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© 2015 (Erstauflage), Claus Bernet.
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Berlin, 22. Oktober 2015
Edition Graugans, Berlin
Herstellung und Verlag: Bod - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7392-7994-7
GG Wissenschaft ist ein Imprint der Edition Graugans, Berlin
Die mittelalterliche Dichtung „Pélerinage de la vie humaine“ stammt von Guillaume de Digulleville (auch Déguileville, 1295-1358). Digulleville war Prior der Zisterzienserabtei von Chaalis und Verfasser einflussreicher religiös-allegorischer Dichtungen in mittelfranzösischer Sprache. In seiner Pélerinage beschreibt er, wie ihn nach der Lektüre des Rosenromans eine Vision ergriff, die ihn auf eine spirituelle Reise nach Jerusalem führte. In der Vision wird ihm das Neue Jerusalem in seiner ganzen Schönheit vorgeführt. Obwohl sie von Petrus streng bewacht ist, gelangen findige Mönche auf nicht ganz faire Weise in die Stadt, indem sie Leitern und Stricke benutzen oder sich einfach in Vögel verwandeln.
Die Schrift Pélerinage ist auch ein Ausdruck der Sehnsucht nach einem sicheren Ort, in dem man vor Gefahren, Krankheit, Tod und Hunger geschützt ist. Aus dem Text geht hervor, dass sich die Erscheinung des Himmlischen Jerusalem auf ein autobiographisches Erlebnis des Verfassers, also Guillaume de Digulleville, bezieht: Er habe aus einer Vision, die in einem Spiegel erschien (daher wird der Text auch „Spiegelvision“ genannt), lernen sollen, dass der Mensch auf Erden pilgern müsse, um einst das Himmlische Jerusalem zu erreichen. Das lasse sich nur und allein durch ein tugendreiches Leben erreichen. Es geht also um eine metaphorische, geistig-spirituelle Reise nach Jerusalem.
Digullevilles Werk wurde posthum dann vor allem im 15. Jahrhundert recht beliebt und vielfach neu aufgelegt. Unter anderem gibt es kostbare Exemplare mit spätgotischen Illustrationen ganz unterschiedlicher Art und Weise. Die großen Bibliotheken Europas, wie die Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg, die John Rylands University Library in Manchester, die Morgan Library & Museum, die British Library London, die Bodleian Library in Oxford, die Französische Nationalbibliothek, die Staatsbibliothek zu Berlin, die New York Public Library, die Koninklijke Bibliotheek Den Haag, die Heidelberger Universitätsbibliothek u.v.a. verwahren Miniaturen zu diesem Werk, die hier erstmals in ihrer Gesamtheit versammelt sind, verglichen werden können und wissenschaftlich-systematisch erläutert werden.
Da für das Verständnis der Abbildungen der Text der Pélerinage unerlässlich ist, wird hier eine moderne deutsche Übersetzung vorangestellt:
„Denjenigen aus diesem Reich, die hier keine Bleibe haben, die hier alle vielmehr, wie der heilige Paulus sagt, Pilger oder Pilgerin sind, seien sie reich oder arm, weise oder töricht, seien sie König oder Königin – all diesen möchte ich einen Traum erzählen, den ich dieser Tage im Schlaf erlebte, weil ich, als ich wach war, den wunderschönen Rosenroman gelesen, bedacht und wohl betrachtet hatte. Und ich glaube, dass dies der Grund war, der mich am meisten zu dem Traum brachte, den ich euch jetzt gleich erzählen möchte. (…) Alles habe ich ganz ohne Ausnahme auf Französisch geschrieben, damit es die des Lateinischen Unkundigen verstehen. Hier kann jeder lernen, welchen Weg man zu nehmen hat und welchen man verlassen und meiden soll. Das ist etwas, was denen sehr nützlich ist, die in dieser unwirtlichen Welt auf Pilgerreise sind. Nun hört den Traum, der mir im Orden in der Abtei Chaalis widerfuhr, als ich in meinem Bett lag.
Während ich schlief, schien mir, ich sei ein Pilger, der aufgefordert wurde, in die Stadt Jerusalem zu gehen, die mir in einem Spiegel gezeigt wurde, der unendlich groß war. Diese Stadt hatte ich von weitem wahrgenommen und gesehen, und diese Stadt schien mir innen und außen von gewaltigem Ausmaß zu sein. Ihre Wege, Straßen und Passagen waren schön mit Gold gepflastert. Hoch gelegen ruhte sie auf ihrem Fundament und auf Mauern aus Quadern gefertigt, und eine hohe Mauer umschloss sie. Darinnen gab es zahlreiche Wohnungen, heilige Stätten und Unterkünfte, in welchen große Fröhlichkeit herrschte, eitel Freude, ohne Traurigkeit. Dort, um mich kurz zu fassen, hatte ein jeder ganz allgemein von allen Gütern mehr als er jemals zu verlangen oder zu denken gewusst hätte.