Cover

Britta Habekost, geboren 1982 in Heilbronn, studierte Literatur sowie Kunstgeschichte und arbeitete unter anderem als Museumsführerin. Schon früh entdeckte sie ihre Leidenschaft für surrealistische Dichter wie André Breton und Louis Aragon, die sie in ihrem historischen Kriminalroman »Stadt der Mörder« gekonnt durch die Szenerie wandeln lässt. Wenn sie nicht gerade an einem Buch schreibt, reist sie mit ihrem Mann durch Asien.

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

BRITTA HABEKOST

Stadt der

Mörder

KRIMINALROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Zitat <hier> nach Lautréamont:

Die Gesänge des Maldoror. Neuausgabe.

Rowohlt Verlag. Reinbek bei Hamburg 2004, S. 223.

Zitat auf Seite <hier> nach Aragon, Louis:

Der Pariser Bauer. Suhrkamp Verlag. Berlin 2019, S. 74.

Copyright © 2021 der Originalausgabe by Britta Habekost

Copyright © 2021 by Penguin Verlag,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Favoritbüro

Umschlagmotiv: © Dorota Gorecka/Archangel;

© Andrew Davis/Trevillion Images,

© Mark Owen/Trevillion Images ; © sommthink/shutterstock

Redaktion: Sarvin Zakikhani

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-27746-8
V001

www.penguin-verlag.de

Für Christian,

der mir die Fabeltiere ans Fenster lockt.

Dieses Buch ist für dich.

Heute bringe ich euch ein Rauschgift,

das von den Randbezirken des Bewusstseins,

von den Grenzen des Abgrunds kommt.

Der Surrealismus, Sohn der Raserei und

der Finsternis. Hereinspaziert, hereinspaziert,

hier beginnen die Reiche des Augenblicklichen.

Louis Aragon

Prolog

Endlich Nacht.

Er durchpflügte die Dunkelheit, die keine war. Auf den Boulevards herrschte sogar um diese späte Stunde ein Nachglanz des Pariser Lichts, diese Mischung aus Pastell und Glas. Tagsüber schmerzte es ihm in den Augen wie Blendgranaten. Nachts war es auszuhalten. Jetzt schwappte das Licht aus den Kohlebecken der belebten Caféterrassen, tropfte von den Laternen und verwandelte die Trottoirs in matte Spiegel.

Er senkte den Kopf und lauschte den Schritten vor sich auf dem Boulevard Haussmann. Tagsüber hörten sich alle Schritte gleich an, aber jetzt, in der geschärften Klarheit der späten Stunde gelang es ihm, den Klang dieser Schritte vom Geklapper und Geschlurfe der anderen Passanten zu trennen. Er folgte der jungen Frau jetzt schon seit einiger Zeit und sah nur ab und an unter dem Schatten seiner Hutkrempe hervor, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Er verließ sich ganz auf das Echo ihrer Schritte auf dem Stein.

Er schwamm hinter ihr wie ein Hai in blutigem Kielwasser.

An einer Häuserecke blieb sie stehen und wartete darauf, die Straße überqueren zu können. Er betrachtete ihren schäbigen grauen Mantel mit den kindlichen aufgestickten Blumen unterhalb der Schultern. Viel zu dünn für den strengen Pariser Winter.

Als sie weiterlief, hatte er aufgeholt und war nun so nah, dass er die abgetretenen Sohlen ihrer ebenfalls viel zu dünnen Schuhe sehen konnte.

Ein armes Mädchen vom Land, das im Schlund dieser Stadt verschwinden würde, auch ganz ohne sein Zutun.

Aber er würde nichts übereilen. Ihm gefiel es, ihren hastigen und gleichzeitig müden Schritten zu folgen und sie wahrzunehmen, wie ein Raubvogel seine huschende Beute wahrnahm.

Die junge Frau lief weiter, und für einen Moment hatte er den Verdacht, dass sie eine dieser typischen Pariser Gestalten war, die immerzu nur liefen, die Stadt laufend durchmaßen und niemals irgendwo ankamen.

So wie er.

Er hatte einen grässlichen Nachgeschmack von Absinth in seinem Mund, und in seinen Adern breiteten sich die Wohltaten chemischer Engel aus. Er hatte genug Heroin intus, um ihr die ganze Nacht durch Paris zu folgen. Und genug, um auch andere Dinge zu tun, ohne die kleinste Kraftanstrengung, ohne Reue oder Bedauern.

In seinem Gesichtsfeld verschwammen die Schemen der anderen Passanten. Aufgekratzte Frauen in Pelzmänteln, betrunkene Exilamerikaner, großmäulige Intellektuelle. Musik drang aus den Cafés, und zufällig zusammengewürfelte Paare zogen von dannen.

Er kannte dieses Spiel, und es widerte ihn an. Er sah diese zerfasernden Schatten im Augenwinkel und kam sich vor wie jemand, der alleine die Arktis durchquert.

Diese Leute waren nur Staffage. Was ihn interessierte, war die kleine Gestalt in dem erbärmlichen grauen Mantel. Eine Weile ließ er zu, dass der Abstand zwischen ihnen etwas größer wurde, dann holte er wieder auf. An einer weiteren Straßenecke stellte er sich neben sie und sah sie offen von der Seite an. Aber ihre Augen schienen noch weniger von ihrer Umwelt wahrzunehmen als seine. Und er wusste, wenn sie seinem Blick begegnet wäre, wäre sie bis auf die Knochen erschauert.

Er betrachtete ihre kleinen Hände, die eine altmodische Gobelinhandtasche fest umklammerten, und stellte sich vor, wie diese Hände versuchen würden, sich vergeblich gegen ihn zu wehren.

Ihn überkam der Wunsch, sie jetzt schon zu berühren, nur flüchtig. Stattdessen ließ er sie wieder ein Stück vorausgehen. Die Kleine trug einen samtig schimmernden Hut, und er ertappte sich dabei, sich zu wünschen, ihre Haare zu berühren. Ihre weichen, unter dem Hut gewiss ein wenig warmen und feuchten Haare. Und dabei in ihre geweiteten Augen zu sehen.

Die Gnadenlosigkeit dieser Vorstellung beschleunigte seinen Atem.

So langsam ahnte er, wohin sie ihn führen würde. Ein Mädchen wie sie konnte sich kein anständiges Zimmer leisten, geschweige denn ein Hotel. Ihr Gang wurde entschlossener, und er wusste, sie wäre bald an ihrem Ziel.

Er holte auf.

Natürlich bog sie in eine der Passagen ab, er hatte es geahnt.

Dort, in diesen Gewächshäusern von Paris, unter den schmutzigen Glasdächern, residierten die kleinen Leute. Sie waren winzige Gefäße in dem pulsierenden Herzmuskel der Stadt. Ja, die kleine, schnöde Welt der Passage de l'Opéra. Ein perfekter Ort für das, was er mit ihr zu tun gedachte.

Sie schlüpfte in den finsteren Gang, wo ihre Schritte leise hämmerten. Hier waren die Cafés bereits geschlossen, nur vor einer tristen Bar saßen noch einige Nachtschwärmer. Unter den Dachstreben gurrten verschlafen ein paar Tauben. Dieser Ort erregte ihn auf eine dunkle, drängende Weise.

Da, jetzt bog sie in einen Gang ab. Plötzlich spürte er Ungeduld und das Bedürfnis, sich ihr nicht erst vor ihrer Zimmertür, sondern schon auf der Treppe zu zeigen. Er hatte sie aus den Augen verloren, hörte nur noch das leiser werdende Echo ihrer Schritte. Er lief schneller, eilte ihr nach und prallte im nächsten Moment gegen drei Männer, die laut johlend und singend die Passage durchquerten. Schlagartige Wut ließ seine mühsam erzwungene Ruhe beinahe zerbersten. Er wich zur Seite aus, und seine Hände krümmten sich in den Manteltaschen zu Klauen.

Die drei machten Anstalten, auszuweichen, trieben ihre Späße mit ihm und lachten. Er drängte sich an ihnen vorbei und zerbiss einen Fluch.

Natürlich hatte er sie verloren. Die Passage lag wie ein stiller Tunnel vor ihm, ihre Schritte waren verklungen. Aber er spürte, dass sie hier irgendwo war, irgendwo in einem der Treppenaufgänge, die zu den kleinen, billigen Zimmern hinaufführten.

Er hätte die drei Männer am liebsten auf der Stelle mit bloßen Händen zerrissen; ihr Johlen klang unter den Glasdächern noch immer nach. Aber dann kam ihm ein Gedanke, der ihn milde stimmte.

Er wusste nun, wo er sie finden konnte, und es würde einen besseren, einen perfekten Moment geben, um sich ihr erneut zu nähern. Er lehnte sich gegen eines der Ladenfenster und ließ seinen Atem zur Ruhe kommen. Dann stellte er sich wieder vor, ihre Haare zu berühren, aber der Gedanke war ohne Zärtlichkeit und lag wie ein aufschnappendes Messer in seinem Geist.