Er nennt sich Joachim Friedrich. Sie sich Hortense Ullrich. Er ist ständig auf Lesereisen, bemüht sich aber redlich, von Zeit zu Zeit seine Familie in Bottrop zu sehen. Sie sitzt in Bremen und versucht vergeblich, zwei aufmüpfige Hunde, zwei chaotische Teenager-Töchter und gelegentlich ihren Mann zu erziehen. Die beiden hatten absolut nichts miteinander gemeinsam. Außer ihrem Erfolg als Autoren und ihrem Humor. Bis eine E-Mail von Hortense Ullrich an Joachim Friedrich den Roman PinkMuffin@BerryBlue auslöste ...
Er nennt sich BerryBlue. Sie sich PinkMuffin. Er wuchtet Sahnetorten im Café seiner Eltern. Sie ist eine aufmüpfige Tochter aus gutem Hause. Die beiden haben absolut nichts miteinander gemeinsam. Bis eine E-Mail von Berry versehentlich bei PinkMuffin landet. Und eine Lawine von Ereignissen auslöst: BerryBlue wird verhaftet, weil er in einem Schönheitslabor rumspioniert. PinkMuffin engagiert einen verschrobenen Privatdetektiv und muss mit einem Koffer voller Socken nach England flüchten. Und dann geht es erst richtig los ...
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Die Irren machen Ernst!
Hi,
die wollen mir an den Kragen! Echt! Heute war nämlich der Anwalt da. Das hatten die beiden Irren ja schon angedroht. Nicht die Eingeschrumpelte, sondern die Aufgeblasene. Also nicht die, die gegackert hat und ein Ei legen wollte, sondern die mit den Walkürenbällchen. Als der Typ hier heute auftauchte, wollte ich erst gar nicht glauben, dass er Anwalt ist. Wer holt wegen so einem Schwachsinn denn einen Anwalt? Obwohl er eigentlich so ausgesehen hat. Du weißt schon: Anzug, Designerhandy und so viel Rasierwasser, dass die Fliegen von der Wand fallen.
Ich war mit dem matschigen Bienenstich beschäftigt und wollte ihn gerade fragen, was er will, aber dazu bin ich gar nicht gekommen. Der Typ hat gleich angefangen, mich zu beschimpfen. Na ja, nicht so richtig übel. Mehr so ein Anwaltsschimpfen: „Ist es korrekt, dass Sie ...“ und „Wie meine Mandanten zu Recht fordern ...“ Kannst Du Dir ja vorstellen. Und dann ging’s zur Sache. Schmerzensgeld, Ordnungsamt und der ganze Mist. Zum Schluss hat er sogar noch mit Gefängnis gedroht, der Spinner. Der ist total bekloppt. Aber noch bekloppter sind die Eingeschrumpelte und die Aufgeblasene. Wenn die ein Ei legen wollen, sollen sie doch. Was hab ich damit zu tun? Und die Walkürenbällchen sind auch nicht schuld daran. Nur meine Eltern sind ganz schön blass geworden. Machen sich Sorgen und so. Verstehe ich gar nicht. Ich hab doch nix gemacht. Wahrscheinlich wollte der Typ nur seine Anwaltsshow abziehen und das war’s.
Ich muss mich erst mal entspannen. Hab mir ein neues Telefonbuch besorgt. Gelbe Seiten. Bin schon bei C!
Bis bald mal!
BB
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Durchgeknallter Hühnerzüchter
Sag mal, spinnst Du? Woher hast Du meine Mail-Adresse und wer bist Du und was soll das?!
Was geht mich Deine Hühnerzucht an, ob Dich ’ne Biene gestochen hat und ob Du ’n Problem mit Walkürenbällchen oder Anwälten hast!
Die sollten Dir nicht mit Gefängnis drohen, sondern Dich zum Therapeuten schicken. Und da Du Dir ja offensichtlich die Gelben Seiten zum „Entspannen“ besorgt hast (benutzt Du die als Kopfkissen?), blätter mal zur Ärzte-Seite und such Hilfe.
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: ???
Was bist Du denn für einer?
Mist! Ich hab die falsche Mail-Adresse genommen! Du bist nicht punkmuffin oder?
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Nicht der Hellste, was?!
Also, Hühnerzüchter, ja, sehr schlau: Du hast ganz offensichtlich die falsche Mail-Adresse genommen! Und wenn Du intelligenter als ein Walkürenbällchen bist, kommste auch von selbst drauf, dass ich nicht PUnkMuffin bin, sondern PInkMuffin, weil’s ja so in meiner Antwort-Mail stand!
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Kein Stress!
Ist ja gut! Reg Dich wieder ab. Ich hab’s kapiert. Tut mir leid wegen der falschen Adresse. Die Mail war eigentlich für einen Typen aus meiner Klasse. Kein Freund oder so. Nur ab und zu häng ich mal mit dem rum und – ach, warum erzähl ich Dir das eigentlich? Hab nur gerade Ärger mit ein paar total irren Typen. Aber der geht auch wieder vorbei.
Dann mach’s gut und sorry noch mal.
BB
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Was ist?
Kommste nun ins Gefängnis oder nicht?
Falls ja, ich hab ’nen guten Anwalt.
PS: Wenn Deine Mail an mich wirklich ein Irrläufer war, sorry, dass ich Dich so angepflaumt hab, aber hey, jetzt mal im Ernst, Du klingst schon ziemlich durchgeknallt.
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Hühneromas!
Also gut. Bevor Du denkst, ich wäre völlig durchgeknallt, erzähl ich Dir die ganze Geschichte.
Meine Eltern haben ein Café. Das heißt Café Kränzchen, und das kannst Du wörtlich nehmen. Jeder, der da reinkommt und unter 50 ist, senkt den Altersdurchschnitt erdrutschartig. Neulich hat mir mal einer eine Frage gestellt: „Was hat 100 Füße und einen Zahn?“ Antwort: „Das voll besetzte Café Kränzchen.“ Meistens Omas, die ihren Kaffee schlabbern, an ihrer Torte mümmeln, sich den neuesten Klatsch erzählen oder davon schwärmen, was der Pfarrer am letzten Sonntag wieder für ’ne coole Predigt abgelassen hat.
Ich helfe da öfter mal aus und bediene. Also Kaffee verschütten, Torte balancieren und Bienenstich (!) verteilen. Die Kohle kann ich ganz gut gebrauchen. Die Arbeit ist ziemlich locker, weil die meisten mich schon kennen, seit meine Mutter mit mir schwanger war.
Vor ein paar Tagen sind allerdings zwei neue Gebissträger aufgetaucht. Sie wurden von unseren Stammomis auch entsprechend misstrauisch beäugt. Kann aber auch sein, dass es an ihrem Aussehen lag. Die eine war winzig klein und sah schon ziemlich verschrumpelt aus. Dafür war sie geschminkt wie ein Model, das einer vor 70 Jahren in der Garderobe vergessen hat. Mit Lippenstift und Make-up und allem Drum und Dran. Genauer gesagt, hat sie erfolglos versucht, ihre Falten zuzuspachteln. Das Härteste aber waren ihre Haare: lila! Echt! Die waren lila! Ich dachte immer, so was machen nur Punks! Die andere war genau das Gegenteil. In jeder Beziehung. Die war groß, breit und hatte ein rundes Mondgesicht mit rosaroten Wangen, allerdings natur. Irgendwie sah sie aufgeblasen aus. Ich hab immer auf ihre Füße geguckt. Ich wollte wissen, ob sie läuft oder wie so ein Luftballon kurz über dem Boden schwebt. Und erst die Klamotten! Die Verschrumpelte hatte die schrillsten Fummel an. Ich glaub, da hat keine Farbe gefehlt. Und als Krönung ein Hut mit Blumenwiese auf den lila Haaren. Die Aufgeblasene war auch in der Beziehung genau das Gegenteil: in farbenfrohes Dunkelbraun gehüllt, dazu Gesundheitsschuhe und weißer Spitzenkragen, gekrönt von blond gefärbter Dauerwelle. Als die beiden bei uns aufgetaucht sind, war erst mal absolute Stille. Ich hab eine Omi gesehen, der vor Schreck ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte aus dem Mund gefallen ist.
Ich bin, was unsere Gäste betrifft, einiges gewöhnt. Das kannst Du mir glauben. Ich bleibe also cool, gehe zu den beiden hin und frag ganz freundlich: „Was darf es sein?“
„Sind die Walkürenbällchen ohne Alkohol?“, fragt die Aufgeblasene zurück.
Dazu muss ich vielleicht mal was erklären. Walkürenbällchen sind unsere Spezialität. Die Walkürenbällchen sind zwei Bällchen aus Rührteig, überzogen mit Kuvertüre oder gewälzt in Kokosflocken und jeweils von einer gerösteten Haselnuss gekrönt. Wir servieren immer zwei auf einem Teller. Sieht irgendwie abgefahren aus, aber unsere Stammgäste lieben es. Ist schön weich. Kann man bequem auf der Felge lutschen.
Mein Vater hat mir in einer schwachen Stunde mal das Rezept verraten. Darum antworte ich locker: „Kein Alkohol. Garantiert!“
„Sind Sie sicher?“, fragt die Aufgeblasene.
Dabei guckt mich die Verschrumpelte mit ihren dunkelblauen Lidschattenaugen an, spitzt ihren knallroten Mund und gibt ein schmatzendes Geräusch von sich.
Ich lass mich nicht aus der Ruhe bringen und sag noch einmal: „Kein Alkohol. Das können Sie mir ruhig glauben.“
Dabei spüre ich allerdings, dass sich alle Hörgeräte unserer Gäste auf mich und die beiden seltsamen Vögel eingepeilt haben.
Die Aufgeblasene beugt sich zu mir vor. „Es geht um meine Freundin“, flüstert sie dann und zeigt mit dem Kopf auf ihre Schrumpelfreundin, die schon wieder schmatzt.
Mist! Ich muss Schluss machen. Gerade war meine Mutter da. Eine unserer Stammomis hat heute Klassentreffen. Sie sind nur zu fünft, aber sie wollen unbedingt von mir bedient werden. Weiß der Geier, warum. Wenn Dich die Geschichte nervt oder stresst, vergiss sie einfach. Wenn nicht, erzähl ich später weiter.
BB
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Hallo, Nachbar!
Was denkst Du Dir! Natürlich interessiert mich die Geschichte, erzähl weiter!
Und überhaupt – das Café Kränzchen ist doch in der Altstadt, das kenn ich! Also, ich kenn’s nicht, meine Großmutter kennt es. Allerdings geht sie da nicht hin, sondern lässt sich Kuchen und Torte immer von Euch liefern. „Das Ambiente und das Publikum entspricht nicht meinem Geschmack“, hat sie irgendwann mal entschieden und ihre fein gepuderte Nase gerümpft. Aber Eure Kuchen sind oberlecker. Sie hebt mir immer etwas auf. Und zwar stellt sie beim „Kaffeesieren“ (so nennt sie einen Kaffeeklatsch – kein Witz!) das für mich vorgesehene Teil mit auf den Kuchentisch und teilt dann jedem, der sich das Stück auftun lassen will, mit: „Das nicht. Das ist schon reserviert.“ So ist sie, meine Großmutter.
Na egal, jedenfalls ist Dir klar, was das heißt, Hühnerzüchter?
WIR WOHNEN IN DERSELBEN STADT!!!!!!!!!!!
Also, schreib, wie’s weiterging mit Deinen Omi-Hühnern. Wann hat die Verschrumpelte ein Ei gelegt?
Gruß,
MAX
PS: Wie heißt Du eigentlich wirklich? „Berry“ ja wohl kaum. Und woher kommt „blue“? Bist Du Melancholiker? Oder ist „BerryBlue“ ’ne blaue Sahnetorte?
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Hühneromas, die Zweite
Hi, Max,
so heißt Du also. Da wohnen wir tatsächlich in derselben Stadt. Stimmt. Unser Café ist in der Altstadt – na ja, wohl eher alte Stadt, oder? Manchmal hab ich das Gefühl, ich bin der Letzte, der in dieser Gegend geboren wurde. Als ich klein war, habe ich vor lauter Verzweiflung mit Puppen gespielt, nur damit ich mich mal mit jemandem unterhalten konnte, zu dem ich nicht hochsehen musste.
Ich heiße übrigens tatsächlich „Berry“. Eigentlich sollte ich Barry heißen (wegen meiner Mutter, die irgend so einen Schnulzensänger aus den USA toll fand), aber mein Vater und der Typ am Standesamt hatten es wohl nicht so mit dem Englischen. Darum ist aus dem „a“ ein „e“ geworden. Das „Blue“ fand ich irgendwie cool. Und eigentlich – na ja – hab ich wirklich manchmal den Blues. Allerdings nicht wegen der bekloppten Omas. Die machen nur Stress, warum auch immer, denn ich hab wirklich nicht – ach, das muss ich ja erst noch erzählen.
Die Aufgeblasene hat mich also ein paarmal gefragt, ob denn nun wirklich und tatsächlich kein Alkohol in den Walkürenbällchen wäre.
Und da kam mir plötzlich der Gedanke, dass sie das nur sagt, damit sie was von mir bekommt. Manche sind ja so drauf. Die erzählen einem so lange, dass sie Alkohol nicht mögen, bis man ihnen endlich ’ne Flasche Whisky vor die Nase stellt.
Ich frage also: „Hätten Sie gern ein Schnäpschen?“
Da hättest Du die Aufgeblasene mal erleben sollen! Die ist fast explodiert. Sah ja sowieso schon so aus. Und die Verschrumpelte hat geschmatzt wie ein Baby beim Breischlabbern.
„Sind Sie schwerhörig, junger Mann?“, schreit mich das Rotbäckchen an. „Ich habe Ihnen doch gerade zu erklären versucht, dass Alkohol eine verheerende Wirkung auf meine Freundin hat! Und Sie bieten mir einen Schnaps an! Unverschämtheit!“
Ich kann Dir sagen, die hatte vielleicht eine Stimme! Unsere armen Stammomis mussten ihre Hörgeräte gleich um ein paar Stufen runterstellen. Ich hab aber immer noch versucht, cool zu bleiben.
„Wird sie schnell betrunken?“, frage ich.
„Nein, viel schlimmer“, sagt die Aufgeblasene nur. „Und nun bringen Sie uns zwei Walkürenbällchen, ein Stück Frankfurter Kranz und zwei Kännchen koffeinfreien Kaffee.“
Ich muss gestehen, dass ich wirklich darüber nachgedacht habe, ob ich die Walkürenbällchen ein bisschen in Rum tränken soll, weil ich ziemlich sauer auf den Brüllfrosch war. Das essen einige unserer Gäste übrigens tatsächlich so. Angeblich schmeckt es super. Ich hab’s dann aber doch gelassen. War mir zu gefährlich. Außerdem hasse ich Alkohol. Ich kann das Zeug nicht ab, seit ich mich als Siebtklässler mal – aber das interessiert Dich sicher nicht. Ich schweife manchmal ab. Sagt mein Deutschlehrer auch immer. Weißt du, was er mir unter meinen Aufsatz geschrieben hat? Na ja, ist ja auch egal. Wo war ich? Ach ja. Ich also wieder zurück zu den beiden Irren, bringe ihnen die Walkürenbällchen (ganz brav ohne den Alkohol), den Kuchen und den Kaffee und sie fangen an zu mümmeln.
Als ich wieder hinter der Theke bin und die beiden schon fast vergessen habe, da bricht plötzlich das absolute Chaos aus. Kreischen und Schreien – und Gackern aus dem Gästeraum.
Wir rennen los. Genauer gesagt: unsere Küchenhilfe, meine Mutter und ich. (Meine Mutter steht übrigens den ganzen Tag hinter der Theke und mein Vater in der Backstube vom Café. Der kam später auch noch dazu.) Und dann kann ich echt nicht glauben, was ich sehe. Alle unsere Omis sind aufgesprungen und zeigen aufgeregt auf den Tisch, an dem die beiden Irren gesessen hatten. Und dann sehe ich sie auch: Die Verschrumpelte steht auf einem Stuhl. Aber nicht nur das. Sie flattert mit ihren Armen wie ein Vogel und gackert! Ehrlich! Sie gackert wie ein durchgeknalltes Huhn! Kannst Du Dir das vorstellen? Ein verknittertes Huhn mit Lippenstift, lila Haaren und einer Blumenwiese auf dem Kopf? Das Erste, was ich gedacht habe, war: Mist! Und du hast keine Kamera dabei!
Ich hätte fast laut gelacht. Nur hat mir die Aufgeblasene den Spaß verdorben.
„Es war doch Alkohol in den Walkürenbällchen!“, brüllt sie mich an. „Sie haben meine Freundin vergiftet!“
„Unsere Walkürenbällchen werden ohne Alkohol –“, hat meine Mutter es noch mal versucht, aber der Brüllfrosch hat sie nicht ausreden lassen.
„Das wird Konsequenzen haben! Er hat uns ja sogar Alkohol angeboten, obwohl ich ihm ausdrücklich gesagt habe, welche Wirkung der auf meine Freundin hat!“
Je lauter sie schreit, desto lauter gackert ihre Freundin. Es war ein Höllenlärm. Zum ersten Mal habe ich unsere Gäste beneidet. Die konnten nämlich ihre Hörgeräte ausschalten.
Meine Mutter dreht sich zu mir um. „Hast du etwa?“
„Nein!“, rufe ich. „Die sind doch nicht mehr ganz dicht, die beiden!“
„Nun auch noch beleidigend werden!“, schreit die Dicke.
„Was hat denn Ihre Freundin?“, fragt meine Mutter. Sie ist völlig fertig. Das konnte ich genau sehen. Seine Mutter kennt man ja ziemlich gut.
„Ein psychischer Defekt, der durch Alkohol ausgelöst wird!“
Ich hab das nicht kapiert, aber der Anwalt hat es uns später noch mal erklärt. Danach hab ich’s allerdings immer noch nicht kapiert. Ist wohl so ähnlich wie bei einer Hypnose. Wenn einer mit einem Glöckchen bimmelt, glaubst du, du wärst Napoleon. So ähnlich war es bei der Verschrumpelten auch. Nur dass sie nicht wegen einem Glöckchen, sondern wegen Alkohol durchgedreht ist und nicht glaubte, sie wäre Napoleon, sondern ein Huhn.
Plötzlich hört sie auf zu gackern, springt von ihrem Stuhl, hockt sich in eine Ecke und guckt ganz irre vor sich hin. Dabei wackelt sie mit dem Kopf und fängt wieder an zu schmatzen.
„Was hat sie denn jetzt?“, fragt meine Mutter vorsichtig.
Da hält sich ihre Freundin den Zeigefinger vor den Mund und flüstert: „Psst. Sie versucht, ein Ei zu legen. Dabei darf sie nicht gestört werden.“
Das war zu viel für mich. Ehrlich. Ich konnte nicht mehr. Ich hab mir fast in die Hosen gemacht vor Lachen.
Das Lachen ist mir aber schnell wieder vergangen. Kurz bevor die beiden abgedampft sind (die Verschrumpelte hat übrigens dann doch kein Ei gelegt), hat der Brüllfrosch meiner Mutter nämlich den Rest von unseren Walkürenbällchen unter die Nase gehalten.
„Das nehmen wir mit! Und dann werden wir ja sehen, ob da Alkohol drin war!“
„Und wenn?“, fragt meine Mutter.
„Dann werden wir Sie verklagen! Darauf können Sie sich verlassen!“
„Sag mir die Wahrheit, Berry“, flüstert meine Mutter mir zu, als die beiden endlich weg sind, „du hast doch nicht –“
„Nein!“, schreie nun ich sie an. Mach ich sonst nie. Ist immer besser, man bleibt cool. „Die haben doch einen Schuss, die Spinner!“
Damit hat sie es gut sein lassen. Allerdings haben mein Vater und sie mich an dem Abend immer wieder so komisch angesehen. Ich dachte schon, die könnten Gedanken lesen. Für einen kurzen Augenblick hatte ich ja wirklich überlegt – aber ich hab es nicht gemacht. Ehrlich! Und vom Denken kann doch kein Alkohol in diese blöden Walkürenbällchen gekommen sein, oder?
Jedenfalls taucht einen Tag später dieser Anwaltschnösel auf und faselt was von Strafe und Ordnungsamt und dass man dafür sogar ins Gefängnis kommen kann. Der hat echt nicht mehr alle Nadeln an der Tanne, der Typ!
Meine Eltern sind völlig fertig. Sie haben sogar Angst, dass man ihnen das Geschäft schließen könnte. Für die wäre das ’ne echte Katastrophe. Das Café gehört schon ewig unserer Familie. Mein Vater hat es von seinem Vater übernommen und der wieder von seinem Vater und so weiter. Angefangen hat das Ganze wahrscheinlich in der Steinzeit, als einer meiner Vorfahren keinen Bock auf Mammutjagen hatte und stattdessen lieber Kuchen backen wollte.
Ich mach mir da keinen Stress. Ich hab ja nichts gemacht. Also können sie uns auch nichts anhaben. Außerdem, vielleicht schafft es die Verknitterte ja tatsächlich mal, ein Ei zu legen. Damit könnte sie im Fernsehen jede Menge Kohle verdienen.
So, jetzt kennst Du die Geschichte. Die handelt zwar von Irren, aber das heißt noch lange nicht, dass ich auch irre bin. Lass von Dir hören.
Berry
PS: Was hat Deine Oma gegen unser Café? Unsere Stammomis finden es super! Ist immer ’ne Menge los! Ab und zu wird sogar mal ein Ei gelegt! J
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Nie im Leben
Ich wusste es: Du bist völlig durchgeknallt. Nie im Leben hat sich das so abgespielt. Ich werd Deine Geschichte jetzt erst mal überprüfen lassen – hab nämlich keine Lust, meine Zeit mit ’nem echten Irren zu verschwenden.
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Was soll das?
Was willst Du überprüfen lassen? Und warum? Und von wem? Die Geschichte hat sich genau so abgespielt! Von den Walkürenbällchen bis zum Eierlegversuch und dem glitschigen Anwalt. Oder hast Du was mit denen zu tun?
Schreib mir, was das soll!
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Lecker!
Hey, Berry,
hab gerade von Eurem Kuchen gegessen, hmm, lecker. Die Rumkugeltorte ist ein Hit. Meine Großmutter (die Mutter meines Vaters) war nämlich da. Sie erscheint gelegentlich unangemeldet bei uns. Das sind ihre typischen „Kontrollbesuche“.
Es war wie immer. Es klingelte, sie stand vor der Tür und verkündete: „Ich störe doch hoffentlich nicht.“ Und schon trat sie ins Haus.
Colette, unser französisches Hausmädchen, sagte: „Isch ’ol die Gnädige.“
Meine Großmutter murmelte: „Und wer bitte soll das sein?“ Meine Großmutter führt nämlich seit Jahren einen kalten Krieg gegen meine Mutter. ’ne ziemlich einseitige Sache, meine Großmutter kämpft, meine Mutter lächelt.
Als meine Mutter erschien, teilte meine Großmutter ihr mit: „Ich bin zum Kaffee hier.“
„Oh, schön“, strahlte meine Mutter. Dann fiel ihr ein: „Ich habe aber gar keinen Kuchen im Haus.“ Sie strich sich über die Hüften und erklärte: „Die Kalorien, die Figur, na, du weißt schon.“
Meine Großmutter schaute missbilligend, ja sogar „konsterniert“ und fauchte ein „NEIN, ich weiß nicht“ zurück. Dann richtete sie sich noch ein wenig mehr auf. Nun wirkte sie noch größer und stattlicher. Und noch einschüchternder.
Meine Mutter erklärte unnötigerweise: „Na, ich meine: Kuchen macht doch dick.“
„Intelligente Leute werden nicht dick!“, postulierte meine Großmutter.
„Wir brauchen gar keinen Kuchen, wir können doch auch nur so Kaffee trinken“, bot ich einen Kompromiss an.
Meine Großmutter hatte ihren Blick immer noch auf meine Mutter gerichtet. „Der Kuchen kommt gleich, ich habe ihn bestellt und er wird hierhergeliefert“, teilte sie meiner Mutter mit, dann wandte sie sich an Colette: „Decken Sie schon einmal die Kaffeetafel, wir werden kaffeesieren.“ Sie drehte sich zu mir, ein Hauch von Lächeln überflog für eine halbe Sekunde ihr Gesicht und sie sagte: „Du bist auch herzlich eingeladen.“
Ich grinste nur und meinte: „Okay.“
Meine Großmutter zog die Augenbrauen in die Höhe und hielt theatralisch eine Hand hinter ihr Ohr. „Wie bitte, ich konnte deine Antwort Gott sei Dank nicht verstehen.“
Ich wusste, was das zu bedeuten hatte, und korrigierte meine Antwort. „Vielen Dank für die Einladung, ich leiste ihr mit dem größten Vergnügen Folge.“
Nun lächelte sie wirklich. Seufzte unmerklich und meinte: „Wie schön, dass das völlig kultur- und bildungsfreie Ambiente, in dem du aufwächst, dir nichts anhaben kann.“ Dabei schweift ihr Blick durch unser Haus und bleibt dann erneut an meiner Mutter hängen.
Meine Mutter lächelte. „Ich seh mal nach dem Rechten“, sagte sie und verschwand.
Meine Großmutter seufzte nun hörbar. Wieder hatte sie einen Fehde-Handschuh hingeworfen, der nicht aufgehoben worden war. Sie hat es schon schwer mit meiner Mutter.
Dann schaute meine Großmutter mich an, ich krümmte mich innerlich etwas, versuchte aber, ihrem Blick standzuhalten.
Ihr Gesichtsausdruck wurde mitleidig und ich wusste, was folgen würde: eine Einladung in die Oper oder ins Theater, um das Defizit auszugleichen, das meine Mutter ihrer Meinung nach zu verantworten hat.
Aber heute nicht, heute fragte sie mich: „Liest sie etwa immer noch diese Heftchen?“
Meine Mutter liest nämlich für ihr Leben gerne diese billigen Kitsch-Liebesschnulzen. Das ist für meine Großmutter ein Schlag ins Gesicht – schließlich sind wir die Nachfahren eines bedeutenden Dichters.
Ich tat ganz naiv und fragte: „Wer? Welche Heftchen?“
„Deine Mutter. Diese Lore-Romane.“ Meine Großmutter machte ein Gesicht, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen.
„Ach die!“, sagte ich. „Ja, sie meint, die wären so wie das echte Leben: Der Graf heiratet ein armes Mädchen!“
„Hanebüchener Unsinn!“, rief meine Großmutter aus.
Ich musste grinsen, denn, na ja, für meine Mutter stimmt das schon. Sie ist immer noch glücklich, dass mein Vater sie geheiratet hat. Und mein Vater ist glücklich, dass er meine Mutter hat, die ihn vorbehaltlos bewundert und liebt. Das kennt er nämlich nicht von zu Hause: Meine Großmutter knüpft an Zuneigung immer die Bedingung, dass man exakt das tut, was sie von einem erwartet.
Ich bin dann an der Tür stehen geblieben, weil ich dachte, wenn der Kuchen von Euch geliefert wird, bist Du ja vielleicht der Bote. Aber wenn Du nicht zirka 60 und kahlköpfig bist, warst Du es wohl nicht. Falls doch: Wow, dass Du immer noch mit Deinen Eltern zusammenlebst!
Gruß,
MAX
PS: Die Tatsache, dass ich Dir jetzt schon wieder schreibe, heißt nicht, dass ich Deine Wildwest-Geschichte glaube oder dass Du irgendwie vom Haken bist. Die Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen und ich habe nach wie vor das Gefühl, dass Du ’ne Macke hast. Aber wenn sie harmlos ist, hey, kein Problem, dann darfst Du mir weiterhin schreiben.
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Der Spinner lässt nicht locker!
Das mit „60 und kahlköpfig“ fand ich total witzig. Ehrlich! Hab mich halb totgelacht. Du bist der erste Mensch, der mich mit unserem Charly verwechselt. Eigentlich heißt er ja Karl, aber er findet es cooler, wenn wir ihn „Schaali“ nennen. Er hilft uns manchmal. Ist pensioniert und hat mal geboxt. Darum die platte Nase – und das platte Gehirn. Aber zum Autofahren und Kuchenausliefern reicht es noch. Wenn wir ihm die Adresse in sehr großen Buchstaben aufschreiben.
Aber warum zum Kuckuck glaubst Du mir nicht? Die Hühneroma-Geschichte ist wirklich wahr! Und hör endlich mit diesem blöden Überprüfen auf. Bist Du beim CIA oder was?
Außerdem war dieser Spinner wieder hier. Ich meine, dieser Anwalt. Ich hatte gerade die dritte Runde Eierlikör (würg!) für meine Restabiklasse von 1939 serviert, da steht der wieder an der Theke und wedelt meiner Mutter mit einem Zettel vor der Nase herum.
„Das ist ein Gutachten!“, sagt er dabei und lächelt dieses Anwaltslächeln. Hast Du sicher schon mal im Fernsehen gesehen. Dieses „Wollen-Sie-nicht-endlich-gestehen-ich-weiß-doch-sowieso-längst-alles“-Lächeln.
„Was für ein Gutachten?“, fragt meine Mutter.
„Die toxikologische Untersuchung Ihres Walkürenbällchens. Es wurden erhebliche Mengen Alkohol darin festgestellt.“
„Das kann nicht sein!“, schreie ich ihn lauter an, als ich eigentlich wollte.
Der Typ beachtet mich gar nicht und sagt zu meiner Mutter: „Das ist der Beweis. Sie haben meiner Mandantin wissentlich geschadet. Sie vergiftet sozusagen.“
Bei dem Wort „vergiftet“ ist meine Mutter fast in Ohnmacht gefallen.
„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragt sie dann. „Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?“
Das sagt sie immer, wenn ein Kunde Stress macht.
„Ich möchte keinen Kaffee. Schließlich will ich nicht auch noch vergiftet werden“, sagt dieser Idiot. „Was ich will, ist Gerechtigkeit für meine Mandantin.“
Damit macht er auf seinem erhöhten Absatz kehrt und weg ist er.
Meine Mutter guckt mich nur an.
„Nein!“, rufe ich auch gleich. „Ich hab keinen Schnaps über das Bällchen gegossen! Ehrlich nicht!“
Sie hat nichts gesagt, aber allmählich habe ich das Gefühl, sie glaubt mir nicht mehr.
Also, solltest Du was mit den Typen zu tun haben, kann ich Dir nur sagen: Mich macht Ihr nicht fertig. Und ob Du was überprüfen lässt oder nicht, ist mir völlig egal. Von mir aus kannst Du ja zu dem Schleimanwalt gehen und Dir das Gutachten zeigen lassen. Dreher heißt der. Kai-Magnus Dreher. Hab ich auf so einer Visitenkarte gesehen, die er meiner Mutter beim ersten Mal in die Hand gedrückt hat. Wer so heißt, kann ja nur Anwalt werden!
So, und jetzt kannst Du machen, was Du willst – außer Stress! Den hasse ich nämlich! Und wenn ich doch welchen habe, dann lese ich ein Telefonbuch. Beruhigt total. Solltest du mal probieren.
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Nur die Ruhe!
Okay, werde Dir demnächst einen Schwung Telefonbücher zukommen lassen. Teil sie Dir gut ein. Wir haben ’ne Menge Stress vor uns.
Deine Geschichte stimmt. Man versucht, Dich bzw. Deine Familie reinzulegen. Und deshalb brauchst Du jede Hilfe, die Du kriegen kannst.
Dein Kai-Magnus ist ein RechtsverDREHER, so viel hab ich schon erfahren. Ein Winkeladvokat, der sich auf zivile Schadensersatzansprüche spezialisiert hat.
Und wenn jetzt in den nächsten Tagen so ein Typ bei Euch im Laden auftaucht, der ’ne verrauchte Reibeisenstimme hat und jeden Satz, den man sagt, so ironisch wiederholt, als würde er einem kein einziges Wort glauben und alles infrage stellen, dann ist das Kuhlhardt und dann entspann Dich, der gehört zu mir. Also, der gehört natürlich nicht wirklich zu mir, aber ich hab ’ne Privatdetektei beauftragt, Kuhlhardt und Lipinski, sich um diese Oma-Vergiftungssache zu kümmern. Könnte natürlich auch sein, dass Lipinski kommt, aber mit dem hab ich noch nicht gesprochen, nur mit Kuhlhardt, daher kenn ich seine Stimme.
Als ich „Guten Tag“ am Telefon zu ihm sagte, antwortete Kuhlhardt: „Guten Tag?“, und das klang irgendwie vorwurfsvoll.
Also hab ich auf die Uhr geguckt, aber es war wirklich „Tag“ und dann hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich „guten“ gesagt hatte und sein Tag vielleicht kein „guter“ Tag war.
Hab’s schon bereut, ihn überhaupt beauftragt zu haben – der Kerl ist nämlich ziemlich kauzig. (Das kommt davon, wenn man sich einen Detektiv aus den Gelben Seiten sucht!)
Ich hab ihn gefragt, was er so tut, um Licht in die Angelegenheit zu bringen.
Aber er brummelte bloß: „Gemach, Gevatter, gemach.“
Soll wohl heißen, ich soll ihn nicht drängeln.
Ist vielleicht so ’n Hercule-Poirot-Typ, der zum Schluss alle Verdächtigen in einem Raum versammelt und dann der Reihe nach jeden beschuldigt, bis er schließlich den Mörder entlarvt.
Dann wollte ich Lipinski sprechen, aber Kuhlhardt meinte, Lipinski sei gerade beim Essen und er könne ihn nicht stören. Seine Essenszeiten seien ihm heilig und er – Kuhlhardt – würde das respektieren, seit ihn Lipinski mal GEBISSEN hätte. OH MEIN GOTT! Bin ich denn nur von Verrückten umgeben?! Na ja.
Also, behalt die Nerven.
Bis dann!
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Privatdetektiv???
Du hast einen Privatdetektiv wegen der Gackersache beauftragt? Ich glaub es nicht! Was soll das? Warum machst Du das? Wir kennen uns doch gar nicht. Und überhaupt: Wer bist Du? Wieso kannst Du Dir einen Privatdetektiv leisten? Bei mir reicht es gerade mal für die „Gelben Seiten“. Steht der wirklich da drin? Ich bin nämlich erst bis „G“ gekommen.
Kann ja sein, dass ich in Schwierigkeiten bin, aber damit hast Du doch nichts zu tun. Auf jeden Fall möchte ich echt gerne wissen, wer Du bist und warum Du Geld für einen Privatdetektiv ausgibst, obwohl Du mich nicht kennst!
Oder verarschst Du mich? Wenn Du das witzig findest, such Dir lieber einen anderen Idioten!
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Reg Dich ab!!
Das hat gar nichts mit Dir zu tun – ich kenn Dich ja nicht. Aber Du steckst in der Bredouille und ich kann vielleicht helfen – wieso hast Du damit ein Problem? Einzelheiten über mich interessieren jetzt nicht. Geh mal davon aus, dass ich mir einen Privatdetektiv leisten kann. Jedenfalls wird Kuhlhardt sich bei Dir melden, er braucht noch Details. Und stell Dich bloß nicht so dämlich stur, lass Dir helfen und arbeite mit dem Kerl zusammen.
Abgesehen davon stehen Privatdetektive unter „D“, also konzentrier Dich mal, Du müsstest ihn schon „gelesen“ haben.
Gruß,
MAX
PS: Du fragst, wieso ich das mache?
Ganz einfach: Weil ich’s kann.
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Ich bin kein Meerschweinchen!
Das wird ja immer abgefahrener! Ich hoffe, Du bist nicht so ein stinkreicher Typ, der sich ein paar arme Schlucker wie Meerschweinchen hält, denen er „helfen“ will! Wenn das so ist, dann lass mich bloß in Ruhe!
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Meerschweinchen
Weißte, was mir auf den Wecker geht?
Reichen-Diskriminierung!
Jawohl!
Wieso müsst Ihr Armen immer so aggressiv werden, wenn Ihr auf jemanden trefft, der mehr Kohle hat?
„Ich bin ein Reicher! Hat nicht ein Reicher auch Augen? Hat nicht ein Reicher Hände, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“
Na, in der Schule aufgepasst? Shakespeare – Kaufmann von Venedig! (Na gut, ich hab’s abgewandelt, da ging’s um einen Juden, der sich beschwert hat über die Art und Weise, wie er behandelt wird, aber trotzdem!)
Jedenfalls nervt’s mich.
Ich bin ein Klischee-Kind: reicher Vater, bildschöne Mutter. Aber hey, uns muss es auch geben!
Und ich will auch Freunde haben. Und zwar normale. Nicht die Snob-Kinder der Freunde meiner Eltern. Die leiden alle unter Wohlstandsverwahrlosung! (Na gut, ich auch, aber ich tu was dagegen!)
Und wenn Du mich doof findest, nur weil meine Eltern reich sind, bist Du selber doof!
Was kann ich denn dafür?
Eltern sind Schicksal, die kann man sich nicht aussuchen.
Also, jetzt krieg Dich wieder ein!
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Diskriminierung???
Hi, Max,
jetzt krieg Du Dich wieder ein. Mir kommen echt die Tränen. Also gut, Du hast Kohle – genauer gesagt, Deine Eltern sind reich. Das hab ich kapiert. Und darum hab ich mir überlegt, nicht mehr zu schreiben. Es gibt zwei Gründe, warum ich es trotzdem tue. Erstens glaube ich, dass Du irgendwie anders bist, und zweitens ist Dein Kuhlhardt bei uns aufgetaucht.
Aber Du sollst auch wissen, warum mir diese stinkreichen Typen auf den Geist gehen. Ich bin nicht neidisch oder so. Ehrlich! Wir sind nicht arm, auch wenn meine Eltern kämpfen müssen und auf unsere Omas angewiesen sind. Aber sie geben nicht auf. Dafür bewundere ich sie irgendwie. Trotzdem geht es uns echt nicht schlecht. Wir können die Kohle zwar nicht mit beiden Händen aus dem Fenster kippen, aber für die ganz normalen Sachen reicht es immer.