Ich hörte keinen Herzschlag mehr. Mein Kopf lag auf seiner bewegungslosen Brust. Der letzte Atemzug war schon zu lange her. In mir schwand die Hoffnung auf ein glückliches Ende und machte einer überwältigenden Trauer Platz, die zu groß für mich war. Mit einem einzigen Schluchzen begann das Martyrium der schlimmsten Gefühlswelle, die mich je überspülte.
Mein ganzer Körper zuckte zusammen und aufgeschreckt schlug ich die Augen auf. Meine Wangen waren feucht von den Tränen, die ich im Schlaf vergossen hatte. Ich wischte sie weg, während ich mich auf die Seite drehte und in das friedliche, schlafende Gesicht von Nate blickte. Er war hier und atmete ruhig. Er war nicht gestorben und trotzdem war ein Teil von ihm tot.
Nach der Verletzung durch die Waffe Odins war der Gestaltwandler in ihm gestorben. Der Grauwolf war nicht mehr da und mit ihm waren auch die Gefühle der Lebenspartnerschaft zwischen uns verschwunden.
Er blinzelte und ich sah ihm dabei zu, wie er langsam wach wurde.
»Morgen«, murmelte er. Seine Haare waren ganz zerzaust und die Stimme noch belegt vom Schlaf, trotzdem floss mein Herz über vor Glück. Ich konnte nicht anders, als ihm einen Kuss aufzudrücken. Wie immer brach er meine Zärtlichkeiten viel zu schnell ab, doch das war ich schon gewohnt. Es gefiel mir zwar nicht, aber ich konnte nichts daran ändern. Er machte momentan eine schlimme Zeit durch und ich verstand sein Verhalten. Nach kurzem Strecken meiner Glieder schaute ich auf mein Handy. Es war schon kurz nach sechs, eigentlich hätte ich noch gerne eine Stunde weitergeschlafen, aber in meinem Kopf stapelten sich die unzähligen Aufgaben, die ich nicht ignorieren konnte.
Von nun an trug ich die Verantwortung über alle Jäger und die hier ansässigen Gestaltwandler. Ich war die Oberste und als Oberste hatte ich weder Freizeit noch die Möglichkeit auszuschlafen, besonders, wenn ich zwei verfeindete Völker zusammenführen wollte.
»Gehst du heute mit mir joggen?«, fragte ich ihn. Er drehte sich von mir weg. Eine Geste, die keiner weiteren Antwort mehr bedurfte.
Ich schlang meine Arme um ihn und führte meinen Mund zu seinem Ohr. Er machte sich ganz steif. Das machte er immer, wenn ich ihn zu etwas drängen wollte.
»Bitte«, flüsterte ich. In diesem kleinen Wort bat ich ihn nicht nur mit mir zusammen joggen zu gehen, sondern auch, dass der ursprüngliche Nate wieder an die Oberfläche kam. Der Nate, der ganz tief in einer von Depressionen geplagten Person verschüttet war. »Bitte«, sagte ich nochmal und hoffte, dass alle Schwierigkeiten und all die Probleme in unserer Beziehung dadurch verschwinden würden, aber leider war dem nicht so. Er drehte sich zu mir um. Ausdruckslos schaute er mich mit dem mir schon allzu vertrauten Blick an, der mir zeigen sollte, dass er seine Ruhe haben wollte. Okay, ich hatte verstanden. Er wollte nicht. Auch heute wollte er nicht am Leben teilnehmen. Ich raffte mich auf und ging schnell in das Badezimmer, während er wieder die Augen schloss.
Kurze Zeit später öffnete ich leise den Schrank und holte meine Sportsachen heraus. Für einen kurzen Augenblick wurde ich in die Zeit zurückversetzt, als ich mich in diesem Zimmer noch wie eine Gefangene gefühlt hatte. Jace hatte mich zwar nicht eingesperrt, dennoch hatte ich durch sein Druckmittel, nämlich Nate zu verletzen, wenn ich ihm nicht gehorchte, schon sehr bald meinen freien Willen verloren. Ein Frösteln überkam mich, als ich die Angst wieder spürte, die Angst um Nate. Ich legte mir meine Kette um den Hals, mit einem extra für mich angefertigten goldenen Anhänger, der das Jägersymbol trug. Es identifizierte mich als Oberste und vom Jägerkodex wurde verlangt es zu tragen. Ich kontrollierte kurz mein Aussehen im Spiegel und mein Blick fiel sofort auf mein rechtes Ohr. Ein kleines Stück der Ohrmuschel fehlte. Diese Verletzung würde mich immer an die Schlacht gegen die Jäger erinnern.
Nachdem ich angezogen nach draußen trat, verbeugten sich die Wachen auf dem Flur. Es war noch immer merkwürdig für mich, von ihnen mit so viel Respekt behandelt zu werden. Ich war ihre Oberste, das hieß, ich machte die Gesetze und erteilte die Befehle. Die Hörigkeit zwang sie mir zu gehorchen, so wie ich damals Jace gehorchen musste. Wegen seines Befehls hätte ich Nate fast umgebracht.
Wie gut konnte ich mich noch an meine damalige Verwirrung erinnern. Ich war innerlich zerrissen gewesen … die Liebe, die ich für Nate empfand, kämpfte gegen den Befehl ihn zu töten. Genau diese Verwirrung war nun auch in den Jägern wiederzufinden. Ich lief in Richtung Eingangshalle und dann die Treppe zum Ausgang hinunter.
»Guten Morgen, Oberste«, begrüßte mich Clark, mein Leibdiener, nachdem auch er sich verbeugt hatte, und öffnete mir die Eingangstür. Oft bemerkte ich in der Haltung der Jäger die Ablehnung, die sie für mich als ihre Anführerin empfanden, auch wenn sie sie eigentlich gar nicht empfinden durften. Die Hörigkeit konnte zwar ihre Handlungen, aber nicht ihre Gedanken beeinflussen und das musste mir erstmal reichen.
Sie werden sich schon daran gewöhnen. Das hoffte ich zumindest immer in den Momenten voller Zweifel.
Als ich heraustrat, strahlte die Sonne in mein Gesicht und schon um diese Uhrzeit war die Luft warm. Es war der erste Sommer, den ich in England erlebte, und dieser unterschied sich kaum von den Sommern in meiner Heimatstadt – bis auf ein paar unberechenbare Schauer. Ich stand auf dem Sandweg, der durch graue Pflastersteine von der sattgrünen Wiese abgegrenzt worden war. Zwei große Raubkatzen rasten über das Gelände. Ich winkte ihnen zu und schüttelte dabei ungläubig den Kopf. Das war so ein groteskes Bild und dennoch entsprach es der Realität. Jäger und Gestaltwandler auf einem Gelände. Ich bekam augenblicklich Lust mitzumachen, mit ihnen durch die Landschaft zu rennen. Einfach ich selbst zu sein, an einem Ort, an dem es erlaubt war. Genau das war mein erster Gedanke gewesen, nachdem ich zur Obersten gekürt worden war. Ich wollte eine Welt erschaffen, in der Jäger und Gestaltwandler sie selbst sein durften.
Mich juckte es in den Fingern, ich wollte auch zu einem dieser schönen Geschöpfe werden, doch da gab es einen Faktor in meinem Inneren, der dies nicht zuließ – mein schlechtes Gewissen Nate gegenüber. Seitdem er nur noch ein Mensch war, versuchte ich für ihn auch mehr Mensch zu sein.
Ich steckte mir die Kopfhörer meines Handys in die Ohren, schaltete die Musik an und rannte los. Das Laufen half mir einige meiner Probleme zu vergessen, besonders die Probleme mit Nate. Während die Band Razz meine Sorgen im Kopf verstummen ließ, versuchte ich mich nur auf mein Körpergefühl zu konzentrieren. Beim Laufen fühlte ich mich so lebendig, fast so wie im Körper eines meiner Tiere. Meine Gedanken schwirrten umher. Es war so viel passiert seit dem Ende der Schlacht, also nachdem ich Jace, meinen Vater, bezwungen hatte.
Die Erinnerungen daran waren so präsent, noch immer konnte ich all meine unterschiedlichen Gefühle abrufen, die ich in dieser Zeit durchlebt hatte.
Das Gefühl der Freude überwog: Der Krieg war zu Ende. Jace war tot und stellte keine Gefahr mehr für uns dar. Nate hatte überlebt, obwohl ich mir sicher gewesen war ihn verloren zu haben.
Dennoch war da eine Angst vor der Zukunft zu spüren: War ich der Verantwortung als Oberste gewachsen? War es möglich, die Jäger und Gestaltwandler zusammenzuführen? Konnte ich das schaffen?
Und natürlich war die Trauer sehr stark: Viele der Gestaltwandler hatten es nicht geschafft. Darunter der Vater von Liam, Michael und Chloe, sie waren einfach nicht mehr da.
Ich lief schneller, als ich an die Nacht dachte, in der wir alle weinend zusammengebrochen waren, einfach nicht fassend, was eigentlich geschehen war. William war außer sich gewesen, hatte gebrüllt und geschrien. Nate hatte kein Wort gesagt und Liam hatte seine Mutter getröstet, deren Schluchzen die Halle füllte.
Mir lief der Schweiß und mein Atem ging schnell, endlich hatte ich die Grenze meiner körperlichen Belastbarkeit erreicht, der Höhepunkt jedes Laufs. Denn mit der Ermüdung der Muskeln fing auch mein Verstand zu ermüden an. Ich bog in Richtung Wald ab. Wieder schweiften meine Gedanken in die Zeit nach dem Kampf ab.
Ich wollte damals nur eins, mich um Nate kümmern und ihn trösten. Stattdessen aber war ich stundenlang in einer hitzigen Debatte mit dem Rat verstrickt gewesen. Ich musste die Ratsmitglieder überzeugen das Amt des Obersten ab sofort ausüben zu dürfen. Denn nur mit ihrer Unterstützung konnte ich überhaupt zur Obersten werden.
Laut Kodex gab es eine sechswöchige Frist, bis ich hätte ernannt werden können und in der ich von jedem Jäger herausgefordert werden durfte. Doch diese Zeit hatte ich nicht gehabt. Ich musste sofort zur Obersten werden, ich musste sofort die Befehlsmacht erlangen, ich musste sofort die Fähigkeit der Hörigkeit nutzen können. Der Rat hatte sich schließlich meinem Willen gebeugt. Das lag wahrscheinlich an meinem Druckmittel. Die Familien der Jäger waren in der Hand der Gestaltwandler gewesen, zusammengepfercht im Speisesaal. Ich versprach dem Rat ihnen nichts zuleide zu tun, wenn ich noch am gleichen Abend zur Obersten ernannt werden würde. Ich dachte an den Moment zurück, wie mir im Thronsaal von Harry ein Kelch, der sogenannte Minnebecher von Thorwin, gereicht worden war, mit dem mir das Versprechen abgenommen wurde, das mich als Oberste an die Erhaltung der Jägerschaft band. Den bitteren Geschmack des Blutes von Jace, das in dem Kelch enthalten gewesen war, konnte ich noch immer auf meiner Zunge schmecken. Es war eklig gewesen, aber nur so war die Fähigkeit des Obersten auf mich übertragen worden, die Jäger waren mir von nun an hörig.
Ich spuckte, angewidert von der Erinnerung, auf den Weg neben mir und wich einem Ast aus, während ich in den schattigen Wald eintauchte.
Danach hatten mir die im Thronsaal anwesenden Jäger die Treue geschworen. Wie bei der Aufnahmezeremonie wurde das Jägerzeichen erneut in die Haut der Jäger eingeritzt und mit meinem Blut aus der Handinnenfläche gemischt. Seit diesem Tag besaß ich eine Narbe, die niemals weggehen würde, das war dem silbernen Messer geschuldet, mit dem der Schnitt gemacht worden war.
Kurz darauf wurden die auswärts positionierten Jäger mit Briefen darüber informiert, dass es einen neuen Anwärter für den Posten des Obersten gäbe. Mit keinem Wort wurde erwähnt, dass ich dieses Amt schon bekleidete. So kamen sie alle angereist und wurden dazu gezwungen, mir die Treue zu schwören.
Die Einzigen, die ich nicht erreichen konnte, waren die Novizen und das Personal, die keine Jäger waren. Die meisten von ihnen waren untergetaucht, Abtrünnige, die ich gehen ließ, da die Wenigen keine Bedrohung für mich darstellen würden. Die anderen blieben freiwillig, weil das hier ihr Zuhause war.
Ich ließ das Dickicht des Waldes hinter mir und hatte wieder freien Blick auf das Schloss.
Für jeden Außenstehenden musste dieser Anblick wie ein kleines Paradies wirken. Gestaltwandler und Jäger zusammen und das auf engstem Raum – ohne dass Blut floss. Die Gestaltwandler konnten sich auf dem riesigen Gelände jederzeit als Tiere zeigen und die Jäger mussten nicht länger in einem Krieg kämpfen, der ihnen aufgezwungen worden war.
Es hätte alles so friedlich wirken können, wenn man nicht noch die Zeichen des Kampfes vor dem Schloss gesehen und das Blut nicht gerochen hätte, das der Regen bisher nicht weggespült hatte, wenn die Konflikte zwischen den Gestaltwandlern und der Jägerschaft gemeinsam mit Jace wirklich untergegangen wären.
***
Nach einer kurzen Dusche zog ich meine schwarze Jeans und ein weißes T-Shirt an. Den Waffengurt der Jäger trug ich nur noch selten. Nate war in der Zwischenzeit wieder eingeschlafen und ich schlich mich leise hinaus. Gleich würde die tägliche Besprechung mit William und Liam stattfinden.
Schnell ging ich hinunter und erreichte in wenigen Minuten mein Arbeitszimmer. Die Wachen vor meinem Büro grüßten mich und einer von ihnen öffnete mir die Tür. Liam saß schon auf dem dunkelgrünen Lederstuhl hinter dem Schreibtisch und war in einen Stapel von Blättern vertieft. Er hatte einen Kugelschreiber in der Hand und wirkte sehr konzentriert. Als ich näher trat, erkannte ich, was es war – der Jägerkodex, unser erster Versuch einer neuen Version, die wir gestern den ganzen Tag lang ausgearbeitet hatten.
Er schaute auf und strahlte mich an. Diese Reaktion erhoffte ich mir auch immer von Nate, wenn er mich ansah … eine Hoffnung, die bisher komplett unerfüllt geblieben war.
Er stand auf und wollte schon den Platz räumen.
»Nein, bitte bleib sitzen.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Sicher? Immerhin bist du die Oberste und das sichert dir den Platz hinter dem Schreibtisch.«
Ich lachte. »Du weißt genau, dass ich mir nichts aus diesem Rang mache. Besonders nicht, wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin.«
»Dann muss ich gar keinen Hofknicks machen, wenn du den Raum betrittst? Oder dir einen Handkuss geben?« Er schaute gespielt entsetzt.
»Natürlich, das erwarte ich von jedem, genau wie das Küssen meiner Füße«, spielte ich mit.
»Und da sagt man, die Obersten seien keine verwöhnten Möchtegern-Blau-Bluter, die extravagante Wünsche haben.«
Ich lachte, wurde aber sogleich wieder ernst. »Sonst entspricht das der Wahrheit, nur ich bin dabei die Ausnahme.«
Ich ließ mich auf den Stuhl mit kirschroter Lederlehne vor dem blank polierten Nussbaum-Schreibtisch fallen und platzierte meine Füße auf der Schreibtischkante. Meine Arme verschränkte ich hinter dem Kopf.
»Ein wenig mehr Respekt bitte, wir befinden uns hier immerhin im ehemaligen Arbeitszimmer von Jace Pearse.«
Ich gab ihm durch ein Schulterzucken zu verstehen, dass mir das egal war, während er seine ernste Miene nicht lange durchhielt.
»Gehst du gerade wieder den Kodex durch?«, fragte ich, um auf wichtigere Themen zu sprechen zu kommen.
»Mir sind noch ein paar Sachen aufgefallen, die wir nicht so stehenlassen können.« Liam war mir in der letzten Zeit wirklich eine große Hilfe gewesen. Ich hatte das Gefühl, er übernahm einen großen Teil meiner Verantwortung, besonders weil ihm die Zusammenführung der Jäger und Gestaltwandler genau wie mir am Herzen lag.
Er zeigte auf die Notizen, die er sich gemacht hatte, und meine Augen weiteten sich.
»Das sind aber viele Anmerkungen.«
»Ja …«, sagte er seufzend. »Irgendwie wirkt alles so unfertig.«
»Ja, natürlich, weil sich dieser Kodex auf ein riesiges Buch mit dem Namen Schriftwerk des Kodex bezieht, das auch noch angepasst werden muss. Diese formulierten Richtlinien …«, ich zeigte dabei auf die Blätter, »… sind die Regeln, die von jedem Novizen auswendig gelernt und von jedem Jäger beherzigt werden müssen. Diese Regeln werden im Detail im Schriftwerk des Kodex erklärt, deswegen könnte er dir unvollständig vorkommen«, antwortete ich. Es war unumgänglich, den Kodex zu ändern, da sich die alten Regeln größtenteils für die Bekämpfung der Gestaltwandler aussprachen. Wir wollten genau das Gegenteil, einen Kodex, der den Jägern verbot den Gestaltwandlern Gewalt anzutun und gleichzeitig Richtlinien erschuf, die das Zusammenleben von Gestaltwandlern und Jägern leichter machten. Aber im Moment machte es uns ziemlich große Probleme, einen neuen Kodex zu entwerfen. Aber wir mussten ja irgendwo anfangen die Dinge zu verändern.
Er nickte und kratzte sich am Hinterkopf.
»Weder du und William noch ich haben es bisher geschafft, den dicken Wälzer durchzuarbeiten«, gab ich zu bedenken. »Und so lange wir damit nicht fertig sind, können wir ihn auch nicht anpassen. Ich habe noch über 700 Seiten vor mir, 700 komplizierte, mit Fremdwörtern gespickte, nicht immer für mich nachvollziehbare Seiten. Dafür brauche ich bestimmt noch einen Monat, aber neue Regeln brauchen wir so früh wie möglich.« Meine Stimme war lauter als beabsichtigt. Der Druck, der auf mir lastete, ließ mich schneller aus meiner Haut fahren.
»Du weißt, was die Lösung für dieses Problem ist«, sagte er.
Und da war es wieder, das Streitthema, mit dem er mich jeden Tag nervte.
»Ja, ich soll die Ratsmitglieder auswählen«, antwortete ich patzig. Eigentlich hätte ich das schon längst tun müssen, aber ich hatte bisher noch nicht die Zeit dafür gefunden. Irgendwie kam mir immer etwas dazwischen. »Ich versuche es ja, aber es ist nicht unbedingt einfach«, sagte ich.
»Nur versuchen reicht aber nicht. Weißt du, für was die Ratsmitglieder da sind?«, fragte er so, als ob er mit einem Kleinkind reden würde. Ich hielt einfach meinen Mund und schaute ihn böse an.
»Sie können viele unserer Aufgaben übernehmen«, sprach er weiter. »Wie die Erarbeitung eines richtigen Kodex und zwar einer kurzen und einer langen Version. Besonders die Jäger könnten uns helfen.«
Schon von Anfang an hatten wir uns darauf geeignet, dass der Rat aus Jägern und Gestaltwandlern bestehen sollte. Die Jäger waren besser vertraut mit den Jäger-Angelegenheiten und konnten mir eine große Hilfe sein.
»Sie sind mit den Regeln aufgewachsen und verstehen sie besser als jeder Außenstehende. Nur ein Jäger weiß, wie ein Jäger tickt. Deswegen ist uns ihre Unterstützung so wichtig«, ergänzte er noch.
Ich biss mir auf die Lippe. »Ich bin auch eine Jägerin«, versuchte ich ihm zu widersprechen.
Er gluckste. »Du bist keine Jägerin. In dir fließt vielleicht das Blut einer Jägerin, aber ihre Lebensweise, ihre Traditionen und Regeln kannst du nicht nachvollziehen.«
Damit hatte er Recht, nur wollte ich das nicht zugeben.
»Ich habe das Gefühl, du drückst dich, schiebst die Wahl der Ratsmitglieder immer weiter auf.«
Nun ging er zu weit. Ich war bestimmt vierzehn Stunden täglich am Arbeiten. Der Grund, warum ich bisher noch keinen Rat hatte, war, dass ich bisher nicht die Zeit gefunden hatte, einen zu wählen. Wie konnte er es wagen zu sagen, dass ich mich vor Aufgaben drückte? Okay, ich war zusätzlich sehr damit beschäftigt, einen Weg zu finden, damit Nate seinen Wolf zurückbekam. Eigentlich sollte das auf meiner Prioritätenliste weiter unten stehen, aber da ich nicht mehr ertragen konnte ihn so leiden zu sehen, musste ich ihm einfach helfen.
»Nein.« Ich konnte meine Stimme nicht länger ruhig halten. »Ich kann nicht fassen, dass du so etwas zu mir sagst, besonders nicht, wenn ich das Gefühl habe, in Arbeit zu ersticken.« Ich dachte, er würde einlenken, sich für seine Worte entschuldigen, aber er verschränkte einfach nur seine Arme. Das fachte meine Wut weiter an.
»Ich halte Ansprachen, erteile Befehle, kümmere mich um die Belange von Gestaltwandlern und Jägern. Ich lese ein 1000-seitiges Buch voller komischer Regeln, die eigentlich mehr an Paragraphen aus Gesetzbüchern erinnern. Ich gebe den Novizen und Gestaltwandlern Unterricht, zeige Wandlern, wie sie sich zum ersten Mal in ein Tier verwandeln können. Ich schaue mir irgendwelche Zahlen an, die etwas über unsere Finanzen aussagen sollen, lese die Tagebücher der ehemaligen Obersten, weil Harry der Meinung ist, sie würden mir bei der Führung meiner Untertanen helfen, und nebenbei, ganz nebenbei, suche ich noch nach einem Weg, Nates Wolf wieder zum Leben zu erwecken. Also wirf mir bloß nicht vor, ich würde mich vor meinen Aufgaben drücken. Der Tag hat bloß vierundzwanzig Stunden und da bleibt der Rat im Moment auf der Strecke.«
»Das darf er aber nicht.«
»Was?«, keifte ich ihn an.
»Die Benennung des Rates muss so schnell wie möglich von dir erledigt werden, genau wie die Überarbeitung des Kodex. Alles andere musst du hinten anstellen«, giftete Liam zurück.
Ich schnaubte wütend. »Das kann ich nicht. Wenn ich mich nicht um alles kümmere, dann tut das niemand.«
»Gib mehr Aufgaben ab und höre vor allem auf nach einem Weg zu suchen, um Nate zu helfen. Das kann warten, wenigstens bis sich hier alles einigermaßen normalisiert hat.«
Anstatt ihm zu antworten, schaute ich ihn böse an und reckte stur mein Kinn in die Höhe.
»Ich weiß, was du eigentlich hier drinnen machst, wenn du sagst, du arbeitest. Du gehst Bücher durch, auf der Suche nach Hinweisen zu dem Dolch«, fuhr Liam fort.
»Und? Das geht dich nichts an.«
»Emma, du bist mit allem komplett überfordert und das ist auch kein Wunder. Du kannst es nicht allen Recht machen und vor allem kannst du es nicht allen GLEICHZEITIG Recht machen!«
»Liam, ich schaffe das alles, ich kann Nate nicht einfach im Stich lassen.«
»Nein, eben nicht. DU SCHAFFTST DAS NICHT ALLES und deswegen streiten wir gerade!«
»Ich will es aber schaffen.« Meine Stimme brach. Kurz schaute ich aus dem Fenster und sammelte mich, damit ich nicht anfing zu heulen.
Ich wollte diese Diskussion endlich beenden, bitte konnte er nicht aufhören mir Vorwürfe zu machen.
Seine Gesichtszüge wurden weich. »Ach, Emma, du bist nur noch ein Schatten deiner selbst, der ganze Stress macht dich kaputt. Nate wird es verstehen, glaub mir.«
»Nein, ich kann nicht.« Ich war den Tränen nahe. Verdammt, ich wollte nicht weinen. Seine Worte waren so wahr, dass es mich erschütterte.
Dann hörte ich Williams schlurfende Schritte von draußen. Er kam wie so oft zu unserer Besprechung zu spät.
»Was habe ich verpasst?«, fragte er. William schien die Stimmung im Raum zu spüren, denn auf seiner Stirn bildeten sich Sorgenfalten.
»Kleine, warum guckst du so böse?«, fragte er.
»Es ist nichts, du hast nichts verpasst bis auf … dass ich endlich die Ratsmitglieder auswählen muss. Das hat mir Liam mal wieder klargemacht und wenn ihr mich jetzt alleine lassen würdet, dann kann ich genau das tun.«
Sie folgten meiner Bitte und ließen mich tatsächlich allein. Doch statt mich wie versprochen um den Rat zu kümmern, las ich ein Buch über die Waffen der Jäger durch. Es war von einem Schmied geschrieben und behandelte jegliches Kampfgerät, das sich im Besitz der Jägerschaft befand. Es war wie eine Liste verfasst und ich hoffte inständig hier etwas über den Dolch Odins zu finden. Nur ein paar Seiten, versprach ich mir selbst. Danach würde ich auf Liam hören und mich um den Rat kümmern.
Weit kam ich nicht, weil es plötzlich an der Tür klopfte. Es war Clark.
»Oberste, Tamara lässt fragen, ob Sie schon den neuen Lehrplan der Theorie für die Novizen ausgearbeitet haben.«
Ich rollte innerlich mit den Augen. Das war bestimmt das sechste Mal diese Woche, dass Tamara dazu anfragen ließ.
»Nein, habe ich nicht. Ohne neuen Kodex wird es auch erst einmal keine Theorie für die Novizen geben. Und richte ihr aus, wenn sie eine Frage an mich hat, dann soll sie mir diese persönlich stellen.«
»Ja, Oberste.«
Ich widmete mich wieder dem Buch. Noch hatte ich nichts zu dem Dolch gefunden und nach der Meinung von Harry würde ich hier drin auch nichts finden.
Fünf Seiten später klopfte es.
»Oberste, Tamara möchte Sie sprechen.«
Ich seufzte. »Lass sie rein.«
An ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass sie wütend war.
»Es gibt immer noch keine neue Theorie für die Novizen?«, fragte Tamara. Sie wartete gar nicht darauf, dass ich sie bat sich hinzusetzen, sondern sie nahm einfach mir gegenüber Platz.
»Wie sollen sie denn die Prüfungen bestehen, wenn es keinen Theorieunterricht gibt?« Sie war ganz außer sich.
»So lange es keinen neuen Kodex gibt, können sie ihn auch nicht lernen. Also halte ich es momentan für überflüssig, die Novizen theoretisch unterrichten zu lassen.«
Sie schnaubte. »Und was ist mit unserer Entstehungsgeschichte oder den Legenden der Germanen? Das hat doch nichts mit dem Kodex zu tun.«
»Das habe ich mir schon durch den Kopf gehen lassen, aber ich möchte die Novizen nicht mit den alten Werten der Jäger verwirren. Ich müsste dazu erstmal einen detaillierten Lehrplan aufstellen. Themen streichen, die nicht mehr unterrichtet werden sollen und neue Themen hinzufügen, die die Art des Unterrichts verändern. Der Schwerpunkt soll eher auf dem Krieg zwischen Gestaltwandlern und Jägern liegen.«
»Das heißt, der ganze Lehrplan wird umstrukturiert?«
Ich nickte und ihre Augen schienen Funken zu sprühen, so böse schaute sie mich an.
»Das kann ich nicht zulassen«, zischte sie. Sie war auch einer der vielen Jäger, die mit den Veränderungen nicht umgehen konnten.
»Keine Sorge, ich werde das mit dir absprechen, damit wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen«, versuchte ich sie zu besänftigen.
Ihr böser Ausdruck verschwand augenblicklich und in ihrem Gesicht spiegelte sich Überraschung wider. »Und wann soll das sein?«
»So bald wie möglich.«
»Ich möchte nicht respektlos wirken, aber der Unterricht sollte für Sie höchste Priorität haben, die nächste Zeremonie findet in fünf Monaten statt und bis dahin müssen die Novizen, die uns geblieben sind, ausgebildet sein«, wollte sie sich nicht abspeisen lassen. Wieder eine Aufgabe, die für mich höchste Priorität haben sollte.
»Wir setzen uns nächste Woche Mittwoch zusammen«, versprach ich und trug den Termin gleich in meinen Kalender ein.
Endlich schien sie einigermaßen zufrieden zu sein. »Danke, Oberste«, sagte sie und verabschiedete sich.
Als sie draußen war, gähnte ich laut und rieb mir über mein Gesicht. Der Schlaf kam ohnehin schon zu kurz und dann hatte ich jetzt noch eine Aufgabe mehr, die erledigt werden musste. Ich sollte gleich damit anfangen. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass es jedoch schon 13:20 war. In zehn Minuten würde mein Unterricht losgehen und ich hatte bisher noch nichts geschafft, außer meine Zeit an dieses Buch zu verschwenden, in dem wahrscheinlich sowieso nichts über die Waffe von Odin drinstand. Ich schlug mir die Hand vor den Mund und erstickte meinen verzweifelten Frustschrei.
Im Moment unterrichtete ich zwei Gestaltwandler: eine junge, siebzehnjährige Frau, die sich wie Alice in eine Füchsin verwandeln konnte, und einen jungen Mann, der schon achtzehn war. Seine Gestalt war eine Hyäne. Sie gehörten zu den ersten zehn Schülern, die wir hier ausbildeten. Hannah und Kyle hatten beide noch Schwierigkeiten ihr Tier zu rufen, obwohl sie sich schon aktiv verwandelt hatten. Wir waren in der Übungshalle, damit sie nicht in Tiergestalt auf dem riesigen Gelände verschwinden konnten. Zwei wild gewordene Gestaltwandler konnte ich unter den vielen Jägern einfach nicht gebrauchen.
»Das Schwierigste habt ihr schon hinter euch«, versuchte ich die beiden aufzumuntern. »Ihr habt euch schon aktiv verwandelt und deswegen wird es nicht mehr lange dauern, bis ihr den Dreh raushabt.«
Ich sah, dass die beiden sich konzentrierten. »Ihr kennt den Weg zu eurem Tier schon, ihr müsst ihn nur nochmal gehen.« O Gott, ich hörte mich an wie eine Meditationslehrerin, aber irgendwie hatte die Verwandlung etwas mit Meditation gemein.
Es dauerte noch ein bisschen und dann platzte plötzlich eine riesige Hyäne aus dem Körper des großen Kyle. Das Mädchen stieß einen Schrei aus, als die Bestie genau neben ihr stand und ihre scharfen Zähne fletschte. Schnell verwandelte ich mich in meinen Wolf und stellte mich vor sie, um sie zu schützen. Ihr durfte nichts passieren. Durch ein Knurren signalisierte ich der Hyäne, dass sie verschwinden sollte. Obwohl wir unterschiedlichen Arten angehörten, verstand sie es. Sie entfernte sich in die entgegengesetzte Richtung. Schnell verwandelte ich mich in einen Menschen zurück.
»Keine Sorge, du hast nichts vor Kyle zu befürchten. Ich bin da, um dich zu beschützen.«
»Okay, gut«, sagte sie.
»Versuch einfach weiter dich zu verwandeln und währenddessen halte ich ihn in Schach.«
Sie nickte und ich stellte mich wieder als Wolf vor sie. Die Hyäne blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete mich. Ich hatte alles unter Kontrolle. Doch dann geschah etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Die Eisentür wurde entriegelt und geöffnet, die Grenze, welche zwischen der Hyäne und der Außenwelt stand. Sofort sprintete ich los, um der Hyäne den Weg abzuschneiden.
Die Hyäne zuckte mit ihren Läufen und wollte hinausrennen. Als sie jedoch sah, dass ich ihr den Weg versperrte, blieb sie, ohne sich zu rühren, stehen. Ich konnte mich nun dem Eindringling zuwenden. Es war Clark und in seinen Augen sah ich Furcht aufblitzen. Er war zwar ein Jäger, aber so ohne Waffe hatte er Angst, zwei verwandelten Gestaltwandlern gegenüber zu treten. Ich ließ meinen Blick noch einmal zu der Hyäne schweifen. Sie war ganz ruhig. Also verwandelte ich mich wieder zurück in meine Menschengestalt, um mit meinem Leibdiener zu reden.
Clarks Gesichtszüge entspannten sich sofort.
»Oberste, entschuldigen Sie, dass ich jetzt störe, aber ein neuer Wandler ist aufgetaucht, der hier ausgebildet werden möchte.«
»Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Sie haben doch gesagt, ich soll Sie über jeden Neuankömmling sofort informieren.«
Ich erinnerte mich an meine Worte. »Ja, das stimmt, jedoch nicht während ich unterrichte. Lass den Wandler einfach vor meinem Büro warten, ich bin hier in einer halben Stunde fertig.«
Plötzlich hörte ich, wie sich die riesige Hyäne in Bewegung setzte. Erst dachte ich, sie würde auf uns zusteuern, aber Bruchteile von Sekunden später ertönte Hannahs Schrei.
Die Hyäne lief genau auf sie zu.
»Scheiße«, rief ich noch und verwandelte mich in derselben Sekunde in meinen Wolf. Die Hyäne hatte einen nicht zu verachtenden Vorsprung. Mit der Hilfe meiner Jägerkräfte schaffte ich es jedoch gerade so, sie einzuholen, bevor sie Hannah erreicht hatte. Ich spürte die Wärme, die der Körper der Hyäne abgab, sah jedes einzelne Haar in ihrem Fell, so nah war ich ihr schon gekommen. Ihr Maul war geöffnet, ihre Zähne blitzten. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie von der wehrlosen Hannah und dann rammte ich sie mit voller Wucht in ihre Seite. Die Hyäne fiel hin und verwandelte sich zurück in Kyle, während dieser Schreckensmoment Hannah zu einer Füchsin werden ließ. Innerlich stöhnte ich auf. Das war knapp gewesen. Bevor noch so ein Unglück passieren konnte, versenkte ich die Zähne in der Haut der Füchsin und so – wie von mir beabsichtigt wurde sie wieder zum Menschen. Die Unterrichtsstunde war für heute definitiv vorbei.
***
Ich hatte den neu angekommenen Wandler begrüßt und ihn in den umgebauten Kerker gebracht. Solange die Gefahr bestand, dass er sich nachts, während wir schliefen, in eine mordende Bestie verwandeln konnte, würde er hinter einer sehr stabilen verschlossenen Tür schlafen müssen. Und zwar solange, bis er ausgebildet war. Die anderen Gestaltwandler schliefen in einem der Gebäude, die früher für die Novizen genutzt wurden. Aber im Moment hatten wir kaum Novizen bei uns, deswegen standen uns ziemlich viele leere Betten zur Verfügung. Danach atmete ich erstmal durch. Das, was mir in der Lehrstunde passiert war, hätte niemals passieren dürfen. Fast wäre Hannah verletzt worden und das nur wegen mir, weil ich nicht richtig aufgepasst hatte. Natürlich hatte ich Clark nochmal deutlich gemacht, dass er mich niemals wieder während des Unterrichts stören durfte – außer es handelte sich um einen lebensbedrohlichen Notfall. Ich goss mir ein Glas Wasser ein und nahm einen Schluck, bevor ich den Kodex aufschlug. Ich nahm mir vor in der nächsten Stunde ein Kapitel zu lesen und mich dann endlich dem Rat zu widmen. Draußen fing es schon langsam zu dämmern an, während ich Seite für Seite las. Immer wieder machte ich mir zum Inhalt Notizen, damit ich auch nichts vergaß. Irgendwann musste ich die Tischlampe anmachen. Aus einer Stunde wurden zwei und noch immer war ich nicht mit dem Kapitel durch, ich musste zu viele Wörter über mein Handy nachschlagen. Irgendwann wurden meine Augen so schwer, dass ich sie einfach schloss und dann wurde alles schwarz.
***
»Emma«, hörte ich eine sanfte Stimme. »Emma.« Ich schreckte auf und schaute in die blauen Augen von Liam. Einen Moment brauchte ich, um zu realisieren, dass ich mich noch in meinem Arbeitszimmer befand und eingeschlafen war. Ich setzte mich auf und registrierte einen Teller mit Essen auf dem Tisch, den mir Liam anscheinend mitgebracht hatte.
»Viel zu tun?«, fragte er.
»Geht so«, antwortete ich. Er schmunzelte.
»Weil du nicht beim Abendessen warst, habe ich dir deinen Teller einfach mitgebracht. Ich habe ihn von der Küchenchefin aufwärmen lassen.«
Eigentlich aßen meine Freunde und ich jeden Abend zusammen im Esszimmer, aber heute hatte ich es verschlafen.
»Danke.« Ich nahm mir das Besteck und fing an den gebackenen Fisch zu zerschneiden. Heute hatte ich schon mein Mittagessen ausfallen lassen, dementsprechend war ich ziemlich hungrig.
»Bist du mit dem Rat weitergekommen?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf, weil ich den Mund voll hatte.
Er bekam einen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck.
»Ich hatte zu viel zu tun«, sagte ich zwischen zwei Bissen.
»Was hast du denn gemacht, nachdem ich gegangen bin? Du hast doch gesagt, du kümmerst dich um den Rat.«
»Ich habe es nicht geschafft. Tamara hatte eine Frage wegen der Lehrpläne und dann musste ich schon zum Unterricht«, erklärte ich.
Er schaute sich um und sah das noch immer aufgeschlagene Buch von heute Morgen auf meinem Schreibtisch liegen.
»Waffen der Jägerschaft?«, las er den Titel laut vor.
»Ja, ich gebe zu, ich habe es gelesen, nachdem William und du weg wart, aber nur fünf Seiten oder so, weil mich dann Tamara gestört hat.«
Er presste die Lippen zusammen. Anscheinend glaubte er mir nicht.
»Also hast du wieder nur versucht Nate zu helfen?«
»Nein, ich wollte mich um den Rat kümmern«, versuchte ich zu erklären.
»Bitte versteh mich nicht falsch. Ich möchte auch, dass er seinen Wolf zurückbekommt, aber im Moment gibt es Dinge, die wichtiger sind.«
»Du kannst mir nicht verbieten Nate helfen zu wollen«, verteidigte ich mich.
»Das will ich auch nicht, du solltest es nur zu einem anderen Zeitpunkt tun. Emma, Harry und auch der ehemalige Rat haben gesagt, dass es keinen Weg gibt, um ihm den Wolf zurückzugeben und wir alle haben einen ganzen Monat Bücher der Bibliothek durchgearbeitet, ohne etwas darin zu finden.«
»Du willst doch nicht damit sagen … du glaubst also nicht, dass er seinen Wolf je zurückbekommt?«
»Nein, das meinte ich nicht damit. Nur können wir im Moment nicht viel mehr tun.«
»Wir haben aber noch nicht alle Bücher durchgelesen.«
»Nein, in der kurzen Zeit konnten wir das gar nicht. Die vielversprechendsten haben wir jedoch durchgeackert und, Emma, eins von denen, die ich zugeteilt bekommen habe, war dieses.«
Er zeigte auf das Buch, das auf meinem Schreibtisch lag.
»Glaub mir, darin war nichts zu finden.«
»Verdammt, dann habe ich wirklich meine Zeit verschwendet.«
Als mir das bewusst wurde, überkam mich die Verzweiflung, die sich schon seit Wochen in mir aufgestaut hatte. Mein Mund verzerrte sich und ehe ich mich versah, fing ich an zu weinen.
»Ich möchte doch nur, dass es ihm wieder gut geht«, schluchzte ich. Liams Arme umschlangen mich.
»Ich weiß«, flüsterte er. »Ich weiß, dass dich so vieles überfordert, aber am schlimmsten ist für dich Nates Zustand, oder?« Ich nickte an seiner Brust.
»Er schaut mich noch nicht einmal mehr richtig an, geschweige denn berührt er mich«, weinte ich. Es war mir sehr unangenehm, dass ich meine Fassade nicht länger aufrechterhalten konnte und das ausgerechnet vor Liam, meinem Ex, der eigentlich kein geeigneter Kandidat war, um mein Herz auszuschütten.
Ja, ich fühlte mich müde, ja, ich war ausgelaugt und ja, ich wusste nicht, wie ich das alles bewältigen sollte, aber am meisten machte mir Nate zu schaffen und dass wir eigentlich keine richtige Beziehung führten. Dennoch gehörte das nicht unbedingt hierher. Ich befreite mich aus Liams Griff und nahm mir ein Taschentuch.
»Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Emma, du kannst das nicht alles alleine schaffen. Du brauchst Hilfe.«
»Du hilfst mir doch«, machte ich ihm klar.
Er presste die Lippen aufeinander.
»Und William auch.«
»Du musst einen Rat bestimmen«, wiederholte er seine Worte von heute Morgen. »Du musst dir auch von anderen Arbeit abnehmen lassen, nicht nur von mir und William. So hast du mehr Zeit, dich um Nate zu kümmern. Jäger und Gestaltwandler in gleichen Anteilen. So wie wir es schon vor Wochen besprochen haben.«
Ich wusste, er hatte Recht.
»Ich weiß nicht, wen ich von den Jägern benennen soll.«
Er lehnte sich zurück. »Das kann ich dir auch nicht sagen, dennoch muss es gemacht werden.«
Ich biss mir auf die Unterlippe.
»Außerdem solltest du nicht so viele Bücher lesen. Warum kann dir Harry keine Zusammenfassung geben?«
»Weil ich mir alles selber erarbeiten muss. Ich als Oberste muss alles wissen rund um das Leben der Jäger. Da kann ich mich nicht nur auf Zusammenfassungen verlassen.«
Diesmal seufzte er.
»Das schaffst du aber nicht und die Zeit wird immer knapper. Lange werden die Jäger die Phase des Umbruchs nicht mehr aushalten und auch wenn du sie mit deinen Befehlen unter Kontrolle halten kannst, werden die Spannungen immer größer … bis irgendetwas Schlimmes passiert.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich frustriert.
»Vielleicht könntest du Merle bitten dir zu helfen. Ihr Job hat doch etwas mit Büchern zu tun hat. Sie und Harry würden sicher ein unschlagbares Team abgeben und könnten dir zusammen mit dem Kodex helfen. Du kannst sie ja mal anrufen.«
»Das ist gar keine schlechte Idee«, gab ich zu. Ich schwieg und dachte eine Weile nach. Anders wäre es einfach nicht machbar, da musste ich Liam Recht geben, besonders, wenn ich mich auch noch um Nate kümmern musste. Die eben versiegten Tränen liefen erneut meine Wangen entlang.
»Denkst du schon wieder an Nate?«, fragte Liam. Ich schwieg.
»Ich weiß, du möchtest das nicht unbedingt hören und eigentlich möchte ich es auch gar nicht aussprechen, aber es besteht die Möglichkeit, dass er seinen Grauwolf nicht zurückbekommt.«
»Das kann ich einfach nicht glauben.«
»Du willst es nicht glauben«, verbesserte er mich. »Da geht es dir so wie mir.«
»Eigentlich spielt es für mich keine Rolle, ich liebe ihn, auch wenn er nicht mehr mein Lebenspartner ist, nur leider nimmt er mir das nicht ab oder zumindest scheint er sich dadurch nicht besser zu fühlen. Kannst du nicht mal mit ihm reden? Eventuell dringst du zu ihm durch?«, bat ich Liam.
»Er will meine Hilfe nicht. Er redet nicht mehr mit mir.« Fragend schaute ich ihn an.
»Ach komm, Emma, meinst du, mir wird er mehr Gehör schenken, seinem Konkurrenten?«
»Was meinst du mit Konkurrenten?« Doch bevor er auf die Frage antworten konnte, wurde mir bewusst, was er meinte. »Aber er muss doch wissen, dass zwischen uns nichts mehr …« Ich wusste, wie heikel das Thema war, aber er war der Einzige, mit dem ich darüber sprechen konnte, der mich verstand. »Meinst du, deswegen redet er nicht mehr mit dir? Weil er denkt, dass wir beide wieder zusammenkommen könnten?« Er presste die Lippen zusammen und nickte.
»Ich liebe ihn, er kann mir doch nicht ernstlich zutrauen, dass ich ihn einfach verlassen würde, nur weil keine Lebenspartnerschaftsgefühle mehr zwischen mir und ihm sind.«
»Das weiß er bestimmt, dennoch ist es ihm im Moment wahrscheinlich unmöglich, daran zu glauben. Sein Selbstvertrauen scheint zur Zeit nicht so groß zu sein. Deswegen zweifelt er an sich und an deinen Gefühlen zu ihm. Gib ihm einfach noch etwas Zeit, dann wird sicher alles wieder besser werden«, wollte er mich aufmuntern.
»Es tut mir leid, dass ich dich mit all meinen Problemen belaste.«
»Dafür sind Freunde doch da«, antwortete er. Hoffentlich meinte er das ernst. Ich wollte nicht, dass er noch an mir hing. Wir sollten wirklich nur Freunde sein.
»Los, iss noch etwas und dann gehst du am besten gleich ins Bett.«
»Ich kann nicht, ich muss mir noch Gedanken zu dem neuen Lehrplan machen. Tamara hat mir heute bewusst gemacht, wie wichtig die Theorie für die Novizen ist.«
Er seufzte. »Okay, wenn dein Teller leer ist, dann machen wir uns an die Arbeit«, schlug er vor.
Wir saßen bis 1 Uhr morgens an einem neuen Lehrplan, doch trotzdem wurden wir nicht fertig damit.
***
Am nächsten Morgen rief ich Merle an und bat sie um ihre Mitarbeit. Sie sagte glücklicherweise sofort zu. Dann lief ich eine Runde auf dem Gelände, um nach dem Rechten zu sehen. Auf einem der Übungsplätze war William gerade damit beschäftigt, den jungen Gestaltwandlern das Kämpfen in Tiergestalt beizubringen.
Auf der anderen Seite brüllte Tamara eine junge Frau an, die beim Laufen die Langsamste war. Tamara hatte vehement widersprochen, als ich ihr gesagt hatte, dass wir von nun an jeden weiblichen Träger des Jägergens, egal ob stark oder schwach, ausbilden würden. Ich hatte mir ihre Meinung dazu zwar angehört, musste sie aber dann mit einem Befehl zwingen mir zu gehorchen. Etwas, was ich ungerne tat und was hoffentlich nach der Erarbeitung des neuen Kodex nicht mehr so oft vorkommen würde.
Es machte mich auch etwas stolz zu sehen, dass Gestaltwandler und Jäger nebeneinander trainieren konnten, ohne sich gegenseitig umzubringen. Trotzdem war das momentan nur meiner Befehlsgewalt zu verdanken. Es musste ein Umdenken bei den verfeindeten Gruppen erzeugt werden und dieses versuchte ich zu initiieren. Demnach musste jede Entscheidung von mir genauestens durchdacht, jede Ansprache, die ich hielt, und jede Neustrukturierung gut überlegt sein. Das baute einen immensen Druck in mir auf, sodass ich Angst hatte unter ihm einzubrechen. Wenn ich wenigstens den Rückhalt von Nate gehabt hätte. Er hatte mir so oft mit seiner ruhigen, bodenständigen Art geholfen und seine Ratschläge waren immer die richtigen gewesen.
Er fehlte mir sehr, auch wenn er noch da war. Ich brauchte den alten Nate. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Noch zehn Minuten und dann würde ich mich mit Harry in der Bibliothek treffen. Er war noch immer mein Lehrer und lehrte mich alles rund um die Jägerschaft. Wir gingen gerade die Führungsstile der anderen Obersten durch. Das sollte mir in der Rolle der Obersten helfen. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich mit neunzehn Jahren die Verantwortung für die gesamte Jägerschaft trug und indirekt für die Gestaltwandler auch. Ich wusste nicht, nein, ich konnte gar nicht wissen, wie ich sie anleiten sollte. Wie sollte ich Selbstbewusstsein ausstrahlen, wenn ich nicht selbstbewusst war? Mir fehlte einfach die Erfahrung.
Larson, ein neuer Gestaltwandler, lief mir über den Weg. Er war wie viele andere seiner Neugierde gefolgt und zu uns gekommen, seitdem war er geblieben.
»Hallo«, begrüßte er mich mit einem Lächeln. Er war durch und durch ein Weltenbummler, der wie vom Wind getragen von einem Ort zum anderen reiste, und genauso sah er auch aus. Sein langes blond gelocktes Haar hatte er locker zusammengebunden. Er trug eine Jeans, deren Hosenbeine ausgefranst waren und auf dem Boden schleiften, dazu ein weißes Leinenhemd. Ich sah ihn immer nur mit Flip Flops, egal bei welchem Wetter.
»Die Sonne scheint so schön heute«, schwärmte er. »Ich glaube, ich verbringe die heutige Nacht draußen.«
»Eine Zeitlang habe ich das auch gemacht. Selbst im Winter habe ich mich als Schneeleopard in den Schnee gelegt.«
Sein Blick war sehnsuchtsvoll, als er sagte: »Ein Tier gehört nach draußen, auch wenn es im Körper eines Menschen ruht.«
Eigentlich hätte ich seine philosophischen Sprüche schon gewöhnt sein müssen, aber sie überraschten mich immer wieder aufs Neue.
»Ich habe dich schon lange nicht mehr als Adler gesehen. Es wäre schön, wenn wir mal wieder zusammen fliegen könnten«, sagte er. Seine Gestalt war ein Wanderfalke und meistens nutzte er schönes Wetter, um seine Kreise über das weitreichende Gelände zu ziehen.
»Du hast Recht, derzeit komme ich nicht so oft dazu. Ich habe einfach zu viel zu tun.«
»Manchmal findet man die Lösung des Problems erst, wenn man sie nicht sucht. Etwas Abstand könnte hilfreich sein.«
»Heute geht es leider nicht, aber morgen können wir gerne zusammen fliegen.« Dann fielen mir aber wieder all die Aufgaben ein, die ich noch zu erledigen hatte. Finde ich überhaupt die Zeit mit ihm zu fliegen? Wahrscheinlich nicht, aber ich wollte ihn nicht enttäuschen. In meiner Freizeit hatte ich mich schon lange nicht mehr verwandelt, obwohl ich es so sehr wollte. Mir fehlte es, mich einfach so zu verwandeln und ein Tier zu sein. Warum hatte ich mir das schon so lange nicht mehr gegönnt?
Nate, die Antwort war tief in meinem Verstand eingegraben. Ich wollte Nate nicht kränken. Deswegen versuchte ich mich so wenig wie möglich zu verwandeln.
»Wenn du bereit bist, bin ich da«, verabschiedete er sich und wurde noch vor meinen Augen zu seinem wendigen und großen Wanderfalken. Ich wollte hinter ihm her, als ich ihn davonfliegen sah, aber dann erinnerte ich mich an Harrys Unterricht.
***
Mein Schädel dröhnte, als Harry mich entließ. Natürlich hatte er mir wieder einen Haufen Bücher mitgegeben. Noch mehr Tagebücher der Obersten zum Durchlesen. Als ich mein Zimmer betrat, lag Nate noch immer im Bett. Er schlug die Augen auf und beobachtete mich, wie ich den Stapel auf meinen Nachttisch legte.
»Noch mehr Lektüre?«, fragte er.
»Es hört nicht auf«, seufzte ich.
Er setzte sich auf.
»Hast du Lust mit mir zu essen? Ich sterbe vor Hunger«, fragte ich.
»Nur wir beide?«
Ich nickte.
»Gib mir eine Minute. Ich werde mich nur schnell fertig machen.«
»Nur keine Eile. Ich werde kurz einen Blick in eins der Bücher werfen.«
Er verzog sich in das Badezimmer und ich hörte, wie die Dusche anging. Währenddessen las ich ein paar Zeilen in Karls Tagebuch. Er war der Oberste gewesen, bevor Jace an die Macht gekommen war.
Ich musste während der Lektüre mit einem Brechreiz kämpfen. Karls selbstherrlicher Schreibstil widerte mich an und die psychopathischen Gedanken, die er auf diesen Seiten festgehalten hatte, ließen mich das Buch auf den Boden werfen. Es ging dabei um grausame Foltermethoden, die die Gestaltwandler im damaligen Verlies zum Reden bringen hatten sollen. Ihm waren einige Dinge dazu eingefallen.
Wie soll mir das nur bei der Führung der Jäger helfen? Vielleicht sollte ich mal googeln, ob es ein Buch Oberster-sein-für-Dummies gab. Das wäre bestimmt hilfreicher.
Die Badezimmertür ging auf und ein frisch rasierter Nate kam heraus. Er hatte seine feuchten Haare nach hinten gestrichen und sah unwiderstehlich aus.
»Gefällt dir deine Lektüre nicht?« Er hob das Buch auf und legte es auf das Bettende.
»Nicht gefallen wäre noch untertrieben, ich hasse sie.«
»Du solltest nicht so viel arbeiten.«
Ich seufzte. »Leider bleibt mir nichts anderes übrig.« Er reichte mir die Hand und ich nahm sie dankbar an. Mit einem Ruck zog er mich hoch und ich kam direkt vor ihm zum Stehen. Sein Blick nahm mich wie immer gefangen, seine Lippen kamen näher und das war das erste Mal, seit langer Zeit, dass er einen Kuss von sich aus initiierte. Er war sanft und kurz und ließ mein Herz schneller schlagen vor Glück, weil es für mich ein Zeichen war, dass es ihm besser ging. Lächelnd strich ich ihm durch die feuchten braunen Haare, sodass sich einzelne Strähnen lösten.
»Wir sollten los«, unterbrach er mich in meinem Tun.
***
Wir überraschten meine Leibköchin bei der Vorbereitung des Abendessens. Sie war eine vollbusige fleißige Frau, die ihre Assistenten gut im Griff hatte, und auch jetzt gab sie schnelle Anweisungen und zauberte für uns zwei Portionen Feldsalat mit Hühnchen und Rosmarinkartoffeln.
Wir aßen im Salon an dem Zweiertisch, auf dem zu Jaces Zeiten ein Schachbrett gestanden hatte. Das Esszimmer wäre für uns einfach zu groß gewesen.
»Schmeckt es dir?«, versuchte ich ein Gespräch anzufangen.
»Ja, wie immer.«
»Wollen wir uns danach vielleicht etwas nach draußen setzen? Das Wetter ist einfach zu schön, um den ganzen Tag drinnen zu verbringen«, sagte ich. Eigentlich hätte ich mir nach dem Essen Gedanken über den Rat machen sollen, aber ich hatte keine Lust dazu. Außerdem war mir Nate wichtiger. Ich wollte, dass es ihm wieder gut ging, und dafür würde ich alles tun.
»Nein, nach dem Essen wollte ich noch etwas lesen.«
Ich versuchte mir meine Enttäuschung nicht ansehen zu lassen.
»Was liest du gerade?«
»Siddhartha von Hermann Hesse.« Es schien nicht so, als ob er noch mehr davon erzählen wollte, also musste ich das Gespräch weiterführen.
»Ich habe heute Merle angerufen. Sie kommt in ein paar Tagen und wird mich beim Durcharbeiten der Bücher unterstützen.« Er sagte dazu nichts und nahm noch einen Bissen von seinem Fleisch.
Dann ein anderes Thema: »Ich bin gerade dabei den Rat zusammenzustellen und mir ist es wichtig, dass du ein Teil davon bist.«
»Warum? In meinem Zustand bin ich für niemanden eine Hilfe.«
»In deinem Zustand … das klingt ja fast so, als ob du eine schlimme Krankheit hättest.«
»Ich sehe es eher als eine Art Behinderung«, erwiderte er.
Klirrend ließ ich die Gabel fallen. Ich wusste, dass ich mich jetzt auf schwierigem Terrain befand. Immer wenn wir über den Verlust des Wolfes sprachen, wurde er laut und machte sofort zu. Doch diesmal musste ich einfach sagen, was ich dachte: »Nate, bitte gib dich nicht auf. Du bist immer noch am Leben und ich bin unendlich dankbar dafür, dass du mir nicht genommen worden bist.« Tränen stiegen mir in die Augen, als ich seinen ungläubigen Blick sah.
»Du bist immer noch du, ganz gleich, ob du dich verwandeln kannst oder nicht.«