NICCOLÒ MACHIAVELLI wurde 1469 in Florenz als Sohn eines Juristen geboren und starb 1527 ebenda. Seine politische Karriere begann zeitgleich mit der Hinrichtung des fanatischen Dominikaners und Bußpredigers Savonarolas 1498, nach der ihm ein Posten in der Stadtregierung zuteilwurde. Auf seinen diplomatischen Missionen für die florentinische Republik studierte er die politischen Verflechtungen und Strukturen Europas. Er war an der florentinischen Heeresreform beteiligt.

Nachdem die Medici 1512 wieder an die Macht kamen, verlor Machiavelli seine Ämter und musste die Stadt verlassen. Auf seinem Landgut in der Nähe von Florenz schrieb er seine Hauptwerke als Resümee seines politischen Wirkens und Wissens.

DR. PHIL RAFAEL ARNOLD, geb. 1968, studierte Romanistik und Judaistik. Er ist seit 2010 Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Rostock. Im marixverlag ist von ihm bereits eine Übersetzung aus dem Italienischen erschienen: Leon Modena, Jüdische Riten, Sitten und Gebräuche.

Zum Buch

Für die klassischen Fragen der politischen Philosophie interessierte sich Machiavelli weniger. Anstatt über ideale Staatsgebilde zu spekulieren oder nach dem Urzustand des Menschen zu fragen, beschäftigte er sich lieber mit den Fakten politischer Macht. Der Fürst ist vordergründig ein Lehrbuch der sogenannten Realpolitik, des Machterhalts und dessen, was man heute public relations nennen würde. Und obwohl Machiavelli vielen als der Teufel schlechthin gilt und sein Name in der Psychologie synonym mit einer kalten, berechnenden Intelligenz geworden ist, ist die Auseinandersetzung mit Machiavellis ehrlicher Analyse der Herrschaft ein Muss. Dazu bietet diese Neuübersetzung Gelegenheit.

Neu übersetzt und herausgegeben von Rafael Arnold

Kann man den intellektuellen Gehalt einer Schrift von ihren moralischen Implikationen trennen? Niccolò Machiavelli stellte mit nüchternem Scharfsinn die abendländische politische Philosophie vom Kopf auf die Füße. Deshalb steht heute sein Name für die „dunkle Seite“ der praktischen Philosophie. Doch gerade im Zeitalter der Parteiendemokratie und der Spin-Doktoren, des Lobbyismus, der Werbekampagnen, der public relations-Abteilungen und Propaganda lohnt es sich, an die Anfänge zu gehen. Gerade weil Machiavelli so offen und ohne zu moralisieren über die Mechanismen der Macht schreibt, kann die Lektüre dazu führen, dass man die Instrumentarien und die Rhetorik der Macht besser durchschaut.

»Machiavelli ist das genaue Gegenteil des Machiavellisten. Da er die Tricks der Macht verrät, entzaubert er sie.« Maurice Merleau-Ponty

Niccolò Machiavelli
Der Fürst

Niccolò Machiavelli

Der Fürst

Herausgegeben
und aus dem Italienischen
neu übersetzt von
Rafael Arnold

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden
Die Übersetzung basiert auf der Ausgabe Florenz, 1862
Lektorat: Sabine Franke, Leipzig
Redaktionelle Mitarbeit:
Christoph Behrens und Emeli Eckhardt, Rostock
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: 123 rf, Nidderau/nahhan
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0410-3

Inhalt

Vorwort

Dem erlauchten Lorenzo Medici von Niccolò Machiavelli gewidmet

Nicolaus Maclavellus ad Magnificum Laurentium Medicem

I.
Wie viele Herrschaftsformen es gibt und auf welche Weise man sie erlangt

Quot sint genera principatuum et quibus modis acquirantur

II.
Von ererbten Fürstenherrschaften

De principatibus hereditariis

III.
Von gemischten Fürstenherrschaften

De principatibus mixtis

IV.
Warum das Reich des Darius, das von Alexander erobert wurde, sich nach Alexanders Tod nicht gegen dessen Nachfolger aufgelehnt hat

Cur Darii regnum quod Alexander occupaverat a successoribus suis post Alexandri mortem non defecit

V.
Wie man Städte oder Fürstenherrschaften regieren muss, die vor ihrer Eroberung nach eigenen Gesetzen lebten

Quomodo administrandae sunt civitates vel principatus, qui, ante quam occuparentur, suis legibus vivebant

VI.
Von neuen Fürstenherrschaften, die mit eigenen Waffen und durch Tüchtigkeit erworben wurden

De principatibus novis qui armis propriis et virtute acquiruntur

VII.
Von neuen Fürstenherrschaften, die mit fremden Waffen und Glück erobert wurden

De principatibus novis qui alienis armis et fortuna acquiruntur

VIII.
Von Fürsten, die durch Ruchlosigkeit zur Herrschaft gelangt sind

De his qui per scelera ad principatum pervenere

IX.
Von der Fürstenherrschaft auf bürgerlicher Basis

De principatu civili

X.
Wie man die Stärke jeder Fürstenherrschaft bemessen kann

Quomodo omnium principatuum vires perpendi debeant

XI.
Von geistlichen Fürstenherrschaften

De principatibus ecclesiasticis

XII.
Von der Vielzahl der Heeresarten und von den Söldnertruppen

Quot sint genera militiae et de mercenariis militibus

XIII.
Von Hilfstruppen, gemischten und eigenen Heeren

De militibus auxiliariis, mixtis et propriis

XIV.
Was ein Fürst hinsichtlich des Militärs zu tun hat

Quod principem deceat circa militiam

XV.
Von den Eigenschaften, für die Menschen und besonders Fürsten gelobt oder getadelt werden

De his rebus quibus homines et praesertim principes laudantur aut vituperantur

XVI.
Von Freigebigkeit und Sparsamkeit

De liberalitate et parsimonia

XVII.
Von Grausamkeit und Milde; und ob es besser ist, geliebt als gefürchtet zu werden oder umgekehrt

De crudelitate et pietate; et an sit melius amari quam timeri, vel e contra

XVIII.
Inwieweit Fürsten ihr Wort halten müssen

Quomodo fides a principibus sit servanda

XIX.
Von der Vermeidung von Verachtung und Hass

De contemptu et odio fugiendo

XX.
Ob der Festungsbau und viele andere Vorkehrungen, die täglich von Herrschern getroffen werden, nützlich sind oder nicht

An arces et multa alia quae cotidie a principibus fiunt utilia an inutilia sint

XXI.
Was einem Fürsten wohl ansteht, wenn er hochgeschätzt sein möchte

Quod principem deceat ut egregius habeatur

XXII.
Von denen, die den Fürsten als Vertraute dienen

De his quos a secretis principes habent

XXIII.
Wie Schmeichler zu meiden sind

Quomodo adulatores sint fugiendi

XXIV.
Warum die Fürsten Italiens ihre Reiche verloren haben

Cur Italiae principes regnum amiserunt

XXV.
Was das Glück in menschlichen Angelegenheiten vermag und wie man ihm begegnen soll

Quantum fortuna in rebus humanis possit, et quomodo illi sit occurendum

XXVI.
Aufruf, in Italien die Macht an sich zu reißen und es von den Barbaren zu befreien

Exhortatio ad capessendam Italiam in libertatemque a barbaris vindicandam

Anmerkungen

Auswahlbibliografie

Danksagung

Ich möchte nicht versäumen, denjenigen zu danken, die mir auf vielfältige Weise bei dieser Übersetzung geholfen haben: Sabine Franke aus Leipzig sowie Christoph Behrens, Nils Witte und Eemeli Eckhardt aus Rostock.

Vorwort

Winter 1513. Sant’ Andrea in Percussina – ein kleiner Ort in der Nähe von San Casciano in der Nähe von Florenz. Hier sitzt Machiavelli und verfasst eine Schrift, in der er die Voraussetzungen für eine ideale Staatsordnung und ihren Herrscher erörtert. Seit einem Jahr, genau gesagt seit der Rückkehr der Medici nach Florenz, ist er aller seiner Ämter, die er für die florentinische Republik bekleidet hatte, enthoben und lebt in der Verbannung. Hier, auf seinem kleinen Landgut, schreibt er, der es nicht lassen kann, auch im Exil über den Staat nachzudenken („di ragionar sullo stato“), wie er in einem Brief an seinen Freund, Francesco Vettori, bekennt,1 an dem Traktat. Er sollte sein berühmtestes Werk werden.

Der ursprüngliche lateinische Titel, De principatibus („Über die Herrschaftsformen oder Herrschaften“) wurde bei der Drucklegung des Werks, die erst 1532 postum erfolgte,2 in Il Principe („Der Fürst oder Herrscher“) geändert. Fünfhundert Jahre sind seitdem vergangen – oder anders gesagt: ein halbes Jahrtausend. Hundertfach gedruckt und in zahlreiche Sprachen übersetzt, ist es noch heute Teil der Weltliteratur.3 Das Werk, das von Beginn an zu Kontroversen, zu enthusiastischer Zustimmung der Befürworter und zu moralischer Entrüstung, Verteufelung und Verdammung des Autors auf der Seite seiner Gegner geführt hat und zweimal (1559 und 1564) von der katholischen Kirche auf den Index verbotener Bücher gesetzt wurde, hat seitdem nichts an Brisanz verloren. Woher rührt die Faszination, die das Buch bis heute ausübt?

Sein Verfasser, Niccolò Machiavelli, Sohn des Juristen Bernardo Machiavelli, wurde 1469 in Florenz geboren. Dort erhielt er auch seine erste schulische und humanistische Bildung (allerdings ohne Griechisch und Hebräisch zu studieren, was ihn erst zu einem „Vollhumanisten“ gemacht hätte). 1498 trat er in den Dienst der florentinischen Republik. Es war das Jahr, in dem der Dominikaner und radikale Bußprediger Girolamo Savonarola, der seit dem Sturz der Medici (1494) ein religiös-fundamentalistisches Regiment in Florenz geführt hatte, endgültig gescheitert war und auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde. Machiavelli wurde zunächst Vorsteher der Zweiten Staatskanzlei, dann Sekretär des „Rates der Zehn“. Doch schon ein Jahr später begab er sich auf die erste seiner zahlreichen diplomatischen Missionen, die ihn unter anderem an den Hof des französischen Königs Ludwig XII., zu Cesare Borgia, an den päpstlichen Hof und zu Kaiser Maximilian führten. Als persönlicher Ratgeber Piero Soderinis, des auf Lebenszeit gewählten Regierungschefs von Florenz, genoss er Anerkennung und Prestige. Die Einrichtung einer Bürgermiliz, mit deren Hilfe der langjährige Konflikt mit dem aufsässigen Pisa 1509 beendet wurde, zählt zu Machiavellis größten Erfolgen. Doch als die Medici im Jahr 1512 durch französische Unterstützung wieder nach Florenz zurückkehrten, geriet er unter Verdacht, an einer Verschwörung gegen die Medici beteiligt gewesen zu sein. Er wurde verhaftet und gefoltert. Gegen eine Kaution wurde er auf freien Fuß gesetzt, musste aber die Stadt verlassen. Fortan lebte er südlich von Florenz in seinem „albergaccio“, einem einfachen Landhaus.

Dort verfasste er zahlreiche Schriften darunter historische und politische Abhandlungen – wie etwa ein Buch „Über die Kriegskunst“ (1520)4 –, Gedichte, zwei Komödien (Mandragola und Clizia), eine burleske Novelle mit dem Titel Belfagor sowie eine satirische Versdichtung namens L’asino (dt.: „Der Esel“). In Briefen an Francesco Vettori, den florentinischen Gesandten in Rom, beklagte er sich über das eintönige Landleben und brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, wieder nach Florenz und in die Politik zurückkehren zu können. Dass er seinen Traktat Il Principe erst Giuliano de’ Medici und nach dessen Tod dann Lorenzo de’ Medici widmete, ist Ausdruck des verzweifelten Wunsches, „dass mich die Herren Medici zu verwenden beginnen“, wie er an Vettori schrieb. Doch wurde ihm die Aussichtslosigkeit seiner Lage allmählich immer deutlicher bewusst. Er verbrachte viel Zeit im Wirtshaus gegenüber, wo er mit dem Wirt und anderen Gefährten, einem Müller, einem Metzger und zwei Ziegelbrennern, die Zeit mit Cricca- und Trictrac-Spielen totschlug. Dies brachte ihn aber zugleich den Menschen näher, deren Individualität, Können, Unvermögen und Bedürfnisse er besser kennenlernte. Er vertiefte dort auch seine Kenntnisse über den durchschnittlichen Stadtbürger, den cittadino oder privato, der durch Bildung und Tüchtigkeit nach oben strebte, jedoch ständig vom Absturz bedroht war, wenn die Umstände oder das Schicksal, die fortuna, es so wollten.

Machiavelli verkehrte zur gleichen Zeit jedoch auch mit einer Gruppe von Humanisten, mit denen er in den Gärten des Cosimo Rucellai, den Orti Oricellari, Vorträge hörte, diskutierte und Theaterstücke aufführte. Diese Unterhaltungen dienten Machiavelli als Vorbild für seine dialogische Schrift über die Kriegskunst. Und der Geist dieses Humanistenkreises prägte auch sein zweites Hauptwerk, die Discorsi (dt.: „Unterredungen“; 1519), in denen er auf der Grundlage von Livius’ lateinischem Geschichtswerk Ab urbe condita die Geschichte der römischen Republik von den Anfängen bis zum Jahre 293 v. Chr. erörtert5. Die Discorsi sind komplementär zum Buch vom Fürsten zu lesen, das ohne sie nicht richtig verstanden werden kann. Auf den ersten Blick scheinen sich Machiavellis Ansichten und Maßstäbe, die er in den Discorsi darlegt, völlig von denen im Principe zu unterscheiden – eine nähere Betrachtung relativiert diesen Eindruck jedoch. Beide Werke sind aus einer politischen Krisensituation heraus entstanden und suchen nach einer Möglichkeit, wie ein Neuanfang zu bewerkstelligen und eine neue politische Ordnung einzurichten sei. Allerdings ist auch nicht zu verkennen, dass Machiavelli in den Discorsi eine andere, eine republikanischere Auffassung von Herrschaft vertritt als im Principe. Besonders brisant ist in diesem Zusammenhang die Tyrannis-Kritik, die im Fürstenbuch ausgespart blieb, sowie das umfangreichste Kapitel der Discorsi, das dem Thema Verschwörungen gewidmet ist (III, 6). Einige Mitglieder des Humanistenzirkels planten nämlich 1522 die Ermordung des Kardinals Giulio de Medici. Die Verschwörung flog auf, die Verschwörer wurden hingerichtet oder verbannt. – Machiavelli selbst traf dieses Mal offenbar kein Verdacht, obwohl man vielleicht von geistiger Mittäterschaft sprechen könnte.6

Im Gegenteil. Das Blatt sollte sich nochmals zu seinen Gunsten wenden: Ausgerechnet Giulio de Medici, dem die Verschwörung gegolten hatte und der inzwischen als Papst Clemens VII. die Geschicke der katholischen Kirche leitete, beauftragte ihn mit der Abfassung einer „Geschichte von Florenz“ (eigtl. „Florentinische Geschichten“ – Istorie fiorentine; 1525)7. In der Widmung an den Pontifex, die Machiavelli diesem Geschichtswerk voranstellt, zeigt er sich selbstbewusst, um Objektivität bemüht und keinesfalls als „Fürstenknecht“, der sich mit Schmeichelworten in die Gunst der Mächtigen zu schleichen versucht, als welchen ihn manche Kritiker aufgrund seiner Widmungsadresse im Principe anprangern wollten. Eine genaue Lektüre derselben beweist die Haltlosigkeit dieses Vorwurfs, denn gerade hier zeigte der Verfasser seine Kunst, subversive Gedanken elegant in das Loblied einzuflechten.

Im darauf folgenden Jahr gelang es Machiavelli, Mitglied eines Gremiums zu werden, das den Ausbau der Stadtmauern beaufsichtigte – immerhin. Am 6. Mai des Jahres 1527 eroberte und plünderte die Soldateska Karls V. Rom. Dieses als „Sacco di Roma“ bezeichnete Ereignis erschütterte ganz Europa. Kurz darauf endete die Herrschaft der Medici zum wiederholten Male, und Machiavelli erlebte gerade noch die Wiederherstellung der Republik (1527–1531). Seine gerade erst hergestellten Beziehungen zu den Medici vereitelten jedoch eine Verwendung im Dienst dieser Republik. Seiner Hoffnungen beraubt, verstarb Machiavelli am 21. Juni 1527.

Il Principe – Der Fürst

Der Traktat vom Fürsten (Il Principe) ist Machiavellis einflussreichstes Buch. Es handelt von verschiedenen Formen der Herrschaft sowie von der Frage, wie man sich eines Staates bemächtigt und wie man diese Macht erhalten kann. Er entwirft also eine Theorie der Macht. Der Traktat besteht aus 26 Kapiteln. Etwa die Hälfte thematisiert verschiedene Arten von Herrschaften oder Fürstentümern, die andere Hälfte die Person des Fürsten und dessen richtiges Verhalten (ob er freigebig oder sparsam, grausam oder milde zu sein habe; ob er sein Wort halten müsse; dass Verachtung und Hass zu meiden seien und welche Rolle das Heer und Stadtbefestigungen spielen). Ein besonderes Merkmal des Buches sind die zahlreichen Exempla. In den drei letzten Kapiteln geht Machiavelli schließlich auf die zeitgenössische Situation Italiens ein und ruft zur Befreiung seines Vaterlandes auf, wobei er ein Kapitel über die Macht der fortuna und der virtù einschiebt (Kap. XXV).

Wie der ursprüngliche Titel des Werkes (De principatibus) sind auch die Kapitelüberschriften auf Lateinisch verfasst. Daneben verwendet Machiavelli auch im Text eine ganze Reihe von lateinischen Wörtern (in exemplis, etiam, speculare u. a.) und latinisierende Schreibweisen (solum statt solo, intra statt tra, satisfare neben sodisfare / soddisfare), die seinem Traktat einen Anstrich von Würde und Gelehrsamkeit verleihen sollen und den Kanzleisekretär verraten.8 Der Einfluss der lateinischen Sprache zeigt sich auch sehr stark im Satzbau, der an den klassischen Autoren des römischen Altertums geschult ist.9 Es wäre aber falsch zu glauben, dass der gesamte Text in einem elitären Schreibstil verfasst wäre. Vielmehr fällt auf, dass Machiavellis Form des volgare (der Verkehrssprache seiner Zeit im Gegensatz zum Lateinischen) stark vom florentinischen Dialekt geprägt ist. Es zeigen sich darin zuweilen – speziell bei den Wortendungen und Verbformen – Varianten und daneben sogar Spuren der gemeinen Umgangssprache, wie sie in den höheren Gesellschaftskreisen nicht gesprochen wurde.10 Im Kontrast zu seinem spontanen Sprachgebrauch, dem offensichtlich die Absicht zugrunde liegt, Unmittelbarkeit zu erzeugen und die Dinge lebendig zu schildern, steht die Bemühung Machiavellis, ein politisches Fachvokabular zu präzisieren und zu prägen.11

Dem gleichen Bemühen um Klarheit – wie natürlich auch der klassischen Bildung des florentinischen Autors – entspringt die wohlüberlegt gegliederte Argumentation, insbesondere sein spezielles Vorgehen, jede Frage auf eine Alternative hin (entweder – oder) zuzuspitzen und im weiteren Fortschreiten diese wieder zu untergliedern. Diese an Aristoteles erinnernde axiomatische Methode, die den gesamten Text strukturiert, ist charakteristisch für das Werk und ermöglicht es, die Gedankengänge leicht nachzuvollziehen.12 Bei der sprachlichen Behandlung seines Themas (elocutio) verzichtet Machiavelli absichtlich auf den traditionell geforderten ornatus, die Ausschmückung und den Dekor; stattdessen legt er, wie er im Widmungsschreiben beteuert, größten Wert auf Transparenz und Verständlichkeit (perspicuitas). Sein Traktat ist ein rhetorisches Kunstwerk.

Der Principe wurde von Machiavellis Gegnern wie Befürwortern oft als Ratgeber für (künftige) Herrscher betrachtet. Das Buch vom Fürsten deshalb einen „Fürstenspiegel“ zu nennen ist jedoch irreführend, denn anders als die Fürstenspiegel der Vergangenheit, in denen die Herrscher unterwiesen werden, gerecht, fromm, milde usw. zu sein,13 geht es Machiavelli um etwas anderes: Um Erfolg zu haben, muss der Fürst ihm zufolge nicht tugendhaft sein, sondern nur den Schein erwecken, es zu sein (Kap. XVIII). Schein und Repräsentation werden von Machiavelli als wesentliche Faktoren für den Machterhalt eines Fürsten erkannt.14 Machiavelli bewertet dies nicht, er analysiert nur. Sein Werk stellt insofern einen Bruch mit der literarischen Tradition der Fürstenspiegel dar. Ganz im Sinne der Sophisten lehrt Machiavelli, dass der nur scheinbar Gerechte erfolgreicher ist als der Gerechte.15 Was zählt, ist der Erfolg. Während für Cicero Gerechtigkeit auch in der Politik ein wichtiges Gebot war, da Gerechtigkeit (honestum) und wahrer Nutzen (utile) zusammenfallen, so löst Machiavelli diese Einheit, die dem mittelalterlichen Denken noch eine Selbstverständlichkeit war, auf: Es kann durchaus Situationen geben, so der Florentiner, in denen ein Herrscher gezwungen ist, gerechtes Handeln gegen ungerechtes zu tauschen: „Vom Guten so lange nicht ablassen, wie es möglich ist, aber sich zum Bösen wenden, sobald es nötig ist“, lautet eine der Maximen Machiavellis (Kap. XVIII). Das ist allerdings keine Aufforderung, amoralisch zu handeln, und erst recht keine totale Absage an die Moral. Allein das Vertrauen auf den intrinsischen Wert des moralisch korrekten Handelns ist erschüttert. Und die Richtigkeit des Handelns wird an ihrem Erfolg und nicht an ihrem moralischen Gewinn gemessen. Diesem Denken liegt die unerschütterliche Auffassung zugrunde, dass die Moral zerrüttet ist. Weil diese sich nicht mehr durch Theologie begründen lässt, kann sie auch nicht mehr zur Legitimation von Macht herhalten. Hinweise auf ein christliches Leben des Fürsten sucht man im Principe vergeblich.

Das 15. Jahrhundert hatte bereits „die Möglichkeiten und die Bedrohtheit der republikanischen, stadtbezogenen Freiheitserfahrung durchdacht“.16 Es hatte außerdem ein Bewusstsein davon hervorgebracht, dass die tradierten Wege des Wissens und der Forschung nicht weiterführten und sich neue Wege nur unter Zuhilfenahme einer aktualisierten Antike erschließen würden. Machiavelli hielt indes nichts von einer Antikebegeisterung, die sich im Formalen und Dekorativen erschöpfte, sondern neigte einem politischen Humanismus zu, der die Welt um 1500 einer konkreten Analyse unterziehen wollte. Wie er im Widmungstext zu Il Principe schrieb, wollte er dem Studium der antiken Historiker, allen voran Polybios und Livius, seine Erfahrungen und seine Anschauung der gegenwärtigen Welt an die Seite stellen („la cognizione delle azioni degli uomini grandi, imparata da me con una lunga esperienzia delle cose moderne e continua lezione delle antique“). Hieraus entwickelte er eine neue Weltsicht, die zwar durch die Exempla der Vergangenheit theoretisch fundiert war, die er aber durch empirisch gewonnene Einsichten absichern konnte – wozu ihm der Kontakt zu den Mächtigen seiner Zeit auf seinen diplomatischen Missionen von Nutzen war. In seiner Schrift eröffnet er den Blick auf eine Welt, deren Ordnung sich nicht länger im Rückgriff auf eine Transzendenz, sondern nur innerweltlich begründen ließ.

Machiavelli teilte zwar die Resignation vieler seiner Zeitgenossen, die angesichts eines korrupten Papsttums, eines zum Spielball ausländischer Mächte gewordenen, „zerstückelten“ Italiens und angesichts der stürmischen politischen Umstürze und Machtkämpfe in den italienischen Kommunen, insbesondere auch in Florenz, schier verzweifelten17. Aber er zog einen anderen Schluss daraus. Statt sich irrationalen Mächten hilflos ausgesetzt zu fühlen und der Ratio zu misstrauen, erteilte er der zunehmenden, zur Passivität verleitenden Schicksalsgläubigkeit eine klare Absage. Von einer präzisen Analyse des Scheiterns und der Gründe für den Untergang von Staatsordnungen erhoffte er sich hilfreiche Erkenntnisse. Er war davon überzeugt, dass die Umwälzungen aus erforschbaren Ursachen hervorgingen. In einem Brief vom 9. April 1513 gesteht er seinem Freund Francesco Vettori, dass auch er oft den Verdruss über eine rationale Betrachtung der historischen Ereignisse gespürt habe, zumal sich der reale Gang der Dinge allzu oft außerhalb und fern der Erörterungen und Konzepte, die man sich davon mache, gestalte („fuora de’ discorsi et concetti che si fanno“).18 Allerdings schließt Machiavelli daraus, dass die bisherigen Überlegungen unzulänglich und zu abstrakt gewesen seien, weshalb nur ihre Verfeinerung und ein genaueres Eindringen Aufschlüsse über die geschichtliche Logik scheinbar unbegreiflicher Ereignisse geben könnten.

In seinen Gedanken über die Macht, wie man sie erringen und wie man sie behaupten kann, spielen drei Variablen eine zentrale Rolle: Tüchtigkeit (virtù), Glück (fortuna), Gelegenheit (occasione) – um sie kreist Machiavellis Denken. Mittels ihrer versucht er Handlungsanweisungen zu geben angesichts einer garantielosen Welt permanenter Veränderung, der ständigen politischen Umwälzungen und der wechselhaften Natur des Menschen.19 Alle drei Begriffe sind schwer zu definieren, und ihre Bedeutung ändert sich auch innerhalb des Textes beziehungsweise erhält je nach Kontext neue Facetten. Unter virtù verstand man in der Antike zunächst ausgehend von der lateinischen Wurzel des Wortes (vir – „Mann“), Tapferkeit, Mannesmut und Stärke; bezogen auf Tätigkeiten und Berufe hat virtù dann die Bedeutung von Tüchtigkeit, Geschicklichkeit und Meisterschaft erhalten; und schließlich rückte in der Bedeutungsgeschichte des Wortes ein moralischer Sinn in den Vordergrund: Tugend und Tugendhaftigkeit. Die letztgenannte Bedeutung spielt bei Machiavelli allerdings kaum eine Rolle; deren Bezugssystem, die christliche Moral, ist ihm suspekt oder scheint ihm untauglich. Dagegen liegt seine Betonung auf der Tüchtigkeit, die er in Verbindung mit Tatkraft und Entschlossenheit bei allen Ausübungen des Menschen den faktischen Schwierigkeiten und Herausforderungen der Zeiten und des Schicksals entgegensetzt. So gesteht er dem Glück nur Macht über die Hälfte unserer Angelegenheiten zu („la fortuna sia arbitra della metà delle azioni nostre“; Kap. XXV), die andere Hälfte aber liege in den Händen des Menschen (ebd.). Dadurch wertet er den möglichen Einfluss des Menschen und seine Gestaltungsmöglichkeiten deutlich gegenüber stoisch-christlichen Vorstellungen auf. Verkürzt lässt sich das Wechselspiel dieser Kräfte so darstellen: Wenn einer tüchtig ist, aber kein Glück hat, dann nutzt ihm auch die beste Gelegenheit nichts. Bietet sich einem eine günstige Gelegenheit, aber es fehlt ihm an Tüchtigkeit, dann hilft auch kein Glück. Und schließlich: Wenn einer über Tüchtigkeit verfügt und das Glück ihm günstig ist, dann bleibt er selbst dann erfolgreich, wenn sich ihm keine Gelegenheit bietet.

Da aber das Glück und die Gelegenheit, die meist auch noch vom Glück dargeboten wird, nicht beeinflussbar und zudem wechselhaft sind, kommt alles auf die virtù des Fürsten an. Nur wenn er ein uomo virtuoso, ein tüchtiger Mann, ist, kann es ihm überhaupt gelingen, die Welt mitzugestalten, neue politische Ordnungen einzuführen und sie aufrecht zu erhalten.

Beim Bemühen um Erwerb und Aufrechterhaltung von Macht und Souveränität bleibt es allerdings nicht aus, dass sich Zwangslagen ergeben, in denen es dem Fürsten nicht freigestellt ist, ob er handelt, in denen er vielmehr handeln muss. Eine solche Notsituation erzwingt es laut Machiavelli, von der Moral abzusehen, und rechtfertigt den Einsatz außergewöhnlicher Mittel, darunter auch Gewalt und Mord an politischen Gegnern. Es handelt sich dabei um eine necessitàragion di stato20Principe