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Zum Buch

Wir Menschen sind die neugierigsten, emotionalsten, einfallsreichsten, aggressivsten und gleichzeitig verwirrendsten Tiere auf dem Planeten. Doch wie gut kennen wir uns wirklich? Hadern wir mit unserer eigenen tierischen Natur und vernachlässigen damit einen zentralen Aspekt unseres Menschseins? Challengers revolutionäres Buch kombiniert neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus Natur- und Umweltgeschichte, Biologie und Philosophie, und führt uns thematisch von den frühen Agrargesellschaften über die Antike und die Moderne bis hinein in die nahe Zukunft der künstlichen Intelligenz.

Zur Autorin

MELANIE CHALLENGER, studierte Literatur und Sprache an der Universität Oxford. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Librettistin für klassische Musik, bevor sie sich der Erforschung naturgeschichtlicher und bioethischer Themen widmete. Ihr erstes Buch On Extinction zählte laut Publisher’s Weekly zu den besten Sachbüchern des Jahres 2012. Sie ist außerdem preisgekrönte Lyrikerin. Unter anderem adaptierte sie als Librettistin das Tagebuch von Anne Frank als Chorwerk für James Whitbourn, der dafür mit einem Grammy geehrt wurde. Für ihre Arbeiten über die kanadischen Inuit erhielt Melanie den renommierten Darwin Now Award. Die British Antarctic Survey machte sie für ihre Arbeiten über die Geschichte des Walfangs zum Fellow. Derzeit ist sie Mitglied des Nuffield Council on Bioethics und lebt mit ihrer Familie mitten in einem Waldstück.

Melanie Challenger

WIR TIERE

Eine neue Geschichte
der Menschheit

Aus dem Englischen
von Jürgen Neubauer

Die englische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »How to Be Animal: A New History of What it Means to Be Human« im Verlag Canongate Books Ltd., Edinburgh.


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Deutsche Erstausgabe August 2021

Copyright der Originalausgabe © Melanie Challenger, 2021

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by btb Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Antje Steinhäuser

Published by arrangement with Canongate Books Ltd,
14 High Street, Edinburgh EH1 1TE.

Umschlaggestaltung: semper smile, München,
nach einem Entwurf von Gill Heeley

Umschlagmotiv: © Gill Heeley

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24897-0
V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Allein lässt sich der Mensch
weder verstehen noch retten.

Mary Midgley

Inhalt

Der unauslöschliche Stempel

Der Traum von Größe

Bürgerkrieg im Kopf

Fremde der Schöpfung

Das Tagewerk der Sterne

Koda: Von der Schönheit des Tierseins

Ausgewählte Literatur

Dank

Abbildungsverzeichnis

Sachregister

Der unauslöschliche Stempel

Der Mensch mit allen seinen edlen Eigenschaften, mit der Sympathie, welche er für die Niedrigsten empfindet, mit dem Wohlwollen, welches er nicht bloß auf andere Menschen, sondern auch auf die niedrigsten lebenden Wesen ausdehnt, mit seinem gottähnlichen Intellekt, welcher in die Bewegungen und die Konstitution des Sonnensystems eingedrungen ist, [trägt] mit allen diesen hohen Kräften doch noch in seinem Körper den unauslöschlichen Stempel eines niederen Ursprungs.

Charles Darwin, The Origin of Species

Die Welt wird heute von einem Tier beherrscht, das sich nicht als Tier begreift. Und die Zukunft wird von einem Tier entworfen, das kein Tier sein will. Die Folgen bleiben nicht aus. Denn wenn die Geschichte vor ein paar Millionen Jahren bei einem aufrecht gehenden Affen mit einem Faustkeil begann, ist sie inzwischen bei einem haarlosen Primaten angelangt, der mit seinen Werkzeugen nach den Molekülen des Lebens greift.

Der Mensch selbst ist heute eine weitaus stärkere evolutionäre Kraft als die sexuelle Auslese oder die selektive Zuchtwahl. Mithilfe der Entdeckungen der Genforschung und Gentechnik können wir auf vielfältige Weise in die organische Struktur von Tieren eingreifen, auch in unsere eigene. Wir erschaffen Nagetiere mit menschlichen Leber- und Nervenzellen. Wir züchten Lachse, die nach unserem Terminkalender wachsen. Wissenschaftler können das Erbgut so manipulieren, dass sich todbringende Mutationen durch eine ganze Population von Wildtieren verbreiten.

Der Rest der Biosphäre befindet sich derweil in der Krise. In den Meeren, Wäldern, Wüsten und Steppen verschwinden Arten mit atemberaubender Geschwindigkeit. Aus geologischer Sicht sind wir Menschen eine Eiszeit, eine furchtbare Naturgewalt. Unsere Städte und Fabriken hinterlassen ihre Spuren im Erdreich, in den Zellen von Tiefseelebewesen und in den Teilchen hoch oben in der Stratosphäre. Bedauerlicherweise wissen wir nicht, wie wir uns dem Leben gegenüber verhalten sollen. Was auch daran liegt, dass wir nie für uns geklärt haben, welche Bedeutung andere Lebensformen haben – wenn sie denn überhaupt eine haben.

Wir können uns bestenfalls darauf einigen, dass wir eine Sonderstellung einnehmen. Seit Jahrhunderten leben wir so, als hätten wir nichts mit der Tierwelt zu tun. Wir glauben, dass wir über eine Zutat von einzigartigem Wert verfügen, etwa die Vernunft oder das Bewusstsein. In den Augen der Religionen sind wir keine Tiere, sondern Wesen mit einer Seele. Weltliche Religionen wie der Humanismus feiern unseren Sieg über den Aberglauben. Und die meisten von uns gehen wie selbstverständlich davon aus, dass zwischen uns und dem Rest der Tierwelt eine Art magische Grenze verläuft.

Die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier war nie problemlos, doch in den letzten Jahrhunderten war sie immer schwerer zu rechtfertigen. Wir tun so, als stünden unsere Bedürfnisse über denen aller anderen Lebewesen. Aber wenn wir im menschlichen Tier nach etwas suchen, das wir als »Person«, als »sittliches Wesen« oder gar als »Seele« bezeichnen können, geraten wir in arge Schwierigkeiten. Wir enden bei dem Irrglauben, dass wir irgendetwas an uns haben, das nicht organisch und an sich gut oder wertvoll ist. Was schließlich darin gipfelt, dass manche von uns unsterblich werden, ihr Gehirn optimieren oder gleich zur Maschine mutieren wollen.

Was nicht heißen soll, dass es keine benennbaren Unterschiede zwischen uns und dem Rest des Lebens gäbe. Denn dass wir der Welt bewusst gegenübertreten, ist ein atemberaubender Beleg dafür, wie weit sich das Leben entwickeln kann. Wir tauschen uns über abstrakte Vorstellungen aus und schlagen Abbilder von uns selbst aus Steinen. Wie ein Schwarm von Staren scheint unser Erleben mehr zu sein als die Summe unserer Teile. Von frühester Kindheit an verfügen wir über ein Identitätsgefühl, ein Kaleidoskop von Erinnerungen. Zu den Werkzeugen, mit denen wir unser Überleben und unsere Fortpflanzung sichern, gehören Fantasie und Täuschung, Selbstbeherrschung und Zukunftsvision. In einer Mischung aus Sinneseindrücken, Emotionen, verborgenen Impulsen und intimen Erzählungen träumen wir und malen uns die Zukunft aus.

Der menschliche Geist ist ein faszinierendes Naturphänomen. Doch unsere spezifische Intelligenz, zu der auch unser subjektives Bewusstsein gehört, bereichert uns nicht nur, sondern sie gestattet uns auch ein flexibleres Verhalten, insbesondere gegenüber unseren Artgenossen.

Nicht umsonst bestehen wir seit frühester Zeit darauf, dass unser Erleben einen Sinn und Wert hat, der den starren Verhaltensmustern anderer Tiere abgeht. Muss es nicht etwas geben, das sich nicht auf das bloß Tierische reduzieren lässt? So mancher meint, wenn wir keine Kultur hätten, wären wir den übrigen Lebewesen dieser Erde ähnlicher und müssten wieder mit Köpfchen und Körperkraft die zum Überleben nötigen Kalorien heranschaffen. Künstler vermitteln diese Botschaft gern und zeichnen das Bild eines den Naturgewalten unterworfenen Menschen. Doch gerade darin erkennen wir das Potenzial eines Bewusstseins, das – soweit wir wissen – in unserem Sonnensystem einmalig ist. Und da ist er wieder, dieser sonderbare Widerspruch, dass wir auf der einen Seite so offensichtlich mit allem in unserer Welt verwandt und auf der anderen so auffällig anders sind.

Wir sind das mythische Wesen, das unsere Vorfahren einst an Höhlenwände gezeichnet haben – der Therianthrop, halb Tier, halb Gott. Wir sind tierischer Körper – der Teil von uns, der blutet und altert – und dann ist da der einzigartige Teil, der unserer Intelligenz, unserem Bewusstsein, unserem Geist zu entspringen scheint. Wie der Philosoph George Kateb schreibt, sind wir »das einzige Tier, das nicht nur Tier, und die einzige natürliche Art, die teils unnatürlich ist«. Dem begegnen wir überall. Wir sind Tiere, wenn wir einander umarmen und als blutverschmierte Neugeborene aus dem Mutterleib kommen, aber nicht, wenn wir einen Eid ablegen. Wir sind Tiere, wenn wir unsere Zähne in das Fleisch auf unserem Teller schlagen, aber nicht am Arbeitsplatz. Wir sind Tiere, wenn wir auf dem Operationstisch liegen, aber nicht, wenn wir von Gerechtigkeit sprechen. Dieser Riss durch das Menschsein soll uns vor der Sinnlosigkeit der kreatürlichen Existenz bewahren, und er ist das Fundament, auf dem wir unsere ganze Welt errichten. Er hebt uns an die Spitze des Lebens. So kommt es, dass wir die menschliche Welt für reich halten, und die Tierwelt daneben für ihren blassen Schatten, und dass wir unser eigenes Wohl als das höchste erdenkliche Gut ansehen.

Es gibt durchaus Menschen, die glauben, dass wir ein Tier ohne besondere Herkunft und Bestimmung sind, und dass wir sogar ein ausgesprochen räuberisches Tier sind, auf das die Welt auch gut verzichten könnte. Doch kaum jemand handelt nach dieser Überzeugung. Wir alle leben so, als sei die menschliche Welt bedeutsam und unser Verhalten mehr oder weniger gut so.

Vielleicht könnte man es dabei bewenden lassen. Doch unser Tiersein verfolgt uns. Viele unserer Grundüberzeugungen rühren aus der Weigerung anzuerkennen, dass wir organische Wesen sind. Wir fühlen uns unwohl mit den tierischen Aspekten unseres Daseins. Tiere leiden und sterben ohne Sinn und Zweck. Als ein Wesen, das mit Eichen genauso verwandt ist wie mit Quallen und allen anderen Lebensformen, wären wir von Krankheitserregern, Verletzungen und Umweltveränderungen bedroht. Alles, was uns lieb und wert ist, muss aus der ungezähmten Landschaft befreit werden. Ein Tier zu sein wäre uns peinlich. Schlimmer noch: Es wäre gefährlich.

Doch die Geschichte lässt uns hoffen, dass wir anders sind als das restliche irdische Gesocks. Unser wahres Wesen bewahrt uns vor dem tierischen Los. Wo andere Tiere leiden und sterben, werden wir erlöst – ob durch das Paradies, eine glänzende Zukunft oder eine Maschine. Wir können uns über unsere tierischen Körper und unsere organische Natur erheben. Die unbeherrschbaren Naturgewalten können unserem eigentlichen Wesen nichts anhaben. So leben wir in einem sonderbaren Nebel des Vergessens. Indem wir uns einreden, dass uns ein realer und radikaler Bruch von allen anderen Lebewesen trennt, werden wir uns selbst zum unauflöslichen Rätsel.

Daher ist unser Verhältnis zu unserem Tiersein gestört. Mit einem Anflug von Panik denken wir daran, dass wir in einer chaotischen Welt leben. Vieles von dem, was uns lieb und teuer ist – unsere Beziehungen, das Gefühl von Verliebtsein und Liebe, Schwangerschaft und Geburt, die Freude des Frühlings, die Lust an einer guten Mahlzeit –, ist körperlich, weitgehend unbewusst und vor allem tierisch. Und auch unsere größten Ängste – vor Leid, Demütigung, Einsamkeit, Schmerz, Krankheit, Tod – entspringen tierischen Instinkten und den gemeinsamen Bedürfnissen aller Lebewesen. Was ist der wesentliche Teil unseres Erlebens? Die animalischen, körperlichen Empfindungen? Oder das geistige Flackern einer eigenwilligen, Geschichten erzählenden Intelligenz? Leider werden wir aus beidem nicht schlau. Mit unserer vielschichtigen Welterfahrung können wir uns durchaus einreden, dass wir die harsche Wirklichkeit des Tierseins hinter uns gelassen haben. Doch das ist ein Irrtum. Das menschliche Leben mag eine Mischung sein aus Fleisch und Traum, doch auch unsere Träume sind noch immer die eines Tiers. Sie sind nicht über den Körper erhaben, der sie hervorbringt. Es wäre Unsinn zu glauben, unsere Gaben hätten uns zu etwas gemacht, das nicht tierisch ist.

So leben wir hinter einer unsichtbaren Membran, durch die wir jederzeit hindurch und auf die andere Seite fallen können. Wir müssen nur die Augen öffnen, um zu erkennen, was wir wirklich sind – eine denkende und fühlende Kolonie von Energie und Materie, eingehüllt in Fleisch, das bebt, wenn es friert oder liebt. Wir sind Wesen aus organischem Material und Elektrizität, die verletzt und gefressen werden, und sich wieder in der geheimnisvollen Physik des Universums verlieren können. Menschsein ist Tiersein. Doch das wollen wir nicht einsehen, denn wir sind mit der Überzeugung groß geworden, etwas ganz anderes zu sein.

Im Gegensatz zu früheren Generationen wissen wir jedoch heute Dinge, die noch vor nicht allzu langer Zeit als Gotteslästerung galten. So wissen wir nicht nur, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern auch, dass wir selbst nicht der Mittelpunkt des Lebens sind. Vielmehr sind wir ein Tier, das weiß, dass es ein mit dem dunklen Geflecht von Zeit und Energie verwobenes Tier ist. Die menschliche Art ist unauflöslich Teil des Lebens auf unserem Planeten, und keine eigene und einmalige Schöpfung.

Würden wir noch in kleinen Gruppen über die afrikanische Savanne streifen, wäre dieses Wissen folgenlos. Doch wir sind Milliarden, und wir leben auf allen Kontinenten der Erde. Mit unserem technischen und industriellen Fortschritt haben wir uns von unserer tierischen Natur entfernt, wir haben sie zum Objekt der Medizin gemacht und begreifen unseren Körper nur noch als mangelbehafteten Teil unserer selbst. Wir wundern uns, wie schwach unser Fleisch ist und wie anfällig für Begierden und Krankheiten. Wir geben Milliarden aus, um Krankheit und Alter zu besiegen, und wir arbeiten daran, unsere Fortpflanzung aus dem chaotischen Dunkel unserer Schlafzimmer und Gebärmütter zu befreien.

In unserer Sorge um das menschliche Wohl greifen wir heute sogar in das Leben selbst ein. Die Bedeutung dieser Entwicklung kann man gar nicht überschätzen. Techniken, die auf unsere organische Struktur abzielen, erinnern uns daran, dass wir Tiere sind. Eine technische Revolution aber, die Anatomie, Physiologie und Verhaltensweisen von Lebewesen ausbeutet, könnte unvereinbar sein mit unserer Psyche. Wir riskieren einen galoppierenden Prozess, in dem wir aus Furcht vor unserem Tiersein eine immer furchterregendere Welt erschaffen – nicht weil die Welt selbst immer grausiger oder blutiger würde, sondern weil wir paradoxe Techniken zum Einsatz bringen, die unsere existenziellen Ängste immer weiter schüren.

Bei einer Konfrontation mit der bedrohlichen Wirklichkeit werden wir vermutlich versuchen, uns noch stärker gegenüber dem Rest der Natur abzuschotten. Dabei ist noch nicht absehbar, welche Form diese Abschottung annehmen wird. Wir könnten zum Beispiel versuchen, andere Tiere auszurotten oder zu domestizieren. Oder wir könnten die menschliche Sonderstellung betonen, indem wir uns zu Übermenschen aufschwingen oder unsere tröstlichen Illusionen nähren. Oder wir könnten uns Menschen selbst beseitigen. Sie können das als übertrieben abtun, aber sehen Sie sich um – schon heute machen wir von jeder dieser Möglichkeiten Gebrauch.

Natürlich könnte man nun annehmen, an unserem schwierigen Verhältnis zu unserem Tiersein seien nur die moderne Zivilisation und eine kleine Gruppe von Philosophen schuld. Das Gebet Mitákuye Oyás’iŋ der Lakota, oft übersetzt mit »Alle sind verbunden«, unterscheidet sich schließlich ganz erheblich von der jüdisch-christlichen Vorstellung vom Menschen als dem Ebenbild Gottes. Manche Kulturen betonen die Einzigartigkeit des Menschen mehr als andere, weswegen sich die allgemeineren Aussagen in diesem Buch eher auf diese Kulturen beziehen. Doch der Konflikt mit dem Tiersein ist keine kulturelle Erfindung. Unsere Vorstellungen werden auf dem Amboss der Natur des Menschen geschmiedet. Heute hört man immer wieder, dass es eine »Natur des Menschen« nicht gebe, doch das ist nicht ganz richtig. Vieles in unserer Welt funktioniert, weil wir uns als Tiere so ähnlich sind, dass man uns als Spezies bezeichnen kann. Unsere Selbstbilder spielen zwar eine ausgesprochen wichtige Rolle, doch sie ändern nichts an unseren gemeinsamen organischen und psychischen Eigenschaften. Die verschiedenen Ideologien der Welt haben versucht, einige der Ärgernisse zu bewältigen, die mit unserem Tiersein einhergehen. Doch das sind nicht nur Aufgaben, die uns die Evolutionsgeschichte zu unserer Erlösung aufgibt. Wir sind eine Spezies, die über ihr eigenes Sein reflektiert. Die grundlegenden Schwierigkeiten mit dem Tier sein bleiben bestehen, egal, in welche Kultur oder welches Zeitalter wir geboren werden. Als Lebewesen unter einer Vielzahl anderer Lebewesen zu leben bringt für uns alle echte Nöte und Konflikte.

Dieses Buch ist eine Verteidigung des Tierseins. Es will uns und unsere offensichtlichen Unterschiede keineswegs herabwürdigen. Es ist auch kein Plädoyer für eine falsch verstandene Natürlichkeit. Unsere tierische Herkunft gibt uns unseren Platz in der Welt. Sie ist das Fundament, von dem aus wir dem Leben einen Sinn geben. Dazu müssen wir jedoch erst einmal anerkennen, dass wir Tiere sind. Aber das ist leichter gesagt als getan. In Wahrheit leben wir einen Widerspruch: Es ist zwar offensichtlich, dass wir Tiere sind, doch irgendetwas in uns will das nicht wahrhaben. Das müssen wir verstehen. Und wenn wir verstanden haben, dass wir Tiere sind, müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, was daraus folgt.

In seinem Gedicht Der heilige Franziskus und die Sau schreibt Galway Kinnell, Lebewesen bräuchten eine Art Selbstliebe zu ihrer einmaligen organischen Form. In gewisser Weise ist das der Überlebenstrieb. Doch er findet auch, dass es »manchmal nötig ist / Einem Ding seine Schönheit neu zu zeigen«. Dieses Buch ist ein Versuch, das Lebewesen Mensch zu verstehen. Aber es will noch mehr: Es will uns die Schönheit des Tierseins neu zeigen.