Atua, der immer lebende Gott der ozeanischen Gestade, überschwebte am Urgrund der Zeit die schwarze Welle Moa, die als Weib unter ihm, dem Manne, ohne Grenzen zwischen den Enden der Himmel wogte.
In sich trug Atua den weich ineinanderwehenden Wechsel der Jahreszeiten, in seinen gefalteten Händen hielt er Schloss und Riegel der Ewigkeit.
An seinen Wangen, den lächelnden, rauschte das Ziehen der frischen Winde. Die Zeit brach sich an ihm. Jetzt schlug er die Augen auf, von keinem geweckt. Er horchte auf.
In seinen Ohren erbrauste das tausendfach dröhnende Labyrinth, und schon wurde die Welt erfüllt vom Klang, Rauschen und Brausen, Singen, Hauchen, Flüstern, dem sanft hingebogenen Laut des Blumenstengels, der sich im Morgenwind wiegt, bis zum erzklirrenden Posaunenschrei, dem Donnergetöse der Sonnen, wenn sie zerschellen in rasend gegeneinander tanzendem Wirbel, und dem Schweigen nachher, Tröpfeln der Sternstrahlen licht über die wartende Wiese im Nebelgrau. Jeglicher Schall wurde ausgegossen aus der horchenden Muschel seiner Ohren, wie ein ewiger Fluss, strömend ins Meer.
Er blickte um sich. In den sanft gewölbten Schalen seiner großen Augen begannen die Lichter zu kreisen und sich in einem einzigen Glänze dem weitesten Kreis und dem höchsten Ring der Himmel anzuschmiegen.
Eine einzige Sonne flammte von der Schwelle bis ans Ende des mächtigen Gewölbes.
Licht über Licht, das tanzende üppige Kind, mit Feuer genährt, in Feuer gekleidet, Feuerglanz, ruhig wallenden, hauchte es aus bis in die fernsten Winkel des Alls.
Die Sterne dieser Stunde waren kleine Mücken, die Sonne dieses ersten Tags eine kleine, silberfarben matte Muschel, verloren in der brechenden Fülle des jauchzenden, rauschend berauschten Tags, da alle Sphären in einem brannten, durch keine Grenze geschieden.
Am Abend, als der flammenblitzende Gott seine rot schimmernden Lider senkte, entstand die Dämmerung, perlengrau und rosenfarben, gedeckt unter dem Dach, gut ruhend im Wind, der nachtwärts allmählich verstummte.
Wenn Atua zurück sich träumte in seinen Schlaf, wenn er sich widerspiegelte in seiner schwarz schlafenden Schwester Moa, wenn er sich tief beruhigte in ihrem Ruhen, wenn sein offen lächelnder Mund hineinschwieg in ihr gesammeltes Schweigen, da atmete er den ersten Atemzug aus, da verstummte die Labyrinthmuschel seines Ohres, da verdunkelte sich des üppigen Knaben glückseliger Glanz: da schlief Atua, da wurde es Nacht. Da lag in Schwärze vereinigt, in Schwärze gesättigt, Moa unter ihm, ein ebener Spiegel, matt geschliffen, unergründlich, unberührbar, fern zum Ahnen, unberührt.
Da flüsterte über Atuas Schlummer ein heiliges Geheimnis. Es sprach in seinen Schlaf die stumme Schwester ein fliehendes Wort. Moas Traumgestalt rührte an Atuas lebendes Herz. Er ahnte über den Stufen der herabrinnenden Zeit eine höhere Vereinigung.
Atua, der von Urbeginn Vereinte, sehnte sich danach, seinen lebenden Odem auszuhauchen, er, der Feststehende, tief innen Gegründete, wollte die Welt, Moa, jegliches Nicht-Ich, die Himmel in ihrer Glut, die Bäume in ihrer Fülle, die Tiere in ihrem Wandern und Jagen, die Menschen in ihrer Tausendfalt, die Lüfte in ihrer raumlos schwebend flatternden, glimmernden Wallung, alles wollte er im Wirbelfluge kreisen sehen um sein starkes, eigenes, grenzenloses Herz.
So erwachte Atua zum zweiten Male in der Mitte der Tage. Er sammelte sich in Freude im Strahlenpunkt der erztönenden Horizonte. Er schuf das Nicht-Ich aus seinem eigenen Blute, er schöpfte mit guten, großen, weichen, tausendfingrigen Händen die unendliche Welt aus der Unendlichkeit des ewig göttlichen Herzens.
Er beugte sich herab an sich, und die langen Wimpern seiner Jünglingsaugen streiften in holder Weichheit, zum letzten Mal allein mit sich selbst, die elfenbeinfarbene Haut, die ungerunzelt, in kindlicher Glätte sich um die Herrlichkeit seines Körpers spannte. Mit seinen weißen Zähnen liebkoste er seine Handgelenke, zum letzten Mal gut zu sich selbst, dann biss er, das einzig lebende, das einzig mutige Wesen, mit den Zähnen, den ersten Waffen, den ersten Messern, den ersten Schmerzen, die schweren Adern seines vollen Götterarmes auf.
Atua ließ sein goldfarbenes Blut ausströmen aus seinen Adern. Als es niederglitt auf die schwarze Welle Moa unter ihm, wurde es rot, düster und schwer. In düsterem Rot flammte unter seinen Füßen sein Spiegelbild und lebte gleich ihm. Atua ließ sein einsam blühendes Blut ausströmen aus seinen bis ins letzte gefüllten Adern. Es wallte nieder im Schleierfall der sinkenden Zeit, es wärmte lind das ruhende Spiegelbild. Lebendig wurde, Atua gleich, die außer ihm weilende Welt. Moa stieg aus dem Traum. Die Ersterschaffene hob die Brust und atmete empor aus dem sehnsüchtig gewölbten Busen, sie, die Schlafende, ihm entgegen, dem Immerwährenden. Dem Vater zu Füßen lag sie. Zu ihm, dem Lebenden, sah sie empor aus langsam eröffnetem, matt bereiften, blauen Augen, ohne Grund in der Tiefe. Zu ihr, der im Traum Lächelnden, sah er herab.
An diesem Tage, in der Mitte der Zeiten, die wie ein Berg steil getürmt waren, erblickte Atua sich selbst. Sein offen lächelnder Mund lag vor ihm, flach auf der hingebreiteten, hellblauen Fläche der Frühe, seine weißen Zähne, die am Grunde noch vom Blute seiner Adern rotgolden gefärbt waren, schimmerten auf der nebelhauchenden Ebene, die sich hob und senkte, und zum ersten Mal schlug das Gottgeschaffene den gleichen Zauberschlag mit dem schaffenden, seligen Gott.
An diesem Tage, der am Ende der endlos verträumten zu tönen begann mit dem hellen Trompetenklang der windgestürmten Muschelhörner, hörte der einsame Schöpfer zuerst sich selbst.
Atua sprach, das wissende Kind, der göttliche Knabe:
Ich war der Streuende, Strahlende, Strömende.
Moa sprach, die ruhende, träumende Göttin, vom Geheimnis umkleidet, nackt und verhüllt:
Ich war.
Atua sprach:
Gewaltlos, denn ich rührte mich nicht, und die ganze Welt wehte wie der Schleierhang deiner Haare um mein tief vergessenes Gesicht.
Gestaltlos, denn ich sah mich nicht und niemand sah mich, da ich alles war und jeder.
Sprachlos, da mich niemand rief. Ich bin nicht mehr allein.
Moa sprach: Du warst.
Atua sprach: Ich war der Ungeborene, der Frühe, der Freie, der in Frieden und Freuden weit atmete. Meine Hände ruhten aneinander, gefaltet, ohne Bewegung.
Mein Kinn lag auf meiner Brust, ich selbst berührte mich ohne Schmerz, sanft und schwer und ohne Erzittern. Meine Lippen küssten einander. Mein Herz war gestillt, mein Wille kehrte zurück, wie der Rauch des ruhenden Feuers über die Flamme sich breitend.
Moa schwieg.
Mir, dem immer Leuchtenden, kommt aus deinem mattglänzenden Antlitz, rot mit gold vermählt, Licht entgegen. Mein Licht geht wie ein freudiger Jüngling vom Aufgang der Welt zum Untergang. Dein Licht, Moa, Geliebte, Stille, Schweigende, nackt Verhüllte, Mädchen du, geht wie ein trauriges Mädchen weiter vom Untergang der Welt in ein anderes, das ich nicht weiß. Mein war einst alles. Gegürtet war ich mit Herrlichkeit. Mit aller Kraft gesegnet und ohne Wunsch. Ich sehe nun dich. Meine Ferse rührt an das schwarzblaue Dickicht deiner traumesfeuchten Locken. In deine kleinen Hände, zwischen deine dunkel schweigenden Lippen gebe ich mich und die gesammelte Zeit. Ich blicke auf dich. Du blickst nicht auf mich. In Tropfen fließt die gesammelte Zeit aus meinen Händen. Du fängst sie nicht auf.
Noch tagt mein Tag. Ich, Atua, rage. Du, die schwesterliche, nahe, vertraute Gestalt, ruhst.
Ich schweige.
Der Himmel ragte in Glut und Feuerflammen. Im blau blitzenden Orkan. Im ehern donnernden Getöse. Die Heimat des freudigen Gottes, das Dach und die Hütte des tanzenden Jünglings, ein schmetterndes Gewölbe der Freude. Über Moa, die Schwester mit dem hold gewölbten Busen, schritt Atua, der herrliche Herr, den Abglanz seines goldenen Lächelns um die knabenhaften Wangen, die Spur seines verschenkten Blutes um die hohen, milchweißen, purpurn gesäumten Zähne. Er lebte in Freude. Die freudenvolle Wollust des Seins durchströmte ihn ganz.
Moa lebte. Ihre Glieder hielt sie um sich geschlungen, die schweren, üppigen Hüften schmiegten sich in die tiefsten Abgründe der Himmel, ihre hohen Brüste reichten in den höchsten Zenit der flammenstrahlenden Sterngewölbe. In grenzenlos vollendeter Rundung füllte sie Himmel und Erde, Land, Meer und Äther. Ein Ring, ruhend in Frieden und Schweigen, füllte die letzte Leere und atmete auf und nieder mit dem Wandel der Sonnen, der einträchtig versöhnten, gemeinsam Licht ausschüttenden. Moas letzte Grenzen fanden sich wieder im geschlossenen, für ewige Zeiten verlöteten Ring, innen vom Götterblute durchwärmt. Ihre kleinen Zehen, mit runden Nägeln wie Perlen ohne Spitzen silbern gerundet, tasteten bis an Moas niedere, schweigende, traumesfeuchte Stirn. Die hohle Innenseite ihrer kleinen, warmen Füße streifte die in schweren Pulsen schlagenden Adern ihres schmalen Mädchenhalses.
Moas Füße bargen sich in ihrem langen, feuchten, blauschwarzen Haupthaar. Der Abglanz des fernhin schreitenden, freudigen Gottes Atua spielte wie ein Hauch an ihrer unendlichen Erscheinung. Die Füße ruhten gut und ohne Ermüden in dem weichen Haupthaar. Sie badeten im dichten Gelock.
So schlief Moa dunkel und schweigend in der Tiefe der Weltsee.
Wie ein Segel gespannt steht im Winde zur Nacht über dem Fischer im Boot, dem schlafenden, so ragte Atuas Haupt ruhig gespannt mitten in die unendlichen Sphären des Himmels.
Die sanft gebogenen Haare seines hohen Hauptes streiften mit ihren dunklen, warmen, durchdufteten Schattenzweigen die holden Abhänge des Westens, die warmen Gefilde am Rande der Welt, die sich unter der wehenden Wolke seines Atems beugten.
Die Nägel von Atuas Zehen, noch rot von dem ewigkeitsher vergossenen Götterblut, noch feucht von Moas schmeichelnder, fliehender, stummer Welle, rührten an die vom Bittermeer getränkten Gestade des kalten Ostens. In Sand und Salz und Klippentrümmern standen sie ohne Schmerz.
In der Mitte lächelte Atuas Lächeln, wehte sein froher Hauch, ewig im Erwachen, gefüllt mit guter Kraft, wie eine Kokosnuss in jungfräulicher Schale. Vor ihm wartete die Zeit, ein See in Ruhe und Stille, im Schleierfall sich zu stürzen gestaut und gestundet: weit über den Abhang seliger Tage.
Über Atua und unter ihm lebte Moa, die Schwester, im Schweigen verborgen. Gestern und Morgen, Hier und Dort, Vergessen, Erinnern, Wissen und Freude, Atua von einst und Atua von jetzt rangen um Moa, die erste Geliebte.
Ihre Glieder hielt die junge Göttin schwer um sich geschlungen, in grenzenlos vollendeter Rundung, weiß in ihrer Nacktheit, atmend auf und nieder im Schlaf, füllte sie Himmel und Erde. Ihre kleinen Füße zitterten im Drehen und Wehen der wogenden Erde, aus dem Urgrund des unberührten Seins quoll ihre weiße, niedere Stirn, vom schwarzen weichen Gelock bis an die geschlossenen Augen gebadet.
In ihrer tiefsten Tiefe, eng in der engsten Berührung, Moa, geschmeichelt an Moa: im Traume faltete sie die Hände auseinander, sie löste die Verstrickung der mädchenhaften Glieder.
Purpurn strotzende Blüte, hineingeschmiegt in die Blätterscheide, die schwarze Hülle, die wartende Knospe, allmählich breitet sie im Glanz sich in die eröffnete Zeit.
Moa, Blut von Atuas Blut, Teppich hingebreitet zu seinen Füßen, die sich spannten vom Ost und Westen; Morgengestade bis zum sinkenden Abendgebirge; schwebender, schließender, umarmender Kreis, eng in der Stille.
So tief sich Atua hinabschmiegte zur purpurgolden strotzenden Blüte, so weit Atua tauchte in die schwarze Höhle der ewig weichenden Welle, wie flüchtig der immer Seiende der Ersterschaffenen nachjagte, er erreichte Moa nie.
So heiß sein Blut sich erhitzte, wie demütig der Stolze sich beugte, nicht mehr zu sich beugte sich der glückliche Knabe, das wissende Kind, nicht seine eigene elfenbeinerne warme Haut streiften die langen Wimpern seiner Jünglingsaugen in holdester Weichheit, an der fremden Welt, am geteilten Paradies brach sich der Fächerglanz seiner Göttlichkeit. Noch erfüllte er grenzenlos den demütigen Raum, noch schwelgte sein rundes großes Götterauge im fast ungeminderten Strahlenglanz der silbern flammenden Firmamente, noch donnerte in rasender, jubelnder, jagender Wallung der tosende Wetterorkan: So stand Atua, tiefst zu innen der Welt eingegründet, Freude zu versprühen, Wollustblitze gebündelt wie knisternde Ähren in seinem ohne Widerstand anstürmenden Herzen. Er stand still, warm und brüderlich, sanft, des scheuen Geliebten erste Berührung, so brach sein Zauberlächeln über die Verborgene, aber es stieg nicht zurück, nie auf zu ihm.
Nie mehr vereinten sich Kind und Vater, Schöpfer und Schöpfung, weichende Welle und geformte gotterfüllte Gestalt, Gestern und Morgen. Nie gingen die Göttergeschwister den seligen Weg ins Zurück.
Flucht und Vorbei. Jagd und Schweifen dahin. Ruf und Verklingen im Schweigen. Ferneher blickte sie, ihm zu Füßen gebreitet, aus langsam eröffnetem, matt bereiftem blauen Auge; der Widerschein seines seligen Einst spiegelte sich ferne auf der hingebreiteten, azurenen Fläche der Frühe, die sich hob und senkte, ein Spiegel, von seinem und ihrem Atem getrübt.
Nach Vereinigung schrie der Gott, nicht mehr allein, alleinzig nicht mehr.
Die einträchtig brennenden Himmel schlug der Herr mit Nacht, um in der Tiefe Moas zu tauchen. Der ruhevoll brausende Orkan des freudevollen Jubels strafte Atua mit Schweigen. Der Mann zerbrach den unberührten matten Spiegel des schwarzblauen Meeres und in der heimlichsten Tiefe der Flut sank er, der liebende Gott, über die schauernde, zürnende Göttin.
Aus der Leere, dem einsamen Abgrund blickte er empor, zum letzten Mal Gott wie einst. Er sah über sich die Paradiese verdunkelt, die Himmelssphären fühlte er verarmt. Er horchte auf: in dem Tönen seines ruhelosen Herzens brauste von weitem das tausendfach dröhnende Labyrinth. Ferne verklang oben das Rauschen und Brausen, Singen, Hauchen und Flüstern, es ging dahin, nur zu ahnen in längst vergangener Herrlichkeit tönte der sanft hingebogene Laut des Blumenstengels, der im Nebel sich wiegt, fast stumm. Fernhin verklirrte der Posaunenschrei, das Donnergetöse der Sonnen, wie sie zerschellten in herrlich hingewehtem Wurf.
Aber Moa lag vor ihm, die erste, die liebste Tochter, das wärmste Blut, das erstvergossene, aus seinem Herzen.
Die einzige Sonne flammte nicht mehr bis ans Ende des mächtigen Gewölbes. Ermüdet beugte gegen Abend sich das Licht, Atuas Spiegelglanz, das tanzende üppige Kind. Der gemeinsam brennende Brand erlosch, es schieden sich Sonne, Mond und Sterne. Die schön geschlossene Muschel zerbrach, es zerriss der ohne Naht gewebte Mantel. In die Winkel der leeren, großen, nie mehr zu füllenden, nie mehr zu schließenden Welt, in die Grenzen, die sich nie mehr versöhnten, flohen scheu die Gestirne, wehend in ihren flammenden Gewändern, wie Edelsteine flimmernd ausgeschüttet auf staubiger Tenne, wie Vögel, verscheucht, weither sich umkreisend mit wehmütigem Ruf.
Aber vor ihm lag Moa, ihre Glieder hielt sie um sich geschlungen, die schweren üppigen Hüften wuchsen weiter in die neuen Grenzen des Alls, ihre hohen Brüste streichelten die Sterne, wie Blumenstengel am Morgen sanft sich beugen über die schlafende Erdmutter, wie Vögel im Abendflug sich streifen mit dem weichsten Hauch des Gefieders. In grenzenlos vollendeter Rundung füllte Moas Ring Himmel und Erde, Land und Äther, Ruhe und Bewegung. Noch war die Welt nicht verdunkelt, da Moa lebte. Noch war die Sphäre nicht verarmt, da Moa vor dem Gotte lag, sie, das Kommende aller Werdenden, Urmutter und Tod.
Der ruhende Schatten wehrte sich gegen das blitzfunkelnde Licht, das Feuchte kämpfte gegen das Flammende, das Weite entrann der gesammelten Kraft, die schwere Frau floh vor dem tanzenden, seligen Jüngling. Das Morgen entwich vor dem Einst und ließ keine Spur.
Aber noch lebte Atua, der immerwährende Gott, der ewige Vater. Sie lebte, die Geliebte. Keine Grenze war zwischen ihm und ihr. Von der gleichen Zeit waren beide beschüttet, zwei spielende Kinder, beide unter der strömenden Quelle, die Häupter nebeneinander gestreichelt, die Finger ineinander getastet. Noch ruhten ihre Füße gut und ohne Ermüden in ihrem weichen Haupthaar. Sie badeten im tiefen Gelock. Noch spiegelte sich der Abglanz des freudigen Gottes wie ein Hauch an ihrer unendlichen Erscheinung. Noch schloss sich der Ring, ohne Fuge gelötet. Noch schlief Moa dunkel und schweigend in der Tiefe der Weltsee, bis er sie weckte, er, den niemand geweckt hatte vom Urbeginn der Zeiten an.
Es löste sich ihr ein Glied vom anderen aus der zarten Vermählung. Ihre kleinen Füße entrannen dem dichten Gelock und flohen auf dem bitteren Boden des Meeres. Ihr Daumen, im Traume nach innen geschlagen, streckte sich aus und wehrte sich gegen den stürmenden Gott. Schweigend floh die Ersterschaffene durch Himmel und Sphären und entrann ihm nicht. Den Todesstrand, die grau versunkene Küste berührte ihr flüchtiger Fuß und fasste ihn nicht, da Atuas allgütige Hand sie an sich riss. Er raste, jagte im prasselnden Blitz, im dröhnenden Donnern. Sie stand still, zitterte, schwieg. Sie wehrte dem letzten Geheimnis, sie zerbrach die Vereinigung, sie schlug seine elfenbeinerne Brust. Aber sie zerschlug die eherne nicht. Sie schlug seine runden großen Götteraugen, allen Lichtes tanzende Quelle, und traf sie nicht. Sie schlug sein Ohr, den Anfang des Tönens, die Schwelle des Schweigens, die Sternstille grau, den Posaunenschrei der stürmenden Sonne, aber sie verwundete ihn nicht. Halb schon hingesunken, die Lippen schon verklärt von seinem goldenen Hauch, das schwere Herz schon erwärmt von seinem göttlichen, unzerstörbaren Willen, so beugte sie sich zu ihm, der unendlichen Vereinigung entgegen. Aber mit einem Flügelschlage ihrer Wimpern, die über ihrem schwarzblauen Mädchenauge wild wogten, schlug die Zürnende Atuas Wunde, an seinem Handgelenk das blutige Mal, in seinen vollen Götterarmen riss sie die niemals heilende Narbe. Mit ihren Wimpern schlug sie dagegen und zerschmetterte sein männlich jauchzendes Herz. Sie zerbrach das Siegel von Zeit und Ewigkeit in seinen Händen. Aber noch lebte der unsterbliche Herr.
Die grenzenlose Welt wurde zu eng für die kämpfenden Götter. In der kühlsten, eisigen Höhle des Urmeers, in dem tiefsten Schlund, dem finstersten Eingeweide, in der von Atuas Götterfuß gestampften Schlucht bezwang der verwundete Fürst die Göttin. In Zorn und in wollüstigem Beben starrte vor ihm ihr Haupt, ihm entgegen glosten ihre Augen, halb gebrochen, der Mund, in Wut und in Süße verkrampft, die blauschwarz umwallte, niedere Mädchenstirn, feucht vom Schweiß der Umarmung. Endlose Zeiten atmete ihn ihr heißer Mund an, es leuchtete im Finstern ihr rot glitzernder Schlund, zu einer dicken Schlange wand sich ihr Hals, von Adern umstrickt. Ihre Augensterne, zu weitem Kreis gerundet, funkelten Liebe und Hass. Ihre Hüften, auf immer voneinander gerissen, umklammerten ihn, ihn zu beglücken, ihn zu erdrücken. Wie Pranken spannten sich um ihn ihre bezwungenen Arme. In tausend und abertausend erkämpften Umarmungen vereinten sie sich nicht. In tausend und abertausend durchlittenen Umarmungen tobten die Berge, zitterten die Sterne, erschreckte Vögel, bebend in der Nebelhülle ihrer flaumigen Umfassung, es schrien die stummen Steine, zerrissen die ältesten Säulen der festgegründeten Sphären.
Stumm blieb Moa, unversöhnt.
Auf immer verfinsterte sich die Flammengewalt der alles umarmenden Sonnen, die einst die Horizonte bis an die letzten Grenzen erfüllt hatten mit brausendem Flammengetön; denn in der Stille, in matter Entlichtung, entstieg der gefallene Götterkönig der Tiefe. Es ruhte wehmütig im Nebel der gebrochene Kreis: Atua war nicht mehr. Verwundet, müde, verarmt, so hob er sich über die Welle, von seinen Handgelenken flössen Blut und die letzten Tropfen der weichenden Welle.
Verfinstert die Himmel. Zerrissen der festgewebte Mantel der Zeit. Vergossen das Blut, verloren der Samen. Vereist der Flammende, entgöttert der Gott.
Er blickte an sich herab und erkannte sich nicht. Er hörte seine Brust rauschen, sah sein Auge leuchten in die matte Dämmerung der verblühenden Nacht und erkannte sich nicht.
Mit Herrlichkeit war er einst umgürtet, in seinen tausendfingrigen Händen hatte er sanft umschlossen gehalten Siegel und Bund der Ewigkeit. Denn einst war er alle Seele allein. Leicht, wie im Frühlingswind am Abend die zarten Flaumfedern flattern, die der Sperling im Dornengebüsche verlor, so flatterten einst um ihn Farben und Töne, Licht und Blitze, Worte, und alles war nur ein Hauch, ein Traum, ohne Gewicht legte es sich ihm auf die Lippen, ohne Schwere tanzte es in dem Zuge seines Atems, da Atua allein noch lebte, er, der stille, allgewaltige Herr, in dem ruhelosen Wandel der Welten äonenlang der einzig bleibende Geist. Aber schon längst hatte er in dem ersten Tropfen Götterblutes, das seinen feinen Knöcheln entlang herabglitt aus den eröffneten Adern seiner Güte, das düster flammend die schlafende Welle belebte, das zuerst die Welt teilte zur Niewiederkehr, zur Niewiedervereinung, in dem ersten Tropfen seines Blutes hatte er seine Seele geteilt, nun suchte er sie und fand sich nicht mehr.
In Splittern fiel es von ihm, er lernte Frost und Kälte und Leere. Unverloren blieb der Welt die Fülle seiner Herrlichkeit. Aber in seinen Händen sammelte sie sich nicht mehr. Ungebändigt blieb die eherne Tausendkraft seines Alls, aber in seinen Gliedern fand sie sich nicht wieder zusammen. Sein Samen lebte, bestimmt, bis ans Ende aller Tage zu blühen. Aber er stand auf und wandelte fern von dem Liebenden, weit ausgehaucht aus der Brust des ewigen Vaters. Unzählbare Wesen hoben sich in weicher Schwellung, lautlos erst und schwach in ihrem ersten Zittern, aus seinem Samen.
Jedes Leben lebte von ihm, aus dem Kelch von Atuas Blut wurde das neue Leben getränkt, es schritt dahin, gestützt auf Atuas Kraft, es vergeudete in myriadenfacher Vielfalt Atuas gesammelten, gehaltenen Schatz. Atua wurde ärmer mit jedem Tag, reich aber spross aus seinen Lenden die neue Wesenswelt, tief im mütterlichen Schoß der schauernden Moa geboren, geborgen in dem Meerabgrund, den seine Götterferse gebrochen, überblaut von Moas schwarzblauen, weiten Mutteraugen, genährt im finstersten Eingeweide, geküsst von Moas Mund, der in Süße und Wut sich verkrampfte. Ihre breiten Hüften, für immer voneinander gerissen, umklammerten das neue Leben, jedes Kind, so zart und knabenhaft am ersten Tag, um es zu erdrücken, um es zu beglücken. So wurden die neuen Kinder der Schöpfung gezeugt in Liebe, geboren in Hass, und niemand erlebte die Versöhnung, niemand aß das Brot der Sättigung, keiner sah die Himmel vereint im einträchtig flammenden Kreis, niemand fühlte die Gestalt des hohen Himmels unverwundet, niemand heilte die Wunde, niemand tröstete sein zwischen Hier und Dort verlorenes Herz.
Seine ersten Söhne und Töchter waren die sanften, die holden. Schon als der Herrliche aufstieg aus dem schwarz zischenden Wirbel der Flut, als noch von seinen Handgelenken Blut floss und die letzten Tropfen der weichenden Welle von ihm abließen, da streiften ihn unter den Achseln die ersten Kinder seiner Umarmung. In dem dichten Gelock unter den Achseln verbargen sich Seevögel, vom Abglanz seines unverlierbar goldenen Lächelns fernher übersonnt. Mit ihren lang hinzitternden, blau und zinnoberfarbenen Fittichen deckten sie seine klaffende Wunde, um sie zu heilen. Sie hielten sich fest mit ihren sanft in die größte Weite ausgespannten Fängen an seinen fröstelnden Schultern, denn Atua war verarmt. Ihr suchend hin und her gewendeter warm umflaumter Hals rührte sehr zart, wie der Liebenden tränenfeuchte Wimpern, an die schweren Augenlider Atuas. Ihrer Schnäbel elfenbeinern geglättete Krümmung glitt in stummer Güte über Atuas verstummten Mund und lächelte an seiner Statt. Sie flogen hin und wieder zwischen dem am Lande wandernden Atua und der in der Tiefe der Weltsee brütenden Moa.
Noch lebte Atua, noch entströmte ihm ohne Ende des Seins geballte Wollust. Seine ersten Geschöpfe waren die sanften, die schönen, die holden.
Aus der ersten Kraft des entkräfteten Herrn wuchsen die ersten Wälder an der Küste, in weißen Atemdunst gehüllt am Morgen. Silberfarbenes Wachs klebte an dem in tausend glatten Ringeln aufstrebenden Stamme. So glimmerten sie im letzten, hingetröpfelten Sternenglanz, im scheuen Schimmer des Morgensterns, in dem ahnenden Hauch der unberührten Frühe. Ihre großen, kühlen Blätter, keimend vom Grunde des Lebens, strotzend von seiner herrlichsten Kraft, waren fünffach gegliedert wie Moas Hände am längst verrauschten Tag, sie kühlten die Wunde an der Hand des Herrn.
Ihre großen, blauen, schwarz bereiften Blüten kochten in der zitternden Glut des wolkenlosen Mittags, purpurstrotzend ihr üppig aus dem Kelch tanzender Stempel, von süßester Feuchtigkeit geschwellt. Längst verträumter Traum.
Spät verdorrten sie. Schwarz versteinert wie Moas schwarzes Lächeln, grau entblättert im Abendtag wie Moas Lippen, aber leise wie Stücke feinen Erzes klirrten sie in himmlisch umsungener Nacht, schwarz im Grenzenlosen gebadet, sie hielten das Morgen und das gute Einst in ihrer neu gesammelten Zauberkraft. Der Gott lag unter dem wunderbaren Baum. Er spiegelte sich in ihm, und er ruhte in Frieden und Trost die erste Nacht.
In tausend westwärts funkelnde Ähren zerriss die goldene Garbe. In tausend zackigen Sternen zuckte durch weich gefiederte Zweige der einst in Eintracht verbrüderte Himmel. Aber in der Höhe des Laubes, in der gerundeten Fülle der Krone, im schweren Dickicht der nachtfeuchten Blätter ruhte, wie ein einziger Leib, ein Hauch aneinander geschmiegt das schlafselige Paar der Seevögel und ihre Schatten, weitab den tropischen Gestirnen, schwankend mit dem wehenden Baum im abendruhenden Wind, rührten so zart an Atuas verwundetes Herz.
Noch strömte aus den Adern, von Moas zürnenden Wimpern verwundet, sein Blut in tönern tropfendem Zuge. Aber am Morgen labten sich die Geschwistervögel daran, einträchtig netzten sie die safrangelben Schnäbel an der gesammelten Feuchte, sie hoben die schmalen, hoch geplusterten Köpfchen, und durch ihre Kehlen, blau und zinnoberfarben gesprenkelt, rann gurrend das Wasser, süß, labend in der erwachenden Glut des feuertrunkenen Küstentages, über den ebenen Spiegel der blau verdunkelten Ebene neigten sie ihre Häupter, die Augenlider, rosa und perlengrau, kühlten sie lange.
Schützend hielt der Gottfürst seine verwundete Hand über die Quelle und sie versiegte nicht. Auf immer hatte er süßes Wasser geschaffen zu Füßen des Nachtbaumes, unermüdet sprang es aus dem Urgrund des guten Traums, es labte die dürre Erde, der Friede und Trost der ersten Nacht. Bitterkeit kannte Atuas Herz noch nicht.
Wälder am Riff, Mangroven am Atoll, grün am kristallisch eisigen Meer, leise durchsaust vom schwellenden Monsun, wiegten sich vor seinen Schritten. Überrascht lehnte der Gott sein mildglänzendes Antlitz in den ziehenden Hauch. Sein Atem war es nicht. Aber er war lind. Seiner Brust entströmte er nicht. Aber er trug auf seinen ruhevollen Flügeln die Kühlung vom fernen Meere in den sonnenstarrenden Tag.
Mittags schrien bunt und gaukelten in kreischendem Schnörkelschwung Millionen von Tieren. Atuas Züge trugen sie nicht. Aber sie schmiegten sich aneinander, paarweise gesellt, sie suchten Ihresgleichen und glitten weich mit ihren flatternden Schwingen eines vor dem andern her. Durch goldene Gitter von Sonnenglanz umfriedet waren alle.
Rotang, gekrümmt, an der schillernden Scheide von Wasser und Land, weich geschwungener, tiefbrauner Bogen, in weich geschwungener Welle schwarzblau gespiegelt, in weiten Flächen wie eine eröffnete Hand, eben entfaltete er sich in der anspringenden, weißstürmenden Flut. Mitten in der Bitternis des Urmeers wuchs die süß duftende, strotzende, purpurn gekräuselte Blüte, hineingeschmiegt in die Blätterscheide, allmählich breitete sie sich über alle Grenzen in gesättigter Fülle.
Von den großen Bäumen fielen die Samen, schon mit Wurzeln gefasert, schon mit Knospen gegliedert, lebendigen Nachwuchs gebar der hohe männliche Baum, steil in geringeltem, glattem Stamme, ragend über die andern. Zu seinen Füßen wuchs seinesgleichen, sein lebender Samen. An dem hohen Stamm streichelten in tiefer Nacht die aufgebrochenen Knospen des schüchternen Kindes.
Am süßen Wasser saugte alles, an dem warmen Himmelswind atmete alles empor. Blumen, Bäume und Tiere, ein wallender Teppich, hingebreitet zu Atuas Füßen, die wanderten vom Osten nach Westen, vom Morgengestade bis zum sinkenden Abendgebirge, schwebender, schweigender, schließender, umarmender Kreis, eng in der grenzenlosen Welt.
Noch glücklich am Gestade des Friedens, noch selig an der Smaragdküste, am ruhenden Rande des flutwärts steigenden Meeres schritt der goldene Gottesfürst.
Nelkenbaum blühte und Muskatbaum duftete.
Auf Atuas Lippen das Lächeln uralter Zeiten.
Der Kampferbaum brannte stärkstes Aroma in die azuren webende Stille.
Wie Zirpen der Gitarre, wie das gedämpfte Schnarren der siebenfach tönenden Nasenflöte klang das gezackte Geschrei der in ihrer Seligkeit atemlosen Insekten.
Atua, der selige Gottfürst, schmiegte sich tief zur purpurgolden strotzenden Blüte, er tauchte seinen heiligen, geglätteten Fuß in die schwarzblaue, weichende Welle, er nahm die Insekten, die flügelleichten, auf seine Hand und fühlte ihr Vibrieren in der flimmernden Hitze des Mittags. Weit über ihm, ein lebendes Diadem, blau und zinnoberfarben umleuchtet, kreiste am Zenit das verbrüderte Paar der Seevögel. Aber Moas gedachte der Gottherr nicht. Die zerbrochenen Himmel vermisste er nicht, die Fülle der Wesen bedrängte ihn nicht, den Frühen, den Freien.
Erinnerung war ihm nicht gegeben, nur nach außen strömte sein Licht und labte alle.