Am 9. November 2016 um 9:32 Uhr Moskauer Ortszeit trat der Abgeordnete Wjatscheslaw Nikonow der Pro-Putin-Partei Einiges Russland ans Rednerpult der Staatsduma, des russischen Äquivalents des US-Repräsentantenhauses, um eine ganz außergewöhnliche Erklärung abzugeben.
Der Enkelsohn von Wjatscheslaw Molotow – dem kaltblütig-skrupellosen Stalinisten, nach dem der Molotowcocktail benannt wurde – war seit etwa 40 Jahren in der sowjetischen und russischen Politik aktiv gewesen und hatte dabei auch zeitweise in Wladimir Putins Stab gedient. Jetzt wollte er eine ziemlich schlichte, zurückhaltende Ankündigung machen, die auf ihre Art jedoch ebenso historisch und aufrührerisch war wie alles, was sein Großvater jemals getan hatte.
»Liebe Freunde, verehrte Kollegen!«, sagte Nikonow. »Vor drei Minuten hat Hillary Clinton anerkannt, dass sie die US-Präsidentschaftswahlen verloren hat. Vor ein paar Sekunden hat Trump begonnen, seine Antrittsrede als gewählter Präsident der Vereinigten Staaten zu halten, und dazu gratuliere ich Ihnen.«1
Obwohl Nikonow nicht erwähnte, was viele im Kreml bereits wussten, wurde sein kurzes Statement mit begeistertem Applaus begrüßt: Donald J. Trump war soeben zu Wladimir Putins Mann im Weißen Haus geworden.
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Dieses Buch berichtet von einer der größten Geheimdienstoperationen der Geschichte, einem Unterfangen, das jahrzehntelang vorbereitet worden war und durch das die russische Mafia und russische Geheimagenten es schafften, ein entweder absichtlich unwissendes oder unerklärlich ahnungsloses Russian asset zu finden (mit »Asset« ist hier eine Person gemeint, die Einfluss auf die öffentliche Meinung hat), zu kompromittieren und dann als mächtigsten Mann der Welt im Weißen Haus zu installieren. Ohne einen einzigen Schuss abzugeben, schafften es die Russen durch diese Operation, einen Mann an die Macht zu bringen, der sich sofort daranmachte, das westliche Bündnis zu untergraben, das seit mehr als 70 Jahren das Fundament der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten gebildet hatte; massive Handelskriege mit den langjährigen Verbündeten der Vereinigten Staaten vom Zaun zu brechen; gegen Zuwanderung agitierenden Populisten vom rechten Flügel Auftrieb zu geben und die rechtsstaatliche Verfasstheit der Vereinigten Staaten zu attackieren.
Kurzum, in einer Zeit, in der die USA mit einer neuen Form der Kriegsführung konfrontiert waren – einem hybriden Krieg, der über Cyberkrieg, Hackerangriffe, Desinformation und Ähnliches mehr geführt wurde –, sollten sie von einem Mann geführt werden, der die Abwehr des Landes untergraben und ungewollt dem Kreml in die Hände spielen würde.
Es ist eine Geschichte, die schwierig zu erzählen ist, obwohl Donald Trumps Beziehungen zu Russland im Verlauf der vergangenen 40 Jahre in vielerlei Hinsicht ein offenes Geheimnis sind. Ein Grund, warum sie so lange weitgehend unbemerkt blieben, könnte darin liegen, dass einige ihrer Aspekte so verstörend und grenzüberschreitend sind, dass es vielen US-Bürgern widerstrebt, sich den finsteren Realitäten zu stellen, die sich direkt vor ihren Nasen abspielen.
Das führt dazu, dass die eigentlichen Worte für das, was geschah, häufig durch erbitterte semantische Diskussionen verdrängt werden. Was immer Russland in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen 2016 getan hat – war es nun ein Angriff auf die Souveränität der Vereinigten Staaten oder nur eine unerwünschte Einmischung? War es ein feindlicher Akt? Hat die Beeinflussung der Russen das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen 2016 geändert? War es Landesverrat? Ist Donald Trump ein Verräter? Ein russischer Agent? Oder lediglich ein sogenannter nützlicher Idiot, der irgendwie – durch absichtliche Blindheit oder kolossale Ahnungslosigkeit – nicht einmal weiß, dass er durch Russland kompromittiert wurde?
Präsident Donald Trump bestreitet natürlich, irgendetwas mit Russland zu tun zu haben. Zehn Tage vor seiner Vereidigung hat er getweetet: »Russland hat nie versucht, mich unter Druck zu setzen. ICH HABE NICHTS MIT RUSSLAND ZU TUN – KEINE DEALS, KEINE KREDITE, ABSOLUT NICHTS!«2
Doch dieses Buch wird zeigen, dass Präsident Donald Trump und Konsorten in den vergangenen 40 Jahren bedeutsame Beziehungen zu mindestens 59 Personen hatten, die Geschäfte zwischen Trump und den Russen förderten – darunter auch Beziehungen zu Dutzenden Personen, die angeblich Verbindungen zur russischen Mafia haben.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump die Verwendung von Trump-Immobilien als ein Vehikel zuließ, das wahrscheinlich seit mehr als 30 Jahren dazu diente, enorme Geldsummen – womöglich Milliardenbeträge – für die russische Mafia zu waschen.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump in ungefähr demselben Zeitraum immer wieder für dem Kreml nahestehende Oligarchen und einige der mächtigsten Figuren der russischen Mafia eine Operationsbasis bereitstellte, in seinem Trump Tower – dem Kronjuwel seines Immobilienimperiums, wo er seine Privatwohnung und sein Büro hat – und in anderen Gebäuden.
Es wird zeigen, dass in diesem Zeitraum die russische Mafia wahrscheinlich de facto der Russischen Föderation gedient hat, ganz ähnlich wie US-Geheimdienste den Vereinigten Staaten dienen, und dass viele Personen aus Trumps Umfeld enge Beziehungen zum russischen FSB (»Föderaler Dienst für die Sicherheit der Russischen Föderation«) pflegten, dem staatlichen Geheimdienst, der als Nachfolger des gefürchteten KGB (»Komitee für Staatssicherheit«) fungiert.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump für sowjetische und russische Geheimdienste seit über 40 Jahren eine Person von Interesse ist, und dass er wahrscheinlich das Ziel einer oder mehrerer Operationen war, die kompromat (kompromittierendes Material) über seine sexuellen Aktivitäten produzierten.
Es wird zeigen, dass russische Akteure, darunter auch Schlüsselfiguren der russischen Mafia, die Schwachstellen der Pay-for-Play-Kultur der US-Politik sehr genau analysierten – vom Vertrieb von Benzin bis zur Wall Street, von Wahlkampfspenden bis zu den Machenschaften von Lobbyisten in der Washingtoner K Street – und dann dutzendweise mächtige Anwälte, Lobbyisten, Steuerberater und Immobilienentwickler engagierten, um das Wahlsystem, die Justiz und diverse Finanzinstitutionen der Vereinigten Staaten zu kompromittieren.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump keineswegs das einzige potenzielle »Asset« war, das von den Russen ins Visier genommen wurde, sondern nur einer von zig Politikern – die meisten von ihnen Republikaner, aber auch einige Demokraten – und Geschäftsleuten, die bei Russland in der Schuld standen, und dass seit über 20 Jahren Millionenbeträge von Einzelpersonen und Unternehmen, die aus Russland stammen oder Verbindungen zu Russland haben, an Politiker der Republikanischen Partei fließen, etwa an Mitch McConnell, den Mehrheitsführer im US-Senat.
Es wird zeigen, dass die mächtigsten Funktionäre der nationalen Sicherheitsdienste der Vereinigten Staaten – darunter die beiden FBI-Direktoren William Sessions und Louis Freeh sowie der Sonderermittler der CIA Mitchell Rogovin – letztlich mit Russen zusammenarbeiteten, die als ernsthafte Bedrohung für die Vereinigten Staaten galten.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump mit vier Milliarden Dollar verschuldet war, als russisches Geld ihn vor dem Bankrott bewahrte, wodurch er nach wie vor tief in Russlands Schuld steht, weil es seine Businesskarriere wiederbelebte und sein neues Leben in der Politik auf den Weg brachte.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump mit einem verurteilten Straftäter namens Felix Sater zusammenarbeitete, der angeblich Verbindungen zur russischen Mafia hatte, und dass Trump die Tatsache nicht öffentlich machte, dass Sater ein Krimineller ist und er selbst von dieser Beziehung profitierte.
Und es wird zeigen, dass Präsident Trump heute, da er Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte ist, im Endeffekt, um es mit den Worten des früheren Nationalen Geheimdienstdirektors James Clapper zu sagen, ein Geheimdienst-»Asset« ist, das dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zuarbeitet3 –, oder, noch schlimmer, wie der ehemalige CIA-Agent Glenn Carle gegenüber Newsweek sagte: »Meiner Einschätzung zufolge arbeitet Trump tatsächlich direkt für die Russen.«4
Aber vielleicht hat James Comey es am besten ausgedrückt. Im Januar 2017, also kaum eine Woche, nachdem Donald Trump als Präsident vereidigt worden war, lud der Präsident den damaligen FBI-Direktor Comey für ein Dinner unter vier Augen ins Weiße Haus ein. Comey hat Trump als »Mann ohne Moral« und »ohne jede Bindung an die Wahrheit« charakterisiert und sein Verhalten mit jenem eines Mafiabosses verglichen; in seinem Buch Größer als das Amt (A Higher Loyalty) schreibt er, Trump habe zu ihm gesagt: »Ich brauche Loyalität. Ich erwarte Loyalität.«5
Diese Forderung habe Comey an eine Initiationszeremonie der Cosa Nostra erinnert, mit Trump in der Rolle des Paten der Mafiafamilie. »Ich war erschüttert«, schreibt Comey. »Eine solche Begegnung hatte ich im Oval Office noch nie erlebt. Und die Tatsache, dass ich in den Trump’schen Dunstkreis gestoßen worden war, verursachte Flashbacks, lauter Dinge aus meiner Anfangszeit als Antimafiaermittler waren plötzlich wieder da. Der Schweigekreis des Einverständnisses. Der Boss mit der absoluten Kontrolle. Die Treueschwüre. Die Weltanschauung nach dem Prinzip ›Wir gegen die‹. Die Lügerei über alles, egal wie groß, im Dienst irgendeines Loyalitätskodex, der die Organisation über die Moral und über die Wahrheit stellt.«6
Comey schreibt, als sei der Vergleich mit der Mafia eine Metapher, doch in gewisser Hinsicht ist er mehr als das. Was folgt, ist die Geschichte der vier Jahrzehnte langen Beziehung Trumps zur Russenmafia und der russischen Geheimdienstoperation, die dazu beitrugen, ihn ins Weiße Haus zu bringen.
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Am 23. Juni 2017, also sechs Monate nach seiner Amtseinführung, verkündete Präsident Donald Trump über Twitter, sein Vorgänger Barack Obama habe »schon lange vorher« gewusst, dass die Russen sich in die US-Präsidentschaftswahlen eingemischt hätten. Dieser Tweet war insofern ungewöhnlich, als er ein seltenes Zugeständnis des Präsidenten enthielt, dass die Russen die US-Wahlen 2016 manipuliert haben könnten, wurde jedoch davon begleitet, dass Trump sämtliche Ermittlungen in dieser Angelegenheit als »Hexenjagd« denunzierte.
An diesem Tag war der russische Präsident Wladimir Putin gerade unterwegs zur Halbinsel Krim, die Russland 2014 von der Ukraine annektiert hatte. Er hatte gute Gründe, für jede Schutzbehauptung seines US-amerikanischen Freundes dankbar zu sein. Sein Besuch auf der Krim war nicht willkommen, da er lokale Animositäten neu entfachte. Das ukrainische Außenministerium ließ verlauten, dass Kiew »diesen Besuch als grobe Missachtung der staatlichen Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine« betrachtete.7 Dies war ein Thema, das im Schattenspiel zwischen den beiden Männern eine große Rolle spielte: Putins offensichtliche Unterstützung für Trump schien Hand in Hand zu gehen mit Trumps stillschweigender Hinnahme der russischen Aggression in der Ukraine.
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Während Putin und Trump die Schlagzeilen beherrschten, ereignete sich in der Ortschaft Devens im US-Bundesstaat Massachusetts etwas, das vom Skandal um Trumps Beziehungen zu Russland Lichtjahre entfernt zu sein schien, obwohl es in einem engen Zusammenhang zu dessen Ursprüngen stand. John »Sonny« Franzese, der älteste Häftling aller US-Bundesgefängnisse, wurde aus dem dortigen Gefängniskrankenhaus entlassen, nachdem er wegen Erpressung eine Haftstrafe von acht Jahren abgesessen hatte.8
Wegen seines Alters – Franzese hatte gerade seinen 100. Geburtstag gefeiert – wurde seine Entlassung auf der ganzen Welt gebührend zur Kenntnis genommen, vom deutschen Spiegel9 bis hin zur New York Post, die pflichtschuldigst Franzeses glorreiche Tage in Erinnerung rief, als er es sich mit Frank Sinatra und Boxweltmeister Jake LaMotta an der Copacabana hatte gut gehen lassen.10 Franzese, ein Underboss – italienisch: capo bastone oder sotto capo – der gefürchteten Gangsterfamilie Colombo, war wiederholt einer Anklage wegen Mordes entgangen, weil er es anscheinend meisterhaft verstand, Leichen verschwinden zu lassen. Nach einem solchen Freispruch tauchte allerdings ein Tonband auf, auf dem seine Stimme zu hören war, als er erklärte, wie er sich der Leichen von Dutzenden seiner Mordopfer entledigt hatte: »Zerstückle das Opfer in einem Kinderplanschbecken. Zerkoche die Körperteile in der Mikrowelle. Stopf das, was übrig ist, in den Mülleimer. Fass dich in Geduld.«11
Franzese war ein Mafioso der alten Schule, ein Relikt aus der Ära der »Five Families« der Cosa Nostra Mitte des 20. Jahrhunderts, deren Bandenkriege die Vorlage für den Hollywoodthriller Der Pate (The Godfather) bildeten. Seine Rückkehr nach Brooklyn beschwor diese packende, mythenumwobene Saga wieder herauf, die tief im Bewusstsein der US-Amerikaner verankert ist. Doch aus unerfindlichen Gründen ist der beständigste Teil seines Erbes, der für immer einen Platz in der US-Geschichte haben wird, heute fast völlig in Vergessenheit geraten. Über seinen Sohn Michael hatte Sonny Franzese eine Masche zur Hinterziehung von Benzinsteuern eingefädelt, die sich zu einem milliardenschweren Geschäft auswuchs, das sechs Jahre reibungslos lief, bis das FBI es Mitte der Achtzigerjahre auffliegen ließ. Dieser Skandal hatte weitreichende geopolitische Folgen, weil er der neu angekommenen russischen Mafiaa ihren ersten großen »Erfolg« verschaffte und sie in die Lage versetzte, eine entscheidende Rolle bei Donald Trumps Aufstieg an die Macht zu spielen – eine so entscheidende Rolle, dass man zu Recht sagen kann, Donald Trump wäre ohne den Einzug der Russenmafia in New York nicht Präsident der Vereinigten Staaten geworden.
Sonny Franzese wurde 1917 in Neapel geboren und wanderte als Kind mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten ein. Als Jugendlicher fuhr er mit einer Schrotflinte bewaffnet als Wächter auf dem Lieferwagen der väterlichen Bäckerei in Brooklyn mit. In seinem Buch Blood Covenant (»Blutsbande«) berichtet Michael Franzese, dass Sonnys Aufstieg zu einer Zeit begann, als das Mafianachtleben bedeutete, im Stork Club in der West 58th Street in Manhattan zu dinieren, Sherman Billingsleys piekfeinem Refugium für die Schickeria, wo er dem Mädchen an der Garderobe den Hof machte und sie bald darauf heiratete. Er verbrachte seine Abende in der Gesellschaft von Leuten wie Grace Kelly, Marilyn Monroe, Ernest Hemingway, Damon Runyon und Walter Winchell. Bald hatten die Franzeses sich zu einem integralen Bestandteil der Colombo-Gangsterfamilie aufgeschwungen, der jüngsten und womöglich brutalsten der fünf Familien der organisierten Kriminalitätb, die sich in einen epischen und mörderischen Vernichtungskrieg untereinander verstrickt hatten.12
Wenn es darum ging, Einnahmen für die Colombo-Familie zu generieren, war Sonny zuständig für Buchmacherei, Wucherkredite, Prostitution, Schutzgelderpressung und Steuerbetrug. Er war ein gewalttätiger, stiernackiger Mann, der für seine platte Boxernase bekannt war – man sagte ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Boxer Rocky Graziano nach – und sich im Lauf der Zeit zu einem drahtigen, sorgsam gepflegten Don entwickelte, der all die typischen Insignien seines Standes zur Schau trug – einen eleganten Borsalino, Brilli am kleinen Finger, spitze schwarze Schuhe, maßgeschneiderte Anzüge und einen hervorragend sitzenden Mantel. Mittlerweile führte er das Kommando über ein halbes Dutzend Lieutenants, die jeweils bis zu 30 Soldaten in der Organisation befehligten, und erwarb sich den Ruf eines brutalen Vollstreckers. »Er schwamm im größten aller Ozeane, und er war der größte, gnadenloseste, furchterregendste Hai in diesem Ozean«, sagte Phil Steinberg, ein enger Freund von Sonny und eine wichtige Figur in der Musikindustrie. »Er war ein Vollstrecker, und er konnte das, was er machte, besser als jeder andere.« Sein Sohn Michael drückte es so aus: Sonny »konnte den furchtlosesten Berufskiller durch bloßes Anstarren lähmen«.13
Aber manchmal ging er auch deutlich darüber hinaus. Im Jahr 1974 wurde ein Soldat der Colombo-Familie, der sich allzu sehr für Sonnys Frau interessiert hatte, in einem düsteren Kellerloch verscharrt mit einer Schlinge um den Hals gefunden. Laut einem Bericht in Vanity Fair waren dem Mann seine Genitalien abgeschnitten und in den Mund gestopft worden, was von den Ermittlungsbehörden als »offenkundiger Ausdruck von Sonnys Missfallen« gedeutet wurde.14
Als Underboss war es Sonny bestimmt, eines Tages die gesamte Colombo-Organisation zu führen, und mit Sohn Michael unter seinen Fittichen suchten die Franzeses nach Chancen in neuen Branchen der boomenden Unterhaltungsindustrie, die sich der Mafia öffneten. Sie finanzierten Deep Throat, den berühmt-berüchtigten Pornofilm mit Linda Lovelace. Sie förderten Phil Steinbergs Plattenlabels Kama Sutra/Buddah Records, wodurch sich diverse Möglichkeiten für Geldwäsche und Bestechung auftaten – ganz zu schweigen von etlichen Hits unter anderen von The Lovin’ Spoonful, The Shangri-Las und Gladys Knight & the Pips.15
Bald hatte sich Michael zu einem ausgewachsenen Caporegime wie sein Vater gemausert. Er landete als jüngste Person auf der Liste der »50 größten Mafiabosse« der Wirtschaftszeitschrift Fortune und galt als einer der größten Spitzenverdiener aus den Reihen der Mafia seit Al Capone.16 Doch spätestens zu Beginn der Achtzigerjahre vollzog sich in der organisierten Kriminalität von New York ein paradigmatischer Wandel, und zwar aus einem Grund, der noch nicht weithin bekannt war: Die Russen kamen. Tatsächlich hatten einige Russen schon seit 1980 mit italienischstämmigen Mafiosi kollaboriert17, als die beiden kriminellen Organisationen eine Partnerschaft eingegangen waren, um eine der lukrativsten Steuerbetrügereien der US-Geschichte ins Werk zu setzen.
Schon zu dieser Zeit gewährte Michael Franzese, damals Anfang 30, einem Mafioso namens Lawrence Iorizzo seinen Schutz, der 300 Tankstellen auf Long Island und in New Jersey besaß oder belieferte18 und ein Vermögen damit machte, dass er den Steueranteil aus den Benzinverkäufen nicht abführte. Dieser Betrug wurde nur möglich durch die Trägheit, mit der die Steuerbehörden die Benzinsteuern eintrieben.19 Insgesamt erhoben Bund, Bundesstaat und Kommune Steuern in Höhe von 27 Cents pro verkaufter Gallone (3,79 Liter) Benzin, aber sie ließen sich viel Zeit, um diese Gelder einzutreiben – manchmal bis zu einem Jahr.
Nachdem Iorizzo Dutzende von Briefkastenfirmen als Besitzer der Tankstellen in Panama registriert hatte, musste er nur noch jede seiner Tankstellen schließen, bevor der Steuereintreiber kam, und sie mit einem neuen Geschäftsführer als Eigentum einer anderen Briefkastenfirma neu eröffnen. Wenn die Steuereintreiber schließlich auftauchten, um ihr Geld zu fordern, war schon ein großer Teil davon in Iorizzos Tasche gelandet. Als später das FBI gegen das Betrugskartell Ermittlungen aufnahm, das seine Aktivitäten inzwischen auf sechs Bundesstaaten ausgedehnt hatte, nannte es die Untersuchung »Operation Red Daisy«.20
Iorizzos Masche lief reibungslos, abgesehen von einem kleinen Problem: Eine Gruppe von Männern – Michael Franzese beschreibt sie als »Fußvolk von einer anderen Familie, kleine Fische« – versuchte, sich in Iorizzos Geschäfte zu drängen.21 Franzese beschreibt Iorizzo als 1,93-Meter-Mann, der über 200 Kilo auf die Waage brachte, »Pizzas aß wie andere Leute Kartoffelchips« und eigentlich nicht so aussah, als ob er Schutz brauchte. Trotzdem hatte er Franzese gebeten, ihm gegen diese kleinen Ganoven zu helfen, die versuchten, ihn zu erpressen und sich in seinem Revier breitzumachen.
Rasch fand Franzese eine souveräne Lösung, die für beide Seiten akzeptabel war, und so erblickte eine außerordentlich lukrative Partnerschaft das Licht der Welt. Bald strömte so viel Geld herein, dass Franzese innerhalb der Cosa Nostra zum Caporegime befördert wurde.22 Dann traten 1984 drei angeblich russische Gangster – David Bogatin, Michael Markowitz und Lev Persits – mit einem Vorschlag an ihn heran, der Iorizzos Masche sehr ähnlich war. Wie Iorizzo hatten sie ihren eigenen Steuerbetrug am Laufen, und wie Iorizzo brauchten sie Schutz.
Franzese sah sofort seine Chance auf einen weiteren riesigen Coup, doch er begegnete den Russen mit einer Mischung aus Respekt und Verachtung. Bogatin mit seiner hohen Stirn und Nickelbrille sah eher aus wie ein Unternehmensberater als ein russischer Gangster. Sein Vater hatte 18 Jahre in Sibirien eingesessen, weil er dabei »erwischt« worden war, seinen Büroschlüssel so gehängt zu haben, dass er versehentlich über einem Porträt von Josef Stalin baumelte – und so das Antlitz des sowjetischen Diktators entstellte.23 Im Jahr 1966 war Bogatin in die Sowjetarmee eingetreten und hatte in Nordvietnam bei einer Flugabwehreinheit gedient, wo er half, US-Piloten abzuschießen.24 Dann, nachdem er die Armee Mitte der Siebzigerjahre verlassen hatte, begann er, als Drucker zu arbeiten, wurde jedoch bald gefeuert, weil er verbotenes Material für jüdische Dissidenten gedruckt hatte.
Nachdem er auf einer schwarzen Liste des KGB gelandet war, gelang es Bogatin 1977, aus der Sowjetunion auszureisen. Er kam nach New York, arbeitete in einer Fabrik, kaufte ein Auto, lernte Englisch und eröffnete ein privates Taxiunternehmen. Das führte erst zu einer Tankstelle und dann zu einem Großhandel für Benzin.25 Und die ganze Zeit schloss er Bekanntschaften in den Kreisen der russischen Diaspora.
Obwohl er im Kommunismus aufgewachsen war, fühlte Bogatin sich im Kapitalismus wie ein Fisch im Wasser – wodurch er den Respekt von Franzese gewann. Die Russen zählten zu den Pionieren dieser spektakulär lukrativen Betrugsmasche, und sie hatten ungefähr 200 Leute unter sich, die für sie arbeiteten.26 Sie wollten »ihre Muskeln spielen lassen«, sagte Franzese 1996 bei einer Zeugenaussage vor einem Unterausschuss des US-Senats, »und sie würden nicht zögern, Gewalt anzuwenden, falls sie das für notwendig hielten«.
Dagegen fiel es Franzese schwerer, Bogatins Partner ernst zu nehmen – und zwar hauptsächlich wegen dessen Erscheinung. Michael Markowitz trug protzigen Schmuck, schwere Goldkettchen und angeberische bunte Hemden mit breitem Kragen, die er bis zum Bauchnabel aufknöpfte. Aus Franzeses Sicht eiferte Markowitz John Travolta in Saturday Night Fever nach, weckte aber eher Assoziationen zu den »wild and crazy guys«, die Steve Martin und Dan Aykroyd während der Siebzigerjahre in Saturday Night Live spielten. Der elegante Franzese konnte nicht aufhören, sich über Markowitz lustig zu machen – er fand, Markowitz »sah aus wie ein Teppichverkäufer, der gerade im Lotto gewonnen hatte«.27 Und der sollte sein Konkurrent sein?
Am Ende siegte jedoch Geld über modische Vorlieben, und so setzte sich Michael Franzese an einem Samstagmorgen im Herbst 198028 mit Bogatin, Persits und Markowitz im Büro einer Tankstelle in Brooklyn zusammen. »Diese Russenc hatten Schwierigkeiten, Geld einzutreiben, das man ihnen schuldete«, so erinnerte sich Franzese.29 »Sie hatten auch Probleme, die Lizenzen bekommen und zu behalten, die sie brauchten, um den Benzinsteuerbetrug am Laufen zu halten.«
Franzese konnte bei beiden Problemen helfen. Einer seiner Soldaten war ein Bursche namens Vinnie, und laut Aussage von Franzese »war es Vinnies Job zu sagen: ›Entweder du zahlst, oder ich brech dir beide Beine.‹«30
Vinnie war überzeugend – so überzeugend, dass die Colombo-Familie sich den Ruf erworben hatte, dass sie Leute dazu bringen konnte, ihre Schulden zu bezahlen. Aber das war noch nicht alles: Franzese hatte auch Kontaktleute in der Stadtverwaltung, die den Russen en gros die Lizenzen ausstellen konnten, die sie brauchten, um den Staat zu betrügen.
Die Russen waren dringend auf Franzese angewiesen, und der wusste diese Abhängigkeit auszunutzen. »Wir einigten uns, die illegalen Einnahmen zu teilen – 75 Prozent für mich, 25 Prozent für sie«, sagte er.31 »Der Deal wurde allen fünf Mafiafamilien bekannt gegeben, und ich zahlte den Anteil der Colombo-Familie aus meinen illegalen Einnahmen.«
Bald darauf begann das Geld in Strömen zu fließen – fünf bis über acht Millionen Dollar pro Woche. Als das Geschäft expandierte, explodierten die Einnahmen auf 100 Millionen Dollar pro Monat, über eine Milliarde im Jahr. Die Italiener waren die großen Gewinner, aber auch Markowitz und Bogatin waren auf dem Weg zu ausgesprochen lukrativen kriminellen Karrieren.
Daher begann David Bogatin 1984, auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, sich nach einem Luxusapartment in New York City umzusehen. Obwohl er der Juniorpartner von Franzese war, hatte Bogatin nach sieben Jahren in New York genug Geld beiseitegeschafft, um eine Immobilie kaufen zu können, wo immer er wollte. Seit etwa zehn Jahren waren russische Juden wie er zu Tausenden nach Brighton Beach in Brooklyn geströmt, aber Bogatin hatte etwas Prestigeträchtigeres im Sinn.
Anstatt sich also nach einem Haus in Brighton Beach umzusehen, fixierte Bogatin sich auf ein protziges, 58 Stockwerke hohes Gebäude in Midtown-Manhattan, überall ausstaffiert mit Spiegeln, Messing und vergoldeten Beschlägen. Es war ein Tempel des protzigen Konsums, mit einem Atrium, das im Eingangsbereich mit rosa-weiß gemasertem Marmor ausgekleidet war, und einem 20 Meter hohen Wasserfall gegenüber einer Galerie mit Luxusboutiquen und Cafés. Der Reiseführer AIA Guide to New York City beschrieb es als »Märchenland für den wohlhabenden Shopper«, ergänzte aber rasch, dass der Stil des Hauses eher einem gewöhnlichen »Malzbier« entsprach als edlem Champagner.32
Ada Louise Huxtable, die Architekturkritikerin der New York Times, nannte das Gebäude »monumental durchschnittlich« und tat es als »absurd überladen« und »protzig und prätentiös« ab.33 Der Hang des Bauherrn für Übertreibungen war so ausgeprägt, dass er sogar die Anzahl der Stockwerke absichtlich übertrieb. So konnte er behaupten, er lebe im 68. Stock – obwohl das Gebäude nur 58 Stockwerke hat. Es steht an der Adresse 721 Fifth Avenue und ist als »Trump Tower« bekannt.
aDie Begriffe »russische Mafia« und »ROC« (»Russian organized crime«, zu Deutsch »russische organisierte Kriminalität«) sind zwar geografisch nicht korrekt, werden jedoch durchweg von Strafermittlungsbehörden verwendet, um kriminelle Organisationen aus allen Republiken der ehemaligen Sowjetunion zu bezeichnen, also nicht nur solche aus der russischen Föderation.
bDie fünf Familien waren die Colombos, die Gambinos, die Bonannos, die Luccheses und die Genoveses.
cObwohl er mit russischen Gangstern zusammenarbeitete und oft für einen Russen gehalten wurde, stammte Markowitz tatsächlich aus Rumänien.
Zum Gedenken an Paul Klebnikov, Alexander Litwinenko, Sergej Magnitski, Anna Politkowskaja und die vielen anderen Journalisten, Ermittler und Dissidenten, die ihr Leben verloren, weil sie Putins Kleptokratie untersuchten.
Kapitel eins |
Der (virtuelle) Dritte Weltkrieg |
Kapitel zwei |
Trumps wunderbarer Waschsalon |
Kapitel drei |
Verheiratet mit der Mafia |
Kapitel vier |
Brighton Beach |
Kapitel fünf |
Sexfalle |
Kapitel sechs |
Gangsterparadies |
Kapitel sieben |
Der Milliardärsklub |
Kapitel acht |
Mogilewitschs Coup |
Kapitel neun |
Daumenschrauben |
Kapitel zehn |
Die Geldpipelines |
Kapitel elf |
Leichte Beute |
Kapitel zwölf |
Spion in geheimer Mission |
Kapitel dreizehn |
Bayrock |
Kapitel vierzehn |
Motte und Licht |
Kapitel fünfzehn |
Putins Rache |
Kapitel sechzehn |
Blutgeld |
Kapitel siebzehn |
Krieg mit anderen Mitteln |
Kapitel achtzehn |
Mit vereinten Kräften |
Kapitel neunzehn |
Inoffizielle Kanäle |
Kapitel zwanzig |
Endspiel |
Trumps 59 russische Verbindungen |
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Bildteil |
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Danksagung |
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Anmerkungen |
Es ist wunderbar, dass der Eiserne Vorhang gefallen ist, aber er war ein Schutzschild für den Westen. Jetzt haben wir die Tore geöffnet, und das ist sehr gefährlich für die Welt. Es kommen russische Kriminelle in die Vereinigten Staaten. Niemand wird die Ressourcen haben, sie zu stoppen. Ihr Leute im Westen kennt unsere Mafiya noch nicht – aber ihr werdet sie kennenlernen, ihr werdet sie kennenlernen!
—Boris Urow, ehemaliger Chefermittler für Kapitalverbrechen im Stab des russischen Generalstaatsanwalts, etwa 19931
Russland hat nie versucht, mich unter Druck zu setzen. ICH HABE NICHTS MIT RUSSLAND ZU TUN – KEINE DEALS, KEINE KREDITE, ABSOLUT NICHTS!
—Donald Trump, 11. Januar 2017, über Twitter
An einem eiskalten Dezembertag im Jahr 2017 öffnet Oleg Kalugin die Tür zu seinem Haus in Rockville, Maryland, einem Vorort der oberen Mittelschicht von Washington, D.C., um sich mit mir zu treffen. Nichts Außergewöhnliches hebt sein Split-Level-Eigenheim von den anderen in der Nachbarschaft ab, doch der Mann ist alles andere als gewöhnlich: ein ehemaliger KGB-Spionagechef, der inzwischen amerikanischer Staatsbürger ist.
Der in St. Petersburg (damals Leningrad) geborene Kalugin lebt jetzt, mit 83 Jahren, eine halbe Stunde mit dem Auto vom Weißen Haus entfernt, das jahrzehntelang im Fadenkreuz des KGB lag, des gefürchteten Geheimdienstes, für den er einst als Chef der Spionageabwehr arbeitete. Rund 25 Jahre später hat er immer noch »die rasiermesserscharfen Gesichtszüge und den eiskalten Blick eines Filmagenten«, wie David Remnick ihn in seinem Buch Lenin’s Tomb beschreibt.1 Der leutselige Gastgeber Kalugin führt einen durch seine riesige Bibliothek, die sich über drei Räume erstreckt, und entpuppt sich als Mann der Geschichte, ein wahrer Zelig des Kalten Krieges.
Der erbitterte Putin-Kritiker Kalugin, der in Russland in Abwesenheit wegen Hochverrats zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde2, wechselte im Jahr 1995 in die Vereinigten Staaten und nahm eine Dozentenstelle an der Catholic University in Washington an. Als Professor am Center for Counterintelligence and Security Studies, wo er Mitarbeiter des FBI und der CIA unterrichtet, sitzt er auch im Vorstand des internationalen Spionagemuseums in Washington.3
Kalugins Tätigkeit als Spion begann im Jahr 1959, als er mit 24 Jahren als Student aus Russland an die Columbia School of Journalism in New York kam – der damals bereits, ohne dass seine Kommilitonen etwas ahnten, verdeckt als blondschöpfiger Sonnyboy für den KGB arbeitete. Doch das war nur der Anfang. Im Jahr 1960, als Nikita Chruschtschow bekanntlich die ganze Welt empörte, indem er vor der UN-Vollversammlung mit dem Schuh auf das Rednerpult hämmerte, stand Kalugin ganz in der Nähe, damals als Bürochef von Radio Moskau in New York – zumindest war das seine KGB-Tarnung. »Dieses Land war schon immer ein Paradies für Spione«, sagte er zu mir.4
Im Jahr 1970 kehrte Kalugin ins KGB-Hauptquartier in Moskau zurück, wo er später die Direktion K leitete, eine Abteilung der Ersten Hauptverwaltung, die für Auslandsoperationen und Nachrichtenbeschaffung zuständig war. Wenn Ihnen der berüchtigte Spionagering Cambridge Five ein Begriff ista, jene Gruppe piekfeiner, gebildeter Briten, die in den Fünfzigerjahren einen internationalen Skandal auslöste, als sie zu den Sowjets überlief, so hatte Oleg Kalugin in Moskau auch hier seine Finger im Spiel und betreute Kim Philby und Donald Maclean in den Siebzigern, lange nach ihrem Seitenwechsel. Im Jahr 1974 wurde Kalugin zum General befördert, dem jüngsten in der Geschichte der mächtigen sowjetischen Spionageorganisation.5
Was die sowjetischen Führer Juri Andropow, Michail Gorbatschow und Boris Jelzin angeht, so kannte Kalugin sie alle persönlich und kann einen stundenlang mit Geschichten über sie unterhalten. Eine Zeit lang war er sogar der Vorgesetzte eines vielversprechenden jungen KGB-Offiziers namens Wladimir Putin.
Der mittelgroße, makellos frisierte Kalugin, gekleidet in dunkelblaue Hose, gestreiftes Hemd und hellblaue Jacke, wirkte auf Anhieb sympathisch und absolut entwaffnend, als ich ihm begegnete. Wie John le Carré schrieb, als er ihn vor fast 25 Jahren interviewte, ist Kalugin »einer jener früheren Feinde der westlichen Demokratie, die einen nahtlosen Wechsel von ihrer Seite zu unserer vollzogen haben. Wenn man ihm so zuhört, ist es nur verzeihlich, wenn man annimmt, wir hätten schon immer auf der gleichen Seite gestanden.«6
Doch das täuscht. So liebenswürdig und entgegenkommend Kalugin auch sein mag, man muss sich nur das Attentat auf den bulgarischen Schriftsteller Georgi Markow 1978 in Erinnerung rufen – ein mutiger und allgemein geschätzter Emigrant, der ermordet wurde, als ein KGB-Agent mit einem eigens dafür entwickelten Regenschirm zustach, der eine winzige Giftkugel voller Rizin in Markows Bein injizierte –, um sich das dunkle und mörderische KGB-Vermächtnis vor Augen zu führen.
Das war Kalugins Job. »Wir sind keine Kinder«, sagte er zu le Carré. »Um Himmels willen, ich war der Kopf von all diesen Dingen! Kein Einsatz konnte ausgeführt werden, wenn er nicht über meinen Schreibtisch ging, klar? Markow war von einem bulgarischen Gericht in Abwesenheit bereits zum Tode verurteilt worden, doch die Bulgaren waren furchtbar. Sie brachten gar nichts auf die Reihe. Wir mussten alles für sie erledigen: den Mann ausbilden, den Schirm anfertigen, das Gift anbringen.«7
Einmal abgesehen von den uralten Geschichten aus dem Kalten Krieg ist Kalugin heute deshalb ein gefragter Mann, weil seine Erfahrung als Chef der KGB-Spionageabwehr ihn zum Meister eben jenes Handwerks macht, das zum Einsatz kam, um Trump einzuwickeln. Die Operation begann auf einer Reise in die Tschechoslowakei im Jahr 1978, nicht lange nach Trumps Heirat mit Ivana, auf der die Frischvermählten beim tschechischen Ministerium für Staatssicherheit (gemeinhin als StB bekannt) immerhin so großes Interesse auf sich zogen, dass ein Informant der Geheimpolizei anfing, Ivana zu beobachten, und sich Jahre später mehrmals mit ihr traf.8
Tschechen, die das Land verlassen hatten, im Auge zu behalten war eine Standardvorgehensweise des StB. »Die Staatssicherheit beobachtete unablässig [tschechoslowakische Staatsbürger im Ausland]«, sagte Libor Svoboda, ein Historiker des Instituts für die Erforschung totalitärer Regime in Prag.9 »Sie kamen hierher, also setzten sie Agenten ein, um sie zu verfolgen. Sie wollten wissen, mit wem sie sich trafen, worüber sie sprachen. Es war eine Art Paranoia. Sie hatten Angst, dass diese Leute für ausländische Geheimdienste arbeiten könnten. Gegen ihre Verwandten gingen sie genauso vor.«
Laut der deutschen Zeitung Bild heißt es verschlüsselt in StB-Akten aus dem Jahr 1979, dass »mindestens einmal im Jahr die Telefongespräche zwischen Ivana und ihrem Vater abgehört werden sollten. Die Post wurde überwacht.«10 Der Agent, der über Ivana Bericht erstattete, benutzte die Decknamen »Langr« und »Chod«.11 Die StB-Akten sind als »streng geheim« gekennzeichnet, tragen die Decknamen »Slusovice«b, »Amerika« und »Kapital« und lassen auf einen langfristigen Versuch schließen, so viele Informationen wie möglich über Trump zu sammeln.12
»Der StB glaubte, amerikanische Geheimdienstbehörden könnten versuchen, [Ivana Trump] zu benutzen. Außerdem wollten sie auch mithilfe von Trump an Informationen über die High Society in den USA herankommen«, sagte Svoboda.13
Die StB-Archive belegen ferner, dass Ivanas Vater Miloš Zelniček von den Geheimdiensten überwacht wurde und auf Anordnung des StB schon auf der Reise in die USA zu Ivanas Hochzeit 1977 sein Gepäck auf dem Flughafen gründlich durchsucht wurde. »Er lieferte Informationen, die die Geheimpolizei ohnehin über andere Quellen herausfand«, sagte Peter Blažek vom Institut für die Erforschung totalitärer Regime. Er ließ durchblicken, die Durchsuchung sei eine Warnung gewesen, um Zelniček zu signalisieren, dass derartige Reisen in der Zukunft nur genehmigt würden, wenn er kooperiere.14
Statt kompromittierendes Material zu liefern, hat Zelniček möglicherweise nur das Mindestmaß an Informationen weitergeleitet, um sich den StB vom Hals zu halten. »Ivanas Vater war als Informant des StB registriert«, sagte der tschechische Historiker Tomas Vilimek dem Guardian. »Das muss jedoch nicht unbedingt heißen, dass er ein Agent war. Die CSSR-Behörden zwangen ihn, wegen seiner Reisen in die USA und zu seiner Tochter mit ihnen zu reden. Sonst wäre ihm der Flug nicht erlaubt worden.«15
Letztlich ist nicht genau bekannt, wann der KGB zum ersten Mal eine Akte zu Donald Trump anlegte. Aber es war gängige Praxis, dass die tschechische Geheimpolizei ihre Informationen über die Trumps dem KGB mitteilte. Noch wichtiger, Trump wurde als so hohe Zielperson eingestuft, dass der StB später eigens einen Agenten in die Vereinigten Staaten schickte, um mehr als ein Jahrzehnt lang dessen politische Aussichten zu überwachen.16
*
Es ist unklar, wie viel Trump selbst über die Begegnungen seiner Schwiegereltern mit dem tschechischen Geheimdienst wusste. Als Michail Gorbatschow, der letzte Führer der Sowjetunion, jedoch 1985 an die Macht kam und die Politik der Perestroika (wörtlich auf Russisch: »Umgestaltung«) und Glasnost (»Offenheit«) einleitete, durch die die Spannungen des Kalten Krieges abgebaut wurden, wurde Trump ernsthaft von dem Virus der Russophilie angesteckt.
In der Vergangenheit hatte sich sein Engagement für die Politik darauf beschränkt, Roy Cohn dazu zu bewegen, Steuererleichterungen, Aufhebungen der Baubeschränkungen in bestimmten Zonen und dergleichen durchzuboxen – oder entsprechende politische Spenden zu tätigen, um diese Ziele zu erreichen. Auf einmal erfand Trump sich neu als Pseudoautorität für Atomwaffen und behauptete, er könne eine Schlüsselrolle bei der Begrenzung strategischer Waffen spielen.17
Trump brachte das Thema in einem Interview mit dem Journalisten Ron Rosenbaum in der Novemberausgabe 1985 der Zeitschrift Manhattan, Inc. zur Sprache, in dem er sich über die Verbreitung von Atomwaffen ausließ: »Nichts liegt mir derzeit mehr am Herzen« – eine außerordentlich unwahrscheinliche Leidenschaft für einen Mann, der auffallenden Konsum personifizierte.
Trump erzählte Rosenbaum als Erstes von seinem verstorbenen Onkel John Trump, einem Professor am MIT, der erklärt hatte, dass die Kerntechnik allmählich so sehr vereinfacht würde, dass »es eines Tages so weit komme, dass man eine Bombe im Keller des eigenen Hauses basteln kann. Und das ist eine sehr beängstigende Stellungnahme von einem Mann, der sich absolut damit auskennt.«18
Was sich da abspielte, war entschieden untypisch für Trump. Rosenbaum, der alles andere als ein Trump-Fan war, sagte, der Immobilienprojektentwickler »schien sich absolut im Klaren darüber, welche Gefahr von Atomwaffen ausging«. Er ließ sogar die Gelegenheit ungenutzt, die Vorzüge des Trump Tower anzupreisen. Stattdessen habe Donald Trump, wie mir Rosenbaum sagte, es vorgezogen, sich als jemand zu präsentieren, »der sich mit ernsten Dingen befasst. Die Tatsache, dass sein Onkel Kernphysiker war, gab ihm das Recht, solche Stellungnahmen abzugeben.«19
Gegenüber der Washington Post machte Trump einen ähnlichen Vorstoß. »Manche Menschen haben ein Talent zum Verhandeln«, sagte er der Zeitung. »Das ist eine Kunst, mit der man im Grunde geboren wird. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht.«20
Mangelndes Selbstvertrauen war noch nie sein Problem. »Es würde eineinhalb Stunden dauern, alles Wissenswerte über Raketen zu lernen«, meinte er. »… Ich glaube, das meiste davon weiß ich bereits.«
Was nicht heißen soll, dass Trump sich zu schade war, den Rat von Fachleuten zu suchen. Ein paar Monate später, im Jahr 1986, wollte er laut der Zeitschrift Hollywood Reporter unbedingt Bernard Lown kennenlernen, einen Kardiologen aus Boston, der mit der Erfindung des Defibrillators bekannt wurde. Für diese Leistung teilte er sich den Friedensnobelpreis mit Jewgeni Tschasow, dem Leibarzt von Michail Gorbatschow.21
Nach der Entgegennahme der Nobelpreismedaillen in Oslo reisten Lown und Tschasow nach Moskau und verbrachten einige Zeit mit Gorbatschow, dem neuen Sowjetführer. Nicht lange nach der Rückkehr bekam Lown eine Nachricht von Trump. Zu der Zeit hatte Lown noch nie von dem Mann gehört, hoffte jedoch insgeheim, Trump würde die Lown Cardiovascular Research Foundation mit einer Spende unterstützen, die damals ein wenig knapp bei Kasse war.
Sie trafen sich in Trumps Büroräumen im 25. Stock des Trump Tower. »Ich kam an, ohne auch nur die geringste Ahnung über seine Motive zu haben«, sagte mir Lown. »Wir aßen zusammen zu Mittag, und Trump wirkte sehr düster, sehr ernst.«22
»Erzählen Sie mir alles, was Sie über Gorbatschow wissen«, sagte Trump.
Nachdem Lown gut 20 Minuten über seine Erfahrung mit dem Sowjetführer berichtet hatte, wurde ihm jedoch schmerzlich bewusst, dass Trump gar nicht zuhörte. »Ich merkte, dass er eine kurze Aufmerksamkeitsspanne hatte«, sagte Lown. »Ich dachte, dass vielleicht noch etwas anderes dahintersteckte, aber ich wusste nicht was.«
Lown kam zur Sache. »Warum wollen Sie das eigentlich wissen?«, fragte er Trump.
Daraufhin enthüllte Trump seinen großen Plan. »Wenn ich über Gorbatschow Bescheid weiß, kann ich meinen guten Freund Ronnie bitten, mich zu einem bevollmächtigten Botschafter für die Vereinigten Staaten bei Gorbatschow zu machen.«
»Ronnie?«, fragte Lown.
Lown wusste nicht, dass Trump die einflussreiche Lobbyfirma Black, Manafort & Stone beauftragt hatte, unmittelbar nachdem sie im Jahr 1980 ihre Tätigkeit aufgenommen hatte.23 Die drei Partner der Firma – Charles Black, Paul Manafort und Roger Stone – hatten erst vor Kurzem maßgeblichen Anteil an Ronald Reagans erdrutschartigem Wahlsieg 1984 gehabt.
»Ronald Reagan«, erklärte Trump.
Dann klatschte er in die Hände, sagte Lown, und erklärte anschließend, wie er schon nach einem einstündigen Gespräch mit Gorbatschow den Kalten Krieg beenden würde.
»Die Arroganz dieses Mannes und seine Ignoranz bezüglich der komplexen Zusammenhänge eines der schwierigsten Themen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist! Schon der Gedanke, dass er es binnen einer Stunde lösen könnte!«24
*
Dank Gorbatschow hatte der russische Bär endlich sein freundliches Gesicht gezeigt, allerdings galt das nicht für den KGB. Er blieb der effektivste und meistgefürchtete Nachrichtendienst auf der Welt, mit über 400 000 Beamten innerhalb der Sowjetunion und weiteren 200 000 Grenztruppen, ganz zu schweigen von dem gewaltigen Netz aus Informanten.25 Und darin war die Erste Hauptverwaltung noch nicht einmal enthalten, jene vergleichsweise kleine, aber prestigeträchtige Abteilung, die für die Auslandsaufklärung zuständig war. Sie verfügte über rund 12 000 Beamte und wurde von General Wladimir Krjutschkow geleitet, einem Hardliner, der allem Anschein nach gegen den Strom der Geschichte schwamm.
Ungeachtet der friedlichen Offerten Gorbatschows an den Westen blieb Krjutschkow, laut Ex-KGB-General Oleg Kalugin, »bis zum Ende ein treuer Anhänger [des Kommunismus], bis in alle Ewigkeit misstrauisch gegenüber dem Westen und dem Kapitalismus«.26
Krjutschkow ist nicht nur wegen seiner unverändert unnachgiebigen Ansichten von besonderem Interesse.c Dank einer Sammlung seiner Berichte aus dieser Zeit mit dem Titel Comrade Kryuchkov’s Instructions: Top Secret Files on KGB Foreign Operations, 1975–1985 wissen wir heute, dass er schon im Jahr 1984 sehr besorgt darüber war, dass der KGB womöglich nicht genügend amerikanische Agenten rekrutiert hatte.27 Für Krjutschkow gab es nichts Wichtigeres. Deshalb wies er seine Mitarbeiter an, nicht nur die üblichen linken Verdächtigen, die möglicherweise mit den Sowjets auf ideologischer Ebene sympathisierten, als Aktivposten anzuwerben, sondern auch verschiedene einflussreiche Personen wie prominente Geschäftsleute.28
Folglich begann, als sei sie von Krjutschkow inszeniert worden, im März 1986 die politische Erziehung Donald Trumps, als er sich mit dem sowjetischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, Juri Dubinin, und dessen Tochter Natalja Dubinina traf. Letztere gehörte der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen an und war insofern selbst eine bemerkenswerte Person, als die sowjetische Gesandtschaft bekannt dafür war, dass sie KGB-Agenten Unterschlupf bot.29 Als ihr Vater zum ersten Mal nach New York kam, machte sie mit ihm eine Tour durch die Stadt, und eins der ersten Gebäude, die sie besichtigten, war der Trump Tower an der Fifth Avenue, wie sie der russischen Tageszeitung Moskowski Komsomolez erzählte: »Ich habe meinen Vater empfangen und ihm vorgeschlagen, ihm New York zu zeigen«, sagte sie. »Immerhin lebte ich zu der Zeit schon lange dort, und er kam zum ersten Mal in seinem Leben her.«30
Laut Natalja habe ihr Vater »noch nie etwas Vergleichbares [wie den Trump Tower] gesehen«. Er sei »so beeindruckt gewesen, dass er beschloss, er müsse unbedingt den Gründer kennenlernen«. Also betraten der sowjetische Botschafter Juri Dubinin und seine Tochter Natalja den Trump Tower – ein höchst ungewöhnlicher Verstoß gegen das Protokoll –, nahmen den Aufzug zu Trumps Büro und statteten ihm einen Besuch ab.
Es ist unklar, ob zuvor bereits Absprachen getroffen worden waren, um diese überaus irreguläre Begegnung zwischen einem hohen sowjetischen Diplomaten und Trump in die Wege zu leiten. Aber ein paar Monate danach saß Trump bei einem Mittagessen, das der Kosmetikmagnat Leonard Lauder gab, zufällig neben Juri Dubinind, der dem jungen Immobilienmogul im Folgenden schamlos schmeichelte.
Trump schwärmte später in Die Kunst des Erfolges von der Unterhaltung. »Eins führte zum anderen«, schrieb er, »und inzwischen hat die sowjetische Regierung nachdrücklich ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit mir bekundet: Man möchte, dass ich den Bau eines Super-Luxushotels übernehme, das gegenüber dem Kreml entstehen soll.«31
Beim KGB, erklärte mir Kalugin, beginnt die Rekrutierung eines neuen Informanten »immer mit einer harmlosen Unterhaltung«, genau wie diese.32
Wie Natalja Dubinina erklärte, standen die Russen kurz vor einem vielversprechenden Start. »Trump schmolz sofort dahin«, sagte sie. »Er ist ein emotionaler Mensch, ein wenig impulsiv. Er braucht Anerkennung. Und wenn er sie bekommt, dann gefällt ihm das natürlich. Der Besuch meines Vaters hatte die gleiche Wirkung auf ihn [Trump] wie Honig auf eine Biene.«33
Worauf Trump mit dem Versuch, sich als Staatsmann neu zu erfinden, hinauswollte, enthüllte er womöglich zum Teil, als er der Washington Post erzählte, der Mann, der ihn ständig antreibe, sei kein anderer als der Mentor, zu dem er so sehr aufblicke – zu einem Mann, dessen Motive ganz einfach waren. Primär. Es geht immer um Geld. Es gibt immer einen Deal. Es gibt immer einen Ansatz und eine Lösung.
»Wissen Sie, wer mich wirklich dazu getrieben hat?«, fragte Trump rhetorisch. »Roy [Cohn].«34
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Unterdessen kungelte Trump in seinem üblichen Umfeld, was das Zeug hielt. In New York befand er sich mit dem Bürgermeister Ed Koch mitten in einem Krieg um besondere Flächennutzungsbestimmungen und Steuererleichterungen für sein gigantisches West-Side-Projekt, wobei Koch Trump »Piggy, Piggy, Piggy« und Trump seinerseits Koch »einen Schwachkopf« genannt hatte.35e