischer Wattwurm, hatte einen kurzen Orientierungsstopp zwischen Goran und der Erde eingelegt. Dieser war zwar nicht unbedingt notwendig, »aber sicher ist sicher«, hatte Quirk gesagt. Onno stand in seiner Kabine an der Wand und schaute durch eine Öffnung hinaus ins All. Diese abgrundtiefe Schwärze, nur durch einige Lichtpunkte unterbrochen, hatte schon was Meditatives. Je länger er hinausschaute, desto mehr verschwamm das Hier und jetzt und doch wurde er sich dessen immer mehr bewusst. Fast hypnotisch wiederholten sich die Fragen in ihm: Was passiert hier, was passiert mit mir? Und obwohl das alles real war, empfand er die Situation als surreal. Allein schon sein Erstkontakt verlief so völlig anders, als man es hätte annehmen können. Er dachte an Filme wie Independence Day oder Arrival. An Angriffe durch Aliens, zerstörte Städte, Missverständnisse in der Kommunikation oder einfach Unterwerfung der Menschheit. Aber nichts dergleichen geschah.
Sein Kontakt war völlig anders und vor allem friedlich. Und die Ereignisse danach ließen ihn für diese Gedanken überhaupt noch keine Zeit finden. Er dachte an Goran zurück, seinen ersten Kontakt mit einer fremden Welt und an Anka, dieses zauberhafte und doch fremde und sympathische Wesen, welche ihn nun begleitete. Er riss sich von der allumfassenden Tiefe des Weltraums los, trat einen Schritt zurück und schaute sich in seiner Kabine um. Schmucklos kam sie ihm vor. Da war zunächst seine Schlafkoje, fast schon ein französisches Doppelbett, daneben noch ein kleiner Beistelltisch. Dann war da noch sein Hygiene-Bereich; abgeteilt natürlich, um seine Privatsphäre zu schützen. Etwas abseits rechts davon stand ein Tisch mit einem Holoprojektor. Daneben eine Konsole, die Quirk ihm bereitgestellt hatte, um mit zu verfolgen, was in der Zentrale des Breekianers so passierte. Die Wände schimmerten in einem sanften Grau-Grün. Indirekte Beleuchtung kam von der Decke, per Sprachbefehl konnte er die Helligkeit regeln. Drei bequeme Stühle waren an seinem Tisch. Und eine Art Ohrensessel, der diente ihm zum Lernen. Der Sessel hatte eine faltbare Haube, welche sich über seinen Kopf stülpte, ohne ihn zu berühren. Quirk sprach von einer Art Hypno-Schulung, die darüber erfolgte. Er fragte sich schon lange, warum er vier Sitzgelegenheiten hatte, zumal im Moment nur zwei - zumindest im Ansatz - Hominiden an Bord von Quirk waren. Ansonsten war der Raum nur groß. Onno schätzte ihn auf bestimmt fünfzig Quadratmeter. Hier und da lagen einige seiner Sachen herum, zwei seiner Karohemden hingen über einem der freien Stühle. Sein Lesegerät, in dem seine Lieblingsromane gespeichert waren, lag eher achtlos auf dem Tisch. Einige Paperromen lagen verstreut auf dem Beistelltisch. Für wen sollte er auch aufräumen? Wieder kamen die Erinnerungen der letzten Tage zurück.
Lag hinter diesen Vorgängen mehr, als er aus seiner bescheidenen Sichtweise erkennen konnte. Er war doch nur ein ganz, ganz kleines Rädchen in der allumfassenden Maschinerie des Universums. Unbedeutend. Nichtssagend. Und doch hatte er das Gefühl, etwas bewirken zu wollen oder zu können. Die Wucht dieser Erkenntnis ließ ihn einen Schritt nach hinten taumeln. Was sollte er bewirken? Was war seine Aufgabe und was hatte Quirk damit zu tun? War er nur eine Marionette in einem großen Schauspiel, welche an unbekannten Fäden hing, die andere zogen, oder konnte er auch selber freie Entscheidungen treffen, selber eine Richtung einschlagen? Er ging wieder einen Schritt nach vorne, schaute erneut in die Unendlichkeit und ließ seine Gedanken weiter baumeln. Eine heftige Erschütterung ließ ihn taumeln. Sofort veränderte sich das Licht in seiner Kabine. »Quirk, was ist passiert?«, rief er in den Raum. Der Holoprojektor aktivierte sich. Onno sah ein wattwurmähnliches Geschöpf, das in einem grünlichen Medium schwamm und hektisch mit seinen Kopffühlern über blinkende Monitore strich.
»Wir sind in eine gravitonische Anomalie geraten, vermutlich ein winziges, wanderndes schwarzes Loch. Dies interagierte mit unserem Antrieb, der sofort ausfiel. Ich brauche deine Hilfe für die Reparatur. Das kann ich leider nicht alleine.«
»Wie kann ich denn helfen?«, fragte Onno.
»Setze dich auf deinen Lernstuhl, danach sehen wir weiter.«
Onno kam es vor, als sei es eher ein Befehl als eine Bitte, trotzdem ging er zum Stuhl, stülpte sich die Haube über und versank in einen tiefen Schlaf. Kurz vorher nahm er noch wahr, wie sich die Tür zu seiner Kabine öffnete.
Chris Bachus saß noch immer fassungslos in seinem spartanisch eingerichteten Büro und konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Onno, wo bist du nur und wo hast du verdammt noch mal diese Dinger her?, dachte er nur und schaute auf seine offene Bürotür. Sein Chef Gerd Berger und der Hausjustitiar der Energie AG sowie die beiden Geheimdienstleiter hatten gerade das Büro verlassen und ließen ihn irritiert sitzen. Was war eigentlich passiert? Onno hatte bei seinem letzten Besuch Chris zwei seltsame Kästchen zur Untersuchung gegeben. Es waren Energiepaks oder wie Onno sagte Energiemodule mit unglaublichen Leistungen. Und Onno hatte nicht übertrieben. Die Effektivität dieser Module übertraf alles, was sie bisher gekannt hatten. Auch das Material ließ sich nicht mit den Mitteln des Labors aus der Energie AG genau ermitteln.
Als gut vernetzter Ingenieur diskutierte er in diversen Foren mit Kollegen darüber. Natürlich machte er nur vage Andeutungen, schließlich wollte und konnte er nicht zu viel verraten. Aber auch dort konnte ihm niemand wirklich helfen. Er wollte gerade die eigenen Ergebnisse analysieren, als man ihm genau diese beschlagnahmte. Er fragte sich gar nicht erst, wie der BND und MAD von diesen Modulen erfahren hatten. Es lag wohl auf der Hand, dass das Netz überwacht wurde. Nur, dass man so schnell reagierte, überraschte ihn schon. Aber Chris wäre kein guter Ingenieur, wenn er nicht noch die eine oder andere Back-up Kopie hergestellt hätte. Er wartete einige Minuten, um sicherzugehen, dass auch wirklich niemand zurückkam, und holte sich dann einen frischen Kaffee aus der Laborküche. Der Duft erfüllte den ganzen Raum und Chris setzte sich, lehnte seinen Kopf nach hinten und schloss die Augen. Er sammelte sich kurz, während der Kaffeeduft seine Nase umspielte. Dann richtete er sich auf, trank einen Schluck, ging in sein Büro zurück und holte seinen privaten Laptop aus seiner Arbeitstasche. Eigentlich war es kein richtiger Laptop mehr, jedenfalls nicht mehr so, wie er ihn in seiner Kindheit kennengelernt hatte. Eher ein Multimediagerät. Aber einen generalisierten USB-Anschluss hatte er. Er aktivierte das Gerät. Auf einem geheimen und gesicherten Dateienpfad holte er sich die Ergebnisse aus dem Labor wieder auf eine 3-dimensionale Holoprojektion. Leider waren die Daten nicht ergiebig, sondern eher verwirrend. Nur mit Mühe hatte man mit einem Diamantbohrer kleinste Mengen von der Oberfläche abschaben können. Der Bohrer brach dabei allerdings ab. Die wenigen Partikel hatte man versucht, nach allen Mittel der Labortechnik zu analysieren. Neben der normalen Elementaranalyse wurde eine ganze Batterie von spektroskopischen und chromographischen Hochleistungsgeräten benutzt. Alle Ergebnisse waren praktisch unbefriedigend. Das wenige, was man ermitteln konnte, war, dass es sich um eine Art Keramik mit einer quasi kristallinen Struktur und einem Schmelzpunkt über dem von Tantalhafniumcarbid handelte. So etwas war ihm noch nie untergekommen. Auch die Energie- und Leistungsdichte war mit nichts zu vergleichen, was im Moment Stand der Dinge war.
»Onno, Onno, Onno«, sagte er vor sich hin. »Was hast du uns nur mitgebracht ... und vor allem von wo?«
»Was hast du gesagt?«, hörte er plötzlich hinter sich. Ohne, dass er es gemerkt hatte, war Manni in sein Büro gekommen. Schnell löschte er die Projektion und drehte sich um.
»Hast du mal wieder was von Onno gehört?«, fragte er Manni.
»Nein«, sagte dieser. »Er ist doch wieder verreist.«
»Ha«, sagte Chris, »verreist. Wer´s glaubt, wird selig«, und zeigte mit seiner Hand auf seinen Schreibtisch. Aber der war bis auf seinen privaten Rechner leer. »Ach, du weist es ja gar nicht.«
»Was weiß ich noch nicht?«, fragte Manni schnell.
»Wir hatten sehr hohen Besuch.«
»Hohen Besuch? wie meinst du das?«
»Ja, unsere Geheimdienste beehrten uns.«
Manni schaute Chris aus verkniffenen Augen an. Ein Fragezeichen glühte förmlich auf seiner Stirn. Er verstand nur Bahnhof.
»Ja, hoher Besuch. Die beiden Energiemodule, die Onno uns gegeben hatte, wurden beschlagnahmt.«
»Was, wieso?«, fragte Manni.
»Nationale Sicherheit«, kam es knapp.
»Nationale Sicherheit? Wie bei den Amis?«, sagte Manni ungläubig. »Nun, sie waren schon ungewöhnlich, aber gleich nationale Sicherheit scheint mir doch übertrieben.«
»Yupp, nationale Sicherheit. Ach, ... weißt du, wo Onno war? Hat er irgendetwas über die Herkunft der Module gesagt?«, fragte Chris nach.
»Nein, nur dass er weit weg war«, sagte Manni.
»Weit weg ... weder die Russen noch die Amis haben solche Module und Materialien.«
»Was ist mit den Chinesen?«
»Die Chinesen? Auch wenn die der Hauptlieferant von seltenen Erden und Erzen sind, waren sie bis dato technisch nicht in der Lage, so etwas herzustellen, jedenfalls wissen wir es nicht«, sagte Chris.
»Tja, wo könnte er dann gewesen sein? Ich werde die Tage mal wieder bei ihm vorbei fahren. Vielleicht ist er ja da und ich kann ihn danach fragen«, sagte Manni. »Na, dann gehe ich mal wieder ins Labor.« Er drehte sich um.
»Ja, mach das«, sagte ihm Chris hinterher. Er wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu und griff zum Telefon. Da er einen neuen Computeranschluss benötigte, rief er die hauseigene IT-Abteilung an. Danach ging er selbst in Richtung des Labors. Er ahnte, dass er bald zu seinem Chef gerufen werden würde, und wollte schon mal seine Daten erneut zusammenstellen. Leise vor sich hin murmelnd sprach er: »Ja Onno, wo verdammt noch mal bis du wirklich gewesen?«
Er saß in seinem Wagen auf dem Parkplatz vom Imbiss Kanzler in der Borsigstraße und schaute auf seinen Monitor. Seit einer Stunde schon war seine Drohne in der Luft und überwachte das Innovationszentrum der Energie AG. Die Drohne war klein aber leistungsfähig. Ausgestattet mit einer 3-D-Hochleistungskamera, Wärmeortung und Richtfunkmikrofon. Und trotzdem so klein, dass man schon genau hinsehen musste, um sie zu entdecken. Sie schwebte jetzt über dem Eingangsbereich des Innovationszentrums. Die kleine Steuerung der Drohne lag ruhig auf seinem Schoss. Die Bilder auf seinem Monitor waren fast so plastisch, als würde er mit seinen eigenen Augen über dem Eingangsbereich schweben. Wie zu erwarten, konnte er nichts aus dem Innenbereich des Zentrums erkunden, dazu war es viel zu sehr abgeschirmt. Schon beim Bau des Zentrums hatte man sich über Spionage beziehungsweise Industriespionage Gedanken gemacht und so entsprechende bauliche Maßnahmen getroffen, um dagegen gefeit zu sein. Und so wartete er, bis die beiden Agenten des MAD und BND das Gebäude verließen. Sein Auftrag war klar umrissen: Beschaffung eines dieser Module, besser beide und eruieren, woher sie kamen. Und da waren sie schon. Die beide Männer gingen mit größeren schwarzen Koffern zu ihren Fahrzeugen. Er zoomte die Gesichter heran, um genau zu erkennen, welcher wer war. Die Gesichtserkennung identifizierte sie sofort. Gleichzeitig hörte er, wie dann Christian Bruns vom BND Elias Reim vom MAD fragte: »Na, geht´s jetzt nach Wilhelmshaven? In Ihr kleines Labor?«
»Nein«, sagte Elias Reim, während er den Kofferraum seines eBMWs öffnete. »Wir haben noch andere Forschungseinrichtungen. Und Sie? Geht es in Ihre kleine Abhörstation in Schöningen?«
»Auch nein, ich fahre direkt nach Pullach«, sagte Christian Bruns lachend und öffnete ebenfalls den Kofferraum seines eAudis. Sie ahnten nicht, dass sie aus der Nähe beobachtet wurden. Ahnten sie es wirklich nicht? Er wusste es nicht. Aber ein flüchtiger Blick von Christian Bruns in die Luft ließ ihn zweifeln, ob er wirklich unerkannt geblieben war. Schnell ließ er die Drohne steigen und dirigierte sie zurück zu seinem Wagen. Er ließ die Drohne direkt auf der Rückbank seines Wagens landen und aktivierte den E-Motor. Kurz danach fuhr er Richtung Wittmund.
***
Keine 500 Meter Luftlinie entfernt beim Tierheim Aurich saß Mike Russel in seinem Wagen und schaute ebenfalls auf einen Monitor. Er sah das wegfahrende Fahrzeug seines »Kollegen« und dachte nur: Stümper! Auch er aktivierte sein Fahrzeug. Eine weibliche englischsprachige Stimme kam aus dem Lautsprechersystem: »Destination«.
»Air-Force-Base Rammstein«, sagte Mike nur und schaute weiter auf seinen Monitor. Rammstein war seit Jahrzehnten die offizielle Basis aller militärischen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten der USA in Deutschland, jedenfalls wurde das so behauptet. Und obwohl seine Überwachungsmöglichkeiten über einen Satelliten wesentlich effektiver waren, konnte er das Gesicht in dem Wagen durch die getönte Frontscheibe nicht erkennen. Das würde sich aber ändern, sobald sein Gegenspieler das Auto verlassen würde. In Sekundenschnelle würde die Gesichtserkennung ihm sagen, mit wem er es zu tun hatte. Dann konnte er seine weiteren Schritte planen. Nach Rammstein war es eine weite Reise. Sein Wagen machte sich fast lautlos und selbstständig zunächst in Richtung B210 auf den Weg.
***
Christian Bruns setzte sich in den Audi und nickte seinem Beifahrer zu. Der hatte die ganze Zeit in dem Wagen gewartet.
»Und waren unsere ausländischen Kollegen aktiv?«, fragte Christian.
»Klar, einer mit einer Drohne über uns, und einer der etwas entfernt von uns steht. Ob der uns oder den mit der Drohne oder beides beobachtet hat, kann ich nicht sagen, aber sie sind noch da. Ach da, der mit der Drohne fährt gerade in Richtung Wittmund weg.«
»Gut«, sagte Christian. »Dran bleiben. System ... aktivieren!«
Die neuen Audis, wie auch die BMWs, fuhren seit ein paar Jahren nur noch vollelektrisch, das hatte zum großen Teil damit zu tun, dass es 2015 einen Mega Dieselskandal gab und zwei Jahre später die Japaner und Chinesen auf Diesel verzichten wollten. Dadurch war die deutsche Autoindustrie gefordert. Es dauerte fast eine Dekade, bis die E-Autos mit ihren Batterien so weit waren, dass man auf Benzin oder Diesel verzichten konnte. Natürlich fuhren davon noch einige herum, aber es wurden von Jahr zu Jahr weniger. Die neueste Generation von eAutos war mit allem elektronischen Schnickschnack ausgestattet. Die Assistenzsysteme waren mittlerweile so gut, dass das selber fahren schon als versicherungstechnisch problematisch eingestuft wurde.
»Möchten sie selber fahren?«, fragte eine modulierte Stimme.
»Nein, bring uns zum Stützpunkt LP3.«
»Sehr gerne«, sagte die Stimme und der Wagen fuhr geräuschlos davon.
***
Elias Reim erging es ähnlich. Auch er fragte seinen Beifahrer Franz Krüger und bekam eine ähnliche Antwort. Nur er wollte selber Richtung Hannover fahren. »Das ist nicht ratsam«, sagte das Autosystem. »Bei einem Unfall kann es zu versicherungstechnischen Problemen kommen!«
»Ich fahre trotzdem selber«, sagte Elias Reim und fuhr los.
Stunden später erwachte Onno wie aus einem schlechten Traum. Schaubilder, Risszeichnungen, Diagramme und Formeln umkreisten seinen Geist. Dinge, von denen er vor kurzem noch keine Ahnung hatte und welche auf der Erde gar nicht bekannt waren. Zum ersten Mal kam er mit wahrer mehrdimensionaler Mathematik in Berührung. Zwar kannte er mehrdimensionale Mathematik aus seinem Studium, doch das hier war etwas ganz anderes. Er ging zum Fenster und schaute wieder ins All hinaus, das musste er mal innerlich verarbeiten. Er blickte hinaus und ließ seine Gedanken treiben. Tief atmete er ein und aus, denn er wusste auch, dass die Erde noch nicht für dieses Wissen vorbereitet war. Onno rief sich die jetzige Situation gedanklich noch mal zurück und hatte erstaunlicherweise auch schon eine Ahnung, wo und wie er Quirk helfen konnte.
Zeitvergessend stand er noch immer da und schaute in das schwarze Nichts, als sich hinter ihm die Kabinentür öffnete. Das sanfte Zischen, als sich das Schott öffnete, holte ihn wieder ins Jetzt zurück. Er drehte sich um und sah Anka ter Dax, wie sie in seine Kabine trat. Sie hatte einen eng anliegenden Anzug an und schaute Onno erwartungsvoll an. Was für eine Erscheinung, dachte er für sich. Groß, kräftig aber auch elegant und feminin. Mit ihrem katzenhaften Gesicht war sie betörend animalisch.
»Möchten Sie vielleicht ein paar Ertüchtigungsübungen mit mir machen?«, fragte sie ihn. Onno schaute an sich herunter und erblickte nicht ganz unverhofft einen kleinen Bauchansatz.
»Warum eigentlich nicht«, erwiderte er und ging lächelnd auf sie zu.
»Gut«, sagte sie. »Kommen Sie zu mir, ich werde Ihnen die Übungen zeigen und Sie machen sie einfach nach.«
In einer geschmeidigen Bewegung zeigte sie ihm die erste Übung und Onno war sofort Feuer und Flamme, wieder etwas für sich und seinen Körper zu tun. Er ahnte ja nicht, worauf er sich da einließ. Keine zwei Stunden später kroch er mehr, als dass er ging, japsend zu seinem Bett. Er fühlte jeden Muskel in seinem Körper, selbst da, wo er sonst keine vermutet hätte.
»Was ist mit Ihnen los?«, fragte Anka. »Wir haben doch erst angefangen«, sie lächelte.
Er winkte nur erschöpft ab. »Sie ja, ich nicht. Ich bin total fix und fertig. Ich brauche erstmal eine Pause.«
»Da haben wir aber zukünftig noch viel zu tun«, sagte sie und verließ seine Kabine lachend.
Onno robbte zu seiner Hygienezelle, duschte sich ab und legte sich wieder auf sein Bett. Keine sechzig Sekunden später schlief er mit einem Lächeln auf seinem Gesicht ein.
Als er Stunden später erwachte, fühlte er sich zunächst erfrischt. Beschwingt setzte er sich auf sein Bett. Ein Stöhnen durchdrang den Raum. Er hatte einen fürchterlichen Muskelkater. Jede Bewegung schmerzte irgendwie. Und doch erfasste ihn die Erkenntnis, mehr für sich und seinen Körper tun zu müssen. Insgeheim freute er sich sogar auf die nächste Trainingseinheit mit Anka.
Jetzt aber war erstmal Quirk dran. Er nahm zu seinem galaktischen Wattwurm Kontakt auf. Der steuerte ihn durch sein Raumschiff in die Antriebssektion. Er wusste, dass das Schiff nach irdischen Maßstäben sehr groß war. Aber erst, als er durch die scheinbar endlosen Gänge ging, merkte er, wie groß es wirklich war. Mit etwas Ehrfurcht betrat er die Antriebsektion. Vor einem Tag hätte er nicht mal gewusst, wo er jetzt war. Doch das war jetzt anders. Er schaute sich kurz in der großen Halle um und ließ alles auf sich einwirken. Es lag ein Summen in der Luft, diverse Aggregate waren in der Halle platziert. Manche frei stehend, einige abgeschirmt und andere schienen zu schweben. Sofort erkannte er den Unterschied zwischen dem Unterlicht- und Überlichtantrieb.
»Der gravomechanische Antrieb arbeitet nicht mehr«, sagte Quirk in die Halle.
Zielstrebig aber langsam ging Onno zu der Antriebssektion für den Normalantrieb. Er wollte sich zunächst ein Bild vom Ganzen machen. Onno konnte Energiewandler, -leitungen und Spulen anderer Aggregate erkennen und zuordnen. Teilweise wurden Energien leiterlos wie Laserstrahlen transportiert. Noch immer lag ein Summen in der Luft. Ozon war zu riechen. Die Halle war in ein schmuckloses gelbliches Licht getaucht. Der Antrieb selbst war metallisch silbern. Aber etwas störte dabei. Ja eine Spule für einen Energiewandler war dunkel angelaufen. Das musste der Fehler sein.
»Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich will mich erst einmal mit dem System vertraut machen. Das ist nicht an einem Tag erledigt.«
»Danke«, sagte Quirk. »Ich lasse dir eine Ersatzspule und Werkzeug bringen. Bist du der Meinung, dass du das alleine erledigen kannst?«
»Ja, aber fahr die Energie herunter, ich möchte nicht zufällig gegrillt werden. Und wie gesagt, gib mir ein wenig Zeit. Ach ... und filtere die Luft, es riecht nach Ozon und das ist nicht gerade gesund für meine Lungen«, Onno lachte dabei.
Zwei kleine Roboter fuhren aus einer Nische auf ihn zu und brachten ihm das notwendige Werkzeug und Ersatzteil. Stunden später ging er zurück in seine Kabine und setzte sich an seinen Tisch. Der erste Teil war erledigt. Er hatte sich mit dem System vertraut gemacht. Die eigentliche Arbeit aber lag noch vor ihm.
Da saß er nun, dachte an die zurückliegenden Stunden und die Ladung von Energiemodulen, die im Bauch des Raumschiffs von Quirk lagerten. Dachte an Quirk und Anka und an die Erde. Erst jetzt setzte er sich mit dem Problem Anka auseinander. Wie sollte er mit ihr zu Hause agieren? Als Goranerin konnte sie nicht einfach durch Aurich spazieren gehen. Zwei Meter große aufrechtgehende katzenartige Wesen waren nicht gerade das, was der gewöhnliche Ostfriese gewohnt ist. Bei Quirk hatte er da weniger Probleme, ihn konnte er mit seinem Raumanzug, der eher einem übergroßen langen exotischen Beutel ähnelte auch als Tasche, die er in der Hand trug, verkaufen. Aber bei Anka war es was anderes. Er wollte und konnte sie schließlich nicht in seinem Haus einsperren. Und in einem Deflektorfeld konnte sie sich zwar unsichtbar machen, aber man konnte damit zum Beispiel in der Stadt nicht jedem Menschen ausweichen. Auf Goran hatte er sich über solche Sachen keine Gedanken gemacht. Dort war man es ja gewohnt, dass Fremde da waren. Aber auf der Erde? Er saß in einem Dilemma.
»Gut, dass du dir darüber auch mal Gedanken machst«, erklang es plötzlich in seinem Raum. Quirk hatte mal wieder seine Gedanken erkannt.
»Ja, was mach ich denn mit ihr auf der Erde?«, fragte er laut. »Ich will und kann sie nicht einsperren. Ich will und kann sie aber auch nicht frei gehen lassen. Kein normal denkender Ostfriese würde das verstehen, was da an ihm vorbeiliefe. Selbst ich verstehe es noch nicht ganz, in welch eine Situation bin ich da eigentlich hineingeraten?«
»Denk nach, ich kann dir nicht immer eine Lösung anbieten. Die musst du schon selbst erarbeiten, also ...«, sagte Quirk.
»Denk nach, denk nach«, murmelte Onno vor sich hin. Quirk hatte gut reden, der kannte sein gesamtes technisches Instrumentarium. Nicht aber Onno. Er stand auf und ging durch den Raum. »Denk nach, Alter«, sagte er zu sich selbst. Der Muskelkater lenkte ihn zunächst ab. Schließlich besann er sich auf das Wesentliche und die Schmerzen in seiner Muskulatur traten in den Hintergrund. »Denk nach! ... ach, und Quirk, ich habe da mal eine Frage?«
»Jaaa« erklang es gedehnt in seiner Kabine.
»Sag mal Quirk, dieses Unsichtbarkeitsfeld, dieser Deflektor, kann er nur unsichtbar machen, oder könnte er auch etwas vortäuschen, eine Person zum Beispiel?«
»Na also, geht doch«, sagte Quirk. »Ja, der Deflektor kann auch etwas vortäuschen, quasi ein Bild einer Person generieren, wobei man die grundsätzlichen Proportionen des Körpers allerdings beibehalten müsste.«
»Das heißt, sie könnte als menschliche Frau dargestellt werden?«
»Ja, als eine große Frau, aber machbar«, bestätigte Quirk.
»Kann ich das Aussehen frei wählen?«, fragte Onno schnell.
»Ich glaube, dass solltest du mit ihr selber besprechen. Sie kommt im Übrigen gerade zu dir, um weiter zu trainieren.«. Onno hatte wieder das Gefühl, als wenn Quirk sich über ihn amüsierte.
»Quirk, wann kommen wir an?«
»Haben wir es so eilig?«
»Ja und nein, also bitte!«
»In gut zehn Tagen könnten wir da sein! Du musst die Spule noch einbauen und ich muss danach noch einige Tests mit dem Antrieb machen, aber das könnten wir schaffen«, sagte Quirk.
Ein Signal ertönte und Anka betrat seine Kabine, noch bevor er »herein« rufen konnte.
»Und, haben Sie Lust auf eine weitere Trainingseinheit, Mensch Onno?«, fragte Anka ter Dax.
Und auch, wenn er es schmerzlich bereuen würde, sagte er schnell ja. Dabei schaute er sich Anka sehr intensiv an. Bilder unterschiedlichster Frauentypen wirbelten durch seinen Kopf, bis schließlich ein Bild haften blieb.
»Ist etwas Besonderes an mir? Sie schauen so intensiv«, fragte sie.
»Nein, nein«, sagte er peinlich ertappt. »Lassen Sie uns anfangen.«
Und während sie sich in einer Grundposition aufstellten, lächelte Onno.
Keine drei Stunden später war sein Lächeln gänzlich aus seinem Gesicht verschwunden. Völlig erschöpft und ausgepumpt robbte er sich zu seinem Bett, während Anka lachend aus seiner Kabine ging. Sie hatte ihm alles abverlangt. Auch als er weitermachen wollte, aber sein Körper konnte nicht mehr. Nun rächte es sich, dass er jahrelang keinen Sport betrieben hatte.
Da lag er nun, völlig verschwitzt, aber doch zufrieden. Kurze Zeit später raffte er sich erneut auf, trank und aß eine Kleinigkeit, duschte sich und legte sich wieder hin. Was für ein herrliches Gefühl durchflutete ihn. Es war, als würde sein Körper Endorphine in Massen ausschütten. In diesem Zustand positiver Erschöpfung war sein Geist völlig klar. Und das nächste Problem kristallisierte sich heraus. Wie sollte er die Energiemodule ohne TÜV-Zertifikat an den Mann bringen und zu welchem Preis? Vor allem aber, wie regelte er die Einfuhr? Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht. Er konnte ja nicht mit einem Raumschiff in Tannenhausen ständig so einfach landen. Zumal ... er hatte ja selber gar keines.
»Wir können vieles regeln« erklang es in seiner Kabine. Quirk machte sich wieder bemerkbar. »Aber alleine wirst du es nicht schaffen können. Du musst jemanden ins Vertrauen ziehen und ihn einweihen.«
Ja, das war Onno mittlerweile auch klar geworden und er glaubte auch, schon zu wissen, wen. Trotzdem sagte er: »Würdest du bitte nicht immer in meinen Gedanken herumschnüffeln, kann man das nicht verhindern oder abstellen?«
Quirk lachte kurz auf, jedenfalls interpretierte Onno das glucksende Geräusch als Lachen.
»Ich kann ja mal deine Gehirnaktivitäten abstellen. Nur dann ist da kein Onno mehr. Aber im Ernst. Es gäbe da schon eine Methode, deine Gedanken zu verschleiern. Nicht ganz ungefährlich. Eine Operation am Kopf. Aber nicht jetzt. Das kann ich nicht alleine machen. Und nun schlaf, wir werden uns später diesem Problem widmen.«
Onnos Gedanken und sein Körper kamen zur Ruhe. Ein Bild kristallisierte sich in seinem Geist, kurz hielt er fest und lächelte dabei. Augenblicke später versank er in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
Elias Reim fuhr in Richtung B210 los. Er wollte über die B72 in Richtung Hesel fahren und dann über Filsum auf die A28. Die Strecke konnte er im Schlaf fahren. Auf Höhe des Sandhorster Krugs fuhr er aber dann doch spontan auf die Dornumer Straße Richtung Tannenhausen. Auf einen Seitenblick seines Kollegen sah er sich bemüßigt, etwas zu sagen.
»Ich möchte mir das Haus dieses Onnos ansehen. Haben Sie die Adresse kurz parat?«
»Ja«, sagte Franz Krüger. »Wir müssen da beim Imbiss links ab und dann ins Freizeitgebiet am See fahren. Von da ist es nicht mehr weit.«
»Gut lotsen Sie mich! Dann kann ich mir einen Überblick über die Region und die Menschen verschaffen, die hier leben.«
Was für ein Kontrast dachte er für sich. Auf der einen Seite das hochmoderne Gewerbegebiet mit der Energie AG im Zentrum und dann das hier. Eine eher verschlafene Wohnsiedlung um einen Freizeitsee zur Jahrtausendwende herum. Einige Häuser mochten noch älter sein. Vermutlich aus den 1970er Jahren oder davor. Da die Zukunft und hier ... ein Blick in die Vergangenheit. Dort das emsige Treiben für den Fortschritt und hier ... ja was war eigentlich hier? Ihm war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ostfriesische Ruhe und Besinnlichkeit berührten ihn. Kurz danach bogen sie in einen kleinen Weg ein.
»Hier muss es irgendwo sein. Da am Ende des Weges.«
Sie parkten einige Häuser davor und stiegen gemeinsam aus. Als hätte er es erwartet sah Elias einige Gesichter hinter den Gardinen der Fenster in den Häusern, an denen sie entlang gingen. Neugierige Nachbarschaft, aber sie hatte auch was Gutes. Alles, oder jeder, der fremd oder anders war, wurde begutachtet. Hier wusste jeder alles über jeden. Beruhigend und bedrohlich zugleich. Wer hier nicht hereinpasste, hatte es schwer. Sie gingen die letzten Meter zum Wohnhaus von Onno. Nichts Ungewöhnliches. Ein ganz normales Einfamilienhaus. Ein kleiner Vorgarten mit einer Auffahrt zu einem Carport. Ein älterer Wagen stand da. Die Front des Hauses verbarg einen Blick in den hinteren Garten. Dieser schien etwas größer und langgezogen zu sein und war eingezäunt. Aus dem Haus heraus musste man einen phantastischen Blick auf den See haben. Nahe dem See, aber nicht zu nah am Erholungs- und Freizeitgelände. Hier konnte man Ruhe tanken. Fast beneidete Elias Reim Onno, als ihn jemand von der Seite ansprach: »Suchen Sie jemanden?«
Eine Frau, Mitte der Vierziger, brünett und mit klassischer Schürze vor dem Bauch, trat aus der Haustür von nebenan. Natürlich brachte sie ausgerechnet jetzt den Müll heraus.
»Ja und nein«, sagte Elias. »Hier wohnt doch ...«
»Onno«, erwiderte die Frau, obwohl der Name noch gar nicht gefallen war. »Aber der ist schon eine Weile nicht mehr hier gewesen. Macht wohl einen längeren Urlaub. Ein feiner Mann. Etwas schüchtern, aber fein. Er arbeitet bei der Energie AG hier in der Nähe. Möchten Sie etwas Bestimmtes von ihm?«
Im letzten Satz lag ein lauernder und neugieriger Unterton. Und dann ihr Blick erst, fordernd und musternd. Als würde ihr die Chance gegeben, etwas Neues zu erfahren. Wissen war Macht und wer etwas zuerst erfuhr, hatte was Interessantes zu erzählen. Dies ließ die Person im Blick der anderen kurzzeitig aufsteigen. Hier passierte nichts, was nicht irgendjemand sofort erfuhr. Diese Vorstellung ließ ihn innerlich erschaudern.
»Nein, nein«, sagte Elias spontan und routiniert. »Ich bin eigentlich auf der Suche nach einem Haus. Ruhig gelegen, aber mit Freizeitmöglichkeiten. Und einige Häuser stehen hier in der Gegend zum Verkauf. Aber dies hier wäre schon perfekt.«
Sein Kollege konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, was Elias Reim mit einem bösen Blick erwiderte.
»Lassen Sie mir doch Ihren Name und Telefonnummer hier. Ich werde sie an Onno weitergeben. Allerdings weiß ich nicht, wann er wieder kommt.«
»Ist schon gut, wir schauen die Tage nochmal vorbei. Aber danke trotzdem«, sagte Elias, winkte kurz ab und ging langsam wieder zurück zu seinem Wagen. Sein Kollege, der kein Wort gesprochen hatte, folgte ihm ebenfalls. Er nickte der Frau noch kurz zu. Sie stiegen gemeinsam in den BMW ein und atmeten tief durch.
»Hier möchte ich nicht einmal Tod über dem Zaun hängen«, sagte der Kollege.
»Das Schlimme ist nicht das Hängen, sondern dass es vermutlich schon alle vorher wissen, bevor du es weißt.«
Sie mussten lachen.
Dann sagte Elias Reim ernst: »Das Haus muss beobachtet werden und wir müssen eruieren, wo dieser Onno ist, beziehungsweise gewesen ist. Man verschwindet in der heutigen Zeit nicht so ohne weiteres. Durchforsten Sie bitte sämtliche Datenbanken, irgendwo muss der Typ ja sein! Ich will wissen, wann er wo war und warum. Ich habe da ein ganz merkwürdiges Gefühl.«
Elias aktivierte den BMW, nannte sein Bestimmungsziel und ließ sich jetzt fahren. Er musste nachdenken.
Er fuhr mit seinem Wagen gerade auf der B210 in Richtung Wittmund am Fliegerhorst Wittmund, dem taktischen Luftwaffengeschwader 71 Richthofen vorbei, als zwei der dort stationierten F-22 Raptor starteten. Die Luftwaffe hatte Ende 2020 auf die weitere Nutzung der Eurofighter verzichtet, da der Lieferant dieser Flugzeuge nicht in der Lage war, die Lieferung von Ersatzteilen zu gewährleisten, und es zudem ständig technische Probleme gab. Da die damalige Verteidigungsministerin die Probleme mit der Industrie nicht in den Griff bekam, musste sie zurücktreten. Ihr Nachfolger düpierte dann die deutsche Rüstungsindustrie und kaufte die F-22 bei den Amerikanern, da diese sich vertraglich für die Zuverlässigkeit verpflichteten. Kurz danach standen für sämtliche Waffensysteme plötzlich Ersatzteile zur Verfügung. Die hiesige Industrie hatte also den Warnschuss verstanden.
Die Jäger waren aber jetzt langsam in die Jahre gekommen und die Luftwaffe bereitete mittlerweile, wie immer etwas spät, einen Nachfolger vor. Aber noch war der neue Fighter dort nicht stationiert. In 100 Meter Entfernung sah er auf der linken Seite eine Abbiegung, die durch dichtstehende Bäume einen Blick nach oben verwehrte. Er setzte den Blinker und bog in die kleine Straße ein.
»Stealth-Modus aktivieren«, sagte er nur. Während er langsam unter den Bäumen abbremste, veränderte sich die Oberfläche seines Wagens. Nun war er für Überwachungssysteme unsichtbar. Natürlich konnten ihn Autofahrer sehen, ansonsten wäre er ja ein Risiko im Verkehr. Aber von oben und mit radar- oder infrarottechnischen Geräten war er jetzt nicht mehr erfassbar.
»Zeige mir den momentanen Standort des BMW vom MAD.« Auf seinem Multifunktionsdisplay im Wagen änderte sich die Ansicht. Auf einer holografischen Landkarte leuchtete ein kleiner Punkt plötzlich auf. »Verfolgungsmodus«, sagte er nur knapp. Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Er würde jetzt den BMW selbstständig verfolgen und versuchen, in Abhängigkeit des Verkehrs bis auf Sichtweite heranzufahren. Er dachte nicht an die Agenten im Auto, sie waren nebensächlich. Seine Aufgabe war klar, Beschaffung der Energiemodule. Eventuelle Kollateralschäden würde es bei seinen Aufgaben immer geben. Und wenn er nicht die beiden Paks bekommen könnte, so doch zumindest erstmal einen. Er schaute sich kurz in seinem Wagen um. Hinten auf der Rückbank lag die Drohne, und auf dem Beifahrersitz war sein Koffer. Den öffnete er vorsichtig. Da lag sie. Obwohl sie schon etwas älter war, so war sie doch oder gerade deswegen ein Schatz: eine Desert Eagle-MK-XIX Kaliber.50 Action Express. Fast verträumt schaute er sich die Waffe an. Er hatte sie leicht modifizieren können. An Stelle eines 10 Zoll-Laufes, hatte sie wie bei einer älteren Version der Desert Eagle einen 14 Zoll langen Lauf, was ihr eine höhere Zielgenauigkeit gab. Auch die Munition hatte es in sich, eine 40,89 mm lange Patrone mit einem DU-Geschoss. Dieses spitze, uranhaltige Geschoss konnte selbst Panzerglas wie Butter durchschlagen. Fast ehrfürchtig strich er mit seinen Fingern über die Waffe. Ein kaltes Lächeln umspielte seinen Mund. Er mochte archaische Waffen aus seinen Einsatzgebieten. Daneben war das Magazin mit seinen 7 Patronen. Damit konnte er jeden Wagen inklusive Inhalt stoppen. Als er wieder aufschaute, fuhr sein Wagen mitten durch Aurich. Der BMW war jetzt auf Höhe Bagband. Er musste sich ranhalten, um die beiden Agenten im BMW zu erreichen. Er war geneigt, selbst zu fahren, um den Vorsprung zu verringern, ließ es aber bleiben. Er vertraute seiner Technik. Diesen 10-minütigen Vorsprung würde er auf der Autobahn schon wieder einholen.
***
Mike Russel staunte nicht schlecht, als sein Multidisplay aufleuchtete. Denn dort stand »Target lost«. »Wie konnte das nur passieren«, fragte er sich. Die Amerikaner hatten die besten Überwachungssysteme, dachte er jedenfalls für sich. Er fragte sich, ob er die Deutschen warnen sollte, beließ es aber bei den Gedanken. Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes sollten sich selbst verteidigen können und damit basta. Trotzdem, und obwohl ihm nicht wohl dabei war, fuhr er weiter Richtung Ramstein.
***
Auf Höhe der Abfahrt Hude auf der A28 kam der BMW endlich in Sichtweite. Jetzt brauchte er nur noch eine günstige Gelegenheit, den Wagen zu stoppen und sich der beiden Agenten zu entledigen. Und diese Gelegenheit kam schneller als gedacht. Der BMW vor ihm blinkte kurze Zeit später, als er sich der Raststätte Hasbruch näherte.
Aus der Tiefe des Alls erreichte Quirk eine Nachricht.
»Die Zeit drängt, du weißt es.«
»Ja«, sagte Quirk.
»Es hat auch deinen Stamm schon erwischt.«
Nur mit Schwermut erinnerte sich Quirk an die letzte Meldung von zu Hause, in der er erfahren hatte, dass auch sein Stamm vergangen war. Breek war ein schöner Planet, aber alt. Und er veränderte sich langsam. Immer häufiger kam es zu kleineren und größeren tektonischen Verschiebungen. Die Oberfläche riss an manchen Stellen auf und Gase aus dem Planeteninneren entwichen. Diese entzogen dann in ihrer Umgebung die Lebensgrundlage für alles, was da fleuchte und kreuchte. Deswegen suchte sein Volk nach einer Alternative. Trotz ihres Wissens und ihrer Technik konnten sie den langsamen Verfall nicht aufhalten. Und so schickten die Breekianer unter anderem Kundschafter in die Milchstraße, um geeignete Planeten zur Umbesiedelung zu finden. Und obwohl sie dazu in der Lage waren, verhinderte ihre Ethik und Moral, dass sie einfach Planeten übernahmen, auf dem sich schon intelligente Wesen entwickelt hatten. Zumal sie schon eine besondere Stellung in dem bekannten Teil der Galaxis einnahmen. Eigentlich ...
Wehmütig dachte er an seine Heimat und ließ seine Gedanken kurz treiben. Doch plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper.
»Ich habe einen Plan«, sagte Quirk.
»Erzähl!«, kam es vom anderen Ende der Kommunikation.
Wie von einer Tarantel gestochen, schreckte Onno plötzlich hoch. Ja, wie sollten der Verkauf und die Logistik vonstattengehen? Schließlich gab es keinen Spaceport Tannenhausen, wo ständig Raumschiffe starten und landen konnten. Selbst sein Grundstück war für Quirks Raumer viel zu klein. Bei dem Gedanken Spaceport Tannenhausen musste er schmunzeln, wurde aber gleich wieder ernst. Er hatte ein Problem!
»Wir werden das Problem außerhalb der Erde lösen«, sagte Quirk in den Raum hinein.
»Außerhalb?«, fragte Onno.
»Ja, außerhalb«, sagte Quirk. »Wir bauen eine kleine Station mit einem reglementierten Zugang. Dort kannst du deine Ware anbieten oder tauschen.«
»Wie auf einem Basar?«
»Ja, wie auf einem kosmischen Basar, nur wesentlich kleiner«, sagte Quirk.
»Warte, wartet, warte«, sagte Onno, »da stellen sich mir dann doch einige Fragen. Was meinst du mit außerhalb? Was meinst du mit reglementiertem Zugang? Welche Waren meinst du, und wer soll die Station führen? Ganz zu schweigen davon, wie die Sachen dann zur Erde kommen sollen.«
»Ich habe da schon was in die Wege geleitet. Lass dich überraschen.«, Quirk lachte.
»Lass dich überraschen ... die letzten paar Wochen waren eine einzige Überraschung für mich. Und es hört wohl noch lange nicht auf, oder?«, fragte Onno.
»Du hast Recht. Das Wichtigste für dich ist, dass du ein paar absolut vertrauenswürdige Personen hast, die dich unterstützen können. Sonst wird es nicht funktionieren. Vor allem müssen sie offen für Neues sein. Hast du zumindest erstmal zwei?«, fragte Quirk.
»Nun, einen habe ich wohl. Beim Zweiten muss ich noch überlegen. Beide müssten über eine ausgewogene technische und wirtschaftliche Erfahrung verfügen. Ich vermute, dass sie auch zwischen der Erde und dem kosmischen Basar pendeln müssen. Also dürfen sie auch keine Flugangst haben, stimmt´s?«
»Da hast du vollkommen Recht, Onno«, sagte Quirk.
»Aber so eine Station zu bauen, das dauert doch Jahre. Oder?«
»Du denkst noch in zu kleinen irdischen Dimensionen Onno.«
»Aber fällt das nicht auf? Auch wenn wir noch ein wenig rückständig sind, so schauen wir mit Radar und unterschiedlichen Teleskopen ins All«, sagte Onno.
»Du hast mit beidem Recht«, sagte Quirk.
»Womit, meinst du?«, fragte Onno.
»Mit dem rückständig sein und dem ins All schauen. Aber als ich zu euch kam, habt ihr das auch nicht gemerkt. Und wie ich sehe, musst du noch viel mehr lernen. Der Basar wird auf dem Planeten Ceres, wie du ihn nennst, aufgebaut. Aber lass das meine Sorge sein.«
Etwas an der Art, wie Quirk es sagte, machte Onno nachdenklich, so als wollte Quirk ihm etwas verheimlichen. Trotzdem beließ er es im Moment dabei. In diesem Augenblick öffnete sich seine Kabinentür und Anka kam herein. Onno schaute kurz auf und sagte schnell:
»Sie kommen gerade zur rechten Zeit, ich wollte eben einen Tee aufgießen.«
Er musste sich nicht mal zu einem Lächeln zwingen, denn er freute sich tatsächlich, über ihr erscheinen. Während sie sich mit eleganten Bewegungen seinem Tisch näherte und sich schließlich setzte, ging Onno zu einer kleinen Kochnische und bereitete den Tee vor.
Den Rücken ihr zugewandt sagte er: »Wenn wir auf der Erde sind, zeige ich Ihnen, wie wir Tee in Ostfriesland trinken, mit Kluntjes und Wölkchen.« Er konnte förmlich das Fragezeichen zwischen ihren bernsteinfarbigen Augen sehen und freute sich schon auf den Moment, wo sie zusammen auf der Erde sein würden.
Eine Tasse Tee, ein kleiner Smalltalk mit einem Alien, was konnte man sich Schöneres vorstellen. Und dann ging es wieder ans Trainieren, was wollte man mehr? Onno merkte schon jetzt, wie er und sein gesamter Körper sich langsam veränderten. Und es gefiel ihm. Nach dem Training legte er noch eine Hypno-Schulung ein. So in der Art vergingen die nächsten Tage. Bis sie endlich den Rand des Sonnensystems erreichten. Onno schaute aus seiner Kabine, aber die Sonne konnte er unter den vielen strahlenden Punkten nicht ausmachen. Auf einem Holo-Display war diese aber etwas hervorgehoben.
»Morgen werden wir bei dir zu Hause landen«, sagte Quirk.
»Nein«, sagte er spontan, »wir werden im Schutze unseres Deflektorschirms mit dem Beiboot auf Langeoog landen bei meinem Wochenendhaus. Ich werde mit Anka dann die Fähre nehmen, um nach Hause zu gelangen. Ich bitte dich, Quirk, dann weiter zu mir nach Tannenhausen zu fliegen. Ich kann so wenigstens im Ansatz erklären, wo ich war, nämlich in der Abgeschiedenheit von Langeoog habe ich geangelt. Dein Schiff sollte im Kuiper-Gürtel bei deiner alten Station geparkt bleiben.«
»Gute Idee, Onno. Ich habe dann noch die Gelegenheit, etwas zu erledigen!«
Mit krauser Stirn und nachdenklichem Gesicht sagte Onno gedehnt: »Okay.«