Teresa Zukic

Zurück zur ersten Liebe

Teresa Zukic

Zurück zur ersten Liebe

Himmlische Neuanfänge

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Die Bibeltexte sind entnommen aus:

Die Bibel. Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes.

Vollständige deutsche Ausgabe © Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005

Satz: Röser Media, Karlsruhe

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG

Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal

Umschlagmotiv: © Stefan Weigand,

© Ekaterina Romanova - iStock - GettyImages

ISBN E-Book 978-3-451-82113-4

ISBN Print 978-3-451-38806-4

Für alle, die sich
nach Liebe sehnen

Inhalt

Vorwort

Wo ist die erste Liebe geblieben?

Herzklopfen – Die wunderbare Zeit des Verliebens

Ein Gläschen Zucker – Unsere Mission ist die Liebe

Wertvoller als ein Lottogewinn – Was ist die erste Liebe?

Du schaffst das – Liebe in harten Zeiten

Der Knuddelvorhang – Liebe macht kreativ

Date mit einem Engel – Habt keine Angst vor der Angst

Liebe ist stärker als der Tod – Freude auf Gottes Willkommenskuss

Per Du mit Gott – Was wirklich wichtig ist

Auf die Plätze, fertig, los – Zeit für Neuanfänge

Zum Schluss

Danke

Über die Autorin

Vorwort

Schwester Teresa Zukic ist unter vielem anderen eine Dichterin. So überrascht es nicht, dass ihre Einladung „Zurück zur ersten Liebe“ so etwas wie ein Gedicht ist. „Kostet und seht, wie gütig der Herr!“ (Psalm 34,9), schrieb einst der größte Dichter der Bibel, König David. Schwester Teresa lässt ihre Leser in großen Zügen, ausgiebig und bis zur Sättigung „schmecken und sehen“, wie irrsinnig atemberaubend die Liebe Gottes ist! Ein zeitgemäßes Buch. In einer von Corona und von revolutionären Tumulten geplagten Welt stellen kopfschüttelnde und naserümpfende Zyniker mehr denn je die Frage: „Wo ist denn dieser Gott?“ Mittendrin ringt eine katholische Schwester förmlich nach Worten, die kraftvoll genug sind, um den herrlichen Schöpfer des Universums zu beschreiben. Einen Schöpfer, der sich auf eine hartnäckige und unerbittliche Suche nach jenen Geschöpfen macht, die nach seinem Ebenbild und für die Gemeinschaft mit ihm aus Liebe geschaffen wurden.

Das ist die Essenz von Dichtung: nach Worten zu ringen für etwas, das mit menschlichen Worten nicht beschrieben werden kann! Schwester Teresas unersättliche Freude über Gott ist umso erstaunlicher, da sie inzwischen einige Jahre im Glauben unterwegs ist und manch heftigen Rückschlag einzustecken hatte. Ihre Glaubensreifung besteht nicht in der verkopften Professionalisierung einer blutleeren Religion, sondern in der wachsenden, sprudelnden Freude eines Kindes, das in einem Schleckladen noch längst nicht alle Genüsse ausprobiert hat, die von den Regalen winken, diese Genüsse auch unbedingt mit anderen teilen will. So wie die ersten Jünger, die „nicht schweigen“ konnten von allem, was sie gesehen und gehört hatten (Apg 4,20). Oder in den Worten von Schwester Teresa: „Manchmal meinte ich, mein Herz explodiert von der Fülle Seiner Gegenwart. Manchmal konnte ich vor Freude nur Luftsprünge machen.“

Der christliche Glaube ist jedoch kein heiles Lala-Land, das macht die Autorin klar. Im Gegenteil. Schicksalsschläge, Angst, Corona, Kindesmissbrauch, Krankheit, die Ehrlichkeit, der eigenen Sterblichkeit ins Gesicht zu schauen. Kein Thema ist hier tabu. Logisch. Auch in der Bibel ist nichts tabu. Gerade das Kapitel über den Tod ist Gänsehaut pur.

Die Autorin scheut sich nicht, auch in die dunkelsten Abgründe einer gebrochenen Welt mutig hineinzuschauen und trotzdem – und gerade dort – Hoffnung zu finden und diese Hoffnung weiterzugeben.

„Aus diesem Vertrauen heraus will ich so sterben, wie ich gelebt habe. Lebensbejahend und närrisch glücklich“, verkündet sie trotzig. Sie irritiert ihre Leser nicht mit frommen Floskeln, sondern rüstet sie vielmehr mit praktischen Tipps und gedanklichen Mechanismen aus, die Angsthasen (wie ich es bin!) helfen, mit Sorgen und Verlusten umzugehen.

Und dann die klare Aufforderung, „sich von Seiner Botschaft infizieren zu lassen .... Seine Botschaft umzusetzen.“ Die Einladung, Gott persönlich in Jesus Christus kennenzulernen, seine Worte zu Herzen zu nehmen, seinen Auftrag in dieser Welt auszuführen. „Auf die Plätze, fertig, love!“, schreibt sie am Ende ihres Buches. Meine dringliche Ermutigung lautet „Auf die Plätze, fertig lies!“ Und zwar bis zum Ende! Es wird ein unvergessliches Erlebnis sein!

Nicola Vollkommer

Autorin und Referentin

Reutlingen 09.07.2020

Wo ist die erste Liebe geblieben?

Ehrlich! Ich tue mir schwer mit Sätzen, die positiv anfangen, lobend klingen und durchaus freundlich gemeint sind, aber nicht positiv enden. Der Blick deines Gegenübers verrät, dass gleich noch etwas anderes folgen wird. Im Bruchteil einer Sekunde, von der Du geglaubt hast, dass etwas von deinem Tun wertgeschätzt wird, schaffen es vier kleine Buchstaben, alle lobenden Worte wieder zunichtezumachen und Dich in ein Gefühlschaos zu stürzen: ABER! Plötzlich folgt auf die Wertschätzung ein Vorwurf. Das Gute, Deine Idee, Dein Wirken werden abrupt geschmälert.

Bis ins Mark getroffen wurde ich vor Jahren von einem Vers aus der Bibel, der mit dem Wort „aber“ endet. Dieser Vers taucht auf einmal in der wohl außergewöhnlichsten und bedrohlichsten Fastenzeit meines Lebens wieder auf: während des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020. Zu finden ist dieser Vers ganz hinten in der Bibel, im Buch der Offenbarung. In einem Schreiben an die Gemeinde in Ephesus heißt es dort:

„Ich weiß um deine Werke, deine Mühe und deine Ausdauer (…) Auch hast du Ausdauer und hast um meines Namens willen die Last getragen und bist nicht müde geworden. Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“ (Off 2, 2-4)

„Wow“, dachte ich damals, und „Wow“ denke ich auch heute noch. Da empfängt die Gemeinde in Ephesus ein großes Lob für ihre Werke, ihre Geduld und ihr Ausharren, und dann kommt der Vorwurf: „Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“ Wer möchte so einen Vorwurf schon hören?

Wie leuchtend war die erste Liebe der ersten christlichen Gemeinden gewesen. Mit wie viel Begeisterung sind die ersten Christen in die Nachfolge ihres Herrn gegangen. Wie begeistert hatten sie von den Wundertaten und Predigten des Jesus von Nazareth berichtet. Wer hatte je zuvor Wasser in Wein verwandelt? Wer hatte je zuvor den Sturm gestillt, war über das Wasser gelaufen, hatte Blinde sehend gemacht und Tote zum Leben erweckt? Welcher religiöse Führer hat je mit Sündern gegessen, Aussätzige berührt, war Ausgestoßenen aller Art so nahegekommen? Welcher Zimmerer erlaubte sich, im Tempel ohne „Theologie“-Studium zu lehren und die jahrtausendealten Schriften in den Synagogen auszulegen und sie auf sich selbst zu beziehen? Wer ließ sich als Mann von fremden Frauen ansprechen, berühren, salben und begleiten? Wer hatte je gelehrt, die andere Wange hinzuhalten oder sich freiwillig beschimpfen, verleugnen und verfolgen zu lassen und dabei vor Freude zu jauchzen? Ja, wer hatte je dazu aufgefordert, die Feinde zu lieben und ihnen bedingungslos jede Tat, mag sie noch so abscheulich und verbrecherisch sein, zu vergeben? Und welcher unschuldige Mensch, der behauptete, König zu sein, ließ sich wehrlos einsperren, auf brutale Weise foltern, geißeln und ans Kreuz nageln, um damit die Sünde und Schuld des ganzen Volkes, ja der ganzen Menschheit auf sich zu nehmen?

Jesus Christus hatte den Tod besiegt und seine Verheißung wahrgemacht. Als er sich als Auferstandener bei seinen Jüngern blicken ließ, waren sie danach wie ausgewechselt gewesen und wurden zu Aposteln der Kirche. Und nicht nur die Jünger wurden zu mutigen Zeugen Seiner Botschaft. Selbst aus dem radikalen Gegner und Verfolger Saulus wurde Paulus, ein unermüdlicher Missionar, der zahlreiche Hauskreise und Gemeinden gründete. Jesus Christus, der Auferstandene, hatte Sein Licht, Seine frohmachende Botschaft, Seinen Beistand und Sein Mahl hinterlassen, um für immer im Kreise Seiner Gläubigen gegenwärtig zu sein.

In den ersten Jahren nach der Auferstehung waren aus vielen Juden und Heiden Christen geworden, die sich und ihre ganze Familie taufen ließen. Sie gingen den „Neuen Weg“ und folgten der neuen Botschaft eines explosiven Evangeliums, das durch Nächstenliebe und Vergebung das Denken und Handeln der Menschen auf den Kopf stellte und für immer die Welt verändern sollte. Die ersten Christen teilten alles, was sie hatten, und feierten in ihren Häusern das Abendmahl. Für all ihre Mühen und Ausharren, selbst in der Zeit der Verfolgung, waren sie von Paulus gelobt geworden.

Doch plötzlich schien vielen Christen das Entscheidende zu fehlen: das Strahlen der ersten Liebe. Auch die Gemeinde in Ephesus lebte nicht mehr aus der lebendigen Mitte, die der Herr ist. Nicht mehr aus der Freude und Spontaneität der ersten Jahre. Die Gemeinde war in Ordnung, bestens organisiert, aber sie strahlte die Liebe nicht mehr aus. Ihr fehlte die Anziehungskraft. Die Zeit der ersten überschwänglichen Liebe war vorbei. Und nun? Eine Gemeinde, eine Beziehung, gut gefügt, aber ohne lodernde Flamme, ohne Leidenschaft für Gott oder füreinander.

„Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“ – Sollte dieser Vorwurf wirklich nur an die Gemeinde in Ephesus vor 2000 Jahren gerichtet sein? Wie oft im Laufe der Kirchengeschichte hätte Jesus berechtigte Gründe gehabt, diesen Satz zu wiederholen? Ich bin sicher, diese Worte wurden auch für uns in unserer heutigen Situation geschrieben. Für unsere Pfarrer, Gemeinden, Familien, alle Gläubigen, ja für mich ganz persönlich.

Ich bin mir sicher: Irgendwo da tief unten in der Seele unserer Kirche, unserer Beziehungen, unseres Glaubens liegt eine Erinnerung an die Anfangsliebe.

Doch halt! Gilt dieser Vorwurf nur uns Christen? Als die Welt 2020 plötzlich stillstand, tobte es in meinem Herzen: „Was ist nun das Wichtigste für die Menschen da draußen?“ Was ist das Wichtigste für die Menschen, wenn der tägliche Wahnsinn von Arbeit, Schule, Staus und Meetings plötzlich unterbrochen ist? Ein kleines, unsichtbares Virus schaffte es, dass der ganzen Menschheit diese existenzielle Sinnfrage aufgedrängt wurde. Was ist das Wichtigste im Leben?

Hatten wir nicht alle ein Stück weit die „erste Liebe“ verlassen? Hatten wir uns nicht alle in den letzten Jahren darüber beklagt, zu wenig Zeit zu haben? Für all diejenigen, die keine systemrelevanten Berufe haben und die nicht in Krankenhäusern, Lebensmittelläden oder Altenheimen arbeiten, war sie nun da – freie Zeit. Endlich. Unwirklich. Radikal. Zeit im Überfluss für die Liebsten, fürs Gebet, Erholungszeit sogar für unsere Mutter Erde. Die Selbstverständlichkeit unseres täglichen Lebens, unser gewohnter Tagesrhythmus, war auf den Kopf gestellt worden. Ein durch und durch organisierter Alltag mit allen Mühen, Arbeit, Einsatz, Ausharren und Pflichten war uns plötzlich so lieb, dass viele es nicht abwarten konnten, schnell wieder in die Normalität zurückzukehren. Koste es, was es wolle.

Plötzlich hatten wir Zeit, über die Frage nachzudenken: „Was ist in meinem Leben wirklich wichtig?“ Und viele stellten fest: Wir haben das Wichtigste aus den Augen verloren. Waren wir vor Corona nicht zu laut, zu beschäftigt, zu ignorant und zu uninteressiert gewesen? Hatten wir nicht das Wichtigste verlassen: die erste Liebe zu Gott, zu unseren Lebenspartnern, der Familie, der Schöpfung, den Werten des Umgangs miteinander? Wir hatten gar nicht bemerkt, dass wir die große, köstliche, wundersame, erste Liebe verlassen hatten. Nun wollte ich diese Liebe suchen, sie wiederfinden, sie aufspüren und sie zurückbringen. Ich wollte zu ihr umkehren und herausfinden, welche das ist.

Jesus, Du bist anders.
Du hast alles auf den Kopf gestellt.
Denn Dein Maßstab war die Liebe,
nicht der äußere Schein,
das Herz sollte rein
und der Letzte der Erste sein.

Jesus, Du bist anders.
Du hast geliebt,
wie noch keiner vor Dir es tat.
Verzichtest auf alle Macht.

Hast bewiesen, dass Sanftheit siegt
und im Vergeben die Heilung liegt.

Jesus, Du bist anders.
Hast den Himmel auf die Erde gebracht.
Deine Botschaft war betörend,
voll Wahrheit und Kraft.

Hast Gottes Liebe greifbar
und Licht in alle Finsternis gebracht.

Herzklopfen – Die wunderbare Zeit des Verliebens

Es gibt für jede Ordensschwester ein Leben vor dem Kloster und ja, auch Schwester Teresa war einmal so richtig verliebt. Über beide Ohren. Obwohl ich für eine Beziehung in meiner Jugend überhaupt keine Zeit hatte. Als Leistungssportlerin verbrachte ich fast meine komplette Freizeit in Turnhallen und Leichtathletikstadien, Krafträumen, Weitsprunggruben oder auf Tartanbahnen. Wenn sich eine Beziehung mit einem Jungen anbahnte, endete sie spätestens, wenn ich hörte: „Du musst Dich entscheiden, entweder der Sport oder ich.“ Ich blieb Sportlerin und dachte nicht im Traum daran, wegen eines Jungen auf das Kostbarste in meinem Leben zu verzichten. Ich war in meinen Sport verliebt. Kam ich aus der Schule, wurden in Windeseile die Hausaufgaben erledigt und Stunden vorher zog ich schon meine Trainingssachen an, packte die Sporttasche, übte im Wohnzimmer „Starts“ oder schwang mich viel zu früh auf mein Rennrad und fuhr zum Training. Da an den Wochenenden meistens Wettkämpfe waren, waren diese auch verplant. Nie wäre es mir eingefallen, in die Disco zu gehen und mich beim Tanzen zu verausgaben, sinnlos durch die Gegend zu hüpfen, wenn ein Wettkampf bevorstand. Ich dachte beim Aufwachen und Einschlafen an den Sport. Der Sport war eben meine große Liebe.

Mein sportliches Talent hatte ich sicher von meinen Eltern. Mama war in ihrer Jugend leidenschaftliche Basketballspielerin und mein Vater Profifußballer. Er wurde in Kroatien während eines Trainingslagers entdeckt, weshalb wir nach Deutschland auswanderten. Gerne fuhren wir im Sommer zurück ans Meer oder besuchten unsere Verwandten. Als Jugendliche durfte ich sogar alleine von Frankfurt nach Zagreb fliegen und mit dem Zug weiter nach Slavonski Brod, meine Geburtsstadt, fahren, um ein paar Tage meine Cousinen und Tanten zu besuchen.

In dem Sommer, in dem wir am Meer meinen sechzehnten Geburtstag feierten, verliebte ich mich in meiner Geburtsstadt doch tatsächlich in einen Jungen. Auch in den Sommerferien trainierte ich täglich im Stadion. Dazu hatte mein Trainer mir extra einen Trainingsplan erstellt. Als Mehrkämpferin trainiert man immer. Das Stadion bestand aus einem Fußballfeld und ein paar Sand-Laufbahnen, aber das genügte mir. Ich trainierte, so gut es ging, machte Hocksprünge die Zuschauertreppen rauf und runter und versuchte, den Trainingsplan abzuarbeiten. Ich war ganz allein und es machte mir nichts aus. Doch an einem der Nachmittage kam plötzlich eine Jugendfußballmannschaft mit Trainer aufs Spielfeld. Einer der Jungen fiel mir sofort auf. Die Jungen beobachteten mich und ich sie ebenso aus den Augenwinkeln. Als der Ball mir zufällig vor die Füße flog, schoss ich ihn zurück und sah in einige sehr verdutzte Gesichter. Der Trainer sprach mich daraufhin an und ich erzählte ihm, dass ich in Deutschland lebe, Leichtathletin bin und mein Vater Profifußballer ist. Einer der Jungen rief, ich solle doch mal aufs Tor zielen und mitspielen. Die anderen lachten. Damals gab es noch nicht so viele Mädchen, die Fußball spielten. „Gerne“, sagte ich und ging selbstbewusst zum Elfmeterpunkt, nahm Anlauf und schoss. Mein Schuss traf den Torwart frontal, er hatte solch eine Wucht, dass der Arme samt Ball ins Tor fiel. Alle staunten und lachten. Außer dem Tormann.

Es war klar: Ich durfte mitspielen. Was für eine schöne Abwechslung! Ein fescher Junge, der mir gleich aufgefallen war, suchte oft meine Nähe und wir alberten herum. Nach dem Training verabschiedeten wir uns herzlich und ich versprach ihm, wiederzukommen. Freudig erzählte ich meiner Tante von dem Spiel und schilderte meiner Familie die aufregende Begebenheit. Am Abend zog es Jung und Alt zum „Korso“. Das war der Marktplatz mit den vielen Cafés und Bars oder entlang des Flusses Save. Man ging spazieren oder stand am Rand und schaute anderen zu, wie sie vorbeischlenderten. Das war herrlich, weil sich dabei immer neue Bekanntschaften ergaben. Als wir auf einer Parkbank am Fluss ein Päuschen machten, rief plötzlich eine Stimme: „Das ist doch das Mädchen vom Nachmittag!“ Meine Cousine und ich schauten uns um. Zwei Jungen kamen freudestrahlend auf uns zu. Es war Boris, der blonde Junge, der die ganze Zeit beim Spiel meine Nähe gesucht hatte, mit einem Kumpel. Wir schauten uns in die Augen und es war um mich geschehen. Bis tief in die Nacht spazierten wir den Korso rauf und runter und hatten uns so viel zu erzählen. Die Zeit verflog wie im Flug mit diesem hübschen Boris. Als er uns noch zum Eis einlud und mir in der Eisdiele den Stuhl rückte, konnte ich es nicht fassen. So etwas kannte ich nur aus alten Filmen. Borislav war ein Gentleman. Meine Cousine grinste über beide Ohren, wenn sich unsere Blicke trafen. Auf dem Heimweg machte sie sich über mich lustig, aber das machte mir überhaupt nichts aus. „Der Igor hat Dir aber auch gefallen, oder?“, konterte ich. Da wurde sie rot. Der Sommer war viel zu schnell vorbei. Die Tage bei meinen geselligen Verwandten verflogen im Nu. Die festlichen Essen, die Nachmittage beim Sport und abends am Korso, im Kino, am Fluss oder beim Spazierengehen. Borislav und ich waren unzertrennlich. Am Schluss liefen wir Händchen haltend und jeder sah uns an, dass wir glücklich waren. Doch der Abschied nahte. Ich musste zurück nach Deutschland. Ich versprach, in den Winterferien wiederzukommen. Meine Mutter wusste davon zwar noch nichts, aber ich würde es ihr schon erklären.

Nun begann die wundervolle Zeit der Liebesbriefe und gelegentlichen Anrufe. Was war nur mit mir passiert? Natürlich hatte ich schon vorher einige Verehrer in der Schule, obwohl ich sicher kein „typisches“ Mädchen war. Röcke oder Kleider waren nichts für mich. Meine Mutter gab es schon nach den ersten Monaten im Kindergarten auf, mich hübsch anzuziehen. Für Zöpfe, süße Kleider und Glanzschuhe konnte ich mich als sportliches Mädchen nicht begeistern. Wenn ich mit den Jungs Fußball spielte, war bald von den Glanzschuhen nichts Glänzendes mehr zu sehen. In Jeans oder Sportsachen fühlte ich mich am wohlsten. Während andere schon geschminkt rumliefen, fand ich das völlig überflüssig. Selbst die Ermunterungen meines Bruders „Zieh doch mal einen Rock an!“ verhallten in meinen Ohren und konnten mir nur ein müdes Grinsen hervorlocken. Ich träumte, wenn überhaupt, von einem mächtigen Prinzen, der mich holen kommt. Wenn ich an später dachte, dachte ich an eine Familie mit mindestens fünf Kindern – eben einer Basketballmannschaft. Sollte es je einen Mann für mich geben, würde ich ihn „totlieben“. Mit grenzenloser Leidenschaft. Ja, ich würde ihn crazy lieben, verwöhnen und jeden Tag verzaubern mit meinen ausgefallenen Ideen.

Aber fürs Erste genügten die umwerfenden Gefühle, die ich bekam, wenn ich an Borislav dachte. Die Liebesbriefe musste ich auf Englisch schreiben, da ich seit meinem fünften Lebensjahr in Deutschland lebte und zwar kroatisch reden, aber nicht schreiben konnte. Auch Boris antwortete mir auf Englisch. Es waren kurze, etwas holprige, aber sehr schöne Worte, die die Sehnsucht nach einem Wiedersehen wachsen ließen. Hätte ich mich auf Deutsch ausdrücken können, wären die Briefe sicher leidenschaftlicher gewesen. Im Englischunterricht in der Schule hatten wir solche Worte leider nicht gelernt.

Dank meiner großartigen Mama durfte ich tatsächlich herrliche Weihnachtsferien mit Borislav verbringen. Mein Koffer war voll mit Geschenken für meine lieben Verwandten und natürlich für ihn. Auch wenn ich wieder bei meiner Tante Antonia wohnte, verbrachte ich jede freie Minute Hand in Hand mit Boris. Ab und zu führte Boris mich ins Kino aus oder lud mich zu Cevapcici ein, wobei er darauf bestand, immer zu bezahlen. Ich verstand das überhaupt nicht. Erstens hatte ich viel mehr Geld als er, und zweitens war ich es als modern erzogene Frau gewohnt, selbst zu bezahlen. Von seinem besten Freund Igor erfuhr ich, dass Borislav einen Job in den Herbstferien angenommen und alles gespart hatte, um mich ausführen zu können. Ich war sprachlos. Er war so charmant, liebevoll, gütig und süß. Er konnte mich immer wieder zum Lachen bringen und liebte meine Unbeschwertheit, staunte über mein Selbstbewusstsein und meine Großzügigkeit und die vielen verrückten Ideen. Wir wollten uns keine Gedanken über die Zukunft machen, das hätte uns die Herzen schwer gemacht. Ich lebte tausendsechsundneunzig Kilometer von ihm entfernt und wir mussten beide erst die Schule beenden. Wir lebten im Augenblick, es war wunderschön, emotional und sollte einfach nicht enden.

Doch auch hier nahte der letzte Abend. Stundenlang standen wir vor der Eingangstür meiner Tante und konnten uns einfach nicht verabschieden. Noch fünf Minuten. Nur noch zwei Minuten! Noch ein Kuss! Und dann fing es auch noch an zu schneien. Was für eine Lovestory.

Schließlich rief mein Onkel aus dem Fenster, dass es Zeit wäre. Es war fast Mitternacht, und ich musste um 5 Uhr am