ANDREAS BRAUN
DIE WAHRHEIT
ÜBER SCHWABEN
ANDREAS
BRAUN
DIE WAHRHEIT
ÜBER SCHWABEN
EINE
ENTHÜLLUNG
IN SIEBEN
KAPITELN
Der Autor:
Andreas Braun(57) ist Geschäftsführer der
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württem-
berg. Der geborene Reutlinger war Redakteur
bei der »Stuttgarter Zeitung«, 1997 bis 2009
Chefredakteur von »Sonntag Aktuell« und hat
etliche Bücher über das Land, seine Menschen,
Landschaften und Weine verfasst.
1. Auflage 2016
© 2016 by Silberburg-Verlag GmbH,
Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.
Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung:
Christoph Wöhler, Tübingen.
E-Book im EPUB-Format:
ISBN 978-3-8425-I754-7
E-Book im PDF-Format:
ISBN 978-3-8425-I755-4
Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1497-3
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Schillernd und vieldeutig – so lässt sich der Begriff »Schwaben« in aller Kürze charakterisieren. Das macht ihn faszinierend und polarisiert zugleich. In den Köpfen vieler Menschen erstehen die unterschiedlichsten Bilder. Die wiederum sind geprägt von Erfahrungen und Gelerntem, mehr noch von Klischees, Stereotypen und Folklore. Vielfach schwingen auch Emotionen mit. Und manchmal erfüllt das Wort ganz bestimmte Funktionen, zum Beispiel im Streit oder in der Vorwurfskommunikation. Wer sich mit Schwaben beschäftigt, muss tief in die reale Geschichte eintauchen, sich aber auch auf die Fiktion verstehen. Will heißen: Auch mit den Darstellungen, Erdichtungen und Bildern gilt es sich auseinanderzusetzen sowie nach deren Ursachen und Hintergründen zu fragen.
Der Volkskundler Hermann Bausinger nannte Schwaben einen offenen, nie genau abgegrenzten Begriff. Und Schwaben-Kenner Thaddäus Troll stellte einst fest, als Volk oder Stamm seien die Schwaben konfessionell, ethnisch und historisch »zerfasert«, als Gebiet sei Schwaben ein »Fleckerlteppich«. Ist Schwaben folglich gar nicht objektivierbar? Ein Hirngespinst? Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Es gibt Fakten und Faktisches. Wer könnte zum Beispiel einer Maultasche oder einer Schüssel voll Spätzle entgegenhalten, sie seien nicht real, gewissermaßen gar nicht existent? Und außerdem macht es ja auch Spaß, sich mit Assoziationen und Mythen, mit subjektiven Sichtweisen und Geschichten zu befassen. Mitunter wird’s dabei sogar richtig politisch und aktuell.
Im Kern also ist der Begriff Schwaben ein Rätsel, das gelöst werden will.
Der Autor, ein echter Schwabe, hat versucht, sich dem Unfassbaren anzunähern. Es wurde ein spannendes, lehrreiches und vergnügliches Unterfangen. Hoffentlich auch für viele Leserinnen und Leser.
W as ist das Einzige, was Baden mit Württemberg verbindet? Der Bindestrich! Dieser – badische – Witz stammt aus einer Zeit der noch offenen Wunden und hitzigen Auseinandersetzungen. Darüber hinweggegangen sind Kreisgebietsreformen sowie Jahrzehnte politischen Alltags und gelebten menschlichen Miteinanders. Doch wie war das bei der Gründung des Bundeslandes eigentlich mit selbigem Bindestrich?
Die Geschichte ist stets auch eine Abfolge von wenn und aber, eine Aneinanderreihung von verpassten und vertanen Chancen. Warum so – und nicht anders? Beinahe hieße Baden-Württemberg heute Schwaben. Zwei Silben nur hat das Wort. Und eine hohe Bekanntheit, mit der Chance, eine bärenstarke Marke zu werden. Hätte, hätte, Fahrradkette.
Es hat wohl auch deshalb nicht ganz gereicht, weil vor allem in Baden viele Menschen Württemberg und Schwaben einander längst gleichsetzten, die also die eine Bezeichnung als Synonym des jeweils anderen Wortes verstanden, und weil sie eben von diesem Württemberg-Schwaben nicht majorisiert, nicht fremdbestimmt werden wollten.
Die Aversionen hatten schon früh Ausdruck gefunden in manchen Witzen und Anekdoten. Vor allem aus badischer Perspektive: Wie entstanden die Schwaben? Der liebe Gott saß auf dem Feldberg, schaute auf den Rhein und schnitzte die Badener. Jedes Exemplar, das nichts wurde, warf er hinter sich, sprich: gen Osten. Oder mit etwas gröberem Korn: Was haben Schwaben und Äpfel gemeinsam? Beide sind am schönsten, wenn sie am Baum hängen. Letzterer »Witz« ist insofern verwunderlich, als von kriegerischen Auseinandersetzungen trotz aller Animositäten nichts bekannt ist.
Die Gründung des Bundeslandes Baden-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg war auch wegen dieser unterschwelligen Gefühle ein schwieriges Unterfangen. Und sie kam spät zustande. Erst 1952 war es so weit. Zu jener Zeit hatten sich die anderen Länder schon konstituiert – mit Ausnahme des Saarlandes, das Frankreich sich zunächst faktisch angegliedert hatte und das erst einige Jahre später, nach einer Volksbefragung, zu Westdeutschland stieß. Baden-Württemberg freilich musste nach der Konstituierung sogar noch einmal 18 Jahre lang, nämlich bis zur Volksabstimmung im Jahr 1970, warten, bis das letzte große Fragezeichen ausgeräumt war. Es war – mit Beglaubigung des Bundesverfassungsgerichts allerdings – aufgerichtet worden von den (Alt-)Badenern, die sich bei der Entstehung des Südweststaats übergangen und ausgetrickst wähnten.
Unmittelbar nach dem Krieg wurden zunächst die drei Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden gegründet. Diese Einteilung war zum Teil historisch begründet, zum Teil aber auch den Wünschen der Besatzungsmächte USA und Frankreich nach entsprechenden Einflusszonen geschuldet. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatten die Länder Baden und Württemberg ohne allzu enge Beziehungen nebeneinanderher existiert, zunächst im Deutschen Reich, danach in der Weimarer Republik.
Als Demarkationslinie zwischen französischer und amerikanischer Zone wurde auf US-Wunsch die Autobahn A 8 zwischen Ulm und Karlsruhe festgelegt – was zur Teilung Württembergs und Badens führte. Diese Teilung wurde kurioserweise zum Nukleus für den Zusammenschluss des Südweststaats, weil im industriell starken Nordwürttemberg/ Nordbaden rasch ökonomische Fakten geschaffen wurden. Die Amerikaner dachten pragmatisch und nutzorientiert. Die Autobahn war ihnen als Nachschubweg wichtig. Die industriellen Ballungsräume wollten sie ebenfalls unter ihrer Hoheit wissen. So förderte letztlich eine willkürlich gezogene neue Grenzlinie den Wegfall der überkommenen Grenzen.
Politiker aus den Ländern Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, darunter Reinhold Maier (FDP), Gebhard Müller (CDU) und Carlo Schmid (SPD), betrieben alsbald den Zusammenschluss. Der badische Staatspräsident Leo Wohleb (CDU) hingegen kämpfte bis zu seinem Tod mit Inbrunst und der Unterstützung vieler Landsleute für ein unabhängiges Baden. Er zog dabei die verschiedensten Register: rechtliche, politische, parteipolitische. Im Jahr 1948 versuchte er sogar, zusammen mit Württemberg-Hohenzollern einen Südstaat mit der Hauptstadt Rottweil zu bilden, was der Staatspräsident des Nachbarlandes, Lorenz Bock (CDU), freilich rundweg ablehnte.
Von Wohleb sind manche Aussagen überliefert, die an polemischer Zuspitzung und emotionaler Erregtheit noch heute überraschen. So hielt er »die« Schwaben für Betrüger und wahlweise Württemberg für imperialistisch. Der Staatsrechtler Theodor Eschenburg, der jene Zeit nicht nur politisch mitbestimmte, sondern später auch viele Schriften dazu verfasste, nannte Wohleb einen »vorderösterreichischen Hinterwäldler, aber von Format«. Er lehnte dessen Position rundweg ab, zollte ihm aber immerhin Respekt für die Unnachgiebigkeit. Offenbar werden hier freilich auch die historischen Hinweise, die in den Auseinandersetzungen immer wieder eine Rolle spielen sollten: Vorderösterreich = katholisch, Württemberg = evangelisch. Die differenzierte Betrachtung belehrt eines Besseren: Südbaden war zwar in der Tat überwiegend katholisch, nicht jedoch die Kurpfalz mit den Städten Mannheim und Heidelberg. Sogar der Großherzog in Baden-Durlach war Protestant. Württemberg wiederum war schon lange nicht mehr nur evangelisch; schließlich waren unter Napoleon große katholische Gebiete hinzugekommen, darunter Oberschwaben.
Schon 1948 kam es auf dem Hohenneuffen am Albtrauf zu einem ersten Dreiländertreffen, das von dem Regierungschef Württemberg-Badens, Reinhold Maier, initiiert worden war. Der Tagungsort war mit Bedacht gewählt. Zum einen konnte man von dem vorstehenden Weißjurafelsen weit ins Land hineinblicken. Zum anderen lag die den Südwesten durchschneidende Autobahn nur wenige Kilometer entfernt. Dieser Blick und der legendäre Täleswein aus den hoch gelegenen Weinbergen der Umgebung sollten die Delegationen auf Einigungskurs bringen. Trotz des hinhaltenden Widerstands war das Treffen aus Sicht der Südweststaat-Fans ein Erfolg. Der Grundstein für das gemeinsame Bundesland war gelegt. Die Befürworter obsiegten am Ende jedenfalls in einer beispiellosen Propagandaschlacht, in der auch viele Stimmungen, Gefühle, Antipathien und Ängste aktiviert wurden, manch Irrationales mitschwang. Auf einem Wahlplakat aus dieser Zeit etwa sind die sieben Schwaben als dreiste, freche Eroberer dargestellt, wo sie doch in Wirklichkeit ein Ausbund von Feigheit und Angst waren. Auf einem anderen drückt ein dicker Schwaben-Württemberger den schmächtigen Badener so sehr ans Herz, dass diesem die Luft wegbleibt und der Kopf schon rot anläuft. Daneben der sarkastische Satz: »Das wäre der Zusammenschluß!«
Auch die Anhänger des Südweststaats verstanden es allerdings, die Geschichte nach ihrem Gusto ausgehen zu lassen. Die Auszählung der ersten Volksabstimmung Ende 1951 ergab eine Mehrheit in drei von vier Stimmbezirken für das gemeinsame Land. Bei einer Wahlbeteiligung von etwas über 70 Prozent sprachen sich in Nordwürttemberg 95,5 Prozent, in Südwürttemberg-Hohenzollern 91,4 Prozent und in Nordbaden immerhin noch 57,1 Prozent für die Vereinigung der drei Länder aus. In Südbaden waren es lediglich 37,8 Prozent. Zusammengezählt waren demnach fast 70 Prozent für den Zusammenschluss. Eine Zählung nach den alten Ländern aber, wie sie Wohleb gewollt hatte, hätte in Gesamt-Baden eine wenn auch knappe Mehrheit für die Wiederherstellung Badens ergeben.
Das noch von Wohleb und seinen Anhängern angezettelte Volksbegehren vom 7. Juni 1970, von den Landesregierungen immer wieder verschleppt, brachte nicht die erwünschte Revision der Geschichte: Zu viel Wasser war inzwischen den Neckar und den Rhein hinuntergeflossen. 81,9 Prozent der Baden-Württemberger wollten es beim Bindestrich belassen. Auch darüber regten sich einige Alt-Badener mächtig auf. Und nicht einmal zu Unrecht. Hinter der Verschleppung des verfassungsmäßig zugestandenen Rechtsanspruchs auf den Volksentscheid witterten sie – einmal mehr – schwäbische Hinterlist. Dabei dominierte in Verwaltung, Politik und Wirtschaft in erster Linie die pragmatische Sicht, das Fass nicht wieder aufzumachen. Im Vorfeld der Abstimmung wurden noch mal alle Geschütze aufgefahren. Auch die Witwe des früh verstorbenen Leo Wohleb machte mobil, im Schulterschluss mit dem Freiburger Erzbischof Hermann Schäufele. Ein Schelm, wer dabei an badisches Schäufele denkt!
Besonders ins Zeug legte sich der ebenfalls in Freiburg lehrende Philosoph Hans Reiner, der sich in den 60er Jahren wegen des hinausgeschobenen Volksentscheids voller Empörung an die CDU-Bundestagsfraktion in Bonn wandte und die »christliche Sittlichkeit« beschwor. Nur sie, so sein Begehren, könne die Wiederherstellung Badens noch bewerkstelligen. Ganz nach dem Sprichwort: »Schwaben und bös’ Geld führt der Teufel in alle Welt.«
Gestritten wurde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg freilich nicht nur um die Größe, verfassungsmäßige Ordnung und politische Ausrichtung des Südwestens, sondern auch um Symbole, Farben, Wappen und Namen. Die Entstehung des späteren baden-württembergischen Landeswappens beispielsweise ist eine ganz eigene Geschichte, verweist sie doch auf die schwierige Suche nach dem besten Kompromiss. Sie offenbart den Versuch, alle unter ein gemeinsames Dach zu bekommen, jeden mitzunehmen, alle zufrieden zu stellen. Das Land war schon zwei Jahre alt, als sich der Landtag nach langwierigen Debatten für ein Wappen entschied, das einerseits die Einheit des neuen Bindestrich-Landes symbolisieren, aber auch die Tradition der früheren Länder und Landesteile bewahren sollte.
In Zeiten von Logos, fürs Internet tauglichen Wort-Bild-Marken und eingängigen »Brands« mag es kurios wirken, sich in die Gedanken der Heraldik, der Wappenkunde, zu versetzen. Auf der anderen Seite erzählt uns eben auch diese Geschichte recht viel über Sollbruchstellen, Untiefen, überkommene Konflikte, Vorurteile, über Phantomschmerzen und Bewusstseinsrelikte, die im Land Baden-Württemberg noch heute das politische Handeln bestimmen. Und sei es auch subkutan oder reflexhaft.
Das sogenannte große Landeswappen zeigt inmitten eines goldenen Schildes, seinem Kernstück, drei schreitende schwarze Löwen mit roten Zungen. Es ist das Wappen der Staufer, die im Mittelalter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, deutsche Könige und zugleich Herzöge von Schwaben waren. Wenigstens an dieser Stelle leuchtet Schwaben also noch auf – jedenfalls für Kenner der historischen Materie. Und tatsächlich konnten die als Fachleute berufenen Archivdirektoren aus Stuttgart und Sigmaringen die Zweifler und Kritiker mit dem Argument der glanzvollen Stauferzeit überzeugen.
Links vom Schild steht der goldene Greif, das badische Wappentier. Rechts der goldene Hirsch, der württembergische Schildhalter. Zum eher getragenen Schwarz-Gelb (eigentlich Schwarz-Gold) gesellen sich Farbtupfer: Die Tiere wurden mit roten Hufen beziehungsweise Krallen ausgestattet. Auf dem Schild wiederum ruht eine Art Krone mit kleinen Wappen oder Plaketten, die auf Franken (weiß-roter »fränkischer Rechen«) hinweisen, auf Hohenzollern (schwarz-weiß gevierter Schild), noch mal auf Baden (roter Schrägbalken im goldenen Feld) sowie Württemberg (drei Hirschstangen), auf die Kurpfalz (ja tatsächlich, die Bayern: der Wittelsbacher Löwe in Schwarz) und Vorderösterreich (rot-weiß-roter Bindenschild). Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Nur in diesem umfangreichen Mosaik von Bezügen wurde auch des mittelalterlichen Schwabens gedacht.
Und warum nicht Bundesland »Schwaben«? Kaum weniger kompliziert, ja, geradezu quälend geriet die Suche nach dem künftigen Namen des Südweststaats. Auch sie war noch keineswegs abgeschlossen, als das neue Bundesland am 25. April 1952 aus der Taufe gehoben wurde. Ausschüsse wurden eingerichtet, unterstützt von Historikern und Archivaren. Anfangs wurden geschichtliche und stammesmäßige Bezeichnungen klar favorisiert. Vor allem Max Miller, der Leiter der Württembergischen Archivdirektion, setzte sich leidenschaftlich für den einfachen und geschichtsträchtigen Namen Schwaben ein. Mit ihm werde das neue Land in die Reihe derjenigen Bundesländer mit den treffendsten, schönsten und besten, weil kürzesten Namen treten – Bayern und Hessen. Eine Namensgebung aus taktischen Rücksichten lehnte er entschieden ab. Seine Argumente fanden Anklang – bei vielen. Und erstaunen im Rückblick.