Impressum
Anschrift der Autorinnen:
Laura Seebauer, Dipl.-Psych.
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Abteilung für Biologische und Differentielle Psychologie
Psychotherapeutische Ambulanz
Stefan-Meier-Str. 8
79104 Freiburg i. Br.
PD Dr. Gitta Jacob, Dipl.-Psych.
GAIAAG
Gertigstr. 12–14
22303 Hamburg
Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-621-28265-9)
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1. Auflage 2015
© Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2015
Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Programm PVU Psychologie Verlags Union
http://www.beltz.de
Lektorat: Claudia Silbereisen
Herstellung: Uta Euler
Illustration: Boris Braun
Umschlagbild: serezniy/thinkstock
Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-621-28278-9

Inhalt

Vorwort
1Selbstsicherheit
Was ist Selbstsicherheit?
Die vier Ebenen der Selbstsicherheit
Welche Gefühle haben mit Selbst(un)sicherheit zu tun?
Das gesunde Maß finden
Test: Wie selbstsicher sind Sie?
2Wo soll es hingehen?
So soll mein Leben aussehen
Klare Ziele finden
Wann ist ein Ziel erreicht?
3Hindernisse erkennen und überwinden
Was steht mir im Weg?
Der Ursprung der Unsicherheit
4Sich selbst finden
Wie wir werden, wer wir sind
Sich selbst kennenlernen
Sich selbst akzeptieren
Achtsamkeit und Selbstsicherheit – wie passt das zusammen?
Zwischen Akzeptanz und Aktion
5Sicher auftreten
Kommunikation
Körpersprache
Zeit für Experimente
6Mit Kritik umgehen lernen
Den inneren Kritiker bändigen
Aus Kritik lernen
Richtig Kritik üben
Lob annehmen
7Beziehungen gestalten
Positive Beziehungen herstellen
Sich durchsetzen
8Mutig sein
Etwas Neues wagen
Keine Angst
Hinweise zum Online-Material
Literaturverzeichnis
Sachwortverzeichnis

Vorwort

Intuitiv ist praktisch jedem klar, dass Selbstsicherheit wichtig ist und dass bestimmte Probleme im eigenen Leben irgendwie damit zusammenhängen. Gleichzeitig ist es jedoch oft sehr schwer zu fassen, was das eigentlich genau sein soll – Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl. Der Versuch einer Definition kann sich anfühlen, wie den sprichwörtlichen Pudding an die Wand zu nageln. Das liegt aber vermutlich daran, dass Selbstwertgefühl oder Selbstsicherheit sehr breite Begriffe sind, die ganz verschiedene Dinge beinhalten können. Der eine versteht darunter vielleicht vor allem das Gefühl, sich selbst gut und in Ordnung zu finden; ein anderer meint damit eher, in sozialen Situationen überzeugend oder sogar dominant aufzutreten – und für einen Dritten bedeutet der gleiche Begriff vor allem, zu wissen, wer man ist und was man eigentlich im Leben erreichen möchte.
Entsprechend viele Möglichkeiten gibt es, wenn man darüber nachdenkt, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben. Wir haben uns in diesem Ratgeber für einen sehr breiten Ansatz entschieden, in dem wir die verschiedenen Facetten des Themas Selbstsicherheit behandeln. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen denken wir, dass die verschiedenen Aspekte von Selbstsicherheit, z. B. sich gut kennen, selbstsicher auftreten oder sich durchsetzen, oft eng zusammenhängen und es deshalb meist nicht ausreichend ist, nur einen oder wenige Punkte isoliert zu betrachten. Zum anderen haben wir schon häufig die Erfahrung gemacht, dass am Beginn der Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstsicherheit noch gar nicht unbedingt klar ist, welche Facetten für einen selbst zentral sind. Mit diesem Ratgeber können Sie die wichtigsten psychologischen Überlegungen rund um das Thema Selbstsicherheit kennenlernen und für sich entscheiden, was Sie selbst am relevantesten finden und woran Sie gerne arbeiten würden. Zu jedem Thema gibt es sowohl grundsätzliche Überlegungen als auch Übungen und Experimente, wie Sie gezielt an sich arbeiten und sich ändern können. Zahlreiche Fallbeispiele und Illustrationen machen die Themen anschaulich. Alle Fallbeispiele sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind zufällig. Als Ergänzung zu den Übungen finden Sie sowohl im Anhang dieses Buches als auch als online Arbeitsblätter, die Ihnen ein selbstständiges Arbeiten ermöglichen.
Sie können diesen Ratgeber entweder von vorne bis hinten lesen, oder sich einzelne Aspekte heraussuchen, die Sie besonders interessieren. Es lohnt sich auch, einfach ein wenig darin herumzustöbern und so Anregungen zur Auseinandersetzung mit sich selbst zu bekommen. Jedes Kapitel steht für sich, und wenn ein Abschnitt auf vorherigen Überlegungen aufbaut, haben wir das nach Möglichkeit immer kenntlich gemacht, sodass Sie rasch nachlesen können. Vielleicht verwenden Sie diesen Ratgeber auch einfach einige Zeit als Begleiter und schauen immer mal wieder rein – wenn Selbstsicherheit für Sie ein wichtiges Thema ist, dann kann es eine gute Idee sein, sich damit über eine ganze Weile immer mal wieder »häppchenweise« zu beschäftigen und kleine Übungen in Ihren Alltag zu integrieren.
Aufgrund unserer therapeutischen Erfahrungen sind wir der Überzeugung, dass Selbstsicherheit eine dynamische Angelegenheit ist und dass es kein realistisches Ziel ist, ein für alle Mal eine starke Selbstsicherheit zu erlangen. Vielmehr geht es immer wieder darum, im Spannungsfeld zwischen der Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit und dem Bewusstsein der eigenen Besonderheit den richtigen Platz zu finden, zu erforschen und zu behaupten! In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen und Arbeiten mit diesem Buch!
Freiburg und Hamburg im Januar 2015
Laura Seebauer und Gitta Jacob

1 Selbstsicherheit

Was ist Selbstsicherheit?

In unserer Gesellschaft wird der »Selbstsicherheit« eine große Bedeutung zugemessen. Menschen werden entweder für ihr selbstsicheres Auftreten gelobt oder wollen daran arbeiten, selbstsicherer zu werden. In den meisten Fällen ist damit gemeint, wie ein Mensch sich im Zusammensein mit anderen Menschen verhält, dass er z. B. durchsetzungsstark ist. Viele Menschen wünschen sich, in Gruppen, im Job oder in der Partnerschaft selbstsicherer aufzutreten und besser für sich und ihre Interessen einstehen zu können. Tatsächlich ist dies allerdings nur der zweite Teil dessen, was Selbstsicherheit ausmacht. Zunächst muss man sich nämlich selbstsicher fühlen, um das dann im Kontakt mit anderen Menschen nach außen tragen zu können. Vielleicht haben Sie auch selbst schon die Erfahrung gemacht, dass ein selbstsicheres Gefühl die Voraussetzung dafür ist, eigene Wünsche und Bedürfnisse äußern zu können. Es gibt also zwei Teile von Selbstsicherheit, bei denen der eine nicht ohne den anderen funktionieren kann – wie zwei Seiten der gleichen Medaille:
(1) Selbstvertrauen von innen: Darunter verstehen wir einen Zustand innerer Gelassenheit, Souveränität, Kraft und Stärke. Ein selbstsicherer Mensch kennt seine Stärken und Schwächen und hat diese als Teil seines Selbst akzeptiert. Entscheidend ist dabei auch ein guter Zugang zu den eigenen Bedürfnissen. Dieser erste Teil von Selbstsicherheit wird manchmal auch Selbstbewusstsein genannt. Das beinhaltet Vertrauen und Zuversicht darauf, dass man seine Ziele erreichen wird und mit aufkommenden Hindernissen gut umgehen kann. Auch der Begriff des Selbstwertes spielt hierbei eine Rolle. Ein selbstsicherer Mensch misst sich selbst einen Wert zu, der auch unabhängig von Erfolgen und Misserfolgen bestehen bleibt.
(2) Selbstsicherheit nach außen: Die Selbstsicherheit im engeren Sinne beschreibt im Unterschied dazu die Fähigkeit, gegenüber anderen Menschen durchsetzungsstark aufzutreten und für die Erfüllung eigener Bedürfnisse kompetent einzutreten – ohne dabei allerdings übermäßig aggressiv zu werden. Ein selbstsicheres Auftreten erkennt man zum Beispiel an einer aufrechten Körperhaltung und einer klaren und sicheren Sprache. Ein selbstsicherer Mensch ist meistens gelassen und in seiner Haltung relativ unabhängig von der Meinung anderer.
In diesem Ratgeber soll es um beide Seiten der Selbstsicherheit gehen. Wir möchten Ihnen helfen, sich selbst besser kennenzulernen, Ihre Wünsche und Bedürfnisse besser zu spüren und auch Ihre Schwächen ein wenig besser zu akzeptieren. Dieses Selbstbewusstsein soll Ihnen dann dabei helfen, sich auch in der Beziehung zu anderen selbstsicherer zu verhalten, sich durchzusetzen und auch mal »Nein« zu sagen, wenn Ihnen etwas nicht guttut.
Fallbeispiel
Lisa
Lisa ist eine 28-jährige Vertriebsleiterin. Sie wurde von ihren Vorgesetzten in den vergangen Jahren sehr gefördert und hat sich so innerhalb weniger Jahre eine verantwortungsvolle Position erarbeitet. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft mit ihrer besten Freundin Tina, die mit ihrem Freund zurzeit eine Fernbeziehung führt. Tina beneidet Lisa häufig darum, wie selbstsicher sie wirkt. Tatsächlich fühlt sich Lisa auch sehr selbstsicher – eigentlich … Wären da nicht diese dummen Kleinigkeiten, die sie manchmal völlig aus der Bahn werfen. So wie neulich: Lisa hatte einen stressigen Tag in der Firma hinter sich. Trotzdem hatte sie es geschafft, alle Aufgaben zu erledigen und ihre Vorschläge in der Teambesprechung hatten ihr ein anerkennendes Nicken ihres Vorgesetzten eingebracht. So verließ sie die Firma müde, aber rundum zufrieden mit sich selbst, um mit Tina noch ein Eis in der Sonne zu essen. Als die beiden Freundinnen so gemütlich auf der Wiese saßen und die letzten Sonnenstrahlen des Tages genossen, rief ihr ein junger Kerl zu: »Na, Moppelchen, die zweite Kugel hätte ich aber lieber in der Eisdiele gelassen!« Daraufhin zogen er und seine Freunde lachend von dannen. Auf einmal war Lisas gute Laune wie weggeblasen und sie lief puterrot an. Sie konnte sich allerdings nur noch zu einem schwachen »Guck dich doch mal an« aufraffen. Trotz des erfolgreichen Tages fühlte sie sich jetzt auf einmal total unwohl in ihrer Haut und wäre am liebsten nach Hause gegangen. Gleichzeitig ärgerte sie sich wahnsinnig über sich selbst. Wie kann das sein, dass irgendein dummer Typ, der nicht halb so viel auf dem Kasten hat wie sie, mit einem Wink ihr ganzes Selbstbewusstsein in die Tonne kickt und sie sich auf einmal wieder fühlt wie eine Sechsjährige! Da sollte sie doch eigentlich drüberstehen, oder?
So wie Lisa geht es vielen Menschen. In manchen Situationen fühlt man sich selbstsicher und hat keine Probleme, seine Meinung zu vertreten oder schlagfertig zu sein – häufig z. B. gegenüber Menschen, die man gerne mag. Andererseits kann eine winzige Bemerkung eines Unbekannten ausreichen, um die Selbstsicherheit wegschmelzen zu lassen wie eine Eiskugel in der Sonne. Das ist tatsächlich ganz normal! Selbstsicherheit ist keine feste Größe, sondern variiert je nach Tagesform, Situation und vor allem den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Überlegen Sie doch einmal für sich selbst:
(1) Wie kann man Ihre Selbstsicherheit am ehesten erschüttern?
(2) Was müsste jemand zu Ihnen sagen, damit Sie sich möglichst unsicher fühlen?
(3) Wer kann Sie innerhalb kürzester Zeit verunsichern? Wie macht diese Person das?
Vielleicht kommt es Ihnen komisch vor, beim Thema Selbstsicherheit als Erstes darüber nachzudenken, wie Sie am leichtesten unsicher werden. Der Grund dafür ist, dass es entscheidend ist, die eigene Achillesferse zu kennen! Wenn Sie genau wissen, was Sie verunsichert, können Sie die aufkommende Unsicherheit in solchen Situation viel schneller einordnen und dagegen ansteuern. Wie Sie das am besten machen, erfahren Sie in den folgenden Kapiteln.
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Sie können sich Selbstsicherheit wie einen Baum vorstellen. Die Wurzeln sind das Fundament, die innere Selbstsicherheit, die im Verborgenen wirkt. Der Stamm und die Äste sind auch von außen zu sehen, das sichere und starke Auftreten. Natürlich bringt ein kräftiger Wind Ihren Baum manchmal ganz schön ins Wanken, aber die Wurzeln sorgen dafür, dass er nie ganz umkippt.

Die vier Ebenen der Selbstsicherheit

Um Selbstsicherheit genauer zu verstehen, muss man alle ihre Komponenten genauer anschauen. In der Psychologie gibt es dabei vier wichtige Ebenen:
  • Gedanken
  • Gefühle
  • Körperempfindungen
  • Verhalten
Diese vier Bereiche stehen in enger Verbindung miteinander. Wenn Sie auf einer Ebene etwas ändern möchten, z. B. Ihr unsicheres Verhalten, dann sollten Sie auch die Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen einbeziehen, die diesem Verhalten vorangehen. Abbildung 1.1 zeigt, wie diese vier Ebenen üblicherweise zusammenspielen.
Abbildung 1.1 Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen und Verhalten
Bestimmte Situationen lösen bei uns automatisch Gedanken aus. Dies können positive, negative, ermutigende oder einschüchternde Gedanken sein. Wenn Sie z. B. eine Gruppe von Menschen sehen, die sich unterhalten und zu Ihnen blicken, denken Sie vielleicht »Die freuen sich bestimmt auf mich« oder aber »Ich gehöre nicht dazu« oder gar »Die lästern bestimmt über mich«. Aus diesen Gedanken folgen dann Gefühle, z. B. Zugehörigkeit, Ausgeschlossensein, Freude, Scham oder Traurigkeit. Gefühle gehen mit bestimmten Körperempfindungen einher, z. B. Schwitzen, Herzklopfen, einem Kloß im Hals oder einem schweren Atem. Gefühle und Körperempfindungen sind entscheidend dafür, wie wir uns in einer Situation verhalten. Wenn Sie sich beispielsweise zugehörig und freudig fühlen, werden Sie vermutlich auf die Gruppe von Menschen positiv und offen zugehen und sich ganz selbstverständlich dazusetzen. Wenn Sie sich jedoch wegen Ihrer Gedanken ausgeschlossen, beschämt oder traurig fühlen, werden Sie sich im schlimmsten Fall gar nicht an die Gruppe herantrauen oder sich nur still an den Rand setzen. Dieses Verhalten hat dann wieder Einfluss auf unsere Gedanken. Wenn Sie inmitten der Gruppe sitzen und andere offen ansprechen, werden Sie vermutlich Gedanken haben wie »Gut, dass ich gekommen bin« oder »Die anderen mögen mich«. Wenn Sie allerdings gleich wieder gegangen sind oder sich nur an den Rand gesetzt haben, kommen wahrscheinlicher Gedanken wie »Ich habe nichts Interessantes zu sagen« oder »Ich gehöre hier nicht dazu«. Dann geht der ganze Kreislauf von vorne los und verstärkt sich immer weiter – in die positive oder in die negative Richtung.
Fallbeispiel
Anna
Anna fühlt sich in den meisten Lebenslagen eigentlich relativ selbstsicher. Daran hat sie in den vergangenen Jahren, unter anderem in einer Therapie, viel gearbeitet. Mit ihrem Leben ist sie soweit zufrieden, hat einen guten Job und viele Freunde. Nur wenn es um Männer geht, schrumpft Annas Selbstsicherheit ganz schnell auf das Alter einer Zwölfjährigen zusammen. Sie hatte noch nie einen festen Freund, obwohl es dafür objektiv wirklich keinen Grund gibt. Anna ist hübsch und lustig und ihre Freunde lassen sich oft von ihrem Unternehmungsdrang mitreißen. Sobald es aber darum geht, einen Mann kennenzulernen, kommen Anna negative Gedanken in den Sinn, z. B. »Warum sollte der sich ausgerechnet für mich interessieren« oder »Mit mir stimmt doch etwas nicht, dass ich noch nie eine Beziehung hatte«. Abbildung 1.2 macht deutlich, wie Annas negative Gedanken dabei zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
Abbildung 1.2 Teufelskreislauf negativer Gedanken
Aufgrund ihrer negativen Gedanken verhält sich Anna also am Ende so, dass kein Mann sich traut, sie anzusprechen, weil sie so verschlossen und uninteressiert wirkt.
Mit dem folgenden kleinen Experiment können Sie testen, was für einen großen Einfluss unsere Gedanken auf unser Verhalten anderen Menschen gegenüber haben.
Übung
Experiment zur Wirkung von Gedanken
Lesen Sie zunächst die Anweisungen durch. Dann schließen Sie die Augen und stellen sich die folgende Situation vor:
Sie haben einen neuen Kollegen bei der Arbeit. Nach der Teambesprechung, in der er offiziell vorgestellt wurde, möchten Sie sich noch einmal persönlich mit ihm bekannt machen. Sie gehen auf ihn zu und stellen sich vor. Während Sie miteinander sprechen, schaut Ihr neuer Kollege die ganze Zeit auf den Boden.
Jetzt möchten wir Sie bitten, die folgenden drei Gedanken nacheinander »auszuprobieren«. Bitte achten Sie dabei darauf, welche Gefühle der jeweilige Gedanke bei Ihnen auslöst und wie Sie aufgrund dieses Gedankens und der darauffolgenden Gefühle gerne handeln würden (Handlungsimpuls).
(1) »Der ist aber ganz schön unhöflich!«
  • Gefühl:
      
  • Handlungsimpuls:
      
(2) »Ich bin total uninteressant für ihn.«
  • Gefühl:
      
  • Handlungsimpuls:
      
(3) »Der ist aber ganz schön schüchtern.«
  • Gefühl:
      
  • Handlungsimpuls:
      
Konnten Sie sich in die unterschiedlichen Gedanken hineinversetzen? Finden Sie es nicht auch erstaunlich, wie ein und dasselbe Verhalten (auf den Boden schauen) so unterschiedliche Gefühle und Handlungsimpulse auslösen kann? In realen Situationen ist das ganz genauso: Manche Menschen neigen dazu, Dinge auf sich zu beziehen (»Ich bin langweilig oder uninteressant«), während andere die Dinge eher den äußeren Umständen zuschreiben (»Der ist unhöflich oder schüchtern«). Diese Bewertungen beeinflussen dann ganz entscheidend, wie man seine Beziehungen gestaltet.
Es ist also wirklich schwierig, sich einfach selbstsicherer zu verhalten, wenn man nicht gleichzeitig die Gedanken, Gefühle und das Körpergefühl miteinbezieht. Wir möchten Ihnen dabei helfen, auf ganzheitliche Weise mehr Selbstsicherheit zu erlangen. Sie werden lernen, wie Sie negative Gedanken hinterfragen und »ausschalten« können. Andererseits werden Sie auch Übungen finden, die negative Gefühle direkt an der Wurzel verändern. Meist sind dies sogenannte Imaginationsübungen oder Vorstellungsübungen. Ein ganz wichtiger Punkt sind auch die Körperempfindungen und die Körperhaltung, wenn es um Selbstsicherheit geht. Deshalb finden Sie in diesem Buch sowohl Hinweise dazu, wie Sie Ihre innere Mitte besser finden können, als auch Körperübungen für ein besseres, selbstsichereres Körpergefühl. Last but not least soll es natürlich auch um das konkrete Verhalten gehen. Sie werden gezielt lernen, neue Verhaltensweisen zu planen und zu üben. Durch die Arbeit an allen vier Ebenen können Sie nachhaltig und stabil Selbstsicherheit aufbauen.

Welche Gefühle haben mit Selbst(un)sicherheit zu tun?

Vermutlich interessieren Sie sich für dieses Buch, weil Sie selbst sich gerne selbstsicherer fühlen oder verhalten würden. Dies ist an sich ein sehr gutes Ziel! Als Erstes soll es jedoch um das gehen, was Sie belastet, nämlich die (Selbst-)Unsicherheit. Hinter der Unsicherheit können nämlich ganz unterschiedliche Gefühle stecken. Wissen Sie eigentlich, warum wir überhaupt Gefühle haben?
Warum haben wir Gefühle?
Gefühle haben sich im Laufe der Evolution herausgebildet, um uns zu helfen, möglichst schnell auf bestimmte Situationen reagieren zu können, z. B. auf Gefahr. Bestimmte Informationen aus der Umwelt, wie ein lauter Knall, aktivieren das Gefühl der Angst. Instinktiv sind an ein solches Gefühl bestimmte Verhaltensmuster geknüpft, z. B. sich zu verstecken oder wegzulaufen. Das ist absolut sinnvoll, wenn wirklich Bedrohung besteht! Wenn die Menschen in der Steinzeit nicht gelernt hätten, ganz schnell wegzurennen beim Anblick eines Säbelzahntigers, hätte unsere Gattung wahrscheinlich nicht überlebt … Gefühle helfen uns also dabei, die zahllosen Informationen aus der Umwelt zu filtern und auf wichtige Reize möglichst schnell zu reagieren. Deshalb sind negative Gefühle zunächst einmal eine ganz wichtige Information für uns, ohne die die Menschheit gar nicht überlebt hätte, und sollten nicht einfach »weggemacht« werden. Manchmal kann es aber passieren, dass bestimmte Gefühle sich verselbstständigen und ohne Grund oder bei dem kleinsten Anlass laut Alarm geben. Dann muss die Alarmanlage etwas leiser gedreht werden, sodass übermäßig negative Gefühle Sie nicht daran hindern, Ihr Leben so zu führen, wie Sie das möchten.
Hinter Unsicherheit können sich ganz unterschiedliche Gefühle verbergen. Diese können Ihnen wichtige Informationen darüber geben, warum Sie gerade in bestimmten Situationen besonders leicht zu verunsichern sind. Im Folgenden finden Sie die wichtigsten Gefühle, die mit Unsicherheit zu tun haben. Jedes Gefühl hat seine eigene Botschaft. Können Sie sich irgendwo wiedererkennen?
Angst. Das Ziel von Angst ist es, Gefahren zu erkennen oder abzuwenden. Ob wir etwas als mögliche Gefahr bewerten, hängt einerseits von unserer genetischen Programmierung ab (z. B. Spinnen, Raubtiere, Donner) und andererseits von unseren eigenen Erfahrungen (z. B. schlechte Erfahrungen mit bestimmten Menschen). Angst weckt häufig intensive Körperempfindungen, z. B. Schwitzen, Herzklopfen, Engegefühle in der Brust oder ein flaues Gefühl im Magen. Diese Körperreaktionen stammen noch aus der Zeit, in der man sich bei drohender Gefahr möglichst schnell verstecken oder weglaufen musste. Sie zeigen einen Anstieg des Adrenalinspiegels an – wenn er steigt, dann setzt der Körper Energie frei, damit man schnell rennen kann. Angst löst solche Empfindungen aus, aber der Kreislauf funktioniert auch umgekehrt: Wenn wir solche Empfindungen haben, sehen wir das leicht als Anzeichen für drohende Gefahr. Dies löst dann wiederum Angst aus und macht uns natürlich auch unsicher.
Fallbeispiel
Thomas
Thomas war immer eher ein schüchternes Kind. In der Grundschule kam er trotzdem gut zurecht und hatte Freunde zum Spielen. Auf der Realschule kam er aber leider in eine Klasse mit vielen »Rowdys«, die ihn wegen seiner schüchternen Art piesackten und hänselten. Weil ihm das peinlich war, fiel es ihm schwer, sich jemandem anzuvertrauen, und er litt ganze drei Jahre darunter. Mittlerweile ist Thomas 25 Jahre alt und hat gerade seinen Meister als Mechatroniker gemacht. Obwohl er seinen Job gut macht, hat er immer wieder Angst, dass andere ihn fertigmachen wollen. Besonders wenn Kollegen in seinem Alter auf ihn zukommen, sucht er ihre Gesichter immer automatisch nach Anzeichen dafür ab. Im Kontakt mit Gleichaltrigen ist er sehr schüchtern und fühlt sich total unsicher.
Scham. Scham ist ein Gefühl, das man empfindet, wenn man sich selbst mit den Augen der anderen sieht und für schlecht befindet. Dann fühlt man sich unzulänglich, schlecht, minderwertig oder unerwünscht. Der Zweck dieses Gefühls ist es, uns davor schützen, dass wir uns in den Augen anderer Menschen lächerlich machen, und so sicherzustellen, dass wir ein Teil der Gemeinschaft bleiben. Zum Beispiel schämen wir uns, wenn wir etwas falsch machen und dabei erwischt werden. Insofern hat Scham auch eine gute Funktion: Sie hilft uns, unser Verhalten an die Norm der Gruppe anzupassen und macht es so erst möglich, dass Menschen zusammenleben können. Allerdings kann Scham auch übermäßig werden: Bei Menschen, die sehr sensibel sind für das Empfinden von Scham, wird jede Abweichung von der Norm zu großer Unsicherheit führen – auch wenn es sich nur um Kleinigkeiten handelt, die jedem mal passieren, wie ein kleiner Fehler, eine etwas unpassende Bemerkung oder ein etwas auffälligeres Outfit.
Fallbeispiel
Carola
Carola ist gemeinsam mit vielen netten Kollegen auf einem Kongress. Am letzten Abend gibt es ein großes Essen. Als sich alle im Foyer des Hotels treffen, um gemeinsam zum Veranstaltungsort zu gehen, stellt Carola mit Schrecken fest, dass sie als einzige ein schickes Kleid und hohe Schuhe trägt. Fast alle anderen sind in Jeans gekommen. Carola ist es total peinlich, dass sie so overdressed ist, und fühlt sich den ganzen Abend extrem unwohl und unsicher in ihrer Haut.
Neid und Unzulänglichkeit. Man empfindet Neid, wenn man das Gefühl hat, dass eine andere Person etwas hat, das eigentlich einem selbst zustehen würde oder das man gerne hätte. Der Besitz des anderen wird als »ungerecht« empfunden. Neid kann sich auf bestimmte materielle Dinge, Aussehen, Erfolg oder einen attraktiven Partner beziehen. Einerseits ist Neid ein sehr nützliches Gefühl, da es uns dazu antreibt, mehr zu erreichen und unseren Vorteil zu suchen. Allerdings geht Neid auch häufig mit einem Gefühl von Unzulänglichkeit einher. Wenn es zu einem ständigen Vergleich mit anderen kommt, bei dem man immer wieder schlechter abschneidet, kann dies ebenfalls zu großer Unsicherheit führen.
Fallbeispiel
Franziska
Franziska ist im dritten Jahr ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin. Sie empfindet sehr häufig Neid und fühlt sich oft ungerecht behandelt. Sie hat eigentlich immer das Gefühl, dass ihre Mitschülerinnen besser bewertet werden, dass sie hübscher sind als sie selbst und es überhaupt viel leichter haben im Leben. Es fällt Franziska extrem schwer, sich von diesen Gedanken zu distanzieren. Sie kennt solche Gefühle seit ihrer Kindheit – ihr Vater, den sie eigentlich ziemlich oberflächlich findet und manchmal für einen schlimmen Macho hält, hat sie oft ganz offen zu ihrem Nachteil mit ihrer hübscheren Schwester verglichen. Ihre Mutter hatte unter den kritischen Augen des Vaters wohl auch oft das Gefühl, nicht zu genügen und schlechter abzuschneiden als andere, hübschere oder jüngere Frauen. Wenn Franziska eine Prüfung macht, denkt sie die ganze Zeit schon daran, dass die Prüfer sie absichtlich schlechter bewerten werden. Als sie dann vor der Klasse einen Vortrag halten soll, ist sie so verunsichert, dass sie tatsächlich viel von dem vergisst, das sie eigentlich sagen wollte.
(Unterdrückter) Ärger. Der Zusammenhang zwischen Ärger und Unsicherheit ist etwas komplizierter. Wir empfinden Ärger oder sogar Wut, wenn wir selbst oder wichtige Ziele von uns bedroht sind. Durch Ärger und Wut versetzen sich Geist und Körper in Verteidigungsbereitschaft. Deshalb ist Ärger an sich ein sehr wichtiges Gefühl: Es schützt uns davor, schlechte Behandlung hinzunehmen. Allerdings hat Ärger bei vielen Menschen ein sehr schlechtes Ansehen und ist gewissermaßen »verboten«. Diese Menschen versuchen oft, Gefühle von Ärger oder Wut mit allen Mitteln zu unterdrücken. Dadurch können sie aber gar nicht richtig und authentisch sie selbst sein. Außerdem kann manchmal das geschehen, was auch passiert, wenn zu viel Druck auf einen Dampfkochtopf kommt – er explodiert im unpassendsten Moment. Solch starke Gefühle von Ärger und Aggressivität machen dann natürlich erst recht Angst und die Person ist verunsichert, weil sie sich selbst gar nicht mehr richtig kennt. Sie beginnt sich zu fragen »Wozu bin ich eigentlich fähig?« und wird unsicher im Kontakt mit anderen.
Fallbeispiel
Katja
Katja stammt aus einer sehr christlichen Familie. Ihr wurde von klein auf beigebracht, dass es schlecht ist, ärgerlich zu werden und laut für sein Recht zu streiten. Katjas Mutter hat sich nie gegen ihren kalten und abweisenden Ehemann aufgelehnt. Auch Katja hat sich ihrem strengen Vater untergeordnet und sich selbst auferlegt, ihn trotz allem zu lieben und zu respektieren. Allerdings fühlt sie in letzter Zeit manchmal unbändige Wut und sogar Hass auf den Vater. Diese Gefühle verunsichern sie zutiefst und sie versucht nun ganz besonders, es allen recht zu machen, um sich zu beweisen, dass sie kein schlechter Mensch ist.

Das gesunde Maß finden

Wie bereits erwähnt, ist es ganz normal, sich mal mehr und mal weniger selbstsicher zu fühlen. Besonders unvermittelte Kritik kann schnell dazu führen, dass man sich plötzlich »so klein mit Hut« fühlt. Selbstsicherheit ist ein Kontinuum, also ein breiter Bereich, bei dem man sich mal mehr auf der selbstsicheren und mal mehr auf der unsicheren Seite befinden kann. Aber gibt es eigentlich auch zu viel Selbstsicherheit? Die Antwort lautet klar: »Ja!« In der Psychologie wird dieses Phänomen als Narzissmus beschrieben. Das Gegenstück, also viel zu wenig Selbstsicherheit, ist die Selbstunsicherheit.
Abbildung 1.3 Kontinuum der Selbstsicherheit
Narzissmus
Bestimmt haben Sie schon einmal gehört, dass eine Person als »Narzisst« bezeichnet wurde. Damit ist in der Regel eine Person gemeint, die sich extrem selbstsicher verhält und sich sehr viel mit den eigenen Bedürfnissen beschäftigt. Andere Menschen werden dagegen eher abgewertet und kleingemacht. Natürlich können auch narzisstische Eigenschaften bei einer Person mehr oder weniger stark ausgeprägt sein.