Der Berg

Sein Gesicht werde ich nicht vergessen: eingemummelt, mit der Kapuze bedeckt, die Sonnenbrille zum Schutz der Augen, im Bart kleine Eiszapfen, die Gesichtshaut mehr blau als rot. Was hatte ihn nur getrieben, sich aufzumachen, all die Anstrengungen auf sich zu nehmen, monatelange Vorbereitungen zu treffen?

Mit wenigen Freunden war er unterwegs. Schon als kleiner Junge hatte er den Wunsch gehabt, den Berg zu bezwingen. Jedes Mal, wenn dessen Name fiel, bekam er große Ohren, und wie magisch zog er ihn an. Schon früh besuchte er Kurse, um die Fertigkeit im Klettern zu erlernen. In seinem Bücherregal standen selbstverständlich viele Bildbände über die angrenzenden Länder. Landeskunde, Geographie, Berichte über frühere Besteigungen und Reportagen nahmen ihn immer wieder gefangen.

Und dann war es in diesem Jahr so weit, dass er mit seinen Freunden eine Besteigung planen konnte. Zeit und Geld hatte er gespart, die Ausrüstung erworben, eine Mannschaft an Helfern stand für ihn bereit.

Alle Vorbereitungen wurden aber zur grauen Theorie in dem Augenblick, als es ernst wurde. Alles konzentrierte sich auf den Gipfelanstieg, auf das Ziel, das ihn schon immer reizte.

Eingemummelt, ausgerüstet, bepackt verließ er mit seinen Freunden das Basis-Lager. Das Wetter war günstig. Am ersten Tag kamen sie gut voran. Und doch – im Blick auf das Ziel, im Blick auf den Gipfel, der noch verborgen lag, hatten sie kaum eine Strecke überwunden. Viel Aufwand und Zeit verbrauchten das Herrichten der Zelte, die Nahrungsaufnahme, die Fürsorge für das körperliche Wohlbefinden. Immer wieder mussten Pausen eingelegt werden, damit nicht frühzeitig die Kräfte verbraucht wurden.

Der zweite Tag wurde beschwerlicher. Jeder Schritt wollte bedacht werden und forderte die ganze Kraft. Am Abend setzten kurz vor dem Erreichen des zweiten Lagers starke Kopfschmerzen ein. Das Atmen fiel schwerer. Wesentlich wurde der Kontakt zu den Freunden, die hier und da ein Wort wechselten, halfen aufzupassen, dass alles normal ablief. Gegen Abend setzte ein Sturm ein, vor dem sie sich in die Zelte retten konnten. Finger und Zehen wurden massiert, das Gefühl, die Durchblutung mussten gewahrt bleiben. Die Nacht war unruhig, aber sie wagten es, am folgenden Morgen wieder aufzubrechen. Verglichen mit dem Beginn ihrer 'Wanderung' waren sie langsam geworden, geschwächt. Aber immer noch zog sie der Gipfel, wie magisch angezogen folgten sie.

Vom Basis-Lager kamen günstigere Wetterprognosen, sodass sie für den übernächsten Tag den Gipfel-Ansturm planten. Noch steiler war der Weg, noch früher in der Nacht machten sie sich auf, noch mehr als je zuvor waren sie aneinander gewiesen. Jeder Schritt wurde zum Kampf, jeder Meter, den sie erklommen hatten, ein Gewinn. Fast im Taumel und doch mit einer seltenen Klarheit ausgerüstet kämpften sie sich weiter vor. Viel Menschliches schien aus den Gesichtern gewichen, wie erstarrt und verzerrt, von einem eisernen Willen getrieben. Mit letzter Kraft erreichten sie den Gipfel – unvorstellbar, nicht dort bleiben zu können!

Eine Sehnsucht, die er nie in Worte hätte fassen können, hatte ihn getrieben. Nun erlebte er die Erfüllung. Und wieder fand er keine Worte, er war glücklich, er hatte es geschafft, alle Anstrengungen, Schwierigkeiten hatte er überwunden dank der Hilfe aller seiner Freunde. Hier angekommen wollte er die ganze Welt umarmen.

Nach wenigen, viel zu kurzen Augenblicken traten sie den Rückweg an. Er war nicht leichter als der Anstieg. Aber er wusste, auch ihn würde er schaffen, und er gehörte dazu. Er hatte sein Lebensziel erreicht, er fühlte sich satt wie nach einer warmen Mahlzeit, aber so umfassend, wie er es nie erlebt hatte und nie wieder erleben würde.

Diese Zufriedenheit und Erfüllung war auch in seinem Gesicht abzulesen, das so eingepackt und gefroren aussah.

Madelaine

Erinnert ihr euch noch an Madelaine? Sie war schon immer eine besondere Frau gewesen. Lange kannte ich ihren Namen nicht. Am Rande des Ortes wohnte sie. Sie war anders. Sie sah man nicht am Brunnen stehen ober beim Einkaufen. Sie suchte