Die Cosy-Krimireihe mit Fran Varady:
Band 1: Nur der Tod ist ohne Makel
Band 2: Denn umsonst ist nur der Tod
Band 3: Die wahren Bilder seiner Furcht
Band 4: Dass sie stets Böses muss gebären
Band 6: Denn mit Morden spielt man nicht
Band 7: Und das ewige Licht leuchte ihr
Außerdem sind von Ann Granger folgende Krimireihen bei Bastei Lübbe lieferbar:
Mitchell & Markby
Martin & Ross
Jessica Campbell
Um sich über Wasser zu halten, jobbt Fran Varady in einem kleinen Eckladen in London. Eines Tages stürmt ein aufgeregter Kunde in den Shop und bittet sie, die Toilette benutzen zu dürfen. Stunden später wird der Mann dort tot aufgefunden – ermordet. Er hat eine mysteriöse Filmrolle bei sich und eine kurze Notiz mit der Bitte um ein Treffen mit Fran. Diese beginnt wieder einmal auf eigene Faust zu ermitteln und gerät schon bald in Teufels Küche …
Ann Granger war früher im diplomatischen Dienst tätig. Sie hat zwei Söhne und lebt heute mit ihrem Mann in der Nähe von Oxford. Bestsellerruhm erlangte sie mit ihrer Mitchell-und-Markby-Reihe. Daneben gibt es von Ann Granger noch folgende weitere Reihen: Die Fran-Varady-Reihe, die Jessica-Campbell-Reihe und Kriminalromane im viktorianischen England mit Lizzie Martin und Benjamin Ross.
ANN
GRANGER
DIE WAHREN BILDER SEINER FURCHT
FRAN VARADYS DRITTER FALL
Aus dem britischen Englisch von
Axel Merz
beTHRILLED
Digitale Neuausgabe
»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1998 by Ann Granger
Titel der englischen Originalausgabe: »Running scared«
Originalverlag: Headline Book Publishing, a division of Hodder Headline PLC, London
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2005/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Gerhard Arth/Stefan Bauer
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-7563-3
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Meinem Sohn Tim, der seine Freizeit geopfert hat,
um mir bei meinen Recherchen zu helfen.
Danke.
Ich gehöre nicht zu der Sorte von Leuten, die alles Mögliche unternehmen, um sich in Schwierigkeiten zu stürzen. Es ist eher so, dass die Schwierigkeiten sich auf mich zu stürzen scheinen. Ich versuche lediglich, von einem zum nächsten Tag zu überleben und Problemen aus dem Weg zu gehen. Ich weiß nicht, warum es nie funktioniert. Es ist unfair, ganz besonders, wenn die Weihnachtszeit vor der Tür steht und sich alle auf die Feiertage freuen. Aber wie es nun mal so ist mit meinem Glück, genau um diese Zeit rannte ich in den nächsten Berg von Problemen. Wenn man nämlich irgendetwas mit Sicherheit sagen kann auf dieser Welt, dann ist es das, dass man nie sicher sein kann, welchen Knüppel einem das Leben als Nächstes zwischen die Beine wirft.
Es war ein kalter, verregneter Morgen, und ich half meinem Freund Ganesh im Zeitungskiosk seines Onkels, als das Unglück seinen Lauf nahm.
Ganesh arbeitet nicht nur für seinen Onkel Hari, sondern er wohnt auch bei ihm, über dem Laden. Ich weiß nicht, ob Hari ein richtiger Onkel von Ganesh ist oder nur irgendein Verwandter, aber jeder nennt ihn Onkel, selbst ich. Hari ist ein netter Mann, aber nervös und zappelig, und das macht Ganesh zu schaffen. Und so tanzte Ganesh fast vor Freude, als Onkel Hari eines Tages verkündete, dass er einen ausgedehnten Familienbesuch in Indien zu unternehmen gedachte und Ganesh in der Zwischenzeit den Laden alleine führen sollte.
Ich freute mich für Ganesh, weil es allerhöchste Zeit für ihn wurde, dass er eine Chance bekam, etwas zu tun, ohne dass sich die Familie ständig einmischte. Sein ganzes Leben lang hatte er in irgendwelchen Läden ausgeholfen, die von irgendwelchen Verwandten geführt wurden. Er hatte seinen Eltern in deren Gemüseladen in Rotherhithe ausgeholfen, bis das Haus von der Stadtverwaltung enteignet worden war, weil die ganze Gegend abgerissen werden sollte, um modernen Neubauten zu weichen. Jetzt haben sie ein Obst- und Gemüsegeschäft außerhalb der Stadt in High Wycombe. Es ist ein sehr kleines Geschäft, und sie brauchen Ganesh nicht und haben auch keinen Platz für ihn, deshalb wohnt und arbeitet er zurzeit bei Onkel Hari. Manchmal frage ich ihn, warum er sich das gefallen lässt, so in der Familie herumgeschubst zu werden, immer dorthin, wo er gerade gebraucht wird, aber er antwortet immer nur, das würde ich nicht verstehen. Ganz richtig, sage ich dann, das verstehe ich nicht. Erklär es mir doch. Und er meint nur, welchen Sinn würde es machen?
Er ist wirklich fähig, und wenn er endlich seine eigene Wohnung hätte, würde er prima zurechtkommen. Ich wünschte nur, er würde seinen Traum von einer eigenen chemischen Reinigung aufgeben. Er hat die verrückte Idee, dass er und ich irgendwie gemeinsam so was machen könnten. Keine Chance, sage ich ihm immer wieder. Ich hab keine Lust, mein Leben damit zu verbringen, die dreckigen Klamotten anderer Leute anzunehmen, und ich hasse diesen chemischen Geruch und den Dampf in diesen Läden.
Allerdings hatte ich nichts dagegen, Ganesh in dem kleinen Zeitungsladen ein wenig zur Hand zu gehen, während sein Onkel Hari in Indien war, besonders morgens, wenn es am meisten zu tun gab. Und da Weihnachten vor der Tür stand, würde es wohl bald den lieben langen Tag hektisch werden. Hari hatte Ganesh erlaubt, mich als Teilzeitkraft einzustellen, und ich brauchte das Geld. An dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass ich eines Tages Schauspielerin sein werde – fast hätte ich schon einen Abschluss in Schauspielkunst gehabt –, doch in der Zwischenzeit nehme ich jede anständige Arbeit an, die sich mir bietet, einschließlich inoffizieller Ermittlungen.
Und so fuhr Onkel Hari davon und hinterließ Ganesh drei Seiten Papier, vollgeschrieben mit minutiösen Instruktionen in geschwungener Schreibschrift, und ich tauchte an meinem ersten Arbeitstag frisch und munter Punkt acht Uhr auf. Ganesh war schon seit sechs Uhr dort, aber ich habe meine Grenzen. Alles lief reibungslos, jedenfalls zunächst, und ich genoss das Gefühl, endlich wieder eine richtige Arbeit zu haben. Es war eine ziemlich interessante Arbeit in Onkel Haris Laden, und am Ende der ersten Woche bekam ich meine Lohntüte und fühlte mich endlich als richtiges Mitglied der Gesellschaft. Nur, dass es nicht anhalten sollte. Ich hätte es wissen müssen.
Es war am darauf folgenden Dienstag, als die Dinge anfingen, aus dem Ruder zu laufen. Die Woche hatte gut angefangen. Ganesh und ich hatten den Sonntag damit verbracht, im Laden Weihnachtsdekorationen aufzuhängen. Ganeshs Vorstellung davon, wie eine Dekoration auszusehen hat, besteht aus Rot, massenweise Rot, und Gold, womöglich noch mehr Gold, aufgelockert durch ein gelegentliches leuchtendes Rosa oder strahlendes Türkis. Als wir mit dem Dekorieren fertig waren, sah der Laden fantastisch aus – wahrscheinlich mehr nach Diwali als nach Weihnachten, aber Ganesh und ich waren vollauf zufrieden mit unserem Werk.
Den ganzen Montag heimsten wir Komplimente von der Kundschaft ein und sonnten uns darin. Dann, am Dienstag, kam eine Postkarte vom Taj Mahal. Onkel Hari hatte geschrieben, und die Stimmung änderte sich. Ganesh summte nicht mehr munter vor sich hin, sondern lief mit gesenktem Kopf unter den Girlanden aus rotem Krepp hindurch. Er hatte die Postkarte an das mit goldenen Troddeln geschmückte Zigarettenregal hinter der Ladentheke geklemmt und warf immer wieder verstohlene Blicke auf das Bild.
Ich hatte mir bereits gedacht, dass Ganesh etwas ausheckte, weil er im Verlauf der letzten Woche eine Reihe verstohlener Anrufe getätigt hatte und zufrieden mit sich und der Welt aussah. Ich wusste, dass es nicht allein die bevorstehenden Weihnachtstage sein konnten und die Aussicht auf den zu erwartenden guten Umsatz. Ich sah ihm an, dass er darauf brannte, es mir zu erzählen, ganz besonders im Verlauf des Sonntags, während wir die Dekoration anbrachten, doch ich zeigte ihm nicht, wie unglaublich groß meine Neugier war. Mit dem Eintreffen der Postkarte war es mit Ganeshs zufriedener Selbstsicherheit vorbei, und er sah immer sorgenvoller aus. Schließlich rückte er mit der Sprache heraus.
Wir machten gerade Frühstückspause. Der morgendliche Stoßbetrieb hatte nachgelassen, und im Augenblick war niemand außer uns im Laden. Der leere, regennasse Bürgersteig draußen ließ vermuten, dass es tagsüber ruhig bleiben würde, bevor das Abendgeschäft wieder einsetzte. Wir mussten nicht extra nach oben in die Wohnung gehen, um uns Kaffee zu machen, da wir unten im Laden einen elektrischen Wasserkocher hatten, den ich im Waschraum mit Wasser füllte.
Das Gebäude war alt und vor langer Zeit umgebaut worden. Früher einmal war es sicher ein sehr hübsches Haus gewesen. Es gibt zwei Treppen nach oben in die Wohnung, eine vom Laden aus, die ehemalige Hintertreppe, und eine durch einen separaten Eingang von der Straße her. Der Waschraum war nachträglich an der Rückseite des Hauses angebaut worden, ein Museum aus freiliegenden Bleirohren und Armaturen, damals wahrscheinlich der Gipfel des Modernen. Es war alles so sauber, wie es angesichts des allgemeinen Zustands nur möglich war, doch das war auch schon alles. Das Waschbecken hing schief an der Wand, der Wasserhahn tropfte. Die Fliesen an den Wänden waren gesprungen, und zwischen den Bodenfliesen gab es breite Spalten. Der Lüftungsventilator war mit Staub und toten Fliegen verstopft. Der Wasserbehälter des Klos hing hoch oben an der Decke, und die Spülung wurde mit einer Kette ausgelöst. Der Kasten gab jedes Mal ein lautes Klacken von sich, wenn man an der Kette zog, und der Deckel saß locker und drohte einem auf den Kopf zu fallen, wenn man nicht Acht gab. Das Klo selbst war ein pièce de résistance. Ein Original, kein Witz, über und über mit einem Muster aus blauen Vergissmeinnicht verziert. Die Brille war aus Holz und besaß einen Riss, der einen in den Hintern zwickte. Ich kann Ihnen sagen, dieser Waschraum war nur auf eigene Gefahr benutzbar. Ich nannte ihn die »Kammer des Schreckens«.
Um fair zu sein, auch Ganesh hatte mit Onkel Hari wegen des Zustands des Waschraums geschimpft, seit er bei ihm eingezogen war. Doch wann immer er Hari angesprochen hatte, die Antwort hatte stets gleich gelautet: Hari war kein reicher Mann, der es sich leisten konnte, Dinge einfach so gegen neue zu ersetzen. »Außerdem«, hatte er erklärt, »sieh dir doch nur diese wunderbare Kloschüssel an! Wo sollte ich so eine Antiquität wohl wieder herbekommen?«
Er versprach üblicherweise, einen neuen Wasserhahn zu besorgen, doch selbst das wurde immer wieder aufs Neue verschoben.
An diesem Morgen jedenfalls steuerte ich mit je einem Becher Kaffee in der Hand die Ladentheke an und sagte unwirsch: »Du könntest ja wenigstens diesen tropfenden Wasserhahn reparieren, Ganesh, während Onkel Hari im Urlaub ist.«
Bei meinen Worten hellte sich Ganeshs düstere Miene sichtlich auf. Er kicherte, trommelte mit den Knöcheln auf die Theke, und gerade als ich dachte, jetzt sei er völlig übergeschnappt, rückte er mit seinem Geheimnis heraus.
»Ich kann noch etwas viel Besseres, Fran. Ich werde das ganze Ding renovieren lassen, während Onkel Hari nicht da ist. Raus mit dem alten Mist und alles brandneu!«
Er strahlte mich an. Ich stand da, verschüttete vor Schreck fast meinen Kaffee und starrte ihn mit offenem Mund an. Ich hatte nur an einen neuen Wasserhahn gedacht. Ganesh musste eine Ausgabe von Homes and Gardens aus dem Regal genommen und darin gelesen haben. Offensichtlich waren ihm die schönen Bilder zu Kopf gestiegen.
»Hari wird sicher nicht damit einverstanden sein!«, sagte ich.
»Onkel Hari weiß nichts davon, nicht bevor er zurückkommt, und dann ist es bereits zu spät, ein Fait accompli, wie man so etwas wohl nennt.«
»Man nennt so etwas einen hysterischen Anfall«, entgegnete ich. »Das wird Onkel Hari nämlich bekommen, wenn er die Rechnung sieht.«
Ganesh nahm mir einen Becher Kaffee aus der Hand und sah mich nicht mehr ganz so selbstgefällig an. »Onkel Hari hat mir die Leitung des Geschäfts überlassen, richtig?«, sagte er halsstarrig. »Ich bin befugt, Schecks zu unterschreiben, richtig? Also werde ich den Anbau renovieren lassen, und er kann überhaupt nichts dagegen tun, auch wenn es ihm nicht passt. Was soll er denn machen? Mich rauswerfen? Ich gehöre zur Familie, er kann mich nicht rauswerfen. Außerdem kenne ich den alten Geizkragen. Er sträubt sich ständig, für irgendetwas Geld auszugeben, aber wenn es erst einmal ausgegeben ist, dann findet er sich damit ab. Wenn er erst sieht, wie schön es geworden ist und dass die Kosten im Rahmen geblieben sind, dann kommt er darüber hinweg. Es wertet das Haus auf. Das ist etwas Gutes. Und wenn er immer noch zetert, dann sage ich ihm einfach, der alte Waschraum hätte gegen die Vorschriften über Sauberkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz verstoßen, was wahrscheinlich nicht einmal gelogen ist.«
Ich spielte den Advocatus Diaboli. Irgendjemand musste es tun. Ganesh war einfach zu überzeugt von seiner Idee. »Es wird ein Vermögen kosten!«, sagte ich.
»Nein, wird es nicht. Ich habe einen vernünftigen Kostenvoranschlag. Absolut preiswert. Der Typ kann am Freitag mit der Arbeit anfangen und ist Ende nächster Woche fertig, ganz bestimmt.«
Ich setzte mich auf den Hocker hinter der Theke und nippte an meinem Kaffee. Alles klang irgendwie viel zu einfach. »Wieso ist es so billig?«, fragte ich. »Sämtliche Armaturen müssen rausgerissen und neue eingebaut werden. Der Ventilator hat meines Wissens noch nie funktioniert und muss ebenfalls ersetzt werden. Die Leitungen sind alt. Die Wände müssen gestrichen werden, die Fliesen neu verlegt …«
»Alles berücksichtigt«, sagte Ganesh unbekümmert. »Und er übernimmt die Entsorgung der alten Armaturen und des restlichen Schutts.«
»Wer?«, fragte ich misstrauisch.
Ganeshs Aura der Zuversicht schwand ein klein wenig. »Hitch«, sagte er.
Ich prustete in meinen Kaffee. »Hitch? Bist du wahnsinnig?«
»Hitch leistet gute Arbeit«, entgegnete Ganesh halsstarrig. »Und er ist preiswert.«
»Er ist nur deshalb so preiswert«, entgegnete ich, »weil das ganze Material, das er verwendet, von irgendeinem Bauhof geklaut wurde.«
»Nein, wurde es nicht! Oder jedenfalls diesmal nicht. Das war das Erste, was ich mit ihm abgeklärt habe. Glaubst du, ich bin blöde? Es ist alles vollkommen legal. Er hat mir die Namen seiner Lieferanten genannt. Ich kann bei ihnen anrufen, wenn ich will – und das werde ich auch tun, bevor Hitch anfängt. Ich bin nicht blöde, Fran!«
Ich hätte widersprechen können, und vielleicht hätte ich es tun sollen, doch letzten Endes ging es mich nichts an. Ich zweifelte nicht daran, dass Hitch ihm die Telefonnummer eines »Lieferanten« gegeben hatte. Doch ich war bereit zu wetten, dass sich am anderen Ende der Leitung irgendein Kumpan von Hitch verbarg, der in irgendeiner Garage saß, die bis unter die Decke mit gestohlenem Baumaterial voll gestopft war. Ganesh ist eigensinnig und weiß alles immer besser als andere. Er hätte nicht auf mich gehört. Warum also ließ ich ihn nicht einfach machen? Ein neuer Waschraum wäre schließlich ganz hübsch. Doch die Tatsache, dass von allen Leuten ausgerechnet Ganesh sich so benahm, erschreckte mich ein wenig. Er war für gewöhnlich so sensibel und untersuchte die Dinge stets von allen Seiten. Er handelte niemals unbesonnen, spielte nie und tat nichts, das seiner Familie Sorgen machen könnte (außer, dass er mit mir befreundet war, heißt das, worüber sie sich zu Tode sorgten).
Ich beließ es also dabei und konzentrierte mich auf meinen Kaffee. Ganesh war offensichtlich der Meinung, er hätte die Auseinandersetzung gewonnen, und so kehrte seine gute Laune zurück. Im Laden herrschte eine Atmosphäre von Waffenstillstand.
In diesem Augenblick wurde die Ladentür geöffnet. Zuerst spürte ich lediglich einen kalten Luftzug, der die Illustrierten in den Regalen und die Kreppgirlanden rascheln ließ. Eine Girlande aus ineinander verschlungenem rotem und türkisfarbenem Krepp fiel herab. Ein Schwall Regen prasselte auf die Fliesen. Weiterer Flitter fiel von den Regalen. Ganesh und ich sahen auf.
In der Tür war die Silhouette eines Mannes zu erkennen. Er blieb nur kurz dort stehen, stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab, dann stolperte er zur Ladentheke und packte sie, um sich festzuhalten. Ganesh streckte die Hand nach dem Brecheisen aus, das er zum Öffnen von Kisten und zum Verjagen von Betrunkenen unter der Ladentheke aufbewahrte. Ich stand wie angewurzelt da, fasziniert und entsetzt zugleich.
Ich starrte in eine Halloweenmaske – weit aufgerissener Mund, hervorquellende Augen, blutverschmiertes Gesicht und eine klaffende Wunde über der Augenbraue. Noch mehr Blut lief aus beiden Nasenlöchern. Ich wusste, dass ich etwas unternehmen musste, doch ich konnte mich nicht bewegen. Die Finger krallten sich in die Ladentheke, und aus dem Mund des Mannes kamen unartikulierte Laute. Mit einem letzten kehligen Gurgeln brach er zusammen und sackte vor der Theke zu Boden. Silbernes Lametta segelte hinter ihm her.
Wir erwachten aus unserer Erstarrung und rannten um die Theke herum. Der Fremde saß mit dem Rücken an die Theke gelehnt auf dem Boden, die Beine weit von sich gestreckt, der blutige Kopf grotesk geschmückt mit Lamettafäden.
»Jesses!«, rief Ganesh. »Hol ein Handtuch, Fran!« Er rannte zur Tür, blickte die Straße hinauf und hinunter, drehte das Schild an der Tür auf »GESCHLOSSEN« und sperrte die Tür ab. Wer auch immer den Fremden so zugerichtet hatte, wir wollten nicht, dass er uns einen Besuch abstattete.
Wir befreiten den Verwundeten von seinem Lamettaschmuck, halfen ihm auf die Beine und schoben ihn ins Lager. Er stolperte ächzend zwischen uns her, anscheinend unverwundet bis auf das schlimm zugerichtete Gesicht.
Wir setzten ihn auf einen Stuhl, und ich riss eine Packung Kleenex auf, um das Blut abzuwischen.
»Hast du nichts anderes?«, zischte Ganesh, der selbst in einem Augenblick wie diesem nicht vergaß, dass er diese Packung nun als nicht verkauft abschreiben musste. »Hättest du denn kein Toilettenpapier nehmen können?«
»Mach einen heißen Tee!«, schnappte ich statt einer Antwort.
Unser Patient stieß ein Röcheln aus, dann schien er allmählich wieder zu klarem Verstand zu kommen. Seine Nase hörte nicht auf zu bluten, also stopfte ich ihm zusammengeknüllte Pfropfen aus Kleenex in die Nasenlöcher und sagte ihm, er solle durch den Mund atmen.
Ganesh kehrte mit einem Becher Tee zurück.
»Da’ke sehr«, murmelte der fremde Mann.
»Was ist denn passiert, Kumpel?«, fragte Ganesh. »Wurden Sie überfallen? Möchten Sie, dass ich die Polizei rufe?«
»’ein!«, rief der andere erschrocken und verschüttete beinahe seinen Tee.
»Bleiben Sie ruhig!«, befahl ich. »Sie fangen sonst wieder an zu bluten! Vielleicht sollten wir ihn ins Krankenhaus bringen, Gan. Er hat sich möglicherweise die Nase gebrochen.«
»’ein! ’ein! Ich will ’icht i’s Kra’ke’haus!« Der Fremde sah ein, dass mit den beiden Pfropfen in der Nase keine vernünftige Unterhaltung möglich war, also entfernte er die blutgetränkten Kleenexbällchen und warf sie in den Papierkorb. Ich wartete auf einen neuerlichen roten Wasserfall, doch er kam nicht. Meine erste Hilfe hatte funktioniert.
»Keine Polizei«, sagte er entschlossen. »Kein Krankenhaus. Mir geht es schon wieder besser.«
»Wie Sie meinen, Kumpel«, sagte Ganesh einigermaßen erleichtert. Er wollte nicht, dass die Polizei in seinen Laden kam. So etwas schreckte die Kundschaft ab. Genauso wenig, wie er den Mann zum nächsten Krankenhaus fahren wollte. »Wenn Sie meinen, alles wäre in Ordnung, dann ist es wohl so, Kumpel. Sie hatten einfach Pech, wie? Normalerweise ist die Gegend hier am helllichten Tag sicher.«
Das Opfer murmelte Zustimmung. »Ja. Ich hatte wohl einfach Pech.«
Ich fragte mich, ob er uns Einzelheiten verraten würde, doch offensichtlich hatte er das nicht vor. Er klopfte die Innentasche seines Mantels ab und anschließend die Seitentaschen. Schließlich fand er ein Taschentuch, mit dem er vorsichtig über sein geschwollenes Gesicht rieb. Als er es wieder wegnahm, war es blutig. Er betrachtete das Blut interessiert.
Ganesh wurde unruhig. »Hören Sie, Kumpel, ich muss den Laden wieder aufmachen. Ich kann nicht noch länger warten. Ich büße Umsatz ein. Sie können hier sitzen, solange Sie wollen, okay? Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Es tut mir wirklich Leid.« Unser Besucher sah uns gramvoll an. Er steckte sein Taschentuch wieder ein und kramte erneut in der Innentasche seines Mantels. »Ich sehe ein, dass Sie Umsatz eingebüßt haben. Warten Sie, ich möchte es wieder gutmachen.«
Bis zu diesem Augenblick hatten weder Ganesh noch ich daran gezweifelt, dass der Fremde überfallen worden war. Deswegen waren wir beide ein wenig überrascht, als er eine Brieftasche zückte und dieser einen Zehner entnahm. Er hatte nicht allein in der Brieftasche gesteckt, sondern in reichlich viel Gesellschaft – soweit ich erkennen konnte, befanden sich wenigstens noch ein Zwanziger und ein paar Fünfer darin.
Ich warf Ganesh einen fragenden Blick zu. Er dachte das Gleiche wie ich. Der Fremde war nicht überfallen und beraubt worden. Wenn Räuber Zeit genug fanden, ein Opfer so zuzurichten wie den Fremden, dann hatten sie auch genug Zeit, um ihn von oben bis unten nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Abgesehen von der Brieftasche hatte er auch noch seine Armbanduhr am Handgelenk sowie einen goldenen Siegelring am Finger. Ich konnte die Initialen nicht erkennen. Leider. Sie waren ineinander verschlungen und verschnörkelt, aber ich meine, ein »C« wäre darunter gewesen.
Unser Besucher sah uns beunruhigt an. Er hatte unseren Blickwechsel missverstanden. »Ist es nicht genug?«, fragte er.
»Nein. Ich meine ja, selbstverständlich reicht es!« Ganesh nahm den Zehner entgegen. Wir hatten schließlich den Laden für eine Weile schließen müssen.
Ich musterte unseren Gast ein wenig genauer. Plötzlich erschien er mir höchst interessant. Er war Mitte dreißig, groß gewachsen und trug unter dem dunkelgrauen Mantel einen dunklen Anzug. Das weiße Hemd war blutbesudelt, und die Krawatte saß schief. Sein verletztes Auge war inzwischen zugeschwollen. Er sah immer noch nicht wieder fit aus, doch selbst in diesem Zustand war er ein attraktiver Bursche. Andererseits glaubte ich etwas zu erkennen, das nicht so recht ins Bild passte. Er war angezogen wie ein Geschäftsmann, doch er sah nicht danach aus, als würde er tagaus, tagein in einem Büro arbeiten. Ein schwacher Geruch nach Nikotin verriet mir, dass er ein starker Raucher sein musste, und Büros waren heutzutage eher rauchfreie Zonen. Man kann die Vertriebenen überall sehen, wie sie sich unten auf der Straße unglücklich vor den Eingängen herumdrücken und an ihren Glimmstängeln ziehen, während sie gleichzeitig Schutz vor dem Regen suchen.
Andererseits sah er auch nicht aus wie jemand, der sein Leben im Freien verbrachte, auch wenn seine Haut eine frische Bräune aufwies. Vielleicht war er im Urlaub gewesen. Es war nicht fair, unter den gegebenen Umständen ein Urteil zu fällen, doch in meinen Augen passten sein Anzug und sein Mantel nicht so recht ins Bild. Sie wirkten zu neu und zu wenig unmodisch, die Sorte Kleidung, die man im Schrank behielt für die seltene Gelegenheit, bei der man Eindruck erwecken wollte, und die man längst nicht Tag für Tag trug. Seine Hose wurde nicht von einem dieser schicken Gürtel mit schicker Schnalle gehalten, sondern von einem dicken Ledergürtel mit einer Messingschließe, die definitiv nach Freizeitkleidung aussah.
Verstehen Sie nun, warum ich mich selbst für eine ziemlich gute Detektivin halte? Mir fallen Dinge wie diese auf. Sie kennen meine Methoden, Watson. Hier, so schlussfolgerte ich, hatten wir einen relativ jungen Mann vor uns, der normalerweise in Freizeitkleidung herumlief und heute ausnahmsweise geschäftsmäßig ausstaffiert das Haus verlassen hatte. Warum? Um jemanden zu beeindrucken. Keine Frau. Nicht in diesem Mantel. Nein, einen Kerl, und zwar von der Sorte, die in schicken Anzügen rumlief und wenig beeindruckt war von Khakihosen und Lederjacke. Er war also losgegangen, um ein Geschäft abzuschließen, doch wem auch immer er begegnet war, die Sache war schief gelaufen. Wahrscheinlich waren es mehrere gewesen, denn unser Freund hier sah aus, als wäre er durchaus imstande, sich eines einzelnen Angreifers zu erwehren. Ich war bereit zu wetten, dass er sich mit irgendeinem halbseidenen Typen getroffen hatte, vielleicht sogar mit jemandem, der einen Gorilla bei sich hatte. Die Sache war nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Er hätte nicht alleine gehen sollen. Es sei denn natürlich, er hatte einen guten Grund, sein Geschäft geheim zu halten.
»Ich will keinen Ärger«, sagte Ganesh in diesem Augenblick. »Wer auch immer hinter Ihnen her ist, glauben Sie, sie lauern noch draußen und suchen nach Ihnen? Könnte es sein, dass sie hereinkommen?« Bevor der Fremde antworten konnte, fügte er hinzu: »Hören Sie, ich will ja nicht neugierig sein, aber Sie wurden nicht überfallen, habe ich Recht?«
»Ein Räuber hätte Sie niedergeschlagen, während der andere Ihre Wertsachen an sich genommen hätte«, gab ich meinen Senf dazu. »Wir wollen Folgendes damit sagen: Wenn Sie eine private Auseinandersetzung hatten, dann ist das Ihre Angelegenheit. Wir wollen nicht, dass der Laden zu Schaden kommt.«
»Ich glaube nicht, dass die Versicherung in diesem Fall zahlen würde«, fügte Ganesh hinzu, »schon allein deswegen, weil wir die Polizei nicht gerufen haben.«
Der Fremde nahm sich Zeit, bevor er antwortete, und ich konnte es ihm nicht verdenken. »Ich verstehe Ihren Standpunkt«, sagte er schließlich. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob draußen jemand auf mich wartet oder nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass mich niemand gesehen hat, als ich hier hereingekommen bin. Aber vielleicht suchen sie noch nach mir.«
Er machte Anstalten, sich von seinem Stuhl zu erheben. »Machen Sie sich keine Gedanken wegen mir«, sagte er. »Ich gehe das Risiko ein.«
Er klang tapfer und verzweifelt, wie der arme Kerl, der mit Scott zusammen in die Antarktis gefahren und nach draußen in den Schnee gegangen war, als die Vorräte zur Neige gingen. Die ganze Situation schien eine Reaktion von unserer Seite geradezu herauszufordern. Nicht zum ersten Mal machte ich den Mund auf, wo ich besser geschwiegen hätte.
»Ich sage Ihnen, was wir machen«, sagte ich. »Ich schlüpfe durch die Hintertür nach draußen und komme vorne herum wieder rein, als wäre ich ein gewöhnlicher Kunde, während ich mich umsehe, ob draußen jemand lauert.«
»Pass aber auf«, mahnte Ganesh besorgt.
Ich hatte noch eine Frage an den Fremden. »Nach wem soll ich Ausschau halten?«
»Sie sitzen in einem Wagen«, sagte er. »Einem silbergrauen Mercedes. Sie haben an der Ampel am Ende des Blocks gehalten. Ich konnte die Tür aufstoßen und mich auf die Straße rollen.«
»Sie« sind wohl zu sorglos gewesen, dachte ich, und haben ihren Mann verloren. Wer auch immer sie bezahlte, er war bestimmt nicht erfreut. Sie würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihren Mann wiederzufinden.
»Ich wäre fast von einem verdammten Bus überfahren worden!«, sagte unser mitgenommener Besucher aufgebracht.
»Haben Sie sich die blutige Nase beim Rausspringen geholt?«, fragte Ganesh.
»Tun Sie mir einen Gefallen, ja? Schauen Sie, wenn Sie einen Wagen sehen mit zwei Typen drin, einer groß mit einem Pferdeschwanz, der andere klein, das sind die Kerle. Ich schätze, sie haben nicht gesehen, wie ich in Ihr Geschäft gerannt bin. Ich schätze, als sie eingesehen haben, dass ich ihnen entkommen bin, haben sie gemacht, dass sie von hier wegkommen.« Er wurde richtiggehend munter. In mir keimte der Verdacht, dass unser Gast nicht zum ersten Mal in so einer Situation gewesen war, aus der er sich um Haaresbreite befreit hatte. Das Ganze wurde von Minute zu Minute merkwürdiger.
»Warum haben sie es getan?«, hörte ich mich fragen.
»Ein Missverständnis«, entgegnete er, und ich merkte sofort, dass er nicht bereit war, mehr zu verraten. Ich hatte allerdings auch nicht mehr erwartet.
»Pass auf dich auf«, murmelte Ganesh einmal mehr.
»Keine Sorge, Ihnen passiert schon nichts«, sagte unser Gast wenig galant. »Die Kerle rechnen nämlich nicht mit einer Frau.«
Ich hoffte inbrünstig, dass er Recht hatte, während ich mich aus der Hintertür stahl, den Kragen meiner fleecegefütterten Baumwolljacke hochschlug, um den Regen abzuhalten und mein Gesicht zu verbergen, und mich die an der Rückseite des Hauses verlaufende Gasse entlang in Bewegung setzte. Ich gelangte in die Seitenstraße und von dort zurück zur Hauptstraße.
Dort gab es eine Bushaltestelle, wo ich mich ein wenig herumdrückte, als wartete ich auf den Bus, während ich den Verkehr beobachtete. Es herrschte ziemlich viel Betrieb auf der Straße – Taxis, Lieferwagen, Limousinen, ein oder zwei Motorräder. Kein Mercedes. Eine doppelte gelbe Linie verbot auf der ganzen Länge das Parken, und das einzige Fahrzeug, das am Straßenrand stand, war ein roter Lieferwagen der Post.
Ich wandte mich ab und lehnte mich lässig an den Metallpfosten. Die Leute auf dem Bürgersteig waren der ganz gewöhnliche Mob, hauptsächlich Frauen um diese Tageszeit, manche mit kleinen Kindern. Ein oder zwei heruntergekommen aussehende Gestalten kamen vorbei, aber keiner von ihnen sah aus wie ein Schläger, und keiner besaß einen Pferdeschwanz. Es war eine offene Bushaltestelle ohne Dach, und ich wurde allmählich nass. Ich hob die Hand, um mir das Wasser aus den Haaren zu streichen. Einen Sekundenbruchteil später hörte ich hinter mir dumpfes Reifenquietschen. Ich hatte so angestrengt die Straße entlang gesehen, dass ich die Ankunft des Doppeldeckerbusses völlig überhört hatte. Eine Frau stieg aus. Der Fahrer spielte erwartungsvoll mit dem Gaspedal, und ich begriff, dass er mich zum Einsteigen aufforderte.
»Kommen Sie jetzt oder nicht?«, rief er mir entgegen. Ich winkte ab. »Sie haben mich aber rangewinkt!«, schnauzte er.
»Nein, habe ich nicht!«, schnauzte ich zurück.
»Haben Sie verdammt noch mal wohl! Sie haben die Hand ausgestreckt!«
»Nein, habe ich nicht. Ich hab mir den Kopf gerieben.«
»Ich muss meinen Fahrplan einhalten, wissen Sie?«, informierte er mich.
»Nun, dann fahren Sie doch weiter, und halten Sie ihn ein!« Ich hatte genug von diesem Geschwätz.
Er bedachte mich mit einem gemeinen Blick und beschleunigte den schweren Bus. Er gehörte offensichtlich zu jenen, die den Geist der Weihnacht einfach nicht begriffen hatten.
Falls uns jemand beobachtet hatte, war meine Tarnung aufgeflogen, also konnte ich genauso gut in den Laden zurückkehren und melden, dass die Luft, soweit ich es beurteilen konnte, wieder rein war.
Ich schlenderte zum Laden. Ganesh stand hinter der Glastür, eingerahmt in Gold, und spähte zwischen einem Sticker mit Mars-Reklame und einem zweiten mit Werbung für Rizla-Zigarettenpapier hindurch. Auf mein Nicken hin drehte er das »GESCHLOSSEN«-Schild um und sperrte die Tür wieder auf.
»Ich konnte niemanden sehen«, sagte ich und wischte mir die herablaufenden Regentropfen aus dem Gesicht. »Ich hatte einen Streit mit einem Busfahrer, weiter nichts. Wo steckt unser Freund?«
»Er macht sich im Waschraum sauber.«
»Hoffentlich verschmiert er nicht alles mit seinem Blut. Wenn Hitch erst mit dem Renovieren fertig ist, bist du bestimmt wählerischer, wen du dort hineinlässt. Hast du unseren Besucher wegen dem losen Deckel auf dem Wasserkasten gewarnt? Wäre eine Schande, wenn er sich in dem Waschraum noch schlimmere Verletzungen zuziehen würde, als er ohnehin schon hat. Er könnte dich verklagen. Er könnte seinen Zehner zurückverlangen.«
»Ich habe ihn gewarnt«, erwiderte Ganesh gereizt.
Die Spülung wurde lautstark betätigt, und dann kam der Fremde wieder heraus. Er hatte sich alles Blut abgewaschen, seinen Mantel abgerieben, und abgesehen von den Schwellungen war auf den ersten flüchtigen Blick nicht mehr zu erkennen, dass er erst kurze Zeit zuvor in ernsten Schwierigkeiten gesteckt hatte. Ich sagte ihm, dass ich draußen weder einen Mercedes noch einen Schläger mit Pferdeschwanz gesehen hätte.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte er. »Ich dachte mir schon, dass sie verschwunden sind. Sie haben nicht gesehen, wie ich den Laden betreten habe. Die ganze Aufregung war umsonst.«
Er hatte sein Selbstvertrauen völlig zurückgewonnen und war durchaus imstande, allein mit seinen Problemen fertig zu werden. Ich wünschte trotzdem, ich hätte gewusst, was das für Probleme waren.
»Ich danke Ihnen vielmals«, sagte er freundlich. »Ich weiß zu schätzen, was Sie für mich getan haben.«
Mit diesen Worten öffnete er die Tür und schlüpfte nach draußen. Hastig sah er sich in beide Richtungen um, dann ging er rasch davon.
Eine weitere Papiergirlande segelte herab.
»So viel dazu«, sagte Ganesh. »Ein wenig Abwechslung am frühen Morgen, würde ich sagen.«
»Ich wünschte nur, ich wüsste, was das alles zu bedeuten hat«, sagte ich versonnen und erzählte Ganesh, was ich von unserem Besucher dachte. »Es ist alles nur geraten und Vermutungen«, fügte ich hinzu, »aber man weiß eben immer gerne, ob man richtig gelegen hat.«
»Du wüsstest es gerne«, entgegnete er. »Lass mich außen vor. Ich bin sicher, es ist besser, wenn wir es nicht wissen.« Ganesh öffnete die Kasse, nahm zwei Fünfer heraus, legte den Zehner hinein und schloss die Lade wieder. Er reichte mir einen Fünfer und steckte den anderen in seine Jackentasche.
»Das haben wir uns verdient«, sagte er.
Wir? Soweit ich mich erinnern konnte, war ich diejenige, die nach draußen in den Regen gegangen war und sich möglicherweise zu einer Zielscheibe für Ärger gemacht hatte. Ganesh war im warmen Laden geblieben und hatte Tee gekocht. Aber man sollte nie mit dem Mann streiten, der das Geld in den Fingern hält.
»Vermutlich werden wir es nie erfahren«, sagte ich und steckte meinen Fünfer ein.
Doch ich sollte mich irren, und Ganesh sollte wie üblich Recht behalten. Wir würden herausfinden, was das alles zu bedeuten gehabt hatte – und es wäre besser gewesen, wenn wir es nicht erfahren hätten.