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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74097-019-2
»Wenn du glaubst, daß ich mein ständiges Domizil in die Nähe meiner Schwester verlege, dann muß ich dich leider enttäuschen, lieber Gerd.«
Aufgeregt fuhr sich die junge, bildschöne Frau durch die goldblonden Locken.
Rasch fuhr ihre Zunge über die blutrot geschminkten Lippen, die vor Aufregung ganz trocken waren. Dieses Ansinnen, das der Mann an sie stellte, grenzte direkt an eine Unverschämtheit.
»Was soll ich denn machen, Andrea. Mir bleibt doch keine andere Wahl«, wehrte sich Gerd Horn, ein fünfunddreißigjähriger Immobilienmakler gegen seine Frau, die vor Zorn tobte. »Wenn ich die Versetzung ausschlage, geht mir eine Menge Geld verloren, und wenn ich Pech habe, auch noch mein Arbeitsplatz. Das mußt du doch verstehen, Liebes.«
Der Mann verzog sein Gesicht, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte. Der Kosename, den er seiner Frau einmal gegeben hatte, paßte schon lange nicht mehr. Ihre Ehe war längst eine Farce geworden, die nur noch wegen des kleinen Sohnes Marco aufrechterhalten wurde.
Marco war gerade eineinhalb Jahre alt und ein richtiger Sonnenschein. Er war auch der Grund gewesen, warum Gerd seine erste Frau Sibille verlassen und Andrea, deren jüngere Schwester, geheiratet hatte.
Ja, Sibille war genau das Gegenteil von Andrea, überlegte Gerd und runzelte die Stirn. Warum nur hatte er damals nicht …
»Was du machen sollst, lieber Gerd, das mußt du selbst wissen«, riß ihn Andreas höhnische Stimme aus seinen Erinnerungen, »das mußt du ganz allein entscheiden. Aber das eine laß dir gesagt sein: Wenn du schon glaubst, daß du nach Maibach ziehen mußt, dann wirst du eben allein gehen. Ich jedenfalls habe keine Sehnsucht nach Sibille so wie du.«
Gerd zuckte zusammen. Sein mittelbraunes, leicht gewelltes Haar hing ihm wirr ins Gesicht, und seine eisblauen Augen blitzten ganz dunkel vor Erregung. Zwar war er es gewohnt, mit Andrea zu streiten, obwohl es ihm innerlich widerstrebte, aber daß sie ihn allein würde gehen lassen, damit hatte er nicht gerechnet.
»Das… kann doch nicht dein Ernst sein«, murmelte er verblüfft und nahm seinen Weg durch das feudal eingerichtete Wohnzimmer wieder auf. Er hatte das Gefühl, als müsse er ersticken.
»Glaubst du nicht?« Andrea lachte hämisch auf. »Dann werde ich dich wohl vom Gegenteil überzeugen müssen, scheint mir. Also gut, nimm das Angebot an. Ich werde mich inzwischen ebenfalls um ein Engagement bemühen. Bei meinen Beziehungen dürfte das ja nicht allzuschwer werden.«
Selbstgefällig betrachtete sich die junge Frau in der Glasscheibe des wuchtigen Schranks, der ihre grazile Gestalt widerspiegelte. Ja, sie konnte sich noch immer sehen lassen, obwohl sie vor fast achtzehn Monaten ein Kind geboren hatte.
Verächtlich beobachtete Gerd seine Frau. Wie hatte er damals nur auf ihre Verführungskünste hereinfallen und damit seine Ehe zerstören können, die von Anfang an eine außergewöhnlich gute Verbindung gewesen war. Sibille und er hatten sich geliebt und gebraucht, und nur die Tatsache, daß sie keine Kinder bekommen konnte, hätte ihrer Liebe bestimmt keinen Abbruch getan.
Zugegeben, auch ihm, Gerd, hatte es eine Weile ganz schön zugesetzt, daß er niemals Vater werden sollte, aber dann hatte er sich doch mit den unvermeidlichen Tatsachen abgefunden gehabt.
Nur Sibille litt unsäglich unter ihrer Kinderlosigkeit. Es schien fast, als hätte das Leben seinen Sinn für sie verloren. Sie wurde launisch und abweisend, sobald Gerd sie in die Arme nehmen wollte.
Dann tauchte Andrea auf, Sibilles jüngere Schwester. Sie arbeitete als Fotomodell für eine größere Agentur in Stuttgart, und ihr Beruf führte sie oft ins Ausland. Deshalb hatte Gerd seine Schwägerin auch nur flüchtig bei der Hochzeit kennengelernt und sie rasch wieder vergessen.
Dieses Mal aber war alles anders. Die Horns hatten sich außerhalb von Maibach ein hübsches Einfamilienhaus gekauft, in dem sich auch einige Gästezimmer befanden. Und ausgerechnet in dem Jahr, als Sibille von ihrem Arzt die Hiobsbotschaft erhalten hatte, wollte Andrea bei ihrer Schwester den Urlaub verbringen.
Natürlich hatten weder Sibille noch Gerd etwas dagegen einzuwenden. Im Gegenteil, sie erhofften sich von der lebhaften Andrea etwas Ablenkung von ihren eigenen Problemen.
Und die hatten sie dann auch. Aber sie waren ganz anderer Art, als sie es sich vorgestellt hatten. Bereits am ersten Tag machte die jüngere Schwester dem Schwager schöne Augen. Nichts ließ Andrea unversucht, um Gerd, der ihr nicht einmal so besonders gefiel, zu verführen.
Was ihr dann schließlich auch gelang. Eines Abends, als Sibille noch bei einer Freundin war, um deren Geburtstag zu feiern, passierte es.
Gerd schüttelte den Kopf. Nein, er wollte jetzt nicht daran denken.
»Was soll aus Marco werden?« fragte Gerd leise und wartete atemlos auf ihre Antwort. Sein Blick suchte den ihren. Er haßte Andrea nicht, nein, er mochte sie sogar. Aber von Liebe konnte keine Rede sein.
»Warum fragst du das? Ist Marco nicht auch dein Sohn? Was würdest du sagen, wenn ich dir die Entscheidung überließe?« Andrea zündete sich eine Zigarette an.
»Mußt du ausgerechnet jetzt rauchen? Du weißt, daß ich den Gestank nicht mag.«
»Na hör mal. Schließlich ist es mein Wohnzimmer genausogut wie deines«, brauste sie auf. Die Empörung stand ihr im Gesicht geschrieben.
»Schon gut, schon gut. Deine Gesundheit gehört dir ganz allein. Damit kannst du machen, was du willst.« Nachdenklich wandte er sich ab. »Du willst mir das Kind überlassen? Habe ich dich richtig verstanden?«
»Natürlich. Oder willst du Marco nicht?«
»Doch, selbstverständlich möchte ich meinen Sohn behalten.« Gerd atmete erleichtert auf.
Nun konnte sich Andrea ein ironisches Grinsen doch nicht verkneifen. Wenn du wüßtest, dachte sie und hätte sich am liebsten auf die Brust geschlagen vor Stolz, weil es ihr damals geglückt war, das Kind, das sie erwartete, dem Schwager unterzuschieben. Allerdings hatte sie nicht vorgehabt, ihn zu heiraten. Sie wollte ja nur, daß Sibille ihr die Verantwortung abnahm und ihrem Mann zuliebe für sein vermeintliches Kind sorgte.
Daß Gerd seine Sache hundertprozentig machen und Andrea gleich heiraten würde, damit hatte die junge Frau nicht gerechnet.
»Na also, dann sind wir uns ja einig. Du gehst deinen beruflichen Verpflichtungen in Maibach nach, und ich nehme mein abwechslungsreiches Leben von früher wieder auf. Es war mir ohnehin zu langweilig an deiner Seite.«
»Das kann doch nicht wahr sein.« Nun wurde der Mann wirklich böse. Das hatte er nun wirklich nicht verdient. Im letzten Sommer hatte er mit Andrea eine herrliche Fahrt an die Adria unternommen, und in diesem Jahr wollten sie einen vierwöchigen Urlaub in der Bretagne verbringen. Sollte das alles nichts gewesen sein?
»Nun reg’ dich doch nicht so auf, Gerd. Ich weiß genau, was du jetzt denkst, aber du irrst dich. Ich bin nicht so undankbar, wie du vielleicht denkst. Aber du mußt dich auch einmal in meine Lage versetzen.«
Sie ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die langen, wohlgeformten Beine weit von sich. Zufrieden musterte sie ihre gebräunten Waden, die noch jeder Fotograf bis jetzt bewundert hatte.
Ja, damals war sie auf dem besten Wege gewesen, ein gefragtes Top-Modell zu werden. Bis dann Bastian dazwischenkam und das Blaue vom Himmel herunterlog.
Zum Film wollte er sie bringen, hatte er gesagt und sie dabei mit seinen schwarzen Augen schmachtend angesehen, so daß sie nicht hatte widerstehen können. Sie war zu Probeaufnahmen in sein Atelier gegangen und hatte es erst am nächsten Morgen wieder verlassen.
Aus den Probeaufnahmen war natürlich nichts geworden. Bastian war dann auch gar nicht mehr so von ihrem Talent überzeugt gewesen.
Vier Wochen später hatte Andrea dann gewußt, daß ausgerechnet diese eine Nacht nicht ohne Folgen geblieben war. Aber mit Bastians Beistand konnte sie natürlich nicht rechen. Der hatte nur gelacht, als sie ihm erzählte, daß er Vater werden würde.
»Wenn du willst, kannst du Geld von mir haben, um es wegmachen zu lassen. Daß ich für dein Balg auch noch den treusorgenden Vater spiele, das kannst du von mir nicht verlangen. Ich habe genausowenig schauspielerisches Talent wie du.« Dann hatte er lauthals gelacht. »Die lebenslustige Andrea wird Mama. Das wäre ein Aufhänger für eine Illustriertenstory.«
Seit damals hatte Andrea den schönen Bastian nicht mehr gesehen. Aber noch heute schlug ihr Herz höher, wenn sie an ihn und an ihre gemeinsame Nacht dachte. Das war ein Mann gewesen!
»Ich möchte sagen, daß deine Lage eigentlich gar nicht so schlecht ist«, begehrte Gerd da auf und riß sie aus ihren Gedanken.
Andrea zuckte zusammen.»Du hast natürlich recht«, murmelte sie leise und senkte schuldbewußt den Kopf. »Aber manches Mal habe ich das Gefühl, die Wände kommen auf mich zu und erdrücken mich.
Ich… vermisse meine Freiheit.«
Der Makler horchte auf. So ehrlich hatte sie noch nie zu ihm gesprochen. Es berührte ihn und brachte eine Saite in ihm zum Klingen, die er schon längst verschüttet geglaubt hatte.
»Vielleicht kann ich dir helfen, Andrea, daß doch alles gut wird«,versuchte er, diesen Augenblick des Vertrauens festzuhalten.
»Mir kann niemand helfen, Gerd. Aber ich bin dir trotzdem dankbar. Weißt du, ich muß meinen Weg ganz allein finden. Und deshalb bitte ich dich, nimm Marco in deine Obhut und laß mich ziehen.« Sie tat einen nervösen Zug an ihrer Zigarette und Gerd stellte verblüfft fest, daß ihre Hände zitterten.
»Macht es dir denn gar nichts aus, wenn du dein Kind so lange Zeit nicht mehr sehen kannst?« Der Mann wurde einfach nicht schlau aus ihr.
»Das weiß ich jetzt noch nicht. Bitte, Gerd, frag mich nie wieder so etwas. Ich… ich kann dir ohnehin keine Antwort geben, so wie ich mich in letzter Zeit fühle.«
»Dann sag mir doch, wie du dich fühlst. Vielleicht kann ich dir doch helfen. Schließlich sind wir verheiratet, um uns in guten und schlechten Tagen beizustehen. So heißt es doch.«
»Ja, so heißt es«, gab Andrea zu und lächelte ihren Mann zaghaft an. »Aber in der Praxis sieht es dann meistens ganz anders aus.«
»Komm, Andrea, erzähle mir, was dich bedrückt.« Gerd setzte sich neben sie auf die Stuhllehne und legte seinen Arm um die Frau.
Zum ersten Mal seit längerer Zeit wich sie nicht zurück, sondern ließ es sich sogar gern gefallen. »Ach Gerd, unsere Ehe stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Wir haben unser Glück auf dem Leid meiner Schwester aufgebaut und das belastet mich. Es verfolgt mich und läßt mich in der Nacht nicht schlafen. Darum muß ich fort und in der Arbeit Vergessen suchen.«
»Aber damit hilfst du doch niemandem, sondern lädst neue Schuld auf deine Schultern. Meinst du, an mir ist es spurlos vorübergegangen, was wir Sibille angetan haben? Ich habe deine Schwester geliebt, und manchmal glaubte ich, daß ich sie noch immer liebe.«
»Dann geh zurück zu ihr. Nimm Marco und bringe ihn zu seiner Tante, Vielleicht kann sie mir dann verzeihen, wenn ich ihr mein Kind übergebe.«
Voller Hoffnung schaute Andrea zu ihrem Mann auf.
Das war überhaupt die Lösung all ihrer Probleme. So empfindsam, wie sie tat, war sie nicht. Aber für alle Beteiligten war es sicher das beste, wenn Gerd und das Kind zu Sibille zurückkehrten.
Dann war Andrea alle Fesseln los, und die Schwester konnte endlich ihre Muttergefühle ausleben, wie sie es sich schon immer gewünscht hatte.
»Sei endlich still, Andrea. Ich will so etwas nicht mehr hören. Du bleibst bei mir, und wir ziehen gemeinsam nach Maibach. Ich werde mich in Zukunft noch mehr um euch kümmern, so daß dir nicht langweilig wird. Außerdem wird Marco ja älter und geht bald in den Kindergarten. Vielleicht kannst du dann irgendwo eine Halbtagsstelle annehmen, damit du deinen Umtrieb hast.«
»Du spinnst«, antwortete Andrea respektlos auf seinen gutgemeinten Vorschlag. »Und was für eine Stelle sollte das deiner Meinung nach sein? Soll ich etwa putzen gehen oder hinter irgendeinem Ladentisch stehen und Brötchen verkaufen? In Maibach?« Die junge Frau lachte schallend, bis ihr die Tränen aus den Augenwinkeln liefen.
»Dann kommt eines Tages mein geliebtes Schwesterlein, sie ist jetzt übrigens Schalterbeamtin bei der Sparkasse, und kauft bei mir ihre Brötchen. Ha ha, das kannst du von mir nicht verlangen.« Ihre Stimme wurde hart und abweisend.
»Aber so habe ich es doch nicht gar nicht gemeint«, versuchte Gerd einzulenken. »Ich wollte dir doch nur helfen.«
»Ja, selbstverständlich. Der gute Gerd will seine Frau Regale einräumen schicken. Das hast du dir wirklich fein ausgedacht. Und was ist mit meiner guten Figur? Bald würde ich Speck ansetzen und ein träges Hausmütterchen werden, das nichts anderes mehr im Kopf hat als Kochrezepte und die Preise im Supermarkt. Nein, mein Lieber, nicht mit mir.«
Erregt sprang Andrea auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich muß raus hier, sonst werde ich noch wahnsinnig.«
Verblüfft ließ Gerd ihren Ausbruch über sich ergehen. Er war ja einiges gewöhnt, aber so sehr hatte sie sich noch nie gehen lassen.
»Ja, mit der Zeit glaube ich das auch.« Müde erhob er sich und stapfte mit hängenden Schultern aus dem Zimmer. Die ganze Woche hatte er sich auf den Sonntag gefreut. Wenn er Andrea auch nicht so liebte, wie er Sibille geliebt hatte, so mochte er sie doch gern. Sie war immerhin seine Frau und die Mutter seines Sohnes.
Daß es allerdings so um sie stand, das hatte Gerd nicht gewußt. Aber was hätte das Wissen um ihre Unzufriedenheit auch geändert? Gar nichts! Er hätte ihr nicht helfen können.
Das einzige, was Andrea wollte, war ihre Freiheit. Sie war kein Familienmensch und konnte sehr gut allein leben.
Aber was sollte dann aus ihm, Gerd, werden? Wie sollte er leben, wenn Andrea ihn verließ? Er konnte nicht allein sein. Leere Räume gähnten ihn an wie feuerspeiende, alles verschlingende Untiere, gegen die er sich nicht wehren konnte.
Aber hatte er das Recht, Andrea gegen ihren Willen festzuhalten? Durfte er ihr die Zukunft verbauen, die sie nur in ihrem Beruf zu finden glaubte?
Nein, das konnte er nicht. Er mußte eben versuchen, allein zurechtzukommen. Erst jetzt wurde ihm so richtig bewußt, was er Sibille angetan hatte. Er hatte sie einsam zurückgelassen. Diese Einsamkeit kam jetzt unweigerlich auch auf ihn zu.
Er hatte kaum mehr Kraft, die Tür zu seinem Zimmer zu öffnen. Mit leerem Blick schaute er sich um. Seit dem ersten Tag ihrer Ehe schon schliefen sie getrennt. Jeder hatte sein eigenes kleines Reich.
Gerd hatte das zwar nie gewollt, aber Andreas Wünsche respektiert, so wie er es immer tat.