Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des Titelbildes. Des Weiteren an Ariane und Michael Sauter.
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Copyright © 2012 by Christof Uiberreiter Verlag
Waltrop • Germany
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7392-7478-2
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Da ich mal etwas Exotisches in der Zeitschrift herausbringen will, habe ich mir dazu das Buch von Seabrock ausgesucht, weil es interessante magische Praktiken bietet, die manch einem eher unbekannt sind. Ich will mich nicht lange mit dem Ursprung und der Bedeutung des Voodoo aufhalten, der vom Prinzip jeder anderen philosophischen Richtung ähnelt, sondern gleich die interessanten Geschichten, die der Autor des oben genannten Buches erlebt hat, schildern:
„Eines Nachmittags begann er ganz aus freien Stücken, mir von den rituellen Zeremonien des Wodu-Gottesdienstes zu erzählen, und ich wurde bald gewahr, dass er aus eigener Anschauung Dinge erzählte, die dem großen Publikum völlig unbekannt waren, Dinge, die nicht nur mit den mehr oder weniger belletristischen Schilderungen des Wodu-Rituals, sondern auch mit den Berichten der wenigen Personen in Widerspruch standen, die nach ihrer Darstellung mit dem Wodu-Kult in direkten Kontakt gekommen sind. Er erzählte mir in seiner bilderreichen Kreolensprache von Prozessionen weißgekleideter Priesterinnen, von Frauen- und Männerchören im Wechselgesang, von einem heiligen schwarzen Stier, der mit reichbestickten Tüchern und glitzerndem Schmuck bedeckt und mit brennenden Kerzen an seinen Hörnern zum Opferaltar geführt wurde:
Die Tür des „houmforts“, des Zauberhauses, tat sich auf, und die Prozession der Zelebranten trat singend heraus. An der Spitze schritt der Papaloi, ein alter Mann in einer groben, blauen Arbeitshose und barfuß, aber mit einer Art Stola über den Schultern und einem roten Turban auf dem Kopf. In der einen Hand schwang er den ,,acon“, eine Kürbisrassel, um die sich eine Schnur mit aufgereihten Schlangenknochen wand. Zu seiner Linken und Rechten schritten zwei weißgekleidete Frauen, die über seinem Kopf gekreuzt zwei Fahnen hielten, auf denen mit metallisch glänzenden Glasperlen schlangenartige und kabbalistische Symbole aufgenäht waren. Hinter dem Papaloi marschierte ein junger Mann, der die Arme über den Kopf emporgestreckt hielt und auf den horizontalen Handflächen ein Schwert trug. Dann kam die Mamaloi, eine Frau in einem scharlachroten Gewand und einem aus bunten Federn bestehenden Kopfschmuck. Sie drehte sich im Vorwärtsschreiten langsam um sich selbst, als führe sie eine Art Derwischtanz auf. Den Beschluss der Prozession bildete der Chor von etwa zwanzig jungen Frauen, die alle weiß gekleidet waren und ein weißes Tuch turbanartig um den Kopf gewickelt trugen. Während sie paarweise einher-schritten, sangen sie: „Damballa Oueddo, Nous p´vini.“ Das heißt soviel wie: „O Damballa Oueddo, wir kommen.“ Damballa, der alte afrikanische Schlangengott, bildet noch immer den Mittelpunkt des ganzen Wodu-Kultes. Die Zeremonien sind jedoch zum großen Teil dem römisch-katholischen Rituell entlehnt. Das gilt zum Beispiel von der Prozession und der priesterlichen Stola. Die nach den westindischen Kolonien verschleppten Sklaven haben ja die christlichen Lehren, die ihnen aufgezwungen wurden, bereitwilligst angenommen und die christliche Dreieinigkeit nebst vielen Heiligen in kindlicher Einfalt ihrer heidnischen Theologie einverleibt. In keinem haitianischen „houmfort“ fehlt das Kruzifix, und es wäre grundverkehrt, darin, wie es manche Leute getan haben, einen bewussten und teuflischen Akt der Gotteslästerung zu sehen.
Der Papaloi stand nun unter der „tunnelle“, das Gesicht uns zugewandt. Die weißgekleideten Frauen setzten sich zu seiner Rechten im Halbkreis auf den Boden, während zu seiner Linken eine ungefähr gleiche Zahl von Männern Platz nahm. Die Mamaloi drehte sich noch immer tanzend vor den drei Trommeln, wirbelte immer schneller um ihre eigene Achse und stürzte schließlich zu Boden. Im gleichen Augenblick verstummten die Trommeln.
Unter ehrfurchtsvollem Schweigen sprach nun der Papaloi mit feierlicher Stimme die Worte: „Die Sonne steigt im Osten auf und geht in Guinea zur Ruhe.“
Damit wird auf ein Naturwunder hingedeutet, das den haitianischen Schwarzen sehr rätselhaft vorkommt. Sie können sich keine Vorstellung von der Erde als einer sich drehenden Kugel machen. Sie wissen, dass Guinea, ihre einzige Bezeichnung für Afrika, gen Osten liegt und dass die Sonne am entgegengesetzten Ende des Horizonts untergeht. Aber da sie an jedem Morgen wieder in Guinea aufsteigt, so muss sie also während der Nacht auf irgendeine geheimnisvolle Weise dorthin zurückgekehrt sein. Auf dem Weg, den die Sonne nachts zurücklegt, werden, so glauben sie, ihre Seelen, wenn sie in der Trance oder bei eintretender Bewusstlosigkeit den lebenden Körper verlassen, von den „lois“ nach anderen Welten getragen. Von einem Menschen, der sich im Zustand ekstatischer Verzückung befindet, sagen die Wodu-Gläubigen „Er ist in Guinea“. Wobei zu bemerken ist, dass die „lois“ oder, nach der deutschen Schreibweise, die Loas eine offenbar sehr schwer zu definierende Emanation der anderen Gottheiten darstellen. Sie sind so ursprünglich wie der Heilige Geist der christlichen Religionen.
Nachdem der Papaloi die Zeremonie eröffnet hatte, begannen alle Anwesenden zu singen: „Wo steigt die Sonne auf? Sie steigt im Osten auf. Wo geht die Sonne unter? Sie geht in Guinea unter.“
Nun wurde aus dem „houmfort“ in feierlicher Prozession ein kleiner schwarzer Stier herausgeführt, der für den Opfertod geschmückt war. Es durchzuckte mich ordentlich, als ich sah, das er brennende Kerzen auf den Hörnern trug und mit bunten Girlanden und Gewändern behangen war, genau so, wie es mir Louis geschildert hatte.
Der Stier stand, von dem Lichterglanz geblendet, auf einer kleinen Plattform, die inzwischen herbeigeholt und inmitten der „tunnelle“ aufgestellt worden war. Wir knieten alle vor ihm nieder, während die weißgekleideten Frauen ein choralähnliches Klagelied anstimmten, dessen Text aus den endlos wiederholten Worten „mander ou pardon“ bestand. Das bedeutete soviel wie: Vergib uns unsere Sünden.
Der Stier war zum Gott oder zum Symbol eines Gottes geworden. Der wehleidige Gesang, das dumpfe Dröhnen der Trommeln, die bebende Erwartung der Wunder, die sich ereignen sollten, die völlig unwirklich anmutende Szenerie, die vom Mondlicht übergossenen gewaltigen Bergabhänge, die bis zu den Sternen reichten, die geisterhaften Schluchten, die in schwarze Dunkelheit versanken, die rötlichflackernden Fackeln um uns herum – alles das steht mir noch traumhaft lebendig vor Augen. Aber selbst, wenn dieses Bild im Laufe der Zeit verblassen sollte, so hat sich doch die Erinnerung an eine im Grunde nicht einmal so bedeutungsvolle Begleiterscheinung so tief in mein Gedächtnis eingegraben, dass sie mir, wie ich glaube, ewig gegenwärtig sein wird. Es war das Meckern der weißen Ziegenböcke, die irgendwo im Schatten angebunden waren, ein schrilles, angstvolles Meckern, das zuweilen das Klagegeheul der Weiber übertönte und in mir ein Gefühl eisigen Grausens auslöste. Dieses Gefühl stand in keinem Zusammenhang mit dem Bewusstsein, dass ich als einziger Weißer unter diesen Schwarzen kniete, von denen sich erwarten ließ, dass sie binnen kurzem von einem Blutrausch befallen werden würden. Ich wusste, dass ich mich unter Freunden befand, und fühlte mich vollkommen sicher. Das Entsetzen, das ich empfand, war wohl eher ein Echo der Todesangst, die sich in den tierischen Lauten ausdrückte. Als die Opfertiere, Ziegenböcke, Lämmer und Schafe, in die „tunnelle“ geschleift wurden, verstummte der Frauenchor, und nun tönte es aus allen Kehlen: „Damballa Oueddo, Ou couleuvre moins!“