© by Atrium Verlag AG, Zürich, 2013
Alle Rechte vorbehalten
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Erstveröffentlichung: Atrium Verlag AG, Zürich, 1956
Cover: www.b3k-design.de, Andrea Schneider und Max Bartholl, unter Verwendung des Konzeptes von Christoph Krämer
Coverillustration von Hans Traxler, 2013
E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde 2013
ISBN 978-3-03792-034-3
Lust auf mehr?
www.atrium-verlag.com
www.atrium-verlag.com/e-books
Dieses Buch ist ein Theaterstück, und der Plan hierzu ist zwanzig Jahre alt. Damals wurden viele, mit ihnen der Autor, um alle Hoffnungen ärmer und um eine Erfahrung reicher. Sie erfuhren, am deutschen Beispiel, dass sich der Mensch, unter Beibehaltung seiner fotografischen Ähnlichkeit, bis zur Unkenntlichkeit verunstalten lässt. Dressierte Hunde, auf den Hinterbeinen hüpfend und in Puppenkleidern, wirken abscheulich genug – aber der dressierte, seine Würde und sein Gewissen apportierende, der als Mensch verkleidete Mensch ist der schrecklichste Anblick. Und obwohl er jeder Beschreibung spottet, wurde versucht, ihn zu beschreiben.
Dieses Buch ist ein Theaterstück und könnte für eine Satire gehalten werden. Es ist keine Satire, sondern zeigt den Menschen, der sein Zerrbild eingeholt hat, ohne Übertreibung. Sein Zerrbild ist sein Porträt. Kann ein solches Stück herkömmlich dankbare Rollen haben? Nein. Einen nuancierenden, die Figuren unterscheidenden Dialog? Nein. Eine Entwicklung der Charaktere? Nein. Tragische Konflikte? Nein! Dergleichen lässt der degradierte, der auf den Hinterbeinen tanzende Mensch nicht zu. Größe und Schuld, Leid und Läuterung, Wahrzeichen einer edlen Dramaturgie, liegen im Staub. Man muss es beklagen, doch zuvor muss man es bemerken.
Dieses Buch ist ein Theaterstück, und zwar, wollte man es etikettieren, eine Haupt- und Staatsaktion. Eine blutig-burleske Diktatur wird durch eine tugendhafte Rebellion beseitigt. Dann wird der Rebell ermordet, und die nächste Diktatur etabliert sich. Er war für sie nur das Vehikel. Er war ihr Trojanischer Esel. – Zwei Regierungen werden gestürzt, und beide nach den klassischen Regeln des Staatsstreichs. Doch zu den alten gesellen sich neue Methoden. Auch der Bürgerkrieg kennt moderne Waffen. Sprach früher ein Tribun zu fünftausend Männern, so sprach er zu fünftausend Männern. Spricht er heute zu zehn Millionen, so spricht er entweder zu zehn Millionen oder, wenn in der Tonkabine an einem Knopf gedreht wird, zu niemandem. Er ist besiegt und weiß es nicht. Er glaubt zu leben und ist tot. Die Technik des Staatsstreichs hat mit dem Staatsstreich der Technik zu rechnen.
Dieses Buch ist ein Theaterstück und hat ein Anliegen. Der Plan ist zwanzig Jahre alt, das Anliegen älter und das Thema, leider, nicht veraltet. Es gibt chronische Aktualitäten.
München, 1956
Erich Kästner
Der Kriegsminister |
Der Achte |
Der Premier |
Der Neunte |
Der Leibarzt |
Paula |
Der Professor |
Doris |
Der Inspektor |
Stella |
Der Präsident |
Eine Wirtin |
Seine Frau |
Ein Matrose |
Sein Sohn |
Ein Hausierer |
Der Major |
Ein Buchhalter |
Der Stadtkommandant |
Ein Halbwüchsiger |
Der Vierte |
Ein junges Mädchen |
Der Fünfte |
Der Nuntius |
Der Sechste |
Der Doyen |
Der Siebente |
Der Zehnte, der Elfte, der Zwölfte, der Dreizehnte, der Vierzehnte, ein Panzerleutnant, ein Unteroffizier, zwei Soldaten.
Saal in modernisiertem Palast. Feierlicher Staatsakt. Mikrophone. Blumen. Embleme. Auf thronähnlichem Sessel der Präsident, mit Gehrock, Ordensband, Schnurr- und Backenbart. (Nötiger Hinweis: Haar- und Barttracht dürfen, um von Sache und Sinn nicht abzulenken, keinesfalls Erinnerungen an Figuren der neueren Geschichte wachrufen.) In angemessenem Abstande, nicht erhöht, sitzen die Gattin des Präsidenten und der Sohn. Sie: üppig, späte Reize, in Pose. Er: jung, gebildet, scheinbar uninteressiert, ernst.
Auf der einen Bühnenseite, stehend, livrierte Diplomatie. An ihrer Spitze der Doyen und der Nuntius.
Auf der anderen Bühnenseite der Kriegsminister, im Rollstuhl, voller Orden, ohne Beine. Neben ihm, stehend, der Leibarzt und, in Galauniform, der Stadtkommandant. Der Leibarzt: rundlich, jovial. Der Stadtkommandant: kühler Generalstäbler.
Neben den offenen Flügeln des Balkons der Inspektor, Majordomus des Präsidialhaushalts, Herr der Diener, Diener jedes Herrn. Vor dem Präsidenten, in der Bühnenmitte, an einem der Mikrophone, der Premier- und Innenminister. Man hört seine Ansprache, wie später die Antwort des Präsidenten, zwiefach: einmal direkt, zweitens, leicht nachklappend, vom offenen Balkon her, durch die Lautsprecher auf dem Großen Platz. Der Premier spricht ohne Konzept.
PREMIER am Schlusse seiner Rede
Kabinett, Senat und Volk – das heißt, alle außer einem – bitten ihren Präsidenten – und das heißt, eben diesen Einen –, bitten und bestürmen ihn, den Neugestalter unseres Staates, sein schweres Amt auf Lebenszeit ausüben zu wollen. Dieser bis auf seine Stimme einstimmige Wunsch bedarf, das weiß jeder, keiner Abstimmung und Zählung. Die Wahlurne wartet nur noch auf ein Votum, auf das seine. Freilich, die Unabsetzbarkeit, die wir als unwiederholbare Ehrung meinen, ist im Grunde, wir wissen es, eine Bürde ohne Grenze, eine Zumutung bis ans Grab. Wenn wir ihn, den Einen, trotzdem bitten und bestürmen, so nur, weil ohne ihn Volk und Staat ohne Kopf und Hand wären. Im Zeitalter des Absolutismus durfte ein König von sich sagen, der Staat sei er. Das war eine Lüge ins Gesicht der Geschichte, und fürstliche Anmaßung war es obendrein. Erst wenn wir den Satz aufgreifen, die Regierten statt des Regenten, empfängt er, endlich, Sinn und Würde. So verstanden, wollen wir unsere allstimmige Bitte, den Artikel über Ihre Unabsetzbarkeit durch Ihr Ja zu ratifizieren, in dem Ruf ausklingen lassen: Der Staat, unser Staat, sind Sie! (Verneigt sich tief, tritt zum Kriegsminister, der ihm kernig die Hand drückt.)
INSPEKTOR hat beizeiten am Balkon ein Zeichen nach draußen gegeben.
SPRECHCHÖRE mechanische, einstudierte Begeisterung der Massen auf dem Großen Platz
Präsident – sag Ja! Präsident – sag Ja! Der Staat – bist du! Der Staat – bist du!
PRÄSIDENT zieht langsam sein Manuskript aus der Brusttasche.
INSPEKTOR gibt ein zweites Zeichen. Die Sprechchöre verebben. Draußen und im Saal tiefe Stille.
PRÄSIDENT liest, sitzend und ins Mikrophon sprechend, die Rede ab. Pausen zwischen den Sätzen. Tonart markig. Bei Steigerungen prahlend
Ich bin bekanntlich kein Freund vieler Worte. Ich ziehe es vor, Taten sprechen zu lassen. Die Welt weiß das. Ich habe nicht die Absicht, meinen Jargon zu wechseln. Die Weltgeschichte wird es eines Tages wissen. Manches haben wir im Lauf der Jahre durch die knappe, international verständliche Sprache der Taten erreicht. Die Freunde achten uns. Die Feinde fürchten uns. Das ist in unserem verfehlten Jahrhundert keine Selbstverständlichkeit mehr. Nicht in den Staaten. Nicht zwischen den Staaten. Wir haben unsere Grenzen ausgedehnt. Nicht etwa, um unsere Macht zu beweisen. Wirkliche Macht hält keine Manöver ab. Sondern um abgesprengte Teile unseres Volkes heimzuholen. Im Land herrschen Ruhe und Einmütigkeit. Es bedurfte keiner Überredung. Das Volk wurde überzeugt. Noch gibt es vereinzelte Widersacher. Neinsager aus Profession und Verräter in fremdem Sold und Auftrag. Aber sie hocken im Mauseloch der Angst. Ein Schritt, ein Satz genügt, und sie sitzen in der Falle. Mauseloch oder Mausefalle, die Leute haben die Wahl. Diese und keine andre. Man lasse es sich gesagt sein. Die Arbeit wurde erst halb getan. Ganze Arbeit ist nötig. Wer soll sie leisten? Wer kann sie leisten? Verantwortung ist unteilbar. Pflichtgefühl kennt, außer dem letzten Stündchen, keine Termine. Gegen das Amt und die Ehre, zu denen man mich auf Lebenszeit verurteilt hat, gibt es, vor Volk und Geschichte, keine Berufungsinstanz. Ich danke also für die schwere Last, die man mir hier und heute aufbürdet. Ich nehme Amt, Ehre und Bürde an!
INSPEKTOR gibt einen Wink nach draußen.
SPRECHCHÖRE wieder in konfektionierter Begeisterung
Hoch! Hoch! Hoch! Präsident – hab Dank! Präsident – hab Dank!
Von fern Kanonensalut.
KRIEGSMINISTER schaut auf die Armbanduhr, nickt dem Stadtkommandanten befriedigt zu.
PRÄSIDENT steckt das Manuskript in die Brusttasche zurück.
SPRECHCHÖRE
Wir wollen – den Präsidenten – sehn! Wir wollen – den Präsidenten – sehn! Präsidenten – sehn! …denten – sehn!
PRÄSIDENT steht auf und steigt vom Podium.
GATTIN und SOHN erheben sich.
PRÄSIDENT reicht der Gattin den Arm. Beide, hinter ihnen der Sohn, schreiten dem Balkon zu.
DIPLOMATIE verneigt sich konventionell.
INSPEKTOR gibt nach draußen ein Zeichen.