Alexandra Scherer

Haus im Schnee

Kathy O‘Banion Mystery No. 2

Impressum:

Umschlag:2020 © A.Scherer

Texte: 2020 © Alexandra Scherer

A.Scherer

Armin-Winkle-Str. 17
89281 Altenstadt

wangenerkrimis@gmail.com

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Die in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.

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1.

»Sweetie, es tut mir echt leid. Das konnte doch niemand ahnen.« Holly klang niedergeschlagen und sie hatte allen Grund dazu. »Was tun wir jetzt?«

Ich klammerte mich an das Lenkrad und stierte angestrengt durch die Windschutzscheibe, während das Auto durch den Schneesturm kroch.

»Wir folgen der Straße. Irgendwann werden wir wohl in einer Ortschaft landen. Auch wenn ich gerade das Gefühl habe, dass wir durch die endlose Leere von Raum und Zeit fahren.«

»Sei vorsichtig, Pocahontas, welche Gedankenbilder du dem Universum vorgibst«, warnte Silver, der neben meiner Stiefmutter saß.

»Silver, ich hab echt nicht den Nerv für deinen Medizinmannmodus«, knurrte ich. Der gemietete Minivan hatte keine Automatik und bot den Windböen eine gute Angriffsfläche. Durch das Pedaletreten und Gangschalten schmerzte mein Bein. Im Bemühen, durch das Schneegestöber etwas zu erkennen, berührte ich mit der Stirn fast die Windschutzscheibe.

Silver schlug vor: »Ich übernehme eine Weile das Steuer.« Das klang schon besser, allerdings traute ich mich hier nicht, einfach anzuhalten. Die Sicht war so schlecht, dass Gefahr bestand, ein hinter uns folgendes Fahrzeug oder auch ein entgegenkommendes, könnte in uns ’reinkrachen.

»Gute Idee, dann schalt mal deinen siebten Sinn ein und hilf mir, eine Parkbucht oder so was zu finden.«

Dabei hatte alles so gut begonnen. Vor zehn Tagen ließ Holly während unserer wöchentlichen Skypekonferenz ihre Überraschung platzen. »Darling, was würdest du sagen, wenn Silver und ich dich besuchen kommen? Wir feiern ein richtiges deutsches Weihnachten mit Schnee und Baum und allem Drum und Dran.« Holly hatte recht romantische Vorstellung von Weihnachten und Deutschland.

Natürlich war ich begeistert. Es war über ein Jahr her, dass ich nach Deutschland gezogen war und ich vermisste Holly und Silver sehr. Holly hatte einige Jahre nach dem Tod meiner Mutter meinen Vater kennengelernt und war mir immer eine gute Freundin gewesen. Als mein Dad dann bei einem Unfall starb und ich schwer verletzt überlebte, hatte sie sich weiter um mich gekümmert, obwohl sie keinerlei Verpflichtung dazu hatte und ich für eine Zeit wirklich unausstehlich war. Durch sie hatte ich auch Silver kennengelernt. Einen waschechten Native American, der genau so aussah, wie ich mir Winnetou immer vorgestellt hatte. Natürlich nur, wäre der Edle Wilde nicht hinterrücks in jungen Jahren in Band III erschossen worden.

»Das ist eine super Idee, aber ich weiß ehrlich nicht, wie genau ein Deutsches Weihnachten aussieht«, schränkte ich den Enthusiasmus meiner Stiefmutter ein. »Letztes Jahr bin ich gar nicht richtig zum Feiern gekommen, wegen der Renovierungsarbeiten.«

»Grund genug, es dieses Mal richtigzumachen«, meinte Holly. »Wir fliegen in einer Woche nach München. Dort treffen wir uns. Ich dachte, wir verbringen ein paar Tage in der Stadt und decken uns mit allem ein, was man so für ein Weihnachtsfest braucht. Dann mieten wir einen Wagen und fahren zu dir.«

So hatten wir es gemacht. Ich fuhr mit dem Zug nach München und holte meine zwei Lieben vom Flughafen ab. Holly mietete uns in einem Hotel in der Stadt ein. Drei Tage lang schleppte sie uns durch die vorweihnachtliche Großstadt. Die Einkäufe in Kombination mit ihrem Gepäck passten nur in einen Kleinbus. Meine Bedenken, dass ich so einen Wagen noch nie gesteuert hatte, wurden beiseite gewischt. »Ach komm, es sind nur knappe zweihundert Kilometer, das ist doch ein Klacks. Die Sonne scheint, es ist trocken. Was soll da schon groß schiefgehen?« Schon mal was von ‚berühmten letzten Worten‘ gehört?

Das Unglück nahm seinen Lauf nach knapp fünfzig Kilometer Autobahnfahrt. Vor uns ereignete sich eine Massenkarambolage und die Polizei leitete den nachfolgenden Verkehr und damit auch uns über eine Notausfahrt von der Autobahn ab.

»Ein Glück, dass wir nicht schneller waren, sonst hätte es uns auch erwischen können.« Manchmal fand ich Hollys ausgeprägten Optimismus nervig.

Silver schien es ähnlich zu gehen, denn er meinte: »Da scheint sich was zusammenzubrauen. Mein Großvater hat mir schon erzählt, dass es hier heftig sein kann.«

»Dein Großvater?«, Ich sah in Gedanken eine Version von Silver mit langen grauem Zopf, aber die Vorstellung einer älteren Silverversion in Süddeutschland wurde von meiner Fantasie abgewiesen.

»Als junger Mann war er in der Army. Ab 45 eine Zeitlang in Süddeutschland«, erzählte Silver, während ich den Anweisungen des Navigationsgerätes folgte. Es ging stetig bergauf und in Richtung einer sehr dunklen Wolkenwand, die sich als Schneesturm entpuppte. Nun, vier Stunden später fuhr ich völlig orientierungslos die Straße entlang. Immer wieder wurden wir umgeleitet, weil vor uns Autos vom Weg abkamen. Einmal krochen wir im Schritttempo an einem Schulbus vorbei, der im Graben lag. Überall waren Feuerwehr- und Rettungswagen unterwegs. Mir kam es vor, als wären wir in einer friedlichen sonnigen Welt losgefahren und durch ein Dimensionsloch in einer feindlichen chaotischen Schneewelt gelandet.

»Gut, dass du vor einer Stunde an dieser Tankstelle noch mal aufgetankt hast«, meldete sich Großmutter vom Rücksitz. Vor Schreck kam ich fast von der Straße ab. Ich wagte einen schnellen Blick in den Rückspiegel. Sie saß ordentlich angeschnallt da und hatte Kater auf dem Schoß, der sich von ihr streicheln ließ.

»Was soll das?«, blaffte ich.

Holly und Silver blickten mich erstaunt an, weil ich so laut und wohl auch wütend klang.

»Was genau meinst du?«, fragte Holly.

Ich deutete durch eine kurze Bewegung meines Kopfes nach hinten. »Großmutter«, sagte ich nur.

»Jedenfalls bekommt Holly ihre weiße Weihnachten«, meinte Oma ungerührt, während Silver und Holly ihre Hälse verrenkten, um nach hinten zu sehen.

»Achtung!«, rief meine Großmutter begleitet von Katers lautem Fauchen.

Etwas Dunkles streifte die Kühlerhaube, ich verriss das Lenkrad und der Wagen kam ins Schlingern.

2.

Die Windschutzscheibe vor mir zeigte nur noch weiß. Zitternd presste ich die Zähne zusammen, während mein Herz bis in meinem Hals pulsierte.

»Darling, alles in Ordnung?« Holly legte ihre Hand auf meinen Arm. Ich konzentrierte mich auf den leichten Druck und wurde ruhiger. Plötzlich erinnerte ich mich an den dunklen Schatten und den dumpfen Klang, als etwas – oder jemand? - gegen den Kühler krachte. Ich riss die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Mein Bein knickte weg und ich landete im Schnee. Mühsam rappelte ich mich auf und lief auf die Straße: Nichts.

Silver tauchte mit einer Taschenlampe neben mir auf. Ein Teil von mir wunderte sich, wo er die herhatte.

»Bleib hier stehen«, sagte er. »Ich schau mich kurz um.«

In der Stille der Nacht hörte ich seine Schritte auf dem frisch gefallenen Schnee knirschen, als er den Grund rund um den Minivan absuchte, der in Schieflage in einer Schneewehe festsaß. Ich blickte hoch zum Himmel. Dort sah ich vereinzelt Sterne, unter denen die dunklen Schneewolken geschäftig weiterzogen. Silver tauchte neben mir auf und legte seinen Arm um meine Schultern.

»Nichts. Kein Kratzer, keine Beule, keine Fußspuren. Was auch immer es war, es ist weg.« Er folgte meinem Blick nach oben und zog die eiskalte Luft prüfend durch die Nase ein. »Da kommt noch sehr viel mehr Schnee. Es ist nicht gut, wenn wir hier festsitzen. Wir sollten Hilfe rufen.«

»Die werden Sie nicht kriegen.«

Überrascht drehten wir uns um. Silvers Taschenlampe zeigte zwei Gestalten, die auf der menschenleeren Straße standen: Eine Frau in langen Wintermantel aus dunklem Loden, an deren Seite ein kleines, vielleicht fünf Jahre altes Mädchen lehnte. Es trug ebenfalls einen fast bodenlangen Mantel im Military Style, unter dessen Saum ich die Kappen von dicken Winterstiefeln sehen konnte. Mutter und Tochter standen vor uns, dick eingemummelt in Schals und Winterkappen gegen die Kälte. Die Hände steckten in selbstgestrickten Fäustlingen aus dicker Wolle. Altmodische Leinenrucksäcke verdarben den modischen Eindruck noch mehr, als die Schals und Fäustlinge. Sie waren bis zum Bersten vollgestopft.

»Wo sind wir hier?«, fragte ich. »Gibt es ein Dorf, wo wir unterkommen können?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Vom Dorf ist keine Hilfe zu erwarten.«

Das hatte ich befürchtet. Aber so weit entfernt konnte die nächste Siedlung nicht sein, schließlich war ich gerade eben an einer Bushaltestelle vorbeigefahren und hier stand die Frau mit ihrem Kind.

»Ist es weit?«

»Nicht weit.« Die Frau musterte mich und Silver genau. »Ami?«, fragte sie und deutete mit dem Kinn auf Silver.

So langsam verlor ich die Geduld.

»Tut das was zur Sache?«

Mir war kalt. Der Sturz in den Schnee hatte die Schmerzen in meinem Bein verschlimmert. Die Frau war mundfaul und die Kleine war auch nicht besser.

»Wer weiß? - Manchmal findet sich Hilfe in unerwarteten Ecken. Wir müssen weiter. Der Sturm kommt.«

Die kurze Verschnaufpause des Schneesturmes schien beendet. Eine dicke Wolkendecke war vor die Sterne gezogen. Leise mit tödlicher Entschlossenheit fielen die Schneeflocken vom Himmel.

Ich rief den zwei in der Dunkelheit verschwindenden Gestalten nach: »Wo sollen wir denn hin? Gibt es einen Unterschlupf in der Nähe?«

»Auf dem Hof. Beeilt euch. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«

Bevor ich oder Silver den zwei Gestalten nacheilen konnten, rief uns Holly.

»Könnt ihr kommen? Ich höre hier Stimmen.«

Hatte Großmutter beschlossen, Holly mit einzubeziehen?

»Seltsame Leute hier«, meinte Silver, während wir zurück zum Van eilten. »Aber das hat Shicheii schon erzählt.«

»Wer?«

»Mein Großvater.«

»Hallo? Hören Sie mich? Hier ist die Rettungsleitstelle«, tönte es aus dem Wagen. Holly sah uns mit großen Augen an und flüsterte: »Hört ihr das auch? Oder sind das Geister?«

Ich merkte, wie Oma ein Lachen unterdrückte.

»Das glaube ich nicht«, beruhigte ich Holly und sagte dann laut und deutlich: »Hallo? Wer spricht da?«

»Die Rettungsleitstelle. Ihr E-Call wurde ausgelöst. Was genau ist passiert?« Die männliche Stimme klang ruhig und vernünftig.

»Wir sind von der Straße abgekommen.«

»Wie viele Personen sind Sie?«

»Drei.«

»Ist jemand verletzt?«

Ich ignorierte Grandmas: »Mir geht es auch gut, danke der Nachfrage«-Kommentar und übersetzte die Frage. Meine Mitfahrer schüttelten den Kopf.

»Nein«, erklärte ich der körperlosen Stimme. »Ein oder zwei Kratzer, aber ansonsten geht es uns allen gut. Es wird nur langsam ziemlich kalt und wir kriegen den Wagen selbst nicht wieder flott.«

»Wir informieren den Pannendienst. Nur haben wir momentan das Problem, dass alle Rettungskräfte im Einsatz sind. Auch die Abschleppdienste sind zurzeit überlastet.«

»Was er nicht sagt.« Omas Kommentar von der Rückbank klang bissig.

»Was schlagen Sie vor?«, fragte ich.

»Normalerweise würde ich Sie bitten, im Fahrzeug zu bleiben, bis Hilfe kommt. Aber in Ihrem Fall kann das noch Stunden dauern. Von den Koordinaten, die mir Ihr System geschickt hat, sehe ich, dass ganz in Ihrer Nähe eine Nothütte steht. Fühlen Sie sich in der Lage, dorthin zu gehen?«

»Wo sind wir denn genau?«, fragte ich vorsichtshalber nach.

Der Name, den der Leitstellendisponent nannte, ging fast unter in statischen Knacken. Anscheinend wirkte sich der Schneesturm auf die Verbindung aus.

»Ich weiß, wo er meint«, meldete sich meine Großmutter. »Als ich jung war, hab ich hier in der Gegend gewohnt.«

3.

Geraume Zeit später liefen wir im Gänsemarsch hinter Großmutter her, die zielstrebig die zugeschneite Straße entlang schritt. Silver kam gleich hinter ihr und spurte den Weg für Holly und mich, während Kater mit hocherhobenem Schwanz die Nachhut bildete. Holly hatte darauf bestanden, einen Großteil der Fressalien, die wir für das Weihnachtsfest gekauft hatten, mitzunehmen.

»Ich erinnere mich, als ich mal in einem Blizzard mit deinem Dad in einer Ski-Lodge feststeckte. Ich weiß noch, wie froh ich war, dass es eine Vorratskammer gab. Wir nehmen besser soviel mit, wie wir tragen können. Wer weiß, wie lange wir hier festsitzen«, argumentierte sie. »Und vergesst die Wolldecken nicht.« So schnallte sich jeder von uns ein dickes unförmiges Bündel auf den Rücken und trug zusätzlich noch einige Einkaufstaschen. Es dauerte nicht lange, da begann mein Rücken zu schmerzen und die Griffe der schweren Taschen schnitten mir in die Handflächen.

Großmutter hielt unter einer Straßenlaterne an, deren Licht nur noch schwach unter und hinter einer dicken Schneeschicht erkennbar war.

Ich ergriff die Gelegenheit, nachzuhaken und flüsterte hektisch, damit Holly es nicht mitbekam: »Sag mal, warum tauchst du gerade jetzt wieder auf? Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du deinen Frieden gefunden hast.«

»Du hast dich darauf geeinigt.« Omas Stimme klang gereizt. Sie deutete auf eine kaum erkennbare Straße, die sich im Wald verlor. »Es ist nicht mehr weit, nur noch hier durch das Wäldchen«, wechselte sie das Thema.

Silver, der unseren Schlagabtausch mitbekommen hatte, grinste und zückte sein Handy. Eine Weile starrte er konzentriert ’drauf.

»Ach komm Silver«, meinte Holly. »Das ist jetzt nicht der passende Zeitpunkt, ein Bild auf Facebook zu posten.«

»Der Zeitpunkt ist schon der richtige«, antwortete Silver und hielt uns das Gerät hin. »Fragt sich nur wann und wo.«

Das Display seines CatS60 war leer. »Die Kompass-App funktioniert nicht«, erklärte er. »Anali, was genau tun wir hier?«, fragte er meine Großmutter.

»Kommt jetzt.« Oma war gut darin, unbequeme Fragen zu ignorieren. »Es ist nicht mehr weit.«

Der Wind heulte laut, als sie im Dunkeln der Bäume verschwand und wir ihr im Gänsemarsch folgten. Sobald wir den Wald betreten hatten, war der Sturm nur noch schwach zu hören. Nur ab und an konnte ich ein Knallen hören.

»Sind das Schüsse?«, fragte Holly, eher interessiert als ängstlich.

»Die Lakota nennen es: Cannapopa wi«, sagte Silver. »Im Winter reißt die Rinde auf, das macht diese Geräusche. Passiert aber nur in sehr kalten Wintern.«

»Ich weiß noch, als ich ein Kind war«, nahm Oma den Faden auf. »Da war ein Winter so eisig, da knallte es oft im Wald.« Sie zeigte auf zwei Schatten, die vor uns die Straße entlang gingen. »Seht, wir haben es gleich geschafft.«

»Sind das nicht die Frau mit dem Kind von vorhin am Auto? Das ist doch nicht möglich, oder doch?«, fragte Holly. »Eigentlich unverantwortlich, mit dem Kind bei dem Wetter draußen ’rumzuspazieren. Sie könnten sich den Tod holen.«

»Jedenfalls muss sie hier in der Nähe wohnen«, meinte ich pragmatisch. »Beeilen wir uns, damit wir sie einholen.« Ich fing an, laut zu rufen. Mein ›Hallo. Warten Sie bitte!‹ klang seltsam dumpf im Wald, gerade so, als würden die Bäume die Töne schlucken.

Die Gestalten vor uns blieben stehen und drehten sich um. Das kleine Mädchen lehnte gegen das Bein ihrer Mutter und beobachtete uns, während die Frau starr wie eine Statue auf uns wartete. Ich beschleunigte meine Schritte und humpelte eilig auf die zwei zu, denn ich hatte das Gefühl, wenn ich sie nicht schnell erreichen würde, dann verschwänden sie.

Silver war schneller als ich. Kater legte einen Sprint hin und überholte mich ebenfalls, um sich dann vor Mutter und Kind zu setzen, fast so, als würde er Silver, Holly und mich bewachen.

Grandma bildete die Nachhut. Die Fremde musterte uns eine Weile stumm. Der Schneesturm hatte aufgehört und die Temperatur war weiter nach unten gesunken. Trotz meiner warmen Winterkleidung fror ich.

Die Frau wandte sich direkt an Silver: »Sie haben es sich also anders überlegt.« Es war fast so, als würde sie uns andere gar nicht wahrnehmen.

Ich nutzte die Gelegenheit und betrachtete die zwei Wesen vor mir genauer. Jetzt, wo der Vollmond durch die Wolken drang und direkt auf den winterlichen Pfad schien, war das auch recht einfach.

»Silver …« Ich zupfte ihm am Ärmel und trat neben ihn.

Er blickte mich kurz an und nickte. »Ich hab‘s auch gemerkt. Lass mich machen.«

Die Frau wandte ihre Aufmerksamkeit mir zu. »Ihre Dolmetscherin?«

Silver blieb stumm, er ließ die Frau ihre eigenen Schlüsse ziehen.

»Gut«, meinte sie schließlich. »Folgt uns. Vielleicht gibt es Rettung.« Damit drehte sie sich um und schritt die Straße weiter entlang.

Holly schloss zu Silver und mir auf. »Seid ihr sicher, dass wir ihr folgen sollten?«

»Wir haben keine Wahl«, beschied Silver. »Wir sind da in etwas ’reingeraten, das nun seinen Lauf nimmt und wir sind Teil davon.«

4.

»Wir sind da.« Die Frau wandte sich an uns. »Überlasst mir das Reden. Der Gustl kann schwierig sein.« Sie drehte sich um und ging weiter.

Wir traten aus den Bäumen heraus und sahen vor uns im Mondlicht ein Gehöft liegen. Aus einem Schornstein stieg dunkler Rauch auf, der vom Sturmwind sofort zerrissen wurde und sich mit den oben am Himmel dahinjagenden Wolken vereinigte. »Raunacht. Die Wilde Jagd ist unterwegs«, sagte Oma leise.

»Was meint sie?«, fragte Holly.

Ich blinzelte erstaunt, aber bevor ich antworten konnte, übernahm Silver. »Kathys Análí bezieht sich auf eine europäische Sage. In der Zeit vor und nach Weihnachten ist die Wilde Jagd unterwegs. Ruhelose Seelen, alte Götter auf der Jagd nach Vergeltung.«

»Es ist die Zeit, Unrecht geradezurücken, um den Seelen Frieden zu geben«, meinte Oma.

»Das dir angetane Unrecht haben wir doch schon erledigt«, rutschte es mir heraus.

»Es gibt Versprechen, die eingelöst werden müssen.« Täuschte ich mich, oder fixierte meine Oma Silver?

»Leute, sollten wir ihr nicht folgen?«, unterbrach Holly meinen Gedankengang. Unsere Führerin hatte inzwischen das Bauernhaus erreicht, während wir immer noch am Waldrand standen. Vor uns lag, wie auf einer Bühne, das Gehöft. In für die Gegend typischer Art waren Wohnbereich und Kuhstall in einem Gebäude untergebracht. Eine große Scheune schloss sich im rechten Winkel an und warf das Hauptgebäude in dunklen Schatten. Ich wollte auf den Hof zugehen, aber Kater stellte sich quer vor mich, während Silver gleichzeitig eine Hand auf meinen Arm legte.

»Nein. Wir warten.«

»Worauf?«, fragte Holly.