Cover

Das Buch

Lernen Sie, sich selbst zu schützen

Etwas stimmt in Ihrer Beziehung nicht, und Sie fragen sich:

Wenn Sie den Verdacht haben, dass sich Ihre Beziehung in eine ungesunde Richtung entwickelt hat, hilft dieser Ratgeber Ihnen, Ihre Situation klarer zu sehen. Mit Übungen, Checklisten und Fragebögen können Sie prüfen, ob Sie wirklich betroffen sind, bekommen Antworten auf schwierige Fragen und Hilfe dabei, wieder Selbstvertrauen und Zuversicht zu schöpfen.

Die Autorinnen

Jill Cory ist seit fast zwanzig Jahren im British Columbia Women’s Hospital & Health Centre tätig und bietet Workshops und Seminare zum Thema »Gewalt gegen Frauen« an. Sie hat Therapiegruppen für betroffene Frauen entwickelt und geleitet.

Karen McAndless-Davis hat selbst Gewalt in ihrer Ehe erlebt. Die Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe inspirierte sie dazu, ihre Erfahrung an andere Frauen weiterzugeben. Seit 18 Jahren bietet sie diese Beratung für Frauen an.

Jill Cory
Karen McAndless-Davis

Wenn der, den du liebst, dir wehtut

Hilfe bei seelischer und körperlicher
Gewalt in der Beziehung

Aus dem Amerikanischen
von Ursula Bischoff

Kösel

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel When Love hurts. A Woman’s Guide to Understanding Abuse in Relationships bei New American Library, Berkley, einem Imprint of Penguin Random House LLC.

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Deutsche Erstausgabe

Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © der Originalausgabe 2000, 2008,

2016 by Jill Cory and Karen McAndless-Davis

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with The Berkley Publishing Group, an Imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © plainpicture/Reilika Landen Bild NR. p971m1138051

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-21193-6
V002

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort

Warum wir dieses Buch geschrieben haben

Einführung

Allisons Geschichte

1. Ist mein Partner gewalttätig?

Bin ich ein Gewaltopfer?

Was stimmt nicht in meiner Beziehung?

Was hat mich damals zu ihm hingezogen?

Wie konnte es nur so weit kommen?

Was kann ich tun?

2. Wie ist der Kreislauf der Gewalt beschaffen?

Gibt es ein Muster hinter seinem Verhalten?

Warum beinhaltet die Phase der verstärkten Zuwendung keine echte Wende?

Wer hat die Kontrolle über den Kreislauf der Gewalt?

Folgt der Kreislauf der Gewalt immer dem gleichen Schema?

3. Wie erlebe ich den Kreislauf der Gewalt?

Warum sind meine Gefühle so zwiespältig?

Warum bringt mich die Zuwendungsphase um den Verstand?

Warum habe ich das Gefühl, wie auf Eiern zu gehen?

Warum ist der Gewaltausbruch so furchtbar?

Welche Erfahrungen habe ich mit dem Kreislauf der Gewalt?

4. Welche Formen von Gewalt gibt es?

Welchen Übergriffen bin ich ausgesetzt?

Wie entsteht das Rad der Macht und Kontrolle?

Welche Formen der Gewalt gibt es?

Welche Motive verbergen sich hinter seinem Verhalten?

Wie ist das Rad der Macht und Kontrolle in meiner Situation beschaffen?

Was ist, wenn ich Klarheit über das Rad der Macht und Kontrolle in meiner Beziehung gewonnen habe?

5. Wie wirkt sich die Gewalt auf mich aus?

Wie schwerwiegend ist die Gewalterfahrung?

Welche Auswirkungen hat die Gewalt?

Werde ich einer Gehirnwäsche unterzogen?

Heilt die Zeit alle Wunden?

6. Bin ich für die Gewalt in der Beziehung verantwortlich?

Liegt die Schuld bei mir?

Kann man mein Verhalten auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten?

Wer ist in Wirklichkeit für die Situation verantwortlich?

7. Warum ist mein Partner gewalttätig?

Warum ist mein Partner übergriffig?

Welche Überzeugungen haben gewalttätige Männer verinnerlicht?

Warum behandelt er mich nicht mit Respekt?

Können sich gewalttätige Männer ändern?

Was kann ich von meinem Partner erwarten?

8. Welche Auswirkungen hat die häusliche Gewalt auf meine Kinder?

Wie wirkt sich die Gewalt meines Partners auf meine Kinder aus?

Wie wirkt sich die Gewalt meines Partners auf meine Erziehungskompetenz aus?

Warum ergreifen die Kinder Partei für ihren Vater?

Wie kann ich den Kindern die Situation erklären?

Werden meine Kinder in ihren späteren Beziehungen ebenfalls Täter oder Opfer von Gewalt?

Wo finde ich als Mutter Hilfe und Unterstützung?

Bleiben oder gehen? Was ist das Beste für meine Kinder?

9. Wo finde ich Hilfe und Unterstützung?

Woher weiß ich, dass ich adäquate Unterstützung erhalte?

Mit welchen Hindernissen muss ich rechnen?

Warum ist es so schwierig, gute Anlaufstellen zu finden?

Wo finde ich die richtige Hilfe und Unterstützung?

Wie plane ich die Zukunft?

10. Soll ich meinen Partner verlassen?

Bleiben oder gehen?

Warum fällt mir allein der Gedanke so schwer, ihn zu verlassen?

Soll ich bei meinem Partner bleiben, wenn er eine Therapie macht?

Warum ist mein Partner auch nach der Trennung noch gewalttätig?

Leidet die Beziehung der Kinder zum Vater, wenn ich ihn verlasse?

Schaffe ich es, die Kinder allein großzuziehen?

Was ist, wenn ich es für besser halte, den Kontakt der Kinder zu ihrem Vater zu unterbinden?

11. Wie bewältige ich das Trauma der Gewalt?

Warum ist die Erfahrung so schmerzhaft?

Ist die Trauer ein Teil des Heilungsprozesses?

Warum fällt es mir schwer, zu trauern?

Warum trauere ich der Beziehung nach, obwohl ich meinen Partner noch gar nicht verlassen habe?

Warum habe ich nach dem Beziehungsaus so widersprüchliche Gefühle?

Warum bin ich so wütend?

Stimmt etwas nicht mit mir?

Warum leide ich unter dem Ende einer so »furchtbaren« Beziehung?

Wird mich der Schmerz ein Leben lang begleiten?

Kann ich mit Hoffnung in die Zukunft blicken?

Nachwort

Dank

Die Autorinnen

Weiterführende Hinweise und Adressen

Vorwort

Verletzte Gefühle. Zurückweisung. Demütigung. Einschüchterung. Entwertung. Kränkung. Verwirrung. Verwirrung. Verwirrung. Das sind die Empfindungen, die ein gewalttätiger oder kontrollsüchtiger Mann im Verlauf der Beziehung immer wieder aufs Neue bei seiner Partnerin auslöst.

Aber nur vorübergehend. Nach einer aggressiven Phase gibt er ihr das Gefühl, geliebt zu werden. Begehrenswert zu sein. Etwas ganz Besonderes zu sein. Auf Händen getragen zu werden. Damit löst er einen Wirbelsturm der Gefühle aus, von dem sie sich hin- und hergerissen fühlt wie ein Schiff auf hoher See.

Zu bestimmten Zeiten hat es den Anschein, als wäre ein für alle Mal Schluss mit der fortwährenden Kritik und der Gefühlskälte. In solchen Phasen keimt Hoffnung auf, denn jeder Anflug von Aggressivität fehlt. Doch dann beginnt die emotionale Achterbahnfahrt erneut, meistens völlig unerwartet. Der rasiermesserscharfe Blick kehrt zurück und wieder einmal sieht er nur noch ihre zahllosen »Fehler« und »Unzulänglichkeiten«. Das ewige Auf und Ab der Gefühle zehrt an ihren Kräften und fordert einen hohen Tribut.

Mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit ich das Buch Why Does He Do That? schrieb, das zu erklären versucht, was in den Köpfen von Männern vorgeht, die ihre Partnerin mit ihrer Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik kontrollieren und niedermachen. Im Laufe der Zeit gelangte ich zu dem Schluss, dass es einerseits zu viel und andererseits zu wenig Informationen enthielt. Ich tat mein Bestes, um einige der Schlüsselfragen zu beantworten, die Frauen in Bezug auf ihre destruktiven Partner umtreibt: »Warum ist er heute ganz anders als zu Beginn unserer Beziehung?«, »Warum habe ich an manchen Tagen den Eindruck, dass er mich liebt, während er mich an anderen Tagen behandelt, als wäre er meiner überdrüssig?«, »Was will er wirklich?«, »Wird er sich jemals ändern?«

Im Hinblick auf das gewalttätige Verhalten von Männern kamen mir schließlich leise Zweifel, ob ich einer Frage, die für gewaltbetroffene Frauen schwer zu beantworten, aber von existenzieller Bedeutung ist, in meiner Abhandlung genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und zwar der Frage: »Was soll ich tun, wenn ich erkannt habe, was in unserer Beziehung nicht stimmt?«

Unlängst entdeckte ich das Buch von Jill Cory und Karen McAndless-Davis, das Sie nun in den Händen halten. Zum Glück muss ich nun kein ungutes Gefühl mehr haben wegen der Punkte, auf die ich in meiner Abhandlung nicht ausreichend eingegangen war: Die beiden Autorinnen haben die Erfahrungen von Hunderten misshandelter Frauen analysiert und daraus wertvolle Erkenntnisse abgeleitet, die sie in ihrem Buch präsentieren. Für Frauen, die in ihrer Partnerbeziehung chronische emotionale Verletzungen erleiden, ist Wenn der, den du liebst, dir wehtut die beste Informationsquelle, die ich kenne.

Hier finden Sie konkrete, praktische Lösungsvorschläge für die Herausforderungen, mit denen Sie konfrontiert sind, wenn Sie sich in einer Gewaltsituation befinden:

Eine Frage können jedoch auch die beiden Autorinnen nicht für Sie beantworten, und zwar, ob Sie Ihren Partner verlassen oder bei ihm bleiben sollten. Aber sie bieten hervorragende Informationen und Einsichten, die dazu beitragen, diese schwierige Entscheidung für sich selbst zu treffen, indem sie Ihnen Schritt für Schritt aufzeigen, was Sie bei der Planung Ihres weiteren Lebenswegs bedenken sollten.

Wenn ich eine negative Wirkung nennen müsste, die gewalttätige Männer mit ihrem Verhalten in besonderem Maß verursachen, dann ist es Verwirrung. Eines der warnenden Anzeichen für Gewalt in Ihrer Beziehung ist das Gefühl, keine Ahnung zu haben, was los ist, und sich den Kopf zu zerbrechen, was als Nächstes passieren könnte. Im Laufe der Zeit führt diese Verwirrung zur Lähmung: Wenn man unfähig ist, sich einen Reim auf das Geschehen zu machen, neigt man dazu, gar nichts zu tun, in Schockstarre zu verharren. Ein Aufbruch, in gleich welche Richtung, kann Ängste hervorrufen, denn jeder Weg könnte sich als der falsche erweisen. Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, haben oft das Gefühl, dass ihnen die Kontrolle über ihr eigenes Leben entgleitet.

Wenn der, den du liebst, dir wehtut setzt Verwirrung und Lähmung ein Ende, fördert Klarheit, Erkenntnis und die Wahrnehmung der eigenen Optionen. Hier geht es weniger um die Analyse der Fehler und Versäumnisse in der Beziehung; vielmehr ermöglichen Ihnen die Einsichten in diesem Buch, Ihre persönliche Situation objektiver zu beurteilen. Es spricht ein Thema an, das für gewaltbetroffene Frauen an erster Stelle steht: der Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Sie erfahren, wie Sie die Isolation durchbrechen, die durch die Beziehungsgewalt entstanden ist; wie Sie verhindern, immer wieder aufs Neue in den Bann Ihres Partners zu geraten, wenn sich dieser gerade in einer seiner guten Phasen befindet; wie Sie Ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl wieder aufbauen und wie Sie den Heilungsprozess einleiten, um das Trauma der Gewalterfahrung zu überwinden.

Dieser Prozess, den Sie schrittweise durchlaufen, könnte zu der Entscheidung führen, dass es an der Zeit ist, die Beziehung zu beenden. Aber das ist nicht zwangsläufig der Fall. Wichtig ist, am Ende Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, statt das Gefühl zu haben, dass Ihr Partner oder das Schicksal über Ihr Wohl und Wehe bestimmt. Sie sollten – und können – Ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Und Sie werden einen Weg finden, es zurückzuerobern.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für die nächste Phase Ihres Lebens. Es gibt einen Silberstreifen am Horizont und in diesem Buch finden Sie die Orientierungshilfen für den Aufbruch in eine lichtere Zukunft.

Lundy Bancroft

Warum wir dieses Buch geschrieben haben

Bevor dieses Buch entstand, leiteten wir beide Selbsthilfegruppen für Frauen, die in ihren Partnerbeziehungen Gewalt ausgesetzt waren. Wir sahen, wie sich ihr Leben zum Besseren veränderte, wenn sie Unterstützung und sachlich fundierte Informationen zum Thema Beziehungsgewalt erhielten, doch wir mussten zu unserem Leidwesen erkennen, dass viele andere gewaltbetroffene Frauen keinen Zugang zu diesem selbstbefähigenden Informationsmaterial hatten. Gleichwohl war uns klar, dass der Besitz der richtigen Informationen den entscheidenden Unterschied bewirken konnte. Um die Lücke zu schließen, schrieben wir dieses Buch, das Frauen helfen soll, die unzähligen Fragen zu beantworten, die im Zusammenleben mit einem gewalttätigen Partner auftauchen. Die Informationen darin setzen sich aus den Berichten der Teilnehmerinnen an unseren Selbsthilfegruppen und den Geschichten von Frauen mit einer Gewaltbiografie zusammen. Seit die erste Ausgabe des Buches im Jahre 2000 im Selbstverlag erschien, haben wir immer wieder gehört, dass es für viele Betroffene ein Rettungsanker war. Wir deuten diese Aussage auf zwei Ebenen: Das Wissen um die Mechanismen, die in Gewaltsituationen am Werk sind, vermag buchstäblich Leben zu retten. Gleichermaßen wichtig ist, wie die Frauen beteuerten, dass das Buch dazu beigetragen hat, »ihren gesunden Menschenverstand zu bewahren«. Die Gewaltdynamik kann ungemein verwirrend, belastend und isolierend sein. Betroffene Frauen berichten uns häufig, dass sie Angst davor haben, verrückt zu werden. Doch anhand des Buches erkennen sie, dass sie nicht allein sind, dass sie nicht verantwortlich für die Gewalt in der Beziehung sind und dass sie nicht verrückt sind.

Ich entdeckte das Buch während des Aufenthalts in einem Frauenhaus. Es half mir, zu verstehen, was in meiner Beziehung geschah und warum. Ich erkannte, dass ich nicht die Einzige war, der so etwas passierte, und dass alle meine Reaktionen – Verwirrung, Angst, Wut und Traurigkeit – normale Reaktionen auf das Gewaltverhalten darstellten. Dieses Buch sollte jeder Frau auf der Welt zugänglich sein, die Gewalt erfährt. Ich glaube, dass die darin enthaltenen Informationen ungeheuer wichtig sind und dass es die Angst vor dem ersten Schritt in Richtung Heilungsprozess und Freiheit mindert. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich und beängstigend die Situation sein kann und dass Außenstehende sie nicht immer verstehen. Dieses Buch bietet Ihnen, Ihren Freunden und Ihren Angehörigen Antworten und Orientierungshilfen, die dazu beitragen, Ihren Weg zu finden. Seien Sie stark! Sie haben etwas Besseres verdient und Sie sind es wert!

Tammy

Mit der Ermutigung und den Rückmeldungen vieler Frauen erschien 2008 die zweite, überarbeitete Auflage mit zusätzlichem Material. Es erfüllt uns mit Dankbarkeit, dass viele Frauen das Buch nutzen konnten, um ihrem Leben eine entscheidende Wende zu geben. Und nach den bescheidenen Anfängen des Selbstverlags hat nun zu unserer Freude ein namhafter Publikumsverlag das Buch veröffentlicht, sodass die Chance besteht, einen noch größeren Leserkreis zu erreichen.

Seit der ersten Auflage haben wir außerdem festgestellt, dass dieser Leserkreis vielfältiger geworden ist. Auch professionelle Berater, die betroffene Frauen unterstützen, finden das Buch hilfreich. Es trägt dazu bei, die komplexe Situation, in der sich die Frauen befinden, besser zu erfassen. Viele, die in der Sozialberatung, als Rechtsbeistand oder als Sozialarbeiterinnen in Frauenhäusern tätig sind, betrachten das Buch mittlerweile als hervorragenden Leitfaden für die Beratung und Begleitung der Frauen sowohl auf individueller als auch auf Gruppenebene. Wir ermutigen außerdem Ärzte, Rechtsanwälte, Führer von Religionsgemeinschaften und andere Personen des öffentlichen Lebens, das Buch als Informationsquelle zu nutzen und es an diejenigen weiterzugeben, die bei ihnen Rat oder Orientierung suchen.

Freunde und Familienangehörige werden dieses Buch gleichermaßen nützlich finden. Wenn wir merken, dass jemand, der uns nahesteht, in einer Beziehung Gewalt erfährt, verspüren wir den natürlichen Impuls, das so schnell wie möglich zu beenden. Freunde und Familienangehörige machen dabei oft den Fehler, die Situation übermäßig zu vereinfachen und die Frau zu drängen, sich unverzüglich von ihrem Partner zu trennen oder die Beziehung zu »retten«. Leider gibt es keine Patentlösungen für das Gewirr der ambivalenten Gefühle, der potenziellen Risiken und der praktischen Herausforderungen im Zusammenleben mit einem gewalttätigen Mann. Was betroffene Frauen am meisten brauchen, sind Menschen, die sie unterstützen, ihre schwierige Situation nachvollziehen können und ihnen auch auf lange Sicht beistehen. Dieses Buch kann dazu beitragen, dass Sie eine solche Person werden.

Die Geschichten in diesem Buch beruhen ausnahmslos auf Fakten. Einige dienen als Fallbeispiel, andere werden von den Frauen selbst erzählt. Ihre Namen und charakteristischen Merkmale wurden geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Einführung

Liebe sollte eigentlich unterstützend sein. Wir erwarten von unserem Partner, dass er uns Stärke und Trost in schweren Zeiten bietet. Doch was passiert, wenn die Liebe nur noch Kummer und Leid verursacht? Wenn der Partner die Liebe verrät und Sie mit seinen Worten oder seinem Verhalten immer wieder verletzt? Solche Übergriffe lösen oft Verwirrung, Wut, Traurigkeit und sogar Depressionen aus. Die Entscheidung, was Sie tun oder wem Sie sich anvertrauen sollten, kann schwierig sein. Vielleicht haben Sie sich gesagt: »Was soll’s? Es gibt Schlimmeres!« Oder: »Ich dramatisiere das Problem.« Vielleicht hat man Ihnen aber auch eingeredet, Ihre Erfahrungen wären Teil der normalen Höhe- und Tiefpunkte in einer Beziehung. Oder Sie sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass das Problem bei Ihnen liegt und Sie diejenige sind, die sich ändern muss. Möglicherweise haben Sie schon oft versucht, Veränderungen in Ihrer Beziehung zu bewirken, scheitern aber immer wieder.

Wir haben das Buch für Frauen geschrieben, die in ihrer derzeitigen Partnerbeziehung Gewalt ausgesetzt sind oder in einer früheren Beziehung Gewalt erlebt haben.* Wenn Ihnen Ihr Partner keine physischen Verletzungen zugefügt hat, fragen Sie sich vielleicht, ob es sich überhaupt um eine Gewalterfahrung handelt. Vielleicht hat man Ihnen erklärt, dass von Gewalt nur dann die Rede sein kann, wenn Sie geschlagen oder auf andere Weise körperlich misshandelt wurden. Das sehen wir anders. Von den betroffenen Frauen wissen wir, dass alle Formen der Gewalt zerstörerisch sind, und deshalb beziehen wir die unterschiedlichen Ebenen ein: verbale, emotionale, finanzielle, sexualisierte, psychologische, spirituelle und physische Übergriffe.

Vielleicht haben Sie sich isoliert und von der Situation überfordert gefühlt; deshalb hoffen wir, dass dieses Buch ein hilfreicher Begleiter auf der Reise sein kann, die vor Ihnen liegt. Frauen sind daran gewöhnt, von Experten, Familienangehörigen und Freunden die unterschiedlichsten Ratschläge zu erhalten, was sie tun »sollten«. Man legt ihnen nahe, die Beziehung zu beenden oder zu retten, das eigene Verhalten zu ändern oder den Partner einfach so zu akzeptieren, wie er ist. Wir glauben jedoch, dass Sie die einzige Expertin sind, wenn es gilt, Ihre Situation zu beurteilen; nur Sie können wissen, was für Sie am besten und sichersten ist. Frauen haben uns berichtet, dass dieses Buch ihnen ermöglicht hat, ihre Situation aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Wir schlagen weder vor, an Ihrer Beziehung festzuhalten noch einen Schlussstrich zu ziehen. Unser Ziel ist es, Sie zu unterstützen und Ihnen Informationen zu geben, die Ihnen helfen, Ihre eigene Erfahrung besser zu verstehen und einzuordnen und zu erkennen, dass Ihnen verschiedene Handlungsoptionen offenstehen.

In diesem Buch begegnen Sie Frauen, die von ihrem Partner verraten und in welcher Form auch immer misshandelt wurden. Sie beschreiben den Schmerz, die Verwirrung in ihrer Beziehung und die Wege, die sie auf der Suche nach Erklärungen und Antworten gegangen sind. Wir haben die Geschichten der Frauen aus zwei Gründen eingefügt. Erstens möchten wir Ihnen helfen, sich weniger isoliert zu fühlen. Viele der Geschichten in diesem Buch werden Ihnen vertraut vorkommen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Sie vielleicht überzeugt, dass Ihre Situation ein Einzelfall ist. Das ist ein Irrtum, wie Sie sehen werden. Und zweitens wissen wir, dass Frauen aus den Erfahrungen anderer Frauen lernen, dass sie Kraft und wichtige Einsichten daraus ableiten. Wir hoffen, dass Sie dadurch Ihre eigene Geschichte besser verstehen.

Die im Buch aufgeführten Selbsttests stammen aus unserem Beratungsprogramm. Erfahrungen schriftlich festzuhalten, hilft dabei, Gedanken zu ordnen. Wenn Sie mit Ihrem Partner zusammenleben, befürchten Sie vielleicht, er könnte Ihre Aufzeichnungen finden und gegen Sie verwenden. In diesem Fall sollten Sie überlegen, ob Sie persönliche Bewertungen auslassen oder das Buch und Ihre Notizen an einem Ort aufbewahren, zu dem Ihr Partner keinen Zugang hat.

Wir möchten Sie dazu ermutigen, das Buch in Ihrem eigenen Tempo zu lesen. Einige Frauen lesen es in einem Rutsch von Anfang bis Ende durch, weil sie erleichtert sind, etwas gefunden zu haben, was ihre Erfahrungen in Worte fasst. Gehen Sie so vor, wie Sie es für richtig halten. Wenn Sie sich überfordert fühlen oder die Informationen schwer verdaulich sind, gönnen Sie sich eine Pause. Wenn Sie eine Freundin oder professionelle Berater haben, die Ihr Vertrauen genießen, nutzen Sie die Chance, mit ihnen darüber zu sprechen.

Noch ein Wort zum Thema Sicherheit. Für Sie bedeutet das möglicherweise nur physische Unversehrtheit. Wir beziehen jedoch stets die emotionale und körperliche Sicherheit ein, weil sie gleichermaßen wichtig sind. Frauen haben bestätigt, dass emotionale Gewalt ebenfalls hochgradig destruktiv sein kann und bisweilen zu gefährlichen oder sogar lebensbedrohlichen Situationen führt. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie oder Ihre Kinder in Gefahr sind, hat Sicherheit die höchste Priorität. Das kann den Ausstieg aus der Beziehung unabdingbar machen, wenn auch vielleicht nur für eine Weile. Suchen Sie Zuflucht an einem geschützten Ort, beispielsweise in einem Frauenhaus, wo Sie Ihre Lage in Ruhe überdenken und Ihre Optionen ausloten können.

Wenn Sie immer wieder von dem Menschen verletzt werden, den Sie lieben, reicht die Tatsache, dass Sie ihn lieben, oft nicht mehr aus. Es erfordert großen Mut, umzuschalten und zu beginnen, sich tiefer gehende Fragen zu stellen. Wir hoffen, dass dieses Buch Ihnen helfen kann, auf Ihrer Suche nach einer besseren und gewaltfreien Zukunft Antworten zu finden.

Jill Cory und Karen McAndless-Davis

* Zu den primären Lesern gehören Frauen mit männlichen Partnern, aber die Informationen sind auch dann hilfreich, wenn Sie in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben, in der es Gewalt gibt.

Allisons Geschichte

Diese Geschichte einer Frau bildet den Auftakt des Buches. Allison ist nicht ihr richtiger Name, aber ihre Erfahrungen sind real. Vielleicht spiegeln sie auch Aspekte Ihres eigenen Lebens wider. Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass jede Frau einzigartig ist, genau wie die Situation, in der sie sich befindet; daher müssen nicht alle Teile der Geschichte auf Sie zutreffen. Es ist auch möglich, dass Allisons Entscheidungen für Sie nicht nachvollziehbar sind. Doch jede Frau findet ihre eigenen Problemlösungen, und es handelt sich hier um Allisons Weg und ihre Geschichte. Sie sollten das tun, was sich für Sie richtig anfühlt, selbst wenn Sie noch nicht genau wissen, was es ist.

Ich habe Paul während eines Fluges kennengelernt. Wir kamen ins Gespräch und er meinte: »Wie wäre es mit einem gemeinsamen Dinner und einem Film?« Das bedeutete, dass wir uns in der Mitte des Flugzeugs einen Platz suchten, um miteinander zu essen und den Film anzuschauen. Ich fand das Ganze sehr schmeichelhaft. Ich dachte: »So ein attraktiver, charmanter Mann, und er hat mich angesprochen. Wie großartig!«

Wir unterhielten uns lange und sehr angeregt, aber ich war sicher, dass wir nach dem Flug getrennte Wege gehen würden, da wir in verschiedenen Städten lebten. Zu meiner Überraschung eröffnete er mir nach der Landung, dass er sich noch ein paar Tage in der Stadt aufhalten würde und ob wir uns nicht am folgenden Abend treffen wollten. Wir gingen zum Essen und sahen uns ein Theaterstück an. In der Nacht blieb ich bei ihm im Hotel, was sehr romantisch war. Und aufregend. Rückblickend wird mir jedoch klar, dass alles viel zu schnell passierte.

Von da an trafen wir uns öfter. Er rief mich ständig an, machte mir kleine Geschenke, schrieb Karten. Kein Mann hatte mich jemals so verwöhnt und ich war hingerissen. Doch nach ein paar Monaten erhielt ich mitten in der Nacht einen befremdlichen Anruf von ihm. Er war betrunken und nahm mich regelrecht ins Kreuzverhör, warum ich nicht ans Telefon gegangen sei, er hätte mich tagsüber mehrmals zu erreichen versucht. Das war das erste Anzeichen, dass es ein Problem gab. Doch so etwas war bisher nie vorgekommen, deshalb wollte ich die Sache nicht unnötig aufbauschen.

Wir unternahmen viel miteinander, aber unterschwellig hatte ich immer ein ungutes Gefühl. Sein Interesse an mir war zu intensiv und ich hatte Zweifel bezüglich der Beziehung. Als ich meine Bedenken äußerte, beruhigte er mich mit den Worten: »Keine Sorge, ich habe mir fest vorgenommen, dir zu beweisen, dass ich der Richtige für dich bin.«

Paul setzte mich massiv unter Druck, mit ihm zusammenzuziehen, und er machte mir relativ früh einen Heiratsantrag. Es war ziemlich verwirrend – er schien Feuer und Flamme zu sein, aber es behagte mir nicht, dass er mir so zusetzte; ich wollte nichts übereilen. Er erklärte, er könne sich gut vorstellen, Kinder mit mir zu haben. Das wiederum gefiel mir; ich war neunundzwanzig Jahre alt, liebte Kinder und fand, es sei der richtige Zeitpunkt, eine Familie zu gründen.

Dennoch war ich oft frustriert, schon am Anfang unserer Beziehung. Paul schien mich nie richtig zu verstehen; selbst wenn ich ihm die Situation in allen Einzelheiten erläuterte, legte er sie falsch aus. Er wurde wütend und verdrehte mir die Worte im Mund. Ich erinnere mich, dass ich ihm einmal erklärte, es wäre mir lieber, unsere Beziehung langsamer anzugehen; daraufhin warf er mir vor, ich wolle mich mit anderen Männern treffen. Aus heutiger Sicht war das ein Warnsignal, das ich damals jedoch übersah.

Nach solchen Gesprächen zweifelte ich meistens an meiner Kompetenz, meinem gesunden Menschenverstand. Ich gab mir große Mühe, zu kommunizieren und meine Ansichten zu äußern, aber er griff mich ständig verbal an. Es war nervenaufreibend.

Eines Abends, als wir zu einer Party bei Freunden fuhren und ich am Steuer saß, gerieten wir in Streit über meine Kleidung, und plötzlich schlug er mir mit der Faust aufs Bein. Ich hielt sofort an und er fing an herumzubrüllen. Ich hatte wirklich Angst vor ihm. Später entschuldigte er sich und erklärte, er habe befürchtet, dass andere Männer mich attraktiv finden könnten. Er versprach, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Aber es war nicht das letzte Mal. Er ohrfeigte oder boxte mich noch öfter und manchmal schlug ich zurück. Niemand hatte mich jemals verprügelt und ich war auch noch nie handgreiflich geworden! Heute ist mit klar, dass ich versucht habe, mich zu verteidigen, aber damals hatte ich das Gefühl, ich sei keinen Deut besser als er.

Wir waren etwa zehn Monate zusammen, als ich an einer schweren Grippe erkrankte, so dachte ich zumindest. Ich hatte Gliederschmerzen und fühlte mich ständig erschöpft. Ich schleppte mich zur Arbeit, funktionierte, keine Ahnung, wie. Und ich brach beim kleinsten Anlass in Tränen aus. Ich erinnere mich, dass mein Chef mich eines Tages bat, einen Fehler in einem Bericht zu korrigieren, den ich verfasst hatte, und als ich in mein Büro zurückkehrte, war ich am Boden zerstört. Schließlich ging ich zu meiner Hausärztin, die eine schwere Depression feststellte. Sie meinte, das sei auch die Ursache für meine Gewichtszunahme in jüngster Zeit – auf die Paul mit harscher Kritik reagiert hatte. Meine Hausärztin verschrieb mir Antidepressiva und erkundigte sich nach besonderen Vorkommnissen in meinem Leben – am Arbeitsplatz und in meiner Beziehung. Ich erklärte ihr, alles sei in bester Ordnung. Obwohl ich genau wusste, dass dem nicht so war. Rückblickend ist mir bewusst, dass meine Depression weitgehend mit Paul in Zusammenhang stand.

Ungefähr zu dieser Zeit begannen Paul und ich eine Paartherapie. Ich dachte, wir hätten ein Kommunikationsproblem und ein Fachmann könne uns helfen. Als ich ihm eröffnete, dass Paul mich schlug, erklärte der Therapeut, dass er nicht mit Paaren arbeiten würde, in deren Beziehung es Gewalt gäbe. Er empfahl mir, Paul nicht länger zu provozieren, und Paul solle aufhören, handgreiflich zu werden. Da der Therapeut ein Fachmann war, war ich bereit, seinen Rat zu befolgen. Ich bemühte mich, mehr auf Paul einzugehen, aber es änderte nicht das Geringste. (Selbst nach unserer Trennung verwendete Paul die Worte des Therapeuten gegen mich, um mir vorzuhalten, dass ich ihn ständig »provoziert« und die Probleme in unserer Beziehung verursacht hätte.)

Trotzdem hielten wir Ausschau nach einem Haus, das wir gemeinsam kaufen und beziehen wollten. Ich hatte meine Zweifel, aber Paul war sehr überzeugend. An dem Tag, als der Kaufvertrag geschlossen wurde, stellte ich fest, dass ich schwanger war. Die Schwangerschaft war nicht geplant, aber wir freuten uns beide. Damit wurde es noch schwieriger, Nein zu allem zu sagen – zum gemeinsamen Hausstand, dem Baby, dem Partner. Ich wusste, dass es ja eigentlich genau das war, was ich in meinem Leben haben wollte, und deshalb bemühte ich mich, die Bedenken auszublenden. Ich dachte: »Ich bin ein Mensch, der sich ständig verunsichert fühlt; daran muss ich arbeiten.«

Sobald wir das Haus bezogen hatten, eskalierten die Auseinandersetzungen. Eines Abends schlug Paul während eines Streits mit einem schweren Kristallglas auf mich ein, wobei er mich mehrmals am Kopf traf. Es war das erste Mal, dass ich sichtbare Verletzungen hatte. Die Platzwunden hätten eigentlich genäht werden müssen, aber ich fuhr nicht ins Krankenhaus. Ich war in der fünfzehnten Woche schwanger und fühlte mich emotional und körperlich ausgelaugt. Eine Fahrt in die Notaufnahme hätte die häusliche Situation nur verschlimmert. Ich erzählte niemandem davon, weil ich wusste, dass man mich gedrängt hätte, Paul zu verlassen, und ich wusste, dass ich das nicht konnte. Da ich schwanger war, dachte ich: »Ich muss dafür sorgen, dass die Beziehung funktioniert.«

Bei Alex’ Geburt war Paul hilfsbereiter, als ich mir jemals erhofft hätte: Er blieb die ganze Zeit an meiner Seite; er versuchte, es mir während der Wehen so bequem wie möglich zu machen, und beruhigte mich, wenn ich einer Panik nahe war. Am Tag danach rief er mich am späten Abend in der Klinik ein. Er brüllte mich an, weil ich während der Entbindung ständig mit der Hebamme geredet und mit dem Arzt »geflirtet« hätte. Am Telefon machte er mir eine schreckliche Szene, aber wenn er mich besuchte, verwöhnte er mich, brachte mir Blumen und meine Lieblingspralinen. Ich war völlig durcheinander.

Sobald wir mit dem Baby zu Hause waren, blieb die ganze Arbeit an mir hängen. Paul dachte nicht im Traum daran, Alex anzuziehen, zu baden, zu füttern oder die Windeln zu wechseln. Ich hatte angenommen, dass wir das gemeinsam tun würden, und war enttäuscht über seinen Egoismus.

Selbst zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch gute Zeiten miteinander, aber stets im Wechsel mit schlechten Phasen. Wir machten lange Spaziergänge mit dem Baby, staunten, wie schnell es sich zu einer kleinen Persönlichkeit entwickelte, aber immer öfter bemängelte er meine Fähigkeiten, ein Kind großzuziehen. Wir gingen gern essen und überließen Alex hin und wieder für ein paar Stunden einem Babysitter, damit wir »Zeit zu zweit« genießen konnten. Doch die kinderfreien Abende endeten meistens mit einem Streit. Ich dachte, dass wir beide versuchten, an unserer Beziehung zu arbeiten, aber es gab immer Spannungen. Nie wusste ich, was ihn als Nächstes in Wut versetzen würde.

Nach der Geburt des Babys war Paul seltener handgreiflich, aber emotional und finanziell viel kontrollierender. Wir hatten vereinbart, dass ich nach der Geburt des Kindes aufhören würde zu arbeiten, aber seit ich kein Gehalt mehr bezog, war ich finanziell völlig von ihm abhängig. Ich musste ihn um jede Kleinigkeit bitten – das Geld für Lebensmittel und Windeln eingeschlossen. Er schrie mich an, ich gäbe viel zu viel aus, aber die Haushaltskosten hielten sich absolut im Rahmen. Offenbar hatte er keine Ahnung, wie viele Windeln ein Baby verbraucht!

Meine Verwirrung wuchs. Paul schlug mich nicht mehr, aber ich hatte mehr Stress und Angst. Ich setzte mich mit einer Beratungsstelle in Verbindung. Dort stellte man mir viele Fragen und gab mir die Kontaktdaten einer Selbsthilfegruppe für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden waren. Zuerst zögerte ich, dorthin zu gehen, weil ich nicht das Gefühl hatte, in diese Kategorie zu gehören. Zugegeben, Paul war ein Kontrollfreak, aber nicht mehr gewalttätig, dachte ich. Ich entschloss mich letztlich, es dennoch zu versuchen, weil ich verzweifelt war. Die Geschichten anderer Frauen zu hören, war ungeheuer befreiend. Ich hatte sofort das Gefühl, dass sie mich und die Ungereimtheiten in der Beziehung zu Paul verstanden. Heute ist mir bewusst, dass Paul mit der Zeit einfach lernte, sein Gewaltverhalten besser zu kaschieren. Es hatte den Anschein, als hätte er seine Wut besser im Griff, weil er mich nicht mehr schlug, aber er übte in verstärktem Maß Macht und Kontrolle über mich aus. Es fiel mir schwer, ernsthaft in Betracht zu ziehen, ihn zu verlassen, weil ich nicht mehr das Gefühl hatte, physisch gefährdet zu sein. Es dauerte lange, bis ich herausfand, was zu einem normalen Streit gehört und was übergriffig ist.

Viele Faktoren hielten mich davon ab, meine Koffer zu packen. Ich war der Ansicht, ich hätte versagt, wenn es mir nicht gelang, die Beziehung zu retten, und ich hatte mir immer eine komplette Familie gewünscht. Ich liebte mein Zuhause und konnte mir nicht vorstellen, es zu verlassen. Außerdem drohte Paul jedes Mal, wenn ich mit dem Gedanken spielte, die Beziehung zu beenden, das Sorgerecht für Alex zu beantragen, und da ich dann keinen Anspruch auf Unterhalt hätte, stünde ich völlig mittellos da. Ich fürchtete, Alex’ Leben durcheinanderzubringen und alles zu verlieren, was mir etwas bedeutete.

Wir trennten uns am Ende, aber Paul machte mir diesen Schritt so schwer wie möglich. Er sagte mir den Kampf an, gleich ob es um das Sorgerecht, den Umgang mit seinem Sohn oder die Unterhaltszahlungen ging.

Auch als ich Abstand zu Paul gewonnen hatte, setzte er sein aggressives Verhalten fort, aber es traf mich lange nicht mehr so hart wie früher. Die nachhaltige Unterstützung meiner Frauengruppe wirkte Wunder. Meine Familienangehörigen und Freunde hatten endlich mitbekommen, wie Paul mich in Wirklichkeit behandelte, und waren erleichtert, dass ich mich von ihm getrennt hatte. Es war eine große Hilfe, dass sie mich nicht drängten, die Beziehung zu retten.

Einige der Entscheidungen, die ich treffen musste, waren wirklich schwierig, und ich hatte keinerlei Gewähr, dass sich letztlich doch noch alles zum Guten wenden würde. Ich hatte Angst, das Sorgerecht für Alex zu verlieren und ihm kein Zuhause bieten zu können, in dem er sicher und geborgen aufwachsen konnte. Doch trotz Pauls anhaltender Versuche, uns zu schikanieren und zu kontrollieren, ist unser Leben erheblich besser und friedvoller geworden. Alex und ich sind glücklich in unseren eigenen vier Wänden und in unserer neuen Nachbarschaft; wir zwei sind eine harmonische kleine Familie. Nicht alle Frauen sehen sich gezwungen, ihre Beziehung zu beenden, um sich sicher zu fühlen, aber ich habe es getan.