Inhaltsverzeichnis
DAS IN UNS, WAS NICHT STIRBT – DER GÖTTLICHE KERN
Eine Annäherung an etwas Unsagbares
»Das in uns, was nicht stirbt« – dieser letzten, tiefsten und geheimnisvollsten Ebene unseres Menschseins wollen wir auf den folgenden Seiten unsere Aufmerksamkeit schenken, jenen Bereichen unserer Person, die wir mit unserem logischen Verstand nicht wirklich zu erfassen und zu verstehen vermögen. Gleichwohl prägen sie unser Leben bis in den Rhythmus unseres Alltags. Es geht also keineswegs um ein abgehobenes und abstrakttheoretisches Spekulieren. Vielmehr wollen wir behutsam hinhorchen, hineinspüren in jene Kräfte, die letztlich unser Leben lenken – und zwar sehr praktisch und konkret, wie wir schon bald feststellen werden.
Diese letzten Tiefen sind heute für viele in ihrem Menschenverständnis irrelevant. Erstens haben wir uns angewöhnt, nur das als wahr zu akzeptieren, was wir mit unseren klassischen fünf Sinnen wahrnehmen können. Zweitens kann man mit dem Wissen um diese Tiefen weder Geld verdienen noch lässt sich dieses direkt in Fun und Entertainment, hohe Werte in unserer gegenwärtigen Welt, umsetzen. Dafür bietet es uns Schlüssel an, die helfen, unser Leben in seinen tiefen Sinnzusammenhängen zu verstehen.
Der göttliche Kern in uns Menschen? Für viele ist heute einzig der Körper von Bedeutung. Diesen wollen wir gewiss auch ernst nehmen und wertschätzen, ihn aber von der Last der Alleinherrschaft über unser Leben, von der Last der alleinigen Sinnstiftung befreien und ihn in größere Zusammenhänge eingliedern.
Beim Bedenken des Zusammenwirkens der beiden großen Dimensionen unseres menschlichen Daseins – Körper und göttlicher Kern – werden wir unwillkürlich auf deren zwei Nahtstellen in unserem Leben verwiesen: Geborenwerden und Sterben. Ersteres bedenkt die Vereinigung von Körper und göttlichem Kern, Letzteres die Trennung der beiden.
Das Nachdenken über das Geborenwerden bietet in diesem Zusammenhang kaum Schwierigkeiten. Denn erstens haben wir alle es bereits hinter uns, da lauern keine Gefahren mehr, und zweitens ist es gut in die kulturelle Wahrnehmung unserer Existenz integriert, der Volksmund spricht ganz einfach vom »frohen Ereignis«.
Das Sterben dagegen bedeutet für viele heute ein immenses Problem. Kulturell ist es mit schweren negativen Vorurteilen belastet – Sterben gilt gemeinhin als das Schlimmste, das uns zustoßen kann -, sodass man gern und oft ganz einfach wegschaut. Dabei ist die Sicht auf den göttlichen Kern, auf das in uns, was nicht stirbt, gerade die verheißungsvolle Antwort auf die Ängste, die das Sterben in die Tabuzone drängen. Dieser Wahrheit unseres Lebens werden wir daher die ihr zukommende Aufmerksamkeit schenken müssen.
Nicht rationales Verstehen und Erklären also sollen das Ziel unseres gemeinsamen Weges durch die folgenden Kapitel sein. Unser Verstand ist überfordert beim Versuch, mit seinen Mitteln und Möglichkeiten solche Sinnzusammenhänge zu erfassen. Vielmehr geht es darum, diese tiefen Wahrheiten in unserem Herzen zu bewegen und sie zu meditieren.
Vielleicht kommt jetzt die Frage auf, wie ich dazu komme, ein solches Buch zu schreiben. Nun, seit Jahren beschäftige ich mich mit den Themen Sterben, Tod, Leben und Sterbebegleitung – da bin ich stets mittendrin in diesen Fragen und habe auch die Not vieler Menschen genau in diesem Bereich erkannt. Der unmittelbare Anlass aber ergab sich eines Abends im Herbst des Jahres 2003.
Es war bei der Premiere meines letzten Buches, des Geschichtenbandes Sie gingen ins Licht (Looser 2003). Bei der sich an die Lesung anschließenden Diskussion verwendete ich den Begriff »der göttliche Kern«, um den unsterblichen Teil in uns Menschen – andere sprechen von der Seele – zu bezeichnen. Winfried Nonhoff, Leiter des Kösel-Verlages, der anlässlich der Buchpremiere nach Zürich gereist war, nahm mich nach der Lesung kurz beiseite und raunte mir zu: »Jetzt weiß ich das Thema für dein nächstes Buch: Der göttliche Kern.«
So kam ein Prozess in Gang, dessen Ergebnis ich hiermit vorlege. Und mit Freuden danke ich Winfried Nonhoff auch an dieser Stelle sehr herzlich, nicht nur für diesen effektvollen Anstoß, sondern für die ganze ebenso inspirierende wie fruchtbare, aber auch freundschaftliche Zusammenarbeit seit nun schon vielen Jahren.
Für hilfreiche geistige und spirituelle Impulse möchte ich meinem ehemaligen Lehrer und heutigen Freund aus der Sufi-Tradition der Gnawas in Marokko, Jabrane Mohammed Sebnat, danken; ebenso dem tibetischen Lehrer Sogyal Rinpoche; der kompetenten Vermittlerin tibetischer Weisheit in den Westen, Christine Longaker; sowie der amerikanischen Zen-Meisterin Roshi Joan Halifax.
Zum Aufbau des Buches
Zunächst wird es darum gehen, uns dem Unfassbaren irgendwie anzunähern, in – auch diesmal unzulänglichen – Worten zu erahnen, worum es geht. Ausgangspunkt werden konkrete Erfahrungen sein, wie wir sie alle immer wieder machen, also gar nichts Besonderes oder Elitäres und jede und jeder wird sich angesprochen fühlen. Das Besondere wird hier vielleicht sein, dass wir uns bewusst mit diesen Erfahrungen auseinandersetzen und sie auf einer tieferen Ebene zu verstehen suchen: Erste Spuren zum göttlichen Kern scheinen auf.
Praktisch und konkret werden die Hinweise sein, wenn es in der Folge darum geht, eine lebendige Beziehung zu dieser tiefsten Schicht in uns aufzubauen. Stichworte dazu sind: spirituelle Praxis – Meditation, Betrachtung, Gebet. Ziel ist es, ein neues, tieferes Bewusstsein unseres Menschseins und unseres Lebens zu gewinnen.
Der überwiegende Teil unseres Nachdenkens wird anschließend den Folgen dieses neuen Bewusstseins für uns gelten, denn diese sind tief greifend und durchaus auch dramatisch. Unser Leben, unser In-der-Welt-Sein, unser Verstehen unserer selbst wird sich wesentlich verändern, genauso wie unser Sein mit unseren Mitmenschen. Nicht weniger tief wird unsere Einstellung zu unserem Sterben verändert und geprägt werden: Das Sterben wird aus seiner Verdrängung befreit und seine tiefe Bedeutung für unser Leben erkannt. Unser Bewusstsein von solchen Zusammenhängen wird unsere Lebendigkeit und unsere Lebensfreude beflügeln. Schließlich werden wir auch so erst erkennen können, was Sterbende von uns tatsächlich brauchen und wie wir sie auf diesem so bedeutungsvollen und überaus lebenserfüllten Wegstück hilfreich begleiten können, mit anderen Worten, was spirituelle Sterbebegleitung wirklich heißt und wie sie sich von einer »gewöhnlichen« abhebt.
Den Abschluss bilden einige Gedanken zur heute heftig diskutierten Lehre der Reinkarnation und ihrem Verhältnis zum biblisch-christlichen Glauben.
Einladung und Ermutigung
Liebe Leserin, lieber Leser, ich lade dich ein, mit mir auf den Weg zu kommen. Es wird ein Weg sein, der dich herausfordert, der dich aber auch reich beschenkt. Dies ist also keine Unterhaltungslektüre und dient nicht der Ablenkung. Es ist ein Buch, das an deine Bereitschaft appelliert, dich auf deinen spirituellen Weg zu machen – es ist ein Buch der Besinnung.
Wichtig ist mir der Hinweis, dass meine Gedanken bloß eine Spur legen wollen, bloß eine Möglichkeit des Verstehens sind. Das Wichtigste sind deine Gedanken. Meine Wahrheit möge Inspiration für dich sein, dich auf den Weg zu machen; den Weg gehen musst du selber, und zwar deinen. Du kannst dich an meiner Wahrheit orientieren, du kannst aber genauso gut einen eigenen Weg einschlagen. Für mich ist das Wichtigste, dass ich dir Hinweise gebe, auf dass du deine Wahrheit finden und erkennen kannst – lass mich also dein Begleiter beim ersten Schritt sein, dann gehe selber deinen Weg.
Sei bitte mit dir selber liebevoll und geduldig; resigniere nicht, wenn sich nicht sofort schon erste Anzeichen von Erleuchtung oder sonst einer dramatischen Veränderung einstellen. Mach dich ganz einfach auf den Weg. Ich selber bin seit Jahren auf diesem Weg und habe noch immer das Gefühl, ganz am Anfang zu stehen. Nicht irgendein Ergebnis ist das Ziel, sondern die Treue zum Weg. Wohlan denn – es sei gewagt!
EIN ERSTER ZUGANG
Ein zentraler Schlüssel zum Verständnis unseres Lebens ist das Sterben. Und das Wichtigste, was es über das Sterben zu sagen gibt, ist das: Sterben ist eine tief greifende, aufwühlende Erfahrung für uns Menschen, das größte und bedeutendste Ereignis unseres Weges in dieser Welt seit der Geburt. Um das Sterben in diein dieser Welt seit der Geburt. Um das Sterben in dieser Weise verstehen zu können, müssen wir allerdings Fehl- und Vorurteile unserer Kultur über den Menschen und sein Sterben, genauso aber auch über sein Leben, aufbrechen, müssen unsere eingeschränkte Perspektive auf die Wirklichkeit aus ihrer Verengung befreien. Lassen wir als Einstieg zwei kurze, sehr alte Geschichten auf uns wirken. Die eine steht im Neuen Testament, im siebten Kapitel des Lukas-Evangeliums. Ich erzähle sie frei nach:
Jesus war in großer Begleitung unterwegs und näherte sich einer kleinen Stadt namens Naïm. Just in dem Moment wurde ein Toter auf einer Bahre aus der Stadt getragen. Es war ein junger Mann, der einzige Sohn seiner Mutter, welche Witwe war. Für diese Mutter war mit dem Tod ihres Sohnes alles infrage gestellt, ihre Zukunft, ja ihr Überleben, denn eine alleinstehende Frau hatte in jener Kultur keine Rechte und ihre Altersversorgung war ohne die Stütze ihres Sohnes völlig ungewiss. Bei ihrem Anblick, so wird im Evangelium berichtet, »war Jesus von Mitgefühl gerührt«. Er trat an die Bahre heran und erweckte den Toten erneut zum Leben.
Um alle großen Religionsstifter ranken sich zahlreiche Geschichten und Erzählungen. So gibt es aus dem Umfeld von Buddha eine erstaunliche Parallele zu dem, was von Jesus berichtet wird. Ich habe sie im Kommentarheft zu den Osho Transformationskarten, eine Art Tarotspiel, das auf Bhagwan Shree Rajneesh zurückgeht, gefunden. Sie ist ein Kommentar zu einer der Karten aus diesem Spiel. Auch diese Geschichte gebe ich frei wieder:
Eine Frau kam zu Buddha, sie weinte und klagte, weil ihr einziges Kind gestorben war. Da sie Witwe war, würde sie niemals wieder ein Kind haben können; sowohl ihr weiteres Leben als auch ihr Alter waren völlig ungewiss. Buddha empfing die Frau, lächelte liebevoll und wies sie an, in die Stadt zu gehen und sich dort aus einem Haus, in dem noch nie jemand gestorben war, ein paar Senfkörner zu besorgen.
Die Frau ging in die Stadt, von Haus zu Haus, und erbat sich einige Senfkörner. Die Menschen, die dort wohnten und sie empfingen, sagten ihr, dass sie ihr gerne die Senfkörner geben würden, dass aber in ihrem Haus schon viele Menschen gestorben wären. Die Frau eilte weiter und hielt die Hoffnung aufrecht, dass sie irgendwann doch noch in ein Haus käme, in dem noch niemand gestorben war.
Aber in jedem Haus erhielt sie auf ihr Ansinnen dieselbe Antwort. Dann, es wurde schon langsam Abend, dämmerte ihr eine Einsicht: Der Tod ist ein Teil des Lebens; er ist kein persönliches Ungemach, kein Unglück oder Unrecht, das nun ausgerechnet ihr widerfahren ist; der Tod trifft alle.
So kam sie zurück zu Buddha. Dieser lächelte erneut und fragte sie, wo sie die Senfkörner hätte. Jetzt lächelte auch sie, fiel vor ihm nieder und sagte: »Weihe mich ein; ich möchte das kennenlernen, was niemals stirbt.« Sie begehrte ihr Kind nicht mehr zurück, da es ja ohnehin wieder sterben würde. So bat sie Buddha: »Lehre mich, damit ich das in mir selber kennenlerne, was niemals stirbt.« (Osho, 141-143)
Erstaunliche Erfahrungen
Viele Menschen erleben Vorkommnisse in der Art, wie es mir erging: Eine Freundin, von der ich seit Monaten nichts gehört hatte, kam mir unvermittelt in den Sinn. Spontan entschied ich, sie anzurufen, suchte ihre Nummer und wählte sie an. Es klingelte bloß ein halbes Mal und schon antwortete sie, sie hatte sich also in unmittelbarer Nähe des Telefons aufgehalten (kein Mobiltelefon!). Mein Staunen wurde noch größer, als sie erzählte, sie sitze beim Telefon und blättere gerade im Telefonbuch, um meine Nummer zu suchen, da sie sich nach so langer Zeit wieder einmal nach mir habe erkundigen wollen...
Eine andere Begebenheit: Ich war in den Ferien in der Südschweiz. Eines sonnigen Tages unternahm ich eine mehrstündige Wanderung, die mich auch durch ein Dorf führte, in welchem Freunde von mir ein Haus besitzen. Ich hätte eine bestimmte Abzweigung nehmen müssen, um zu ihnen zu gelangen, was ich aber an diesem Tag nicht beabsichtigte. Eine Begegnung mit ihnen würde viel Zeit in Anspruch nehmen und meine weitere Wanderung infrage stellen und wir waren ohnehin in ein paar Tagen miteinander verabredet.
Als ich die besagte Seitenstraße passierte, näherte sich mir von rechts ein Auto – darin die beiden, im Begriff, Einkäufe zu tätigen. Es war ein Zeitfenster von einer halben Minute, als ich jene Straße überquerte...
Auch entscheidende Weichenstellungen für das ganze Leben kommen oft auf so beachtenswerte, beinahe ist man versucht zu sagen geheimnisvolle Weise zustande. Die folgende Erfahrung liegt viele Jahre zurück. Ich war Student und hatte eben meine theologischen Lizentiatsexamen bestanden. Die Fortsetzung meiner Arbeit zum Doktorat würde sich verzögern, da mein Professor auf Druck aus dem Vatikan seinen Lehrstuhl hatte aufgeben müssen und seine Nachfolge völlig ungeklärt war. Eine ungewisse Zeit lag vor mir. Meine Situation wurde noch dadurch erschwert, dass ich mich in der kleinen Universitätsstadt nicht wohlgefühlt hatte und in die nahe Landeshauptstadt umgezogen war. Hier kannte ich noch kaum einen Menschen. Wie immer in solchen Fällen, trat ich einem Chor bei und diesmal auch einer Gymnastikgruppe, um Menschen kennenzulernen. Ich stand unter dem Druck, Arbeit zu finden, da ich mein damals bescheidenes Leben finanzieren musste. Die Arbeit sollte keine hohen Anforderungen stellen, da ich zeitliche und geistige Reserven brauchte, um meinen akademischen Weg trotz der aktuellen Probleme fortsetzen zu können. Ich stellte mir eine einfache Büroarbeit vor.
Unter meinen neuen Bekannten war neben vielen Studenten ein einziger Kaufmann, der ein eigenes Geschäft führte. Der kannte doch sicher, so sagte ich mir, irgendwelche Vermittlungsstellen für Bürojobs oder wusste, wo ich mich hinwenden könnte. So trug ich ihm mein Anliegen vor. Seine Antwort war eine Frage: »Kannst du auf der Maschine schreiben?« (Der Computer hatte seinen Siegeszug um die Welt noch nicht angetreten, den PC gab es noch gar nicht.) Ich hatte im Selbststudium das Zehn-Finger-System für die Schreibmaschine erlernt und bejahte die Frage. Darauf er: »Dann kannst du zu mir kommen. Vor ein paar Tagen hat mich meine Schreibkraft verlassen und ich suche wieder jemanden für einfache Schreibarbeiten.« Er wurde mein Arbeitgeber für zweieinhalb Jahre, bis sich an der Universität die Nachfolge für meinen Professor geregelt hatte.
Bis hierher ist die Geschichte schon erfreulich und erstaunlich genug, aber das Entscheidende, das, was meinem Leben buchstäblich eine Wendung gab, muss ich noch ergänzen. Das Geschäft, für welches ich jetzt arbeitete, war die erste und damals in der ganzen Schweiz einzige esoterische Buchhandlung. Als frischgebackener theologischer Hochschulabsolvent hatte ich zunächst für diese Literatur nur hochnäsige Verachtung übrig: Deren Verfasser waren in meinen Augen alle Spinner und Fantasten. Nach langen Wochen begann es mich zu interessieren, welche Art von Büchern ich in die ganze Schweiz versandte, und nahm eines mit nach Hause. Und dann ein zweites und ein drittes... und dann packte es mich: Es geht ja gar nicht in erster Linie um dogmatische Formulierungen oder logisch nachvollziehbare Begründungen ethischer Normen – es geht darum, dass ich mich einlasse...
Worauf sich einlassen? Das wurde nun die entscheidende Frage in meinem Leben, die ich auch heute noch längst nicht abschließend beantwortet habe. Inspiration und Anregung aber suche ich seither weit mehr bei spirituell und mystisch orientierten Menschen als bei intelligenten Fachtheologen und akademischen Gelehrten. Ich vollzog eine geistige Kehrtwende um 180 Grad, ohne die mein späteres Leben in seiner Art nie möglich geworden wäre.
Wer oder was aber, welche Kraft war es, die die Fäden so spann, dass jener Buchhändler und ich uns genau in dem Moment begegneten, als wir beide zunächst aus rein äußerlichen, pragmatischen Motiven heraus froh waren, einander begegnet zu sein. Markttechnisch gesprochen: Mein Angebot seiner Nachfrage so ideal entsprach – sich daraus aber etwas entwickelte, das ich gar nicht gesucht hatte, das jedoch für mich und mein Leben entscheidend und wegweisend wurde. Da öffnen sich Dimensionen, die unser Alltagsdenken, man kann dafür auch den psychologischen Begriff »Tagesbewusstsein« verwenden, weit übersteigen.
Wissen – Gewissheit – Glaube
Das bedeutet, dass wir in Bereiche vordringen, deren Fragen nicht mit dem Kausalitätsprinzip (von lateinisch »causa«, übersetzt »Ursache«) unseres heute dominierenden naturwissenschaftlichen Denkmusters beantwortet werden können. In diesen Denkstrukturen wird jedes Phänomen auf seine Ursache hin befragt und untersucht und wenn diese gefunden ist, ist das Phänomen erklärt und verstanden und damit nachvollziehbar – das heißt auch beherrschbar und in vielen Fällen manipulierbar. Ein konkretes Beispiel: Seit die Wissenschaften die Gene vieler Lebewesen entschlüsselt haben, ist die Genmanipulation möglich.
Vereinfachend kann gesagt werden, dass im Rahmen des naturwissenschaftlichen Denkens empirisches Forschen (das heißt ein Forschen, das sich einzig auf Experimente und Beobachtungen stützt) zu objektivem Wissen führt. Objektives Wissen heißt, dass die so gewonnenen Erkenntnisse überall und für jeden Menschen gültig sind. Denken wir nur an die Formeln in der Chemie oder die Gesetze der Mechanik: Das Hebelgesetz funktioniert auf der ganzen Welt in der gleichen Weise. Das ist das Konzept von Wirklichkeit im empirischen Denken: Das Erkennen objektiver Tatsachen. Diese in Zweifel zu ziehen kann nur aus Dummheit oder Unwissenheit geschehen.
Unsere Frage aber, wer oder was in unserem Leben die Fäden spinnt, dass banale ebenso wie dramatische Ereignisse sich so sinnvoll ergeben, diese Frage lässt sich nicht mithilfe naturwissenschaftlicher Experimente beantworten. Hier helfen weder Messungen noch Beobachtungen im Reagenzglas weiter. Hier werden Erkenntnisse gewonnen mithilfe von Spekulation und Intuition, gelegentlich auch Meditation. Angestrebt wird nicht objektives, überall gültiges Wissen, sondern Gewissheit. Um zu dieser zu gelangen, ist gelegentlich auch eine Entscheidung erforderlich. Denn jetzt kann es durchaus mehrere Möglichkeiten der Erklärung geben, die alle ihre Plausibilität haben, aber keine von ihnen zwingende Evidenz, sodass ich entscheiden muss, welche ich als meine Wahrheit anerkenne. Daher kann hier auch von Glauben gesprochen werden. Es kommen also subjektive Aspekte zum Tragen.
Unter Glauben wollen wir allerdings nicht ein einfaches Für-wahr-Halten von Formeln, auf die wir selbst niemals gekommen wären, verstehen: Glaube an Dogmen oder ethische Regeln als absolute, nicht hinterfragbare Wahrheiten. Ein solcher zunächst kindlicher Glaube kippt, wenn Erwachsene an ihm unkritisch festhalten, irgendwann ins Kindische.
Vielmehr wollen wir nach der Grundbedeutung des Wortes »Glauben« suchen und befragen dazu eine der Urwurzeln unserer abendländischen Kultur, die hebräische Sprache. Jüdische und christliche, aber auch muslimische Gläubige pflegen ihre Gebete mit dem Ausdruck »Amen« zu beschließen. Im Religionsunterricht lernten wir, das bedeute »so sei es«. Französisch Sprechende beenden ihre Gebete entsprechend mit der Formel »ainsi soit-il«, oder italienisch mit »così sia«.
Ich pflege zu sagen, dass dies eine ziemlich dünne Zuckerwasserübersetzung ist. Das Wort »Amen« leitet sich her vom hebräischen Verb »’amán«, das mit »glauben« übersetzt wird, ursprünglich aber bedeutet: »Halt gefunden haben«; »Boden unter den Füßen haben«; »in festem Grund Wurzeln geschlagen haben«. »Amen« nach einem Gebet meint also sehr viel mehr als ein mehr oder weniger verbindliches »so sei es«. Tatsächlich heißt es: Was ich jetzt im Gebet ausgesprochen habe, ist die Grundlage meines Lebens. Das sind die Wurzeln, aus denen mein Leben sich nährt – mithin sehr viel Verbindlichkeit! Das ist Glauben. Das bedeutet auch, meinem Leben eine geistige Dimension erschlossen zu haben.
Exoterik – Esoterik und Spiritualität
Weitere Ausdrücke, die der näheren Klärung bedürfen, sind das Begriffspaar »exoterisch« und »esoterisch«. Vor allem das Wort »esoterisch« wirft Fragen und Zweifel auf. Vor wenigen Jahrzehnten noch Ausdruck eines elitären Bewusstseins für spirituell Suchende ist es heute zu einem Modewort degeneriert, das allerhand Fragwürdiges (des Fragens Würdiges!) und Dubioses umschreibt: vom Verbrennen von Räucherstäbchen über allerlei Formen der Wahrsagerei bis hin zum Tischerücken. So meinen wir es natürlich nicht.
Wir sind noch immer bei der Frage nach den Kräften, die unsere Lebensfäden spinnen. Diese Frage kann exoterisch und esoterisch beantwortet werden. Im Begriff »exoterisch« steckt das griechische Wort »exo«, was so viel wie »draußen, außerhalb« bedeutet. Unsere Frage kann also mit dem Verweis auf das Außen beantwortet werden, was eine große Vielfalt an möglichen Erklärungen und Deutungen eröffnet. Eine exoterische Antwort könnte lauten: Schicksal oder Zufall. Dabei werden unergründliche, unerforschliche Kräfte vermutet, die nach unverständlichen Gesetzen oder überhaupt ohne irgendwelche Gesetzmäßigkeiten – man spricht auch von Chaos – die Geschicke unseres Lebens bestimmen.
Eine völlig entgegengesetzte, aber gleichwohl exoterische Antwort lautet: Gott, der Wille Gottes. Auch dieser Wille Gottes wird oft als unerforschlich bezeichnet. Hier wird das menschliche Leben verstanden als geführt und bestimmt vom Willen Gottes, des Gottes, der sich in der Bibel oder in anderen heiligen Schriften dem Menschen offenbart hat, ein Wille, der oft für uns nicht nachvollziehbar ist und daher ein großes Vertrauen in die Güte dieses Gottes erfordert. »Exoterisch« verweist also auf eine Kraft, auf eine Instanz au ßerhalb des Menschen.
Der Begriff »esoterisch« enthält das griechische Wort »eso«, was »innerhalb, drin« heißt. Da werden Kräfte innerhalb des Menschen vermutet, die unser Leben und seine Geschicke zum Mindesten mitbestimmen, höhere Kräfte, von denen wir oft kein Bewusstsein haben, die mithin im unbewussten Bereich des Menschen liegen.
Damit sind wir wieder bei der Frau, die nach dem Tod ihres Kindes Buddha aufgesucht hatte und nach ihrer großen Einsicht den Meister bat: »Lehre mich, damit ich das in mir selber kennenlerne, was niemals stirbt.«
Für dieses »was niemals stirbt«, für diesen Kern in jedem Menschen wurde später im Buddhismus der Begriff »innerer Buddha« geprägt. In jedem Menschen lebt ein Buddha, lebt dieser unsterbliche Kern, sagt die buddhistische Lehre (natürlich ist dies sehr vereinfachend formuliert).
Dieser Gedanke begegnet uns analog auch in der Bibel. Im Zweiten Testament schreibt Paulus an die Christen in Korinth (1 Kor 3,16 – ein Verzeichnis der Abkürzungen der zitierten biblischen Bücher findet sich im Anhang): »Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?« Im Ersten Testament wird ganz zu Beginn (Gen 2) berichtet, wie der Mensch entstand: Gott formte aus Erde eine menschliche Gestalt, die leblos war. Da hauchte Gott dieser Gestalt seinen Odem ein, den göttlichen Atem – nunmehr lebte der Mensch. Wir dürfen dies als Bild verstehen, welches erklärt, dass die Kraft, die bewirkt, dass die Materie, die wir sind, lebendig ist, eine göttliche Kraft ist. In jedem Menschen lebt somit ein göttlicher Kern – was letztlich dasselbe meint wie die Frau bei Buddha: »… ich möchte das in mir kennenlernen, was niemals stirbt.«
Die Zusammenhänge so verstehen heißt, den esoterischen Weg beschreiten. Aus dieser Perspektive heraus werden solche bemerkenswerten Ereignisse nicht als Zufall gedeutet, sondern im Rahmen tiefer Zusammenhänge zu verstehen versucht. Es eröffnet sich hier eine neue Dimension: der Sinn. Letztlich geht es um die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt: dem Lebenssinn.
Mit in diesen Zusammenhang gehört der Begriff »spirituell«. Seit das Wort »esoterisch« durch seine zunehmend inflationäre Verwendung teilweise in Verruf geraten ist, wird es immer häufiger durch »spirituell« ersetzt. Hier ist das lateinische »spiritus« enthalten, was »Geist« bedeutet. Spirituell bezeichnet also ein Bewusstsein, das im Menschen nicht nur den Leib, die Materie, sondern ebenso seinen Geist erkennt. Leider gerät durch zum Teil übermäßige und unsachliche Verwendung auch dieses Wort in Misskredit und weckt mancherorts Misstrauen. Was bleibt denn noch? Sollen wir wieder auf den aus der Mode gekommenen Begriff »fromm« zurückgreifen? Einige tun das. Ich selber möchte die Ausdrücke »esoterisch« und »spirituell« beibehalten, sie aber strikt in ihrem ursprünglichen Sinn, der eine tiefe Wahrheit ausdrückt, verstanden wissen.
Gewissheit, Subjektivität und Toleranz
Bei unserer Suche nach Antworten auf bemerkenswerte Ereignisse in unserem Leben haben wir, indem wir auf die Dimension des Lebenssinns aufmerksam wurden, offensichtlich den Boden verlassen, auf dem die Regeln der empirischen Forschung definieren, was wirklich und wahr beziehungsweise was falsch ist – es war schon kurz davon die Rede. Begriffe wie »Wirklichkeit« und »Wahrheit« bekommen einen wesentlichen subjektiven Aspekt: Meine Wahrheit ist das, was ich als solche anerkenne, da es mir plausibel erscheint.
So sei denn an dieser Stelle erneut nachdrücklich an das Toleranzprinzip erinnert. An anderer Stelle (Looser 2001, S. 10f.) entwarf ich dafür folgendes Bild: Die Wahrheit ist ein bunter Blumenstrauß. Oft sitzen wir in meinen Seminaren in einem Halbkreis und in der Mitte steht solch ein bunter Blumenstrauß. Von meinem Platz aus fällt der Blick als Erstes auf eine rote Rose – als Beispiel. Das kann mich zur Behauptung verleiten, die Wahrheit sei rot. Mir gegenüber im Kreis sitzt eine Dame, deren Blick als Erstes auf eine gelbe Tulpe fällt. Für sie ist die Wahrheit gelb. Unaufgeklärte Menschen werden sich nun lange darüber streiten, ob die Wahrheit rot oder gelb sei und sich gegenseitig des Irrtums oder ganz einfach der Dummheit bezichtigen. Aufgeklärte dagegen horchen auf: Ich bitte die Frau mir gegenüber, mir vom Gelb zu erzählen, da ich es aus meiner Perspektive gar nicht wahrnehmen kann. So wird im Gespräch, das das Blickfeld der Frau gegenüber genauso ernst nimmt wie mein eigenes, meine Erkenntnis der Wahrheit umfassender.
Dieses Bild will zeigen, dass bei unterschiedlichen Meinungen weder Rechthaberei noch Abwertung des Gegenübers weiterführen, sondern Respekt vor der anderen Meinung und die Offenheit, aus ihr zu lernen. Etwas pointiert gesagt: Die einzige Meinung, die wirklich und objektiv falsch ist, ist die: Meine Meinung ist allein die richtige.
Allerdings: Ein einziges Kriterium für Wahrheit gilt tatsächlich objektiv und absolut: Wahrheit ist so lange Wahrheit, wie sie der Liebe dient. Der wunderbare Begriff »Liebe« ist heute so abgedroschen – es gibt aber keinen besseren -, dass näher umschrieben werden muss, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. In unserem Zusammenhang sind keine Gefühle gemeint, sondern eine innere Haltung: Die Haltung des Ja, des bedingungslosen Ja zu meinen Mitmenschen und zu meiner Mitschöpfung – ein hoher Anspruch!
Ich grenze mich damit ab gegen Konzepte von »Liebe«, die auf abstrakte Inhalte abzielen: die Wahrheit, das Vaterland oder ein Ideal (zurzeit besonders aktuell, da kriegstreibend: Demokratie). Denn ein Blick in die Welt zeigt sehr rasch und immer wieder, dass solche »Liebe« in großer Gefahr steht, in Fanatismus umzuschlagen. In ihrem Namen werden Feinde in nah und fern definiert, die dann um dieser abstrakten Liebe willen beseitigt werden (müssen). Bis in höchste Kreise von politischer ebenso wie religiöser Führung weltweit wirkt diese »Liebe« in verheerender und zerstörerischer Weise.
In unserem Zusammenhang bedeutet »Liebe« das Ja im Herzen zu anderen Menschen, welches diese fördert und unterstützt, weil jeder Mensch diesen göttlichen Kern in sich trägt – »das, was niemals stirbt«. Dieses Verständnis von Liebe lehnt sich an die Aussage von Jesus in der großen Gerichtsrede an (Mt 25,40): »Was immer ihr einem dieser meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.« Es schließt sich ebenso an die buddhistische Weisung an, die besagt: Wann immer du einem Bettler ein Almosen gegeben hast, bedanke dich bei diesem Bettler (der weltliche Verstand würde das Gegenteil erwarten: Der Bettler hat sich beim Spender zu bedanken!). Bedanke dich bei diesem Bettler, denn er gab dir die Gelegenheit, Buddha einen Liebesdienst zu erweisen.
Der göttliche Kern: erste Begriffsklärungen
Das Verlassen des Bereichs empirischer Forschung erfordert also Toleranz und Respekt vor anderen Meinungen, allein schon was die Wortwahl betrifft. Was ist denn »das, was niemals stirbt«?
In religiöser Sprache wird dafür der Begriff »Seele« verwendet (»die unsterbliche Seele«), im philosophischen Rahmen ist vielleicht eher von »Geist« die Rede, ein Wort, das aber im religiösen Gespräch auch von hoher Bedeutung ist. Die Diskussion ist endlos: Für die einen ist die Seele dem Geist übergeordnet, für andere ist es genau umgekehrt. Was unter »Seele« beziehungsweise unter »Geist« zu verstehen sei, definiert jede und jeder wieder anders. Um das Ganze noch komplizierter zu machen, wird auch der aus östlichen Lehren stammende Begriff »Bewusstsein« eingeführt und in unserem Zusammenhang als Äquivalent zu »Seele« oder »Geist« verwendet. Dieses Verständnis von Bewusstsein meint aber etwas ganz anderes, als wir üblicherweise bei uns darunter verstehen. In unserer westlichen Kultur heißt »Bewusstsein« das Gegenteil von Schlaf oder Koma, mit anderen Worten: Nach unserem Verständnis kann man das Bewusstsein verlieren, man kann bewusstlos werden. Dies ist im östlich geprägten Sinne unmöglich – dort kann höchstens das Bewusstsein den Körper verlieren...
Wir müssen also mit Unschärfen und Meinungsverschiedenheiten leben. In ernsthaften Diskussionen lohnt es sich in jedem Fall, vorweg diese mögliche Verständigungsbarriere anzusprechen. In meinen Referaten verwende ich jeweils mindestens zwei Ausdrücke zusammen: »Geist oder Seele«, »Seele oder Bewusstsein«, um anzudeuten, dass ich diese so schwer fassbare Instanz im Menschen meine, für die ich durchaus verschiedene Begriffe zu akzeptieren bereit bin.
Eine andere Möglichkeit ist der Verzicht auf feste Begriffe und stattdessen eine Umschreibung zu verwenden, wie es etwa die deutsche Philosophin Weyma Lübbe im Schweizer Fernsehen tat, als sie von »tieferen Schichten der Persönlichkeit, an die man selber gar nicht herankommt« sprach (Sternstunde, 1. Januar 2006). Damit spricht die Philosophin jenen Bereich der menschlichen Person an, der primär der Psychologie zugeordnet ist: das Unbewusste.
Über die zahlreichen Probleme und Fragen dieses Unbewussten sind schon Bibliotheken voll geschrieben worden, sodass wir uns an dieser Stelle kurz fassen können. Die Psychologie weiß seit Langem, dass wir Menschen uns bei Weitem nicht über alles bewusst sind, was in uns lebt, dass also das Unbewusste in unserer Person einen breiten Raum einnimmt. Wie breit dieser Raum ist, ist unter Fachleuten umstritten; es dürfte schwierig sein, objektiv festzustellen, in welchem Verhältnis Bewusstes und Unbewusstes zueinander stehen. Es gibt Leute, die behaupten, sie stünden in einem Verhältnis von 50: 50. Andere ziehen gern das Gleichnis heran, wonach ein Sandkorn bewusst und der Meeresstrand unbewusst ist. Rein pragmatisch, weil es eindrücklich, aber gleichwohl vorstellbar ist, greife ich in meinen Seminaren das Verhältnis von 15%: 85% auf, das ich irgendwo gelesen habe. Ich habe mir die Quelle nicht gemerkt, weil sie im Grunde genommen unerheblich ist. Für unsere weiteren Überlegungen gilt also: 15% unserer Person sind uns bewusst, 85% unbewusst.
In diesem Unbewussten siedelte Sigmund Freud (1856-1939), der Begründer der modernen Psychoanalyse, alle unsere Verdrängungen an, also jene Anteile unserer Person, die sehr wohl in uns leben, die wir aber nicht wahrhaben wollen – wir sprechen gelegentlich vom »inneren Schweinehund«, den wir in irgendeiner Form alle in uns tragen. Eine wesentliche Erweiterung im Verständnis dieses Unbewussten brachte C. G. Jung (1875-1961) ein. Er sprach vom »kollektiven Unbewussten«, also von Anteilen unserer Persönlichkeit, die uns allen gemeinsam sind, und bezeichnete damit unter anderem Spuren der menschlichen Kulturentwicklung, die sich in jedem von uns niedergeschlagen haben. Anders gesagt geht es um viel Wissen, das in unserem Unbewussten schlummert und sich zum Beispiel in unseren Begabungen äußert.
Weiter gehört das sogenannte »Vergessen« zum Inhalt unseres Unbewussten. Nur so können wir uns auch wieder erinnern, weil eben das Vergessene in uns erhalten bleibt. Wer an Reinkarnation glaubt, siedelt die Erinnerungen an unsere Erfahrungen und Erkenntnisse in früheren Leben im Unbewussten an. Schließlich lehren uns die Mystiker, dass in tiefen Schichten von uns Menschen das Wissen um unsere göttliche Natur schlummert. Das Unbewusste erweist sich wahrlich als ein bedeutender und umfangreicher Teil unserer Person.
Der göttliche Kern: Lebensaufgabe und Lebenssinn
Mit dem Verweis auf die Mystiker nähern wir uns dem Ziel dieses kurzen Abstechers in die Psychologie: dem göttlichen Kern in jedem Menschen, der Seele, dem Bewusstsein. Buddhisten sprechen, wir sahen es, vom Buddha, der in jedem Menschen lebt, oder um es mit den Worten der Frau bei Buddha zu sagen: »… ich möchte das in mir kennenlernen, was niemals stirbt.« Christen sprechen analog davon, es gelte, in jedem Menschen Christus zu erkennen. Der Streit um einen solchen Anteil im Menschen – zutreffender müsste gesagt werden: um diese Dimension des Menschseins – ist uralt. Er hat in unserer westlichen Kultur mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften und ihrer Reduktion des Verständnisses von Wirklichkeit auf das empirisch Beobachtbare und Nachvollziehbare eine ganz neue Dimension erhalten.
Die bei uns geläufige und äußerst kontrovers beantwortete Frage lautet: Hat der Mensch eine unsterbliche Seele? Also: Gibt es »das in mir, was niemals stirbt«, überhaupt? Für ein spirituelles Menschenverständnis ist die Frage so allerdings verkehrt herum gestellt, weil sie voraussetzt, dass der Körper – der empirisch erfassbare Teil des Menschen – das Wesentliche sei und so etwas wie eine Seele allenfalls dazukäme oder eben auch nicht.
Aus spiritueller Sicht gilt: Wir Menschen sind Seele und haben zurzeit für ein paar Jahre oder Jahrzehnte einen Körper. Es geht in diesem Streit also durchaus um Wesentliches! Wenden wir uns nunmehr dieser letzten Dimension unseres Menschseins zu im Wissen, dass wir die Fragen, die sich hier stellen, rational nie wirklich werden beantworten können, weil wir nach letztlich Unsagbarem fragen. Die Hoffnung ist, dass wir in unserem Tod einst schauen und verstehen werden.
Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen versucht wird, diesen göttlichen Kern, die Seele, zu erfassen, zum Beispiel die energetische. Hier gilt, dass diese Kraft den ganzen Körper durchdringt, also die gleiche Ausdehnung und Form hat wie der Körper – man spricht vom Energie- und Lichtkörper oder der Aura. Darauf werden wir zurückkommen.