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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Cornelia Franke

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Kapitel 1

Fassungslos starre ich auf die Sporttasche, in die Henry seine Sachen wirft. Sein Shampoo, sein Rasierapparat, seine Klamotten. Eins nach dem anderen landet darin. Als sie voll ist, holt er einen Koffer und macht weiter. Es ist der Koffer, den wir uns extra für die Griechenlandreise gekauft haben. Als er den Pullover verstaut, den ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe, finde ich endlich meine Sprache wieder.

»Also … ist das dein Ernst? Du verlässt mich?«

Es ergibt keinen Sinn. Natürlich habe ich gemerkt, dass er in den letzten Wochen verschlossener war, aber immer, wenn ich ihn darauf angesprochen habe, spielte er es herunter. Daraufhin habe ich automatisch angenommen, dass es etwas mit seiner Arbeit zu tun hätte. An uns konnte es schließlich nicht liegen. Wir streiten nicht. Nie.

»Ganz ehrlich, Phyllis, wonach sieht es denn sonst aus?«, fragt er gereizt und fährt sich durch die rotblonden Haare.

Schon den ganzen Tag weicht er meinem Blick aus. Wir waren gerade beim Frühstück, als es aus ihm herausplatzte: »Ich verlasse dich.« Einfach so. Zwei Stunden sind seitdem vergangen.

Ich versuche, ruhig zu bleiben. Keine Szene zu machen. Henry wusste immer sehr zu schätzen, dass ich keine Dramaqueen bin. Gerade jetzt muss ich ihn daran erinnern, was er an mir hat, in Anbetracht dessen, dass mein mühsam aufgebautes Leben zerbröselt wie ein alter Keks.

»Aber … wieso? Ich verstehe es einfach nicht, bitte erkläre es mir.«

Er wirft mir einen kurzen, verärgerten Blick zu. Hilflos zucke ich mit den Schultern. Es ist wirklich nicht zu viel verlangt, nach einer Begründung zu fragen.

»Wir sind seit fast zwei Jahren zusammen, wir wohnen zusammen. Ich hatte den Eindruck, alles ist gut«, rede ich weiter auf ihn ein.

Ich hatte einen Plan. Ich dachte, wir würden in den nächsten zwei Jahren heiraten. Ich dachte, wir würden uns nach einem Haus umsehen, vielleicht etwas weiter außerhalb der Stadt. Und ich dachte, ich hätte in mindestens fünf Jahren einen Säugling auf dem Arm. Es war eine schöne Vorstellung. Ein Schnappschuss der Zukunft, der nun Risse bekommt und ich weiß einfach nicht warum.

Seufzend richtet Henry sich auf. Er hat wieder angefangen, zum Sport zu gehen – Tennis – aber ein Wohlstandsbäuchlein ist geblieben. Nun frage ich mich, ob diese neue Leidenschaft für sportliche Betätigung etwas mit einer anderen Frau zu tun hat. Wut kocht in mir auf, ich drücke sie jedoch zurück unter die Oberfläche. Ihn anzuschreien, wäre kontraproduktiv. Ich will das hier klären. Es aus der Welt schaffen. Es ungeschehen machen.

»Wirklich Phi, warum brauchst du unbedingt eine Begründung? Ich liebe dich einfach nicht mehr so wie am Anfang.«

Mein Herz zieht sich zusammen. Das sitzt. Das ist fast schlimmer, als wenn eine andere Frau ihm schöne Augen macht. Dann würde es nämlich an ihr liegen, so jedoch liegt es nur an mir.

Mir ist nicht entgangen, dass er nicht mehr das L-Wort gesagt hat, doch Männer haben es sowieso nicht so mit Liebesbekundungen, oder? Dafür habe ich es gesagt. In letzter Zeit sogar häufiger als sonst. Vielleicht habe ich etwas geahnt, wenn auch unterbewusst. Wahrhaben will ich es deswegen noch lange nicht.

»Was hat sich denn verändert?«, hake ich nach.

Ich habe nichts anders gemacht als sonst. Ich rasiere mir nach wie vor noch akribisch die Beine. Meistens koche ich. Und wenn wir mal ehrlich sind, bleibt auch die meiste Hausarbeit an mir kleben. Etwas, was ich vielleicht angemerkt, aber nie gemeckert habe. Ich finde wirklich, man könnte es schlechter treffen.

Henry verdreht die Augen. Ich nerve ihn. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass ich ihn in den letzten Monaten nicht genervt habe. Mir ist klar, dass alles nicht mehr so rosarot ist wie am Anfang. Der Mensch ist nicht ewig verliebt. Doch Paare trennen sich nicht einfach, weil die Schmetterlinge nicht mehr jeden Moment Saltos schlagen.

»Mein Gott, Phi, was bringt das denn?«

»Ich will wissen, wo das Problem liegt. Wenn wir wissen, wo das Problem liegt, können wir darüber reden und einen Kompromiss finden.« Aufgebracht hebe ich die Stimme. Nicht wirklich laut, ich habe drei jüngere Brüder, es braucht wirklich viel, bis ich meine innere Ruhe verliere. »Du kannst nicht einfach alles hinschmeißen.«

»Genau darum geht es ja: Ich will nicht reden. Ich will keinen scheiß Kompromiss. Ich will nur raus aus dieser Beziehung.«

Seine harschen Worte treiben mir die Tränen in die Augen. Es klingt, als würden wir eine furchtbare Beziehung führen oder als sei ich eine schreckliche Freundin.

Wieder seufzt er. Er kommt auf mich zu und legt mir unsicher eine Hand auf die Schulter, und wirkt dabei, als wollte er mich am liebsten überhaupt nicht berühren, was den Keil nur noch tiefer treibt. »Es liegt nicht an dir. Trotzdem kannst du mich nicht zurückquatschen, okay? Ich habe mir das lange überlegt, sehr lange. Es ist aus.«

Ich nicke, sehe nur noch einen Schleier. Schnell blinzle ich die Tränen weg. Ich weiß, dass Henry es hasst, wenn ich weine. Er findet, die Tränen einer Frau sind emotionale Erpressung. Letztendlich kann er keine Frauen weinen sehen, das kann man ihm nicht verübeln.

»Aber«, sage ich leise, weil ich befürchte, dass ich ihn gleich furchtbar sauer machen werde, »an irgendetwas muss es doch liegen.«

Er hat sich das vielleicht lange überlegt, für mich ist diese Information jedoch vollkommen neu. Sie reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Und wir führen diese Beziehung zu zweit, habe ich kein einziges Wort mitzureden? Interessiert ihn meine Perspektive überhaupt nicht? Irgendetwas, das ich fühle oder machen kann, muss doch für ihn von Bedeutung sein.

Henry hat mir den Rücken zugedreht. Er schultert die Sporttasche und zieht den Rollkoffer hinter sich her. Wortlos geht er in den Flur, wo er seinen Schlüssel auf dem Schuhschrank ablegt. Er meint es ernst, richtig ernst.

Ich glaube schon, dass er mir nie mehr antworten wird, da dreht er sich noch einmal zu mir um. Er sieht niedergeschlagen aus. Wenn er mich nicht gerade verlassen würde, täte er mir leid.

»Es geht einfach nicht, Phi. Du bist … zu perfekt.«

Ich blinzle überrascht. »Zu perfekt? Das ist doch kein Grund?«

»Okay dann … mir fehlt was in der Beziehung.«

Verwirrt kneife ich die Augen zusammen. »Bin ich jetzt zu perfekt oder fehlt dir was? Das widerspricht sich.«

Er verlagert sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Ihm liegt etwas auf der Zunge, was ihm unangenehm ist. Genauso sah er aus, als er statt des Mülls die Weihnachtsgeschenke meiner Mutter entsorgt hat, die zugegebenermaßen in einem blickdichten Beutel untergebracht waren. Eigentlich kein Wunder, dass er nie den Müll wegbringt.

»Na los, sag es. Du bist sowieso bald weg.« Wenn er es mir nicht sagt, werde ich nie Ruhe finden, das weiß ich ganz genau.

»Mir fehlt einfach die Spannung. Das Auf und Ab. Jeder Tag mit dir ist so … gleichförmig.«

Mir stockt der Atem und der Schmerz in meiner Brust wird stärker, als würde von innen etwas gegen mich drücken. »Willst du damit sagen, dass ich langweilig bin?«

Er zuckt mit den Schultern, was so viel heißt wie: Ja.

Ich ringe nach Luft.

»Nichtsdestotrotz bist du eine tolle Frau«, beeilt er sich zu sagen. Sicher hat er Angst, dass ich gleich wieder anfange zu weinen.

Wie betäubt nicke ich. »Nur nicht so toll, dass du mit mir zusammenbleiben willst«, sage ich tonlos.

Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn nicken. Ein Stich mitten ins Herz. Ich wollte Kinder und eine Zukunft mit diesem Mann.

»Na dann … bye. Mach’s gut.«

»Bye. Auf Wiedersehen.«

Auf Wiedersehen? Wohl kaum. Leise schließe ich die Tür. Ich sollte sie hinter ihm zuknallen, das weiß ich, aber mir ist nicht danach. Es würde kaum helfen.

Wie mechanisch laufe ich ins Wohnzimmer und lasse mich auf die Couch fallen. Ich habe das nicht kommen sehen, als ich heute Morgen aufgewacht bin. Ich dachte, es wird ein Tag wie immer. Ein langweiliger Tag wie immer.

Kapitel 2

Ich werfe einen letzten Blick auf Clives wohlgeformten Hintern, ehe er die Jeans überstreift. Ich hatte ganz vergessen, wie toll so ein Anblick sein kann. Henry hatte seine inneren Werte und ich würde diese jederzeit diesem knackigen Arsch vorziehen, aber ich kann nichts erzwingen, also mache ich vorerst das Beste aus meiner Situation.

Ich genieße das Singleleben. Hipp, hipp, hurra. Oder so.

»Nette Wohnung hast du hier«, sagt er und grinst mich an.

Er hat diesen Jungencharme, dem viele nicht widerstehen können. Vermutlich ist er ein paar Jahre jünger als ich, ich schätze ihn auf vierundzwanzig. Er arbeitet gleich gegenüber von mir, und ich habe keine Ahnung, was er genau macht. Wir haben uns ein paar Mal gesehen und angelächelt. Heute hat er mich gefragt, ob er mich zu einem Drink einladen darf, und ich habe zugesagt. Unsere Unterhaltung in der Bar bestand aus belanglosem Small Talk und Komplimenten, die immer anzüglicher wurden, bis er fragte, ob wir das Ganze bei mir fortsetzen sollen. Und ich habe zugesagt, weil ich mir dachte, ich sollte unverbindlichen Sex einmal in meinem Leben ausprobieren.

»Du kannst ja mal wiederkommen«, sage ich leichthin und meine es in doppelter Bedeutung.

Ihr richte mich auf, die Bettdecke fällt von mir ab und ich ziehe sie mir bis über die Brust, obwohl Clive mich vor ein paar Minuten noch splitterfasernackt gesehen hat.

»Nein, eher nicht.«

Ich werde hellhörig. Mein Herz schlägt schneller, auch wenn ich das nicht will. »Wieso nicht?«, frage ich alarmiert nach. Ich räuspere mich. Auf keinen Fall will ich klingen wie ein hysterisches Weibsbild. »Ich meine, machst du das generell nur einmal … oder …«

Er schenkt mir einen schnellen Blick. Eine Strähne seines dunkelblonden Haares fällt ihm lässig ins Gesicht. Er sieht einfach zu gut aus.

»Es war gut. Aber mehr auch nicht, also belassen wir es dabei.«

Er knöpft sich sein Hemd zu.

Ich wickle die Bettdecke enger um mich und stehe auf, folge ihm bis zur Tür.

»Also war es nicht gut genug, um es zu wiederholen?«, hake ich nach.

Ein dunkles Knäuel von Befürchtungen macht sich in meinem Magen breit. Nein, ich bilde mir das nur ein. Das mit Henry ist erst drei Wochen her. Natürlich bin ich noch empfindlich und interpretiere zu viel in Clives Worte hinein.

»Ja, so ungefähr.«

»So ungefähr?«

Clive weicht mir aus. Wieso weichen mir alle Männer aus? Alles, was ich will, sind klare Antworten. Ich will sie nicht anschreien oder Dinge nach ihnen werfen. Aber vielleicht wäre ich weniger langweilig, wenn ich es täte.

»Ja … keine Ahnung. Ich presse dich gegen die Wand und du sagst mir, wir sollen lieber ins Bett gehen.«

Ich ziehe die Augenbrauen nach oben. »Und?«

Er kann nicht leugnen, dass ein Bett um einiges weicher ist als eine Wand. Es wurde dafür konzipiert, um in ihm zu schlafen und andere Dinge darin zu treiben. Die Wand wurde nur dazu konzipiert, die Decke zu halten.

»Das ist okay, jedem das seine. Ich steh nur auf Frauen, die etwas leidenschaftlicher sind und die Sache weniger pragmatisch angehen.«

»Aha.«

Er verabschiedet sich mit einer Geste und dann klappt die Tür vor mir zu. Ich höre, wie er die Treppen heruntertrabt. Offenbar hat er es eilig. Und dabei überflutet mich die Erkenntnis wie eine Welle aus eisigem Wasser.

Ich. Bin. Langweilig. Zu langweilig für eine Beziehung. Selbst zu langweilig, um mit mir unverbindlichen Sex zu haben.

Ich will den Gedanken wegwischen. Abtun und dann weiter machen. Negative Gedanken halten nur auf und bringen nichts … Doch diesen kann ich nicht wegwischen. Er steht klar vor meinen Augen, egal, wie oft ich blinzle. Was, wenn die Männer in meinem Leben recht haben?

 

Tief atme ich ein und aus. Nervös zupfe ich an den dünnen Trägern meines Sommerkleides, obwohl sie kein bisschen verdreht sind. Was mache ich eigentlich hier? Das ist verrückt, absolut verrückt. Ich sollte nicht hier sein.

Und dann wiederum … seit einem halben Monat lässt mich dieser Gedanke nicht los. Dieses eine Wort, das sich in mir aufbläht und anfängt, mein Leben zu bestimmen. Langweilig.

Immer dieselben Brötchen zum Frühstück, Phi? Wow, du bist nicht sonderlich originell.

Und da steht sie wieder fünfzehn Minuten vor Arbeitsbeginn in ihrem Büro, so wie absolut jeden Tag.

Es wurde zu einem Problem und für Probleme gibt es Lösungen. Nur leider ist meine Lösung, statt gedanklich mein Leben zu analysieren, die Fakten mit meinen Hirngespinsten abzugleichen.

Ich stehe also vor Brians Tür. Brian, mein Ex-Freund, vor Henry. Brian, der mich betrogen hat. Ich hoffe darauf, dass ich die Sache so schnell wie möglich abhaken kann, ansonsten sind da noch zwei weitere Leute auf meiner Liste. Titus, mein allererster Freund und meine Highschool-Liebe. Titus, der mich einen Monat vor dem Abschlussball sitzen gelassen hat. Und dieses eine Date mit diesem Typen, der mich nie zurückgerufen hat, Patrick. Rückblickend betrachtet war ich nie diejenige, die den Schlussstrich gezogen hat. Ich war immer die Verlassene. Keine besonders aufbauende Bilanz.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und drücke auf die Klingel. Sein Name steht nach wie vor am Klingelschild, dennoch hofft ein Teil von mir, dass er gar nicht da ist, um mir diese Peinlichkeit zu ersparen.

Da schwingt die Tür auch schon auf und er steht vor mir. Groß, dunkelhaarig und gut aussehend. »Phyllis?!«

»Ja, die bin ich wohl.« Unsicher hebe ich die Hand. »Hi.«

Er starrt mich an, als sei ich irgendeine Illusion. Eine peinliche Stille breitet sich zwischen uns beiden aus.

»Willst du vielleicht reinkommen und was trinken?«, fragt er schließlich unsicher.

Vermutlich sagt er das nur aus Höflichkeit, aber wer weiß das schon. Wie sich herausgestellt hat, war ich nie besonders gut darin, Brian zu durchschauen.

Mehrere Wochen hat er es hinter meinem Rücken mit seiner Arbeitskollegin getrieben, und ich bin mir inzwischen sicher, dass ich ihn erwischen sollte. Vermutlich wusste er nicht, wie er am besten mit mir Schluss machen soll.

»Ähm nein, ich mach’s ganz schnell.« Je eher wir das hier hinter uns haben, umso besser. »Ich will dich nur fragen, wieso du mich damals betrogen hast. Es ist wichtig für mich.«

Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. »Willst mich wieder zurück oder so?«

»Nein, nein, um Gottes Willen.« Ich schüttle meinen Kopf so heftig, dass meine offenen Haare hin und her fliegen.

»Okay.« Jetzt lächelt er und lehnt sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen. »Puh, lass mich überlegen, das ist immerhin wie lange her? Drei Jahre?«

Ich nicke. Für andere ist das gewiss eine lange Zeit. Ich erinnere mich noch sehr genau daran. Vor allem ist es der verletzte Stolz, der in mir rührt.

»Ach ja …« Er grinst schief. Unglaublich, dass ich ihn mal attraktiv gefunden habe. »Das kannst du mir nicht übel nehmen, Kimberly war ein Wahnsinnsgeschoss.« Er reibt sich übers Kinn. »Leider vollkommen irre, die Frau. Hab bedauerlicherweise zu lange gebraucht, um das rauszufinden. Aber na ja, wie sagt man so schön? Die Verrückten sind auch irre gut im Bett.«

Ich kneife die Augen zusammen. So einen Spruch habe ich noch nie gehört. Eine Bauernregel ist das wohl kaum.

»Lag es daran?«, hake ich nach und versuche, das Gespräch zum eigentlichen Punkt zurückzubringen. »War ich nicht gut genug im Bett?«

Dank Clive wäre es das zweite Mal, dass ich das höre. Und vielleicht hat Henry das auch sagen wollen.

»Schon ein bisschen. Du bist heiß, Phyllis. Aber einfallslos. Und ich habe es gerne etwas versauter.«

Er grinst dreckig und wackelt mit den Augenbrauen.

Hitze schießt in meine Wangen. Ich frage mich, von wie versaut wir hier reden. Warum hat er es nie angesprochen? Hätte ich etwas verändert? Ich weiß es nicht. Aber gewiss hätte ich es ausprobiert. Ich weiß, dass ich der Prototyp des netten Mädchens von nebenan bin. Ich habe nur nie geglaubt, dass das ein allumfassendes Problem darstellt.

»War das alles?«, frage ich kurz angebunden. Die Geister der Vergangenheit aufzuwecken, war keine gute Idee.

»Keine Ahnung, ich kann mich kaum noch an uns erinnern«, sagt er leichthin und zuckt mit den Schultern.

Fassungslos starre ich ihn an. »Wir waren fast ein Jahr zusammen!«

Wieder nur ein Zucken.

Wow. Ich bin so öde, dass ich einfach aus dem Gedächtnis der Leute sickere, sobald ich nicht mehr da bin. Wie bei mir und mittelmäßigen Filmen, an dessen Handlung ich mich nach einer Woche nicht mehr erinnere. Nur die richtig guten und die richtig schlechten hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Und genau so ein Film bin ich. Einen, den man anschaltet, wenn nichts anderes da ist, den man sich aber auf keinen Fall ein zweites Mal ansehen würde.

»Okay, danke, das war’s auch schon.«

Im Eilschritt laufe ich die Treppen seines Wohnhauses hinab, nur um im Anschluss vollkommen verschwitzt auf einem Bürgersteig in Phoenix zu stehen. Wir haben Sommer, was so viel heißt wie, dass die Sonne von oben herabknallt und von den umliegenden Gebäuden und dem Bürgersteig so zurückgeworfen wird, dass man wie ein Spiegelei in der Pfanne brät.

Ich rette mich in den Schatten meines geparkten Autos, schmeiße sofort die Klimaanlage an und starre auf das Lenkrad, unfähig dazu, den Schlüssel im Zündschloss umzudrehen. Mir schießen zwei Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Der erste ist, dass ich die Sache abhaken und mein Leben weiterleben muss. Der zweite, dass ich unbedingt auch mit Patrick und Titus reden sollte.

Wie ferngesteuert fische ich mein Smartphone aus meiner Handtasche und gehe meine recht kurze Kontaktliste durch. Meine Brüder, meine Arbeitskollegen, mein Steuerberater, meine Mom … da, endlich: Patrick. Ehe ich mich abhalten kann, drücke ich auf Wählen. Ich kneife die Augen zusammen. Kann man Dummheit körperlich spüren? Ich glaube schon, fühlt sich an wie ein unschönes Stechen. Ich hatte ein Date mit diesem Mann! Vor Jahren. Aber es klingelt bereits und damit ist es endgültig zu spät. Er würde meine Nummer so oder so auf dem Display sehen.

Eigentlich komisch, dass ich bisher nur ein verpatztes Date hatte. Vielleicht spricht das ja für mich? Die meisten meiner Freundinnen müssen viele Frösche küssen, bis sie einen Freund haben, bei mir kommt es immer relativ schnell zu Beziehungen. Allerdings sind die meisten von ihnen inzwischen verheiratet und ich nicht.

»Patrick Hanson am Apparat, wer ist denn da?«

Natürlich hat er meine Nummer nicht mehr eingespeichert, wieso sollte er auch?

»Hallo Patrick hier ist Phyllis. Moore.« Noch während ich anfange zu sprechen, könnte ich im Boden versinken. »Ich bin eine Arbeitskollegin von Magrit, wir sind vor circa zwei Jahren mal ausgegangen.«

»Jaaaa.« Seine Stimme klingt skeptisch und das kann ich ihm nicht verübeln. »Ich erinnere mich.«

Na immerhin.

»Bitte leg nicht auf. Ich bin nicht verrückt geworden oder so.«

Na ja. Vielleicht ein bisschen.

»Aber ich wollte dich fragen, wieso es damals nicht mit uns geklappt hat. Es ist nur eine Frage aus Neugier.«

»Äh.«

Ich kann fast fühlen, dass er auflegen will, und bereite mich auf das tutende Geräusch vor.

»Kam ich dir langweilig vor?«, hake ich nach.

»Langweilig? So würde ich es nicht sagen.«

Ich weiß nicht, ob ich schon erleichtert aufatmen darf oder ob er höflich ist. Das treibt mich noch in den Wahnsinn. Im Moment würde ich meinen linken Arm für die Superkraft hergeben, Männern in den Kopf zu schauen. Ich verstehe einfach nicht, wieso sie nicht ungeschönt die Wahrheit sagen können, schließlich haben sie nichts zu verlieren. Keiner dieser Männer will mich in seinem Leben und dennoch finden sie keine eindeutigen Worte.

»Ich hatte nur das Gefühl, dass wir nicht zusammenpassen. Du warst … nicht sonderlich enthusiastisch. Als wärest du nicht an mir interessiert.«

»Oh.« Verdutzt blinzle ich mein Lenkrad an. »Wirklich?«

Ich war an Patrick interessiert. Sehr sogar. Gutaussehend, guter Job, wirklich klug, hervorragende Manieren. Und Magrit hat mir versichert, dass er jemand ist, der an einer langfristigen Beziehung interessiert ist. Wie könnte ich also nicht auf Patrick stehen? Magrit war der Meinung, wir würden perfekt zusammenpassen. Nur hat sie sich in diesem Punkt getäuscht.

»Ja, nimm es nicht persönlich. Ich denke, wenn wir besser zusammengepasst hätten, wäre dieses Dinner auch nicht so zäh gewesen«, stimmt er einen fröhlichen, versöhnlichen Ton an.

»Das Dinner war zäh?«, frage ich entsetzt.

»Du, Mensch, mein Nudelwasser kocht über, ich muss auflegen.«

Jetzt höre ich das tutende Geräusch.

Kapitel 3

Es kostet mich durchschnittlich eine Stunde und fünf Minuten, um von Phoenix in meine Heimatstadt Paxdale zu fahren. Eine Kleinstadt, die sich, seit ich geboren bin, kaum verändert hat. Ich fahre fast jedes zweite Wochenende raus zu meiner Familie, aber diesmal stehe ich vor dem Haus von Titus Michaels. Es war nicht schwer herauszukriegen, wo er wohnt, ein Anruf bei einem alten Klassenkameraden und schon hatte ich die Adresse: drei Straßen von seinem alten Elternhaus entfernt.

Es ist nett hier. Veranda, kleiner Garten. Alles könnte einen neuen Anstrich gebrauchen, aber es sieht nicht verfallen aus, nur ein bisschen abgewohnt. Die Zauntür steht offen, ich weiche einem Bobbycar auf dem Weg aus und stehe schließlich vor einer Glastür mit Fliegennetz. Ich entdecke keine Klingel und klopfe an.

Ich höre Schritte. Dann eine Stimme, die laut schreit: »Emma, bleib, wo du bist, ich bin gleich bei dir!«

Gleich darauf öffnet sich die Tür, anschließend das Fliegennetz.

Überrascht blinzle ich. Taylor Stevenson. Wahrscheinlich eher Taylor Michaels. Früher Cheerleaderin, jetzt rundlicher um die Hüften und Mutter.

Auch sie braucht einige Sekunden, bis sich das Erkennen auf ihren immer noch sehr schönen Gesichtszügen ausbreitet. »Phyllis Moore!«

Ich nicke.

Sie mustert mich einmal von oben bis unten. »Du siehst genauso aus wie früher, ein bisschen unfair, oder?«, fragt sie lachend.

Ich lache aus Höflichkeit mit, aber ein Kloß hat sich in meinem Hals gebildet. Vielleicht ist sie neidisch auf mich, weil ich seit der Highschool kaum ein Gramm zugenommen habe, ich hingegen würde jederzeit mit ihr tauschen. Dieses Haus. Das Bobbycar. Hinter ihr entdecke ich eine chaotische Küche und eine Wand voller Familienfotos. Sie hat nicht nur ein Kind, sie hat drei und alle sehen bezaubernd aus.

»Hi, ich … ich wollte kurz mit Titus sprechen, ist nur eine Kleinigkeit, geht das?«

»Na klar, er bastelt in der Garage rum und drückt sich vor dem Haushalt. Lauf einfach ums Haus herum, dann siehst du ihn schon. Und sag ihm bei der Gelegenheit, dass er mit dem Abwasch dran ist.«

Ich nicke kurz angebunden und stapfe über den Rasen. Titus starrt auf einen kleinen Bildschirm, auf dem Football läuft, und springt auf, sobald er mich kommen hört. Die Motorhaube des Autos neben ihm ist offen, aber ich habe das Gefühl, er hat schon ziemlich lange keinen Blick mehr reingeworfen.

»Phi? Bist du das?«, fragt er ungläubig.

»Sieht so aus.« Ich schiele zum Auto. »Seit wann bist du unter die KFZ-Mechaniker gegangen?«

Verlegen reibt er sich den Hinterkopf. Auch er hat ein paar Kilo zugelegt. Ist kahler geworden. Dennoch erkenne ich den Jungen von früher in ihm. Der erste, mit dem ich je geschlafen habe.

»Gar nicht, aber verrate es nicht Taylor.«

»Es bleibt unser Geheimnis.«

Stumm stehen wir voreinander. Es ist deutlich, dass wir uns nach all den Jahren nichts mehr zu sagen haben.

»Also, was treibt dich zu mir?«

»Eine kleine Frage.«

»Schieß los.«

»Hast du mich damals verlassen, weil ich zu langweilig war?«

Gespanntes Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Wieder kratzt er sich am Hinterkopf. Natürlich. Vor Frustration balle ich die Fäuste.

»Hör zu, Phi, ich weiß, dass ich mich damals richtig scheiße verhalten habe. Es tut mir echt leid, aber dann wiederum … es wäre gelogen zu behaupten, dass ich es bereue.«

Er wirft einen Blick zum Haus und ich nicke. Das Mädchen, mit dem er statt meiner zum Abschlussball gegangen ist, ist die Mutter seiner Kinder. Doch das war nicht meine Frage.

»Du warst die erste Frau, mit der ich … na ja, du weißt schon. Du wirst immer ein Stein bei mir im Brett haben.«

»Hast du mich wegen Taylor verlassen?«

»Ja, irgendwie schon. Also versteh mich nicht falsch, ich habe dich nicht betrogen oder so. Nur gemerkt, dass ich sie anziehender finde als dich und das wäre dir gegenüber nicht fair gewesen, selbst wenn sie mir einen Korb gegeben hätte, als ich sie zum Abschlussball eingeladen habe.« Er grinst schief. »Hat sie aber nicht.«

Der Kloß in meinem Hals wächst und ich lasse den Kopf hängen. An der Art, wie er von ihr spricht, wie er ihren Namen sagt, spürt man, wie sehr er sie auch nach zehn Jahren noch liebt. Ich will das auch. Ich will es so dringend, dass es mich innerlich fast auffrisst.

»Sie ist meine erste große Liebe. Meine einzige Liebe.«

Mein Kopf fährt hoch. »Hast du mich nicht geliebt?«

Wir hatten es uns gesagt, bevor wir miteinander geschlafen haben. Es war das erste Mal, dass die magischen drei Worte aus meinem Mund gekommen sind, und plötzlich legt sich ein Schatten auf diese positive Erinnerung. Hat er mich angelogen? Hat er mich angelogen, um mich ins Bett zu kriegen?!

Ich habe Titus nie für einen Scheißkerl gehalten. Deswegen habe ich mich überhaupt auf ihn eingelassen. Ich war schon vorher von Jungs angebaggert worden, bei denen offensichtlich war, dass sie nur das eine wollten. Ich habe sie links liegen lassen und mich für den stillen Jungen aus der letzten Reihe entschieden, der über seine eigenen Worte gestolpert ist, als er mich fragte, ob wir uns in der Cafeteria zusammensetzen wollen.

»Doch, doch«, beeilt er sich zu sagen. »Ich meine, ich dachte, ich würde dich lieben.«

»Dem war nicht so?«

Titus sieht mich zerknirscht an. Er will mich nicht verletzen.

»Titus … bitte«, flehe ich ihn an. Gleichzeitig verzweifle ich. Wenn es den Männern, die nichts mehr mit mir zu tun haben, so schwerfällt, mir die Wahrheit zu sagen, dann ist es kein Wunder, dass sie sich in der Beziehung ausschweigen. Blauäugig denke ich immer, alles läuft toll, aber vielleicht geht von Anfang an alles schief, ohne, dass ich es mitbekomme.

Titus weicht meinem Blick aus, bevor er fortfährt. »Ich war megamäßig in dich verknallt. Und ein hormongesteuerter Teenager. Was Liebe ist, das wusste ich noch gar nicht. Das weiß ich erst seit Taylor.«

Mein Mund geht auf und zu, ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.

»Sie war einfach … sie war nicht nur eine Cheerleaderin. Sie hat die gleichen Computerspiele wie ich gezockt und war einfach das coolste Mädchen, das ich kenne.«

Im Gegensatz zu dem öden Mädchen, mit dem er zuerst zusammen war. Ich erinnere mich an Titus’ Computerspiele. Ich hab oft daneben gesessen und ihm dabei zugeschaut. Zugegebenermaßen konnte ich nichts damit anfangen, es hat mich jedoch nie gestört, dass er sie spielt. Aber ich schätze, das zählte nicht.

»Okay, das war schon alles, was ich wissen wollte. Danke für deine Ehrlichkeit.«

»Hey.« Er hält mich am Arm zurück. »Du warst meine erste. Und nur wegen dir hatte ich überhaupt das Selbstbewusstsein, eine wie Taylor anzusprechen. Ich werde dir ewig dankbar dafür sein.«

Ich nicke. Das ist nett.

»Taylor sagt, du sollst den Abwasch nicht vergessen.«

Ich weiß nicht, was ich sonst erwidern soll, es ist alles ausgesprochen. Titus versucht nicht mehr, mich zurückzuhalten, und gedankenverloren laufe ich zu meinem Auto.

Insgesamt passt Titus ziemlich gut ins Bild. Sie alle passen ins Bild. So unterschiedlich sie auch sind, sie alle haben gemeinsam, dass sie nicht mit mir zusammen sein wollten. Niemand will das.

Eine Träne rollt über meine Wange und unwirsch wische ich sie weg. Ich betrachte mein Spiegelbild in den Fenstern meines Autos. Ich war immer recht zufrieden damit. Meine braunen Haare umrahmen mein Gesicht in einem Stufenschnitt und große braune Augen starren mich an. Die Augen und diese Stupsnase bringen die Leute immer dazu, mich permanent niedlich zu nennen. Ich wecke bei vielen Männern eine Art Beschützerinstinkt, habe manchmal Probleme damit, ernstgenommen zu werden.

Nur ist das alles egal. Ich begreife mehr denn je, dass Schönheit nicht alles ist. Schönheit bringt Menschen dazu, dich anzusprechen, aber nicht, bei dir zu bleiben. Jeden Morgen neben dir aufzuwachen. Wobei ich auch nicht die Frau bin, der alle Männer atemlos hinterherschauen. Auf einer Skala von 1 bis 10 bin ich eine solide 7,5.

Doch irgendwann sind wir alle alt und schrumpelig und ich würde dann gerne auf einer Veranda im Schaukelstuhl sitzen, umgeben von meinem Mann und meinen zehn Enkelkindern. Auf einmal kommt mir der Weg bis dahin unendlich lang vor und vor meinem geistigen Auge verwandeln sich die zehn Enkelkinder in zehn Katzen und der Schaukelstuhl neben mir ist leer. Trotz den Temperaturen in Arizona bekomme ich bei dieser Vorstellung eine Gänsehaut.

Mein Handy klingelt und schreckt mich aus meinen melancholischen Gedanken.

»Ja?«

»Hey Phiphi.«

»Was ist los?«

Es ist Justin, der älteste meiner Brüder. Ich kenne diesen Tonfall, er will etwas von mir. Darauf würde ich alles verwetten, was ich besitze.

»Ich habe mich nur gefragt, ob du dieses Wochenende da bist.«

»Und wieso hast du dich das gefragt?«, frage ich, während ich mich hinters Steuer setze und den Schlüssel ins Zündschloss schiebe, ohne ihn umzudrehen.

»Darf ein Bruder nicht fragen, wann seine geliebte Schwester ihn besuchen kommt?«

Ich schweige.

»Also, die Sache ist die: Mom ist nicht da und sie will, dass ich auf Logan und Josh aufpasse, obwohl ich ihr gesagt habe, wie lächerlich das ist, weil sie mit zwölf und fünfzehn keinen Babysitter mehr brauchen.«

Ich muss Mom recht geben. Logan, den Mittleren, könnte man unbeaufsichtigt zuhause lassen, aber Josh könnte in der Zeit das Haus anzünden. Nicht aus Absicht, aber der Junge hat beim Stolpern schon erstaunlich katastrophale Kettenreaktionen ausgelöst.

»Und da ist diese Party und ich will da unbedingt hin. Sie fängt in drei Stunden an, wenn du dich also jetzt ins Auto setzt …«

»Ja, ja, ich verstehe schon.«

»Echt? Danke! Du bist die Coolste.«

»Ja, ja.«

Ich werde ihn daran erinnern, wenn ich ihm wieder mit meinem Verantwortungsscheiß auf den Wecker gehe. Wenn ich daran denke, dass er bald von zuhause auszieht und aufs College geht, wird mir ein bisschen angst und bange.

»Wie lange brauchst du?«

Ich starrte den Motor. »Ungefähr zehn Minuten.«

»Was?! Shit.«

Er legt auf, ohne sich zu verabschieden. Ich rolle mit den Augen, gleichzeitig liegt ein hartnäckiges Lächeln in meinen Mundwinkeln.

Kapitel 4

Als ich in meinem alten Zuhause ankomme, frage ich mich, was Justin in den panischen zehn Minuten gemacht hat, die ich gebraucht habe. Viel ist es nicht. Von der Eingangstür hat man einen guten Blick in die offene Küche und das sich anschließende Wohnzimmer. Überall liegen Sachen herum, das Geschirr stapelt sich in der Spüle, obwohl wir einen Geschirrspüler haben. Als ich ins Bad komme, stapelt sich die Wäsche vor der Waschmaschine. Die Jungs wissen theoretisch, wie das Ding funktioniert, aber sie scheinen es immer und immer wieder zu vergessen.

Seufzend mache ich mich daran, klar Schiff zu machen. Danach fahre ich in den Supermarkt, solange Justin noch zuhause ist. Ich kaufe für gefühlt einen Monat ein und mache mich anschließend daran, etwas Anständiges zu kochen. Justin schlürft seine Portion direkt aus der Kelle, drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und macht sich vom Acker in Moms altem Auto. Vermutlich brauche ich vor drei Uhr nicht mit ihm zu rechnen. Hauptsache, er trinkt nicht mehr als ein Bier oder übernachtet bei Freunden. So habe ich das in seinem Alter gemacht. Justin ist jedoch weiß Gott nicht ich, worüber ich in Fällen wie diesen lieber nicht allzu genau nachdenke.

Ich sehe nach Moms Post und sortiere die Briefe in ihrem Arbeitszimmer gewohnheitsgemäß nach meiner Auffassung von Dringlichkeit. Im Anschluss essen Logan, Joshua und ich zum Abendbrot.

»Wie läuft es in der Schule?«, frage ich die beiden und schaue abwechselnd hin und her. Josh hat genau wie Justin die blonden Haare meines Vaters geerbt, während Logan und ich ganz nach Mom kommen.

»Gut«, kommt es fast einstimmig von ihnen zurück.

Ich verdrehe die Augen. »Wow, so detailreich wollte ich es gar nicht wissen.« Ich wende mich an Logan. »Wie läuft es denn im Theaterkurs? Habt ihr nicht irgendwann eine Aufführung?«

Jetzt ist es an ihm, die Augen zu verdrehen. »Wir hatten schon längst eine.«

Verblüfft sehe ich ihn an. »Was? Wann?«

»Keine Ahnung, vor ’nem Monat oder so?«

»Nee, schon länger her«, nuschelt Josh und ich werfe ihm einen strengen Blick zu, worauf er demonstrativ herunterschluckt.

Ich rechne schnell im Kopf nach. Wahrscheinlich um die Trennung von Henry herum. Vielleicht sogar davor. Aber egal, was vorgefallen ist, nichts hätte mich davon abgehalten, als stolze Schwester im Publikum zu sitzen. Ich brenne auf so eine Aufführung, seit Logan dem Kurs beigetreten ist. Seit sie Teenager sind, ist es schwer, Dinge zu finden, über die wir gemeinsam reden können.

»Wieso habt ihr mir das nicht gesagt?« Ich versuche, meine Enttäuschung so gut es geht herunterzuschlucken.

Logan zuckt nur mit den Schultern. »Ich dachte, Mom erzählt es dir.«

Na toll, und Mom dachte wahrscheinlich, dass er es mir erzählt. Es wäre nicht das erste Mal.

»Welche Rolle hast du gespielt? Lief alles glatt? Erzähl doch mal!«

»Phi, es war nur ’ne Mini-Rolle!«

Ja danke, das kurbelt mein Vorstellungsvermögen unglaublich an.

Ich wende mich an Josh. »Wie fandest du es denn?«

»Woher soll ich das wissen? Ich war nicht da.«

»Was? Wieso nicht?«

»Ich habe allen gesagt, dass sie nicht kommen müssen. Ich habe einen Satz gesagt. Total peinlich, wenn ihr alle dafür gekommen wärt.«

»Aber … Mom war da, oder?«

Mir wird flau im Magen, wenn ich mir vorstelle, dass Logan sein Bühnendebüt hatte und keine vertraute Person im Publikum saß. Ich hatte das während meiner Schulzeit bei meinem Debüt im Debattierklub und ich fühlte mich im Stich gelassen.

Logan stochert in seinem Essen herum. Das Gespräch ist ihm sichtlich unangenehm. »Nee, die musste arbeiten. Du machst da eine viel zu große Sache draus. Voll unnötig.«

Ich lächle, um uns die Leichtigkeit von eben zurückzubringen. »Okay. Aber sag mir das nächste Mal Bescheid, ja?«

»Jaaahaaa doch.«

»Versprochen?«

»Versprochen.«

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich ihm vertrauen kann. Offenbar ist er noch in dem Alter, in dem es total peinlich ist, neben irgendeiner Autoritätsperson erblickt zu werden. Wann verwächst sich das?

»Hast du deinen Pudding gemacht, Phiphi?«, fragt Josh mich.

»Aber natürlich.«

»Cool!«

Nach dieser lebenswichtigen Information vertiefen Logan und Josh sich in einem Gespräch über Superhelden, von denen ich keinen kenne und deswegen beim besten Willen nichts beitragen kann.

Gegen Abend verziehen sich Logan und Josh in ihren Zimmern und ich bleibe allein mit meinen Gedanken. Verzweifelt sehe ich mich um, ob ich noch irgendetwas tun kann, aber ich habe zu gute Arbeit geleistet. Sie haben sogar die Mahlzeiten für eine Woche in Tupperdosen im Kühlschrank und im Gefrierfach.

Ich lasse mich auf die Couch fallen und starre zur Decke hoch.

Es kommt mir fast vor, als sei mein bisheriges Leben eine Lüge. Mir geht nicht aus dem Kopf, wie Henry sagte, dass er sich das mit der Trennung lange überlegt hat. Ich drücke mir ein Kissen aufs Gesicht, als könnte ich die Gedanken damit ersticken. Aber es hilft nicht, sie sind immer noch da. Und ich weiß nicht, ob sie je wieder weggehen.

Mit einem Ruck nehme ich das Kissen weg und setze mich auf. Ich habe zwei Optionen: Ich kann in Selbstmitleid versinken, oder es anpacken. Ich entscheide mich für Letzteres. Ich stehe so schnell auf, dass mir fast schwindelig wird, und schnappe mir den Notizblock für die Einkaufsliste, einen Stift und setze mich an den großen Esstisch, wo das Licht am besten ist.

Ich bin ein langweiliger Mensch, das ist wohl Tatsache, doch das heißt nicht, dass ich einer bleiben muss. Ich mache das ständig in Firmen; hingehen und die Umstände verbessern, wobei mein Spezialgebiet das Personalwesen ist. Meist schaffe ich es, für Firma und Mitarbeiter zufriedenstellende Zustände zu schaffen, denn siehe da: Zufriedene Mitarbeiter sind in der Regel produktiver.

Wie würde ich vorgehen, wenn das hier meine Arbeit wäre? Vermutlich den Istzustand ermitteln, dann den Sollzustand festlegen und schauen, wie es möglich wäre, das eine zum anderen zu optimieren.

Ich gehe meine Beziehungen noch einmal in allen Einzelheiten durch. Versuche zu identifizieren, was es ist, was den Männern fehlt. Was macht Frauen interessant?

Henry meinte, die Tage mit mir seien zu gleichförmig, also sollte ich mehr Abwechslung hereinbringen. Spontaner sein. Mehr Abwechslung. Schreibe ich auf die Liste. Ich denke an Titus’ Computerspiele und daran, dass Patrick das Gefühl hatte, dass ich ihn nicht genug will.

  • Begeisterungsfähiger werden.
  • Sich mehr für seine Hobbys interessieren.
  • Ihm das Gefühl geben, begehrt zu sein.

 

Ich klicke mit dem Kuli, während ich an Clive und Brian denke. Jetzt wird es kniffelig. Wie wird man eine bessere Liebhaberin?

  • Mehr Stellungen ausprobieren.
  • Versaut reden?