Pat Lauer

Mystery
Storys

132 haarsträubende Rätsel

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Dieses Buch erschien in einer früheren Ausgabe
in der Gondolino GmbH, Bindlach.

Neuausgabe 04/2012

Copyright © 2012 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN: 978-3-641-06396-2

www.heyne.de

Vorwort

Rätsel aller Art gehören wahrscheinlich zu den ältesten Vergnügungen des menschlichen Geistes – aber auch zu den wichtigsten Herausforderungen der Vorstellungskraft. Sagen und Legenden, Märchen und Mythen ranken sich um Wesen, die Rätsel und Aufgaben stellen und ihre Lösung fordern und um diejenigen, denen die entsprechenden Lösungen dann schließlich einfallen. Im berühmten Buch des Herr-der-Ringe-Autors J. R. R. Tolkien, »Der kleine Hobbit«, wird der Titelheld mit der extremsten Form des Rätselspiels konfrontiert – dem Duell auf Leben und Tod. Im Inneren eines Berges muss er sich einen Wettstreit mit einem ihm bis dato unbekannten Wesen liefern, das ihm in völliger Dunkelheit hoch überlegen ist, und ihm den Weg aus dem unterirdischen Labyrinth nur dann weisen will, wenn er den Rätselwettstreit gewinnt. Verliert er aber, so wird er gefressen – fürwahr keine Situation, in der man sich entspannt dem Ratevergnügen hingeben könnte. »Schreit ohne Stimme, fliegt ohne Schwinge, beißt ohne Zahn, murmelt und pfeift – kein Mund hat’s getan«, lautet eines der Rätsel, die der arme Hobbit Bilbo Beutlin lösen muss. Und? Schon erraten? Gemeint ist in diesem Fall der Wind und all denjenigen, die das Buch nicht kennen, sei an dieser Stelle verraten, dass der Hobbit mit heiler Haut aus der Geschichte herauskommt, wenngleich er auch am Ende ein klein bisschen beschummelt, denn die Frage »Was habe ich in meiner Tasche?« kann wohl kaum als klassisches Rätsel durchgehen.

Rätselfans gibt es quer durch die Zeiten und gesellschaftlichen Schichten. Im England des späten Mittelalters wurden Rätsel gerne und oft in Kneipen gestellt und gelöst – zuweilen kam es zu regelrechten Wettstreits der besten Knobler –, vergleichbar mit einem modernen Poetry Slam. Vom französischen Hof Ludwig IVX. wird berichtet, dort habe man frivole Pfänderspiele mit Rätseln kombiniert – wie das vonstattenging, überlassen wir der Fantasie des geneigten Lesers. Sehr verbreitet waren Ratespiele auch im 18. und 19. Jahrhundert in Norddeutschland und Anklänge davon finden sich beispielsweise im von den Brüdern Grimm aufgeschriebenen Volksmärchen Rumpelstilzchen. Dass der Spaß am Raten auch heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat, beweisen die vielen Quizshows, die sehr erfolgreich über die Mattscheiben der ganzen Welt flimmern. Vordergründig geht es dabei natürlich häufig um Wissen und Intellekt, doch viele Fragen laden einfach zum verwegenen Raten ein, sind uns Rätsel und Entertainment zugleich.

Auch Schriftsteller aller Epochen ließen sich von Rätseln inspirieren: Schon Jahrhunderte bevor Tolkien sich die Hobbit-Episode rund ums Rätseln ausdachte, ließen die griechischen Dichter, unter ihnen der große Sophokles, den unglücklichen Ödipus, König von Theben, das Rätsel der Sphinx lösen – einer der letzten Triumphe, der dieser tragischsten aller griechischen Sagengestalten zuteilwurde. »Was geht morgens auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen« lautete die Frage der Sphinx, die mittlerweile so berühmt ist, dass nicht einmal ausgesprochene Rätselmuffel die Antwort noch verweigern können: Der Mensch krabbelt am Morgen seines Lebens auf allen vieren, geht aufrecht in der Blüte seiner Jahre und stützt sich am Ende seines Lebens auf einen Stock – das haben Sie aber längst schon gewusst, oder?

Das Rätsel der Sphinx werden Sie im vorliegenden Buch also vergeblich suchen, aber ansonsten ist eine Vielzahl von rätselhaften Fragen der unterschiedlichsten Art auf den folgenden Seiten enthalten. Manche Rätsel sind viel einfacher, als sie auf den ersten Blick erscheinen – bei diesen kommt es einfach nur auf sorgfältiges Zuhören (oder Lesen) und auf den gesunden Menschenverstand an. Übrigens: Gerade bei den Lateralen empfiehlt es sich, sie in geselliger Runde anzugehen – die Aufgaben einem Kreis von Personen vorzusetzen, denn dadurch entwickelt sich sehr schnell eine unterhaltsame Eigendynamik, die dem langweiligsten Abend witzigen Schwung verleihen wird.

Andere Rätsel wiederum klingen furchtbar simpel, sind aber so verzwickt, dass man an der Lösung buchstäblich verzweifelt, auch wenn sie scheinbar so naheliegt. Ein Rätsel des kleinen Hobbits, das so wunderbar altmodisch daherkommt, wollen wir noch schnell vorstellen: »32 Schimmel auf einem roten Hang, erst malmen sie, dann stampfen sie und warten wieder lang.« Was ist hier gemeint? Nun – »die Zähne des Menschen« lautet die Antwort und jetzt bleibt Ihnen nur noch zu hoffen, dass Sie sich dieselben nicht auf den folgenden Seiten ausbeißen werden. Am ehesten könnte dies übrigens im fünften und letzten Kapitel passieren, denn da haben wir einige wirklich »harte Nüsse« versammelt. Diese sind in erster Linie für Menschen gedacht, die mit Zahlen umzugehen wissen, wobei mathematische Begabung nicht unbedingt Voraussetzung ist – Talent im simplen Kopfrechnen sollte schon genügen.

Viel Spaß beim Nachdenken und knobeln.

KAPITEL 1

Leichen im Keller, Tote im Wald, Verstorbene in der Wüste

Makabre Rätsel um mysteriöse Todesfälle

Einführung

Bei den Rätseln dieses ersten Kapitels handelt es sich um sogenannte »Laterale«. Das Wort stammt aus dem Lateinischen und steht für die Begriffe »seitlich« oder auch »seitwärts« – ein Hinweis auf die Art zu denken, die man bei dieser speziellen Sorte von Rätseln anzuwenden hat: Die Lösung liegt nahe, ist aber zuweilen nur auf verschlungenen (seitlichen?) Pfaden zu finden. Als »laterales Denken« bezeichnet man jene Form der Überlegung, die versucht, sämtliche Seiten eines Problems einzuschließen. Wichtig dabei: Auch scheinbar »abseitige«, unorthodoxe Gedankengänge, die uns auf den ersten Blick gar nicht logisch erscheinen wollen, müssen beachtet und verfolgt werden. Die Regeln sind denkbar einfach: Die Aufgabe wird gestellt und der Rätselnde muss nun versuchen, eine Lösung zu präsentieren. Das Besondere an Lateralen ist, dass sie ein Szenarium verbal präsentieren, wie es sich einem Betrachter darstellt. Im Klartext: Eine Situation wird beschrieben – zuweilen in kurzen, knappen Worten, zuweilen aber auch in ausufernden Geschichten. Ziel des Spiels ist es nun, jene Vorgänge zu enträtseln, die zu diesem »Bild« geführt haben. Dabei darf der Rätselnde Fragen stellen, Fragen, die nur und ausschließlich mit den Worten »Ja«, »Nein« oder auch »Egal« (irrelevant) beantwortet werden dürfen.

Um eine Aufgabe zu präsentieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann eine Geschichte erzählen – eine Geschichte, die auf den ersten Blick kaum eine Frage offenlässt, beim zweiten Hinhören aber völlig absurd klingt. Bei dieser Form der Fragestellung ist es wichtig, möglichst »blumig« zu formulieren, möglichst viele verschiedene »Pfade« (seitliche Abzweigungen) aufzumachen, möglichst viele Fakten mit hineinzupacken, die mit der Lösung durchaus etwas zu tun haben könnten, aber nicht zwangsläufig müssen. Der Fragende muss nun versuchen, unter all den vorgegebenen Details jene herauszufinden, die tatsächlich wichtig für die Lösung sind – also den »geraden« Weg zu entdecken, der ihn schnurstracks zur Lösung führt. Das klingt nicht so leicht, ist aber für den geübten Rätselfuchs meistens die einfachere Variante, weil man im Lauf der Zeit natürlich lernt, die relevanten Details aus so einer Geschichte herauszuhören und Übung darin bekommt, das Nebensächliche schnell auszusortieren.

Die andere Form der Aufgabenpräsentation ist schlicht: Die Situation, die es aufzulösen gilt, wird in einem oder zwei Sätzen präsentiert. Alles Weitere muss sich aus den Fragen ergeben, wobei natürlich die Möglichkeit besteht, dass es theoretisch mehrere Lösungen für die jeweilige Fragestellung gibt. Doch letztlich kann ja nur der Fragesteller entscheiden, welche Lösung er am Ende hören will, sodass er stets die Kontrolle behält.

Noch eine Kleinigkeit: Als »Personen« gelten nur und ausschließlich reale Menschen. Wenn also in einer Geschichte Tiere oder fiktive Persönlichkeiten wie Comichelden oder Romanfiguren vorkommen, so ist eine Frage, die sich auf diese(s) Wesen als »Person« bezieht, stets zu verneinen. Zum Beispiel: »Ist Dagobert (in der Geschichte ist Dagobert Duck gemeint) eine Person?« – »Nein.« – »Ist Dagobert ein Mensch?« – »Nein.«

Das war jetzt erst einmal eine ganze Menge Theorie. Um den Einstieg zu erleichtern, folgt nun ein Beispiel für die Laterale dieses Kapitels – ein Beispiel, bei dem nicht nur die zu lösende »Was-ist-passiert?-Frage« auf drei verschiedene Arten (ausführlich, verkürzt und knapp) präsentiert wird, sondern auch jeweils Lösungswege und natürlich die Auflösung vorgestellt werden. Die Lösungen für die übrigen Rätsel finden Sie am Ende des Buches. Viel Spaß.

BEISPIEL

Ausführliche Variante:

Frühling in Tirol. Von ferne hört man eine Lerche singen – garantiert keine Nachtigall. Ein Bächlein rauscht fröhlich plätschernd dahin, die grüne Wiese ist noch ein wenig feucht. Ein Häschen hoppelt satt und schwerfällig vorüber – eine reife Mohrrübe hat sein Bäuchlein gefüllt. Der Wind rauscht sanft in den Wipfeln der nahen Birken. Der Blick des Betrachters fällt auf einen kleinen Bauernhof. Kühe muhen dort im Stall, eine geschäftige Landfrau trägt einen Eimer Milch über den Hof in die Wohnstube. Kinderlachen schallt aus der Scheune. Kinderlachen? Nein, ein Kindlein steht am Zaun, blickt auf die Wiese hinüber und weint bitterlich. Der Vater, angetan mit schweren Gummistiefeln und einer grob gewebten Hose tritt hinzu, streicht dem kleinen Bub tröstend über den Kopf und murmelt ihm etwas ins Ohr. Eine Elster stößt sich vom Wipfel einer Tanne ab, fliegt pfeilschnell in Richtung Erdboden, doch die beiden Kohlenstücke, die auf der Wiese liegen, stellen keinen Wert für sie dar, sodass sie sich missmutig wieder in den azurblauen Himmel schwingt. Das Kind jedoch weint weiterhin und auch des Vaters tröstende Worte helfen nur wenig. Die Zukunft, ach, die Zukunft – sie liegt doch so fern, die Tragödie des Kindes jedoch, die ist soeben erst vollendet. Was ist geschehen?

Verkürzte Variante:

Neben einem Tiroler Bauernhof liegt eine grüne Wiese, die noch ein wenig feucht ist. Ein Häschen hat dort soeben eine Mohrrübe verspeist, in den Wipfeln der nahen Birke singt eine Lerche. Am Zaun des Bauernhofs steht ein kleiner Bub und weint. Der Vater tritt hinzu und flüstert ihm tröstend ein paar Worte ins Ohr. Doch als eine Elster im Sturzflug auf zwei Kohlenstücke, die auf der Wiese liegen, hinunterstürzt, nur um sich gleich darauf wieder in die Luft zu erheben, weint der Bub noch lauter, kann gar nicht mehr aufhören. Was ist geschehen?

Knappe Variante:

Ein Tiroler Häschen hat eine Mohrrübe gegessen, zwei Kohlen liegen auf der feuchten Wiese und ein Kind kann nicht aufhören zu weinen. Was ist geschehen?

• • •

Drei Varianten, eine Geschichte. Alle drei Beispiele haben mehrere Dinge gemeinsam und doch alle ein und denselben Kern. Ein Hase, der eine Mohrrübe gegessen hat, zwei Kohlenstücke und ein weinendes Kind. Alle Details, die ansonsten in der ersten und zweiten Variante erwähnt werden, dienen einerseits natürlich der Ablenkung – führen somit auf »seitliche Pfade« –, sind aber andererseits auch durchaus »Futter« für den Denkapparat.

Im Folgenden beschreiben wir ein Frage-und-Antwort-Spiel, das sich aus diesem Lateral ergeben könnte:

Frage: Ist es wichtig, dass die Geschichte in Tirol spielt?

Antwort: Nein.

Frage: Weint das Kind, weil es das Häschen sieht.

Antwort: Nein.

Frage: Hat die Lerche etwas gegen die Elster?

Antwort: Egal.

Frage: Hat der Vater dem Kind etwas verboten?

Antwort: Nein.

Frage: Ist es von Bedeutung, dass die Wiese feucht ist?

Antwort: Ja.

Frage: Sind die Kohlen ein Symbol?

Antwort: Ja.

Frage: Sind die Kohlen wichtig für das Kind?

Antwort: Nein.

Na – schon etwas rausbekommen? Nein. Na gut – die Auflösung können wir kurz machen. Sie lautet: Der Schneemann ist geschmolzen.

Die längere Variante der Antwort würde lauten: Der Schneemann, den der kleine Bub einige Zeit vor diesem Tag gebaut hat, ist in der Frühjahrssonne geschmolzen, genau wie der übrige, ihn umgebende Schnee auf der Wiese, die deshalb noch sehr feucht ist. Nur noch die Mohrrübe, einst die Nase des Schneemanns, die gerade ein Hase gefunden und verspeist hat, sowie zwei Kohlenstücke, die die Augen bildeten, sind übrig geblieben. Deshalb weint das Kind und deshalb wird es vom Vater getröstet, der ihm sagt, dass es im nächsten Winter wieder einen Schneemann bauen kann.

Besonders spannend sind diese Rätselspiele in größeren Runden. Einer stellt die Aufgabe (und sollte natürlich die Lösung kennen) – die anderen bombardieren ihn mit Fragen. Der Aufgabensteller muss natürlich – Sie haben es im Beispiel schon gemerkt – bei den Antworten vorsichtig und genau sein. Vor allem Fragen nach der Bedeutung einer Sache gilt es abzuwägen: »Ist es wichtig, dass die Wiese feucht ist?« ist beispielsweise eine Frage, die genau überlegt sein muss. »Nein, denn das Kind weint nicht aufgrund der nassen Wiese«, aber: »Ja, weil es ein Hinweis darauf sein könnte, dass der Schnee auf der Wiese erst vor Kurzem abgetaut ist.« Eine gewisse Entscheidungsfreudigkeit ist also gefragt, und natürlich Einfühlungsvermögen in die jeweiligen Mitspieler. Wenn man als Aufgabensteller das Gefühl hat, dass die Fragenden sich ganz und gar auf dem falschen Dampfer befinden, kann man mit Ton und Mimik selbstverständlich kleine Hilfestellungen geben. Statt eines klaren »Nein«, könnte somit zuweilen auch ein »Mmmhm…neieein« als Antwort kommen – zumindest ein Indiz dafür, dass hier ein Körnchen richtiger Ansatz verborgen sein könnte, ein Hinweis darauf, dass die Frage womöglich nur ein wenig umformuliert werden müsste. Aber natürlich ergibt sich auch die Art der Beantwortung nach einer gewissen Übung von selbst.

Und damit jetzt zu unserer Rätsel-Auswahl. Wir präsentieren zu jedem Lateral die drei angesprochenen Varianten. Welche Sie für das Spiel mit ihren(m) Partner(n) auswählen, bleibt Ihnen überlassen, doch ist die Variante 1 für ungeübte Spieler eher zu empfehlen, während die knappste Variante in der Regel für Profis ist.