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Der Autor

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Joachim Grupp betreibt seit 1976 Karate. Er ist Träger des 5. DAN im Shotokan Karate und Trainer eines Karatevereins in Berlin. Von ihm erschienen im Meyer & Meyer Verlag auch die Bücher „Shotokan Karate. Technik, Training, Prüfung“, „Shotokan Karate KATA 1“ und „Shotokan Karate Kumite“.

Shotokan Karate
KATA 2

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, durchgängig die männliche (neutrale) Anredeform zu nutzen, die selbstverständlich die weibliche mit einschließt.

Joachim Grupp

SHOTOKAN KARATE
KATA 2

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Meyer & Meyer Verlag

Shotokan Karate – Kata 2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2003 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen,
2., überarbeitete Auflage 2012

Auckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Indianapolis, Kindberg, Maidenhead, Sydney, Olten, Singapore, Tehran, Toronto

Member of the World

image Sport Publishers’ Association (WSPA)

Druck: B.O.S.S Druck und Medien GmbH

ISBN: 9783898996969

eISBN: 9783840330070

E-Mail: verlag@m-m-sports.com

www.dersportverlag.de

Inhalt

Vorwort

1      Einführung

1.1   Die Geschichte des Shotokan Karate

1.2   Karate-Do

1.3   Kata

2      Die Meisterkatas

2.1   Nijushiho

2.2   Bassai-Sho

2.3   Gojushiho-Sho

2.4   Gojushiho-Dai

2.5   Meikyo

2.6   Sochin

2.7   Jitte

2.8   Kanku-Sho

2.9   Gankaku

2.10 Chinte

2.11 Unsu

2.12 Wankan

2.13 Ji‘in

3      Karatestellungen

3.1   Heisoku-Dachi

3.2   Musubi-Dachi

3.3   Heiko-Dachi

3.4   Hachiji-Dachi

3.5   Zenkutsu-Dachi

3.6   Kokutsu-Dachi

3.7   Kiba-Dachi

3.8   Neko-Achi-Dachi

3.9   Sanchin-Dachi

3.10 Fudo-Dachi

3.11 Kosa-Dachi

3.12 Renoji-Dachi

4      Wiederkehrende Techniken der Katas

4.1   Manji-Uke

4.2   Yoko-Geri, Uraken, Empi

4.3   Kakiwake-Uke

4.4   Tate-Shuto-Uke

4.5   Haishu-Uke

4.6   Morote-Uke

4.7   Fumikomi

5      Anhang

5.1   Bibliografie

5.2   Glossar

5.3   Shotokan Karate in Deutschland

5.4   Sponsorenhinweis

5.5   Warnhinweis

5.6   Bildnachweis

5.7   Danksagung

5.8   Die Mitwirkenden

5.9   Kontakt zum Autor

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Vorwort

Jedem Leser, der dieses Buch zur Hand nimmt, dürften die ersten Shotokan Katas bereits bekannt sein. Sie gehören zur Basis, die beherrscht werden sollte, bevor man mit dem Studium der hier dargestellten Katas beginnt. In meinem Buch Shotokan Karate Kata 1 finden sich die ersten Katas des Shotokan-Systems mit vielen Trainingstipps und Anwendungsbeispielen.

Shotokan Karate Kata 2 knüpft an den ersten Band an und richtet sich an die Leser, die sowohl mit den Grundkatas als auch mit den Grundtechniken und der Philosophie des Karate vertraut sind, also an Karateka, die bereits viele Stunden des Trainings absolviert habe. Das vorliegende Buch vervollständigt nun das gesamte Spektrum der 26 Shotokan Katas.

Auf eine allzu ausführliche Darstellung der Grundbegriffe und -techniken des Karate, der geschichtlichen Tradition des Shotokan Karate und der Trainingsmethodik kann hier also verzichtet werden. Sie findet der interessierte, fortgeschrittene Karateka in meinen Bänden Shotokan Karate. Technik, Training, Prüfung (Aachen, 2000) und Shotokan Karate Kata (Aachen, 2001). Wer sich mit der Geschichte und Tradition des Karate-Do ausführlicher beschäftigen möchte, dem sei das Buch des Japanologen Heiko Bittmann Karate-Do. Der Weg der leeren Hand empfohlen, das dieses Thema als einziges, mir bekanntes deutschsprachiges Buch mit großer Kompetenz und unter Einbeziehung vieler japanischer Quellen behandelt.

Dennoch möchte ich der Kata Darstellung eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte voranstellen, die beim Training beachtet werden sollten.

Weshalb trainieren wir Kata, was bedeutet Kata und welches Anliegen verfolgt dieses Buch? Kata, die überlieferte, festgelegte Form von Techniken gegen mehrere Angreifer ist das Wesen des Karate. Alle Teilbereiche des heutigen Karate sind aus den Katas entstanden. Sie zu meistern, bedeutet die Bereitschaft, sehr lange zu üben und sich intensiv mit den darin enthaltenen Details zu beschäftigen.

Wer diese Bereitschaft aufbringt, dem kann ein Erkenntnisgewinn garantiert werden, der weit über die Ausführung von einzelnen Techniken hinausgeht. Es ist nicht die Rede von einigen Stunden oder einigen Wochen Training. Die Illusion, man könne eine Kata innerhalb kürzester Zeit beherrschen, sollte man sich auf keinen Fall machen. Wer schnellen Erfolg sucht, sollte sich einer anderen Disziplin zuwenden. Viele Jahre sind nötig, um das anspruchsvolle Bewegungsrepertoire und die Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten einer Kata zu meistern.

Die Faszination der Katas erschließt sich jedem, der die notwendige Geduld hat, ihre Techniken und Abläufe lange zu üben und sich ständig in der Ausführung zu verbessern. Dieses Buch soll dazu beitragen, den Lesern zu helfen, sich in der Kata zu vervollkommnen, sei es für die Prüfung, das tägliche Training, die Arbeit an sich selbst, am Karate-Do oder für den Wettkampf. Das vorliegende Buch kann dabei das Training im Dojo oder Verein höchstens ergänzen, das tägliche Training muss jeder selbst durchführen. Atmung, Spannung und Entspannung, der Wechsel von schnell zu langsam, das Timing und vieles mehr können nur durch Jahre des Trainings erlernt werden.

Es soll an dieser Stelle jedoch nicht nur an die anstrengende Seite des Arbeitens an den Katas erinnert werden. Ihr Reichtum besteht nicht nur in der Vielzahl von Techniken, die im Kumite und in der Grundschule selten oder nicht geübt werden. Das sind Techniken aus kurzer Distanz, Griffe und Ansätze zu Wurftechniken, das Abwehren von Waffen, Angriffe gegen empfindliche Körperstellen, die beim Partnertraining nicht gefahrlos möglich wären – der Fundus der in den Katas enthaltenen Techniken ist nahezu unerschöpflich. Der Beitrag der Katas zur Vervollständigung der Fähigkeiten des Karateka ist nicht zu unterschätzen. Das Bemühen um ihre Meisterung stellt nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Fähigkeit zur Selbstverteidigung dar, sondern auch einen Schritt auf dem Weg zum Karate-Do. Das bedeutet auch: Eine Kata beherrscht man nie perfekt. Man befindet sich immer nur auf dem Weg dahin.

An dieser Stelle möchte ich gerne darauf hinweisen, dass die im Buch enthaltenen Anwendungssituationen nur eine kleine Auswahl innerhalb der enormen Vielzahl unterschiedlicher Versionen darstellen können. Die hier gezeigte Bunkai der Kata hat keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, oder den Anspruch, die einzige Wahrheit zu vermitteln. Sie soll an der einen oder anderen interessanten oder typischen Stelle der Kata nur demonstrieren, wie die konkrete Anwendung aufgefasst werden könnte.

Ein weiterer Aspekt soll an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden: die Ästhetik. Es ist nicht nur Arbeit und Anstrengung mit dem Training der Katas verbunden, sondern es macht einfach Spaß, Katas zu üben oder einen guten Katavortrag zu beobachten. Mehr vielleicht als andere Seiten des Karate übt die Kata auf den Betrachter eine Faszination besonderer Art aus. Der Ästhetik einer exzellent vorgetragenen Kata im Training oder im Wettkampf kann man sich nicht entziehen. Wird die Kata meisterhaft vorgeführt, so ist förmlich zu spüren, welche Energie in dieser Form des Kampfs gegen mehrere imaginäre Gegner zum Ausdruck kommt. Spannung, Schnelligkeit, Präzision, Dynamik, Kraft und Explosivität der Techniken – ein guter Katavortrag bringt die Vielfalt des Karate zum Ausdruck.

Es ist legitim und innerhalb der großen Bandbreite der Karateauffassungen absolut vertretbar, die Katas in erster Linie aufgrund ihrer athletischen und ästhetischen Potenziale zu trainieren, oder auch einfach nur, weil sie Spaß machen und den Aspekt der Selbstverteidigung eher im Kumite zu suchen. Genauso legitim ist es, in der Kata den kämpferischen Ausgangspunkt seines Karate zu erkennen. Jeder sollte seinen Weg ab einer gewissen Grundkenntnis selbst finden. Die oft intolerante Diskussion darüber, welches Karateverständnis „überlegen“ ist, wurde lange Zeit vehement und dogmatisch geführt. Sie kann heute getrost als müßig betrachtet werden, da sich für beides ähnlich gute Argumente oder Beispiele anführen lassen. Sowohl die eine wie auch die andere Karateauffassung ist zu tolerieren, sofern sie ernsthaft betrieben wird.

Katas zeigen die Besonderheiten einer Stilrichtung. Im Shotokan Karate ist eine große Bandbreite unterschiedlicher Katas vertreten. Der Schwerpunkt der Katas unserer Stilrichtung liegt insgesamt mehr auf dynamischen, schnellen und explosiven Bewegungen. Dennoch lassen sich die 26 Shotokan Katas in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen: die eher schnellen und explosiven Katas der Shorintradition und die eher atem- und kraftbetonten der Shoreitradition. Zur Shoringruppe gehören die Heian-Katas, Empi, Bassai-Dai, Kanku-Dai, Nijushiho und die Gojushiho-Katas. Sie enthalten ebenfalls atembetonte, eher langsame Passagen, doch ihr Grundtempo ist schnell und dynamisch. Zur kraftbetonten Shorei-Katagruppe gehören z. B. Jion und Hangetsu sowie Sochin und Jitte.

Dieses Buch enthält die fortgeschrittenen Meisterkatas Bassai-Sho, Gojushiho-Sho, Gojoshiho-Dai, Nijushiho, Sochin, Meikyo, Chinte, Kanku-Sho, Wankan, Ji’in, Jitte, Gankaku und Unsu.

Diese Katas wurden lange Zeit in keinem deutschsprachigen Buch so detailliert behandelt. Die hier gezeigten Katas Gojushiho-Sho, Gojushiho-Dai, Nijushiho, Unsu, Kanku-Sho, Gankaku und Sochin gehören zu den beliebtesten Wettkampfkatas.

Zusätzlich werden in diesem Buch die wichtigsten Stellungen und einige der in den Katas wiederkehrenden, typischen Bewegungen in Detailaufnahmen dargestellt.

Allen Lesern, die sich intensiver mit den faszinierenden Meisterkatas des Shotokan Karate beschäftigen möchten, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre und viel Erfolg im Karate-Do.

Wenn ich mit diesem Buch und mit meinen anderen Büchern der Shotokan-Karate-Serie im Meyer & Meyer Verlag ein wenig dazu beitragen kann, kleine Hilfestellungen dabei zu geben, habe ich mein Ziel schon erreicht.

Joachim Grupp

1    EINFÜHRUNG

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1.1   Die Geschichte des Shotokan Karate

Der Ursprung des Karate liegt in Okinawa. Weit vom japanischen Festland entfernt befindet sich die Insel, deren Bewohner bereits vor vielen Jahrhunderten Kampftechniken entwickelt haben, mit deren Hilfe sie sich gegen Angreifer zur Wehr setzten. Durch den regen Handels- und Kulturaustausch mit asiatischen Nachbarländern entwickelte sich aus den bereits existierenden einheimischen Waffen- und Kampftechniken eine vielseitige Kampfkunst. Besonders die Wirtschaftszentren Shuri, Naha und Tomari waren Ausgangspunkte dieser Entwicklungen.

Die Kampfkünste auf Okinawa wurden im Jahre 1429, nach dem von König Sho Shin erlassenen Waffenverbot, immer populärer. Bereits bevor sich der chinesische Einfluss des Chuan-Fa auf der Insel geltend machte, wurde die Kampfkunst Te (Te = Hand) bereits von einigen Meistern gelehrt. Dies geschah meist in kleinen Schulen und in sich abgeschlossenen Zirkeln. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Kampfkunst damals nicht einheitlich oder, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, komplett war.

Im Jahre 1372 siedelten sich in Naha chinesische Familien an, die chinesische Kampfkünste und die Religion des Buddhismus einführten. Es heißt, dass sie das Te rund um Naha beeinflussten. Das dort gelehrte Naha-Te (später Shorei-Ryu, Ryu = die Bezeichnung für Schule) gilt als inspiriert von der Tradition des Chuan-Fa, dem chinesischen Boxen. Es enthielt sowohl dynamische als auch starke Bewegungen und betonte die Atmung und eine schnelle Kraftentwicklung der Techniken. Das Interesse der Einwohner Okinawas an der chinesischen Kultur war groß und somit konnten sich die Philosophie und die Kampftechniken des chinesischen Boxens (Kempo) in einigen Regionen Okinawas ausbreiten. Andere Verbreitungsgebiete des Te waren Tomari und Shuri (die hier entwickelten Stile wurden später auch Shorin-Ryu genannt). Der chinesische Einfluss machte sich in den atembetonten Techniken und runden Abwehrbewegungen bemerkbar. Das Tomari-Te enthielt beide Elemente.

Da die Bewohner Okinawas vorwiegend Bauern, Fischer oder Händler waren, werden die spezifischen Eigenheiten der alten Stile durch die unterschiedlichen Berufstraditionen erklärt. Bauern bevorzugten einen Stil mit tiefen Ständen, um aus dieser Stellung heraus mit Armen und Beinen zu kämpfen. Ein anderer, kraftvoller Stil mit zahlreichen starken Armbewegungen beruhte auf der Tradition der Fischer.

Die Bauern und Fischer waren auch im Umgang mit ihren Arbeitsinstrumenten als Waffen einfallsreich. Das Kobudo, der Umgang mit Bo, Tonfa, Nunchaku Kama und anderen als Waffen eingesetzten Arbeitswerkzeugen stammt aus dieser Zeit. Das ist wichtig für das Verständnis zahlreicher Techniken der heutigen Katas: Sie enthalten teilweise noch (Abwehr-)Bewegungen gegen diese Waffen.

Die Besetzung Okinawas 1609 durch die Japaner führte unter der Satsuma-Dynastie unter Ieshisa Shimazu zu einem Verbot des Te, das dann nur noch heimlich ausgeübt werden konnte. Dennoch