Gewidmet ist dieses Buch
der Gleen
und dem Meer,
der Himmelbornseiche
und dem Dannenröder Forst.
On ouch all,
die err die Weald redde welld.

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© 2021 Monika Felsing

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Gestaltung: Wolfgang Rulfs

www.wolfgang-rulfs.de

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783753468587

WOAS DREAN EAS

DRAIDÄLICH VIERWOADD

Wu woarn merr schdieh gepleawwe?

Wo waren wir stehengeblieben? Bei den Grundrechten, bei Europa, beim Gewissen, der Menschenwürde und dem Traum von einem glücklichen, erfüllten Leben. Stehengeblieben trifft es nicht ganz. Ausgebremst wäre das richtige Wort. Nicht von jetzt auf gleich, sondern ganz allmählich. Von Woche zu Woche ist die Welt mehr in einen Ausnahmezustand geraten, widerstrebend, ungläubig, zögernd, und wir mit ihr. Als unser Bremer Geschichtsverein Lastoria im März 2020 den oberhessischen Liederband Mir" (Wir) in Druck gab, ist keiner von uns davon ausgegangen, dass sich nicht nur unsere Buchpremiere und unsere Geschichtswerkstatt „Deutschland auf der Flucht“ auf unbestimmte Zeit verschieben würden.

Inzwischen sind alle geübt im Händewaschen, Mundnasemaskieren und Abstandhalten. Anderthalb Meter links, anderthalb Meter rechts und anderthalb Meter nach vorne und hinten, gut neun Quadratmeter Raum für jeden und jede von uns, so viel wie eine Zelle. „Better six feet apart than six feet under", schreibt meine Freundin Ruth, eine gebürtige Hessin, in einer Mail aus den USA. Besser anderthalb Meter Abstand als anderthalb Meter unter der Erde. Das Internet ist voll von der Musik dazu: Bill Wood, Don Clune, Ric L. Wilson, Alec Benjamin, Jessica Arnaga, Tom Adams, Darryl Roth, Luke Combs und einige andere haben Lieder mit dem Titel gemacht. Und in einem Wohnzimmer in Kent haben Ben und Danielle Marsh, ihre beiden Töchter und ihre beiden Söhne ihre Benefizmusikvideos für den Covid Solidarity Response Fund der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgenommen. Musik hilft – auch im übertragenen Sinn.

Es ist eben nicht nur Stillstand und Leerlauf. Es ist auch eine Zeit der Solidarität, des Ausprobierens, Nachholens und Improvisierens. Eine Zeit, in der man gute Vorsätze genausogut gleich in die Tat umsetzen kann, weil die Ablenkung fehlt und im Fernsehen nur noch Wiederholungen kommen. Deutschland mistet Schränke aus, obwohl gar kein Impfpass gesucht wird. Deutschland steht vorm Baumarkt Schlange. Ein Wagen pro Kunde! Und einer pro Kundin. Deutschland jätet Kleingartenrabatten. Deutschland liest dicke Bücher, kocht nach Rezept und lernt, ein Musikinstrument zu spielen. Vielleicht nicht ganz Deutschland und nicht die ganze Zeit. Aber selbst mein oberhessischer Wortschatz ist im März 2020 um ein Fremdwort reicher geworden: Loggdaun. Klingt nach ,,logg doa" (lag da), meint aber doch etwas anderes. „Ech well èmo enn Loggdaun mache", hätte mein Großvater verkünden können, wenn er sich abends den Schlüsselbund griff und losging, um die Scheune, den Stall, die Garage, die Malerwerkstatt, das Lager, den Holzschuppen, den Hühnerstall und zu guter Letzt die Keller-, die Haus- und die Hintertür abzuschließen. Mit seinem Lockdown erklärte er den Tag offiziell für beendet. Wer jetzt noch kam, sollte gefälligst klingeln.

„08/18" (null oachd oachdze) wird kein Band aus der Reihe „Was wir aus Corona lernen können" und ist vollständig frei von Verschwörungstheorien und anderen Rückständen. Wir lernen nichts in der Corona-Krise, was wir nicht schon längst gewusst haben. Ein paar Einsichten vertiefen sich. Argumente werden gestärkt, jetzt kommt es aufs Handeln an.

In diesem Buch geht es um die 17 Ziele der Vereinten Nationen (United Nations/UN). Mit Zusatzziel. Ein kleiner hessischer Beitrag zur Rettung der Welt. Nachhaltig und mundartlich, mit neuen und wieder verwendeten Liedern im Ober-Gleener Dialekt, dem Owengliejer Pladd. Auch wenn es viele verdrängt haben, ist wohl den meisten Fleischessern, Vegetarierinnen oder Veganern klar: Es gidd im die Woaschd. Es geht um die Wurst. Im Dialekt kann sich niemand hinter Schlagworten verstecken oder groß drum herumreden. Die unverwechselbare, überlieferte Mundart einer Region oder eines einzelnen Dorfes ist Weltkulturerbe. Sie prägt die Identität stärker, als es eine Hochsprache oder Computer-Denglish vermag, und ist näher am Leben der Menschen als die Amts- und Juristensprache und all der andere Spezialjargon. Wer in Oberhessen nicht als Affegoad(Advokat) beschimpft werden will, muss auf den Punkt kommen. Oder krempelt am besten gleich die Ärmel hoch. Wohl wissend:

Die besd Obsichd daucht naut,
wann merr naut dévier dudd.
Die beste Absicht taugt nichts,
wenn man nichts dafür tut.

Noch immer hat „Mir" keine Buchpremiere gefeiert. Die Porträts von Faldon, mit denen Wolfgang Rulfs den dritten Liederband („Mir") und auch dieses Buch illustriert hat, waren noch nicht wieder in einer Galerie zu sehen. Aber die Netzwerke unseres Geschichtsvereins halten. Ruth Neeb aus Mücke gehört dazu, die Tochter des früheren Ober-Gleener und Kirtorfer Pfarrers und Heimatforschers Otto Christ, die seit ein paar Jahren im Landkreis Oberhavel wohnt, einem der Partnerkreise des Vogelsbergkreises, umgeben von den Gemälden des Groß-Eichener Märchen-, Porträt- und Landschaftsmalers Ernst Eimer (1881-1960). Der Einradartist Simon Steinbach („Drei Steenbacks“) aus Hamburg zählt zu unserem Zirkel, der Klezmermusiker, Fotograf und Filmemacher Yale Strom aus San Diego und seine Frau, die Sängerin Elizabeth Schwartz, die Ahnenforscherin und Buchautorin Carolyn Schott aus Seattle, die Lauterbacher Zeitzeugin Elfriede Roth, Ruth Stern Gasten aus Nieder-Ohmen (Hessen) und R. Gabriele S. Silten aus Berlin, die beide als Kinder den Holocaust überlebt haben und heute nicht weit entfernt von Robin Smolen und Linda Silverman-Shefler, zwei Amerikanerinnen mit Ober-Gleener Wurzeln, in Kalifornien leben.

Kaum ein Land ist bisher so furchtbar von Corona getroffen worden wie die USA. Alte und Ältere hatten im Frühjahr 2020 Hausarrest. Und der Präsident? Stellt unentwegt neue Rekorde im Lügen auf, heizt Konflikte weiter auf und hat im Mai 2020 die Zusammenarbeit der USA mit der Weltgesundheitsorganisation WHO für beendet erklärt. Politiker wie er gehen über Leichen, um von ihren Fans wiedergewählt zu werden. Die Demokratie, der innere und der äußere Frieden nehmen Schaden, das Weltklima und der Anstand. Der Musikkabarettist Roy Zimmerman hat es geschafft, die Verzweiflung und den Zorn darüber in eine Mischung aus Galgen- und Überlebenshumor zu verwandeln. Gemeinsam mit seiner Frau Melanie, den „ReZisters“ aus San Diego, der Opernsängerin Sandy Riccardi und den Raging Grannies (wütenden Omis) aus Mendocino hat er die Parodie „The liar tweets tonight'“ (der Lügner twittert heute Nacht) produziert. Ein musikalisches Carepaket, das um die Welt geht. Den Link habe ich nach Hessen geschickt, nach Vercelli in Italien und in die USA, und in den Blog gestellt, versehen mit einem weiteren Vers: „In your audience, your grateful audience, there are smiles all about. In your audience, your joyful audience, the laughter is so loud: And we all hope and we all hope and we all hope and we all hope and we all hope and we all hope you vote him out! Eure Hörer, dankbare Hörer, die lächeln heute sehr. Eure Hörer, fröhliche Hörer, es werden mehr und mehr! Wir hoffen all, wir hoffen all, wir hoffen all, wir hoffen all, wir hoffen all, wir hoffen all, keiner wählt’n mehr! Die ouch hirrn, joa, die ouch hirrn, die greannse haut, on wie! Die ouch hirrn, die ouch hirrn, die lache laut, sou schie! Mir hoffe all, mir hoffe all, mir hoffe all, mir hoffe all, mir hoffe all, käis wähldenn mieh!" Roy Zimmerman und die Gruppe haben sich dafür bedankt: „We love the positive message.“ Es dudd ins gefann, wail’s enn gurre Gedaangge eas. Und: „Please stay healthy.“ Pläib gesond. Bleib gesund. Zay gezint. „Alles gut“ hat Pause.

Hin und wieder schreibe ich auch neue Lieder im Dialekt meines Heimatdorfes Ober-Gleen im Vogelsbergkreis. Eines davon ist mit Untertiteln am 13. Mai 2020 im Live-Stream auf der Facebookseite des Kultur- und Freizeitzentrums (KFZ) Marburg gelaufen. Es ist dem KFZ und allen anderen Kulturschaffenden, Konzertveranstaltern, Kino- und Theaterbetreibern gewidmet, die während einer Pandemie von jetzt auf gleich ohne Einkünfte dastehen. Und dem Publikum, das sie vermisst.

Leass Owend weann

(Eigene Melodie)

Wääsde wiffel doa neangieh,

wann se werre neangieh?

Ob se sedse oder schdieh,

krissde schweann kenn Bladds mieh.

On dè gruuse Soal, der gidd

baal aus alle Neehre,

on die Loid geangge all med,

wann se daanse deere.

Eas dè Measd easchdmo vèbai,

mächdes KFZ off,

Owend weadd’s, mir sai sou frai,

joa, gaans Moarborch woadd droff!

Wann merr dann werre heangieh,

gieh merr werre all nean,

laif easses nommo sou schieh,

Loid sai inner Loid geann.

Lass es Abend werden

Weißt du, wie viele da reingehen,

wenn sie wieder reingehen?

Ob sie sitzen oder stehen,

bekommst schnell keinen Platz mehr.

Und der große Saal,

der geht bald aus allen Nähten,

und die Leute gingen alle mit,

wenn sie tanzen täten.

Ist der Mist erst mal vorbei,

macht das KFZ auf,

Abend wird’s, wir sind so frei,

ja, ganz Marburg wartet darauf.

Wenn wir dann wieder hingehen,

gehn wir dann wieder alle rein,

live ist noch mal so schön.

Leute sind unter Leuten gern.

Herr, leass Owend werrn, hat meine Ober-Gleener Oma, Pauls Lina, manchmal geseufzt, wenn ihr etwas zu viel wurde. Moijend weadd's voo selwerd. Herr, lass es Abend werden. Morgen wird es von selbst. Im Sommer 2020 träumen wir davon, in einer Welt ohne Corona aufzuwachen. Die Masken abzunehmen und aufeinander zuzugehen. Wo waren wir noch gleich stehengeblieben?

WOAS ZOAHN VERZEEHN

Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten, und sie muss unbedingt aufgehen. Auf 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung haben sich die Vereinten Nationen auf ihrer Vollversammlung am 25. September 2015 in New York geeinigt und sich anderthalb Jahrzehnte Zeit gegeben, um sie zu erreichen. 193 Länder haben zugestimmt – schon das könnte einen stutzig machen. Sogar Italien war dafür, obwohl diciassette in Rom seit der Antike eine Unglückszahl ist. Die alten Römer zählten X (zehn), V (fünf), I (eins) und I zusammen und kamen auf XVII. Und genau diese Zeichen waren in Grabsteine gemeißelt, wenn auch in einer anderen Reihenfolge: VIXI. Ich habe gelebt. Über die keltischen und germanischen Stämme, die den heutigen Vogelsbergkreis einst bevölkert haben, hätte meine Lateinlehrerin sagen können: Vixerunt. Sie haben gelebt. Wenn wir heute in den Spiegel schauen, sehen wir: Vivimus. Wir leben. Wenn unsere Gedanken in die Zukunft schweifen: Vivemus. Wir werden leben. Vivetis. Ihr werdet leben. Vivent. Sie werden leben. Die Formel dafür ist Nachhaltigkeit. Eins minus x darf nicht null ergeben, sondern einen Rest, eine wachsende Zahl. Das ist wieder einmal eine Matheaufgabe, bei der niemand an die Tafel will. Und alle schummeln wie verrückt.

Insgeheim hoffen wir alle auf ein Wunder, damit wir uns nicht anstrengen oder einschränken müssen, auf Trick 17 mit Selbstüberlistung. Es müssen Projekte her, Gesetze, Fördergeld, unser individueller Lebensstil muss sich ändern, aber auch das Wirtschaftssystem, der Umgang mit der Umwelt und untereinander. Dafür stehen die 169 Unterziele. Genug, um den Überblick zu verlieren, zu viele, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das, was nur erreicht werden kann, wenn alle mitziehen, Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer, die Reichen und die Armen, alle Generationen, alle Geschlechter, die Enthusiastischen und die Skeptischen, die vom Klimawandel schon jetzt Gebeutelten und die, die es ihnen eingebrockt haben. Mit wem kann die Welt rechnen? Auf wen kann sie zählen? Schwer einzuschätzen.

Mit Mathe stehen viele Menschen seit der Schulzeit auf Kriegsfuß. Die einen sind sogar stolz darauf, die zweiten fühlen sich hilflos, und die Zocker in den Banken, den Versicherungen und auf den globalen Märkten sind die lachenden Dritten. Als Normalverbraucher und Normalverbraucherinnen zahlen wir einen hohen Preis dafür, wenn wir versuchen, Zahlen zu ignorieren. Wir sind die ganze Zeit von ihnen umgeben, wir orientieren uns an unseren zehn Fingern, an Lebensjahren, Kalenderdaten, Uhrzeiten, Maßen, Gewichten, am Kontostand und dem Kleingeld im Geldbeutel, an Preisen und Quoten, am Takt einer Musik, an Blutdruckwerten, EKG-Kurven, Wahlergebnissen und Jubiläen, am Bruttoinlandsprodukt, an Temperaturen, Klicks, Limits, Pin-Codes, Tan-Nummern, Prozenten, Zinssätzen, Zensuren und jetzt auch Infektionszahlen, Inkubationszeiten und Sterberaten. Wenn Zahlen stimmen, helfen sie uns, die Welt zu verstehen. Wir brauchen sie, um Ungerechtigkeiten aufzudecken, Gefahren einzuschätzen, Lösungen zu entwickeln und Leistung anzuerkennen. Die kapitalistische Marktwirtschaft ist ohne Zahlen undenkbar, der Tauschhandel kommt auch ohne aus. Aber Betrügereien sind auch ohne Geld möglich: Wer doischd, beschäisd', heißt es in Hessen, weil fast jeder Mensch erst einmal auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Wer tauscht, bescheißt.

Ich gehe fest davon aus, dass früher auch viele derjenigen sehr gut rechnen konnten, die Lesen und Schreiben nicht gelernt hatten und drei Kreuze unter Verträge setzten. Wie hätte mein Ururururgroßvater sonst Meister des Zimmerhandwerks sein können? Wie hätten Marktfrauen ihre Ware unter die Leute gebracht, ohne ständig übers Ohr gehauen zu werden? Rechenkünste waren wichtig in einer Zeit, als es nicht nur keinen Taschenrechner und keinen Computer gab, sondern auch keinen Standard für Maße und Gewichte, dafür aber unterschiedlichste kleine Währungen, Zölle und Zinsen. Vieles ist heute einfacher. Wir haben den Euro als europäische Währung und fast überall in Europa den Meter und das Kilogramm. Zölle sind innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums abgeschafft. Und „nach Adam Riese“ werden schon seit einem halben Jahrtausend keine römischen Zahlen mehr geschrieben, sondern arabisch-indische. Der Rechenmeister (1492-1559) aus Staffelstein im Fürstbistum Bamberg hat seinerzeit in Annaberg in seinem Buch Rechnung auff der liniheri" das Rechnen mit Rechenbrettern erklärt. Er schrieb nicht auf Latein, sondern wie Martin Luther auf Deutsch, weil er ein großes Publikum erreichen wollte. Ries(e), Vater von acht Kindern, hat sich auch mit alltäglichen Problemen befasst, eine Brotordnung für Annaberg entworfen und sich mit Eichmaßen beschäftigt. Sein umfangreichstes Werk, ein Lehrbuch der Algebra, war mit 500 Seiten deutlich zu dick, um kostendeckend gedruckt zu werden. Veröffentlicht worden ist das vollständige Manuskript dann 500 Jahre nach Rieses Geburt. Noinzehonnerdzwäennoinzech.

Mathematik beweist alles und nichts, manchmal sogar Humor. Das Internet kennt viele Witze über Mathematiker, hundert Prozent mehr als über Mathematikerinnen. Zum Beispiel diesen hier: Der Optimist sagt, das Glas sei halb voll. Der Pessimist, es sei halb leer. Der Ingenieur kommt zu dem Schluss: „Das Glas ist doppelt so groß, wie es sein müsste." Und der Mathematiker hat längst ausgerechnet: „Das Volumen des Glaskörpers ist unverändert." Welches Tier kann gut addieren? Der Oktoplus. Ein Kreis ist eine geometrische Figur, bei der an allen Ecken und Kanten gespart wurde. „Soll ich die Pizza in vier oder in acht Teile schneiden?“ fragt der Pizzabäcker. „Bitte nur in vier“, sagt der kleine Junge. „Acht schaffe ich nicht.“ Warum können Seeräuber nicht den Inhalt eines Kreises berechnen? Weil sie Pi (die Kreiszahl) raten. Und wie lässt sich beweisen, dass eine Katze neun Schwänze hat? Ganz einfach: Keine Katze hat acht Schwänze. Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze. Also hat eine Katze neun Schwänze. Käi Kadds hodd oachd Schwänns. Äi Kadds hodd enn Schwanns mieh wie käi Kadds. Doas hääsd, äi Kadds hodd noi Schwenns. Wie viel ist zwei mal zwei? Der Mathematiker antwortet: „Das Problem ist lösbar.“ Der Jurist sagt: „Vier. Aber ich weiß nicht, ob ich bei Gericht damit durchkomme.“ Schbass baisaide: Im Recht zu sein, nutzt dir gar nichts, wenn dein Wissen nicht anerkannt wird.

Der Gießener Professor Albrecht Beutelspacher geht in seiner Begeisterung für Zahlen weiter als x andere seines Fachs: „Mathe macht glücklich“, behauptet er ganz im Ernst, und er ist für seine Ideen schon mehrfach ausgezeichnet worden. Das Mathematikum in Gießen gehört zu seinen populären Projekten, ein Mathematikmuseum, das Kinder und Erwachsene seit 2009 zum Knobeln animiert. Auf der Internetseite werden Experimente erklärt, die man zu Hause oder auch im Freien machen kann. Bei einem geht’s schlicht ums Schokoladeteilen, bei einem zweiten um im Halbkreis grasende, angepflockte Kühe und bei einem dritten um die Fibonacci-Folge, die ein Wachstumsgesetz beschreibt.

Diese unendliche Reihe besteht aus Zahlen, die, paarweise addiert, die nächste Ziffer ergeben: I, I, 2, 3, 5, 8,13, 21, 34, 55, 89 und so weiter. Erstaunlich viel in der Natur ist so angeordnet, wie Blätter, die im Wechsel stehen, etwa bei Schwertlilien, Lauch, Schmetterlingsblütlern, Linden, Buchen, Sonnenblumen, Tannenzapfen oder Ananas. Kaninchen vermehren sich so schnell, wie sich die Zahl vergrößert. Mit der Fibonacci-Folge lässt sich sogar der Goldene Schnitt nachvollziehen, nach dem eine Strecke so unterteilt ist, dass der kleinere Teil zum größeren Teil im gleichen Verhältnis steht wie der größere Teil zur gesamten Strecke. Schon in der Antike hatte der griechische Mathematiker Euklid (etwa 360-280 vor Christus) die Formel dazu errechnet und war auf die Zahl Phi gekommen, die etwa 1,618 entspricht. Das Ergebnis ist Harmonie, ob in der Kunst, in der Architektur, in der Typographie, der Fotografie oder im menschlichen Körper.

Letztlich sind Zahlen, Statistiken und Formeln auch nur ein Versuch von vielen, um zu erklären, was kaum zu erklären ist. Selbst absolute Zahlen sind relativ und ohne eigene Gestalt. Wichtig ist, wie sie zustandekamen, und wir brauchen Vergleichswerte und Hintergrundinformationen, um sie einordnen zu können. Nicht nur bei Pandemien. Ob 400 Menschen weniger auf der Welt sind, macht in der öffentlichen Wahrnehmung keinen großen Unterschied. Verschwindet aber die gesamte Bevölkerung eines Dorfes, dann bricht Panik aus. Zumindest in den Nachbardörfern. Wenn eine weitere Pflanze ausgerottet worden ist, fällt das Laien nicht weiter auf. War diese Pflanze aber das Hauptnahrungsmittel einer anderen seltenen Spezies, dann hat das unabsehbare Folgen. Und zwar auch für unsere Lebensphilosophie: Was meinen wir, wenn wir über Werte reden? Welchen sentimentalen, welchen materiellen, welchen kulturellen, welchen biologischen Wert hat die 600 Jahre alte Himmelbornseiche im Ober-Gleener Wald? Wie teuer ist uns der Dannenröder Forst? Welchen Preis bin ich persönlich bereit zu zahlen für die Rettung oder die Zerstörung der Welt?

Die 17 Ziele sind im Grunde eine Selbstverständlichkeit und trotzdem zum Scheitern verurteilt, wenn wir nicht in die Gänge kommen. Wir alle wissen, wie halbherzig die bisherigen Versuche waren, den Klimawandel oder die Vermüllung der Meere zu stoppen oder dem Hunger in Afrika ein Ende zu setzen. Selbst offensichtliche Tatsachen werden geleugnet oder ignoriert: Woas ech nit wääs, mächd mech nit hääs. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Die Temperatur auf der Erde aber ist 1,4 Grad höher als vor der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Wenn es 1,5 Grad werden, könnte die Menschheit mehr Probleme haben, als sie bewältigen kann.

Und deshalb müssten die 17 Ziele längst Standard sein, 08/15 wie das 1908 entwickelte deutsche Maschinengewehr, Im Auftrag des Militärs ist das MG mehrfach verändert worden, bis zum Modell 08/18, einer Mordmaschine, die für alle Zeiten ins Museum gehört. Im Garten der UNO in New York steht wiederum eine Skulptur des russischen Bildhauers und fünffachen Stalinpreisträgers Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch (1908-1974). Mit diesem Geschenk wollte der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chrustschow 1959 an die Friedensziele der UN-Charta erinnern: Ein Schmied macht mitten im Kalten Krieg Nägel mit Köpfen, Pflugscharen aus Schwertern und Sicheln aus Spießen. „Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben“, verheißt der Prophet Micha den Menschen im Alten Testament, „und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeglicher wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, frei von Angst.“ Was die Friedenstaube in der Bundesrepublik Deutschland war, war der muskelbepackte Schmied für die Friedensbewegung in der DDR. Und was wäre nachhaltiger, als Mordwerkzeuge in landwirtschaftliche Geräte zu verwandeln? „Nulloachdoachze" enthält die 17 Ziele der Vereinten Nationen off Hessisch und ein weiteres, auf das es jetzt ankommt: Schlauer zè sai, wie merr sai. Schlauer zu sein, als wir sind. Frei nach einer der ältesten Weisheiten der Welt: Merr soll käi schloofende Honn wegge. Man soll keine schlafenden Hunde wecken. Erst recht keinen inneren Schweinehund.

Es kenn nit nor Sibbze sai

(Du kannst nicht immer 17 sein)

Es kenn nit nor Sibbze sai,

17 schegge nit mieh,

denn mir verschiewe selbsd doas, woas merr liewe,

on gäwwe ins net werglech Mieh!!

Äimo weadd Schluss med lusdech sai,

äimo, on kenner feand’s,

's Beald eam Schbiejei.

Mir ewwelisde ins.

Es können nicht nur 17 sein

Es können nicht nur 17 sein,

17 reichen nicht mehr.

Wir verschieben selbst das, was wir lieben,

und geben uns nicht wirklich Müh!

Einmal wird Schluss mit lustig sein,

einmal, und keiner findet’s,

das Bild im Spiegel.

Wir überlisten uns.

Soweit der Schlager von 1974, der mit einem Refrain beginnt, ein unglaublich nachhaltiges Liebeslied („Einmal, dann wirst du 70 sein, dann bin ich noch bei dir“) in der angeblich goldenen Zeit des deutschen Schlagers: „Du kannst nicht immer 17 sein“, komponiert von Ralph Siegel. Gesungen hat es der staatenlose Elektromechaniker Christian Franz Klusáček (1944-2017), der in den Sechzigern Schlagzeuger in einer Rockband gewesen war. In der ZDF-Hitparade trat er als Chris Roberts auf, nicht weniger als 68 Mal in zwölf Jahren, er hatte 13 Nummer-Eins-Hits und kam mit 20 Titeln in die Charts. Ein Jahr vor seinem Tod beantragte der gebürtige Münchener, der Sohn einer Deutsehen und eines Jugoslawen, einen deutschen Pass. Er hat ihn bekommen, wie 10 000 andere auch. Die meisten der damals Eingebürgerten waren schon lange in Deutschland. Im Durchschnitt 17 Jahre.

Aber fangen wir bei Null an. Wie Litermaße, Zollstöcke und Waagen, wenn sie darauf geeicht sind. Ist es ein Puls, wäre es höchste Zeit für Wiederbelebungsmaßnahmen. Null ist die Stunde, die es in Deutschland nicht gegeben hat und auch in keinem anderen Land nach einer Diktatur, nach einem Völkermord, einer Revolution oder einem Krieg. Nirgends wird wirklich tabula rasa gemacht, niemand nimmt Platz an einem leergefegten, blanken Tisch. Die Mehrheit tut in stillem Einverständnis so, als seien die Brandflecke und das vergossene Blut unter dem Damast nicht zu sehen.

Mit null Punkten starten aber nur die virtuellen Charaktere in Computerspielen. Neugeborene müssen mit einem genetischen und einem familiären Erbe zurechtkommen, mit einer gemeinsamen Geschichte und den Lebensbedingungen, die sie vorfinden. Und sie lernen in Physik: Ist die Spannung bei Null, fließt nach dem Ohmschen Gesetz kein Strom. Allerdings sei das nicht immer der Fall, sonst gäbe es kein Hightech, merkt einer an, der nicht nur in der Schule gut aufgepasst hat: Ist die Spannung im Kondensator bei Null, ist die Spannung so groß wie sonst nie, der Widerstand des Kondensators besonders stark. In der Politik ist auf Dauer keine echte Neutralität aufrechtzuerhalten, es gibt nur das Fehlen von Interesse, Neugier, Mitgefühl oder Leidenschaft. Niemand möchte im Beruf oder im Sport ernsthaft für eine Null gehalten werden. Und gleichzeitig kann die Null einem Menschen ein Gefühl von Freiheit vermitteln: Wer am Nullpunkt angekommen ist, hat nichts mehr zu verlieren. Bei Janice Joplin klingt das überzeugend. Es ist ein bisschen wie mit dem Wasser: Ab einem bestimmten Punkt kannst du nicht mehr nasser werden. Aber du kannst immer noch ertrinken. In der Welt der Banken kann jemand, der nichts hat, immer noch ins Minus rutschen, denn jenseits der Null, des ausgeglichenen Kontostandes, beginnen die Schulden, ersetzt das Soll das Haben und das Müssen das Sein. Auch beim Roulette hat meist die Bank den Vorteil, wenn die Kugel auf der Null liegenbleibt. „In der Kulturgeschichte wird die Entdeckung der Null immer als eine der größten Leistungen der Menschheit herausragen", hat der 1910 aus Osteuropa in die USA ausgewanderte Mathematiker Tobias Dantzig (1884-1956) sinngemäß in „Number. The Language of Science“ geschrieben, einem Buch, ausdrücklich gedacht „für kultivierte Nichtmathematiker“. Und bei dem Versuch, diesen Bildungsbürgern die Welt zu erklären, hat er Begriffe aus der Musik benutzt, wie legato (miteinander verbundene Töne) und staccato (klar voneinander getrennte Töne): „Die Harmonie des Universums kennt nur eine musikalische Form – das Legato –, während die Symphonie der Zahlen nur das genaue Gegenteil kennt – das Staccato. Alle Versuche, diese Gegensätze zu versöhnen, gründen auf der Hoffnung, dass ein gesteigertes Staccato unseren Sinnen wie ein Legato vorkommen könnte.“

Für chinesische Taoisten symbolisiert „wuji“, die Zahl Null, das Chaos, den Anfang und das Ende von allem. Und diese Zahl ohne Gestalt ist nicht nur einmal, sondern dreimal erfunden worden. Zuerst von den Babyloniern. Dann von den Mayas. Und schließlich von den Indern, die 200 vor Christi einen Punkt gesetzt haben, wenn sie eine Null meinten. Dieses Zeichen hieß „shunya“ und stand für „nichts“ (naut). Tausend Jahre später rechneten arabische Gelehrte mit „sifr“ (leer/lier), dem Urahn der Ziffer. Leonardo Fibonacci (1170-1240). der Mathematiker aus Pisa, machte aus „sifre“ das italienische „zefiro“, kurz „zero“, wie im interaktiven Lernprogramm Mathematik Alpha im Internet nachzulesen ist.

Auf der Welt gibt es heute eine Zero- und eine Nullus-Region, in der sich das lateinische Wort „nullus“ durchgesetzt hat. Im Englischen heißt es zero, früher auch nought, das wie das oberhessische naut ausgesprochen wird, im Französischen zéro, in Katalanischen, im Portugiesischen, im Albanischen und im Polnischen zero, im Spanischen cero, im Wallonischen zéro, im Japanischen zero, aber auch rei. Zur Nullus-Region zählen auf dem europäischen Kontinent unter anderem die deutschsprachigen Länder, Dänemark (nul), Finnland (nolla), das Land der Sami (nolla), Schweden (noll), die Niederlande (nul), Island (null), Lettland (nulle), Litauen (nulis), Tschechien (nula), die Slowakei (nula), Bulgarien (nula) und Russland (nol). In Griechenland kann man μ sagen, und das ist so gut wie „nichts“. Die Iren sagen „náid“, die Schottinnen „neoni“, die Waliser „dim“, die Menschen in der Bretagne „mann“, die Türken „sifir“, die hebräisch sprechenden Israelis „efes“. Und manche Sprachen und Kulturen der Welt haben bis heute keine Zahl für das, was es nicht gibt.

An der Null ist nichts normal. Und dennoch ist die Normalnull (NN) oder die Normalhöhennull (NHN) in Deutschland der Punkt, an dem fast alles gemessen wird. Der Punkt, an dem es auch ganz schnell „Land unter“ heißen kann. Noch in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts ist der Meeresspiegel weltweit drei oder vier Millimeter jährlich gestiegen, hundert Jahre vorher waren es noch 1,4 Millimeter. Und es geht weiter voran. Wegen der Treibhausgase steigen die Temperaturen weltweit, schmelzen der Pine-Island- und der Thwaites-Gletscher in der westlichen Antarktis dahin, drohen Tuvalu und Kiribati im Meer zu versinken. Nur die Normalnull bleibt, was sie ist, denn der Anstieg des Wasserstandes wird an einem festen, historischen Wert gemessen, dem mittleren Hochwasser, das die Amsterdamer zwischen September 1683 und September 1684 errechnet haben. Der deutsche Bezugspunkt ist in Wallenhorst im Landkreis Osnabrück, 94 Meter über dem Meer, und an einer gusseisernen Marke zu erkennen. Die Herren von der Trigonometrischen Abteilung der Königlich Preußischen Landesaufnahme haben sie 1893 dort anbringen lassen. Seitdem prangt Deutschlands zentrale Höhenmessmarke rechts vom Haupteingang der Neuen St-Alexander-Kirche. Und über dem Portal tobt, als biblisches Motiv, der „Sturm auf dem Meere“.

Der Natur kann der Amsterdamer Pegel egal sein. Ihr Meer kennt Gezeiten, Flut, Ebbe, große und kleine Wellen, Strudel, Stürme, Stille, Springfluten, Tsunamis, aber keine Normalnull. Die Menschheit aber braucht einheitliche Bezugspunkte. Um Land zu vermessen, um die Höhe von Bergen, Häusern, Türmen und Brücken zu bestimmen, Karten anzufertigen und sich zu orientieren. Um Deiche zu bauen, die hoch genug sind. Das Dumme ist nur: Jedes Meer ist anders, was die Gezeiten, aber auch, was den Salzgehalt angeht. Und nicht alle Welt orientiert sich an Amsterdam. Die Franzosen messen in Marseille, die Osteuropäer in Kronstadt bei St. Petersburg, die Österreicher in Triest, die Schweizer an einem Felsen im Genfer See, die Belgier in Ostende.

Die Normalnull ist also eigentlich gar nicht normal. Nicht für alle. Um den Streit zu beenden, wird in der Raumfahrtmission Grace der Abstand zweier Satelliten gemessen. Durch die Erdanziehung beträgt er nicht immer exakt 220 Kilometer, und so lässt sich eine Fläche bestimmen, auf der eine einheitliche Schwerkraft herrscht: ein delliges, hubbeliges, knubbeliges Geoid, das wegen seiner Form Potsdamer Kartoffel genannt wird und das Schwerefeld der Erde darstellt. Ob nun Potsdamer Kartoffel oder Amsterdamer Pegel, ist längst nicht mehr wesentlich. Wichtiger ist der Zustand der Deiche. Und das Erreichen der Klimaziele.

Natürliche Zahlen sind Zahlen, mit denen wir zählen. Die kleinste davon eine Eins, und eine größte gibt es nicht, weil das Zählen in Einerschritten immer weitergehen kann. Eine Null ist also eine ganze, aber keine natürliche Zahl. Trotzdem erinnert sie ein bisschen an ein Naturprodukt: an ein Ei. Und da lohnt es sich, beim Einkauf genauer hinzusehen. Hat das Ei einen Zahlenstempel, der mit der Null beginnt? Dann kommt es von einem Biohof: Kein Käfig weit und breit. Maximal sechs Hennen pro Quadratmeter im Stall, vier im Auslauf. Bis zu 3000 Hühner dürfen in einem Stall gehalten werden, der dann 500 Quadratmeter groß und mindestens zu einem Drittel mit Stroh, Sand oder Spänen ausgestreut sein muss. Wie die Hinggen off die Schdang sitzen, ist auch geregelt: 18 Zentimeter Platz muss jede Henne auf der Stange haben, wenn ihre Eier echte Bioeier werden sollen. Und das Futter muss hauptsächlich aus ökologischem Anbau stammen.

Im Oberhessischen gleichen die Null und die Nadel einander fast wie ein Ei dem anderen: Das eine ist eine Null, das andere eine Noll. Und in der Mehrzahl sind es Nunn oder auch Nulle und Nonn. Die Null ist è golden Niggs-che on è selwer Nautche, als Charakter ein Versager, als Breitengrad der Äquator und 46 OOO Kilometer lang. Als Meridian verläuft sie durch Greenwich Village in London, als geografischer Nullpunkt (N O° OO' OOO" E O° OO’ OOO" und S O° OO’ OOO" W O° OO’ OOO") ist sie im Golf von Guinea vor der Küste von Westafrika zu finden, dem gefährlichsten Gewässer der Welt. Piraten treiben in diesem Teil des Atlantischen Ozeans ihr Unwesen. Eine berüchtigte Gegend.

Aber auch Zackenbarsche leben dort, Perl-, Mond-, Spaten-, Falter-, Schwanzfleckfeilen-, Peter- und Doktorfische, der Flossenlose und der Sterngucker-Schlangenaal, der Ostatlantische Trompetenfisch, der Königin-Drückerfisch, der Schwarzstreifen-Schweinslippfisch, die Krausflossen-Grundel, die Gelbstriemenbrasse, die Pferde-Stachelmakrele, der Bronze-, der Seiden-, der Bullen-, der Blau- der Tiger- und der Schwarzhai. Der Atlantische Fliegende Fisch, der Gestreifte Knurrhahn, der Westafrikanische Büschelbarsch, der Halbschnabelhecht. Das Westafrikanische Seepferdchen, der Buckelschnapper, der Atlantische Tarpun, das Blaumäulchen und die Guinea-Grunzer. Nicht zu vergessen der Zwerg-, der Eden- und der bis zu 27 Meter lange, bis zu 120 Tonnen schwere Finnwal, der auch noch in einer Tiefe von 230 Metern unter der Meeresoberfläche zurechtkommt. Die Weibchen sind größer und schwerer als die Männchen, die Kälber wiegen gerade einmal 2,7 Tonnen und sind 6,5 Meter lang. In drei Stunden nimmt so ein Meeressäuger 1800 Kilo Nahrung zu sich, mit jedem Atemzug gut 70 Kubikmeter Wasser und IO Kilo Futter. Der Finnwal ist nach den Blauwalen das zweitlängste Lebewesen der Erde, verständigt sich auf der tiefsten Frequenz aller Tiere und ist deutlich schneller als ein Kreuzfahrtschiff. Er zählt zu den gefährdeten Arten.

Anders als die Null. Sie ist quasi überall und nirgends. Die Null macht andere Zahlen rund wie die Milch den Kaffee: Geburtstage, Jubiläen, aber auch Millionen und Milliarden. Wir sprechen automatisch von einer Zahl mit sechs Nullen, als wäre jede einzelne Stelle hinter der ersten Ziffer mit einer Null besetzt. Null problemo, noch ein paar Beispiele aufzuzählen. Wasser hört am Nullpunkt auf, flüssig zu sein, zu sprudeln, zu strömen, zu plätschern, zu rinnen und zu tröpfeln. Es erstarrt und wird zu Eis. Im Italienischen kommt ein lokales Produkt aus null Kilometern Abstand, a chilometri zero. Beim Ukulelespielen ist der Daumen die Null, die auf dem Griffbrett nichts zu suchen hat, der Zeigefinger die Eins und der kleine Finger die Vier.

So eine Null allein ist nichts, das schwarze Loch unter den Zahlen, in dem alle verschwinden, die ihr beim Malnehmen in die Quere kommen. Anders als alle anderen Zahlen ist sie als Hausnummer nicht zu gebrauchen. Niemand wohnt in der Null. Im Hotel war ein solches Zimmer früher ein unaussprechlicher Ort: die Toilette auf dem Flur. Das Zimmer OO. Eine Doppelnull kann aber auch der Typ Mehl sein, den man für Pizza braucht, der Beginn einer langen, teuren Rückrufnummer, eine Baunorm für Modelleisenbahnen, eine kurze Rochade im Schach, Raps ohne Erucasäure und Glucosinolate oder ein britischer Geheimagent mit der Lizenz zum Töten. Die einzelne Null ist neutral, wenn es ums Addieren geht, zumindest in der Theorie. Das wäre dann ein Nullsummenspiel. Plus, minus null. In Nullkommanix wären wir bei dem polnisch-jüdischen Schriftsteller Stanislaw Jerzy Lec (1909-1966). Der Holocaustüberlebende widersprach der Mathematik aus Erfahrung: „Ich meine, dass die Summe von Nullen eine gefährliche Zahl ist.“

Wer nicht mit anderen teilen will, teilt durch Eins. Die Null aber ist nur durch sich selbst teilbar. Durch Null zu teilen, ist in der Mathematik nicht erlaubt, denn es führt zu nichts. Das Ergebnis wird immer falsch sein. In Amerika und Afrika ist die Blutgruppe O besonders häufig vertreten. In Europa ist A stärker verbreitet, in Asien B. 35 Prozent der Menschen in Deutschland haben Blutgruppe O, Rhesusfaktor positiv. Ganze sechs Prozent haben Blutgruppe O, Rhesusfaktor negativ, und sind Universalspender, weil sich ihr Blut mit jedem anderen verträgt, während Universalempfänger Blutgruppe AB positiv haben.

Die Null ist völlig wertlos hinterm Komma. Steht sie aber davor, dann steigt der Wert einer Zahl mit jeder Null, bis ins Unermessliche, wie die Schulden mancher Länder. Wie die Zahl aller Menschen, Tiere und Pflanzen, die es auf dieser Welt einmal gegeben hat. Wie die Wassermoleküle in den Ozeanen. Die Null ist die erste der zehn Ziffern unseres Dezimalsystems, und sie ist eine von zwei Zahlen im binären System. Mit Nullen und Einsen lassen sich sämtliche Dezimalzahlen in binäre Zahlen umwandeln. Und dieses System kennt weder Kompromisse noch Zweifel, nur ja und nein, schwarz und weiß, ein oder aus, hüh oder hott, links oder rechts, entladen oder geladen, offen oder geschlossen, hell oder dunkel, magnetisiert oder unmagnetisiert. Einfach genug, dass es Computer verstehen. Wie der Z3, den der Berliner und spätere Hünfelder Konrad Zuse (1915-1995) gebaut hat. Der Z3 war der erste voll programmierbare Rechner weltweit, der von Nullen und Einsen gesteuert wurde. Aber nicht die Stunde Null der Informatik

Hundert Jahre zuvor hatte Ada Lovelace (1815-1852) das erste Computerprogramm der Welt geschrieben. Die Tochter des Dichters Lord Byron und der Baroness und Hobby-Mathematikerin Anne Isabella Noel-Byron hatte als Kind Unterricht in Naturwissenschaften bekommen und hervorragende Tutoren gehabt. Ada spielte Harfe, kannte sich mit Harmonielehre aus und interessierte sich für Technik, auch dann noch, nachdem sie den Earl of Lovelace geheiratet hatte und Mutter von drei Kindern war. Wie wäre es, fragte sie sich, Maschinen zu bauen, die Bilder, Musiknoten und Buchstaben verarbeiten? Ada Lovelace suchte Kontakt zu anderen mit ähnlichen Ideen. Und so bat der Mathematiker George Babbage sie 1842 darum, einen französischen Bericht über seine Erfindung, einen Rechenautomaten, ins Englische zu übersetzen. Das tat sie, und beließ es nicht dabei: Ada Lovelace fügte eigene Gedanken hinzu und entwickelte eine Software zur Berechnung von Bernoulli-Zahlen. Die Engländerin gilt als Visionärin der Computertechnik, als eine, die Dinge für möglich hielt, die sich andere in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten und die für uns heute Selbstverständlichkeiten sind, auch wenn wir nicht die geringste Ahnung haben, wie sie funktionieren.

Als die Aufzeichnungen von Ada Lovelace ein Jahrhundert nach ihrem Tod aus ihrem Dornröschenschlaf geholt wurden, steckte die Informatik noch immer in den Kinderschuhen. Und sie war eine Männerdomäne geworden, obwohl noch während des Zweiten Weltkrieges fast ausschließlich Frauen Programme geschrieben hatten, Wissenschaftlerinnen wie Joan Clark (1917-1996), die gemeinsam mit Alan Turing in England den Enigma-Code der deutschen Wehrmacht geknackt hatte, und die US-Amerikanerin Grace Hopper (1906-1992), die nicht die Mutter, sondern die „Königin der Software“ genannt wurde. Oder die russisch-amerikanische Mathematikerin Gertrude K. Blanch (1897-1996) und nicht zuletzt die Schauspielerin Hedy Lamarr (1914-2000). Die gebürtige Wienerin und der aus New Jersey stammende Komponist George Antheil haben 1942 eine Funksteuerung für Torpedos erfunden, die selbständig die Frequenzen wechseln konnte. Wir verdanken ihnen das WLAN.

Wie sääd die Null zu dè Oachd?

Enn schiene Giaddel!

Wie sagt die Null zur Acht?

Schöner Gürtel!

On wie sääd die Oachd zer Null?

E schie Kerrelscheazz!

Und wie sagt die Acht zur Null?

Schöne Kittelschürze!

Bass oachd! Gebb oachd! Nommd ouch ean oachd!Wenn sich in Oberhessen jemand vorsehen soll, kommt die Acht ins Spiel. Es ist eine Alarmzahl. Und sie kann fürsorglich klingen: Gebb off dech oachd! In Oberhessen gehen die Kalender etwas anders. „Mir seh ins ean oachd Doag werre" meint: Wir sehen uns in einer Woche wieder. In acht Tagen, den heutigen Tag mitgerechnet. Es kimmd naut zu. Es kommt nichts zu. Wann merr droff oachd bassd. Wenn man darauf aufpasst.

In China ist die Acht eine Glückszahl, weil die Ziffer wie das Wort für Reichtum und Gedeihen klingt. Der Buddhismus kennt acht Pfade zur Erleuchtung: die Erkenntnis, die rechte Gesinnung, die rechte Rede, das rechte Handeln, den rechten Lebenserwerb, das rechte Streben, die rechte Achtsamkeit und das rechte Sichversenken. Das jüdische Lichterfest, Chanukka, dauert acht Tage. Genau acht Menschen haben, so steht’s im Alten Testament, die Sintflut überlebt: Noah, seine Frau, seine drei kinderlosen Söhne und deren Frauen.

Im Neuen Testament sind die acht Seligpreisungen der Bergpredigt nachzulesen, wie der Apostel Matthäus sie überliefert hat: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.“

Weil der am Kreuz hingerichtete Jesus nach acht Tagen aus seinem Grab auferstanden sein soll, steht die Acht in der christlichen Kultur für Neuanfang oder Auferstehung, geistige Wiedergeburt oder Heiligsein. Manche Kirchen und viele alte Taufbecken haben deshalb auch einen achteckigen Grundriss. Der gregorianische Gesang ist auf acht Tönen aufgebaut. In der Geometrie war die Acht die Mitte zwischen Quadrat und Kreis, sie galt auch als Verschmelzung der irdischen Vierzahl (Quadrat) mit der Unendlichkeit der himmlischen Sphäre (Kreis), eine Zahl, die Gott und Mensch, irdisches und ewiges Leben, verbindet.

Eine liegende Acht symbolisiert in der Mathematik Unendlichkeit, eine Schleife mit zwei gleich großen Schlaufen. In Babylon war die Acht die Zahl der Ištar-Venus, ein Zeichen mit acht Strahlen. Das babylonische Glücksrad hat acht Speichen, und Sleipnir, das Schamanenpferd des germanischen Gottes Odin, nicht weniger als acht Beine, wie sonst die Spinnentiere. Eine Oktave umfasst acht Ganztonschritte. Acht Bits sind ein Byte. Im Klimahaus in Bremerhaven können wir den 8. Längengrad entlang reisen, auf acht Grad Ost, um genau zu sein, und kommen in die Schweiz, nach Sardinien, weiter nach Niger, durch die Sahara, den Regenwald in Kamerun und die Antarktis bis zu den Fidschi-Inseln und von dort auf eine Hallig.

Und die 18? Ist außer der Null die einzige Zahl, die das Doppelte ihrer Quersumme ist: I plus 8 ist 9 mal 2 ist 18. Im Jahr 18 nach Christus brach in China eine Hungerrevolte aus, der „Aufstand der Roten Augenbrauen“, und der griechische Geograf und Geschichtsschreiber Strabon („der Schielende“) veröffentlicht den vierten von 17 Bänden seiner Geografiereihe. 1918 ging der Erste Weltkrieg zu Ende. In einem Zoo in den USA verendete der Karolinasittich Incas, der Letzte seiner Art. Und schon im Sommer brach in Nordamerika die sogenannte „Spanische Grippe“ aus, an der im Laufe des kommenden Jahres 500 Millionen Menschen weltweit erkrankten. 20 Millionen Kinder, Jugendliche und Erwachsene starben in der Pandemie. Die Kombination aus 1 und der 8 wird von Neonazis als Symbol genutzt, denn die Initialen von Adolf Hitler sind der erste und der achte Buchstabe im Alphabet. Teufelsanbeter lieben die 18 schon deshalb, weil sie die Quersumme von 666 ist, der „Zahl des Tieres“, und sie berufen sich dabei auf die apokalyptischen Stellen im Johannes-Evangelium. Ursprünglich aber war die Sechs die Zahl der barmherzigen Werke und der Schöpfungstage, den siebten, den Ruhetag, nicht mitgerechnet.

Das hebräische Wort Chaj für Leben besteht aus den Zeichen Chet (1O) und Jud (8), und entsprechend beliebt ist die Zahl 18 in Israel. Gerade mal 18 Minuten Zeit sollen die Israeliten gehabt haben, um Ägypten zu verlassen, weshalb der Matzen fürs Passah-Fest in 18 Minuten fertig sein muss. Zu wenig Zeit, um Sauerteig anzusetzen. Eines der wichtigsten Jüdischen Gebete besteht aus 18 Bitten und „der Gesang Gottes“, ein spirituelles hinduistisches Gedicht, aus 18 Gesängen.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht die 18 auch für die Volljährigkeit, also für ein Stück mehr Freiheit, für das Erwachsensein und die volle Geschäftsfähigkeit. In der Bundesrepublik Deutschland können 18-Jährige für den Bundestag kandidieren und ohne elterliche Zustimmung heiraten, Verträge abschließen, Alkohol und Zigaretten kaufen, in Clubs gehen und sich beim Poker und an Glücksspielautomaten verzocken. Aus der Sicht des Strafrechtes und ihrer Eltern bleiben 18- bis 21-Jährige Heranwachsende.

Nach einer Studie der Universität von Wisconsin hatte ein Tag auf der Erde vor 1,4 Milliarden Jahren keine 24, sondern 18 Stunden und 41 Minuten, weil der Mond der Erde zehn Prozent näher war als heute. Katzen haben 18 Krallen, je fünf an den Vorder- und je vier an den Hinterpfoten. Und Golfspieler müssen bis zum 18. Loch durchhalten. In der Zahlenmystik steht die Zahl 18 als Quersumme von Geburtstag, Geburtsmonat und Geburtsjahr für den Planeten Neptun und damit für einen zielorientierten Charakter, für Menschen, die erfolgreich sein wollen und sich engagieren, die mutig sind, ein bisschen stur, und einen stark ausgeprägten Familiensinn haben. Auch wenn man Numerologie für Hokuspokus hält, wären das keine schlechten Voraussetzungen zum Erreichen der 17 Ziele.

WOAS ZEEHN DUDD

Auch Optimistinnen müssen wohl oder übel einsehen: Wir lernen nicht automatisch aus unserer Geschichte. Ob wir aus Schaden klug werden, bestimmt jeder und jede Einzelne von uns selbst. Niemand kann uns dazu zwingen, Vernunft anzunehmen. Und warum sollten wir, solange andere den Schaden haben – oder irgendwann haben werden? Alles gut. Kein Problem. Nicht für uns.

Aber die Krise, in der wir jetzt stecken, ist anders als andere Krisen. Diese globale Seuche hindert uns daran, uns dümmer zu stellen, als wir sind, einfach weiterzuwurschteln wie bisher, weiter nur den Kopf zu schütteln über die Unvernunft von anderen, über durchgeknallte Präsidenten, Rassisten. Egoisten und Sexisten, über klimaschädliches Verhalten, Ignoranz und modernes Ausbeutertum, als ginge uns das alles kaum etwas an. Wir haben Bolsonaro ja nicht gewählt. Auch Erdogan und Trump nicht. Weder Johnson noch Orbán noch die Pis-Partei. Und in Nordkorea hätten wir ohnehin keine Wahl gehabt. Wir sind keine Großaktionäre und keine Ikonen wie der Dalai Lama, Jane Goodall oder Greta Thunberg. Erst im Abstand zu anderen haben wir freie Sicht auf unsere eigenen Schwächen, Stärken und Fehler, aber auch auf unsere geheimsten Wünsche, Ängste und Träume. Zum ersten Mal, seit ich denken kann, spielt die Wirtschaft nicht die Hauptrolle. Zum ersten Mal sind Menschenleben wichtiger als das Bruttoinlandsprodukt oder die Interessen der Konzerne. Pharma-, Agrar-, Auto-, Immobilien- und Rüstungskonzerne einmal ausgenommen. Und die IT-Giganten sowieso.

Wir Menschen sind nicht von Natur aus naiv. Wir haben das Prinzip der Nachhaltigkeit mit der Muttermilch aufgesogen. Jedes Kind weiß, dass der Kuchen gegessen ist, wenn er gegessen ist. Uns ist schon klar, dass es nett wäre, anderen etwas davon abzugeben, und dass es schlau wäre, ein Stück für morgen aufzuheben. Von klein auf hören wir, dass man von zu viel Kuchen Bauchschmerzen bekommen kann, schlechte Zähne und zu enge Kleider. Mit der Erde ist es dasselbe. Futsch ist futsch, und allmählich hat es Mutter Natur satt, hinter uns Erdlingen aufzuräumen.