Die junge Gräfin
– 4–

Der schöne Hubertus packt aus

… und eine alte Liebe entflammt wieder neu

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-937-4

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Je näher Alexandra Schloss Greven kam, umso langsamer und zögerlicher wurden ihre Schritte. Schließlich blieb sie stehen. Am liebs­ten wäre sie umgekehrt. Aber das ging ja nicht. Sie hatte eine Verabredung mit dem Schlossherrn, und die musste sie auf jeden Fall einhalten. Alles andere wäre unhöflich.

Welcher Teufel hatte sie bloß geritten, als sie Hubertus von Greven um ein Gespräch gebeten hatte? Sie wusste es selbst nicht mehr, und es kam ihr auf einmal als sehr unangemessen vor.

Alexandra kannte den Grafen gut, sie mochte ihn, und sie hatte auch überhaupt keinen Zweifel daran, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte.

Aber …

So eng waren sie nun auch nicht miteinander, um über höchst persönliche Dinge zu sprechen.

Und genau das wollte sie tun!

Vielleicht wäre sie sehr viel unbefangener zum Schloss gegangen, wenn sie nicht diese Regieanweisungen ihrer Schwester und ihres Schwagers mit auf den Weg bekommen hätte.

Sie konnte schon verstehen, dass Sabrina und Elmar wissen wollten, welche Rolle die junge Ariane im Leben von Graf Hubertus spielte.

Aber, warum zum Teufel, fragten sie ihn nicht selbst?

Als ruchbar geworden war, dass sie den Grafen treffen würde, waren sie über sie hergefallen wie die Geier auf ein Stück Aas.

Sabrina hatte ihr gesagt, was sie tun und fragen sollte, und Elmar hatte seine Frau darin sogar noch übertroffen. Es fehlte nicht viel, da hätte er ihr einen Zettel mit seinen Fragen mitgegeben und sie vorher noch einmal abgefragt, ob sie auch alles begriffen und behalten hatte, ganz so, wie ein Lehrer in der Schule.

Alexandra schüttelte den Kopf.

Nein!

Sie musste vergessen, was Sabrina und Elmar ihr mit auf den Weg gegeben hatten. Sie wollte mit Hubertus nicht endlos diskutieren, sie hatte sich vorgenommen, ihm nur eine einzige Frage zu stellen. Und genau das würde sie tun, sonst nichts!

Alexandra atmete tief durch, als sie sich wieder in Bewegung setzte. Und jetzt hatte sie auch einen Blick für den wunderschönen Park mit seinen alten, prachtvollen Bäumen, den üppigen Rhododendronbüschen und anderen Ziersträuchern. Alles machte einen sehr gepflegten Eindruck, und es war zu erkennen, dass diese Pracht nicht in einer Saison entstanden war, sondern dass Generationen daran gearbeitet hatten.

Die Grevens waren ein altes Adelsgeschlecht. Von daher hatte Sabrina ebenbürtig geheiratet. Sie hatte zwar immer beteuert, dass sie auch einen Herrn Schulz oder Müller geheiratet hätte, doch das glaubte Alexandra ihrer Schwester nicht. Es war ihr leichtergefallen sich in Elmar zu verlieben, als sie erfahren hatte, wer er war.

Es war schon so was mit ihrer Schwester Sabrina. Auf der einen Seite war sie modern, ganz besonders, was ihren Lebensstil anging, auf der anderen Seite war sie schon sehr standesbewusst und genoss die Privilegien, die man in Adelskreisen hatte.

Sollte sie. Jeder sollte versuchen, seine Ideale zu leben.

Sie selbst wusste für sich aber eines mit absoluter Sicherheit, sie würde ihr Herz sprechen lassen, sonst nichts, und wenn es einem Herrn Schulz oder Müller zufliegen würde …, auch gut.

Sie seufzte.

Ihr Herz war einem Mann zugeflogen, es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick gewesen, diese Magie, die man nur verspürte, wenn zwei Seelen einander berührten.

Eine Liebe, zu der im Film immer die Geigen erklangen.

Und was hatte sie davon gehabt?

Alexandra blieb vor einem Strauch mit vielen kleinen zartrosa Blüten stehen, die auf den Ästen zu tanzen schienen, so fragil waren sie. Es sah wunderschön aus, sie durfte nicht vergessen, Hubertus zu fragen, um was für ein Gewächs es sich dabei handelte. Sie hatte keine Ahnung, und das bedeutete was, denn eigentlich war sie, was Bäume und Pflanzen anbelangte, sehr bewandert.

Sie wandte sich ab und ging langsam weiter.

Ja, was hatte sie davon gehabt, nichts, weil das Schicksal es ganz offensichtlich anders wollte und ein Wiedersehen vereitelt hatte. Und so würde ihr nur eine wunderschöne, traumhafte Erinnerung bleiben an diesen Mann namens … Joe, mehr wusste sie nicht.

Alexandra blickte auf ihre Armbanduhr, dann begann sie zu rennen.

Gleich elf!

Sie hatte sich total vertrödelt.

Ein wenig atemlos kam sie vor dem Schloss an. Es war wirklich mehr als imposant, wirkte aber in seiner gewaltigen Behäbigkeit auch etwas düster und erdrückend.

Sie war froh, dass es bei ihrem geliebten Schloss Waldenburg anders war.

Die doppelflügelige Eichentür stand offen. Arras, Hubbertus’ milchkaffeefarbener Hovawart, kam ihr entgegengelaufen, sprang freudig an ihr hoch, so temperamentvoll, dass Alexandra Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.

»Ist ja schon gut, Arras, ich freu mich auch, und sieh mal, was ich dir mitgebracht habe, du Stromer …, ich weiß doch genau, was dir schmeckt.«

Alexandra angelte aus ihrer Tasche ein paar Leckerli, die sie wohlweislich mitgenommen hatte.

Arras stürzte sich schweifwedelnd darauf.

»Hund müsste man bei dir sein, um so verwöhnt zu werden«, unbemerkt war Hubertus von Greven im Türrahmen erschienen. Er sah fan­tas­tisch aus in seiner grauen Hose, dem grau-weiß gestreiften Hemd, von dem er die Ärmel hochgekrempelt hatte, der Kragen war offen.

Hubertus war wirklich ein sehr gut aussehender Mann, der den Aris­tokraten irgendwo nicht verleugnen konnte. Vielleicht lag das an dem vollen grauen Haar, den scharf geschnittenen Gesichtszügen, die einen leicht arroganten Gesichtsausdruck vermittelten.

Aber da trog der Schein, Hubertus war alles andere als arrogant. Man konnte sich schon gut in ihn verlieben, besonders dann, wenn man so jung und unerfahren, auch ein wenig schüchtern war wie Ariane.

»Guten Morgen, Hubertus«, sie ging auf ihn zu, aber das war erst möglich, nachdem sie Arras beiseitegeschoben hatte, der nach mehr bettelte.

»Guten Morgen, meine Liebe«, er erwiderte ihr Wangenküsschen, »pünktlich wie die Maurer …, so liebe ich es …, aber komm rein, sollen wir uns in die Bibliothek setzen? Ich habe wahlweise Tee und Kaffee und kalte Erfrischungen vorbereiten lassen.«

»Danke, Hubertus, aber die Mühe hättest du dir nicht machen müssen.«

Er war zuvorkommend, freundlich. Hoffentlich änderte sich das nicht gleich, wenn sie ihm ihre Frage gestellt hatte, die ihr jetzt geradezu unverschämt vorkam. Er war ein älterer Mann, eine Autoritätsperson, er könnte ihr Vater sein …, verflixt noch mal, was war nur in sie gefahren. Ein wenig beklommen folgte sie ihm.

Schloss Greven war beeindruckend, auch von Innen. Es konnte allerdings auch beklemmend sein, auf den ersten Blick mit dieser Jahrhunderte alten Tradition konfrontiert zu werden. Für den heutigen Geschmack waren die Möbel zu schwer, die Gemälde, meist die der Ahnen, zu düster.

Aber wenn man nichts weiter als diesen Rahmen kannte, sah man es vermutlich anders. Da war es die Gewohnheit.

Obschon auf dem Steinfußboden wundervolle Teppiche lagen, hallten die Schritte, und das lag vermutlich an der Größe des Raumes, an der Höhe der Decken.

Auch die Bibliothek, in die Hubertus sie führte, war mehr als nur beeindruckend.

Sie war riesig, und die bis an die hohe Decke reichenden dunklen Holzregale waren bis oben hin mit Büchern gefüllt.

Die Waldenburgs hatten eine Bibliothek, die sich sehen lassen konnte, aber die war nichts gegen das hier. Aber, wie gesagt, bei den Grevens war auch nichts abgebrannt, sonst hätten die Waldenburgs ihnen in nichts nachgestanden, sie vielleicht sogar noch übertrumpft, denn sie waren allesamt ausgesprochene Leseratten.

Doch darum ging es ja überhaupt nicht, es sollte kein Kräftemessen stattfinden so nach dem Motto ich hab viel, du hast mehr oder umgekehrt.

Wenn man so wollte, hatten sie doch alle mehr als genug.

Hubertus führte sie zu einem honigfarbenen Ledersessel, der erstaunlich bequem war, aber diese Möbel hatte er auch erst vor nicht allzu langer Zeit angeschafft. Sie fügten sich hervorragend in das Ambiente ein.

»Und was darf ich dir anbieten, Alexandra?«, erkundigte er sich höflich.

Am liebsten hätte sie gar nichts gesagt, doch da er sich bereits eine solche Mühe gegeben hatte, alles für sie bereitstellen zu lassen, wäre das mehr als unhöflich gewesen.

»Oh, bitte einen Kaffee«, sagte sie, obschon das keine gute Entscheidung war. Sie hatte bei Sabrina schon viel Kaffee getrunken, und nervös war sie schon jetzt.

»Den nehm ich auch«, bemerkte er, dann hantierte er an der silbernen Kanne und schenkte den köstlich duftenden Kaffee in den hauchfeinen Porzellantassen ein. »Wenn ich mich recht erinnere, trinkst du ihn genau wie ich – heiß und schwarz.«

Alexandra nickte, reden konnte sie nicht.

Er wirkte so ruhig, so gelassen. Aber würde er das auch noch sein, wenn sie mit ihrer Frage herausgerückt war?

Er setzte sich ihr gegenüber, trank etwas von seinem Kaffee, Alexandra wollte es ihm gleichtun, doch dann ließ sie es bleiben, als sie merkte, wie sehr ihre Hand zitterte.

Hubertus lehnte sich zufrieden zurück, schaute seine Besucherin erwartungsvoll an.

»So, meine Liebe, nun heraus mit der Sprache. Was willst du wissen?«

Herrje!

Warum hatte er nicht erst was Allgemeines, Unverbindliches gefragt, sondern war sofort mit der Tür ins Haus gefallen.

Alexandra wusste, dass es töricht war, so zu denken.

Es würde einen kleinen Aufschub bedeuten, mehr doch nicht. Sie hätte vorher an die Konsequenzen denken müssen.

»Ja, Hubertus …« Sie brach ab.

Er blickte sie an, doch erst als er merkte, dass sie vermutlich nicht weitersprechen würde, ermunterte er sie nochmals. »He, Alexandra, du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Was willst du wissen?«

Sie atmete tief durch. Sie durfte sich nicht länger zieren.

»Hubertus, ist … Ariane …, nun, ist sie … deine«, wieder eine kurze Pause, ehe sie es endlich aussprach. »Ist sie deine Tochter?«

Sie schloss die Augen, weil sie schon im Vorfeld das Donnerwetter fürchtete, das gleich auf sie niedergehen würde. Er würde sich aufregen, weil sie sich so sehr in sein Privatleben mischte, er würde …

Ehe sie diese Gedanken weiterspinnen konnte, hörte sie seine sanfte Stimme sagen: »Ich habe damit gerechnet, dass du mich das fragen würdest.«

Sie riss die Augen auf, richtete sich in ihrem Sessel kerzengerade auf, starrte ihn an. Sie glaubte, sich verhört zu haben.

»Du hast …, du hast bitte schön was?«, stammelte sie verblüfft.

Hubertus lachte und zerriss damit die im Raum liegende Spannung.

»Alexandra, ich habe gespürt, wie du Ariane und mich beobachtet hast, ich habe auch gespürt, dass du, als Einzige im Übrigen, die richtigen Schlüsse gezogen hast … Ich will deine Frage beantworten. Ja, es ist richtig, Ariane ist meine Tochter.«

Sie hatte es geahnt, aber jetzt, da er es ruhig und gelassen ausgesprochen hatte, war es etwas anderes, es nahm ihr den Atem, und zunächst einmal saß sie wie erschlagen in ihrem Sessel und konnte vor lauter Benommenheit überhaupt nichts mehr sagen.

Auch Hubertus sagte nichts, er schien in Gedanken versunken zu sein, und es dauerte eine ganze Weile, ehe er mit leiser Stimme zu sprechen begann.

»Ich habe Arianes Mutter Christine sehr geliebt, und ich wollte sie auch heiraten, aber meine Eltern waren strikt dagegen, sie hatten eine andere Frau für mich im Sinn, eine aus Adelskreisen. Sie drohten, mich zu enterben, und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich gefügt habe. Ich habe auf meine große Liebe verzichtet und der arrangierten Hochzeit mit Henriette von Solden zugestimmt.«

»Und du …, du wusstest nicht, dass … Christine schwanger war?«, ächzte Alexandra mit vor innerer Erregung heiser klingenden Stimme.

Lächelnd schüttelte Hubertus den Kopf.

»Nein, Christine war nicht schwanger, sonst hätte ich sie doch nicht verlassen.«

Alexandra wurde vor lauter Verlegenheit rot.

Wie töricht von ihr, Ariane war doch viel zu jung. Das wäre doch überhaupt nicht gegangen, weil eine Frau ihr Kind nicht Jahre austrug, sondern neun Monate.

»Entschuldige, Hubertus, das war dumm von mir.«

Er winkte ab.

»Henriette und ich haben eine … ordentliche Ehe geführt, wir respektierten einander, und es war auch Zuneigung im Spiel, und sie schenkte mir drei wunderbare Söhne, denen sie eine ganz hervorragende Mutter war, sie war eine ausgezeichnete Repräsentantin … Ihr Tod ist mir sehr nahe gegangen, und ich vermisse sie.«

Wieder schwieg er, wie gebannt hing Alexandra an seinen Lippen.

Sie war fix und fertig.

Etwas zu ahnen war eine Geschichte, die Bestätigung dafür eine andere.