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Inhaltsverzeichnis

Vorwort
KAPITEL I - Von Klängen und Werken
Die Bibel der klassischen Musik
Mozart und der King of Swing
Atemholen der Seele
Menuett mit Zipfelmütze
Beethovens Boogie-Woogie
Wiener Subkultur
Strettaletta
Sensibel im Salon
In der Tiefe
Genie und Wahnsinn
Die Königsdisziplin
Ekstase durch Entsagung
Der Kuckuck und die Nachtigall
Herz oder Verstand
KAPITEL II - Auf der Bühne, hinter der Bühne
Früh übt sich
Gute Sänger, schlechte Sänger
Der Preis ist heiß
Die Pointe in Takt 138
Die Männer waren auch mal besser
Streichkonzert
Das erste Mal
Vibrationsalarm
Der Interpret und sein Gedächtnis
Schwer hat es der Amateur
KAPITEL III - Geschmackssachen
Vom Rhythmus zum Sound
Kunst oder Kitsch?
Auweia: »Wagalaweia ...«
Musik aus zweiter Hand
Schön, schöner, Ludwig
Mittelmaß im Meisterwerk
Richard gegen Richard oder der Orpheus allen heimlichen Elends
Frösche im Mondschein
Kitsch und Kunst
KAPITEL IV - Tonkünstler, Überschätzte und Vergessene
Mahler und seine Fälscher
Der Taktangeber
Tempolimit für Tasten-Raser
Das Leuchten der Tragödin
Meister des Finales
Moll im Diesseits
Virtuose mit starker linker Hand
Unerhört!
Wie groß sind die Kleinmeister?
Schön und gut
Kunst kommt von Können
Glaube und Technik
KAPITEL V - Hochverehrtes Publikum
Kunstbarbar
Die Nazi-Singer
Oper ohne Vorbereitung
Jubelarien
Jenseits der Stille
Prüfung im Kerzenschein
Vorbild und Leidenschaft
KAPITEL VI - Aus dem Leben eines Kritikers
Selbstkritik
Mach’s noch mal, Jochen!
Der stumme Schrei
Musik in meinen Ohren
Von Publikumswünschen und Kritikerfallen
Aprèslude
Copyright

Aprèslude

Ist die klassische Musik im Aussterben
begriffen?

 

Diese Frage macht mich sehr nachdenklich, denn ich sehe natürlich auch, dass in manchen Konzerten die Zahl der älteren Zuhörer immer größer wird und das jüngere Publikum nicht so recht nachwächst. Ja, die sogenannte E-Musik war schon mal beliebter. Die Zeiten, als die Leute hingebungsvoll für Karajan geschwärmt haben, als die Konzertbesucher aufstöhnten, wenn die große Callas einen hohen Ton nicht sicher traf, als man extra nach New York reiste, um Vladimir Horowitz zu hören – diese Zeiten sind vermutlich vorbei.

Trotzdem kann keine Rede davon sein, dass die klassische Musik hierzulande im Aussterben begriffen ist. Immerhin gibt es bei uns noch über hundert Symphonieorchester, wir subventionieren Opern, weltweit gilt Deutschland bei Sängern und Solisten immer noch als ein »goldenes Land«. Ich habe einmal den großen italienischen Pianisten und Dirigenten Maurizio Pollini gefragt: »Warum kommen Sie eigentlich so oft nach Deutschland und spielen hier Ihre Klavierkonzerte?« , und da hat er mir geantwortet: »Wissen Sie denn nicht, dass es in ganz Italien nur fünf wirklich gute Orchester gibt und in Deutschland 120?« Wenn man so etwas hört, schlägt man die Augen nieder und schämt sich für seinen Kulturpessimismus.

Und dennoch – es kommt ja nicht darauf an, dass sich ein paar Leute für Musik interessieren, sondern es kommt darauf an, welche Relevanz die Musik im Leben der Leute hat und ob sie in solch hohem Maße Gegenstand des öffentlichen Interesses ist, wie das in der Epoche des deutschen Bildungsbürgertums bis in meine Zeit hinein doch der Fall war. Wenn die klassische Musik aber keine Frage von öffentlichem Belang mehr ist, dann kann es leicht passieren, dass sie zu einem Gegenstand für die berühmten »happy few« verkommt. Dies wäre ein ziemliches Unglück. Die Klassiköffentlichkeit würde zu einer Art »Sekte«, ein paar Enthusiasten würden ins Weihnachtsoratorium gehen, wenn gerade Weihnachten ist. Die klassische Musik wäre dann eine Ausnahmebeschäftigung, wie etwa das Sammeln von Schmetterlingen, das Interesse für Stabhochsprung ...

Womöglich erringt das Entertainment die Übermacht und zieht das Publikum gewissermaßen ab, ohne dass etwas Neues nachwächst. Bis ins Jahr 2010 hielt ich über dreißig Jahre lang im Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteigs Vorlesungen, die immer auch von jungen Leuten gut besucht wurden. Darauf bin ich stolz, denn daran sehe ich, dass es nach wie vor ein Interesse an der klassischen Musik gibt. Aber das Desinteresse breitet sich bedrohlich aus. Dagegen müssen wir alle etwas unternehmen. Leicht gesagt, schwer getan: Es muss in Deutschland vor allem der Musikunterricht ernster genommen werden, es muss in der Öffentlichkeit das Gefühl weiterhin gepflegt werden, dass die Musik eine wichtige Sache ist. Und es müssen die Gemüter dazu gebracht werden, eine der liebenswertesten Eigenschaften von uns Deutschen, nämlich die viel beneidete Empfänglichkeit für große Musik, zu erhalten.