1. Auflage 2016
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Umschlagabbildung: © Ralf Ebert, STADTart, Dortmund
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-022002-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-031364-4
epub: ISBN 978-3-17-031365-1
mobi: ISBN 978-3-17-031366-8
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Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist trotz Krisen und Schwierigkeiten ein Wachstumsmarkt – und sie boomt noch immer! Umsatzwachstum und Wertschöpfung dieser komplex strukturierten Branche sind ebenso bemerkenswert wie die Besonderheit der Akteure. Sie sind i. d. R. jung, künstlerisch und kulturell hoch qualifiziert, sehr innovativ mit einer hohen Motivation zur beruflichen Selbstständigkeit. Häufig allerdings auch ein wenig unbedarft in wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen. Diese Tatsache hat uns bestätigt und gleichzeitig motiviert, die Edition Kreativwirtschaft mit herauszugeben, in der relevante Themen anspruchsvoll und praxisnah bearbeitet werden.
Die Edition Kreativwirtschaft behandelt zentrale Felder der unternehmerischen Kulturarbeit und Kreativwirtschaft. Ziel ist es dabei, den Akteuren in der Kultur- und Kreativwirtschaft sowohl anwendungsorientiertes Know-how als auch theoretisches ökonomisches und rechtliches Wissen zur Verfügung zu stellen. Die in dieser Reihe erschienenen Publikationen verfolgen einen didaktischen Ansatz, der aus drei Segmenten besteht: theoretische Grundlagen, empirische Befunde, Handlungsempfehlungen sowie Fallstudien und Übungsbeispiele. Zielgruppe der Edition Kreativwirtschaft sind sowohl junge Künstler und Künstlerinnen und Kreative, welche in die Selbstständigkeit gehen bzw. gegangen sind, Wirtschafts- und Kulturförderer/-innen der Städte, Regionen und Länder als auch Hochschullehrende und Studierende kultur- und kreativitätsbezogener Studiengänge sowie in der Beratung tätige Personen und Coaches für Kultur- und Kreativunternehmen.
Als Buchbeiträge sind in der Reihe bisher erschienen:
• Kulturmanagement und Unternehmertum (Elmar Konrad)
• Beratung und Coaching in der Kreativwirtschaft (Klaus-Dieter Müller, Wolfgang Flieger, Jörn Krug)
• Erfolgsfaktor Musikmarketing im Sozial Web (Thomas Schildhauer)
• Management für Kreativunternehmen (Herbert Grüner)
• Die Marke in der Kreativwirtschaft (Gesa Birnkraut und Rotraud Diwan)
• Management in der Musikwirtschaft (Josef Limper und Martin Lücke)
Mit dem vorliegenden Band schließt sich nun der Kreis der Edition. Ausgehend vom Eröffnungsband wurde der Fokus auf die individuell unternehmerischen Akteure selbst und deren Eigenschaften und Handlungsweisen mit entsprechenden erfolgswirksamen Praxisempfehlungen gelegt. Weitere Bände behandelten verschiedene Methodenaspekte wie Marketing und Management als auch vertiefende Teilbranchen. Nun kommen wir abschließend zur fundierten ökonomischen Betrachtung der Kultur- und Kreativwirtschaft selbst und deren Bedeutung für die Prosperität in Städten und wirtschaftliche Regionalentwicklung – quasi »per aspera ad astra«.
Der Band »Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region. Branchen – Orte – Netze« von Ralf Ebert, Friedrich Gnad und Klaus Kunzmann kann als ein umfassendes, aktuelles und konzentriertes Lehr- und Studienbuch verstanden werden, welches einen optimalen Einstieg in das Themen- und Handlungsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft ermöglicht. Dabei werden die verschiedenen Aspekte wie Kulturpolitik, Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung, Kulturentwicklungsplanung, Teilmärkte der Kultur- und Kreativwirtschaft, Kreativquartiere etc. kongenial vernetzt und in Beziehung gestellt. Die Autoren schöpfen dabei aus einem jahrzehntelangen Erfahrungsschatz und können so überzeugend, nachvollziehbar und anschaulich Effekte und Barrieren aufzeigen, Methoden der Analysen erklären, Potenziale erkennen, Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen und Strategieansätze entwickeln sowie Handlungsempfehlungen geben.
All diese Aspekte lassen die Autoren in ihre Betrachtung wissenschaftlich fundiert und praxisnah relevant einfließen, indem sie diesen bedeutenden ökonomischen Sektor erstmals so detailliert kompakt aufbereitet und umfassend anschaulich dargestellt haben, dass man von einem Standardwerk sprechen kann. Hierfür möchten wir als Herausgeber den Autoren herzlich danken.
Elmar D. Konrad | Herbert Grüner |
Professor für Allgemeine BWL, insb. | Professor für Grundlagen |
Existenzgründung Hochschule Mainz & | der Wirtschaftswissenschaften |
Direktor des iuh – | Kunsthochschule Berlin & |
Institut für unternehmerisches Handeln | Rektor der Hochschule für Künste Bremen |
Im Jahre 1986 sind wir, die Autoren dieses Bandes, ermutigt worden, uns mit einem Beitrag zur Bedeutung der Kulturwirtschaft für den Strukturwandel des Ruhrgebiets im Rahmen der Initiative Kultur 90 des Kultursekretariats nordrhein-westfälischer Städte zu beteiligen. Damit begann für uns eine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Thema. Kurz darauf sind wir dann, gemeinsam mit Andreas Wiesand, Michael Söndermann und Wolfgang Benkert, vom Wirtschaftsministerium des Landes NRW beauftragt worden, den ersten Kulturwirtschaftsbericht für das Land zu erarbeiten. Weitere Berichte folgten, die dann auch Modellcharakter für andere Bundesländer hatten.
Heute erfährt die Kultur- und Kreativwirtschaft weltweit große Aufmerksamkeit an dem lange unterschätzten (und heute gelegentlich sogar überschätzten) Segment der Wirtschaft. Unterstützt durch Programme des Bundes und der EU sehen mehr und mehr Städte und Regionen in Deutschland in der Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft, der »Kreativen Stadt« oder der »Creative Class« einen Hoffnungsträger. Keine Regierung, keine Region, keine Stadt kommt mehr daran vorbei, die Kultur- und Kreativwirtschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu stärken. Daher haben sich auch große Wirtschaftsforschungsinstitute inzwischen dieses Themenfeldes angenommen.
Mit diesem Werk wollen wir den Einstieg in das Themen- und Handlungsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft ermöglichen. Dies erfolgt auf der Grundlage unserer langjährigen Erfahrungen in der Beratung von Städten, Regionen und Bundesländern, in der Wirtschaftsförderung, der Stadtentwicklung und der Kulturentwicklungsplanung. Jetzt, wo die Welle der Begeisterung für die Kultur- und Kreativwirtschaft noch hoch ist, wollen wir hiermit Hilfestellung für eine faktenorientierte Darstellung der Handlungsmöglichkeiten geben. Damit möchten wir zu einer realistischen Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen beitragen, ebenso zu einem erfolgversprechenden Einsatz öffentlicher Mittel.
Die Fülle des Materials und der Erfahrungen haben es uns nicht leicht gemacht, das Manuskript zum Abschluss zu bringen, wohl wissend, dass das Ergebnis nicht alle Dimensionen des Themenfeldes in der manchmal wünschenswerten Tiefe widerspiegelt. Dem aktuellen Trend entgegen haben wir zudem bewusst auf großformatige Bilddarstellungen verzichtet. Dies schien uns angesichts der Fülle an solchen Darstellungen nicht erforderlich. Unsere Tagesgeschäfte und die jährlich wachsende Zahl von Strategieansätzen und Projekten sowie eine kaum mehr übersehbare Flut von Veröffentlichungen im In- und Ausland haben die Fertigstellung dieser Publikation zudem verzögert. Wir hoffen, dass der Band für alle interessierten Leser hilfreich ist, ihnen Anregungen gibt Wege und Mittel zu finden, wie sie in dem Themen und Handlungsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft erfolgversprechend agieren können.
Auf unserer bisher langen, rund 30-jährigen Reise »in die Welt der Kultur- und Kreativwirtschaft« haben uns viele vorausschauende Akteure in Städten, Ministerien und Instituten begleitet. Sie haben uns Mut gemacht, das Themenfeld in vielen Facetten unter die Lupe zunehmen, uns Gedanken darüber zum machen, wie die Branche und an welchen Standorten sie gefördert werden kann. Zu diesen Personen zählen über viele Jahre hinweg u. a. Heide Broll und Katharina Schwalm-Schäfer vom Wirtschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sowie in den Anfangsjahren der Kulturdezernent Bochums, Richard Erny. Ihnen, aber auch Vera Behr und vielen anderen am Institut für Raumplanung der TU Dortmund sowie Uwe van Ooy von STADTart möchten wir an dieser Stelle für ihre Unterstützung danken. Viele haben uns mit kritischen Einwänden ermuntert, unsere Vorstellungen weiter zu entwickeln. Mit Kollegen wie Charles Landry oder Andy Pratt haben wir uns vor dem Hintergrund der Debatten zur Kultur- und Kreativwirtschaft in England seit den1990er Jahren immer wieder über das Themenfeld ausgetauscht. Bedanken müssen wir uns auch bei vielen Auftraggebern und Kooperationspartnern, die uns über die Jahre die Chance gegeben haben, in Studien und Projekten den Stellenwert der Kultur- und Kreativwirtschaft in ihren Interdependenzen zum öffentlichen Kultursektor und zu anderen Branchen, für den Tourismus und die Entwicklung von »Kreativen Quartieren« zu erkunden und Handlungsvorschläge zu entwickeln. Stellvertretend für viele seien hier genannt: Rainer Ertel, Peter Noll, Rainer Danielzyk und Peter Grafe. Bedanken möchten wir uns zudem insbesondere bei Elmar Konrad und Herbert Grüner, den Herausgebern der Reihe, ohne deren Ermutigung wir den Band nicht hätten abschließen können, ebenso bei Uwe Fliegauf, dem Betreuer und Lektor im Kohlhammer Verlag, dessen immense Geduld und Durchsicht der Texte uns sehr geholfen hat. Das Thema wird uns weiter beschäftigen. Anregungen und Kritik nehmen wir der Sache willen gerne entgegen.
Im Februar 2016 |
Friedrich Gnad, Ralf Ebert und Klaus R. Kunzmann |
Vor 25 Jahren war nicht abzusehen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland, in den Ländern Europas bzw. auf der Ebene der EU und auch weltweit ein politisch relevantes und heute sehr ausdifferenziertes Handlungsfeld werden könnte. Eine der ersten Studien in Deutschland beschäftigte sich vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet Ende der 1980er mit den Beschäftigungswirkungen kulturbezogener erwerbswirtschaftlicher Betriebe, selbstständiger Künstler bzw. anderer Kulturschaffender. Heute werden die Diskussionen von Fragen u. a. zur Entwicklung »Kreativer Räume«, zu Clustern der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen und zu Spill-Over-Effekten für andere Branchen dominiert. Dementsprechend sind auch Analysen, Strategien und Ansätze zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Spannungsfeld von Raumentwicklungs-, Wirtschafts- und Kulturpolitik immer komplexer geworden.
Für zahlreiche Auftraggeber, für interessierte Akteure in Städten und Regionen sowie für Studierende ist die Vielschichtigkeit des Themenfeldes und der unterschiedlichen Perspektiven, aus denen heraus Entwicklungsansätze und Strategien entwickelt werden können, aber vielfach eine nicht leicht zu bewältigende Herausforderung. Der vorliegende Band »Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region« in der Edition Kreativwirtschaft will dieser Gruppe an Leser/innen den Einstieg in das Themen- und Handlungsfeld dadurch erleichtern, in dem wir von Städten und Regionen ausgehen. Vor dem Hintergrund der langjährigen Erfahrungen der Autoren konzentrieren wir uns auf Ansätze und Strategien im Spannungsfeld von Raumentwicklungs-, Wirtschaftsförderungs- und Kulturpolitik mit dem Ziel, die Entwicklungsbedingungen der Branche zu verbessern.
In erster Linie richtet sich das Lehr- und Studienbuch an diejenigen, die in Stadtplanungsämtern und bei der Wirtschaftsförderung tätig sind und den Auftrag haben, sich dort um die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu kümmern. Es wendet sich zudem an Beratungsunternehmen, die von Städten beauftragt werden, in diesem Handlungsfeld Analysen durchzuführen und strategische Empfehlungen zu erarbeiten, wie diese Branche auf der Basis endogener und exogener Potentiale, zukünftiger Entwicklungen und Anforderungen vor Ort unterstützt werden kann. Der Band richtet sich darüber hinaus an diejenigen, die in der Kulturpolitik tätig sind und sich um die lokale und regionale Kulturpolitiken Gedanken machen und darum kämpfen müssen, die finanziellen Grundlagen für den öffentlich geförderten und zivilgesellschaftlich organisierten Kultursektor nachhaltig oder auch nur projektbezogen zu sichern. Aus unserer Sicht können auch sie Nutzen aus diesem Band ziehen, da beide Sektoren personell und institutionell in einigen Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft miteinander vernetzt sind. Kulturpolitik ist daher oftmals auch Kulturwirtschaftspolitik, wenn es zum Beispiel darum geht, Projekte oder Produktionen selbstständiger Künstler/innen zu unterstützen.
Warum ist die Kultur- und Kreativwirtschaft für Stadt- und Regionalplaner, für die Wirtschaftsförderung, für die Kulturverwaltung einer Stadt oder einer Region wichtig? Es hat vieler Diskussionen und Studien bedurft, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass »Kunst und Kultur« vielfach auch Wirtschaftsgüter sind, die zudem zu wirtschaftlichen Innovationen und Entwicklungen anderer Branchen beitragen können. Die Bedeutung der Kultur für den Arbeitsmarkt, die wirtschaftliche Entwicklung etc. war vor allem in Deutschland lange Zeit vergessen oder verdrängt, weil Politik, Kulturverwaltungen sowie Nutzer und Besucher von Kunst- und Kultureinrichtungen über viele Jahrzehnte gewohnt waren, dass Kunst und Kultur eine öffentliche Aufgabe ist und weite Teile der Kulturproduktionen daher vom öffentlichen Sektor zu geringen Zugangskosten bereitgestellt werden müssen. Die international einmalige und bewunderte Dichte der deutschen Theater- und Musiklandschaften ist dafür ein immer wieder genanntes Beispiel. Zu der Trennung von Kultur und Wirtschaft beigetragen hat eine speziell in Deutschland geführte Debatte über die »Kulturindustrie«. Dieser von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verwendete Begriff der »Frankfurter Schule« kritisiert jedoch weniger die privatwirtschaftliche Trägerschaft in der Kultur als vielmehr den antiaufklärerischen Einsatz insbesondere von Film und Hörfunk durch autoritäre Regime unter fordistisch-industriellen Produktionsbedingungen.
Die bis in die 1990er Jahre verbreitete Meinung, dass der öffentliche Sektor einziger Akteur im breiten Feld der Kultur ist, änderte sich in Deutschland erst mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die sich in einer größeren Breite an kulturellen Interessen und Szenen niedergeschlagen hat. Die u. a. aufgrund der Babyboomer der 1950er und 1960er Jahre auch in quantitativer Hinsicht größere kulturelle Nachfrage schlug sich nach 1975 auch in einer Zunahme an erwerbswirtschaftlichen und von kulturellen Szenen getragenen Produktions- und Veranstaltungsanbietern nieder. Dies erfolgte im Umfeld eines kulturpolitischen Paradigmenwechsels (»Kultur für alle«) in dessen Kontext dann von zivilgesellschaftlichen Akteuren im Laufe der Jahre bundesweit etwa zahlreiche neue »Soziokulturellen Zentren« entstanden sind. Heute ist es Besuchern von Kulturveranstaltungen weitgehend gleichgültig bzw. es ist ihnen auch meist nicht bekannt, wer der jeweilige Träger ist, sei es der öffentliche bzw. der erwerbswirtschaftlich orientierte Kultursektor, d. h. also Anbieter der Kultur- und Kreativwirtschaft, oder der sogenannte intermediäre bzw. zivilgesellschaftliche Kultursektor (z. B. ein Musikclub mit einem Verein als Träger) oder ob die Trägerschaft in Kooperation mit allen drei Kultursektoren erfolgt.
Doch wie ist die häufig als diffus wahrgenommene Branche der Kulturwirtschaft, die inzwischen als »Kultur- und Kreativwirtschaft« bezeichnet wird, überhaupt zu fassen? Wie ist sie zu definieren, abzugrenzen und zu erfassen? Welche Wirtschaftszweige zählen zur Kulturwirtschaft, welche zur Kreativwirtschaft und worin liegen die Unterschiede zwischen beiden Abgrenzungen? In den Anfängen der bundesdeutschen Diskussion in den 1990er Jahren zeigte sich, dass Betriebe, Selbstständige und Märkte mit Kulturbezug vielfach nicht so einfach wie andere Branchen zu identifizieren waren. Zu unterschiedlich waren die Perspektiven von Künstlern, Kulturpolitikern, Kulturwissenschaftlern oder Wirtschaftswissenschaftlern. Dies galt vor allem dann, wenn bei Diskussionen zur »Kulturwirtschaft« Akteure mit ökonomischer Perspektive auf Akteure mit gesellschafts- und kulturpolitischen Perspektiven trafen. Eine aus ökonomischer und gleichzeitig kultureller Perspektive zufriedenstellende Definition und Abgrenzung der Kulturwirtschaft war daher lange Zeit kaum denkbar. Dabei standen heute kaum nachvollziehbare Fragen im Raum: Wann ist Literatur nicht mehr Kultur oder Kunst? Wann sind Videoprodukte noch Kunst, wann nur noch Pornographie? Wann werden Designprodukte zu Kitsch und fallen dann aus dem gängigen bürgerlichen kulturellen Wertekanon heraus? Haben Rockkonzerte eine kulturelle Bedeutung oder sind die zahlreichen Formen der Popularkultur nur Geschäft? Solche Diskussionen waren, wie in manch ähnlich gelagerten Handlungsfeldern, etwa dem Sport, oft von der Angst vor der Ökonomisierung geprägt.
Doch über die Jahre änderten sich die Einstellungen vieler Kulturpolitiker zum erwerbswirtschaftlich organisierten Kultursektor, zumal sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass zum Beispiel alle selbstständigen Künstler/innen und Künstler zugleich zur Kulturwirtschaft zählen. Manche Aufregungen haben sich auch deshalb gelegt, weil auch deutlich geworden ist, dass nicht wenige Geschäftsfelder der Kultur- und Kreativwirtschaft schon seit Jahrzehnten erwerbswirtschaftlich organisiert sind wie etwa der Musikinstrumentenbau, der Buchhandel, Kunstgalerien oder auch Ballettschulen. Problematisch bleibt jedoch aus der Perspektive mancher Kulturakteure weiterhin die pragmatische branchenbezogene Definition der Kulturwirtschaft, die kulturbezogene Produkte und Dienstleistungen nicht nach ihrem kulturellen Wert beurteilt.
Der erwerbswirtschaftlich organisierte Kultursektor, die »Kulturwirtschaft« bzw. heute die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine Wirtschaftsbranche, die sich aus zahlreichen produktions- und dienstleistungsbezogenen Wirtschaftszweigen mit Kulturbezug zusammensetzt. Daher wird sie manchmal auch als »Querschnittsbranche« bezeichnet, die zum Beispiel mit der ebenfalls sich aus sehr unterschiedlichen Wirtschaftszweigen zusammensetzenden Freizeitwirtschaft vergleichbar ist. Die branchenbezogene Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft ist, und darauf sei schon an dieser Stelle hingewiesen, nicht gleichzusetzen mit dem Themen- und Handlungsfeld »Kultur und Wirtschaft«, zu dem beispielsweise die häufiger in den 1980er und 1990er Jahre durchgeführten Inzidenzanalysen von Kulturangeboten zählen. Andere bekanntere Aspekte im Rahmen dieses Themenfeldes sind »Kultur als Standortfaktor« bei Entscheidungen von Bewohnern hinsichtlich ihres Wohnstandorts bzw. von Betrieben oder das »Sponsoring« durch Unternehmen, die ebenfalls für die Entwicklung von Städten und Regionen bedeutsam sind.
Der Anfang der Diskussion um die Kultur- und Kreativwirtschaft war zunächst von der Frage nach der Bedeutung der Branche für den lokalen und regionalen Arbeitsmarkt und damit für den Strukturwandel im Ruhrgebiet geprägt. Die in zahlreichen Branchenberichten festgestellte Zunahme der Erwerbstätigen über viele Jahre und steigende Umsätze führten zudem zu der Einschätzung, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft als Zukunftsbranche anzusehen ist. Beide für Städte und Regionen wichtigen Aspekte sind in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund getreten, bedingt insbesondere durch strukturelle Veränderungen der Branche (z. B. der Digitalisierung und den damit veränderten Produktions- und Vertriebsbedingungen etwa in der Musikwirtschaft). Zudem haben zwischenzeitlich zahlreiche Studien weitere Aspekte zur Kultur- und Kreativwirtschaft herausgearbeitet, so dass es heute eine Reihe an ökonomischen, stadt- und kulturentwicklungsbezogenen Gründen gibt, warum die Branche für Städte und Regionen bedeutsam ist. Zu den wichtigsten zählen folgende Aspekte:
• Wie viele andere Branchen schafft die Kultur- und Kreativwirtschaft zahlreiche Arbeitsplätze und bietet Erwerbsmöglichkeiten: Trotz der seit einiger Zeit zu beobachtenden grundlegenden strukturellen Veränderungen in der Kultur- und Kreativwirtschaft (wobei u. a. sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze durch selbstständige Tätigkeiten ersetzt werden) ist die Branche heute insgesamt, aber nicht unbedingt in allen Teilmärkten (z. B. in der Produktion von Tonträgern, bei Druckereien) weiterhin ein wichtiger Faktor für den lokalen bzw. regionalen Arbeitsmarkt. Aufgrund von Lokalisations- und Urbanisationsvorteilen von Agglomerationen ist diese Bedeutung in absoluten Zahlen in vielen Großstädten zumeist ausgeprägter und damit auch im Stadtbild deutlich sichtbarer als in Mittel- und Kleinstädten.
• Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist Teil einer »ewigen Nachfrage« im Kulturbereich: Heute wie vor hundert Jahren zeichnet sich die »Kultur« im Sinne kultureller bzw. künstlerischer Produkte und Dienstleistungen durch einen hohen Innovationsgrad aus, etwa in der Musik, der Bildenden Kunst oder dem Film, und bezieht daraus auch ihren gesellschaftlichen Stellenwert. Zwar wird es in den heute dazu zählenden ausdifferenzierten und schnelllebigen Märkten immer Schrumpfungen und Wachstum sowie örtliche Verschiebungen etwa von einer Stadt zur anderen geben. Doch eines wird sicherlich bleiben, der hohe gesellschaftliche Stellenwert von Kunst und Kultur. Da dadurch auch eine »ewige Nachfrage« nach kulturellen bzw. künstlerischen Produkten und Dienstleistungen in jenen Teilmärkten garantiert ist, die erwerbswirtschaftlich organisiert sind, tragen Initiativen zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft dazu bei die wirtschaftliche Basis von Städten und Regionen nachhaltig zu sichern.
• Manche Teilmärkte der Kultur- und Kreativwirtschaft tragen zur Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit anderer Branchen bei: Die Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst nicht nur Betriebe und Selbstständige, die Produkte für ihren eigenen Markt herstellen. Hierzu zählen auch Selbstständige und Unternehmen, die Produkte für andere Branchen herstellen oder für diese Dienstleistungen erbringen (branchenbezogene Spill-Over-Effekte). Dies trifft insbesondere im Designbereich und in der Werbung zu. Angesichts der »Kulturalisierung« zahlreicher Produkte in ansonsten weitgehend gesättigten Märkten leisten beispielsweise Design- und Werbebetriebe einen vielfach vernachlässigten Beitrag zur Stärkung der nationalen und internationale Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Unternehmen in anderen Branchen einer Stadt bzw. Region.
• Die Kultur- und Kreativwirtschaft bietet Chancen, brachliegende Industriebauten wieder zu nutzen und städtische Quartiere als »Hot Spots« zu entwickeln: Ein großer Teil der Selbstständigen und überwiegend kleinen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft hat seinen Standort in städtischen Quartieren, u. a. weil damit Fühlungsvorteile verbunden sind und die Umsetzung beispielsweise von gemeinsamen Musik-, Film-, Designprojekten erleichtert wird. Dies eröffnet der Stadtentwicklungsplanung die Chance, manche vormals industriellen Industrie- und Gewerbegebiete, das baulich-kulturelle Erbe der Industriebauten bzw. Kirchen und andere über viele Jahre vernachlässigten Quartiere u. a. durch Lofts und Ateliergebäude sowie Gastronomieangebote als »Kreative Quartiere« zu entwickeln und aufzuwerten. Solche kulturellen Mischquartiere nehmen zumeist nur einen Bruchteil der Stadtfläche ein und sind als »Hot Spots« bedeutsame Gebiete für die lokale Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Diese Strategie, die ihre Wurzeln in der illegalen Besetzung leer stehender Gewerbebauten in den Jahrzehnten zuvor und der darauf einsetzenden Belebung etwa durch Architekten, junge Immobilien-Entwickler, Modedesigner und alternative Szene-Verlage, aber auch kulturwirtschaftsbezogene Anwaltskanzleien und Logistik-Dienstleister hat, ist vielfach eine schwierige Gratwanderung zwischen notwendiger Aufwertung und konfliktreicher Gentrifizierung. Das zeigen Konflikte der letzten Jahre insbesondere in Städten mit einer hohen Entwicklungsdynamik wie beispielsweise Hamburg oder Frankfurt.
• Die Kultur- und Kreativwirtschaft unterstützt die Standortattraktivität und erhöht die Aufmerksamkeitspotentiale für das Stadt- und Regionalmarketing: In internationalen Städterankings wird der Lebensqualität eine immer prominentere Bedeutung beigemessen. Dabei spielen besucherbezogene Anbieter der Kultur- und Kreativwirtschaft wie etwa Musikclubs, Galerien, private Off-Theater und erwerbswirtschaftlich organisierte Veranstaltungen, zusammen mit dem Angebot des öffentlich geförderten und des zivilgesellschaftlich getragenen Kultursektors eine große Rolle. Dieses kulturelle Gesamtangebot, dessen Aushängeschilder vielfach die kleinteilig strukturierten Szeneviertel sind, stärkt die Standortattraktivität von Städten bzw. Regionen und wirkt sich erfahrungsgemäß positiv auf Standortentscheidungen von Unternehmen in manchen Branchen, von hochqualifizierten Arbeitskräften und von jungen Talenten bzw. Studierenden aus. Die mit dem kulturellen Gesamtangebot verbundenen hohen Aufmerksamkeitspotentiale, weshalb diesen auch eine besonders entwicklungsrelevante Symbolfunktion für Metropolen zugeschrieben wird, sind daher bedeutende Felder des Stadt- und Regionalmarketings mit dem Ziel zudem den Städte- bzw. Kulturtourismus zu stärken.
• Besucherbezogene Angebote der Kultur- und Kreativwirtschaft haben heute eine entlastende Funktion in der kulturellen Daseinsvorsorge: Die letzten 30 Jahre kommunaler bzw. regionaler Kulturpolitik haben neben den skizzierten positiven Effekten für Städte und Regionen auch dazu beigetragen, dass manche Bevölkerungsgruppen seit einigen Jahren wieder bereit sind, für besucherbezogene erwerbswirtschaftlich Angebote höhere Ausgaben zu tätigen. Das belegen u. a. die wirtschaftlichen Erfolge der kulturbezogenen Veranstaltungsmärkte mit Clubs, Musicaltheatern, Festivals und unabhängigen freien Theatern oder auch die Musik- und Malschulen, die breite und kleinere Nachfragefelder bedienen. Diese müssen bzw. können heute seitens der Kommunen kaum mehr abgedeckt werden, insbesondere weil zahlreichen Gemeinden die finanziellen Mittel dazu fehlen. Viele besucherbezogenen Angebote der Kultur- und Kreativwirtschaft haben deshalb für die Städte und Regionen eine entlastende Funktion in der kulturellen Daseinsvorsorge.
Diese und noch manche andere Gründe wie etwa die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft für die Tourismuswirtschaft haben das Interesse an der Branche in den Städten und Regionen Deutschlands geweckt und dazu geführt, dass Bund, Länder und viele Kommunen Strategien, Programme, Projekte und Maßnahmen zu deren Stärkung entwickelt haben bzw. aktuell neu entwickeln. Vielfach erfolgt dies unter Bezug auf das sehr umfassende Paradigma der »Kreativen Stadt«, wobei die Kultur- und Kreativwirtschaft Ausdruck und Bestandteil dieses Ansatzes ist. Das Paradigma hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch in Deutschland, aber noch mehr und in anderen Ländern schnell den Eingang in die unterschiedlichen stadtbezogenen Disziplinen gefunden. Ob Stadtplaner, Wirtschaftsförderer oder Kulturpolitiker, sie alle haben erkannt, welche Chancen das Leitbild der »Kreativen Stadt« für ihre jeweiligen Handlungsfelder bietet. Bis heute verbindet sich mit diesem Leitbild die Hoffnung, dass mit dieser gemeinsamen Vision neue Entwicklungsschübe in der Stadt- und Regionalentwicklung ausgelöst werden können, vor allem dann, wenn sektoralen Politiken projekt- oder quartierbezogen aufeinander gestimmt werden. Diese Vision hat im positiven Sinne jedenfalls Maßnahmen auch zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft ermöglicht, die sonst vielleicht keine politische oder bürgerschaftliche Zustimmung gefunden hätten bzw. finden würden.
Nach mehr als 25 Jahren teilweise hitziger Debatten über das Wohl und Wehe der Kultur- und Kreativwirtschaft bedürfen Strategien, Projekte und Maßnahmen zur Stärkung dieser Branche heute im Großen und Ganzen keiner besonderen Rechtfertigung mehr. Jetzt geht es meist darum, pragmatisch Handlungsansätze zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen zu entwickeln. Dies kann nicht ohne neue kulturelle Initiativen gelingen, nicht ohne die Vordenker, Träger und Architekten dieser Politiken davon zu überzeugen, dass die Kultur- und Kulturwirtschaft eine für Städte und Regionen relevante Wirtschaftsbranche ist. Doch lässt sich dies weder durch Gesetze und Verordnungen einklagen, noch mittels Subventionen erreichen. Die Stadt- und Regionalentwicklung braucht eine regionale Kultur- und Kreativ(wirtschafts)politik mit Maß, die sich an den regionalen Traditionen und Potenzialen orientiert. Sie braucht vor allem auch Menschen, die aus kultureller Betätigung ihr Einkommen beziehen wollen, weil andere Menschen in der Region bzw. Besucherinnen und Besucher, die dorthin kommen und bereit sind, dafür angemessene Preise zu bezahlen.
Wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft in den Städten und Regionen zu stärken, so ist dies immer eine schwierige Gratwanderung zwischen bewusstem Laissez-faire oder absichtlicher Vernachlässigung einerseits und gezielter Intervention, die mit katalytischen Projekten integrierten Strategien folgt, andererseits. Auf der einen Seite sollen die urbanen Interessen derjenigen befriedigt werden, die sich in der Kultur- und Kreativwirtschaft betätigen. Auf der anderen Seite soll das Eingehen auf deren Standortwünsche und Interessen nicht zur schleichenden Gentrifizierung von Lebenswelten führen und die alteingesessenen Bewohnerschaft bzw. die »urbanen Pioniere« zwingen, ihre ständig teurer werdenden Standorte zu verlassen.
Die Kunst der Stadtpolitik, »The Art of City Making«, um einen Titel von Charles Landry zu zitieren, ist es, diese Gratwanderung erfolgreich zu meistern. Dazu bedarf es kompetenter Moderatoren und viel kommunikativer Anstrengungen, Fingerspitzengefühl für die Interessen ganz unterschiedlichen Gruppen der städtischen Gesellschaft. Dabei macht es beispielsweise wenig Sinn, im Top-down-Verfahren »kreative« Quartiere festzulegen. Im Gegenteil: Solche Quartiere entstehen in der Regel vor allem dort, wo Freiräume für neue urbane Entwicklungen bewusst offengehalten werden. Dabei zeigt sich, dass die Formulierung und vor allem die Umsetzung solcher Handlungsansätze nicht allein seitens der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsförderung erfolgen kann. Andere Politikressorts wie die Kultur, die Stadtentwicklung, auch die Bildung und zukünftig vermutlich verstärkt die Integrationspolitik sind vielfach unabdingbare Partner, um die Rahmenbedingungen zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu verbessern, wobei sich die Ansätze und Strategien für Metropolen, Großstädte sowie Mittel- und Kleinstädte deutlich voneinander unterscheiden.
Der vorliegende Band »Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region« in der Edition Kreativwirtschaft möchte denjenigen eine Hilfe sein, die in Städten und Regionen im Handlungsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft tätig sind oder sich dafür interessieren. Dabei stellen sich ihnen oftmals folgende Fragen:
• Wie wird die Kultur- und Kreativwirtschaft heute definiert und welchen Stellenwert hat sie im Vergleich zu anderen Branchen?
• Was ist neu an Kultur- und Kreativwirtschaft, worauf baut der Ansatz auf?
• Welchen Stellenwert hat die Kultur- und Kreativwirtschaft in Großstädten, welchen in Mittel- und Kleinstädten oder auf dem Lande?
• Welche Faktoren bestimmen die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen?
• Wie können die Entwicklungsbedingungen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen durch Wirtschafts-, Kultur- und Stadtentwicklungspolitik positiv gestaltet werden?
• Welche Bedeutung wird die Kultur- und Kreativwirtschaft zukünftig in Deutschland haben und welche Faktoren spielen dabei eine zentrale Rolle?
Ausgehend von diesen Fragen gliedert sich der Band in sieben Kapitel: Zunächst werden die Ursprünge und einige Traditionen bzw. die Entwicklungsgeschichte der Kulturwirtschaft in ausgewählten Segmenten aufgezeigt ( Kap. 2). Im 3. Kapitel wird auf den Wandel von der Kulturwirtschaft zur Kultur- und Kreativwirtschaft eingegangen, wie diese Branche heute abgegrenzt werden kann bzw. erfasst wird und wie sich die Wertschöpfungsprozesse darstellen. Danach wird die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland, einzelnen Bundesländern, Regionen und Städten vorgestellt sowie die Relevanz der einzelnen Teilmärkte. Zudem beschreibt dieses Kapitel die besonderen Merkmale der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie die Einflussfaktoren, die den »Boom« der Branche in den zwei Jahrzehnten begünstigt haben ( Kap. 4). Das folgende 5. Kapitel stellt, ausgehend von den möglichen politischen Gestaltungs- und Handlungsfeldern, Erfolg versprechende Ansätze und Maßnahmen zur Verbesserung von Entwicklungsbedingungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen vor. Differenziert wird hierbei nach Ansätzen und Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, der Kultur- und Bildungspolitik sowie der Stadtentwicklungspolitik. Das Kapitel 6 zeigt anhand von Beispielen auf, was in Ländern, vor allem in Großstädten und Mittel- bzw. Kleinstädten sowie Regionen in den letzten Jahren initiiert wurde, um in die Rahmenbedingungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft zu verbessern. Das abschließende Kapitel gibt vor dem Hintergrund sich abzeichnender struktureller Veränderungen in der Branche und ausgewählter Beispiele aus anderen Ländern einen Ausblick zu den möglichen Zukünften der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen.
Es war kein Zufall, dass bereits 1987 die Bedeutung »kulturabhängiger Wirtschaftsbetriebe« und selbstständiger Künstler/innen gerade für den lokalen Arbeitsmarkt einer Ruhrgebietsstadt in einer Studie empirisch erhoben wurde. Bochum stand seinerzeit wie viele Ruhrgebietsstädte vor der Herausforderung, Ersatz für die vielen verlorenen Arbeitsplätze im Bergbau und in der Stahlindustrie zu finden. Daher stellte sich damals auch Bochum die Frage, ob erwerbswirtschaftliche kulturbezogene Arbeitsplätze einen Beitrag zum Strukturwandel leisten könnten. Unübersehbar ist damals bereits, dass es viele Künstler/innen in der Stadt gibt, dass es in den 1980er Jahren bereits viele erwerbswirtschaftliche Betriebe in Kunst und Kultur gibt, dass es einen medial wirksamen »Rockpalast« gibt und dass das Musical »Starlight Express« bald seine Pforten öffnen würde. Die empirische Studie weist dann auch eine unerwartet hohe Anzahl an erwerbswirtschaftlichen und sonstigen Arbeitsplätzen mit Kulturbezug in der Stadt detailliert nach. Sie liefert damit auch Gründe, in den kommenden Jahren Wirtschaftszweige mit Kulturbezug als Wirtschaftskomplex näher zu untersuchen, ein ökonomisches Erfassungsmodell zu entwickeln und diese Querschnittsbranche als neues Handlungsfeld der Politik unter dem Namen »Kulturwirtschaft« zu etablieren.
Dass kulturbezogene Wirtschaftszweige (Kulturwirtschaft) erst Ende der 1980er Jahre für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft als relevant »entdeckt« werden, erstaunt allerdings, da schon manche von ihnen über Jahrhunderte erhebliche Bedeutung für regionale Wirtschaften und den Broterwerb ihrer dort Beschäftigten haben. Dies gilt zum Beispiel für die bildende Kunst, die Literatur, die Musik, das Theater oder die Architektur, die über lange Zeiträume überwiegend erwerbswirtschaftlich organisiert sind, von den mäzenatischen Kulturaktivitäten einmal abgesehen (z. B. Resindenztheater).
Zwar haben einzelne Ökonomen bereits vor über 100 Jahren auf die große Bedeutung dieser kulturbezogenen Wirtschaftszweige hingewiesen. Doch finden sie bis in die 1980er Jahre weder in der Wirtschaftsforschung noch in der Wirtschaftspolitik Beachtung. Die Produktion und Distribution von »Künsten« wird in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend als Aufgabe des öffentlichen Sektors im Kontext der »Daseinsvorsorge« des Staates verstanden (z. B. Theater, Opern, Konzerte, Bibliotheken). Dementsprechend entwickelt die in den 1980er Jahren unter finanziellen Druck geratene kommunale Kulturpolitik Rechtfertigungsstrategien. Hierbei stehen die fiskalischen »Nebeneffekte« der öffentlich geförderten Kultur im Mittelpunkt: Durch sogenannte »Umwegrentabilitätsstudien« haben einzelne Städte versucht, ihr Kulturausgaben als sinnvolle Ausgaben des Staates fiskalisch zu begründen, was seinerzeit inhaltlich bereits stark kritisiert wurde ( Kap. 3.3).
Unabhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen und politischen System weisen Kunst, Kultur und Erwerbswirtschaft schon immer enge Zusammenhänge auf, auch in vordemokratischen Gesellschaften. Dies zeigen u. a. die baukulturellen Zeugnisse wie Pyramiden, Kirchen, Burgen, Schlösser oder die Bürgerhäuser vieler Altstädte, die mit ihren Kunst- und Kulturartefakten nicht nur kultur-technische Leistungen darstellen (Behr, Gnad, Kunzmann 1990, 18). Sie sind auch unter zeitgenössischer Perspektive gewaltige wirtschaftliche Leistungen, die von Architekten, Künstlern etc. und vielen Helfern und Zulieferern erbracht werden. Allerdings beruht die Finanzierung besonders imposanter Bauwerke damals weniger auf einem Marktkonzept als auf der direkten Ausbeutung breiter Bevölkerungsgruppen: »Der größte Teil unseres Kulturschatzes aus der Vergangenheit in Gebäuden etc., die uns ja auch sehr viel Kosten bereiten, ist in Zeiten entstanden, die vordemokratisch waren. (…) August der Starke war eben in der Lage zu entscheiden und er hat den Zwinger gebaut, das Dresdener Schloss (…) und viele andere mehr. Wenn man sich die politischen Bedingungen anschaut, unter denen August der Starke das gemacht hat, dann muß man sie nach heutigen Begriffen als Ausbeutung bezeichnen. Ohne eine Ausbeutung des gesamten sächsischen Volks wären diese Kulturgüter nie zustande gekommen« (Biedenkopf 1995).
Kunst und Kultur haben schon seit Jahrhunderten starke wirtschaftliche Dimensionen, sowohl in der Herstellung als auch im Vertrieb kulturbezogener Produkte und Dienstleistungen, wobei Künste seinerzeit vom Wirtschaftsleben weniger getrennt sind als das heute der Fall ist. So bilden einzelne Künste und manches Handwerk ehemals eher Einheiten, wenn zum Beispiel die »Architektur« nicht allein auf die Erfüllung der Primärfunktionen (u. a. physische Schutzfunktionen) eines Gebäudes ausgerichtet ist, sondern auch auf Sekundärfunktionen wie die Gestaltung oder den Symbolgehalt eines Gebäudes. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wird darauf hingewiesen, dass Kunst- und Kulturprodukte häufig nicht allein durch einzelne Künstler/innen mit Unterstützung von Mäzenen geschaffen werden (vor allem in Residenzstädten). Ganze Teile einer Volkswirtschaft mit spezialisierten Betrieben und Beschäftigten schaffen hierfür wesentliche Grundlagen und Voraussetzungen. Durch diese wirtschaftlichen Aktivitäten als Vorleistungen werden viele Kunst- und Kulturproduktionen häufig erst ermöglicht. So stellt der Schriftsteller Victor Hugo bereits im Jahre 1848 vor der verfassungsgebenden Versammlung fest: »Die Pariser Theater, meine Damen und Herren, geben der Pariser Industrie wichtige Impulse, die wiederum auf die Industrie der Départements zurückwirken. Alle Wirtschaftsbranchen empfangen etwas vom Theater. Von den Pariser Theatern sind direkt 10.000 Familien abhängig, 30 oder 40 verschiedene Berufe mit jeweils Hunderten von Arbeitern. Die Theater bringen jährlich, nach unbezweifelbaren Daten, Mittel in der Größenordnung von mindestens 20 bis 30 Mio. Francs in Umlauf« (nach Fohrbeck, Wiesand 1989, 3).
Damit wird vor über 150 Jahren schon darauf hingewiesen, dass sich mit der Entwicklung von Künsten über die Jahrhunderte in wachsendem Maße auch Zulieferer in unterstützenden Märkten herausbilden. Sie erleichtern oder ermöglichen als Handwerksbetriebe und später als Manufakturen und Industriebetriebe die kulturelle Produktion: Maler/innen benötigen Farben, damit sie diese nicht selbst aufwändig herstellen müssen und Musiker/innen Musikinstrumente, die qualifizierte Musikinstrumentenmacher in stets steigender Qualität anbieten. Für eine stetig wachsende Anzahl von Menschen geht es im Umfeld von Kultur und Kunst daher um Zulieferdienste als Erwerbsarbeit für das Kunst- und Kulturschaffen. Kunst- und Kulturschaffende sind bereits seit Jahrhunderten auf Produkte und Dienstleistungen von Zuliefer- und Abnehmerbetrieben angewiesen. Diese vorgelagerten Wirtschaftsbetriebe schaffen wichtige Produktionsgrundlagen und die nachgelagerten ermöglichen zum Beispiel die weite Verbreitung von Kunst und Kultur, u. a. durch den Buchdruck.
Auch Ökonomen verdeutlichen vor über 100 Jahren diese komplexen Zusammenhänge, bei denen kulturbezogene Wirtschaftsbetriebe zunehmend mehr Möglichkeiten für Künstler schaffen: »Die Volkswirtschaft bildet im speziellen die materielle Basis für die Lebensführung der Künstler. Johann Wolfgang von Goethe, Richard Wagner, Arnold Böcklin hätten nicht gewaltige Werke in langer Reihe schaffen können, wenn sie nicht von äußerster Not geschützt gewesen wären. Der Beethoven Max Klingers, der aus kostbaren Materialien in langdauernder Arbeit hergestellt ist, setzt eine breite materielle Selbstständigkeit voraus. Wir wissen, wie Schillers und mancher anderer dichter und Künstler Leben und wirken unter der Sorge um das alltägliche Brot gelitten haben. (…). Gewerbe und Handel dienen im hohen Maße zur Verbreitung der Kunst durch Reproduktion und durch Zirkulation ihrer Erzeugnisse. Die polygraphischen Kunstwerke wie Holzschnitt, Stahl- und Kupferdruck, Steindruck, Licht- und Farbendruck, Photographie haben mehr und mehr der Kunst mächtige Waffen geliefert. Bis in die ärmsten Häuser hinein und bis zu einfachen Völkern kann die Kunst vermöge solcher Nachbildungen gelangen. (…) Die Gewerbe gewähren endlich die technischen Mittel zur Ausübung der Kunst. Werkzeuge, Eisen, Stahl, Kupfer und Zink, Marmor und andre Steinarten, Leinwand und Papier, Farben werden den Künstlern in größter Mannigfaltigkeit zur Verfügung gestellt. Während früher ein Maler seine Farben mühsam schuf – oft nicht zum Nachteil seiner Kunst, stehen ihm jetzt die reichsten Musterkollektionen großer chemischer Fabriken zur Verfügung. (…). Die Kunst ihrerseits formt Volksleben und Volkswirtschaft in gewaltiger Weise um; in Deutschland besonders wieder seit den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Wir rücken bei diesen Studien die bildenden Künste: Malerei, Architektur, Skulptur in den Vordergrund; sie beeinflussen in erster Linie die wirtschaftliche Technik« (Kindermann 1903).
Übersicht 2.1.1: Entwicklungsphasen gesellschaftlicher Produktion und Beispiele typischer kulturwirtschaftlicher Produkte und Dienstleistungen
Phasen gesellschaftlicher ProduktionGesellschaftlich technische ProduktionsweiseTypische Produkt- und Dienstleistungen der »Kulturwirtschaft« (Beispiele)
Übersicht 2.1.1