Der neue Sonnenwinkel
– 22 –

Gefahr im Paradies

Der Sonnenwinkel wehrt sich gegen eine Diebesbande

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-667-0

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Ein uniformierter Polizist vor der eigenen Haustür. Da gingen einem viele Gedanken durch den Kopf.

Habe ich falsch geparkt? Bin ich zu schnell gefahren?

Ist etwas Schreckliches passiert?

Nein, dieser Gedanke kam Inge Auerbach überhaupt nicht. Sie hatte zwar glücklicherweise persönlich eine solche Erfahrung nicht machen müssen, doch aus den Fernsehfilmen wusste man ja, dass in solchen Fällen immer zwei Beamte in Zivil vor der Tür standen, um die Nachricht zu überbringen.

Außerdem, hier war alles anders, dieser Polizist stand ja nicht einmal vor der Haustür, sondern kam durch den Garten gelaufen und fotografierte.

Inge erholte sich sehr schnell von ihrer Überraschung.

»Was tun Sie in meinem Garten, und warum fotografieren Sie?«, herrschte sie den Mann an.

Der kam seelenruhig näher.

»Frau Auerbach?«, erkundigte er sich.

Inge nickte bestätigend. Der Mann war ihr unangenehm, und sie hatte ihn auch noch nie gesehen. In der Siedlung gab es keine eigene Polizeistation, die befand sich in Hohenborn. Und da tummelten sich die Polizeibeamten auch nicht. Die Anzahl war überschaubar, und wenn es auch keine persönlichen Kontakte gab, so kannte man sich doch vom Sehen.

»Schön, dass ich Sie doch noch antreffe. Ich bin Kommissar Lehmann«, stellte er sich vor.

»Schön, aber Sie haben meine Fragen noch nicht beantwortet, Herr Lehmann.«

Er war ein unangenehmer Mensch. Inge konnte das nicht an etwas festmachen, sie fühlte es. Es konnte sein, dass es aber auch an seinem stechenden, kalten Blick lag.

»Ach so, ja, nun, dass ich hier bin, das ist eine reine Präventionsmaßnahme. Kollegen und ich kontrollieren die ganze Siedlung und beraten die Bewohner, wie sie sich vor Einbrüchen schützen können. Die Einbrüche nehmen zu, und es ist auf den ersten Blick zu sehen, dass hier keine armen Leute wohnen.«

Inge bekam ein ungutes Gefühl. Warum glaubte sie ihm nicht?

»Und für diese Präventionsmaßnahmen müssen Sie um das ganze Haus gehen und Fotos machen?«

Er wusste auf alles eine Antwort.

»Na klar, je intensiver wir uns alles ansehen, umso präziser können wir beraten.«

Inge fühlte sich in seiner Gegenwart unbehaglich, dabei war an seinem Aussehen nichts auszusetzen. Er trug eine ordentliche Uniform, sah sauber und adrett aus.

»Herr Lehmann, darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?«, erkundigte sie sich bei ihm.

Er zögerte nicht, gab ihr den Ausweis, und Inge wurde unsicher. Ließ sie sich jetzt von ihren Gefühlen leiten, und der Mann war wirklich ein harmloser Polizist? Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie solche Dienstausweise eigentlich aussahen, bislang wurde ihr noch nie zuvor einer vor die Nase gehalten. Sie warf einen Blick darauf, überlegte, dann sagte sie: »Herr Lehmann, Sie haben doch nichts dagegen, dass ich mich bei Ihrer Dienststelle erkundige? Gewiss kommen Sie von der Polizeistation in Hohenborn, oder?«

Inge griff nach ihrem Handy, um die Polizei anzurufen, er warf ihr einen beinahe hasserfüllten Blick zu, dann drehte er sich abrupt um, um wegzulaufen. Inge versuchte, ihn festzuhalten, er stolperte, dabei fiel ihm das Smartphone aus der Hand, mit dem er die Fotos gemacht hatte, doch Inge stellte geistesgegenwärtig einen Fuß darauf.

Er wollte sie wegschubsen und dabei handgreiflich werden, als ein Nachbar am Haus vorbeiging.

»Hallo, Frau Auerbach«, rief er freundlich.

Herr Lehmann, der Polizist, war für einen Moment verunsichert, dann lief er weg, wenig später hörte man nicht weit entfernt einen Motor aufheulen.

Was war das jetzt gewesen? Inge kam es vor, als sei sie unfreiwillig die Darstellerin in einem schlechten Film geworden.

Welch ein Glück, dass ihr Nachbar gerade vorbeigekommen war, Inge hatte keine Ahnung, was sonst noch passiert wäre.

Sie bückte sich, hob das Smartphone auf.

Dann rief sie: »Hallo, Herr Odenwald, haben Sie einen Moment für mich?« Der Mann blieb stehen, kam zurück.

»Der Beamte schien es ja plötzlich eilig zu haben, gewiss wurde er zu einem Einsatz gerufen«, sagte er arglos.

»Sie kennen den Polizisten?«

»Nein, nicht wirklich, aber er hat sich bei uns umgesehen, hat uns Tipps gegeben, wie wir uns vor Einbrechern schützen können. Eine nette Aktion von der Polizei, doch hoffentlich wird so etwas wie ein Einbruch hier bei uns im Sonnenwinkel niemals geschehen. Bis jetzt hatten wir Glück, und so soll es auch bleiben.«

Er war völlig entspannt.

»Herr Odenwald, haben Sie sich von dem Polizisten den Ausweis zeigen lassen?«, wollte sie wissen.

Herr Odenwald blickte seine Nachbarin ein wenig verwundert an.

»Wozu das denn, Frau Auerbach?«, erkundigte er sich ein wenig erstaunt. »Warum hätte ich das denn tun sollen? Es war schließlich nicht zu übersehen, dass es sich da um einen Polizisten handelte.«

Inge konnte es nicht glauben. Seine Worte schlugen wirklich dem Fass den Boden aus. Eine Uniform reichte aus, um jemandem etwas vom Pferd erzählen zu können?

»Herr Odenwald, ich habe mir den Ausweis zeigen lassen. Das hat diesem Menschen überhaupt nicht gefallen. Und als ich ihm sagte, den Dienstausweis überprüfen lassen zu wollen, da hatte dieser scheinbare Polizist es sehr eilig. Zum Glück konnte ich sein Smartphone sichern, mit dem er die Fotos gemacht hat. Wir werden bestimmt so manche Überraschung erleben. Auf jeden Fall ist es Ihnen zu verdanken, Herr Odenwald, das war der perfekte Augenblick, dass Sie hier vorbeikamen. Ich weiß nicht, wozu dieser Mensch sich sonst noch hätte hinreißen lassen. Es hat ihm nämlich überhaupt nicht gefallen, dass ich ihm auf die Schliche gekommen bin.«

Der arme Herr Odenwald war bei Inges Worten ganz blass geworden. Er konnte es kaum glauben und stammelte: »Sie meinen, er wollte uns nur ausspionieren?«

Inge nickte.

Herr Odenwald schluckte.

»Es ist unfassbar, wir haben ihm geöffnet, haben ihm bereitwillig alles gezeigt, erzählt, haben ihn herumgeführt. Er weiß jetzt über uns Bescheid, und nun muss er nur noch zulangen.«

Er schüttelte den Kopf. »Frau Auerbach, eine solche Dreistigkeit kann es doch eigentlich nicht geben.«

Der arme Mann konnte einem leidtun, sein Weltbild hatte sich gehörig verschoben. Er blickte Inge beinahe Hilfe suchend an.

»Und was soll jetzt geschehen?«

Da hatte Inge eine Idee. »Ich fahre jetzt nach Hohenborn zur Polizei, schildere den Vorfall, überreiche das Smartphone und kann nur hoffen, dass nach diesem Verbrecher sofort eine Fahndung eingeleitet wird. Ich frage mich nur, wie er an diese Uniform gekommen ist. Die sah auf jeden Fall echt aus.«

Das fand Herr Odenwald ebenfalls, und er begrüßte Inges Vorschlag, ja er wollte sie sogar begleiten, doch davon wollte Inge nichts wissen, weil sie da eine bessere Idee hatte.

»Das kann ich allein machen, doch Sie sollten von Haus zu Haus gehen und herausfinden, wo dieser falsche Polizist, der natürlich in Wirklichkeit nicht Lehmann heißt, überall aufgetaucht ist. Das erspart der Polizei Arbeit.«

Diese Idee gefiel Herrn Odenwald, er fand sie großartig, und er zog auch sofort los, während Inge sich erneut in ihr Auto setzte, um nach Hohenborn zu fahren. Sie hatte sich ihre Heimkehr wahrlich anders vorgestellt. Sie war so glücklich gewesen, sie hatte sich weiter den Gedanken an die kleine Teresa hingeben wollen und natürlich auch an ihre Ricky, die eine so großartige Mutter war.

Und mitten hinein in ihre Glücksgefühle war dieser Betrüger aufgetaucht. Es gehörte schon eine ganze Menge von Kaltblütigkeit und Dreistigkeit dazu, von Haus zu Haus zu spazieren und es auszukundschaften für einen lohnenswerten Einbruch.

Inge war nicht eitel, doch jetzt war sie schon ein wenig stolz auf sich, diesen falschen Polizisten nicht nur entlarvt, sondern auch noch sein Smartphone gesichert zu haben, das war bestimmt gutes Beweismaterial für die Polizei. Nun ja, sie hatte Glück, denn wäre Herr Odenwald nicht vorbeigekommen, wer weiß, welchen Ausgang es dann genommen hätte.

Was für ein Tag!

Inge beschleunigte ein wenig das Tempo. In einem solchen Fall war es ja wohl erlaubt. Und da würde man sogar bei einer Verkehrskontrolle Verständnis haben.

Hoffentlich kam das nicht in die Zeitung und man würde sie namentlich erwähnen. Das wollte Inge auf keinen Fall.

*

Inge wollte gerade das Gebäude betreten, als ein Mann durch die Tür kam, den sie sofort erkannte. Es war Benno Tümmler, der Polizeidirektor, der damals mit seiner Frau Mia unbedingt in Rickys Haus einziehen wollte.

Sie hatten sich anders entschieden, und hoffentlich war er jetzt nicht mehr sauer auf sie.

Inge dachte an den Satz – Angriff ist die beste Verteidigung, und deswegen begrüßte sie den Mann freundlich, der sie ebenfalls sofort erkannte.

»Frau Auerbach«, rief er, »ich bin wirklich erstaunt, Sie hier zu sehen. Sie haben doch hoffentlich nichts ausgefressen?«

Diese Worte begleitete er mit einem Lächeln.

»Ich nicht«, antwortete Inge. »Doch es ist etwas passiert, was mich ziemlich beunruhigt.«

Dann erzählte sie ihm, was sich ereignet hatte, und er konnte das kaum glauben.

»Die Einbruchsdiebstähle nehmen rasant zu, jetzt hat es also auch den Sonnenwinkel eingeholt. Frau Auerbach, es ist eine unglaubliche Geschichte. Respekt, wie Sie damit umgegangen sind. Eigentlich sollte es mich nicht wundern, ich habe Sie als eine couragierte Frau kennengelernt. Schade, dass ich jetzt zu einem Termin muss, sonst hätte ich mich der Sache angenommen. Bitte gehen Sie ins Obergeschoss zum Einbruchsdezernat zu Kriminalhauptkommissar Fangmann und sagen Sie dem, dass ich Sie geschickt habe.« Er wollte sich von Inge verabschieden, als ihm noch etwas einfiel: »Es ist ja so schade, dass die Feste bei den Münsters und bei Frau von Rieding und Herrn Heimberg nicht mehr stattfinden. Dass die einmal wegziehen, das hätte ich niemals für möglich gehalten. Aber so ist das Leben. Sagen Sie, weiß man schon etwas über den neuen Besitzer?«

Inge hätte ihm jetzt sagen können, dass sie dessen Namen gehört hatte, aber sie hatte keine Lust auf Konversation, sie wollte, dass man nach diesem falschen Polizisten fahndete.

»Tut mir leid, nichts. Aber ich denke, Sie werden beizeiten von ihm erfahren, wenn er so etwas wie einen Empfang geben wird. Sie als Chef der Polizei werden doch auf jeden Fall dabei sein.«

Benno Tümmler fühlte sich geschmeichelt, dann allerdings fiel ihm ein, dass er doch einen Termin hatte, und deswegen verabschiedete er sich schnell von Inge, die es wiederum eilig hatte, hinauf ins Raubdezernat zu gehen.

Inge hatte zwar das Polizeigebäude noch nicht von innen betreten, aber irgendwie unterschieden sich Behörden, Amtsgebäude kaum voneinander. Sie waren alle unpersönlich, steril und alt.

Sie könnte in einem so seelenlosen Bau nicht arbeiten. Auch nicht als Polizeidirektor. Dafür musste man geboren sein.

Aber sie war auch nicht hier, um über so etwas nachzudenken.

Es kam darauf an, an einen tüchtigen, kompetenten Beamten zu geraten, und da konnte der ihretwegen auf einem wackeligen Stuhl oder an einem verstaubten Schreibtisch sitzen.

Inge fand das Zimmer von Kriminalhauptkommissar Henry Fangmann sehr schnell, und sie hatte kaum angeklopft, als sie auch schon hereingebeten wurde.

Es war eine sehr angenehme Männerstimme, das war das Erste, was ihr auffiel, und sie war überrascht, als sie das Büro betrat. Es war zweckmäßig und modern eingerichtet, und auf der Fensterbank gab es auch nicht, wie sonst in Ämtern häufig üblich, eine aus Ablegern gezogene Grünpflanze. An einer weißen Wand hing ein großes Bild eines Surfers, der mit hohen Wellen kämpfte.

Henry Fangmann mochte so Mitte Dreißig sein, er war sportlich, hatte braune Augen und einen offenen Blick.

Er sah ihr interessiert entgegen, und Inge sagte ihm, was sein Chef ihr aufgetragen hatte, dann erzählte sie ihm ihre Geschichte, und er hörte aufmerksam zu.

Als sie ihm das Smartphone auf den Tisch legte, lächelte er sie an.

»Das haben Sie großartig gemacht, Frau Auerbach«, lobte er sie, »es ist gut, dass Sie sofort hergekommen sind.« Er griff nach dem Smartphone, und dann sah er sich gemeinsam mit Inge die Fotos an. Es waren nicht nur viele Häuser vom Sonnenwinkel darauf zu sehen, sondern auch welche aus anderen Orten. Leider stellte sich sehr schnell heraus, dass das Smartphone gestohlen worden war, darüber würde sich der falsche Polizist nicht identifizieren lassen.

»Frau Auerbach, können Sie eine Beschreibung des Mannes geben?«

Das konnte Inge, dieses Gesicht würde sie nie vergessen.

Sie war allerdings sehr überrascht, dass jetzt niemand mit Stift und Papier ins Zimmer kam, um nach ihren Angaben eine Zeichnung anzufertigen, sondern dass man das heute auf dem Computer erledigte. Trotzdem war es für Inge eine aufregende Geschichte, und sie war hinterher sehr stolz auf sich, weil sie eine so exakte Beschreibung abgeben konnte, sie war über sich selbst erstaunt, nach diesem Bild würde man den Mann finden.

Auch Henry Fangmann war überrascht, mit welcher Präzision diese Frau ihre Beschreibung abgegeben hatte.

»Sie haben eine sehr gute Beobachtungsgabe, Frau Auerbach«, lobte er sie schon wieder, und Inge freute sich wie ein kleines Kind. Sie war jedoch sehr schnell wieder ernüchtert, als sie erfuhr, wie sehr die Einbruchsrate gestiegen war, dass ganze Einbrecherbanden unterwegs waren und dass die Aufklärungsquote leider niedrig war, da die Verbrecher wieder weiterzogen.

»Es macht mir schon ein wenig Angst, dass bei uns in der Siedlung die Häuser so gut ausgekundschaftet wurden. Für die Verbrecher ist das doch jetzt nur noch ein Durchmarsch, diesem falschen Polizisten wurde nicht nur bereitwillig Auskunft gegeben, nein, ihm wurden auch noch die Räumlichkeiten gezeigt.«

Henry Fangmann schloss sich ihrer Meinung nicht an.

»Sie haben ihm das Smartphone abgenommen, er kann davon ausgehen, dass Sie zur Polizei gehen werden, und natürlich werden wir jetzt Streifen in die Straßen schicken und die Häuser beobachten. Ich kann meine Hand nicht ins Feuer dafür legen, dass Sie vor Einbrechern sicher sein werden, aber ich denke, dass sie erst einmal nicht kommen werden. Die gehen kein Risiko ein. Dank Ihres Handelns wurde das Unheil erst einmal abgewendet. Ich weiß nicht, wie Ihr Haus abgesichert ist gegen Einbruch, aber es gibt schon ein paar Maßnahmen, es den Einbrechern schwer zu machen. Wenn Sie möchten, dann schicke ich Ihnen einen Kollegen vorbei, der sich da bestens auskennt.« Er lächelte. »Einen echten Polizeibeamten.«

Dann nahm er sein Protokoll auf, das Inge unterschrieb, er versprach, sich auch mit Herrn Odenwald in Verbindung zu setzen, er bedankte sich noch einmal bei Inge, und die ging.

Sie war noch ganz aufgeregt, als sie das Gebäude verlassen wollte und blieb überrascht stehen, als sie Rosmarie sah, die es gerade betreten wollte.

»Rosmarie, ich hätte mit allem gerechnet, aber mit dir ganz gewiss nicht. Was machst du denn hier?«

Rosmarie rief: »Das kann ich dich auch fragen.«

Inge erzählte es ihr, und Rosmarie bemerkte: »Dann bist du ja auch eine Heldin.«

»Wieso auch?«, wollte Inge wissen.

»Na, der andere Held ist mein Heinz, der hat nämlich Einbrecher in unserer Villa verjagt, und ich bringe nur noch die Liste mit den Gegenständen vorbei, die bei uns gestohlen wurden.«

Inge musste sich am Geländer festhalten.