Niccolò Machiavelli, geboren am 3. Mai 1469 in Florenz, ist am 22. Juni 1527 ebenda gestorben. Von seinen zahlreichen Schriften hat vor allem eine seinen Namen verewigt: die kleine Schrift Der Fürst, die er in den Jahren 1523 bis 1524 geschrieben hat. Der Principe ist bis in neueste Zeit immer wieder aufgelegt worden, er wurde in alle Kultursprachen übersetzt, immer wieder kommentiert, angefochten und leidenschaftlich verteidigt. Zahllosen Fürsten und Staatsmännern diente er als Handbuch der Politik. Er ist Grundlage und zum Typus einer ganzen Schule des Staatsrechts, des Machiavellismus, geworden und zugleich Ausdruck des Geistes der italienischen Renaissance.
Der Fürst
Aus dem Italienischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Mit einem Nachwort von Horst Günther
Insel Verlag
eBook Insel Verlag Berlin 2016
Der vorliegende Text folgt der 10. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 2772.
© Insel Verlag Frankfurt am Main 1990
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Umschlagabbildung: Dosso Dossi (?), Porträt eines Mannes. Öl auf Leinwand, um 1517. Nationalmuseum, Stockholm.
eISBN 978-3-458-74562-4
www.insel-verlag.de
Brief Niccolò Machiavellis vom 10. Dezember 1513
Der Fürst
Zueignung
I Über die Arten der Herrschaft und die Mittel, sie zu erlangen
II Von den erblichen Fürstentümern
III Von vermischten Herrschaften
IV Warum das Reich des Darius, das Alexander erobert hatte, nach dessen Tode nicht gegen seine Nachfolger aufstand
V Wie Städte oder Fürstentümer zu beherrschen sind, die vor der Eroberung nach eignen Gesetzen lebten
VI Von neuen Herrschaften, die durch eigne Waffen und Tapferkeit erworben werden
VII Von neuen Fürstentümern, die durch fremde Hilfe und durch Glück erworben werden
VIII Von denen, welche durch Verbrechen zur Herrschaft gelangt sind
IX Der Volksfürst
X Wie die Kräfte aller Fürstentümer zu bemessen sind
XI Von den geistlichen Herrschaften
XII Von den verschiedenen Arten der Streitkräfte und von den Söldnern
XIII Von den Hilfstruppen, Volksheeren und gemischten Truppen
XIV Worauf der Fürst im Kriegswesen zu sehen hat
XV Wodurch die Menschen, insbesondere die Fürsten, Lob und Tadel erwerben
XVI Von der Freigebigkeit und Knauserei
XVII Von der Grausamkeit und der Milde und ob es besser sei, geliebt als gefürchtet zu werden
XVIII Inwiefern die Fürsten ihr Wort halten sollen
XIX Verachtung und Haß sind zu meiden
XX Ob Festungen und vieles andere, was Fürsten zu tun pflegen, nützlich oder schädlich sind?
XXI Wie ein Fürst sich zu betragen hat, um Ruhm zu erwerben
XXII Von den Ministern
XXIII Wie Schmeichler zu fliehen sind
XXIV Warum die Fürsten Italiens ihre Herrschaft verloren haben
XXV Welche Macht das Glück in den menschlichen Dingen hat und wie man ihm widerstehen kann
XXVI Aufruf, Italien von den Barbaren zu befreien
Anhang
Kommentar
Zur Literatur
Niccolò Machiavelli, Lebensdaten
Nachwort
Exzellenz! Doch nie zu spät kam die göttliche Gnade. Das sage ich (mit Petrarca), weil sich Eure Gnade wenn nicht ganz verloren, so doch verirrt zu haben scheint, so lange habt Ihr mir nicht geschrieben, ohne daß ich den Grund dafür erraten könnte. Und alle, die ich deshalb erwog, schienen mir zu geringfügig bis auf den einen, daß Ihr mir nicht mehr schreibt, weil man Euch hinterbracht habe, ich sei nicht diskret genug mit Euren Briefen gewesen, während ich sie doch gewiß keinem, mit Ausnahme von Filippo und Paolo, selber gezeigt habe. Nun bin ich beruhigt über Euer letztes Schreiben vom 23. des vergangenen Monats, dem ich mit Zufriedenheit entnehme, wie gemessen und gemächlich Ihr Euer öffentliches Amt ausübt, und darin möchte ich Euch bestärken, denn wer seine Bequemlichkeit einmal für die der anderen aufgibt, verliert die seine, und für die der anderen weiß man ihm keinen Dank. Und da Fortuna alles lenken will, muß man sie es treiben lassen, Ruhe bewahren und ihr nicht hinderlich sein, und die Zeit abwarten, bis sie uns Menschen etwas tun läßt. Und dann wird es gut sein, mehr Mühe aufzuwenden und besser über die Dinge zu wachen, und an mir, vom Lande aufzubrechen und zu sagen: da bin ich. So kann ich, um Eure Güte zu erwidern, in diesem Brief nichts anderes tun als das Leben, das ich führe, zu schildern, und wenn Ihr es wert findet, es gegen das Eure einzuhandeln, so bin ich mit dem Tausch zufrieden.
Ich lebe auf dem Lande und bin, seitdem was mir zuletzt zustieß, alles zusammengezählt, keine zwanzig Tage in Florenz gewesen. Bis jetzt bin ich mit eignen Händen zum Drosselfang geschritten, stand vor Tage auf, legte die Leimruten aus und zog mit einer solchen Ladung Käfige auf dem Rücken los, daß ich dem Geta glich, wenn er mit den Büchern des Amphitryon vom Hafen kommt, und fing mindestens zwei, wenn’s hoch kam sechs Drosseln. Und so ging es den ganzen September, und seither fehlt mir dieses Totschlagen der Zeit, so verächtlich und befremdlich es sein mag. Und jetzt sage ich, wie es seither geht. Ich stehe mit der Sonne auf und gehe in ein Wäldchen, wo ich Holz schlagen lasse, bleibe zwei Stunden, um die Arbeit des vergangenen Tages anzusehen und die Zeit mit den Holzfällern zu verbringen, die immer untereinander oder mit den Nachbarn im Streit liegen. Und über dieses Wäldchen könnte ich Euch tausend feine Geschichten erzählen, die mir mit Frosino da Panzano und anderen widerfahren sind, die Holz davon wollten. Frosino insbesondere ließ einige Klafter holen, ohne mir etwas zu sagen, und wollte mir beim Bezahlen zehn Lire abziehen, die ich ihm angeblich seit vier Jahren schulde, als er sie beim Cricca-Spiel im Hause des Antonio Guicciardini gewonnen hatte. Ich machte höllischen Krach, wollte den Fuhrknecht, den er geschickt hatte, als Dieb verklagen, bis schließlich Giovanni Machiavelli sich ins Mittel legte und uns verglich. Batista Guicciardini, Filippo Ginori, Tommaso del Bene und einige andere Stadtbürger hatten, als mir der Wind so widrig entgegenstand, jeder einen Klafter bestellt. Ich versprach es allen und schickte einen an Tommaso, wovon nur die Hälfte in Florenz anlangte, denn zum Aufladen war er mit Frau, Magd und Kindern gekommen, so daß es wie bei Gabburra zuging, wenn der am Donnerstag mit seinen Burschen den Ochsen schlachtet. Als ich sah, daß das keinen Gewinn bringt, sagte ich den anderen, daß ich kein Holz mehr habe, und alle waren beleidigt, und Batista besonders, der das unter die übrigen Mißgeschicke Pratos zählt.
Von meinem Wäldchen gehe ich zu einer Quelle oder zu einem meiner Vogelherde und habe ein Buch unter dem Arm, Dante oder Petrarca, einen der kleineren Dichter wie Tibull, Ovid oder dergleichen: ich lese von ihren zärtlichen Leidenschaften und Liebesgeschichten und erinnere mich der meinen und ergötze mich ein Weilchen in diesen Gedanken. Dann wechsle ich über die Straße in ein Wirtshaus, plaudere mit denen, die vorüberziehen, frage nach Neuigkeiten aus ihrer Gegend, erfahre vieles und bemerke, wie verschieden der Geschmack und die Einbildungskraft der Menschen ist. Inzwischen wird es Essenszeit, da ich mit meiner Sippschaft verzehre, was mein armseliges Gütchen und mein winziges Erbteil einbringen. Nach Tisch kehre ich ins Wirtshaus zurück, wo ich den Wirt und gewöhnlich einen Metzger, einen Müller und zwei Ziegelbrenner treffe. Mit denen gebe ich mich den Rest des Tages dem Cricca- oder Tric-trac-Spiele hin, und dabei kommt es zu tausend Scherereien und unendlichen Beschimpfungen, und meist streiten wir um einen Quattrino, und man hört uns mindestens bis San Casciano schreien. So mich im Gemeinen wälzend, hebe ich den Kopf aus dem Staub und zeige meinem Schicksal seine Niedertracht, wobei es mir ganz recht ist, daß es mich so behandelt, damit ich sehe, ob es sich nicht endlich schämt.
Wenn der Abend kommt, kehre ich nach Hause zurück und gehe in mein Schreibzimmer, und auf der Schwelle werfe ich das schmutzige Alltagsgewand ab und lege königliche Hoftracht an und betrete so passend bekleidet die Hallen der Männer des Altertums, die mich liebevoll aufnehmen, und wo ich mich von der Speise nähre, die mir allein angemessen und für die ich geboren bin. Da kann ich ohne Scheu mit ihnen reden und sie nach den Gründen ihres Handelns fragen, und freundlich antworten sie mir. Vier Stunden lang werde ich des nicht müde, vergesse allen Kummer, sorge mich nicht um Armut und fürchte den Tod nicht mehr: so gänzlich versetze ich mich unter sie. Und weil Dante sagt, es gebe keine Wissenschaft ohne die Aufzeichnung dessen, was man begriffen hat – so habe ich das notiert, was ich bei dem Gespräch mit ihnen als das Wesentliche festhielt, und ein kleines Werk Über Fürstentümer verfaßt, worin ich mich so weit wie möglich in die Gedanken über dieses Thema vertiefe und erörtere, was Herrschaft ist, welche Arten es davon gibt, wie man sie erwirbt und erhält und warum man sie verliert. Und wenn Euch je eine meiner Grillen gefiel, so dürfte Euch diese nicht mißfallen. Einem Fürsten und besonders einem, der gerade zur Herrschaft gelangt ist, müßte sie willkommen sein, weshalb ich es seiner Durchlaucht Giuliano widme. Filippo Casavecchio hat es gesehen. Er kann Euch über das Einzelne und die Anlage des Ganzen berichten und über die Gespräche, die ich mit ihm führte, während ich es jedenfalls noch erweitere und ausfeile.
Ihr wünscht, Exzellenz, daß ich dieses Leben aufgebe und mich mit Euch des Euren erfreue. Das werde ich ganz gewiß tun, aber mich halten noch einige Geschäfte zurück, die in sechs Wochen erledigt sind. Was mich unsicher macht, sind die Soderini dort und daß ich, einmal da, auch genötigt wäre, sie zu besuchen und mit ihnen zu sprechen. Ich hege Zweifel, ob ich bei meiner Rückkehr nicht statt zu Hause im Bargello-Gefängnis absteigen würde. Diese Regierung ist zwar auf breiter Grundlage fest gesichert, aber noch ist sie neu und deshalb argwöhnisch, und es fehlt hier nicht an Denunzianten, die, um wie Pagolo Bertini aufzutreten, andere meinen Unterhalt bezahlen ließen und mir das Nachdenken überließen. Ich bitte Euch, mir diese Sorge zu nehmen, und dann werde ich Euch zu besagter Zeit gewiß besuchen.
Ich habe mit Filippo über mein kleines Werk gesprochen, ob es gut wäre, es mit einer Widmung zu überreichen oder nicht, und wenn, ob ich es tun solle oder Euch übertragen. Es nicht zu widmen, könnte bedeuten, daß Giuliano es nicht liest, aber wohl ein anderer, und daß dieser Ardinghello sich mit meiner jüngsten Arbeit schmückt. Es zu widmen drängt mich auch die Notlage, die mich verfolgt, denn ich verzehre mich, und lange kann ich so nicht bleiben, ohne durch Armut verächtlich zu werden. Ich wünschte, daß diese Medicis mich langsam anstellten, und wäre es auch zuerst, um einen Felsen zu wälzen. Wenn ich sie dann nicht von mir überzeugt hätte, wäre es meine Sache, und wenn man dieses Buch läse, so sähe man daraus, daß ich die fünfzehn Jahre, die ich dem Studium der Politik gewidmet habe, nicht verschlafen oder vertrödelt habe, und jeder würde doch liebend gern einen in Dienst nehmen, der auf anderer Kosten reiche Erfahrung gesammelt hat. Und meine Treue duldet keinen Zweifel, denn ich habe immer Treue bewahrt und lerne nun nicht mehr, sie zu brechen. Wer dreiundvierzig Jahre lang, so alt bin ich, treu und redlich gewesen ist, der ändert sein Wesen nicht mehr, und von meiner Treue und Redlichkeit gibt meine Armut Zeugnis.
Schreibt mir doch, wie Ihr darüber denkt. Ich empfehle mich Euch. Sis felix.
Den 10. Dezember 1513
Niccolò Machiavegli in Florenz
Die, welche die Gunst eines Fürsten zu erwerben trachten, pflegen sich ihm zumeist mit dem zu nahen, was ihnen von ihrer Habe das Liebste ist, oder wovon sie sehen, daß es ihm am meisten gefällt. Daher werden den Fürsten so oft Pferde, Waffen, Goldstoffe, Edelsteine und anderer Zierat dargebracht, der ihrer Größe würdig ist. Indem ich mich Euch, erlauchter Herr, nun mit einem Beweise meiner Dienstfertigkeit zu nahen wünschte, fand ich unter meinem Besitze nichts, was mir lieber wäre oder was ich höher schätzte als die Kenntnis der Handlungen großer Männer, die ich durch lange Erfahrung in der Gegenwart wie durch emsiges Lesen der Alten erworben habe. Ich habe sie mit großem Fleiße lange durchdacht und geprüft und jetzt in einem kleinen Buch zusammengefaßt, das ich Eurer Hoheit überreiche.
Und wiewohl ich erkenne, daß es nicht wert ist, Euch vorgelegt zu werden, so vertraue ich doch auf Eure Güte, daß Ihr es wohl aufnehmen werdet, in Anbetracht dessen, daß ich eine größere Gabe nicht darzubringen vermag als eine, die Euch in den Stand setzt, in kurzer Frist alles das zu erfassen, was ich in vielen Jahren und unter so vielen Mühsalen und Fährnissen erfahren habe. Dieses Werk habe ich nicht ausgeschmückt, noch mit schönen Phrasen und prunkhaften Worten oder mit andern Reizen und äußerem Zierat aufgeputzt, womit viele ihre Werke zu schreiben und auszuschmücken pflegen; denn ich wollte, daß die Sache sich selbst ehre und daß allein die Mannigfaltigkeit des Stoffes und der Ernst des Gegenstandes dies Buch auszeichne. Es möge mir aber nicht als Anmaßung ausgelegt werden, daß ein Mann von geringem Stande wie ich es wagt, die Ratschlüsse der Fürsten zu erörtern und ihnen Regeln vorzuschreiben. Denn so, wie die Landschaftszeichner sich in die Ebene stellen, um die Gestalt der Berge und Höhen zu erkennen, dagegen auf die Berge steigen, um die Täler zu betrachten, so muß man zwar Fürst sein, um die Natur des Volkes zu erkennen, aber aus dem Volke, um die Art der Fürsten zu erfassen.
So nehmt denn, erlauchter Herr, diese kleine Gabe in dem Sinne an, in dem ich sie überreiche. Wenn Ihr sie eifrig lest und darüber nachdenkt, so werdet Ihr darin meinen heißen Wunsch finden, daß Ihr zu der Größe gelangt, zu der Euch das Glück und Eure übrigen Eigenschaften bestimmen. Und wenn Eure Hoheit von Ihrer stolzen Höhe manchmal auf die Niederungen herabschaut, so werdet Ihr erkennen, wie sehr zu Unrecht ich ein großes und andauerndes Mißgeschick ertragen muß.
Alle Staaten, alle Gewalten, welche Macht über die Menschen gehabt haben oder noch haben, sind Republiken oder Fürstentümer. Diese sind entweder erblich, indem sie vom Geschlecht ihres Herrschers schon lange regiert werden, oder neu. Die neuen sind entweder ganz neu, wie die Herrschaft des Francesco Sforza zu Mailand, oder sie werden dem erblichen Staate des Fürsten, der sie erobert, angegliedert, wie das Königreich Neapel dem König von Spanien zufiel. Solche neuerworbenen Länder sind entweder schon an die Herrschaft gewöhnt oder bisher frei gewesen; sie werden erobert durch fremde oder eigne Waffen, durch Glück oder Tapferkeit.
Über die Republiken will ich hier schweigen, da ich an anderer Stelle lang und breit darüber gesprochen habe.1 Ich wende mich zur Alleinherrschaft und werde nach der vorstehenden Reihenfolge erörtern, wie diese erworben und erhalten werden kann.
Ich sage also, daß bei den erblichen Fürstentümern, die an das Geschlecht ihres Herrschers gewöhnt sind, die Schwierigkeit, sich zu behaupten, viel geringer ist als bei den neuen. Genug, wenn man die Einrichtungen der Vorfahren unangetastet läßt und bei allen Ereignissen sich in die Verhältnisse schickt; also daß mancher Fürst von durchschnittlichem Geschick sich stets auf seinem Throne erhalten kann, wenn ihm dieser nicht durch eine ungewöhnliche und außerordentliche Gewalt entrissen wird; geschieht dies aber, so erlangt er ihn wieder, sobald das Glück des Eroberers sich wendet.
Wir haben in Italien ein Beispiel am Herzog von Ferrara, welcher den Angriffen der Venezianer im Jahre 1484 und des Papstes Julius II. im Jahre 1510 durch nichts anderes widerstanden hat als durch seine altbefestigte Herrschaft. Denn der angestammte Fürst hat weniger Anlaß und Notwendigkeit zur Härte; er ist daher beliebter, und wenn er sich nicht durch außerordentliche Laster verhaßt macht, so versteht es sich von selbst, daß die Seinen ihm gewogen sind. Durch die Dauer und das Alter einer Herrschaft verlischt die Erinnerung an die Neuerungen und deren Anlaß, wogegen eine Umwälzung stets die Ursache zu anderen wird.
In den neuen Herrschaften liegen die Schwierigkeiten. Und zwar erstens, wenn nicht alles neu ist, sondern nur ein Teil, so daß man das Ganze eine »Misch-Herrschaft« nennen kann. Hier entstehen die Umwälzungen zunächst aus einer allen neuen Herrschaften gemeinsamen Schwierigkeit, daß nämlich die Menschen gern ihren Herrn wechseln, in der Hoffnung, einen besseren zu bekommen, und in diesem Glauben zu den Waffen gegen den Herrscher greifen; darin aber täuschen sie sich, denn sie erfahren bald, daß sie einen schlechteren bekommen haben. Das liegt gleichfalls an einer natürlichen und gewöhnlichen Notwendigkeit, denn der neue Herrscher ist stets genötigt, seine Untertanen mit Besatzung und mancherlei anderen Gewaltmitteln zu bedrücken, wie sie die Eroberung mit sich bringt. Du wirst also alle die zu Feinden haben, die du bei der Eroberung der Herrschaft bedrückt hast, und kannst doch nicht die zu Freunden behalten, die dir dazu verholfen haben, weil du sie nicht so zu befriedigen vermagst, wie sie erwartet haben, noch auch kräftige Mittel gegen sie anwenden darfst, da du ihnen Dank schuldest. Denn auch, wenn man über das mächtigste Heer gebietet, bedarf man der Gunst der Einwohner, um in ein Land einzudringen. Aus diesem Grunde hat König Ludwig XII. von Frankreich Mailand so rasch erobert wie verloren. Das erstemal genügte zu seiner Vertreibung die eigene Kraft des Ludovico Sforza, weil das Volk, das jenem die Tore geöffnet hatte, sich in seinen Hoffnungen getäuscht sah und den Verdruß über den neuen Herrscher, der seine Erwartungen betrogen hatte, nicht länger ertragen mochte.
Freilich gehen derart abgefallene Länder nach ihrer Wiedereroberung nicht so leicht zum zweiten Male verloren, weil der Herrscher die Rebellion zum Anlaß nimmt, sich durch strenge Maßregeln zu sichern, die Schuldigen zu strafen, Verdacht aufzuklären und an schwachen Stellen Vorkehrungen zu treffen. So reichte es, um Mailand den Franzosen zu entreißen, das erste Mal hin, daß Herzog Ludovico an der Grenze Unruhe stiftete; beim zweiten Male mußte die ganze Welt sich zusammentun, um die französischen Heere zu vernichten und aus Italien zu vertreiben – alles aus den oben genannten Ursachen. Gleichwohl verlor Frankreich das Herzogtum Mailand zum zweiten Male. Die allgemeinen Gründe für den ersten Verlust habe ich erörtert; es bleibt also nur übrig, die für den zweiten anzugeben und die Mittel zu prüfen, die der König von Frankreich besaß und die jeder andere in seiner Lage besessen hätte, um seine Eroberung besser zu behaupten, als jener tat. Ich sage also, daß solche Staaten, die nach ihrer Eroberung einem alten Staate des Eroberers angegliedert werden, entweder zum gleichen Lande gehören und die gleiche Sprache sprechen oder nicht. Im ersten Falle ist es sehr leicht, sie zu behaupten, besonders, wenn sie nicht an die Freiheit gewöhnt sind. Um sie sicher zu beherrschen, genügt es, die Familie des früheren Herrschers auszurotten; wenn man den Einwohnern im übrigen ihre alten Einrichtungen läßt und kein Unterschied in den Sitten ist, so leben sie ruhig, wie man es in der Bretagne, in Burgund, in der Gascogne und Normandie gesehen hat, welche schon so lange zu Frankreich gehörten. Wenngleich einiger Unterschied in der Sprache besteht, so stimmen doch die Sitten überein, und so können sie sich leicht miteinander vertragen. Und wer sie erobert hat und sie behalten will, der achte auf zweierlei: erstens, daß ihr altes Fürstengeschlecht ausstirbt, zweitens, ihre Gesetze und Steuern nicht zu verändern, so daß die neuen Provinzen mit den alten binnen kurzem ein einziges Ganzes bilden.
Werden aber Staaten eines Landes erobert, das in Sprache, Sitten und Gesetzen verschieden ist, so entstehen Schwierigkeiten, und es gehört viel Glück und großes Geschick dazu, diese Eroberungen zu behaupten. Eines der besten und kräftigsten Mittel besteht darin, daß der Eroberer seinen eigenen Wohnsitz dort aufschlägt. Dadurch wird der Besitz gesichert und dauerhaft. So haben es die Türken mit Griechenland gemacht, welches sie mit allen anderen Mitteln nicht hätten behaupten können, wenn sie es nicht selbst besiedelt hätten. Denn ist der Eroberer an Ort und Stelle, so sieht er die Unruhen schon in ihrem Keim und kann ihnen rasch vorbeugen; ist er aber fern, so erfährt er sie erst, wenn sie schon groß sind und keine Abhilfe mehr möglich ist. Überdies wird das Land nicht von seinen Beamten ausgeplündert; es beruhigt die Untertanen, daß sie ihre Zuflucht zum Fürsten selbst nehmen können. Also haben sie mehr Anlaß, ihn zu lieben, wenn sie es gut meinen, und, wenn sie es anders meinen, ihn zu fürchten. Fremde, die diesen Staat etwa angreifen wollen, scheuen eher davor zurück; denn solange er im Lande ist, ist es sehr schwer, ihm die Macht zu entreißen.
Das zweitbeste Mittel ist, Kolonien an ein oder zwei Orten zu gründen, die gleichsam das Rückgrat des Landes bilden. Dies ist notwendig, sofern man keine hinreichende Besatzung dort halten will. Die Kolonien kosten dem Fürsten nicht viel. Er gründet und behauptet sie kostenlos oder mit geringem Aufwand und schädigt nur die, welche er von Haus und Hof vertreibt, um neue Bewohner darauf anzusiedeln, also nur einen geringen Bruchteil des Staates. Die Vertriebenen bleiben zerstreut und arm und können ihm nicht schaden, und alle übrigen beruhigen sich rasch, da sie ja nicht geschädigt sind, oder sie fürchten sich, daß es ihnen ebenso ergehen möchte wie jenen, sobald sie sich auflehnen. Woraus ich schließe, daß diese Kolonien nichts kosten, größere Treue zeigen und weniger Verstöße begehen; die Vertriebenen aber sind, wie gesagt, arm und zerstreut und können nicht schaden. Denn es ist wohl festzustellen, daß die Menschen entweder gütlich behandelt oder vernichtet werden müssen. Wegen geringer Unbill rächen sie sich, wegen großer vermögen sie es nicht; jede Unbill muß also so zugefügt werden, daß man keine Rache zu befürchten hat. Wird aber an Stelle von Kolonien eine Besatzung gehalten, so kostet das erheblich mehr und verschlingt alle Einkünfte dieses Staates. Die Eroberung schlägt also zum Schaden aus und schmerzt weit mehr, da sie den ganzen Staat schädigt. Das Heer muß seine Standorte von Zeit zu Zeit wechseln, eine Last, die jeder empfindet und die ihm jeden zum Feinde macht; und diese Feinde können ihm schaden, da sie ja, wenn sie geschlagen sind, in ihrem eigenen Land bleiben. In jeder Hinsicht also ist die Besatzung schädlich, die Kolonien dagegen sind nützlich.
Ferner muß der Herr einer fremdländischen Provinz sich zum Oberhaupt und Beschützer der schwächeren Nachbarn machen und die Mächtigsten unter diesen zu schwächen suchen; auch muß er verhüten, daß ein Fremder, der so mächtig ist wie er selbst, bei irgendeinem Anlaß ins Land dringt; denn immer werden solche von Unzufriedenen aus Ehrgeiz oder aus Furcht hereingelassen. So hat man gesehen, wie die Ätolier die Römer nach Griechenland riefen; ja in allen andern Ländern, in die sie eindrangen, wurden sie von den Einwohnern hereinge