Der Naturwissenschaftler Dipl.-Math. Klaus-Dieter Sedlacek, Jahrgang 1948, lebt seit seiner Kindheit in Süddeutschland. Er studierte neben Mathematik und Informatik auch Physik. Nach dem Studienabschluss 1975 und einigen Jahren Berufspraxis gründete er eine eigene Firma, die sich mit der Entwicklung von Anwendungssoftware beschäftigte. Diese führte er mehr als fünfundzwanzig Jahre lang. In seiner zweiten Lebenshälfte widmet er sich nun seinem privaten Forschungsvorhaben. Er hat sich die Aufgabe gestellt, die Physik von Information, Bedeutung und Bewusstsein näher zu erforschen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Im Jahr 2008 veröffentlichte er ein aufsehenerregendes und allgemein verständliches Sachbuch mit dem Titel „Unsterbliches Bewusstsein – Raumzeit-Phänomene, Beweise und Visionen“. Er ist der Herausgeber der Reihe „Wissenschaftliche Bibliothek“.

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Originalausgabe

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Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7392-6698-5

Inhaltsverzeichnis

0. Vorwort

Die Natur hat von jeher einen besonderen Einfluss auf die geistige Betätigung des Menschen ausgeübt. So ist die Naturwissenschaft wohl als die älteste Wissenschaft überhaupt anzusehen. Die Naturwissenschaftler früherer Zeiten waren eigentlich Naturphilosophen, d. h.. sie spekulierten im wesentlichen über die Natur und trieben in ihrer Weise die Wissenschaft von der Natur.

Die heutige Aufgabe der Naturphilosophie wird folgendermaßen beschrieben:

Die Naturphilosophie versucht, die Natur in ihrer Gesamtheit aufzufassen und in ihren allgemeinen wie partikulären Strukturen zu beschreiben, theoretisch zu erklären und zu deuten. 1

Das bedeutet: Naturphilosophie ergänzt die Naturwissenschaft, wenn es um die Beschreibung, Erklärung und Deutung von Fakten geht. Deshalb gehören Naturwissenschaft und Naturphilosophie zusammen. Das wird besonders deutlich, wenn man das Kapitel 2 'Die Säulen der heutigen Naturerkenntnis' mit den Unterkapiteln 'Relativitätstheorie' und 'Die Quantenmechanik' liest.

Die klassischen physikalischen Theorien, zum Beispiel die klassische Mechanik oder die Elektrodynamik, haben eine klare Interpretation, das heißt, den Symbolen der Theorie (Ort, Geschwindigkeit, Kraft beziehungsweise Spannungen und Felder) ist eine intuitive, klare Entsprechung in Experimenten (also eine messbare Größe) zugeordnet. Da die Quantenmechanik in ihrer mathematischen Formulierung auf sehr abstrakten Objekten, wie etwa Wellenfunktionen, basiert, ist eine Interpretation nicht mehr intuitiv möglich. So existiert heute eine Vielzahl alternativer Interpretationen, die bis auf wenige Ausnahmen das Ziel einer realistischen Deutung der Quantenmechanik verfolgen.

Ich selbst sehe es so, dass gerade in der Quantenmechanik eine unzulässige Vermischung von Abstraktem mit Realem vorgenommen wird (Stichwort: Kopenhagener Deutung). Wenn man Abstraktes und Reales auseinanderhält, fällt es leichter zu einer realistischen Deutung zu kommen.

Wenn es um Dinge wie das Jenseits geht, dann versagt die derzeitige Physik völlig. Ich habe mich bemüht, einerseits selbst eine naturwissenschaftliche Theorie eines transzendenten physikalischen Bereichs, jenseits von Raum und Zeit aufzustellen (Kapitel 8), andererseits einen Autoren zu finden, der einigermaßen sachgerecht, die metaphysische Seite vom Jenseits beschreibt. Da der Autor, ein Physiker, jedoch aus dem letzten Jahrhundert stammt, sah ich mich gezwungen einige Überarbeitungen vorzunehmen.

Man möge mir verzeihen, dass ich nicht sämtliche Texte selbst geschrieben habe, sondern auch auf frei Verfügbares zurückgriff. Ich habe mich im Wesentlichen auf das Schreiben folgender Kapitel konzentriert: 'Abstrakte und reale Welt' (Kap. 4), 'Bewusstseinsprozesse, Bio-Regelkreise und Quanteneffekte' (Kap. 7) und 'Existenz einer transzendenten Wirklichkeit' (Kap. 8). Da ich nicht davon ausgehen kann, dass ein nicht fachlich vorgebildeter Leser alle verwendeten Begriffe kennt, habe ich zudem zur einfachen Erklärung der wichtigsten Begriffe einen Glossar erstellt (Kap. 10). Die übrigen Kapitel, die von anderen Autoren stammen, sind von mir überarbeitet worden.

Ich denke, so ist ein rundes Werk entstanden, das neben aktueller Erkenntnis die Weisheit der Jahrhunderte enthält und vielleicht sogar noch ein wenig von dem, was die Zukunft erst erweisen wird.

Stuttgart, Januar 2016.

Klaus-Dieter Sedlacek

Kap. 1: Prinzipien der Mechanik. Foto: Sedlacek


1 Seite „Naturphilosophie“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. November 2015, 09:32 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Naturphilosophie&oldid=147693486(Abgerufen: 26. November 2015, 15:41 UTC)

1. Die unbelebte Natur

1.1 Der Gegenstand der Naturerkenntnis

Die ältesten Denker Griechenlands sind naive Realisten, wie noch heute alle Menschen, denen erkenntniskritische Erwägungen fern liegen, und wie es selbst die Philosophen im täglichen Leben immer bleiben. Doch warnt schon Heraklit, dem Zeugnis von Auge und Ohr unbedingt zu trauen, und Demokrit wagt es, die Natur ihres ganzen bunten Sinnenscheines zu entkleiden: „Der Übereinkunft nach gibt es Süßes und Bitteres, Warmes, Kaltes und Farbiges, in Wahrheit aber nur die Atome und den leeren Raum.“ dass die Aussagen unserer Sinne sich widersprechen, weiß Demokrits Landsmann und Zeitgenosse, der „Sophist“ Protagoras: Denselben Windhauch nennt der eine warm, der andere kalt. Im Zeitalter der Aufklärung hat John Locke die demokritische Lehre durch seine Unterscheidung von primären und sekundären Eigenschaften neu formuliert und den Subjektivismus der beiden Abderiten mit weiteren Erfahrungsbeispielen belegt. Über Lockes Standpunkt hinaus schreiten Berkeley und Kant, die nicht nur die Qualitäten der Empfindung, also den Stoff der Wahrnehmung, sondern auch die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit aus dem Objekt in das auffassende Subjekt zurückverlegen. Damit verwandelt sich der erkenntnistheoretische Realismus in den Idealismus, die sicht- und tastbare Natur in ein Gewebe von Vorstellungen, die Materie in ein Erzeugnis unseres Intellekts. „Wehe, wehe, du hast sie zerstört, die schöne Welt“, ruft der Geisterchor dem Titanen zu, der die große „Revolution der Denkart“ vollzieht und die Last des sinnlichen Vorurteils von sich abwirft.

Die Auflösung der Körperwelt in ein optisches und haptisches Phänomen lässt scheinbar immer noch die Möglichkeit offen, dass sich hinter den Erscheinungen, wenngleich unseren Sinnen unzugänglich und unserem Verstand unbegreiflich, ein Reich der Dinge an sich verberge; weit geheimnisvoller als der Himmel der platonischen Ideen, die doch gerade die allgemeinsten Begriffe unseres Denkens repräsentieren. Kant, der vorsichtige Schiedsrichter zwischen Empirismus und Rationalismus, Realismus und Idealismus, hat diesen Weg beschritten. Sein „Ding an sich“ ist unvorstellbar und, da keiner begrifflichen Kategorie unterworfen, auch undenkbar. Denn Kausalität und Substanzialität herrschen nur im Umkreis der Erscheinungswelt. Sie sind Werkzeuge unseres Geistes, die das Chaos der Empfindungen zum Kosmos der Erkenntnis gestalten.

Fragen wir, mit welchem Recht das Ding an sich überhaupt gesetzt wird, da es die Selbstaufhebung des transzendentalen Idealismus bedeuten würde, wollte man von der Erscheinungswelt als Wirkung auf eine jenseitige Ursache zurückschließen, so antwortet uns Kant, dass jene Setzung nötig sei, wenn sich nicht die Erscheinung in bloßen Schein auflösen solle. Natürlich ist dieses Argument „zum Stich zu schwach“. Es gibt nicht zwei Welten, von denen die eine unseren Erkenntnismitteln offen, die andere ihnen ewig verschlossen wäre. Doch darf man wohl fragen, ob diese wunderliche Verdoppelung der Wirklichkeit Kants letztes Wort in unserer Frage ist. Manche Stellen aus Kants Werken lassen eine Deutung zu, wonach das berühmte oder berüchtigte Ding an sich nichts weiter wäre als ein Grenzbegriff, dazu bestimmt, den Anmaßungen der Sinnlichkeit Schranken zu setzen. Es würde dann den Gegenstand einer nichtsinnlichen Anschauung bedeuten. Als solcher wäre es aber, wie Kant richtig bemerkt, überhaupt kein Problem (mehr für unseren Verstand, sondern der — intuitive — Verstand, vor den es gehörte, würde selbst zum Problem.

So bleibt allem Anschein nach nur der Rückzug von Kant auf Hume, den eine Anzahl Denker der jüngsten Vergangenheit angetreten hat — unter ihnen einige, die wie der Physiker Ernst Mach und der Mediziner Theodor Ziehen von den exakten Wissenschaften hergekommen sind. Der Grundsatz des „subjektiven“ Idealismus, der sich hiermit erneuert, ist Berkeleys berühmte Gleichung: esse = percipi (lat.: Sein ist wahrgenommen werden). Nur dass der fromme Bischof, als Metaphysiker seine eigene kritische These verleugnend, neben dem Sein in der Wahrnehmung noch ein anderes bestehen lässt, nämlich das der vorstellenden Geister und des göttlichen Geistes, der in den Einzelgeistern das Traumspiel der Erscheinungen veranstaltet. Auch Fichte, der den Widerspruch im Begriff des Dinges an sich erkennt und den Dualismus der Kantischen Lehre beseitigen will, behält doch ein Welt-Ich zurück, das die Vorstellungen setzt. Indessen weiß der folgerichtig zu Ende gedachte Idealismus weder von einem mit Vorstellungen behafteten Ich, noch von einer Außenwelt, auf die jene bezogen wären. Es gibt weder Körper noch Seelen, sondern nur Drücke, Farben, Töne, Gerüche, Geschmäcke und Temperaturen, also Erlebnisse, doch ohne ein erlebendes Subjekt; nur Bewusstseinsinhalte, die gleichwohl in keinem Bewusstsein zusammengefasst sind.

Allen diesen Gebilden und Vorgängen mangelt aber mit der Beziehung auf einen Gegenstand auch die eigene innere wechselseitige Verbindung: Das Weltbild des subjektiven Idealisten zeigt ein Schneegestöber regellos durcheinanderwirbelnder Vorstellungen. Tauchen doch in unserem Bewusstsein fort und fort neue Vorstellungen auf, die aus den vorhandenen nicht abgeleitet werden können, während andere Bilder ebenso grundlos wieder versinken. Der philosophisch unverschulte Verstand führt dieses Kommen und Gehen der Erlebnisse auf die Wechselwirkung seines Bewusstseins mit einer unabhängig vom Wahrnehmen bestehenden Welt der Dinge zurück. Er will es nicht glauben, dass der Gegenstand, der dem Blick entschwunden ist, auch aus der Welt selber verschwunden, also vernichtet sei. Der Idealist dagegen gleicht dem Gefangenen, der zeitlebens aus dem Fenster seines Kerkers heraus die Welt betrachtet hat, und der nun den beschränkten Teil der Wirklichkeit, der in seinem Blickfeld liegt, für die ganze Wirklichkeit hält. Wohl haben manche Erkenntnistheoretiker vom Ufer des Subjektivismus aus wieder eine Brücke zur natürlichen Weltansicht hinüberzuschlagen versucht. So meint beispielsweise Mach, die Elemente der Wahrnehmung existierten weiter, auch wenn sie den engeren Zusammenhang, den wir unser Ich nennen, verlassen hätten; wie denn der Tod nichts weiter sei als eben das Auseinandertreten sonst verbundener Elemente! Allein auf die Frage, wie man sich denn ihr Fortbestehen zu denken habe, und wie eine Wahrnehmung beschaffen sei, die niemand wahrnimmt, müssen Mach und seine Anhänger die Antwort notwendig schuldig bleiben. Die Behauptung, die Bäume grünten, die Sonne leuchtete und wärmte, und der Donner grollte auch dann noch, wenn kein auffassendes Bewusstsein vorhanden wäre, bedeutete einen Rückfall in den naiven Realismus. Wir können der Natur die Wahrnehmungsqualitäten nicht beilegen, ohne den Versuch einer einheitlichen Auffassung der Wirklichkeit von vornherein aufzugeben. Denn wenn die sinnlichen Merkmale der Erscheinung fortwährend wechseln — welches unter ihnen sollen wir herausgreifen und auf das Sein übertragen?

Mit der Wirklichkeit entschwindet dem subjektiven Idealisten auch die Wahrheit. Jeder Gedanke über Vorgestelltes ist eine neue Vorstellung, die wiederum nur sich selbst darbietet, aber keinerlei Aussage über ihresgleichen enthält. Denn mit welchem Recht will man den Denkbestimmungen, also sekundären seelischen Inhalten eine Wirklichkeitsbeziehung, und sei es auch nur die Beziehung auf eine innere Erlebnis- oder Bewusstseinswirklichkeit, beimessen, wenn man den primären Vorstellungsinhalten eine solche Beziehung abstreitet? Der erkenntnistheoretische Idealismus, der sich gern mit dem Namen des Positivismus schmückt, in der Tat aber alles Positive in wesenlosen Schein verflüchtigt, endet also im äußersten Skeptizismus: Nichts ist wahr! Ein Blick auf gewisse Richtungen der modernen Philosophie bestätigt das Gesagte. Der von dem amerikanischen Psychologen William James begründete „Pragmatismus“ hat den alten Wahrheitsbegriff völlig aufgelöst: Als wahr gilt, was geeignet ist, uns zu neuen Erfahrungen zu führen. Die Atomtheorie beispielsweise braucht hiernach durchaus nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes „wahr“ zu sein. Sie ist gerechtfertigt, wenn sie sich im Fortgang der wissenschaftlichen Forschung bewährt. Schließlich ist jede Behauptung wahr, die sich irgendwie im Leben als nützlich erweist. Ähnliche Gedanken entwickelt Vaihingers Philosophie des Als-ob, und schon Nietzsche sieht in der Götzendämmerung der alten Ideale mit der absoluten Moral die absolute Wahrheit versinken. Auch für ihn ist Wahrheit nur der zweckmäßigste Irrtum.

Der platonische Sokrates, der im „Theätet“ der protagoreischen Lehre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten zustimmt, zieht doch aus ihr eine andere Folgerung. Der Satz des Protagoras beweist ihm nur, dass Wahrnehmen noch kein Wissen ist, dass wir also vom Gegebenen zum Gedachten fortschreiten müssen. Der Positivismus seinerseits erklärt freilich alle Bemühungen, das unmittelbar Erlebte durch ein nie Erlebbares ersetzen zu wollen, für Torheit. Der ins Wasser getauchte Stab scheine nicht nur, sondern sei wirklich gebrochen — natürlich nur für das Auge, nicht auch für die tastende Hand. Der Würfel, den der Mathematiker konstruiert, ist nach Ansicht des Positivisten nur ein abgezogenes Schema, nicht aber die hinter den perspektivisch verschobenen Anschauungsbildern verborgene Wirklichkeit.

Mit zweifellosem Recht erhebt der Positivismus Einspruch gegen den Versuch der Erkenntnistheoretiker, die dunkle und stumme Welt der mechanischen Naturerklärung, die Welt bloß quantitativer Bestimmungen, an die Stelle der leuchtenden und tönenden Natur oder, mit Fechner zu reden, die „Nachtansicht“ an die Stelle der „Tagesansicht“ zu setzen. „Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.“ Das Netz der Begriffe und Gleichungen, mit dem die Wissenschaft die Erscheinungen überzieht, dient nur dazu, die sinnlichen Eindrücke zu ordnen und gedanklich zu beherrschen. Der Gedanke kann niemals Wirklichkeit schaffen, und der Würfel des Mathematikers ist tatsächlich nur ein unwirkliches Gedankending, das sich von dem kantischen Ding an sich bloß dadurch — allerdings sehr wesentlich — unterscheidet, dass es uns, was jenes nicht leisten kann, zur Orientierung in der Sinnenwelt verhilft. Wenn aber der Positivismus die Annahme einer von unserem Erleben verschiedenen Wirklichkeit überhaupt bekämpft, so bestreitet er damit die Voraussetzung aller Wissenschaft und hebt sich schließlich als Theorie selber auf. Denn ohne den Kompass, dessen Nadel ständig auf die Realität weist, kann im Gewoge der Vorstellungen kein Seefahrer seinen Kurs halten. Andererseits enthält das Postulat, dass Wissenschaft möglich sein, dass sich also das Gegebene denkend beherrschen lassen müsse, noch keinen Beweis für seine Erfüllbarkeit und für die Wahrheit des erkenntnistheoretischen Realismus. Aber bleibt es nicht, mit Kant zu reden, „ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns bloß auf Glauben annehmen zu müssen und, wenn es jemand einfällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können“?

Die „Meditationen“ des Descartes lassen uns hineinschauen in die Gedankenwerkstatt eines Philosophen, der um Wirklichkeit und Wahrheit titanenhaft ringt. Rückhaltlos preisgebend, was sonst dem Menschen unerschütterlich feststeht, findet er zuletzt im eigenen Innern den Grund, auf dem er fußen kann. Mag alles im Strudel des Zweifels versinken, daran, dass ich zweifele, folglich denke, folglich als ein denkendes Wesen existiere, kann ich nicht zweifeln. Von hier aus gelangt der Vater der neueren Philosophie auf einem weiten Umwege über Gott, dessen Idee der Mensch, als ein endliches und unvollkommenes Wesen, nicht aus sich selbst hervorgebracht habe, zur Setzung einer Außenwelt, mit deren Bild uns Gott doch unmöglich betrügen könne!

Wir werden heute diesen Beweisgang nicht sehr zwingend finden. Aber ebenso wenig genügt der einfache Hinweis darauf, dass wir uns nicht bewusst sind, die Bilder der Außenwelt aus uns selber zu produzieren. Wer sagt uns, dass sie nicht frei entstehen und wieder vergehen? Schopenhauer meinte zwar, es bedürfe nur der Aufhebung des kantischen „Dogmas“, das dem Kausalprinzip die transzendente Geltung abspricht, um uns die Wirklichkeit zurückzuerobern. Aber selbst wenn dieses Verbot fällt, bleibt die Hauptfrage noch unbeantwortet: Wie gelangt der ursprünglich auf den Umkreis seiner Bewusstseinserlebnisse beschränkte Denker überhaupt zu der Forderung, dass sich die seelischen Inhalte in einen geordneten Zusammenhang müssten bringen lassen, und woher nimmt er die Idee einer Außenwelt, die solchem Wunsche in der Tat am Ende Gelingen verschafft? Man hat die angebliche Hypothese der Außenwelt die „grundlegende Hypothese der Naturwissenschaft“ genannt. Aber es ist psychologisch durchaus unbegreiflich, wie man auf sie hätte verfallen sollen, wenn man nicht die Überzeugung von ihrer Existenz schon vorher aus anderen Quellen geschöpft hätte!

Hier zeigt sich, dass der Ausgangspunkt des cartesianischen Philosophierens, den sich fast alle neueren Denker zu eigen gemacht haben, falsch angesetzt ist. Das berühmte „Cogito, ergo sum“ (lat.: „Ich denke, also bin ich.“) darf so wenig als ein unerschütterliches Axiom gelten, dass wir vielmehr, vom Ich und seiner Vorstellung unseren Ausgang nehmend, „wie ein Tier auf dürrer Heide von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt“ werden und die „schöne grüne Weide“ der Realität niemals erreichen. Keine noch so scharfsinnige Überlegung entreißt uns dem Bannkreis des Subjektiven, in dem wir uns einmal gefangen haben.

Für den naiven Menschen aber ist die Welt seiner Vorstellungen die Welt der wirklichen Dinge. Die Tatsache, dass die Gegenstände, die er sieht und tastet, zugleich seine Erlebnisse, also innere Zuständlichkeiten sind, kommt ihm als solche nicht zum Bewusstsein. Erst wenn die Philosophie gelernt hat, gerade über das scheinbar Selbstverständliche sich zu verwundern, erhebt sich die Frage, wie es denn zugehe, dass wir von den Dingen draußen im Raum Kenntnis besitzen, ein Problem, das bekanntlich Demokrit mit seiner Bildertheorie lösen zu können meinte. Denn wenn die Gegenstände, wie es ja augenscheinlich der Fall ist, nicht ganz und gar in das Ich hinüberwandern, so werden vielleicht kleine Häutchen, die von ihrer Oberfläche stammen und, in der Luft umherfliegend, in das Sinnesorgan gelangen, uns den Eindruck ihrer Gestalt vermitteln. Anders verfährt die Wahrnehmungstheorie des Aristoteles, die, obwohl kaum weniger mechanisch wie die demokritisch-epikureische, im Grundgedanken noch von Augustin und Thomas festgehalten wird. Sie lässt durch Vermittlung einer Zwischensubstanz — etwa des Wassers oder der Luft—nur die Form des Objektes dem Organ sich einprägen, gleichwie die Form des Siegelringes sich ins Wachs drückt. Die antiken Vorbilder der newtonschen Emissions- und der huygensschen Undulationshypothese des Lichtes sind damit gegeben.

Mit allen diesen mehr physikalischen und physiologischen als psychologischen und erkenntnistheoretischen Erklärungsversuchen wird die Realität des äußeren Gegenstandes nicht angetastet. Das ändert sich, sobald die Überlegung hinzutritt, dass wir über das, was jenseits des Wahrnehmungsbildes liegt, eigentlich nichts wissen können. Der Psychologe lernt, die Eindrücke äußerer Objekte ihrem Wesen nach auf eine Stufe mit Fantasie- und Erinnerungsbildern zu stellen und diese Erlebnisse sämtlich unter dem Namen der Vorstellungen zusammenzufassen. So ist die Einsicht in den Vorstellungscharakter unserer Wahrnehmungsbilder erst das Ergebnis wissenschaftlicher Reflexion, keine Grundtatsache des Erlebnisses selbst und folglich auch nicht der unverrückbare Ausgangspunkt alles Philosophierens. Diesen Ausgangspunkt bildet vielmehr in psychologischer Hinsicht das von Wundt sogenannte Vorstellungsobjekt, in dem Sein und Bewusstsein sich noch nicht geschieden haben. Die nachträgliche wissenschaftliche Zergliederung des ursprünglich völlig einheitlichen Tatbestandes besitzt aber nicht die Kraft, die natürliche Weltansicht völlig zu beseitigen. Vielmehr handelt es sich hierbei stets um Unterscheidungen, die wir innerhalb der erlebten Weltwirklichkeit vornehmen.

Ebenso wenig wie bloße Denkoperationen eine Welt vernichten können, vermögen sie eine solche zu schaffen. Das zeigt sich sofort, wenn wir die Frage aufwerfen, was denn eigentlich von dem gegenständlichen Sein noch übrig bleibe, nachdem die Demokrit und Locke, die Berkeley und Kant nicht nur die sinnlichen Qualitäten der Wahrnehmung, sondern auch die räumliche und zeitliche Ordnungsform in das auffassende Subjekt zurückverlegt haben. Allerdings sind die berühmten Argumente, die Kants „Transzendentale Ästhetik“ für die Subjektivität von Raum und Zeit beigebracht hat, keineswegs zwingend. Zweifellos verfehlt ist vor allem Kants Versuch, nachzuweisen, dass wir uns den Raum auch unabhängig von den Dingen vorstellen könnten. Wäre dies der Fall, so hätten wir allerdings einen gewichtigen Grund für die Annahme seines subjektiven Ursprunges. Aber jene Behauptung steht nicht nur im Widerspruch zu Kants eigener, richtig verstandener Lehre vom a priori, der zufolge wir uns der Erkenntnisformen immer nur an und mit dem Erkenntnisinhalte bewusst werden, und fällt offensichtlich zurück in die gröbere, meist auf Descartes zurückgeführte Theorie der angeborenen Ideen, sondern ist auch psychologisch gänzlich unhaltbar. Wir können uns weder vorstellen, dass kein Raum sei, noch auch — trotz Kant — dass keine Gegenstände in ihm angetroffen würden.

Entscheidender ist Berkeleys Hinweis auf die perspektivischen Verschiebungen und Verkürzungen, die für die Relativität der Raumgrößen den Beweis liefern. Wenn ein und derselbe Stab, je nach seiner Entfernung von unserem Auge, eine andere Größe besitzt, so ist die Frage, wie groß er denn an sich sei, offenbar ebenso ungereimt wie die andere nach der wirklichen Farbe eines bei verschiedener Beleuchtung verschieden erscheinenden Objektes. Lockes sekundäre und primäre Eigenschaften rücken also nunmehr in der Tat auf eine Stufe. Auch die absolute Ausdehnungsqualität gehört nicht dem Objekt, sondern nur dem Subjekt an. Und was hier vom Raum gesagt ist, lässt sich ohne Weiteres auf die Zeit übertragen: das Erlebnis der Dauer ist ein psychologisches von inneren und äußeren Bedingungen abhängiges Faktum, dem objektive Realität nicht zugeschrieben werden kann. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, dem Leidenden dehnen sich die Minuten zu Ewigkeiten. Der erfüllte Zeitraum wird länger, der leere kürzer geschätzt.

Unabhängig aber von der absoluten Ausdehnung und Dauer ist die in Raum und Zeit erscheinende Ordnung des Seins und Geschehens, die durch keine Veränderung meines eigenen Standpunktes in Mitleidenschaft gezogen wird, sodass sich eine völlig standpunktfreie Erkenntnis dieser Ordnung gewinnen lässt. Die relative Lage zweier Seins- oder Ereignispunkte bleibt die nämliche, welches auch immer die Stellung des Beobachters innerhalb des Raumganzen oder der Zeitreihe sein mag. Sie erweist sich als ein unaufhebbar gegebener Faktor aller Wahrnehmung. Der Tatsächlichkeitsrest, der sich im Schmelzofen der Kritik als feuerbeständig bewährt, ist also überhaupt kein gegenständliches Sein, sondern lediglich ein Gewebe von Beziehungen. Alle objektive Erkenntnis ist relativ.

Dieser Satz hat unmittelbar nichts zu tun mit den Aufstellungen der Einsteinschen Relativitätstheorie, der zufolge gerade umgekehrt alle Aussagen über räumliche und zeitliche Größenverhältnisse, ja sogar über das Vorher und Nachher im Geschehen abhängig sind vom Bewegungszustand des Beobachters. Eine Relativitätstheorie, die von dieser Bedingtheit ihren Namen herleitet, verwechselt deshalb die Begriffe relativ und subjektiv.

Wir können uns die objektive Ordnung nur vorstellen im Gewand der anschaulichen Raum- und Zeitqualität — denn auch bei der Zeitauffassung lässt sich im übertragenen Sinne von innerer „Anschauung“ reden. Bringen wir die Qualität des Erlebnisses in Abzug, so bleibt uns nur ein abstrakter Begriff übrig. Man mag das Zurückbleibende den objektiven Raum und die objektive Zeit nennen, wenn man dabei jeden Gedanken an ein metaphysisches Etwas von im übrigen unbekannter Qualität gänzlich beiseitelässt. Mit dem Problem einer solchen Wesenheit hat sich Herbart, der von einem „Kommen und Gehen im intelligiblen Raume“ spricht, wenn auch begreiflicherweise vergeblich, abgemüht. Es ist stets das Zeichen einer falschen Metaphysik, dass sie „verborgene Qualitäten“ erfindet. Wir dürfen nur sagen, dass dem Phänomen der räumlichen Annäherung eine intensivere innere Verbindung der Wirklichkeitselemente und umgekehrt entsprechen muss. Der zeitliche Zusammenhang zweier Ereignisse aber wird als ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang aufzufassen sein, während das Bild des bloß äußerlichen Neben- und Nacheinander lediglich dem Beschauer angehört.

In das Paradies der unmittelbaren Einheit von Denken und Sein können wir niemals wieder den Weg zurückfinden, nachdem uns der „kritische Sündenfall“ einmal daraus vertrieben hat. Oder vielmehr: Wir finden ihn im Leben jeden Augenblick, und nur dem grübelnden Theoretiker bleibt er verschlossen. Die Gewissheit, dass wir denkend und handelnd in eine über die Schranken unseres Bewusstseins hinausragende Welt verflochten sind, ist also eine praktische oder vorlogische. Andererseits gibt es auch keine theoretischen Argumente, die hinreichend wären, diese Gewissheit zu zerstören. Und wenn der Skeptiker sie gleichwohl verwirft, so fehlt ihm doch die befriedigende Antwort auf die Frage, wie es denn komme, dass sich das Schema unserer Begriffe in der Anwendung bewährt, dass sich also mit andern Worten die Erscheinungen so verhalten, als ob ihnen eine Welt des Seins zugrunde liege!

1.2 Die Hypothese

In den berühmten Einleitungsworten seiner „Mechanik“ sagt Kirchhoff, es sei die Aufgabe der Theorie, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben. Und ganz in Übereinstimmung damit will Mach die Physik auf den begrifflichen quantitativen Ausdruck des Tatsächlichen beschränken. Hierin liegt die Aufforderung an die Naturwissenschaft, ihrem Weltbild lediglich solche Farben einzufügen, die unmittelbar der Wirklichkeit entnommen sind. Die Sätze der genannten Physiker enthalten mit anderen Worten das Programm einer völlig hypothesenfreien Wissenschaft. Die Hypothese will den Tatbestand nicht nur beschreiben, sondern sie will ihn erklären. Sie tut das, indem sie „verborgene Mitspieler“ zulässt, die in die Vorgänge der offenen Szene handelnd eingreifen. Der positivistische Zug des modernen Denkens wendet sich gegen solche angebliche Verfälschungen der Wirklichkeit und gegen den scheinbaren Widersinn des Versuches, Bekanntes mit Hilfe von Unbekanntem verständlich machen zu wollen. Unter der Beschreibung, wie sie hier empfohlen wird, ist freilich nicht eine einfache Wiedergabe des irgendwo und irgendwann einmal Beobachteten gemeint, sondern die Feststellung der eine zusammengehörige Reihe von Ereignissen beherrschenden Gesetzmäßigkeit, und zwar in Gestalt mathematischer Ausdrücke, genauer in der Form von Gleichungen. Solche mathematisch formulierte Gesetze, die eine quantitative Beschreibung des Geschehens enthalten, kann man auch als „phänomenologische Gesetze“ bezeichnen. Beispiele hierfür sind das Gesetz von Mariotte, dem zufolge das Volumen der Gase dem Druck umgekehrt proportional ist, und das Gay-Lussacsche Gesetz, das die Volumenzunahme der Temperatursteigerung im gleichen Verhältnis setzt. Diese Gesetze liefern wohl eine exakte Beschreibung des Tatbestandes, aber sie erklären ihn nicht. Das wird erst anders, wenn wir die Temperatur eines Gases auf die Geschwindigkeit der durcheinanderfliegenden Moleküle, den Druck gegen die Gefäßwände auf die fortwährenden Stöße seiner Teilchen zurückführen. Phänomenologische Gesetze sind auch die drei Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung, die sich aus der Newtonschen Annahme einer im Verhältnis der Massen und im umgekehrten Verhältnis des Entfernungsquadrates wirkenden Attraktionskraft ableiten lassen. Doch bietet eigentlich auch das Newtonsche Fernwirkungsgesetz noch keine unserem Veranschaulichungsbedürfnis entsprechende Erklärung, sondern nur eine vereinheitlichende Beschreibung der Tatsachen. Ferner sei auf die Maxwellschen Gesetze der Elektrodynamik hingewiesen. Sie stellen ein System von sechs Differenzialgleichungen dar, die den Zusammenhang der elektrischen und magnetischen Erscheinungen mit vollendeter Exaktheit darstellen, uns aber in den Mechanismus des Geschehens gar keinen Einblick gewähren. Wenigstens ist die maxwellsche Theorie durchaus unabhängig von dem Wert oder Unwert der Äthermodelle, durch die er selbst und andere die Vorgänge zu versinnlichen sich bemüht haben. Wenn man dabei die mechanische Erklärung eines Vorgangs als diejenige anzusehen pflegt, welche dem Ideal vollkommener Begreiflichkeit und Durchsichtigkeit am nächsten komme, so darf man nicht vergessen, dass die phänomenologische Methode innerhalb der Mechanik selbst eine Stätte gefunden hat. Hier kommt vor allem das „Prinzip der kleinsten Wirkung“ in Betracht. Es besagt in der gaußschen Fassung, dass die Bewegung eines Massensystems unter der Einwirkung ablenkender Kräfte jederzeit mit einem Minimum der Abweichung von der freien Bewegung erfolgt. Ähnlich, wenn auch unbestimmter, lautet es schon bei Maupertuis, dem von Friedrich dem Großen eingesetzten Präsidenten der Berliner Akademie: Bei jeder in der Natur vor sich gehenden Veränderung ist der zu dieser Veränderung nötige Aufwand an Tätigkeit ein möglichst kleiner. Auch das „Prinzip der kleinsten Wirkung“ vermittelt uns kein wirkliches Verständnis der Vorgänge, die es unter sich befasst. Es hat vielmehr „etwas seltsam Körperloses“ an sich. Wir werden — bei Maupertuis ist dies unverkennbar — auf die Weisheit der Natur oder ihres Schöpfers verwiesen, die mit den vorhandenen Kräften so haushälterisch wie möglich umgehe. Die sogenannten „Minimumprinzipien“ sind also keine kausalen, sondern teleologische, das heißt letzten Endes metaphysische Prinzipien. Sie behaupten, dass sich im Walten der Natur jederzeit eine bestimmte Absicht verrate; sie zeigen aber nicht, welcher Mittel sich die Natur bedient, um ihren angeblichen Zweck zu erreichen. Man wird bei ihnen, worauf mit Recht hingewiesen worden ist, an die Leibnizsche Theodizee erinnert, die Gott aus der Fülle der denkbaren Welten diejenige auswählen lässt, in der ein Minimum des Übels verwirklicht ist.

Nebenbei bemerkt wird damit der heuristische Wert, den das „Prinzip der kleinsten Wirkung“ für die physikalische Forschung besitzt, nicht vermindert. Sein Vorzug liegt in seiner Allgemeinheit und weitgehenden Verwendbarkeit, die sich übrigens nicht nur auf das Gebiet der Mechanik erstreckt. Es ist ein noch allgemeineres Prinzip als das der Erhaltung der Energie. Denn das zweite lässt sich aus dem ersten herleiten, nicht aber umgekehrt das erste aus dem zweiten. Doch trägt auch das Energieprinzip, was zumeist übersehen wird, teleologischen Charakter; es ist mit dem Gedanken der „Erhaltung“ unzertrennlich verknüpft. In den Mechanismus des Geschehens gewähren uns die Konstanzprinzipien so wenig einen Einblick wie die Minimumprinzipien.

Zur Herstellung eines verständlichen ursächlichen Zusammenhanges ist daher in zahlreichen Fällen die Hypothese unentbehrlich. Mit ihr schließen wir die Lücken, die der ursprüngliche Tatbestand darbot. Erklären heißt vereinheitlichen. Die Methode der quantitativen Beschreibung beschränkt sich darauf, das Gesetz einer bestimmten Erscheinungsgruppe aufzustellen; sie vermag aber zumeist nicht, das von ihr gerade umspannte Gebiet zu den übrigen Naturgebieten in Beziehung zu bringen, wie dies die kinetische Theorie der Gase leistet, wenn sie das Verhalten der gasförmigen Körper aus den Bewegungsgesetzen kleiner Massenteilchen ableitet. Nicht selten würde die Aufstellung und Durchführung von Gesetzmäßigkeiten ohne hypothetische Ergänzung des Beobachteten überhaupt unmöglich sein, da sich manche scheinbare Ausnahme vom regelmäßigen Ablauf des Geschehens eben nur mithilfe einer über die Erfahrung hinausgreifenden Konstruktion beseitigen lässt. Man denke etwa an die Erscheinungen der Radioaktivität, die anfänglich zum Prinzip der Energiekonstanz im Widerspruch zu stellen schienen, dann aber aufgrund gewisser Annahmen über Atombau und Atomzerfall damit in Einklang gesetzt werden konnten.

Die Forderung Ostwalds, nur die tatsächlich in den Erscheinungen angetroffenen und nachgewiesenen Elemente in die Darstellung aufzunehmen, ist also undurchführbar. Ostwald vergleicht jede Hypothese einem entwichenen Sträfling, dem es vielleicht gelingen mag, durch diese oder jene glückliche Wendung der Gefangennahme für einige Zeit zu entgehen, der aber zuletzt doch von seinem unvermeidlichen Schicksal ereilt wird. Ein Beispiel hierfür bieten die Lichthypothesen: Die Newtonsche Vorstellung ausgeschleuderter Lichtteilchen konnte zwar die Erscheinungen der Reflexion befriedigend erklären, musste aber schon bei der Brechung erfahrungswidrige Voraussetzungen machen und scheiterte gänzlich an den Tatsachen der Beugung und der Interferenz, obgleich sie auch ihrer durch verwickelte Hilfshypothesen Herr zu werden suchte. Die Emanationstheorie wird deshalb von Young und Fresnel durch die eines von elastischen Schwingungen durchzogenen Mediums ersetzt. Dabei konnte man anfänglich noch die Huygenssche Annahme zugrunde legen, wonach sich das Licht im Weltäther, ebenso wie der Schall in der Luft, vermittelst Längswellen fortpflanzt. Um die von Malus entdeckte Polarisation des Lichtes verständlich zu machen, sah sich indessen Fresnel genötigt, an die Stelle der longitudinalen eine transversale Wellenbewegung zu setzen. Nun pflanzen sich aber Querwellen erfahrungsgemäß nur in festen Körpern fort, nicht aber in Flüssigkeiten und Gasen. Denn die Querwellen, die ein in das Wasser geworfener Stein hervorruft, erzeugen sich nur auf der Oberfläche und stehen dort unter dem Einfluss der Schwerkraft. So sah sich die Hypothese des elastischen Äthers, dem man die entgegengesetzten Eigenschaften eines festen Körpers und eines Gases von äußerster Feinheit zuschreiben musste, in unauflösbare Schwierigkeiten verwickelt. Aus ihnen wurde die Physik durch Maxwell, den großen Interpreten Faradays, befreit, der das Licht als ein elektromagnetisches Wechselfeld auffassen lehrte. Hiernach besteht die Lichtwelle aus zwei aufeinander und auf der Strahlrichtung senkrecht stehenden Schwingungen oder Störungen, und zwar aus einer elektrischen Schwingung, die normal zur Polarisationsebene des Lichtes erfolgt, und einer magnetischen, die in dieser Ebene verläuft. Damit war zugleich der alte Gegensatz der Fresnelschen und der Neumannschen Theorie hinsichtlich der Polarisationsebene des Lichtes geschlichtet. Die genialen Versuche von Hertz haben dann die elektromagnetische Lichttheorie glänzend bestätigt.

Diese Bestätigung aber bedeutet zugleich den Zusammenbruch der einfachen Wellenhypothese; es bleibt nur der jeder Anschaulichkeit bare Gedanke zurück, dass das Licht ein periodischer Vorgang ist. Von einem Auf- und Abschwingen kleinster Teilchen ist dabei keine Rede mehr. Welcher Art der dem Äther durch das elektrische und magnetische Feld aufgeprägte Zwangszustand ist, bleibt ganz und gar dahingestellt. Man kann ihn als „Spannungszustand“ definieren, aber an elastische Spannungen ist dabei nicht zu denken. Es lässt sich hieraus die Folgerung ziehen, der Wert einer zusammenfassenden und beschreibenden Theorie sei von der zugrunde gelegten Hypothese relativ unabhängig. Auch eine letzten Endes unhaltbare Hypothese führt unter Umständen zu einem mit der Erfahrung übereinstimmenden Ergebnisse.

Die hier angestellte Betrachtung lässt sich noch weiter fortsetzen, wenn man die neueste Phase in der Entwicklung unserer Vorstellungen über die Natur des Lichtes heranzieht. In ihr scheint sich nämlich eine teilweise Rückkehr zu Newtonschen Anschauungen zu vollziehen. Die neueren Untersuchungen im Feld der Wärmestrahlung führten nämlich zu der Frage, welchen Anteil an der ausgestrahlten Gesamtenergie bei verschiedenen Temperaturen die einzelnen Abschnitte des Spektrums besitzen. Das von Wien gefundene „Verschiebungsgesetz“ sagt nun aus, dass sich das Maximum der Strahlungsintensität bei wachsender Temperatur von den größeren zu den kleineren Wellenlängen verschiebt. Die experimentelle Untersuchung hat dieses Gesetz als zutreffend erwiesen, aber es gelang nicht, es mithilfe der geltenden physikalischen Anschauungen verständlich zu machen. Vielmehr gelangte man vom Standpunkt der älteren Physik aus zu zwei Gesetzen, deren eines nur für sehr tiefe, deren anderes nur für sehr hohe Temperaturen Gültigkeit besitzt.

In dieser Verlegenheit schaffte erst Planck Rat durch die Annahme, die Strahlungsemission erfolge diskontinuierlich, das heißt in einzelnen Energieelementen von bestimmter Größe. Diese Energieelemente sind jedoch nicht konstante Energiemengen, sondern von der Schwingungszahl abhängige Vielfache eines Quantums, das Planck als das „elementare Wirkungsquantum“ bezeichnet hat. Die damit begründete „Quantentheorie“ vermochte nicht nur die erwähnten Schwierigkeiten zu beheben, sie erwies sich auch auf anderen verwandten Gebieten als fruchtbar. So zeigte es sich beispielsweise, dass die Geschwindigkeit von Elektronen, die aus einem Metallstück unter der Einwirkung von ultravioletten Strahlen herausgeschleudert werden, nicht von der Intensität der Strahlung, sondern von der Wellenlänge abhängt. Mit der Abnahme der Lichtstärke wird zwar die Anzahl der ausgelösten Elektronen kleiner, aber ihre Geschwindigkeit bleibt die nämliche. Ein solches Verhalten scheint schwer begreiflich, wenn, wie die Maxwellsche Theorie lehrt, das in Form einer Kugelwelle sich vom Erregungszentrum ausbreitende Licht bei wachsender Entfernung seine Energie auf eine immer größere Fläche verteilt. Nimmt man aber an, die Lichtenergie einer Farbe bleibe jeweils in bestimmten Quanten konzentriert, die von der Lichtquelle gleich Bällen in den Raum hinausgeworfen werden, so gelangen wir zu der von Einstein aufgestellten Hypothese der „Lichtquanten“ oder „Lichtzellen“, die mit der älteren Lichtwellenhypothese den Konkurrenzkampf aufnimmt. Es bleibe dahingestellt, ob mit dieser neuen Hypothese das letzte Wort gesprochen ist; vorläufig sieht sie sich gleich der Newtonschen Emanationstheorie außerstande, eine befriedigende Erklärung der Interferenzerscheinungen zu liefern, sodass wir von einer einheitlichen Grundanschauung in der Frage nach der Natur des Lichtes weiter entfernt sind als je. Aber eben dieser Kreislauf der Hypothesen, den uns die Geschichte der Optik vor Augen stellt, ist geeignet, die Skepsis gegenüber der Hypothese überhaupt zu begründen.

An die Stelle der verpönten Hypothese will Ostwald die „Protothese“ gesetzt wissen, das heißt eine vorläufige Annahme, lediglich dazu bestimmt, der Forschung die Richtung zu weisen. Man könnte dem genannten Naturphilosophen einwenden, dass, richtig verstanden und richtig gebraucht, die Hypothese von der Protothese gar nicht so sehr verschieden sei. Immerhin bleibt nach Ostwald ein Unterschied: Hypothesen sind Bilder, und zwar zumeist mechanische Bilder. Solche Bilder mögen eine Zeit lang zur Veranschaulichung der wirklichen Verhältnisse ihre guten Dienste tun, der Fortschritt der Wissenschaft wird aber immer wieder an einen Punkt führen, wo Bild und Sache miteinander in Widerstreit geraten, weil die Hypothese stets mit Nebenvorstellungen belastet ist, die allein dem Bild, nicht aber der Sache selbst angehören.

In der Tat haben namentlich die englischen Physiker stets an der Forderung der Anschaulichkeit festgehalten. So konstruieren Maxwell und Lodge jenes verwickelte Räderwerk, mit dessen Hilfe sie die elektrischen und magnetischen Vorgänge im Äther illustrieren — ohne damit freilich mehr geben zu wollen, als eben ein ziemlich grobes Abbild der betreffenden Zusammenhänge. Lord Kelvin aber erklärt, er glaube eine physikalische Erscheinung erst dann wirklich verstanden zu haben, wenn es ihm gelungen sei, sich von ihr ein mechanisches Modell zu machen. Unter den deutschen Forschern hat sich beispielsweise Hertz dieser Auffassung angeschlossen. In der Einleitung seiner Mechanik findet sich die berühmte Definition der Hypothesen als „innerer Scheinbilder“ oder Symbole, die dann richtig gewählt seien, wenn „die Folgen der Bilder wieder die Bilder der Folgen“ ergäben. So gefasst verwandelt sich freilich die Hypothese in die Fiktion.

Die Fiktion, deren Bedeutung für die verschiedenen Wissensgebiete die „Philosophie des Als-ob“ gründlich erörtert hat, besitzt keinen selbstständigen Wahrheitswert. Sie ist im Gegenteil eine bewusst falsche Annahme, wenngleich eine solche, die geeignet ist, uns neue tatsächliche Erkenntnisse zu vermitteln. Ihr kommt also lediglich heuristischer Wert zu. Ist aber das Modell Fiktion, so darf man nicht verlangen, dass irgendein Zug des von uns entworfenen Bildes an der Wirklichkeit sich wiederfinde.

Es fragt sich dann nur, ob unser Denken der Krücken des anschaulichen Bildes wirklich bedarf, oder ob wir nicht besser ohne eine Stütze vorwärtszukommen suchen, die uns doch nur einen trügerischen Halt bietet und am Ende mehr Gefahr als Nutzen mit sich bringt.

Es steht fest, dass die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft, wenigstens in Deutschland, einen Weg eingeschlagen hat, der sie von dem alten Ideal der Anschaulichkeit immer weiter abzuführen scheint. „Die eigentliche Rede der Physik“, meinte in diesem Sinne schon vor einigen Jahren ein bekannter Physiker, „sei die Mathematik; was darüber ist, das ist vom Übel!“ Und ein naturwissenschaftlicher Schriftsteller der jüngeren Zeit glaubte den Satz aufstellen zu dürfen, die Wirklichkeit sei nur „das Bestehen gewisser Gleichungen“. Aristoteles würde vermutlich dieser Auffassung denselben Vorwurf machen, den er ehedem gegen Platons „allzu mathematischen“ Begriff der Materie erhob — dass nämlich den Heutigen die Mathematik an die Stelle der Philosophie getreten sei. Blickt man etwa auf das Formelgebäude, in dem die Einsteinsche Gravitationstheorie ihre zweifellos imponierende Darstellung gefunden hat, so wird man in ihm eine „Erklärung“ des Phänomens der allgemeinen Körperschwere nicht nur vergeblich suchen, sondern man wird sogar finden, dass diese Theorie die Anschauung allenthalben vergewaltigt. Die letzten Konsequenzen dieser Einstellung zieht der Mathematiker Weyl, wenn er die Physik ganz und gar von der Geometrie „aufgesogen“ werden lässt. Denn die Physik handele, wie sich immer mehr herausstelle, gar nicht von dem Materiellen, Inhaltlichen der Wirklichkeit, sondern erkenne lediglich deren formale Bestimmtheiten.

Aber selbst die ganz abstrakte und mathematisch-formalistische Behandlung der physikalischen Probleme kommt nicht ganz ohne Hypothesen aus. Die von Einstein angenommene Äquivalenz von Trägheit und Schwere ist eine Hypothese, seine Behauptung der Endlichkeit des Universums ist gleichfalls eine solche.