Eckhard Seipelt
Appalachian Trail
eines der letzten Naturerlebnisse auf einem ausgebeuteten Planeten
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1 mit Vorwort : Der Appalachian Trail Traum von Freiheit und einem selbstbestimmten Leben
Kapitel 2 : Was schenkt man zum 18. Geburtstag?
Kapitel 3 : Stürmische Begrüßung
Kapitel 4 : Der erste Tag auf dem Appalachian Trail
Kapitel 5 : Öko taucht auf
Kapitel 6 : Shenandoah Nationalpark – Rendezvouz mit Bären -
Kapitel 7: Waldbrände
Kapitel 8: Morgendliche Begegnung mit einer Giftschlange
Kapitel 9 : Acht Liter Wasser und ein „Clown“
Kapitel 10 : „Achterbahn“ bei 44 Grad Celsius
Kapitel 11: Harpers Ferry
Kapitel 12: Am Lagerfeuer
Kapitel 13: Pop Tarts
Kapitel 14: Unerwarteter Helfer in der Not
Kapitel 15: Kurz vor dem Abbruch
Kapitel 16: Wettlauf mit Hornissen
Kapitel 17: Half Gallon Challenge
Kapitel 18: Marty aus Boiling Springs
Kapitel 19: Ein unbekleideter Eremit
Kapitel 20: Duncannon
Kapitel 21: Schlangen
Kapitel 22: 501-Shelter
Kapitel 23: Von Pine Grove nach Stroudsberg
Kapitel 24: Kirschgroße Hagelkörner
Kapitel 25: Biber und andere Nachtschwärmer
Kapitel 26: What a beautiful noise?
Impressum neobooks
Die Zeit auf dem Appalachian Trail war eine Zeit unsagbaren Friedens und vollkommener Zufriedenheit. Während dieser Zeit habe ich mich ganz und gar im Einklang mit der Natur gefühlt, ein Gefühl, das immer weniger Menschen zuteil wird. Wir hatten nur das Nötigste dabei: Rucksack, Schlafsack, Isomatte, eine Regenjacke, Socken, T-Shirts und Unterwäsche zum Wechseln, Lebensmittel und vor allem Wasser. Mehr braucht der Mensch nicht, um glücklich zu sein. Vielleicht noch soziale Kontakte, aber die ergeben sich von selbst, wenn man in die Welt zieht.
Alle anderen Bedürfnisse redet uns die Werbung ein. Aggressive Werbung, von Menschen gemacht, die glauben, ohne wirtschaftliches Wachstum nicht glücklich sein zu können. Wie sehr sie sich täuschen.
Ich möchte alle Abenteuerlustigen dazu ermutigen, ihre vier Wände zu verlassen. Direkt vor der Haustür wartet das Leben. Es ist voller Abenteuer und voller Schönheit, nicht nur in der Wildnis Nordamerikas. Materielle Werte bedeuten nichts. Das heißt nicht, dass Wohlstand etwas Unanständiges ist. Aber er ist es nicht wert, dass man seine Seele für ihn verkauft. Das Leben sieht Wohlstand für alle vor, Leben ist Freiheit, Liebe und Wohlstand. Wir müssen nur lernen zu teilen.
Ich möchte diese einmalige Gelegenheit zusätzlich dazu nutzen, meine Mitmenschen zu mehr Spiritualität zu ermuntern. Die Welt ist so wie sie ist, weil wir verlernt haben, spirituell zu sein. Viele von uns, mich bis vor kurzem eingeschlossen, machen einen großen Bogen um die Abteilungen der Bibliotheken und Buchhandlungen, in denen Lektüre über Spiritualität angeboten wird. Ich habe erst vor kurzem gelernt, meine Vorbehalte gegenüber Spiritualität abzulegen. Spiritualität hat nichts mit Hexerei zu tun. Sie hat nichts mit Sektentum oder dergleichen zu tun. Sie handelt von keiner institutionalisierten Kirche jedweder Art. Sie handelt ganz einfach vom Leben. Sie handelt von Freiheit. Sie handelt von Liebe. Von großartiger Liebe. Von bedingungsloser Liebe!
Aus diesem Grund habe ich zwischen einigen Kapiteln jeweils ein paar Zeilen, insbesondere aus Neal Donald Walschs Publikationen, eingefügt. Ich bedanke mich bei Neale Donald Walsch an dieser Stelle dafür, dass er mir dies gestattet hat. Wer sich mit seiner Botschaft, dass man im Leben immer eine freie Wahl hat und alles aus der Liebe heraus tun sollte, nicht befassen möchte, möge diese Passagen gerne überspringen und zum nächsten Kapitel über den Appalachian Trail wechseln. Meines Erachtens verpasst man dadurch allerdings die Gelegenheit, etwas über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu lesen. Dennoch, jeder von uns hat in jeder Sekunde seines Daseins, wie bereits angedeutet, immer eine freie Wahl, worauf er sich einlassen möchte. Man sollte diese freie Wahl in jeder Situation seines Lebens ausüben, auch dann, wenn es nicht dem Wunsch der Mitmenschen, in diesem Fall mir, entspricht.
Ich danke meinem Vater und meiner Mutter, dass sie nie versucht haben, mich zu verbiegen.
Ich danke meinem Sohn Pascal, alias Junior, für seine großartige Freundschaft und Liebe, die er mir auf jedem Meter der Wanderung entgegengebracht hat.
Ich danke meinen beiden anderen Kindern Michelle und Marcel, meiner Mutter, meiner großen Liebe Valentina und allen meinen Freunden, dass sie einen Monat lang auf mich verzichtet haben.
Ich danke Judy und Bill Guggenheim dafür, dass sie mir mit dem Buch „Trost aus dem Jenseits“ die Angst vor dem irdischen Tod genommen haben.
Ich danke meiner Freundin Angelika, die mir von ihrem Nahtoderlebnis berichtet hat, aus dem gleichen Grund.
Ich danke Neale Donald Walsch, dass er mir mit seinem Buch „Gespräche mit Gott“ dazu verholfen hat, dass ich mich nach über einem halben Jahrhundert der Suche wieder daran erinnern konnte, wer ich wirklich bin.
Ich danke allen Menschen, dass sie sich an diesem großartigen Schauspiel, dass wir das Leben in Raum und Zeit nennen, beteiligen.
Ich danke Gott, der Göttin, Allah, Krishna, Jahwe, der Energie des Lebens, der Urquelle der Schöpfung, dem Alles-was-ist oder egal welchen Namen die Menschen ihm/ihr gegeben haben dafür, dass ich eine Erinnerung an meine Geburt behalten konnte. Seit meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich daran, wie ich durch einen langen Tunnel ins irdische Leben gekommen bin. Alle anderen Erinnerungen, an das was ich wirklich bin, sind mir, wie fast allen Menschen, beim Eintritt in diese Welt verloren gegangen.
Diese eine Erinnerung hat mich ein Leben lang motiviert zu suchen. Diese Erinnerung war mit einem unauslöschlichen Gefühl verbunden, dass irgendetwas auf dieser Erde nicht stimmt. Diese Erinnerung hat mich zunächst auch dazu verleitet, auf keinen Fall an Gott, oder wie immer man es nennen will, zu glauben (ich werde in Zukunft in diesem Zusammenhang von Gott sprechen, weil es der Ausdruck ist, mit dem die meisten Menschen in meinem Kulturkreis etwas assoziieren können). Es war ein Trugschluss, aber ein für mich heilsamer Trugschluss. Nur so konnte ich mich von den Zwängen spiritualitätshemmender religiöser Regeln lösen. Mit 18 Jahren bin ich sofort aus der Kirche ausgetreten. Dieses Gefühl im Zusammenhang mit der Erinnerung an meinen Eintritt ins Leben sagte zu mir damals, dass es nicht sein kann, dass Sex und eigentlich auch alles andere, was das Leben so unvergleichlich schön macht, Sünde sein soll. Es sagte mir, dass es nicht sein kann, dass alle Religionen das Töten verbieten, dass Gott seinen angeblich Auserwählten dennoch den Auftrag gibt, in seinem Namen zu töten, z. B. auf Kreuzzügen. Es sagte mir, dass es nicht sein kann, dass viele Religionen, insbesondere meine christliche, behaupten, die einzig richtige Religion zu sein. Diese eine Erinnerung hat mir gesagt, dass jemand, der sich hinstellt und von sich behauptet unfehlbar zu sein, entweder ein Lügner sein muss oder genau wie ich von Kindheit an zu viele Lügen mit anhören musste. Sie hat mir gesagt, dass Gott, falls es ihn geben würde, sich niemals wünschen würde, dass Menschen in seinem Namen gefoltert oder verbrannt werden sollen (christliche Inquisition). Er würde es niemals wünschen, dass Menschen anderer Rassen Hunden zum Fraß vorgeworfen werden (Eroberung Südamerikas „im Namen Gottes“). Sie hat mir gesagt, dass es nicht sein kann, dass ein Säugling bereits mit Sünden behaftet (der sogenannten Erbsünde) geboren wird.Auf einen Punkt gebracht: ich war schon als Teenager der Religion überdrüssig.
Wohlgemerkt, ich möchte hier niemanden in seinem religiösen Glauben verletzen. Wer an einen jähzornigen, strafenden Gott glauben will, der soll es tun. Wer es mit seinen Lebenserfahrungen in Einklang bringen kann, dass Gott uns zwar heiß und innig liebt, aber für jedes kleine Vergehen mit Freude in der Hölle quälen wird, der soll das glauben. Nach meinen Erfahrungen liebt Gott uns bedingungslos. Er liebt uns ohne eine einzige Bedingung, die wir erfüllen müssen, um geliebt zu werden. Es ist die bedingungslose Liebe Gottes, mit der er uns freistellt, zu tun und zu lassen, was wir für richtig halten. Weil Gott pure Liebe ist. Deshalb hat er uns den freien Willen gegeben, damit wir jederzeit unsere Wahl treffen können, das zu tun, was wir für richtig halten. Und, tun wir das? Finden wir es gut, dass die Menschheit sich immer noch benimmt wie im tiefsten Mittelalter? Finden wir es gut, dass unser Planet bis auf seinen Kern ausgebeutet wird? Finden wir es gut, dass unsere Brüder und Schwestern auf anderen Kontinenten, aber auch vor der eigenen Haustür in Europa, nicht genug haben, um ihre existentiellen Bedürfnisse zu befriedigen? Und was machen wir dagegen? Wir sitzen mit einer Tüte Chips und einem Bier vor der Glotze und regen uns auf. Der
eine oder andere spendet hin und wieder sogar etwas. Großartig, zweifellos, jede kleine Geste des Mitgefühls ist wichtig. Aber reicht das aus? Ist das alles, was wir für unseren wunderschönen Heimatplaneten tun können? Ist es nicht die Verantwortung jedes einzelnen von uns, dafür zu sorgen, dass die Dinge sich ändern?
Ich habe mehrere Jahrzehnte gebraucht, um zu durchschauen, dass Religion von Menschen gemacht worden ist, geahnt hatte ich es schon lange. Von Menschen, die die Wahrheit, die in allen Religionen enthalten ist, verzerrt und entstellt haben, so lange, bis eigentlich kein mitfühlendes Wesen mehr daran glauben dürfte. Wir glauben aber selbst das Unglaubbare, wenn wir es von Kindheit an gepredigt bekommen. Obwohl Gott uns mit einem freien Willen ausgestattet hat. Es ist bequemer, das nachzubeten, was andere uns vorgeben, als sich eigene Gedanken zu machen. Das verleitet jedoch dazu, jegliche Verantwortung von sich zu weisen. Es verleitet dazu, stets zu behaupten, dass die anderen daran Schuld sind, dass die Welt so ist wie sie ist. In meinen Augen ist es aber so, dass wir als die großartigen, mit einem freien Willen ausgestattete Wesen, die wir sind, selbst verantwortlich für alles auf der Welt sind. Wir sollten lernen, Verantwortung füreinander und für unsere Erde zu übernehmen. Das ist kein Vorwurf an die Menschheit, das ist ein leiden-schaftlicher Aufruf, zu erwachen. Ich habe selbst viel zu lange gebraucht, um aufzuwachen. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist, dass ich noch nicht den Punkt verschlafen habe, an dem wir unseren Planeten unheilbar krank gemacht haben. Wem nicht so recht bewusst ist, worauf ich mit „erwachen“ anspiele, dem kann ich den Film „Awake – Ein Reiseführer ins Erwachen“ empfehlen, der als DVD erhältlich ist.
Trotz dieses enormen Vorsprungs, den mir diese eine Erinnerung an meine Geburt gegenüber vielen Mitmenschen verschafft hat, habe ich über 50 Jahre gebraucht, um mich wieder daran zu erinnern, wer ich wirklich bin. Den vielen, vielen Menschen, die sich auch nicht erinnern können, wer sie wirklich sind, möchte ich Mut machen durchzuhalten. Eure Zeit wird kommen, für viele meines Erachtens schon in Kürze. Die Welt ist im Umbruch. Wir stehen unmittelbar vor einem gewaltigen Evolutionsschritt, einer Evolution des Geistes. Ihr seid die Generation, die diesen Umbruch, auf den unser geschändeter Planet so sehnsüchtig wartet, herbeiführen wird.
Eigentlich sollte mein Vorwort an dieser Stelle abgeschlossen sein. In der Nacht vom 5. Juni zum 6. Juni 2013 wurde ich jedoch noch zu folgender Aussage inspiriert:
In der nächsten Zeit wird es große Veränderungen auf unserem Planeten geben. Immer, wenn die Erde große Krisen überstehen musste, ist es in der Erdgeschichte zu gewaltigen Evolutionssprüngen gekommen. Wir leben zurzeit gerade in solch einer Krise, einer von Menschenhand geschaffenen Krise. Unsere sehr, sehr, sehr, sehr geduldige Mutter Erde wird in Zukunft keine Menschheit mehr dulden, die zu einem kleinen Teil unersättlich und rücksichtslos und zum ganz überwiegenden Teil apathisch ist. Sie wird uns zu einem großen Evolutionsschritt zwingen, einer Evolution unseres Bewusstseins. Wir haben die Wahl, uns an diesem Schritt aktiv zu beteiligen oder uns von den Geschehnissen überrollen zu lassen.
Wie bereits erwähnt: ich wurde zu diesen Zeilen nachts inspiriert. Eine für mich unsichtbare Hand hatte mich sanft geweckt und mir vorsichtig die Augenlider geöffnet. Ich weiß, das hört sich unglaubwürdig und lächerlich an. Ich verlange auch von niemandem, dass er mir glaubt. Ich kann nur berichten, was ich erlebt habe. Nur ich alleine kann für mich sagen, dass es wahr ist. Jeder muss seine Wahrheit für sich selbst finden. Nachdem ich also vom nächtlichen Weckdienst vorsichtig aus dem Schlaf geholt worden bin, kam es mir so vor, als wenn jemand mich an den PC geleiten würde. Es kam mir so vor, als wenn jemand mich gebeten hätte, diese Zeilen zu schreiben. Genau genom- men kam es mir so vor, als wenn mich Mutter Erde persönlich gebeten hätte, diese Botschaft an die Menschen weiterzugeben. Die Erde ist für mein Empfinden kein toter, durch das Universum dahin-treibender Gesteinsbrocken sondern ein lebendiges, fühlendes Wesen. Wer nicht glauben mag, dass die Erde lebt, braucht nur in den Garten, in einen Park, in den Wald zu gehen und sich umschauen.
Als ich klein war, kam mir das Leben noch schön vor -
ein richtiges Wunder, alles ganz zauberhaft.
Die Vögel in den Bäumen zwitscherten lustig vor sich hin,
betrachteten mich fröhlich und verspielt.
Aber dann schickte man mich fort und brachte mir bei,
vernünftig, logisch, verantwortungsbewusst und praktisch zu sein.
Und man zeigte mir eine Welt, in der ich mich berechenbar, sachlich, verstandesorientiert und zynisch verhalten sollte.
Manchmal, wenn alles schläft, werden die Fragen zu drängend für ein schlichtes Gemüt wie mich.
Kann mir bitte jemand sagen, was wir da gelernt haben?
Ich weiß, es klingt blöd - aber sagt mir, wer ich eigentlich bin.
Pass gut auf, was du sagst, sonst nennen sie dich einen Radikalen, einen Linken, einen Fanatiker, einen Kriminellen.
Werde Mitglied in unserem Club, wir hätten dich lieber
brauchbar, achtbar, vorzeigbar – wie eine Nutzpflanze sozusagen...
Nachts, wenn alles schläft, kommen die bohrenden Fragen.
Ich weiß, es klingt blöd - aber sagt mir doch bitte, wer ich eigentlich bin.
(Supertramp, The Logical Song, deutsche Übersetzung)
Der Appalachian Trail ist mit fast 3500 Kilometern Länge einer der längsten Fernwanderwege der Welt. Der Trail beginnt am Springer Mountain in Georgia und führt dann durch die Staaten North Carolina, Tennessee, Virginia, West Virginia, Maryland, Pennsylvania, New Jersey, New York, Connecticut, Massachusetts, Vermont und New Hampshire zum Katahdin in Maine.
Jährlich begeben sich im langjährigen Durchschnitt ca. 1800 bis 2000 Wanderer vom Springer Mountain aus auf den Weg, um den „Thru Hike“ zu schaffen, also den Trail in seiner ganzen Länge zu erwandern. Um das zeitlich zu bewältigen, muss man bereits im Frühjahr, meistens noch im Schnee, starten. Spätestens Mitte Oktober ist der Endpunkt, der 1606 Meter hohe Katahdin, auf Grund der dann einsetzenden Schneefälle nicht mehr begehbar und daher gesperrt. Eingefleischte Appalachian-Trail-Hiker legen Wert darauf „Katahdin“ und nicht „Mount Katahdin“ zu sagen, denn der Name Katahdin beinhaltet bereits das Wort „Berg“.Es ist die Bezeichnung der Penobscot Indianer und bedeutet „der größte Berg". Er ist das Ziel, auf das sich alle Hiker (Wanderer) konzentrieren. In seinem Namen klingt etwas Magisches, alle Hiker sprechen mit Ehrfurcht über ihn.
Das in etwa auf halber Strecke gelegene Harpers Ferry erreicht nur durchschnittlich die Hälfte aller Hiker, und ans Ziel gelangt in der Regel lediglich ein gutes Viertel der ein halbes Jahr zuvor Gestarteten. Die Hiker, die von Süden in Richtung Norden wandern, werden Northbounder genannt. Southbounder, also Wanderer die nach Süden marschieren, gibt es so gut wie gar nicht, da die Wetterverhältnisse am Katahdin einen Start vor Juni oder Juli nicht erlauben.
Wir haben unterwegs lediglich zwei Southbounder getroffen, und das waren Wanderer, die die Strecke über zwei Jahre verteilt hatten.
Häufig schon zu Beginn der Wanderung legt man sich einen Trail-Namen zu. Wer keinen hat, bekommt recht schnell einen verpasst. Etliche Wanderer erhalten so im Laufe ihrer Wanderung sogar zwei oder gar drei Trail-Namen. Ich habe mich von Beginn an Neandertal Man (Neandertaler) genannt, da ich in der Nähe des Neandertals lebe. Mein Sohn Pascal hatte sich nach ein paar Tagen den Namen Junior zugelegt, da er während unserer Wanderung der deutlich Jüngste aller Wanderer war.
Diejenigen, die diese enorme körperlichen Anstrengungen auf sich nehmen, sind sich einig, dass eine extreme Willenskraft noch wichtiger ist als physische Fitness.
Oftmals sind es Studenten, die gerade mit ihrem Studium fertig geworden sind, und sich vor ihrem Start ins Berufsleben auf dieses einmalige Abenteuer einlassen. Ihnen ist bewusst, dass sie für den Rest des Lebens wohl kaum wieder die Möglichkeit dazu haben werden. Denn in unserer westlichen Zivilisation wird man häufig in erster Linie über seine berufliche Leistung definiert. Familie, Freizeit und all die Dinge, die das Leben erst schön machen, haben sich in der Regel unterzuordnen. Zumindest wird es uns so erzählt, so wie es in dem eingangs abgedruckten Lied von Supertramp schön interpretiert worden ist.
Erwähnen möchte ich vorab noch die sogenannten Trail Angels. Das sind menschenfreundliche Einheimische, die sich einiges einfallen lassen, um den Wanderern die harten Etappen ein wenig zu versüßen. So findet man gelegentlich eine Kühlbox mit eiskalten Getränken am Wegesrand, an der man sich bedienen darf. Oder jemand steht mitten im Wald an einem Grill und spendiert Steaks und Würstchen. Einer unserer zeitweiligen Mitwanderer wurde spontan in einem PKW mitgenommen, damit er im Haus des Fahrers einmal ausgiebig duschen konnte. Anschließend hat man ihn an die Stelle zurückgefahren, an der er ins Auto eingestiegen war. Gelegentlich wird man gezielt von „Engeln“ abgefangen, um zu einem Supermarkt gefahren zu werden. Die Beschaffung von Lebensmitteln ist immer ein Problem. Selbst wenn man alle paar Tage in die Nähe eines kleinen Ortes kommt, so sind die Supermärkte für gewöhnlich weit außerhalb.
Wir haben auf unserer Wanderung sehr viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft erfahren. Wenn alle Menschen so miteinander umgehen würden, bräuchten wir kein Militär, keine Polizei, keine Gerichte, wir hätten den Himmel auf Erden. Aber leider stehen die Menschen noch immer in Konkurrenz zueinander, aus Angst, das nicht genug für alle da ist. Dies ist in meinen Augen ein gewaltiger Irrtum. Laut einer Studie der britischen Institution of Mechanical Engineers (ImechE) werden weltweit jährlich bis zu zwei Milliarden Tonnen Lebensmittel vernichtet. Bis zu 50 % der produzierten Nahrung landet nicht auf den Tellern der Weltbevökerung, sondern wird weggeschmissen oder gar nicht erst geerntet, weil sie nicht den Handelsnormen entspricht. Meine Freundin Valentina hat bei einer Karibikkreuzfahrt erfahren, dass tonnenweise Lebensmittel von den üppigen Buffets vernichtet werden müssen. Sie dürfen nicht an die einheimische Bevölkerung verteilt werden, da es entgegenstehende Lebensmittelvorschriften gibt. Immerhin ist es beruhigend, dass die Lebensmittelbestimmungen eingehalten worden sind, wenn Menschen auf Haiti verhungern.Ein Viertel der jährlich vernichteten Lebensmittel würde ausreichen, um den Hunger auf der Welt zu bekämpfen. Das ist aber vermutlich nicht im Interesse eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums. Also werden wir von der Werbeindustrie zur Verschwendung erzogen, damit immer mehr produziert werden kann.
Der Appalachian Trail lehrt seine Gäste Bescheidenheit und Ehrfurcht vor der Natur. Um das Gepäck auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, muss man auf fast alle Annehmlichkeiten des Alltags verzichten. Und das ist gut so. Sehr schnell bekommt man ein Gespür für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Das sind (genau in der Reihenfolge) Wasser, Nahrung und nach Möglichkeit abends ein Dach über dem Kopf. Wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, kommen dazu noch körperliche Unversehrtheit und soziale Kontakte. Das reicht, um glücklich zu sein. Wir haben es erlebt. Zeit ist mit das kostbarste Gut auf Erden.
Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben, dafür steht der Appalachian Trail.
Das war die Frage, die sich mir stellte als mein Sohn volljährig wurde. Was schenkt man seinem Kind an der Schwelle zum Erwachsenwerden? Da es in unserer Kultur keine Initionsriten mehr gibt, musste ich mir selbst etwas zum rituellen Eintritt in Pascals neues Lebensstadium ausdenken. Es sollte etwas sein, dass meinen Sohn physisch und psychisch ein wenig an seine Grenzen bringt. Da Pascal in jeder Hinsicht sehr belastbar ist, konnte ich ihm das ohne weiteres zumuten.
Pascals 18. Geburtstag kam nicht allzu überraschend für mich, somit hatte ich einige Wochen und Monate Zeit zum Überlegen. Heraus kam ein All-Inclusive-Gutschein für einen Monat Abenteuer-urlaub mit vier Vorschlägen:
1. Wanderung durch die Slowakei von den Kleinen Karpaten bis zur Hohen Tatra
2. Wanderung auf dem Jakobsweg, dies hätte den Vorteil, dass Pascal seine Spanisch-Kenntnisse
vertiefen könnte
3. Mit einem Boot die Donau von Passau bis zum Mündungsdelta in Rumänien erkunden
4. Wanderung auf dem Appalachian Trail
An seinem Geburtstag fiel Pascal die Entscheidung nicht schwer. Ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu überlegen, fiel seine Wahl auf den Wanderweg der Superlative, den Appalachain Trail, einem der längsten Fernwanderwege auf unserem Globus. Bis zu unserem Start sollte noch über ein Jahr vergehen. Als der Abflugtermin in greifbare Nähe kam, begannen wir, das Training zu intensivieren. Wir liefen zusammen einen Marathon und dann stand eine 30-Kilometer-Wanderung mit leichtem Gepäck an. Mein jüngster Sohn Marcel, damals 13 Jahre alt, wollte unbedingt dabei sein. Ich nahm sein Angebot zunächst nicht ganz ernst, da Marcel nicht gerade ein Freund körperlicher Anstrengungen ist. Da er aber darauf bestand, ging es eines Morgens zu dritt in den Wald. Bereits nach ca. 15 Kilometern fing der Erste an zu schwächeln. Richtig, ich war der Klotz an den Beinen meiner Söhne. Ich hatte meine nagelneuen Wanderschuhe zum ersten Mal an. Eine clevere Entscheidung. Sollte ich weiterhin „so viel“ Umsicht an den Tag legen, werden wir uns auf dem Trail wohl zum Gespött machen.
Selbstverständlich hätte ich die neuen Wanderschuhe erst einmal vorsichtig einlaufen müssen. Nun bekam ich zu spüren, dass es kaum eine Stelle am Fuß gab, an dem die Schuhe nicht gescheuert hätten. Vor allem am Knöchel unter dem Schienbein war der Schmerz kaum noch zu ertragen. Zunächst öffnete ich die Schnürsenkel und „schlappte“ mit lockeren Schuhen wie „Frau Surbier“ durch den Wald. Später bin ich auf Socken weitergewandert. Marcel amüsierte sich innerlich mit Sicherheit köstlich. Er ließ sich aber nichts anmerken. Immerhin habe ich die 30 Kilometer durchgehalten und keine einzige Blase an den Füßen gehabt. Man muss die Dinge immer positiv sehen. Abends lieferten zwei gutgelaunte Jungs ihren abgekämpften Vater wieder zu Hause ab.
Mitte Mai starten Pascal und ich zu einer Generalprobe ins Oberallgäu. Wir beabsichtigen eine viertägige Hüttenwanderung mit vollem Gepäck, also unter den Bedingungen, wie sie uns auf dem Appalachian Trail erwarten würden. Zunächst soll es von Hinterstein aus zur Willersalpe gehen. Wir reisen mit der Deutschen Bahn an. Da der Zug erhebliche Verspätung hat, verpassen wir am späten Nachmittag in Sonthofen unseren Bus nach Hinterstein. Immerhin erwischen wir noch einen Bus nach Bad Hindelang und beginnen so bereits von dort aus unsere Wanderung. Als wir Hinterstein zu Fuß erreichen, ist die Zeit schon sehr weit fortgeschritten. Daher nehmen wir ohne größere Pausen den anderthalbstündigen Aufstieg zu der auf 1456 Metern gelegenen Willersalpe in Angriff. Es ist ein nicht übermäßig schwerer Aufstieg durch eine sehr schöne Landschaft. Je höher wir kommen, umso mehr Schmelzwasser fließt uns auf dem Wanderweg entgegen. Als wir die Baumgrenze verlassen, dämmert es schon. Es wird höchste Zeit, dass wir unser Ziel erreichen. In den höheren Lagen hat die Landschaft noch ihr Winterkleid an.
Vor uns liegt noch ein weitläufiges Schneefeld. Nach einigen Minuten sichten wir am Horizont überglücklich die Willersalpe. Das gibt uns noch einmal Kraft, um die Geschwindigkeit zu forcieren. Die Hütte scheint noch nicht bewirtschaftet zu sein. Wir finden uns damit ab, diese Nacht im Schutz der Hütte in unseren Zelten zu verbringen. Als wir uns nähern, öffnet sich jedoch wie von Geisterhand eine große Tür.. Es ist keine Menschenseele zu sehen. Wir treten ein. Es ist stock- dunkel. An unseren Wanderstöcken haben wir eine kleine LED-Leuchte. Vorsichtig gehen wir weiter und gelangen schließlich zu einer Holztreppe und einem Gastraum aus dem wir Stimmen vernehmen. Wir treten ein. Es herrscht vollkommene Dunkelheit. Lediglich vom Ende des Raumes her, dort wo wir die Stimmen hören, schimmert leichtes Kerzenlicht. Ich trete in den Nebenraum ein. Es ist die Küche. Freudestrahlend begrüßt mich der Eigentümer der Hütte und bemerkt beiläufig, dass es mich eine Runde kosten wird, weil ich die Küche betreten habe. Auf einem Schild, dass ich nun, nachdem ich mich an die Dunkelheit gewöhnt habe, erkennen kann, wird ausdrücklich darauf hingewiesen. Wir sind die ersten Gäste in diesem Jahr. Normalerweise wird die Hütte am 1. Mai geöffnet. In diesem Jahr hat die Schneeschmelze zwei Wochen später als gewöhnlich eingesetzt, dadurch hat sich alles verschoben. Wir sind die Ersten, die sich in diesem Frühjahr hier hinauf getraut haben. Daher machte die Hütte auf uns zunächst den Eindruck, dass sie nicht bewirtschaftet ist. Da keine Gäste mehr erwartet wurden, hatte man bereits abgeschlossen, uns aber dann von oben kommen gesehen.
Schnell sitzen wir mit den drei sympathischen Wirtsleuten bei Kerzenlicht in gemütlicher Runde und genießen das vorzügliche Dunkelbier. Die Hütte wird auf traditionelle Weise per Pferd versorgt. Da die Hütte derzeit auf Grund der spät eingesetzten Schneeschmelze noch nicht einmal per Pferd zu erreichen ist, schleppen die Betreiber der Hütte jedes einzelne Bierfass, sämtliche Lebensmittel und alle Ausrüstung auf ihrem Rücken hier hoch. Ein hartes aber beneidenswert selbstbestimmtes Leben. Die Beleuchtung erfolgt ausschließlich mit Kerzen. Es gibt eine kleine Solarpaneele und ein kleines Windrädchen, um ein wenig Strom für die Küche zu erzeugen. Die Hütte macht auf uns einen ungeheuer romantischen Eindruck. Es wird ein fröhlicher, geselliger Abend und alle gehen wesentlich später zu Bett als ursprünglich geplant. Wir erhalten die Information, dass alle Wege zu den Nachbarhütten noch nicht begehbar sind. Aus der geplanten Hüttenwanderung wird somit nichts. Wir beschließen daher, noch eine Nacht auf der Willersalpe zu bleiben, um wenigstens die umliegende Gebirgswelt zu erkunden.
Nach der Nacht im Matratzenlager wachen wir mit „dickem“ Kopf auf und frühstücken spät. Mit einem Feldstecher können wir Murmeltiere beobachten, die bei tiefblauem Himmel und Sonnenschein ausgesprochen aktiv sind. Unsere Kopfschmerzen sind schnell vergessen. Nach dem Frühstück erklimmen wir einen ca. 400 Meter höher gelegenen Grat. Der Aufstieg fällt mir sehr schwer, die nächtlichen Strapazen in der Dunkelbierrunde fordern ihren Tribut. Ich gehe im Zeitlupentempo. Mein Sohn, der einen wesentlich fitteren Eindruck macht, amüsiert sich gut. Auf dem Gipfel angekommen werden wir von einer traumhaften Kulisse belohnt. Als wir beim Abstieg an einer Gemse vorbeiwandern, fast zum Greifen nah, empfinden wir große Dankbarkeit für unser Leben. Der anschließende Abend wird dann nicht ganz so feuchtfröhlich wie bei unserer Ankunft.
Da die Höhenwanderwege der Umgebung noch geschlossen sind, wandern wir zwei Tage im Bereich des Tannheimer Tales und reisen mit einem guten Gefühl nach Hause zurück. 30 Kilometer am Tag waren für uns kein Problem, wir dürften gut vorbereitet für den Appalachian Trail sein.
Am Ende dieses Kapitels noch ein kleiner Tipp für Reisende in die USA:
Für die Einreise in die USA benötigt man als Deutscher zwar kein Visum, stattdessen aber eine Einreisegenehmigung, die man für 14 US-Dollar im Internet unter www.estaforusa.org beantragen kann. Nun haben sich einige dubiose Unternehmen darauf spezialisiert, dies als Plattform zu benutzen, um ihre Mitmenschen „übers Ohr zu hauen“. Am raffiniertesten ist ein „Anbieter“, der die offizielle Seite in jeder Hinsicht imitiert. Den einzigen Unterschied machen drei Buchstaben aus, die entsprechende Internetseite lautet www.estaforusa.com. Irgendwo, ganz versteckt in den Geschäftsbedingungen, wird darauf hingewiesen, dass für den überflüssigen „Service“ eine Gebühr in Höhe von 52 Euro berechnet wird. Dies erkennt man erst bei der Kreditkartenabrechnung Tage oder Wochen später. Wer nun der Meinung sein sollte, dass dies illegal ist, der täuscht sich gewaltig. Viele Gesetze in unserer westlichen Gesellschaft lassen es durchaus zu, dass der Bürger systematisch ausgeraubt wird. Besonders weit fortgeschritten sind diese Verhältnisse in den USA.
Es ist der 27.6.2012. Wir schlafen bei Bekannten in Düsseldorf, da wir von deren Wohnung aus auch nachts problemlos zum Flughafen Düsseldorf anreisen können Der Wecker steht auf 2:50 Uhr. Ich schlafe sehr unruhig und träume lebhaft. Ich träume, dass ich morgens auf dem Weg zum Bad versehentlich einige Stehlampen umwerfe und der Teppich in der Diele Feuer fängt. Ich kann die Flammen unter größten Anstrengungen austreten, nur ist der Teppich nun von Löchern übersät. Doris, unsere Gastgeberin, ist stinksauer auf mich. Dann warte ich endlos vor dem Badezimmer. Die Minuten bis zum Abflug verrinnen. Alle möääö