DR. SARAH E. HILL
Wie uns die Pille verändert
Die überraschenden Auswirkungen auf unser Denken
und Fühlen, den Körper und unsere Beziehungen
Alles, was Frauen über die Antibabypille
wissen müssen
Aus dem Amerikanischen
von Wibke Kuhn
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel
»This Is Your Brain on Birth Control« bei Avery.
Alle Informationen in diesem Buch wurden sorgfältig geprüft und die Angaben zu Präparaten für die deutsche Ausgabe angepasst. Dennoch kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit aller Angaben übernehmen. Die Lektüre des Buchs kann eine eigenverantwortlich eingeholte und durchgeführte schulmedizinische Diagnose und Behandlung nicht ersetzen. Jegliche Haftung für Gesundheitsschäden ist daher ausgeschlossen.
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© 2019 by Sarah E. Hill
© der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Sophie Dahmen
Umschlaggestaltung und Motiv:
Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Herstellung: Helga Schörnig
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-23646-5
V001
www.heyne.de
FÜR DICH
INHALT
Vorwort
1. Teil – Sie Sind Biologie
1. Kapitel: Was ist eine Frau?
Die Antwort der Evolution auf eine philosophische Frage
2. Kapitel: Sie sind Ihre Hormone
Die Grundlagen, die Kontroversen und der Fisch mit den drei Geschlechtern
3. Kapitel: Sie in Ihrer fruchtbaren Zeit
Eine 28-tägige Fallstudie der weiblichen Sexualhormone
2. Teil – Wie Ihr Gehirn aussieht, wenn Sie die Pille nehmen
4. Kapitel: Hormone in Endlosschleife
Wie die Pille funktioniert und was für Wirkstoffe Ihr Präparat enthält
5. Kapitel: Sexyness liegt im Auge der Pillenschluckerin
Anziehungskraft und Partnerwahl bei hormoneller Verhütung
6. Kapitel: Sex mit Pille
Sexuelle Nebenwirkungen bei ihr und ihm
7. Kapitel: Der seltsame Fall des fehlenden Cortisols
Die Pille und Ihre Stressreaktion
8. Was schlägt uns so aufs Gemüt? 199
Ihre Stimmung auf Drogen
3. Teil – Das grosse Ganze
9. Kapitel: Das Gesetz der Unbeabsichtigten folgen
Die Auswirkungen der Pille auf die Körper anderer Leute
10. Kapitel: Warum hat mir das keiner gesagt?
Wettbewerb, Politik und Selbsttäuschung
11. Kapitel: Und jetzt? Ein Brief an meine Tochter
Pille oder nicht Pille? Das ist die Frage.
DANKSAGUNG
ANMERKUNGEN
STICHWORTREGISTER
QUELLENVERZEICHNIS
VORWORT
Ich will dieses Buch mit dem Versprechen beginnen, dass ich nichts im Schilde führe und keine heimlichen Absichten verfolge.
Obwohl … nein, das wäre gelogen. Niemand schreibt ein Buch, ohne etwas im Schilde zu führen. Also verfolge ich wahrscheinlich schon eine Absicht, aber vielleicht ist es nicht die, die Sie erwartet haben, als Sie ein Buch über Ihr Gehirn und die Pille in die Hand genommen haben. Das hier ist kein Buch, in dem ich Ihnen massenweise beängstigende Fakten über die Pille um die Ohren haue und Ihnen einzureden versuche, dass die Pille Ihnen bereits auf 763 verschiedene Arten das Gehirn geschrottet hat, die natürlich alle nicht wiedergutzumachen sind. Es ist auch kein Buch, in dem ich Ihnen erkläre, dass Sie die Pille gar nicht nehmen sollten beziehungsweise unmissverständlich andeute, dass Sie bei weiterer Einnahme der Pille für diese unkluge Entscheidung bezahlen werden, weil Sie nämlich Krebs kriegen, Sie Ihr Langzeitgedächtnis verlieren oder Ihnen ein Schwanz wächst.
So ein Buch wird das nicht.
Ich habe über zehn Jahre meines Lebens die Pille genommen, und ich bin ziemlich sicher, dass ich damit gut gefahren bin. In dieser Zeit konnte ich einen Summa-cum-laude-Abschluss am College machen (Streber!) und an einer der härtesten Unis des Landes in Psychologie promovieren (Superstreber!). Obwohl nun nicht jeder Lust hätte, seine frühen Zwanziger mit dieser Art von Ausbildungsmasochismus zu verbringen – ich habe es eben gemacht. Und die Pille hat mir dabei geholfen, ohne dass ich mir Sorgen machen musste, durch eine Schwangerschaft, für die ich noch gar nicht bereit war, plötzlich ins Aus zu geraten. Indem ich von den Konsequenzen meines Sexuallebens befreit wurde, spielte die Pille eine große Rolle bei meinem Projekt, den bestmöglichen Abschluss in meinem Fachgebiet zu erwerben, ein florierendes Forschungslabor aufzubauen und meine zwei Kinder zu bekommen, als ich dafür bereit war. Ich bin wahnsinnig dankbar für die Chance, das alles tun zu können, und ich bin ziemlich sicher, dass es mir viel schwerer gefallen wäre, wenn es die Pille nicht gegeben hätte. Ich schreibe dieses Buch also nicht, um Ihnen dieselbe Pille auszureden, die mich überhaupt erst in die Lage versetzt hat, dieses Buch zu schreiben. So ein Buch wird das nicht.
Aber es wird auch nicht die andere Art Buch werden, die Sie vielleicht erwarten. Ich werde Ihnen keine einseitige Liebesgeschichte erzählen, in der die Frauen und die Pille gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten und glücklich leben bis ans Ende ihrer Tage – das wäre vielleicht die andere Absicht, die Sie von einem Buch wie diesem erwarten könnten. Obwohl die Pille unheimlich viele tolle Dinge für die Frauen getan hat, werden Sie bald sehen, dass diese tollen Dinge ihren Preis haben. Und der ein oder andere Preis ist gar nicht ohne. Und am meisten muss es einen wohl beunruhigen, dass die meisten Frauen keine Ahnung haben, wie hoch der Preis eigentlich ist.
Ich habe es zumindest nicht gewusst.
Wissen Sie, Ihre Hormone sind nicht nur etwas, was Ihnen passiert, sie sind vielmehr ein Bestandteil von dem, was Sie zu der Person macht, die Sie sind. Sie sind buchstäblich Ihre Hormone. Und wenn Sie Ihre Hormone verändern – und genau das tun hormonelle Verhütungsmittel ja – verändern Sie die Version Ihrer Person, die Ihr Gehirn erschafft. Außerdem reicht die Wirkung der Pille weit über die kleine Auswahl erwünschter Effekte hinaus, wegen derer wir sie einnehmen. Sie beeinflusst alles. Und eine wachsende Zahl von psychologischen und neurowissenschaftlichen Studien belegt das. Man hat es Ihnen bis jetzt nur noch nicht erzählt. Und ich bin sicher, sobald Sie erst mal alles wissen, was ich erfahren habe, werden Sie mir zustimmen, dass wir in 100 Jahren auf unsere Ära zurückblicken und uns erschrocken fragen werden, wie man so nonchalant mit den Hormonen der Frauen umspringen konnte.
Obwohl noch nicht lange wissenschaftlich untersucht wird, wie die Pille die Frauen verändert, wissen wir genug, um Sie bei einer aufgeklärten Entscheidung zu unterstützen. Zunächst müssen Sie ein paar Dinge über die Funktionsweise Ihres Gehirns lernen und darüber, welche Rolle Ihre Hormone dabei spielen, Sie zu der Person zu machen, die Sie sind. Dann müssen Sie begreifen, was die Studien über diese ganzen von der Pille bewirkten Veränderungen aussagen. Ersteres war über 15 Jahre Gegenstand meiner Arbeit als Evolutionspsychologin mit dem Forschungsschwerpunkt Frauen und Gesundheit. Letzteres ist etwas, was ich erst kürzlich entdeckt habe, nachdem mich drei voneinander unabhängige Ereignisse auf meine wissenschaftliche Reise in die Welt der Gehirne hormonell verhütender Frauen geschickt haben. Wie sich herausgestellt hat, ist diese Reise in vielerlei Hinsicht die Geschichte meines Lebens als junge Erwachsene.
Es könnte auch Ihre sein.
Die drei unabhängigen Ereignisse
Wie die meisten guten Abenteuer begann auch meine Reise ganz unspektakulär, ohne dass mir klar war, dass sich hier etwas Wichtiges anbahnte. Es begann alles, als ich die Pille absetzte, eine Entscheidung, die ich im Grunde auf geräuschlose Art traf. Ich wusste, dass ich keine Kinder mehr wollte, deswegen entschieden mein Mann und ich uns für eine dauerhaftere Verhütungslösung. Da er Manns genug war, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, konnte ich die Pille wegwerfen, ohne viel nachzudenken.
Um Ihnen ein wenig Hintergrundinformation zu geben: An diesem Punkt hatte ich die Pille mehr oder weniger durchgehend für etwas über ein Jahrzehnt genommen. Hie und da hatte ich die Einnahme unterbrochen, aber nie sonderlich lang. Ich hatte sie abgesetzt, um schwanger zu werden, und nach jeder Schwangerschaft hatte ich sie ein Jahr lang nicht genommen, um stillen zu können. Ich kann diese Erfahrungen jedoch kaum als repräsentativ für meinen psychologischen Normalzustand betrachten, denn sie waren entweder von sehr kurzer Dauer (vor der Schwangerschaft) oder getrübt durch einen verwirrenden Cocktail aus Schlafmangel und postnatalen Hormonen (Stillen). Nichtsdestotrotz hätte ich nicht erwartet, dass sich meine Welt spürbar verändern würde, nachdem ich die Pille abgesetzt hatte. Ich dachte, die Konsequenzen würden sich nur auf meine Fähigkeit beschränken, jeden Monat ein Ei springen zu lassen.
Wie sich herausstellte, hatte ich mich gewaltig verschätzt.
Ein paar Monate nachdem ich die Pille abgesetzt hatte, merkte ich, dass ich mich … anders fühlte. Ich merkte es nicht, während es passierte, aber eines Tages stellte ich fest, dass mir mein Leben heller und interessanter vorkam. Als wäre ich aus einem zweidimensionalen Schwarz-Weiß-Film in eine durchgehend farbige, dreidimensionale, sinnvolle Realität getreten. Ich fing wieder an, Sport zu machen und zu kochen – das waren Dinge, die mir früher Spaß gemacht hatten, die ich aber vergessen hatte. Ich hatte mehr Energie. Mir fielen attraktive Männer auf. Ich achtete auf mein Aussehen, auf eine Art, wie ich es schon länger nicht mehr getan hatte. Ich fühlte mich einfach … lebendig. Komplett, lebhaft, herrlich, menschlich lebendig. Das passierte aber nicht alles auf einen Schlag. Mir war gar nicht bewusst, dass diese ganzen Veränderungen passierten, ich merkte es erst hinterher. Eines Tages wurde mir bewusst, dass ich mir im Grunde vorkam, als wäre ich aus einem fast zehn Jahre währenden Nickerchen aufgewacht, obwohl ich nicht mal gewusst hatte, dass ich eingeschlafen war.
Als ich über diese ganzen Veränderungen in mir nachdachte, tat ich das, was Frauen in solchen Situationen zu tun gelernt haben: Ich schrieb sie ab unter »Kopfgeburt«.1 Ich dachte schon irgendwie, dass es irgendwas damit zu tun gehabt haben könnte, dass ich die Pille abgesetzt hatte, aber es kam mir zu Science-Fiction-mäßig vor, dass meine Antibabypillen mir ein Gefühl gegeben haben sollten, als hätte ich mir eine andere Persönlichkeit transplantieren lassen. Ich dachte mir, dass das einfach nur wieder so was Komisches ist, was nur mir passiert, aber sonst keinem. Oder vielleicht war es einfach ein Nebeneffekt der Tatsache, dass ich über dreißig war oder jetzt mehr Sport machte. Ich legte meine Erfahrungen in einer Schublade mit der Aufschrift »seltsame Dinge, die Sarah passieren, wenn sie anfängt oder aufhört, ein Medikament zu nehmen« in meinem Gehirn ab und wandte meine Aufmerksamkeit wieder meinem Leben zu.
Das war Ereignis Nummer 1.2
Ungefähr ein Jahr vorgespult: Sie sehen mich auf einer Psychologiekonferenz im Fahrstuhl mit einer guten Freundin. Wir sind gerade dabei, uns alles Mögliche zu erzählen und uns über unsere Forschungsarbeit zu unterhalten, da fragt sie mich, ob ich diesen coolen neuen Aufsatz gelesen habe über die Pille und die romantischen/sexuellen Beziehungen der Frauen. Hatte ich nicht, und so erzählte sie mir, dass sich da ein paar interessante Unterschiede abzeichneten in der Zufriedenheit mit der Beziehung und der Scheidungsrate von Frauen, die die Pille nehmen, im Vergleich zu Frauen, die sie nicht nehmen. Wir werden in Kapitel 5 noch sehr viel gründlicher auf diese Studie zurückkommen, aber die Kernaussage kann ich Ihnen hier schon verraten: Wenn Frauen die Pille nehmen, wird dadurch ihre Wahl des Männertyps beeinflusst, ihre Zufriedenheit mit dem Partner und sogar die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung. Als wir aus dem Fahrstuhl stiegen, plauderten wir über die Ergebnisse, spekulierten, ob diese Erkenntnisse die Beziehungsdynamiken diverser Paare in unserem Bekanntenkreis erklären könnten (ja, so sieht das aus, wenn Nerds tratschen), und dann teilten wir unsere eigenen Erlebnisse in einem Leben mit beziehungsweise ohne hormonelle Verhütung.
Dieser Aufsatz, den ich beim Heimkommen gleich las, warf mich wirklich um. Belege dafür zu sehen, dass kleine Änderungen im individuellen Hormonhaushalt der Frauen Auswirkungen auf etwas so Großes, Übergreifendes wie die Scheidungsrate haben, ließ mich nicht mehr los. Ich konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ich war schon immer fasziniert, wenn Studien zeigen, welche Folgen unbeabsichtigte Wirkungen auf komplexe Verhaltenssysteme haben, und die Vorstellung, dass der Hormonhaushalt einzelner Frauen einen derartigen Einfluss auf kulturelle Muster in der ganzen Welt haben könnte, war einfach zu provokativ, um sie zu ignorieren. Dieser Aufsatz gehört in einem meiner Kurse jetzt zur Pflichtlektüre und hat neue Studien in meinem eigenen Labor inspiriert.
Das war Ereignis Nummer 2.
Das letzte von diesen drei nicht zusammenhängenden Ereignissen widerfuhr mir bei einer anderen Psychologiekonferenz, wieder ein Jahr später (ich kann Ihnen versichern, ich weiß auch noch andere Dinge mit meiner Zeit anzufangen). In diesem Fall hörte ich mir den Vortrag eines Forschungskollegen an, Dr. Bruce Ellis, über die Auswirkungen einer schwierigen Kindheit auf die Stressreaktion. Bruce’ Vortrag war aus einer Reihe von Gründen interessant, die ich hier aber nicht weiter anführen möchte (nachdem ich auf Dinnerpartys jahrelang meine Gesprächspartner in Narkose gelabert habe, weiß ich, dass »interessant« ein höchst subjektiver Ausdruck ist), aber vor allem eines ließ mein Gehirn jäh aufmerken: Bei Frauen, die die Pille nehmen, fehlt ein entscheidender Bestandteil der Stressreaktion – im Gegensatz zu jedem anderen gesunden Menschen auf der Welt.
Wir werden im 7. Kapitel noch sehr viel mehr darüber hören, auch darüber, warum das so wichtig ist. Vorerst müssen Sie einfach wissen, dass es eine ganz schön heftige Beobachtung ist, dass so etwas in einer ansonsten gesunden Person nicht stattfindet, und es kann gewaltige Auswirkungen haben auf Dinge wie Lernen und Gedächtnis, aber auch Angststörungen und Depressionen nach sich ziehen.
Aus irgendeinem Grund traf es mich wie ein Blitzschlag, als ich das hörte. Mein Kopf war im Handumdrehen geflutet von einer Erkenntnis nach der anderen, und schon verbanden sich klick-klick-klick diese ganzen scheinbar zusammenhangslosen Teile in meinem Kopf.
Die Antibabypille sind Hormone. Man hat Hormonrezeptoren im ganzen Körper. Das Gehirn strotzt nur so vor Hormonrezeptoren. Weibliche Sexualhormone beeinflussen Sex, Anziehungskraft, Stress, Hunger, Essgewohnheiten, Gefühlsregulierung, Freundschaften, Aggression, Stimmung, Lernen und noch vieles andere. Selbstverständlich hatte die Pille mich verändert. Selbstverständlich beeinflusst sie die Zufriedenheit in der Beziehung und die Scheidungsrate. Selbstverständlich beeinflusst sie die Stressreaktion. Die Pille enthält Hormone, und damit verändert sie den Menschen, der man ist. Die Pille verändert … alles.
Ich würde lügen, wenn ich Ihnen nicht gestehen würde, wie peinlich es mir ist, dass mir das bis zu diesem Moment nie aufgegangen war. Während ich eine Karriere darauf aufgebaut hatte, Antrieb, Anziehungskraft und, ja, sogar die Auswirkung weiblicher Hormone aufs Verhalten zu untersuchen, hatte ich bei der hormonellen Verhütung, die ich selbst über zehn Jahre meines Lebens benutzt hatte, einen riesigen blinden Fleck gehabt. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass mich die Pille verändert. Nachdem es mir als Psychologin nicht eingefallen ist, würde ich schätzen, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es Ihnen auch nie in den Sinn kam. Wenn Sie ähnlich gestrickt sind wie ich, haben Sie sich wahrscheinlich nur um einen Aspekt Sorgen gemacht, nämlich ob Sie von der Pille zunehmen. Oder einen Schlaganfall kriegen. Und wenn Sie ähnlich gestrickt sind wie ich, dann ist die Gewichtszunahme definitiv die beängstigendere dieser beiden Nebenwirkungen … Na ja, so beängstigend, wie man Dinge eben empfinden kann, wenn einem die Hälfte seiner Stressreaktion fehlt.
Sobald ich von dieser Konferenz nach Hause kam, begann ich zu recherchieren, ob es vielleicht eine Erklärung dafür geben könnte, wie ich mich fühlte, als ich die Pille absetzte. Ich wollte nachschauen, ob die Erfahrungen, die ich gemacht hatte, vielleicht in der wissenschaftlichen Literatur dokumentiert oder von anderen Frauen ebenso geschildert worden waren. Die Ergebnisse dieser Suche zeigten, dass ich nicht allein und meine Erlebnisse kein Einzelfall waren. Psychologen und Neurowissenschaftler veröffentlichen schon seit Jahren ihre Forschung zu diesen Themen. Aber ich hatte keine Ahnung, und ich nehme an, Sie genauso wenig. Die meisten Frauen haben nämlich überhaupt keinen Zugang zu Informationen darüber, was die Pille mit ihrem Gehirn anstellt. Die einzigen Informationen, die in der Welt kursieren, sind tief in den Seiten wissenschaftlicher Publikationen vergraben. Und so sind diese Artikel nicht nur völlig unzugänglich für alle, die nicht an Universitäten arbeiten (denn Abonnements dieser Fachzeitschriften sind unglaublich teuer), sondern obendrein oft voller Fachausdrücke und auch nicht immer so angenehm zu lesen (das Gehirn liest nicht gerne Dinge über sich selbst).
Ich schreibe dieses Buch, um diese ganzen Informationen für Sie zusammenzutragen und sie Ihnen so verständlich wie möglich zu präsentieren. Ich hoffe außerdem, dass Sie ein paar coole Sachen darüber lernen, wie weibliche Gehirne funktionieren, und ich Ihnen ein paar Gedanken über die Pille, Gesundheit und Leben unterbreiten kann. Ein Teil davon stammt aus Forschungsergebnissen meines eigenen Labors. Ein Teil stammt aus Studien, die in anderen Laboren durchgeführt wurden, von anderen Wissenschaftlern, denen ich vertraue und deren Arbeit ich respektiere. Ich werde Ihnen auch Geschichten aus meinem eigenen Leben erzählen und aus dem Leben anderer Frauen, die mir ihre Geschichten erzählt haben. Jede von uns hat es verdient, so viel wie möglich über die Medikamente zu erfahren, die wir in unseren Körper bringen, auch wenn die betreffenden Wirkungen nicht lebensbedrohlich sind (das ist die Frage, auf die sich die meisten medizinischen Studien konzentrieren). Einiges von dem, was ich Ihnen erzähle, wird Sie schockieren. Einiges wird einfach Dinge bestätigen, die Sie lange vermutet haben, aber wahrscheinlich für »Kopfgeburten« hielten.
Folgende Bereiche werden wir abdecken:
Ich werde Ihnen aber nicht nur Neues über Hormone, Frauen und ihre Veränderung durch hormonelle Verhütungsmittel erzählen. Ich werde Ihnen auch einen Einblick in die Wissenschaft geben und was es bedeutet, Studien zu Frauen anzustellen. Eine wichtige Lektion in diesem Buch lautet, dass wir bessere Labore brauchen, um sicherzustellen, dass sich die Forscher die Zeit nehmen, Frauen zu untersuchen (dieses Problem erstreckt sich auf die Forschung mit menschlichen Studienteilnehmern, Tieren und sogar Zellen!).3 Weibliche Untersuchungsobjekte und sogar weibliche Zelllinien (wobei Zelllinien grundsätzlich die ersten Studienobjekte sind, wenn neue Medikamente getestet werden oder man die Entwicklung von Krankheiten wie Krebs erforscht) waren und sind in der biomedizinischen Forschung unterrepräsentiert und zu wenig erforscht, obwohl man schon Reformen durchgesetzt hat, um sie häufiger in Studien einzubeziehen, die sich mit Problemen beider Geschlechter befassen. Wir müssen sicherstellen, dass die Wissenschaft sich weiterhin darum bemüht, Frauen bei solchen Studien zu berücksichtigen.
Ich schließe dieses Buch mit einem Brief an meine Tochter, der ihr helfen soll – genauso wie Ihnen –, eine mündige Entscheidung über ihre Verhütungsoptionen zu treffen, und zwar auf der Basis gründlicher Information. Ich werde die Informationen, die ich in den vorhergehenden Kapiteln vorgestellt habe, noch einmal aufführen und die zahlreichen Fragen durchgehen, die sich daraus ergeben. Sind wir mit Pille besser dran? Oder sollten wir uns nicht lieber Alternativen dafür überlegen, wie wir die Frauen von den biologischen Konsequenzen ihres sexuellen Verhaltens befreien können? Obwohl es keine klaren Antworten geben wird (und die Antwort wird auch für jede Frau anders ausfallen, je nach ihren persönlichen Zielen und Lebensumständen), hoffe ich doch, einen Dialog in Gang zu bringen – einen Dialog zwischen Frauen und Ärzten, Frauen und ihren Partnern, Frauen und ihren Freundinnen und Frauen und ihren Töchtern. Zu den tollsten Effekten, die es hatte, dieses Buch zu schreiben, gehören die ganzen Gespräche, die es ausgelöst hat. Diese Gespräche beginnen normalerweise mit einem »Ich will ja jetzt nicht zu weit unter die Gürtellinie gehen, aber …« oder »Ich hoffe, ich erzähl da jetzt nichts zu Intimes …« Und dann erzählen mir diese Frauen Geschichten, die ihrer Meinung nach reine »Kopfgeburten« sind. Ich hoffe, dass dieses Buch den Anstoß für viele weitere Gespräche dieser Art geben wird. Und hier noch eine Einstiegshilfe für Sie: Das ist jetzt vielleicht fast ein bisschen zu intim, aber …
Ein paar Anmerkungen zum Aufbau dieses Buchs
Ich habe dieses Buch in drei Teile gegliedert. Der erste Teil (»Sie sind Biologie«) handelt davon, was es in biologischer Hinsicht bedeutet, eine Frau zu sein. Ich werde Ihnen von Ihrem Gehirn erzählen, von Ihren Hormonen, und warum die Vorgänge der Evolution uns durch natürliche Selektion überhaupt erst anders gemacht haben als die Männer. Diese Kapitel sind so aufgebaut, dass Sie verstehen, wie Sie funktionieren und warum Sie so funktionieren. Obwohl Sie sich vielleicht wundern, warum ich Ihnen das alles in einem Buch über die Antibabypille erzähle – das alles ist von entscheidender Wichtigkeit. Wir springen viel zu leichtfertig mit unseren Hormonen um, und ich glaube einfach nach wie vor, dass wir viel sorgfältiger mit uns umgehen würden, wenn wir begreifen, wie wir funktionieren und warum. Sie müssen wissen, wie Ihr Gehirn funktioniert, Sie müssen wissen, wie Ihre Hormone in Ihrem Gehirn wirken, und Sie müssen wissen, wie sich das alles verändert, sobald Sie die Pille nehmen. Im ersten Abschnitt lege ich die Grundlagen für dieses Verständnis, und ich glaube, Sie werden feststellen, dass das zu den interessantesten Dingen gehört, die Sie jemals gelesen haben. Frauen sind noch viel interessanter, als Sie sich überhaupt vorstellen konnten.
Der zweite Abschnitt (»Wie Ihr Gehirn aussieht, wenn Sie die Pille nehmen«) dreht sich ganz darum, wie die Pille funktioniert und was wir über ihren Einfluss auf Gehirne und Leben der Frauen wissen. Ich werde Ihnen von den verschiedenen Arten von Hormonen erzählen, die in der Pille enthalten sind, und davon, wie die Pille Ihre Psyche beeinflusst – in Sachen Sexualität und Partnerwahl, Stressreaktion, Stimmung und noch vielem mehr, was in Ihrem Gehirn abläuft. Das sind alles Dinge, die die Psychologen zum Teil seit Jahrzehnten wissen, von denen Sie aber wahrscheinlich bis jetzt noch nie gehört haben. Ich werde Ihnen alles darlegen, was wir derzeit wissen, und Ihnen sagen, was wir erst noch erforschen müssen. Nachdem Sie diesen Abschnitt des Buches gelesen haben, werden Sie mit allen Informationen gewappnet sein, um eine gründlich aufgeklärte, mündige Entscheidung darüber zu treffen, ob die Pille das Richtige für Sie ist.
Der letzte Abschnitt (»Das Große Ganze«) deckt noch einige weiterführende Themen ab, die mit der Pille zusammenhängen. Zunächst werden wir darüber sprechen, inwiefern die Verhaltensänderungen der hormonell verhütenden Frauen weitreichende Konsequenzen für das Verhalten anderer haben können und damit Ehe, Schwangerschaft und Arbeitswelt beeinflussen. Dann werden wir darüber reden, warum Sie das alles bis jetzt noch nie gehört haben. Das ist schon ein ziemlich kompliziertes Thema. Ein Teil der Antwort ist politisch (den Leuten ist immer ein bisschen unwohl, wenn sie in einem Atemzug von »Frauen« und »Hormonen« sprechen sollen), zum Teil ist es auch praktisch bedingt (es ist keine leichte Aufgabe, die nötigen Studien zufriedenstellend durchzuführen, und Frauen sind komplizierte Forschungsobjekte), und zu guter Letzt liegt es auch daran, dass wir alle gern glauben möchten, die Frage der Geburtenkontrolle gelöst zu haben. Ungeachtet all dieser Gründe müssen wir die Wissenschaft unbedingt dazu anhalten, weiter zu forschen, damit wir mehr über Frauen und die für sie wichtigen Themen erfahren.
Für diejenigen unter Ihnen, die nicht ins Schema F passen
Der Großteil der Forschung, die ich in diesem Buch bespreche, konzentriert sich ausschließlich auf die Erfahrungen heterosexueller Cisgender-Frauen, weil sie normalerweise diejenigen sind, die die Pille nehmen. Obwohl manche Lesben, ebenso wie Transgender-Frauen und Transgender-Männer, die Pille nicht zum Zwecke der Empfängnisverhütung nehmen, ist die Forschung so weit noch nicht gediehen, dass sie auch diesen Gruppen gerecht werden könnte.
Wenn Sie jemand sind, der zufällig nicht in die sehr schmale Kategorie von Menschen fällt, die Forscher normalerweise bei Studien zur Pille untersuchen, bedeutet das noch lange nicht, dass Ihre Erfahrungen nicht wichtig wären. Das sind sie sehr wohl. Und ich hoffe, dass Sie aus den Ergebnissen, die ich Ihnen vorstelle, trotzdem noch Erkenntnisse für sich selbst gewinnen können. Wir alle weisen mehr Ähnlichkeiten auf als Unterschiede. Und das trifft auch auf diejenigen von uns zu, denen man den Großteil ihres Lebens das Gefühl gegeben hat, dass sie anders sind als alle anderen. Wir alle sind Menschen, und es gibt viele Erfahrungen, die jeder macht. Selbst wenn die Forschung, von der ich im Folgenden berichten werde, Sie nicht ganz miterfasst, seien Sie versichert, dass es auch für Sie einen Platz in diesen Erkenntnissen gibt. Denn die Forschung legt die Vermutung nahe, dass die Psychologie der Partnersuche bei Lesben und Transgender-Frauen nicht völlig anders funktioniert als bei ihren heterosexuellen Cisgender-Kolleginnen. Und in den Fällen, in denen Sie der Meinung sind, dass das Forscher-Establishment wichtige Unterschiede übersehen haben könnte, fordern Sie, dass die Wissenschaft sich mehr Mühe gibt. Ihre Geschichte ist auch wichtig. Ich hoffe jedenfalls, Sie werden auf den Seiten dieses Buches auch Teile Ihrer eigenen Geschichte wiederfinden.
Ich schreibe dieses Buch für Sie alle, um Ihnen ein Machtinstrument an die Hand zu geben. Um Sie mit den Erkenntnissen der jüngsten Forschung zur Pille zu bewaffnen, damit Sie auf der Grundlage dieser Fakten eine Entscheidung darüber treffen können, was Sie tun wollen und wer Sie sein wollen. Obwohl diese Forschung noch jung ist und es viel zu lernen gibt, ist es inakzeptabel, dass Sie noch länger in Unkenntnis dieser Tatsachen leben. Wir wissen schon zu viel, als dass Sie so wenig wissen sollten.
Aber jetzt wollen wir endlich anfangen. Es gibt eine Menge zu besprechen.
1. TEIL
SIE SIND BIOLOGIE