Dirk Husemann

Arminius – Römer im Germanenpelz

Campus Verlag
Frankfurt/New York

Über das Buch

Unzählige Mythen ranken sich um Arminius, Anführer der Cherusker und Zeitgenosse des Varus, dem er in der legendären Schlacht im Teutoburger Wald gegenüber stand. Im 19. Jahrhundert wurde er von Deutschnationalisten als »Urgermane« verklärt, manche hielten ihn gar für die Vorlage von Siegfried, dem verratenen Helden des Nibelungenliedes. Fakt ist, dass der Cherusker bereits als Knabe nach Rom kam, nach römischer Sitte ausgebildet wurde und schon bald erste militärische Erfolge feiern konnte. Als er Jahre später in seine germanische Heimat zurückkehrte, wurde er zu einem der gefährlichsten Widersacher Roms. Was mag seine Wandlung bewirkt haben? Und welche Rolle spielte die Fürstentochter Thusnelda bei diesem Frontwechsel? Dirk Husemann bringt Licht ins Dunkel der Geschichte um den geheimnisvollen Krieger.

Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop

Über den Autor

Dirk Husemann

Dirk Husemann, geboren 1965, ist Archäologe und Historiker. Seit vielen Jahren ist er als freier Autor und Journalist, unter anderem für Spektrum der Wissenschaft, GEO und Spiegel Online, tätig. Bei Campus erschienen bislang von ihm »Die Neandertaler« (2005), »Spiele, Siege und Skandale« (2007) und »Der Sturz des Römischen Adlers« (2008). Dirk Husemann lebt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ort des Geschehens in Ostbevern bei Münster.

Inhalt

Mythos und Wahrheit

Lorbeeren für einen Germanen

Germanen lieben gefährlich

Idistavisto – Rache für Varus

Drachentöter und Nibelungenkönig?

Der Germane aus dem Osten

Campus Kaleidoskop

Impressum

Mythos und Wahrheit

Arminius oder Hermann gilt heute als der Urgermane schlechthin. Doch der wilde Befreier mit Bärenhaut und Hörnerhelm war römischer Offizier. Sein Schicksal und das seiner Frau Thusnelda ist eine Geschichte von Liebe, Verrat und Martyrium.

Wer Arminius wirklich war, weiß niemand. Sein Name wurde ihm vermutlich von den Römern gegeben, der Geburtsname ist nicht überliefert. Die Identität seiner Mutter ist ebenso unbekannt wie sein Geburtsort. Als Geburtsjahr mag 16 v. Chr. gelten. Vater und Onkel hingegen waren berüchtigt. Sie hießen Segimer und Inguimer und belegten auf der Fahndungsliste des römischen Statthalters in Germanien die oberen Plätze.

Die Brüder hatten sich an römischen Steuereintreibern vergriffen. Als Zenturionen 12 v. Chr. in den Weilern und Dörfern der Cherusker und Sugambrer auftauchten, um Tribut zu fordern, machten Segimer und Inguimer kurzen Prozess mit den Besatzern. Nach römischen Quellen sollen sie die Offiziere des Feindes ans Kreuz geschlagen haben. Diese Form der Hinrichtung aber war klassisch antik und im Norden möglicherweise gar nicht bekannt. Wie aus anderen Quellen überliefert ist, banden oder nagelten die Germanen ihre Delinquenten an heilige Bäume, um sie so den Göttern zu opfern. Möglicherweise aber ist nicht einmal das wahr, und die Römer erfanden eine Schauergeschichte, die sie als Anlass für die nun folgenden Strafexpeditionen dem Senat in Rom vorhalten konnten. Den Germanen jedenfalls erging es schlecht.

Rom stellte Bedingungen. Vermutlich musste Segimer seine Söhne als Fürstengeiseln an den Tiber schicken. Dort sollten die Sprösslinge nicht etwa in Ketten schmachten, sondern eine römische Ausbildung genießen und die Militärlaufbahn einschlagen. Sie lernten Latein, erhielten eine Offiziersausbildung, einen Helm auf den Kopf und römische Namen: Flavus und Arminius.

Möglich aber, dass der Druck Roms gar nicht so groß war. Einer Theorie zufolge zogen die Brüder nicht als Geiseln dorthin, sondern aus freiem Willen. Rom soll mit Abenteuern gelockt haben, mit einer Ausbildung zum Krieger und den Weihen eines römischen Offiziers. Aber die selbstständige Entscheidung der Jungen, nach Rom zu gehen, erscheint im Hinblick auf ihr Alter unglaubwürdig. Die Nachwuchs-Cherusker steckten zur Zeit der Ereignisse um die gekreuzigten Zenturionen und die Folgen – den Rachefeldzügen der Römer – noch in den Kinderschuhen. Im Höchstfall mögen sie zehn Jahre alt gewesen sein. Ob die Brüder in diesem Alter unbeeinflusst Rom als Ort ihrer Erziehung gewählt haben, ist fraglich.

Wenn Segimer seine Söhne nicht als Geiseln senden musste, dann doch, weil der Häuptling an Verträge gebunden war. Rom forderte Verstärkung von den germanischen Stämmen, die sich mit der Macht aus dem Süden gut stellen wollten. Aus halbwüchsigen Germanen machten die Römer passable Fußsoldaten und – im Fall des germanischen Stammesadels – sogar Offiziere hoch zu Ross. Bündnis, Gewalt oder frühreife Entscheidung – die beiden Knaben zogen an den Tiber.

Lorbeeren für einen Germanen

Rom verwandelte die Jungen. Sie lernten, zu reden wie ein Römer, wuchsen mit römischer Lebenskultur auf, mögen über Häuser, Speisen und Straßen gestaunt haben, erfuhren alles über die seit Jahrhunderten erfolgreiche römische Kriegführung, auch die römische Mode mag Einfluss auf die beiden Germanen gehabt haben. Wie erfolgreich sich Arminius assimilierte, zeigt, dass der etwa Zwanzigjährige 4 n. Chr. eine Truppe seiner Landsleute im römischen Heer anführen durfte. Arminius erhielt eine der höchsten Auszeichnungen, die Rom einem Germanen zu verleihen hatte: das Bürgerrecht.

Arminius und sein Kommando reisten dem Krieg der Römer hinterher. Welche Winkel der römischen Welt der Cherusker zu Gesicht bekam, ist nicht überliefert. Von Hilfstruppen aus dem Balkangebiet ist bekannt, dass sie bis nach Britannien versetzt wurden, wenn dort Soldaten benötigt wurden. Auch Arminius mag manche für ihn exotische Teile des Reichs kennen gelernt haben, bevor ihn die Geschichtsschreibung 6 n. Chr. in Pannonien aufstöbert. Auf dem Gebiet des heutigen Böhmen braute sich der bislang größte Feldzug Roms gegen ein germanisches Reich zusammen.