Volker Friebel

 

Die Lieder der Gräser

Gedichte

 

Edition Blaue Felder, Tübingen 

 

 

Edition Blaue Felder, Volker Friebel,

Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen

www.Blaue-Felder.de   

 

Texte, Fotos und Gestaltung: Volker Friebel

Lektorat: Elisabeth Menrad

Erstveröffentlichung: Dezember 2018

Alle Rechte vorbehalten

ISBN PapierBuch: 978-3-96039-019-0

 

 

Inhalt

Vorwort 

Die Lieder der Gräser 

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Zum Autor 

 

 

Vorwort

 

Das sind die Lieder der Gräser – und die Lieder eines Menschen, der sich zwischen sie gesetzt hat. Das sind immer neue Versuche um dasselbe, die sich manchmal ergänzen, die sich manchmal zu widersprechen scheinen. 

Weshalb die Beschäftigung mit den Gräsern, mit ihren Liedern? Was meine ich, das ich, das wir Menschen, von ihnen lernen können? Sicher nicht, Gräser zu sein. Das liefe nur auf eine Illusion hinaus, eine weitere der vielen Illusionen unseres Lebens. 

Wir können von den Gräsern lernen, Menschen zu sein. Das werden wir zuerst unter Menschen, in der Auseinandersetzung mit Menschen als Gegenüber – aber dann eben auch, indem wir uns gegen etwas halten, das nicht Mensch ist. Soweit wir das andere denn überhaupt sehen, uns vorstellen, verstehen können. 

Beim Kreisen um die Erde oder bei einem Blick vom Mond erkenne ich die Gestalt der Erde. Ich habe sie schon vorher gewusst. Aber dieser Blick von den Rändern her, aus dem anderen heraus, mit einem Abstand, den das andere gibt, zeigt sie mir konkreter, unmittelbar. 

Gräser nehmen Wasser auf. Schon zu sagen, dass sie trinken, dass sie auf Regen warten, ist falsch. Wir haben keine Worte zu erfassen und zu beschreiben, wie das Verhältnis der Gräser zum Wasser und der Erwartung des Regens ist. Wir haben unsere Worte, um uns diesem Verhältnis ein wenig anzunähern und vom Versuch dieser Annäherung zu lernen. 

Was immer wir ablehnen, lehnen wir in Hinsicht auf uns selbst ab. Was immer wir annehmen, nehmen wir in Hinsicht auf uns selbst an. Immer sind wir selbst, ist unsere Art, unser Nutzen, Maß und Entscheidungsgrund. Die Art der Gräser muss, wie schon ein Blick auf sie zeigt, eine andere sein – die allerdings evolutionsgeschichtlich nicht minder erfolgreich ist. 

Eine solche Einstellung setzt mich zwischen die Dinge, mitten unter die Dinge. Und es setzt mich mehr in ein Beobachten, als in ein Handeln. Ich begebe mich damit mitten in die Wiese und lache dabei. Es macht mich kleiner und die Welt größer. Vielleicht ist das eine Antwort auf die Lieder der Gräser: Staunen und Respekt vor der nichtmenschlichen Welt um mich herum. 

Streng genommen kann ich nicht einmal die Position anderer Menschen einnehmen, ich mache mir nur Vorstellungen über sie und täusche mich selbst, wenn ich meine, nach einem solchen Versuch andere Menschen tatsächlich zu kennen. 

Ganz streng genommen kann ich nicht einmal mich selbst verstehen. 

Allerdings erweitere ich mit meinen Vorstellungen meinen Raum, verändere meinen Horizont. 

Ich erweitere meine Welt, indem ich mich in andere Menschen hineinversetze, in ein Gegenüber, in die fiktiven Menschen eines Romans, und die Welt damit wie mit anderen Augen sehe. Es kommt nicht darauf an, dass diese anderen Augen tatsächlich existieren. Es kommt darauf an, dass es andere Augen als meine gewohnten sind. 

Ich erweitere meinen Horizont, indem ich die Lieder der Gräser singe oder mich hinknie und zu verstehen versuche, wie diese Weinbergschnecke in der Welt ist. Ich erweitere meinen Horizont, indem ich den Horizont betrachte und mich hinein in die Lieder der Bäume und der Wolken begebe. 

Das ist mindestens etwas wunderlich, wenn nicht gar verrückt, sobald ich vergesse, was ich tue, sobald ich glaube, wirklich ein Grashalm zu sein oder die Schnecke tatsächlich zu verstehen meine. 

Es ist eine Erweiterung des eigenen Lebens und Horizonts, wenn ich mir bewusst bin, was ich tue. Wenn ich die Wolken betrachte, als Wolken zu betrachten versuche, als eigene, für sich gültige Existenz, und nicht nur als Störung zwischen mir und der Sonne oder als etwas, das hoffentlich oder leider bald Regen bringt, kann ich meine eigene Existenz ein wenig erweitern. 

Dann spreche ich mit der Weinbergschnecke. 

Dann singe ich mit den Vögeln und dem Wind. 

Dann singe ich die Lieder der Gräser. 

Diese Versuche bleiben immer in der Perspektive des Menschen, unter meiner Perspektive, auch wenn sie von Gräsern gesungen werden. Doch mein Blick ist weiter geworden als zuvor. 

 

Läge es nicht näher, sich dem zuzuwenden, was sich in der Welt des Menschen ereignet? Wäre es nicht besser, hier Position zu beziehen, teilzunehmen an den Auseinandersetzungen der Menschen? Wenn wir denn eben darin zuallererst Mensch geworden sind, mit anderen Menschen als Gegenüber? Ist es in unserer Zeit, in jeder Zeit, nicht Eskapismus, sich zwischen Grashalme zu setzen und zu behaupten, mit ihnen singen zu können? 

Diese Auseinandersetzungen vergiften aktuell allerdings, so wie sie geführt werden, den Boden, auf dem sie sich ereignen, sie scheinen mir nicht Teil von Menschwerdung, sondern von Abspaltung und Entmenschlichung, mit Fantasiegestalten als Gegenüber und der Weigerung, andere Menschen als Menschen zu sehen.