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Inhaltsverzeichnis
 
 
 
 
 
 
 

VORWORT
Liebe Leser,
 
jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden, Tendenz steigend. Im Jahre 1993 wurden 156 425 und im Jahre 2004 fast 213 700 Ehen geschieden. Dies bedeutet eine Steigerung von zirka 37 Prozent innerhalb von 10 Jahren. Es ist zwar ein schwacher Trost, doch damit sind Sie eine/r unter vielen, die sich in der gleichen Situation befinden.
Eine Trennungsentscheidung bringt meistens persönliche Enttäuschungen und Verletzungen mit sich. In dieser emotional schwierigen Zeit stellen sich für die Betroffenen dann auch viele Sachfragen. Was ist zu regeln? Was ist mit der elterlichen Sorge? Welcher Unterhalt ist zu zahlen beziehungsweise welchen bekomme ich? Wie sieht es mit dem Kindesunterhalt aus? Wem steht die Ehewohnung zu usw.?
Dieser Scheidungsratgeber beantwortet diese und viele weitere Fragen. Er führt in das Scheidungsrecht ein und gibt einen ersten Überblick. Er informiert Sie in verständlicher Weise über die Rechte und Möglichkeiten während der Trennungsphase und der Scheidung.
Jede Trennung bringt zwangsläufig auch eine Veränderung der bisherigen Lebenssituation mit sich, mit der Sie sich unverzüglich auseinandersetzen sollten. Sind Kinder mit beteiligt, so gilt es für Sie und Ihren Partner/Ihre Partnerin, nicht nur eigene Interessen zu verfolgen. Sie müssen zum Wohl der Kinder Regelungen finden, die diese finanziell absichern und ihnen die Möglichkeit bieten, den Kontakt zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten.
Dieses Buch ersetzt keinen anwaltlichen Rat. Es soll einen Überblick über die zu regelnden Angelegenheiten während der Trennung und Scheidung sowie Denkanstöße geben beziehungsweise Lösungsansätze aufzeigen. Sie können mithilfe dieses Ratgebers die Besprechung mit dem Anwalt optimal vorbereiten und dadurch die Angelegenheit eventuell kostengünstig gestalten.
Bedenken Sie, dass jede Trennungsphase auch mit einer neuen Lebenschance verbunden ist, und nicht jede Veränderung der Lebenssituation ist schlecht. Versuchen Sie, sich mit den zu regelnden Angelegenheiten zeitnah aktiv auseinanderzusetzen, um schnellstmöglich Lösungsmöglichkeiten zu schaffen.
Die Rechtsprechung und die Gesetze ändern sich immer wieder. Bitte informieren Sie sich daher, ob die in diesem Ratgeber benannten Bestimmungen so noch zutreffend sind.
Das neue Unterhaltsrecht, das in diesem Buch ebenfalls abgehandelt wird, sollte zum 1.7.2007 in Kraft treten. Aufgrund eines neuen Bundesverfassungsgerichtsurteils wurde die Reform jedoch erneut verschoben. Der tatsächliche Zeitpunkt des Inkrafttretens ist noch nicht bekannt. Es werden sich aber nur geringfügige Änderungen zu den bisher vorliegenden Reformbestimmungen ergeben. Lediglich hinsichtlich der Rangfolge wird gegebenenfalls eine Nachbesserung erfolgen.
Sie finden in den einzelnen Kapiteln eine rechtliche Darstellung und entsprechende Tipps sowie zahlreiche Hinweise zu Dingen, auf die Sie besonders achten sollten.
 
 
Christine Haaser
 
Fachanwältin für Familienrecht

DIE TRENNUNG
Haben Sie sich zur Trennung entschlossen, sollten Sie unverzüglich folgende Punkte regeln:
• Ehewohnung
• Hausrat (Nutzung)
• Ehegattenunterhalt
• Vorsorgeunterhalt (Rentenbeiträge/Krankenversicherungsbeiträge)
• Verbindlichkeiten, Kontovollmachten
• Steuerrückerstattungen/-vorauszahlungen
• Darlegung der Einkommen zur Berechnung von Kindes- und Ehegattenunterhalt
• Mitteilungspflicht gegenüber dem Ehegatten über die Änderung der Einkommens- und sonstigen Verhältnisse
• Versicherungsrechtliche Fragen
• Erbrechtliche Fragen
Bei gemeinsamen Kindern stellen sich darüber hinaus folgende Fragen:
• Elterliche Sorge/Aufenthaltsbestimmungsrecht
• Umgangsrecht
• Kindesunterhalt
Im Kapitel »Der Ehevertrag« (Seite 128ff.) finden Sie nähere Ausführungen dazu, wie diese Punkte im Rahmen einer Trennungsvereinbarung geregelt werden können, sowie ein entsprechendes Muster.

Die Trennungszeit

Der Gesetzgeber verlangt grundsätzlich eine Trennungszeit von einem Jahr, bevor eine Ehe geschieden werden kann. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass die Scheidung unüberlegt, zum Beispiel aus einem Streit heraus, eingereicht wird. Doch Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel (siehe Seite 64ff.).

Wann ist eine Trennung eine Trennung?

Eine Trennung im rechtlichen Sinn bedeutet, dass die Ehepartner, die nicht mehr zusammenleben wollen, eine Trennung von »Tisch und Bett« herbeiführen. Trennung vom Tisch heißt, dass Sie keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr einnehmen und jeder seine eigene Hausarbeit (waschen, bügeln, kochen etc.) vornimmt. Die Lebensmittel hat jeder von Ihnen selbst zu besorgen und sie sind getrennt voneinander aufzubewahren. Die Trennung vom Bett bedeutet, dass Sie nicht mehr sexuell miteinander verkehren dürfen. Sinnvollerweise übernachten Sie in getrennten Zimmern.
In der Regel zieht entweder einer der beiden Eheleute aus der gemeinsamen Wohnung aus oder diese wird insgesamt aufgegeben, und beide suchen sich etwas Neues. Grundsätzlich ist es aber auch möglich, eine Trennung innerhalb der Ehewohnung durchzuführen, denn nicht immer lassen es die Einkommensverhältnisse zu, zwei Mieten zu bezahlen. In diesem Fall sollten Sie jedoch streng darauf achten, dass die Trennung auch nach außen hin deutlich sichtbar wird. Die Gerichte gehen nämlich davon aus, dass trotz Trennungswillen kein Getrenntleben vorliegt, wenn der gemeinsame Haushalt – zum Beispiel im Interesse der Kinder – wie in der Vergangenheit weitergeführt wird. So urteilte zuletzt das Oberlandesgericht Stuttgart (Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2002, Seite 239).
 
Tipp: Sollte es nicht möglich sein, eine räumliche Trennung durch zwei Wohnungen herbeizuführen, handhaben Sie das Getrenntleben in einer Wohnung so strikt wie möglich. Tun Sie das nicht, geraten Sie im Zweifel in erhebliche Beweisschwierigkeiten, die dazu führen können, dass sich die Scheidung erheblich verzögert oder der Scheidungsantrag zurückgewiesen wird.
 
Auch wenn es grundsätzlich nicht erforderlich ist, den Beginn gerichtlich feststellen zu lassen, so ist es doch sinnvoll, den Beginn der Trennung schriftlich zu dokumentieren, damit es später keinen Streit über den Trennungszeitpunkt gibt. Dazu genügt ein Schreiben, in dem beide Eheleute bestätigen, dass sie sich getrennt haben. Sind Sie bereits anwaltlich vertreten, so können Sie Ihren Anwalt/Ihre Anwältin bitten, Ihrem Partner schriftlich mitzuteilen, dass Sie sich dauerhaft von ihm getrennt haben.

Der Versöhnungsversuch und seine Auswirkungen

Ein während der Trennungszeit unternommener Versöhnungsversuch hat keine Auswirkungen auf den Trennungszeitraum. Die Parteien können hierfür auch kurzfristig wieder zusammenleben, der Lauf der Trennungszeit wird dadurch nicht unterbrochen. Erst wenn der Versöhnungsversuch länger als 2 bis 3 Monate dauert, beginnt das Trennungsjahr erneut zu laufen.
Und es darf natürlich keine echte Versöhnung geben. Das wäre der Fall, wenn beide Ehepartner übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen, dass sie sich wieder versöhnt haben und den gemeinsamen Lebensweg fortsetzen wollen. Trennen Sie sich danach erneut, beginnt das Trennungsjahr von vorn.
 
Tipp: Sehen Sie noch eine Chance, Ihre Beziehung zu retten, können Sie ruhig einen Versöhnungsversuch wagen. Im Zweifel muss nämlich Ihr Ehepartner beweisen, dass eine echte Versöhnung stattgefunden und damit die Trennungsfrist erneut zu laufen begonnen hat. Dies dürfte ihm sehr schwerfallen, wenn Sie anderer Auffassung sind, beziehungsweise nie ernsthaft die Lebensgemeinschaft fortsetzen wollten.

Worauf Sie achten sollten

Steht der Trennungsentschluss fest, sollten Sie gemeinsame Konten umgehend auflösen und eventuell erteilte Kontovollmachten widerrufen. Setzen Sie sich mit Ihrer Bank in Verbindung und teilen Sie ihr am besten schriftlich mit, dass Sie sich getrennt haben. Ihr Ehepartner könnte ansonsten das Konto plündern oder gar überziehen, und Sie würden für die Überziehung mithaften. Denken Sie auch daran, die EC- und Kreditkarten sperren zu lassen.
Eigene Sparbücher nehmen Sie unverzüglich an sich, damit das Geld nicht zu Ihren Lasten verbraucht wird. Allerdings sollten Sie das Geld ebenfalls nicht ausgeben, es sei denn, Sie müssen davon Ihren Lebensunterhalt bestreiten. Zum einen kann es sein, dass Sie im Rahmen des Zugewinns dafür einen Ausgleich zu leisten haben, und zum anderen ist es immer gut, ein kleines Polster zu haben – insbesondere, wenn Sie unterhaltsberechtigt sind und damit zu rechnen ist, dass Ihr Ehepartner nicht gleich bezahlen wird.
Sie sollten auch alle wichtigen Dokumente, die Sie und Ihre Kinder betreffen, an sich nehmen.
Ein Punkt, der gern übersehen wird, sind Lebensversicherungen, bei denen der Ehepartner als Begünstigter benannt ist. Möchten Sie dies ändern, müssen Sie die Bezugsberechtigung schriftlich gegenüber Ihrer Versicherung widerrufen beziehungsweise ändern. Haben Sie Kinder und wollen Sie, dass ausschließlich die Kinder begünstigt sind, sollten Sie auch daran denken, die Vermögensfürsorge für die Kinder zu regeln. Das bedeutet, dass sich eine Person Ihres Vertrauens um das Vermögen der Kinder kümmert, wenn Ihnen etwas zustoßen sollte. Treffen Sie keine Regelung, so kann Ihr Ehepartner im Rahmen des Sorgerechts wieder über die Versicherungssumme verfügen.

Die elterliche Sorge

Da die elterliche Sorge bei der Trennung und der Scheidung gleich behandelt wird, finden Sie alles Wissenswerte dazu bereits an dieser Stelle.
Kinder sind bei jeder Trennungsauseinandersetzung ein sehr heikler und emotionaler Punkt. Nicht selten versuchen die Eltern, ihre Streitigkeiten und die dadurch erlebten Verletzungen über die Kinder auszutragen oder über sie Druck auf den getrennt lebenden Partner auszuüben. Aufgrund der oft doch sehr hohen Unterhaltszahlungen, die geleistet werden müssen, ist die Auseinandersetzung um das Sorgerecht für die Kinder auch eine Auseinandersetzung um das Thema »Geld«.
ACHTUNG
Egal, wie sehr Ihr Partner/Ihre Partnerin Sie auch verletzt haben mag, missbrauchen Sie Ihre Kinder niemals als Spielball – sie leiden so schon unter der Trennung. Nehmen Sie deshalb auch nur wirklich absolut notwendige Veränderungen vor und versuchen Sie, die Kinder so weit wie irgend möglich aus Ihrer Auseinandersetzung herauszuhalten.

Wem steht die elterliche Sorge zu?

Musste das Gericht bis 1998 in einem Scheidungsverfahren einem Ehepartner das alleinige Sorgerecht übertragen, steht dieses nach dem Kindschaftsreformgesetz heute grundsätzlich beiden Elternteilen gemeinsam zu. Wollen die Parteien allerdings, dass ein Elternteil das alleinige Sorgerecht erhält, so ist das Gericht an diesen Wunsch gebunden. Nur wenn es aus irgendwelchen Gründen das Wohl des Kindes/der Kinder gefährdet sieht, wird das Gericht die Übertragung nicht anordnen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Ehepartner, der das alleinige Sorgerecht erhalten soll, alkoholabhängig ist. In der Regel jedoch wird das Gericht dem Willen der Parteien entsprechen.

Die gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung/Scheidung

Die Angelegenheiten des täglichen Lebens unterliegen grundsätzlich der alleinigen Entscheidungsbefugnis desjenigen Elternteils, bei dem sich das Kind mit der Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält. Dies gilt auch für den Elternteil, bei dem sich das Kind nur zu Besuchszwecken befindet.
Bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung hingegen ist immer die Zustimmung beider sorgeberechtigter Elternteile erforderlich. Angelegenheiten sind dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.
Hierbei sind auch immer die individuellen Verhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen. Das Oberlandesgericht Köln (Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1999, Seite 249) sah in einem zweiwöchigen Ferienaufenthalt eines dreijährigen Kindes in Ägypten eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Bei einem älteren Kind oder anderen familiären Verhältnissen (bereits wiederholte Ferienaufenthalte der Kinder im außereuropäischen Ausland) kann die Bewertung des Sachverhaltes anders ausfallen (OLG Karlsruhe, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2002, Seite 1272).
Durch diese Beschränkung der Zustimmung beider Elternteile auf Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung möchte man vermeiden, dass die Parteien sich ständig über Detailfragen der Betreuung und Erziehung auseinandersetzen müssen. Auf der anderen Seite wollte der Gesetzgeber mit der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge insbesondere den Vätern das Gefühl geben, auch weiterhin in wichtige Entscheidungen, welche die Kinder betreffen, einbezogen zu sein.
Wesentliche Angelegenheiten, über die Sie sich bei der Ausübung des gemeinsamen Sorgerechtes einigen müssen sind:
• Schulentscheidungen (Welche Schule besucht unser Kind?)
• Berufsentscheidungen (Welcher Beruf soll ausgeübt werden?) und die damit zusammenhängende Unterzeichnung von Ausbildungsverträgen
• Wesentliche ärztliche Behandlungen, zum Beispiel operative Eingriffe
• Finanzielle Regelungen, zum Beispiel Kontoeröffnungen
• Umzüge
• Auslandsaufenthalte
Gelingt es Ihnen nicht, sich zu einigen, muss gegebenenfalls eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Allerdings sollten Sie im Interesse Ihrer Kinder stets versuchen – gegebenenfalls mithilfe des Jugendamts oder entsprechender Beratungsstellen -, eine außergerichtliche Lösung zu finden. Eine Klage sollte immer der letztmögliche Weg sein.
Ist diese jedoch unumgänglich, hängt es von der Formulierung des konkreten Klageantrags ab, worüber das Gericht eine Entscheidung treffen soll. Im Einzelfall kann das zum Beispiel nur der Antrag auf Zustimmung zum Besuch einer bestimmten Schule sein. Genauso kann aber auch ein umfassender Sorgerechtsübertragungsantrag gestellt werden. Dieser führt jedoch nicht zwangsläufig zur Übertragung der elterlichen Sorge auf einen der beiden Elternteile. Die Gerichte sind vielmehr angehalten, eine Sorgerechtsübertragung nur dann vorzunehmen, wenn diese unumgänglich erscheint, also beispielsweise wenn in Streitfällen keine Einigungsmöglichkeit im Interesse der Kinder besteht.
 
Tipp: Vergessen Sie nicht, dass Sie jederzeit Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt haben. Sie finden dort entsprechend geschultes Fachpersonal, das ständig mit schwierigen Trennungssituationen konfrontiert ist. Oftmals reicht schon ein Gespräch mit einem neutralen Dritten, der die Dinge objektiver und weniger emotional sieht, um gemeinsam eine für alle tragbare Lösung zu finden. Der Gang zum Gericht sollte im Interesse Ihrer Kinder immer die letzte Alternative sein.

Wer erhält im Zweifel das Sorgerecht?

Sollte eine Sorgerechtsübertragung aus welchen Gründen auch immer unumgänglich sein, so prüft das Gericht anhand von objektiven Maßstäben das Kindeswohl. Diese sind:
Förderungsprinzip: Bei welchem Elternteil findet das Kind voraussichtlich die besten Entwicklungsbedingungen vor? In dieser Hinsicht von Bedeutung sind die Erziehungsfähigkeit der Eltern, ihre Persönlichkeit sowie die äußeren Lebensumstände.
Kontinuitätsprinzip: Hier kommt es auf die Frage an, welcher Elternteil in der Vergangenheit den größeren Erziehungsanteil hatte. Durch die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen soll eine gesunde und stabile psychologische Entwicklung des Kindes gewährleistet werden. Es empfiehlt sich deshalb eine Sorgerechtsübertragung auf den Elternteil, der die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehung gewährleisten kann. Achtung: Hierbei wird besonders berücksichtigt, wo die Kinder seit der Trennung leben. Das Belassen beim Ehepartner kann Ihnen im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens also durchaus negativ angerechnet werden.
Bindung an die Eltern: Hierbei wird geprüft, zu welchem Elternteil das Kind die gefühlsmäßig stärkere Bindung hat. Dieses Kriterium hat bei Kleinkindern (Babys) einen höheren Stellenwert als bei den älteren Kindern.
Bindung an Geschwister: Geschwister sollen im Normalfall nicht getrennt werden. Für die Entwicklung der Kinder ist es wichtig, dass sie zusammen aufwachsen und erzogen werden. Des Weiteren vermittelt ihnen das Zusammenleben mit den Geschwistern und einem Elternteil das Gefühl einer fortbestehenden Gemeinschaft. Es sind jedoch auch Ausnahmefälle denkbar, bei denen es sehr wohl ratsam ist, die Geschwister zu trennen. Dies ist beispielsweise bei ständigen körperlichen Auseinandersetzungen der Fall, die das »normale Maß« bei Weitem übersteigen.
Sonstige Bindungen: Ebenfalls eine Rolle spielt das sonstige soziale Umfeld wie Schule, Kindergarten, Vereine, Freunde etc.
Wille des Kindes: Je älter das Kind ist, desto stärker wird sein Wille berücksichtigt. Ein Kind, welches das 14. Lebensjahr vollendet hat, hat ein Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die Eltern ihre Vorstellung von der Sorgerechtsregelung nach der Trennung oder Scheidung nicht verwirklichen können. Kinder werden in aller Regel ab dem Alter von 4 Jahren angehört.
Diese Prüfungsmaßstäbe stellen jedoch lediglich eine allgemeine Orientierung dar. Jede Sorgerechtsentscheidung ist eine Einzelfallentscheidung, für die sich die Gerichte sehr viel Zeit nehmen und immer auch eine Stellungnahme des Jugendamts hinzuziehen.
 
Tipp: Ist eine Sorgerechtsentscheidung unumgänglich, sollten Sie sich sehr früh mit dem zuständigen Jugendamt in Verbindung setzen. Suchen Sie ein persönliches Gespräch und zeigen Sie stets Ihre Kompromissbereitschaft. Versuchen Sie, viel Zeit mit Ihren Kindern zu verbringen und bedenken Sie, dass ein solches Verfahren eine enorme Belastung für sie darstellt.
 
Das Kindschaftsreformgesetz vom 1.7.1998 hat die Stellung des Kindes erheblich gestärkt. Eheliche und nicht ehelich geborene Kinder sind seither gleichgestellt. Nach dem neuen Kindschaftsrecht kann für das Kind sogar ein eigener Interessenvertreter, der sogenannte Anwalt des Kindes bestellt werden. Er vertritt ausschließlich die Interessen des Kindes im gesamten Verfahren.
Ungeklärt ist noch, ob die Eltern, die vor dem Kindschaftsreformgesetz zwingend von der gemeinsamen Sorge ausgeschlossen wurden, ein Abänderungsverfahren in die Wege leiten können, das ihnen zusammen mit dem andern Elternteil ein gemeinsames Sorgerecht zugesteht. Hier entscheiden die Gerichte sehr unterschiedlich, die Tendenz geht jedoch dahin, dass die Gesetzesänderung eine solche Überprüfungsmöglichkeit schafft.

Der Tod eines Elternteils

Bei gemeinsamer elterlicher Sorge geht das alleinige Sorgerecht in diesem Fall automatisch auf den überlebenden Elternteil über. Hatte der verstorbene Elternteil hingegen das alleinige Sorgerecht inne, so geht das Sorgerecht nicht automatisch auf den andern Elternteil über. Dieser muss vielmehr einen Antrag beim zuständigen Familiengericht stellen. In aller Regel werden die Familiengerichte dem jedoch zustimmen.
Probleme kann es geben, wenn die Kinder nahezu keinerlei Kontakt zu dem überlebenden Elternteil haben und zum neuen Ehegatten des verstorbenen Elternteils eine sehr innige Bindung besteht. Der Ehegatte des verstorbenen Elternteils kann in einem solchen Fall das Sorgerecht gegen den Willen des anderen Elternteils beantragen. Er muss hierbei darlegen, dass das Kindeswohl durch eine Sorgerechtsübertragung auf den leiblichen Elternteil erheblich gefährdet wäre. Unter Umständen hat auch der nichteheliche Lebensgefährte des verstorbenen Ehegatten die Möglichkeit, eine solche Sorgerechtsübertragung zu beantragen. Entscheidend ist immer das Kindeswohl.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht

Sind Sie sich grundsätzlich über das Sorgerecht einig, finden aber keine Einigung darüber, bei wem die Kinder sich schwerpunktmäßig aufhalten sollen, können Sie einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts stellen. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist Teil des Sorgerechts. Der Prüfungsumfang entspricht dem des Sorgerechtsverfahren (siehe Seite 15f.).
Wohnen Sie beide am gleichen Ort, sollten Sie auch über alternative Regelungen nachdenken. So könnte ein wochenweiser Wechsel infrage kommen, oder eine Regelung, bei der die Kinder bei einem Elternteil übernachten und sich bei dem andern am Nachmittag nach der Schule oder dem Kindergarten aufhalten. Sie sind bei Ihrer Vereinbarung völlig frei, sollten jedoch auf eine gewisse Kontinuität achten, da Kinder einen festen Rahmen brauchen. Können Sie keine Übereinkunft erzielen, wird es sehr schwierig, eine solche Regelung bei Gericht durchzusetzen. Denn diese tendieren in der Regel zur klassischen Lösung: Die Kinder sind bei einem Elternteil und haben das Recht, sich alle 14 Tage von Freitagabend bis Sonntagabend beim anderen Elternteil aufzuhalten.
 
Tipp: Ein Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts kann auch dann in Betracht kommen, wenn zu befürchten ist, dass ein Ehegatte das Kind ins Ausland schaffen möchte (siehe auch Kapitel »Umgangsregelungen im internationalen Recht«, Seite 20 sowie den entsprechenden Musterantrag, Seite 21f.).

Das Umgangsrecht

Der Ehegatte, bei dem die Kinder sich üblicherweise nicht aufhalten, hat ein Recht auf Umgang mit seinen Kindern. Dieser wird – wenn keine anderweitigen Regelungen getroffen wurden – alle 14 Tage am Wochenende gewährt.
Mit dem Kindschaftsreformgesetz ist das Umgangsrecht wesentlich verändert worden. Es ist nicht als Elternrecht gestaltet, sondern als Recht des Kindes. »Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil.« (§ 1648 I 1. HS BGB) Zudem haben wichtige Bezugspersonen des Kindes jetzt ein eigenes Recht auf Umgang mit dem Kind. Das gilt nicht nur für die Großeltern und Geschwister, sondern auch für andere enge Bezugspersonen wie zum Beispiel den ehemaligen Lebensgefährten, der kein leiblicher Elternteil des Kindes ist. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sie tatsächlich Verantwortung für das Kind tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung). So soll insbesondere den modernen Patchwork-Familien Rechnung getragen werden.
Auch beim Umgangsrecht steht das Wohl des Kindes an oberster Stelle. Und für die Entwicklung eines Kindes ist es in aller Regel erforderlich, den Umgang mit dem jeweils andern Elternteil zuzulassen. Deshalb kann es sich sehr negativ auswirken, wenn Sie ständig das Umgangsrecht untergraben. Andererseits ist es sehr schwierig, ein Umgangsrecht durchzusetzen. Der berechtigte Elternteil müsste mittels Gerichtsvollzieher und gegebenenfalls Polizei das Kind zwangsweise von dem anderen Elternteil wegholen, um sein nicht erhaltenes Umgangsrecht zu bekommen. Das macht in der Regel – vor allem aus Rücksicht auf das Kind – niemand.
Trotzdem ist es nicht zu empfehlen, das Umgangsrecht des andern Elternteils zu boykottieren. Versuchen Sie, sich an getroffene Vereinbarungen zu halten, und ermöglichen Sie eine Übergabe der Kinder mit entsprechender Ausrüstung (Kleidung, Zahnbürste etc.) zum vereinbarten Abholtermin. Sie sind jedoch nicht verpflichtet, unangemessen lange zu warten. Sollte Ihr getrennt lebender/geschiedener Partner ständig unpünktlich sein, so können Sie ohne Bedenken eine halbe Stunde nach dem vereinbarten Zeitpunkt das Haus verlassen. Aber auch hier sollten Sie im Interesse der Kinder versuchen, mit dem anderen Elternteil eine vernünftige Regelung zu finden. Empfohlen wird ein 14-tägiges Umgangsrecht von entweder Freitagabend 18.00 Uhr oder Samstagmorgen 9.00 Uhr bis Sonntagabend 18.00 Uhr. Die Gerichte legen üblicherweise eine dementsprechende Umgangsregelung fest. Zu der Wochenendregelung wird zudem eine Feiertags- und Ferienregelung getroffen. Bei kleineren Kindern wird die Verweildauer häufig auf einen Tag alle zwei Wochen, gegebenenfalls auch nur auf einige Stunden festgesetzt.
ACHTUNG
Haben Sie das Umgangsrecht zu gewähren, so halten Sie die Kinder bitte zur vereinbarten Abholzeit bereit und seien Sie zur vereinbarten Rückbringzeit wieder zu Hause. Sind Sie der Elternteil, dem das Umgangsrecht zusteht, der sogenannte Umgangsberechtigte, so halten Sie sich an vereinbarte Abhol- und Bringzeiten.
Dem Elternteil, bei dem das Kind nicht ständig lebt, steht grundsätzlich das Recht zu, das Kind allein zu sehen und zu sich zu nehmen. Es besteht auch die Berechtigung, das Kind mit zu den Großeltern und sonstigen Verwandten und Bekannten zu nehmen. Darin eingeschlossen ist das Recht, das Kind zum neuen Lebenspartner mitzunehmen. Allerdings immer nur so lange und soweit es dem Kindeswohl nicht schadet.
Ältere Kinder (im fortgeschrittenen Teenie-Alter) gestalten ihr Umgangsrecht mit dem anderen Elternteil meist selbst und stimmen die Termine mit ihren eigenen ab. Nicht selten lehnen sie eine strickte Umgangsregelung ab. Und es hat keinen Sinn, die Kinder zu irgendetwas zu zwingen. Allerdings sollten Sie beide die Besuchskontakte fördern und ermöglichen.
Leider kommt es immer wieder vor, dass der verlassene Elternteil versucht, den anderen Elternteil bei den Kindern schlecht zu machen oder die Besuchskontakte zu verhindern. Im Rahmen des neuen Kindschaftsreformgesetzes können allerdings Zwangsmittel gegen den Elternteil angeordnet werden, der den Kontakt bewusst blockiert. Als Zwangsmittel kommen Zwangsgeld, Zwangshaft und die Anwendung von Gewalt (bei der Herausgabe einer Person) in Betracht. Bei der Auswahl des Zwangsmittels muss das Gericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. In besonders schwerwiegenden Fällen kann dies sogar zum Sorgerechtsentzug führen.
Das Umgangsrecht wird in aller Regel so ausgeübt, dass Sie als Umgangsberechtigter /-verpflichteter die Kinder abzuholen und zurückzubringen haben. Für die Ausübung des Umgangsrechts können so sehr hohe Kosten entstehen, insbesondere dann, wenn große Entfernungen zu überwinden sind.
 
Tipp: Bisher konnten die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts steuerlich nicht geltend gemacht werden. Aufgrund einer neuen Finanzgerichtsentscheidung (Finanzgericht Hessen) können Sie diese Kosten jedoch nunmehr als außergewöhnlihe Belastungen (Sonderausgaben) in Ihrer Einkommensteuererklärung ansetzen. Diese Entscheidung ist allerdings noch nicht vom Bundesfinanzgerichtshof bestätigt worden.

Umgangsregelungen im internationalen Recht

Immer mehr Ehen werden mit einem ausländischen Partner geschlossen. Gehen aus einer solchen Partnerschaft Kinder hervor, so werden die zu regelnden Umgangsrechtskonflikte durch die komplizierte und teils unvollständige Materie der internationalen Regelungen noch viel schwieriger.
Zudem kommt es leider sehr häufig vor, dass der ausländische Partner versucht, die Kinder ins Ausland zu bringen. Zwar besteht mit einigen Staaten ein sogenanntes Rückführungsabkommen und damit – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, das Kind wieder zurückzuholen, besser ist jedoch, Sie ergreifen rechtzeitig Schutzmaßnahmen.
Steht eine Trennung mit einem ausländischen Partner im Raum und ist zu befürchten, dass er zusammen mit den Kindern zurück in sein Heimatland möchte, so sollten Sie die Pässe der Kinder an sich nehmen und unverzüglich einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf Sie stellen beziehungsweise einen Anwalt aufsuchen, der sofort entsprechende Schutzmaßnahmen bei Gericht erwirkt. Allerdings muss ein konkreter Anhaltspunkt vorliegen, dass Ihr Ehepartner die Kinder ins Ausland verbringen möchte. Es ist zumindest erforderlich, dass der Elternteil, bei dem die Kinder nicht dauerhaft leben, der sogenannte Umgangselternteil, mit einer solchen Entführung gedroht, beziehungsweise früher einmal eine Entführung versucht hat, oder dass eine Streitigkeit um die Rückführung des Kindes besteht.
MUSTER
Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit Anweisung an die Grenzbehörden, die Ausreise des Kindes zu verhindern
 
Hauptsacheantrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Antrag auf Erlass einer vorläufigen Anordnung
 
(Ihr Name, Adresse)
- Antragsteller-
 
gegen
 
(Name des Ehepartners, Adresse)
- Antragsgegner -
 
Namens und im Auftrag des Antragstellers beantrage ich:
1. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter der Parteien Jana, geb. am 1.2.2002, zu übertragen. (Name und Geburtstag des Kindes sind frei erfunden und entsprechend abzuändern.)
2. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, das gemeinsame Kind der Parteien, Jana, geb. am 1.2.2002, an den Antragsteller herauszugeben.
3. Dem Antragsgegner (und gegebenenfalls jeder dritten Person, bei der sich das Kind aufhält) wird untersagt, das Kind außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen.
4. Die Grenzbehörden der Bundesrepublik Deutschland und die Behörden der Schengener Vertragsstaaten werden im Wege der Amtshilfe ersucht, die Ausreise des Kindes zu verhindern.
5. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird durch das Gericht beauftragt, das Kind Jana dem Antragsgegner wegzunehmen und dem Antragsteller zuzuführen. Er hat dabei für die Anwesenheit eines Mitarbeiters des zuständigen Jugendamtes zu sorgen § 50 I 2 KJHG SGB VIII).
6. Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, zur Durchsetzung der Kindesherausgabe Gewalt anzuwenden, gegebenenfalls die Wohnung zu durchsuchen und Polizeikräfte zu seiner Unterstützung heranzuziehen.
Die Zwangsvollstreckung aus diesem Beschluss findet ohne Erteilung einer Vollstreckungsklausel statt (§ 16 I FGG).
 
Weiterhin beantrage ich, im Wege der vorläufigen Anordnung wegen der Dringlichkeit der Sache ohne vorherige mündliche Verhandlung zu beschließen
 
(Wiederholung des Antrags)
 
Begründung:
 
(Hier sind der jeweilige Sachverhalt und die Gefährdung genau darzulegen und die geplante Verbringung mittels Zeugen beziehungsweise mittels eidesstattlicher Versicherung zu bestätigen. Die Rechtspfleger sind bei Antragstellung behilflich.)