2. Auflage (2020)
© Buchautorin 2005 Petra Schwarze
© Umschlagabbildung: Marcel Frederik Schwarze
© Für die Ausgabe Herstellung und Verlag BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
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ISBN: 9783751991186
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~ Auch eine Reise von tausend Meilen,
beginnt mit dem ersten Schritt. ~
~ Abschied und Neubeginn liegen nahe
beieinander. ~
~ Wende dich stets der Sonne zu, dann fallen die
Schatten hinter dich. ~
~ Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu
gewinnen, wird am Ende beides verlieren. ~
Eine Freundin steckte mir an vier Tagen, jeweils eine Karte mit einem Vers hinter meine Scheibenwischer. Sie wollte, dass ich wieder das Licht sehe und mich nicht dem Schatten zuwende, sondern der Sonne.
Dafür danke ich ihr.
Heute habe ich zwei Schornsteinfeger gesehen und dachte mir schon, dass selbst zwei, kein Glück bringen. Ich rief Harald an, weil mir mein gelber VW-Käfer zurzeit auch Kummer bereitet. Sein Bruder machte mit mir eine Probefahrt und stellte fest, dass es wohl der rechte hintere Stoßdämpfer ist, der total kaputt ist. Harald und sein Bruder, haben eine Autofachwerkstatt. Ich dachte zwar, dass Harald mit mir eine Probefahrt macht, aber wie schon gesagt zwei Schornsteinfeger bringen eben auch kein Glück.
Ich glaube, es müssen mindestens drei, oder ein Rudel sein. Aber wer sieht die schon auf einmal?
Also, sitze ich mal wieder zu Hause und trinke ein kühles Altbier. Alleine —
Obwohl ich mir extra die Beine rasiert habe, mich gecremt und gestylt habe. Blöderweise habe ich mit der Werkstatt einen Termin zur Reparatur für nächsten Dienstag ausgemacht und dummerweise auch geantwortet, – klar, Dienstag ist gut. Dabei habe ich an diesem Tag einen Termin bei meiner Frauenärztin, der mir auch äußerst wichtig ist. Alle Jubeljahre gehe ich nämlich zur Krebsvorsorge und dieses Jubeljahr ist Dienstag. Hinzu kommt, dass ich mit meiner Ärztin über eine Sterilisation sprechen möchte. Denn jetzt, wo ich fast mit 44 Jahren wieder mal alleine lebe, ist es wohl an der Zeit, darüber nachzudenken. Ich hoffe, dass ich den Mut aufbringen werde und den Schritt machen kann. Denn ich werde den Teufel tun und in meinem Alter nochmals mit der Pille anfangen. Die nehme ich nicht mehr seit meiner zweiten Geburt von meiner Tochter Anna, die jetzt gerade 18 geworden ist.
Vor ungefähr fünf Jahren habe ich meinem jetzt, von mir getrenntlebenden Mann empfohlen, sich sterilisieren zu lassen. Nach einigem Hin und Her hat er es machen lassen.
Allerdings waren vorher einige, nein, viele Gespräche mit Freunden und Bekannten nötig, die es auch haben machen lassen. Und nachdem ihm allesamt bestätigt haben, dass der Sex danach genauso ist wie vorher, hat er die winzige Operation ambulant durchführen lassen. Was heißt schon Sex danach. Vorher war er schlecht, danach schlechter. Besser gesagt „gar keiner“. Ich nahm ihn also nach dem Eingriff sofort mit nach Hause, und ging genauso breitbeinig zum Parkplatz, wo unser Auto stand, wie er.
Ich bin nur gespannt, wer mit mir breitbeinig zum Parkplatz geht, falls ich mich jetzt sterilisieren lasse. Wahrscheinlich niemand.
Es ist der 1. Juni 1999 und man kann schon deutlich den Sommer spüren. Es wird ein Sommer ohne Ehemann aber mit meinen erwachsenen Kindern. Mein Sohn Marco wird im August 21 und meine kleine Tochter wurde am 25. April 18 Jahre. Es war eine tolle Fete. Ihr Vater hatte ihr im Februar noch versprochen zu kommen. Aber sie wartete vergeblich. Kein Anruf kein Geschenk und auch am Montag danach keine Glückwunschkarte im Briefkasten. Sie war so sehr enttäuscht, man kann es sich kaum vorstellen.
Mein Noch-Ehemann zog Ende Februar 99 aus. Er sagte mir, dass er mich seit einem Jahr nicht mehr liebt, und er will uns als Familie vergessen. Nur noch an die Zukunft denken will er. Er sagte mir, „entweder schaffe ich es alleine klar zu kommen oder ich schaffe es nicht“.
Ich hoffe so sehr, dass er es nicht schafft. Kann ein Mann nach 22 Ehejahren und zwei tollen Kindern, einfach alles vergessen. Seine Frau okay, aber die Kinder doch nicht. Ich will so etwas nicht glauben. Mein Anwalt sagte mir, es müsse wohl die Midlife-Crisis sein, aber ich glaube, nein ich weiß es, er ist psychisch krank.
Und es ist eben so, dass man an Kranke nicht herankommt, wenn sie es nicht selber wollen. Er will nicht. Viele Jahre meiner Ehe habe ich als seine Beraterin und Therapeutin versucht, ihm zu helfen. Aber irgendwann kann man einfach nicht mehr. Man ist leer. Nein. Ich bin leer, ich kann nicht mehr, keine Kraft mehr.
Ein befreundetes Nachbarpaar kam gestern Abend zu Besuch. Sie erzählten mir, dass ein anderer Nachbar gesagt hat, „sie ist doch jetzt alleine, hat doch keinen Kerl mehr, wenn sie mal jemand zum Ficken braucht, soll sie mir Bescheid sagen“.
Das hat der gesagt, fragte ich nach? Ja, das sollen wir dir so weitergeben.
O.k. Dann sagt ihm bitte, wenn er mich ficken will, soll er den Eimer zum Kotzen gleich mitbringen.
Meinst du das im Ernst? Sollen wir das so sagen? Ja, bitte. Dieses Schwein, dachte ich.
Der Sommerurlaub steht bevor. Freunde von uns, haben mir und meinen Kindern ihre Wohnung in Spanien kostenlos angeboten. Denn sie wissen, dass ich über keinerlei finanzielle Reserven verfüge. Meine Kinder fanden das Angebot super und sie haben mich motiviert und mich zu dem 17tägigen Trip eingeladen. Also vamos a España. Da ich immer mehr Flugangst hatte, kam aus finanziellen – und aus Angstgründen sowieso kein Flieger in Betracht. Also buchte ich für uns drei eine Busfahrt.
Ich fand die Fahrt toll und lustig. Man lernt viele Leute kennen, mit denen man ja fast 30 Stunden auskommen muss. Ich habe alles total genossen, weil ich ja keine Angst hatte. Denn ein Bus hebt bekanntlich nicht von der Autobahn ab und geht auch nicht in die Luft. Es gibt auch keine Tragflächen am Bus die wackeln und keine Fahrwerke die eingefahren werden. Luftlöcher, bei denen man das Vaterunser betet, natürlich auch nicht. Also hatte ich viele Stunden Zeit während der Fahrt wieder einmal über mein ach so schreckliches Leben nachzudenken. Ich wünschte mir nur eins im Moment, dass ich den Urlaub mit Kindern genießen kann und ich ein wenig erholt nach Deutschland zurückkehren möchte.
Bei der dritten oder vierten Station, ich glaube, es war in Trier, konnten wir den Bus für zwanzig Minuten verlassen, um uns die Beine zu vertreten. Und natürlich Schlange stehen auf den Toiletten. Alle trudelten wieder Richtung Bus ein, nur mein Sohn fehlte noch.
Er stand noch in der Raststätte an der Kassenschlange, um ein Rätselheft zu bezahlen. Ich ging zum Busfahrer und sagte ihm, dass wir wohl noch zwei Minuten warten müssten, mein Sohn ist noch drin, an der Kasse. Er fragte mich, ob es ein Verlust wäre, wenn er nicht käme. Ja klar, sagte ich. Darauf sah er mich an, grinste und sagte, „dann machen wir eben einen Neuen“. Schmeichelhaft!
War das eine Anspielung?
Bei der nächsten Rast, fragte er meine Kinder, wo ist denn euer Papa? Ich hörte seine Frage, ging gleich einen Schritt schneller und antwortete für meine Kinder, wir haben keinen Papa. Er hakte die Kinder unter und fragte, darf ich euer Papa sein? Der Fahrer hieß Dexter.
In der Nacht lief in der Busfahrerkabine ständig der Song von Falco „Out of the dark“. Bis Anna in die Kabine ging und meinte...... hallo Leute, könnt ihr nicht mal ein anderes Lied abspielen? Wieso, kam die Rückfrage? Ja weil ihr den Song jetzt schon sechs oder sieben Mal gespielt habt und wir ihn nicht mehr hören können. Anna hatte Recht. Das Lied machte mir irgendwie Angst. Nach 3 anderen Titeln wurde wieder Falco gespielt.
Wir verabschiedeten uns in Südspanien von ihm und den anderen. Er wünschte uns einen schönen sonnigen Urlaub. Alles klar, danke, den werden wir haben. Wir wurden in ein Taxi umgeleitet und fuhren auf unsere Insel. Endlich angekommen überfiel mich die Angst. 2.500 km von zu Hause weg.
Das Erste Mal ohne Mann, nur wir drei. Hilfe. Hoffentlich kriege ich das geregelt, die Verantwortung für zwei erwachsene Kinder zu übernehmen und für mich selbst auch. Hoffentlich passiert nichts. Obwohl ich ziemlich gut spanisch spreche, aber man weiß ja nie. Wir fühlten uns sofort zu Hause, denn es ist glaube ich, das fünfzehnte Mal, dass wir dort sind.
Oft trafen wir uns mit unseren spanischen Freunden. Sie waren sehr betroffen über unser Schicksal und verstanden nicht, warum mein Mann uns verlassen konnte. Sie mochten ihn nämlich alle sehr. Sie gestalteten unseren Urlaub mit, fuhren mit uns zur Bodega, um Wein zu kaufen.
Danach war ein Besuch im Bergbaumuseum angesagt. Sie luden uns drei zum Essen ein. Eine andere Freundin Namens Cari (übrigens meine beste Freundin) traf ich auch. Wir führten lange Gespräche. Sie lebt jetzt seit vier Jahren alleine mit ihren drei Kindern.
Den Mann mit dem sie lange verheiratet war, ist vor 4 Jahren mit einem anderen Mann nach Madrid gezogen. Einfach in einen Mann verliebt. Schwul – das war vielleicht ein Schock für uns alle, aber natürlich in erster Linie für seine Frau und seine Kinder.
Ihre Kinder Marina, Cesar und Alejandro taten mir und meinem Mann unendlich leid. Er verstand nicht wie man nach so vielen Ehejahren seine Familie im Stich lassen konnte und er verurteilte unseren spanischen Freund aufs Äußerste. Doch jetzt war die Situation genau andersherum.
Die spanischen Freunde verstanden nun meinen Mann nicht. Der Kreis hat sich wohl geschlossen, beide alleine. Wir genossen das saubere kristallklare Meer, das gute Essen und endlich, schmeckten mir der Wein und das eiskalte San Miguel auf ganz merkwürdige Weise. Denn jetzt da ich Single war, konnte ich alkoholische Getränke ohne schlechtes Gewissen genießen.
Denn mein Mann ist Alkoholiker und Spieler.
Er trinkt zwar seit zwölf Jahren nicht mehr. Also, trocken (Glaubte ich zumindest) Aber die Gefahr besteht ja bekanntlich ein Leben lang.
Doch durch diese Erkenntnis bekamen die Getränke für mich einen anderen Stellenwert. Endlich durfte ich ohne schlechtes Gewissen genießen.
Ein kleiner Schritt, aber immerhin einer.
Es ging auch alles andere gut. Keines meiner Babys ist abgesoffen oder unter die Räder gekommen. Immer, wenn ich mit Anna in irgendein Restaurant ging und wir eine Kleinigkeit essen wollten, kam Marco aus irgendeiner Richtung. Keiner weiß woher, aber er hat es immer irgendwie gerochen, wo wir waren und dass wir gerade Essen bestellt hatten, musste er auch gespürt haben. Ach ja, dann war ja noch folgendes. Mein Sohn hatte sich unsterblich in Olga-Rosa verliebt.
Eine Exil-Kubanerin, die im Cayo-Coco kellnerte und tanzte. Sie ist sehr süß, hat Pfeffer im Hintern und ist weißhäutig. Anna mag sie auch. Spricht allerdings nur spanisch. Jetzt hat mein Marco ein Problem, denn ich als Mutter kann ihm ja schlecht seine Liebesbriefe mit Trennungsschmerz übersetzen.
Ich sagte ihm, er könne dann ja in Deutschland zu meinem Privatlehrer gehen. Denn der ist natürlich neugierig und hilft ihm selbstverständlich bei der Übersetzung. Als es nach Hause ging, fiel mir der Abschied sehr schwer. Denn ich fühlte mich dort unter Freunden total wohl. Braungebrannt, ein paar Kilo mehr auf den Hüften, eine Kiste Vino im Gepäck, Muscheln und Steine für meinen Balkon und meine Kinder hatte ich auch dabei.
Wieder in Deutschland, versuchte ich meine Erholung lange zu bewahren. Aber der erste Gerichtstermin mit Noch-Ehemann wegen nicht geleisteter Unterhaltszahlung stand bevor. Ich habe Angst, denn es wird das erste Mal sein, dass ich ihn nach sechs Monaten wiedersehe. Aber ich werde kämpfen um jeden Pfennig oder Euro. Mir egal. Sechs lange Monate alleine, und vorher viele Jahre der Einsamkeit, trotz Ehe. Kein Kinderspiel!
Und kein Mann weit und breit in Sicht. Anna mochte den Busfahrer Dexter gut leiden. Sie hat einige Stunden während unserer Rückreise in der Fahrerkabine zugebracht und sich lange mit ihm unterhalten. Ich glaube, es war ein vorsichtiger Verkupplungsversuch ihrerseits. Sie sagte ihm, tauscht doch mal eure Telefonnummern aus. Er traute sich wohl nicht so richtig.
Also verabschiedete ich mich von ihm in Dortmund, denn dort mussten wir aussteigen, unsere Fahrt endete, wo sie begann. Wieder zu Hause fragte Anna mich, hast du denn jetzt seine Telefonnummer?
Nein, warum denn?
Na ja, er war doch sehr nett, er hat mir nämlich gesagt, du hast ja eine süße Mama. Er wollte auch wissen, ob Marco und ich noch mit dir zusammenleben, und ob wir eine schöne Wohnung haben.
Anna bohrte weiter!!! Aber er hat eine Glatze und ist so gar nicht mein Typ. Anna sah mich an, und sagte: Was suchst du denn eigentlich für einen Typen? Vielleicht ein James Dean mit roter Lederjacke?
Sie hatte Recht! Als sie mit ihrem Bruder zu einer Bekannten fuhr, um ihren Wellensittich abzuholen, rang ich mit mir. Ich dachte, er war ja sehr witzig, charmant und eigentlich auch ganz nett. Kurzentschlossen wählte ich die Nummer des Reisebüros und fragte nach der Handynummer der Busfahrer. Ich log, dass ich etwas im Bus vergessen hatte. Und ich wusste, dass die Fahrer sofort wieder nach Spanien fuhren.
Ich bekam die Nummer. Dann wählte ich. Es rauschte sehr, ich überlegte und legte wieder auf, denn es war Dexter am Telefon, das hörte ich. Seine Stimme war einfach wie Öl.
Zehn Minuten durchatmen, zweiter Versuch. Ja, hallo, ich bin‘s. Er sagte, lass mich raten, eine Busstewardess? Nein, du kommst nicht drauf, hier ist die süße Mama von Marco und Anna. Denn er wusste meinen Namen nicht. Er war sehr erfreut und sagte, nein, das darf ja wohl nicht wahr sein, woher hast du unsere Telefonnummer?
Nun ja, die hatte ich schon auf der Hinreise, falls mal Rückfragen gewesen wären. Ach so. Das ist ja eine Überraschung. Ich freue mich sehr, gib mir doch bitte deine Nummer, ich werde dich anrufen und sag mir bitte die Stadt in der du wohnst. Ich gab ihm beides durch und sagte, Anna findet dich sehr nett und sie meinte ich soll dich mal zum Essen einladen.
Ja, ich komme hundertprozentig. Aber ich lade dich dann zum Essen ein. Nein, ich koche uns etwas Schönes. Also, dann bis bald. Ja, bis bald, ich rufe dich an. Der Rückruf kam prompt am nächsten Nachmittag um sechs Uhr. Meine alte Freundin Gerti war gerade zu Besuch. Ja hallo, hier ist Dexter, bin wieder in Spanien, aber jetzt auf deiner Insel.
Ich stehe hier an der Post und muss mir jetzt ein Hotel suchen, wo soll ich fragen? Also ja, du kannst direkt 100 Meter neben dir ins Hotel Cavanna, wenn dort nichts frei ist gehst du noch ein Stück zurück zum Hotel Delfin.
Da findest du bestimmt ein Zimmer. Alles klar, du kennst dich aber gut aus. Klar, ist doch mein zweites Zuhause. Gut, dann werde ich gleich mal zum Strand gehen, erst einmal ein bisschen schwimmen.
Mist, du machst mich ganz neidisch. Wie ist das Wetter?
Super heiß, aber bewölkt. Ich komm dich bestimmt besuchen, du bist ja eine ganz süße. Ja, danke, also mach’s gut und wir sehen uns irgendwann. Ja, bestimmt. Tschüss.
Adios! Ach ja, und trinke ein kaltes Bier für mich mit. Ja, mache ich, tschau.
Ich war geschmeichelt. Das war mein dritter Versuch, an einen Mann zu kommen. Den ersten Mann hatte mein Sohn rausgeschmissen, beim zweiten habe ich über dem Klo gehangen, weil irgendein Getränk schlecht war, der ist dann mit dem Taxi weg. Na ja, und jetzt, der dritte Mann ist weit weg. Jetzt habe ich vier Tage nichts von Dexter gehört. Wahrscheinlich hat er meine Telefonnummer in seine Badehose gesteckt und ist damit ins Meer zum Schwimmen gegangen. Obwohl, Angst hätte ich schon, wenn er käme. Es wäre ja wieder für mich das „Erste Mal“.
Denn nach so vielen Jahren ohne Sex bin ich bestimmt wieder zur Jungfrau geworden. Ich sitze auf meinem Balkon, trinke kühlen Weißwein und habe das Telefon vor mir liegen und starre es an. Die Temperaturen in Deutschland sind glühend. Ich liebe es. Ich muss ein Sonnenkind sein. Gestern hat mir Dexter spanische Fortuna Zigaretten zukommen lassen. Ich musste auf einen Anruf von einem Jürgen warten, der mit dem Bus aus Spanien kam. Er rief mich um 19 Uhr an und sagte, er sei jetzt in Köln und ungefähr in einer Stunde in Dortmund bei der Busstation. Ich könne dann so in dreißig Minuten losfahren.
Das tat ich auch und war aufgeregt. Warum weiß der Himmel. Nur wegen blöder Fortuna Zigaretten? Jetzt stand ich in Dortmund auf dem Busbahnhof, hatte einen guten Parkplatz und konnte auf Jürgen warten. Hinter meinem Parkplatz ist ein Tanzlokal „Catwalk“ heißt es, irgend so ein Anmachschuppen. Männer in roten Jacketts und alte Frauen auf 25 getrimmt. Sonnenbankgelb und Netzkleider vom Hippiemarkt aus Ibiza. Krampfadern und Stöckelschuhe und in den gefärbten Haaren, große Blüten aus Plastik. Mein Gott, ich stelle mir vor, wenn ich so etwas nötig hätte. Den Gedanken verdrängte ich ganz schnell. Der Bus rollte auf den Parkplatz und ich ging zu Jürgen.
Wir begrüßten uns und er fragte mich, ob ich ihn zur Tiefgarage fahren könnte. Weil für ihn war jetzt Feierabend und er konnte nach Hause. Na klar, mache ich, packe deine Sachen in meinen Käfer. Er gab mir die Fortuna und sagte „Grüße von Dexter“. Danke. Kannst du einen Moment warten, fragte ich, weil eine alte Frau im Netzkleid mich so bescheuert eingeparkt hat.
Ja klar, fahr mal an. Toll, mein Käfer ging zweimal aus und verabschiedete sich. Der Anlasser, das wusste ich sofort – Mist. Jürgen schob mich aus der Parklücke und kreuz und quer über den Busparkplatz. Nichts tat sich. Ein älterer Mann half auch noch beim Schieben. Sie sagten mir, dass ich dann wohl den ADAC anrufen müsste. Ja, werde ich wohl müssen, denn ich hatte über meine Autoversicherung einen Schutzbrief, den ich jetzt das erste Mal in Anspruch nehmen werde. Ich rief eine Notrufnummer in Frankfurt an, und man teilte mir mit freundlicher männlicher Stimme mit, es sei schließlich Sonntagabend und es könnte bis zu zwei Stunden dauern, bis der Pannendienst käme. Also, gut.
Ich versuchte zu Hause anzurufen, um eines meiner Kinder zu erreichen, damit sie sich keine Sorgen machen mussten.
Zu der Zeit besaßen weder ich noch meine Kinder ein Handy. Aber die Leitung war besetzt. Meine Tochter Anna war mit ihrer großen Liebe, ihrem ersten richtigen Freund Heiko und einem befreundeten Pärchen den ganzen Tag im Phantasialand in Brühl.
Jetzt wird sie wohl eine Freundin anrufen und ihr erzählen, wie dieser Heiko geguckt hat usw. usw. Jürgen blieb eisern bei meinem Käfer stehen. Als ich das fünfte oder sechste Mal anrufen ging, endlich Freizeichen.
Mensch Anna, ich versuche seit einer Stunde einen von euch zu erreichen. Ja, Mutti, der Heiko hat noch mal angerufen. Super, dachte ich, die haben sich ja auch eine Ewigkeit von zwei Stunden nicht mehr gesehen. Na ja, egal. Anna, hör zu, mein Auto springt nicht mehr an und ich warte auf den Pannendienst.
Ach Mutti, der Dexter hat aus Spanien angerufen, er wollte wissen, ob du die Zigaretten bekommen hast. Ja, Anna, habe ich, aber rufe ihn bitte an und sag ihm, dass ich in Dortmund festhänge.
Ja, mache ich, bis gleich, tschüss. Bis gleich ist gut. Die Hitze machte mich verrückt, ich hatte wahnsinnigen Durst. Genug zu rauchen hatte ich ja jetzt. Aber was hätte ich für eine kalte Cola gemacht. Fast alles. Als dann endlich nach über einer Stunde der Pannendienst kam, war ich glücklich.
Ich kannte meinen Käfer und wusste, dass es der Anlasser war. Der Blick des Mechanikers sagte alles. Frau am Steuer, Frauen und Technik. Er wies mich daraufhin, dass es vielleicht auch die Lichtmaschine sein könnte, oder die Batterie. Aber die ist neu, es ist der Anlasser. Er schraubte mein Auto hoch, krabbelte darunter und sagte, starten sie mal. JUHU, er sprang an. Es war der Anlasser. Jürgen verabschiedete sich von mir und fuhr mit dem Taxi zur Tiefgarage. Er erzählte mir während des Wartens, dass er sich vor drei Monaten unsterblich in eine Polin verliebt hat. Er ist sofort mit ihr zusammengezogen.
Er hält die langen Trennungen Deutschland-Spanien Spanien-Deutschland nicht länger aus. Es gibt in diesem Job kein Privatleben. Jede Beziehung geht kaputt sagte er.
Ich dachte an Dexter. Dann führe ich eben eine Telefonbeziehung, dachte ich. Ist ja für den dritten Mann nach meiner Trennung nicht das Schlechteste. Obwohl Dexter mir am Telefon sagte, dass es bei ihm „Wumm“ gemacht hätte und nur ich hätte nicht bemerkt das er sich in mich verliebt hat.
Er macht mich total nervös, ich kann nachts nicht schlafen, wenn er mich vorher angerufen hat. Das Essen gelingt mir im Moment nicht mehr so gut. Ich brauche abends mein Glas Bier oder kühlen Wein und ich rauche immer noch zu viel. Wenn das alles das „Wumm“ ist, hatte es bei mir vielleicht auch Wumm gemacht.
Genau weiß ich es nicht, ich war zu lange Ehefrau und Mutter. Da schlägt häufig nur ein Gewitter ein, aber man hat doch keine Schmetterlinge im Bauch. Es ist bei mir schon eine Ewigkeit her, und ich muss alles wieder lernen. Vielleicht sind es in meinem Alter auch keine Schmetterlinge mehr, sondern Motten. Aber irgendein Gefühl spüre ich, nur ich kann es nicht lokalisieren. Heute Morgen als ich zur Arbeit fuhr, sah ich in meinen Briefkasten, das tue ich nie, weil die Post doch erst gegen 10 Uhr kommt.
Es lag ein Brief drin, von meiner Freundin, so eine Art Kettenbrief. Eine E-Mail. Mir fällt spontan der Kinofilm ein „E-Mail für dich“. Ich las an jeder roten Ampel einige Sätze. Das war ein Glücksbrief. Er soll mir in den nächsten 4 Tagen Glück bringen. Na super! Als wenn das vom Himmel fällt. Seit Tagen fühle ich mich unwohl. Magenschmerzen, Durchfall und einfach lustlos. Vor zwei Tagen habe ich mich in eine eiskalte Flasche Weißwein verliebt. Vorher hatte ich einen Anruf eines Kollegen und Freundes meines Noch-Ehemannes.