Burn-out
… wo ist der „Rettungsschirm“ für unsere Seelen?
Books on Demand
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
© Jutta Kilian, 2013
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren) reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.
Die Rechte zur Vervielfältigung und Verbreitung dieses Titels liegen bei BoD GmbH, Norderstedt.
Gesetzt aus der Goudy Old Style und der Eras.
Gestaltung und Satz: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor, Berlin Gedruckt auf Papier aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-73221328-3
Von „Burn-out“ sehen, hören und lesen wir seit geraumer Zeit. In nahezu allen Medien berichten immer mehr Menschen, Prominente und weniger bekannte Personen, Männer und Frauen, wie und warum sie in die totale Erschöpfung gerieten. In Talkshows, Gesundheitssendungen, in Zeitschriften und Zeitungen, im Internet, im Kollegen- und Freundeskreis werden Neuzugänge in der Burn-out-Gemeinde beklagt. Manch einer kann das Wort „Burn-out“ nicht mehr hören. Einige meinen, wir seien zu einer „Weichei-Gesellschaft“ mutiert und Burn-out sei eine Modediagnose geworden. Statistiken und Studien belegen dagegen den deutlich steigenden Anteil psychisch Erkrankter in Deutschland während der letzten Jahre. Statistische Zahlen über die Entwicklung von Burn-out in Deutschland sind unter den Rubriken „demographischer Wandel“ oder „Gesundheit in Deutschland“ zu finden. Hier werden „psychische Erkrankungen“, die oft auch mit „Depressionen“ einhergehen, erfasst. Burn-out dagegen ist kein anerkanntes Krankheitsbild und hat keine Diagnosekennzahl, die für eine statistische Erfassung notwendig wäre.
In zahlreichen Büchern und Broschüren geben ehemalig Betroffene, Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzte Tipps, was präventiv gegen Stress getan werden kann, um die totale Erschöpfung zu vermeiden. Politik und Wirtschaft versuchen langsam aber sicher „Rettungsschirme“ zu schaffen, um den drohenden milliardenschweren volks- und betriebswirtschaftlichen Super Gau abzuwenden. Das vorliegende Buch Burn-out gliedert sich grundlegend in fünf Kapitel.
In Kapitel 1 wird beschrieben, was unter „Burn-out“ zu verstehen ist, wie Stress entsteht und welche körperlichen Reaktionen er im Menschen auslöst.
Kapitel 2 befasst sich mit der Fragestellung, ob bestimmte Personengruppen besonders oder Männer und Frauen gleichermaßen gefährdet sind. Spielen das Alter, der Beruf, der soziale Status eine Rolle? Liegen Ursachen und Auslöser für Burn-out „nur“ im Job oder gibt es noch andere, sehr individuelle private Gründe oder persönliche Veranlagungen?
In Kapitel 3 wird der mögliche Verlauf von Burn-out in drei Stufen anhand der Spirale der Erschöpfung dargestellt und mit den Antworten meiner Interviewpartner zu ihrer persönlichen Erschöpfungsgeschichte verglichen.
Die kolossalen Auswirkungen für Volkswirtschaft, Unternehmen und nicht zuletzt für die Betroffenen und deren Angehörige, sind in Kapitel 4 zusammengefasst.
Das Buch schließt mit Kapitel 5. Darin wird aufgezeigt, welche Rettungsseile uns die Bereiche Rehabilitation und Prävention, Politik und Wirtschaft bereits anbieten. Diese zu ergreifen und für sich zu nutzen, aber auch einen „Rettungsschirm für die eigene Seele“ aufzuspannen, liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen.
„Tu deinem Leib etwas Gutes,
damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“
(Teresa von Ávila, 28.03.1515 -04.10.1582, Karmelitin)
Total erschöpft, deprimiert, ausgebrannt, sich treiben lassen und antriebslos sein, sind körperliche Symptome für den Sammelbegriff „Burn-out“. Die Deutung des Dudens von „Burn-out“ (to burn out = ausbrennen), ursprünglich aus den Bereichen der Raumfahrt („ … und der antriebslose Flug beginnt …“), der Kernphysik („ … Durchbrennen von Brennstoffelementen …“), scheinen mir auch auf die zahlreichen menschlichen Beispiele („psychologisch: Syndrom des Ausgebrannt-Seins, der völligen psychischen und körperlichen Erschöpfung“) übertragen, sehr zutreffend zu sein. Redewendungen wie: Mir sitzt etwas im Nacken, dabei habe ich Bauchweh, ich hab einen Kloß im Hals, mir schwirrt der Kopf, beschreiben unseren körperlichen Schmerz oder geistigen Erschöpfungszustand in Stresssituationen. Der Deutsch-Amerikaner und Psychoanalytiker Herbert Freudenberger hat bereits vor über 30 Jahren in seinem Buch „Ausgebrannt – Die Krise der Erfolgreichen“ den Begriff „Burn-Out“ verwendet und die These verfolgt „… ausbrennen könne nur, wer entflammt war …“2. Das klingt irreführend, weil Burn-out keine von-Heuteauf-Morgen-Entwicklung ist. Vielmehr entwickelt sich ein Burn-out-Syndrom schleichend, durchläuft verschiedene Phasen und ist daher eher mit einem Schwelbrand, mit einem langsamen Durchbrennen zu vergleichen. Der menschliche Zustand völliger geistiger und körperlicher Erschöpfung wird mit Burn-out oder mit dem Burn-out-Syndrom beschrieben.
Arbeitstakt und Arbeitsverdichtung im Berufsleben haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die elektronische und technische Weiterentwicklung hat uns viele Vorteile aber auch mehr Zeitdruck beschert. In unserer 24-Stunden-Leistungsgesellschaft gilt oft das olympische Motto: Höher, schneller, weiter. Ehrgeiz treibt uns an und motiviert uns, große Herausforderungen anzunehmen, schwierige Projekte umzusetzen, komplexe Aufgaben schnell zu erfassen und zu meistern. Unternehmen müssen im internationalen Wettbewerb bestehen. Menschen, Arbeitsprozesse und Produkte sollen gleichermaßen flexibel und effizient sein. Zeit ist Geld. Die Überstundenkonten vieler Mitarbeiter erreichen schwindelerregende Höhen, Erholungsurlaub wird aus „Zeitgründen“ nicht genommen. Nicht nur in Pflegeberufen kommt zur körperlichen die psychische Belastung hinzu. Arbeitnehmer verlieren ihren Arbeitsplatz durch Insolvenz oder Stellenabbau in Unternehmen und bekommen bestenfalls eine neue – zeitlich befristete Anstellung – meist zu finanziell schlechteren Konditionen. Sie sehen sich gezwungen, mehrere Jobs anzunehmen, um ihr Leben zu finanzieren. Trotz guter Ausbildung und langer Berufserfahrung bleiben nicht wenige, gerade erst in ihrer Lebensmitte angekommen, arbeitssuchend. Weitere Stressoren am Arbeitsplatz sind: „… hohe Arbeitsbelastung und niedriger Handlungs- und Entscheidungsspielraum in stark hierarchisch strukturierten Unternehmen, Mangel an Wertschätzung und schlechte Personalführung. Die Depression wird zum Arbeitsunfall der Moderne“ [Vgl. Unger-Kleinschmidt, Titel von Kapitel 1]3. Berufstätige Männer wie Frauen befinden sich heute im täglichen Spagat zwischen Beruf und Familie. Wir spielen mehrere Rollen und müssen verschiedenen beruflichen und privaten Anforderungen gerecht werden: Karriere, fürsorgende Eltern und verständnisvolle Partner. Alles zugleich [vgl. Abbildung 1: Puppe-Stressoren].
„ … Multitasking ist eine Selbsttäuschung. Viele Menschen glauben zwar, dass sie manches gleichzeitig erledigen. Tatsachlich wechseln sie aber in Bruchteilen von Sekunden von einer Aufgabe zur anderen. Entscheidungen fällen kann man normalerweise immer nur eine zur selben Zeit“4 sagt Prof. Iring Koch (Psychologe und Multitasking Experte an der Rheinisch/Westfälischen Technischen Hochschule).
Nahezu alle Organe sind in verschiedenen Phasen von Stresssituationen betroffen. Die körperlichen Beschwerden folgen keiner genauen Checkliste. Sie treten phasenweise auf, entwickeln sich über einen längeren Zeitraum und verändern sich. Manchmal verschwinden sie auch kurzfristig wieder.
In Phase I (= sofortige Reaktion) sendet unser Körper erste Warnsignale. Körperliche Schmerzen und Beschwerden, wie z. B. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schlaf- und Verdauungsstörungen treten auf.
In Phase II (= verzögerte Reaktion) sind u. a. das Gehirn (Lern- und Erinnerungsvermögen werden deaktiviert), das Immunsystem (Abwehrfähigkeit nimmt ab), die Leber (gespeicherte Energien werden in „Treibstoff“ umgewandelt), die Nebennieren (Kortisol-Ausschüttung mindert Darmfunktion und Immunleistung) betroffen.
In Phase III (= chronische Auswirkungen) reagieren die Organe nach langer und intensiver Belastungsphase: Das Gehirn (Erschöpfung und Gereiztheit bis zur Depression), der Darm (gedrosselte Blutversorgung, anfällige Magen-und Darmschleimhaut), das Immunsystem (Schwächung der Abwehrzellen) und die Blutgefäße (nachlassende Elastizität). [vgl. Abbildung 2: Stressoren und ihre Auswirkungen auf den Organismus].
Hans-Peter Unger, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt des Zentrums für seelische Gesundheit an der Asklepios-Klinik in Hamburg-Harburg und Leiter der dortigen Tagesklinik für Stressmedizin und Depressionsbehandlung und Mitautor des Buches „Bevor der Job krank macht“, hat eine kurze und einleuchtende Erklärung für die körperlichen Auswirkungen bei Dauerbelastung: „Wir sind auf Dauerstress evolutionär nicht vorbereitet.“5
1 Homepage Duden, am 05.02.2012
2 stern, (29.09.2011), „Total erschöpft“, Seite 108
3 Unger - Kleinschmidt, (2009), „Bevor der Job krank macht“, Seite 21-23
4 TK aktuell, Nr. 2/2011, Seite 9
5 DER SPIEGEL WISSEN, (1/2012), „Der Chef als Löwe“, Seite 19 und 23
Burn-out scheint vor keinem Berufszweig halt zu machen. Besonders Menschen in Sozial– und Pflegeberufen sind aufgrund der körperlichen und seelischen Doppelbelastung besonders gefährdet. [„… neben Leiharbeitern sind besonders Frauen betroffen. Allein im vergangenen Jahr gingen deutschlandweit rund 39.000 weibliche Beschäftigte aufgrund psychischer Erkrankungen in eine Erwerbsminderungsrente – das entspreche seit 2000 fast einer Verdoppelung…]“6. Die Liste dieser prominenten Beispiele wird von Männern im Alter zwischen 30 und 53 Jahren aus unterschiedlichen Berufszweigen angeführt:
Tim Mälzer (40, Fernseh-Koch):
„… als hätte man mir die Stromkabel durchgeschnitten“.